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Vorgelesen in der öffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften am 21. Oktober 1847.
Wer gelobt hat, darf auch einmal schelten. Ich war von Jugend an auf die Ehre unserer Sprache beflissen, und wie, um mich eines platonischen Gleichnisses zu bedienen, die Hirten hungerndem Vieh einen grünen Laubzweig vorhalten und es damit leiten, wohin sie wollen, hätte man mich mit einem altdeutschen Buch durch das Land locken können. Als es mir hernach gelang, einige vormals verkannte Tugenden dieser Sprache, da sie von Natur blöde ist, aufzudecken und ihr den Rang wieder zu sichern, auf welchen sie unter den übrigen von Rechts wegen Anspruch hat, so konnte es nicht fehlen, daß ich auch vielerlei Schaden kennen lernte, an dem sie offen und geheim leidet. Es scheint nun aller Mühe wert, uns über solche Gebrechen nichts zu verhehlen, denn wenn sie schon nicht ganz zu heben sind, beginnt doch ein ernstes Gemüt von seiner Angewöhnung abzuweichen und sich liebevoll auf den besseren Pfad zu kehren, der ihm gezeigt worden ist. Ernst und Liebe stehn uns Deutschen nach dem Dichter wohl, ach, die so manches entstellt.
Erwäge ich die Schwächen unserer Sprache, von denen sie am meisten gedrückt ist, nicht bloß im einzelnen, sondern allgemeinen, so stellt sich mir eine ihrer Eigenschaften heraus, die ich heute zum Gegenstand näherer Betrachtung machen will und nicht anders bezeichnen kann, als es am Eingang geschehn ist.
Da die innersten Vorzüge und Mängel der Sprachen stärker, als man wähnt, und sogar mehr als andere Besitztümer mit der sinnlichen wie geistigen Natur und Anlage der Völker, welchen sie gehören, zusammenhängen, so kann es nicht befremden, daß ich in der Art und Weise der Deutschen überhaupt oft schon die Richtung wiederfinde, die ich im Begriff stehe zu schildern. Sie greift, von der besseren Seite genommen, ein in unsere bedächtige Genauigkeit und Treue, und es würde schwerhalten, sie mit Stumpf und Stil auszurotten, ohne diesen trefflichen Grundzug unseres Charakters mit zu verletzen. Das Pedantische aber, glaube ich, wenn es früher noch gar nicht vorhanden gewesen wäre, würden die Deutschen zuerst erfunden haben. Man versetze sich in einen Kreis von Diplomaten, denen es obliegt, in verwickelter Lage die Geschicke der Länder zu wägen, und forsche, von welcher Seite aus in Kleinigkeiten hundert Anstände und Schwierigkeiten erhoben werden, in der Hauptsache der Verhandlung leichtestes Nachgeben und Ablassen eintrete; es kann keine andere, als die der deutschen Gesandten sein, und unsere Nachbarn haben ihren Vorteil daraus zu ziehn lange schon verstanden. Eben das ist Pedanterie, im Geringfügigen eigensinnig zu widerstreben und nicht zu gewahren, daß uns daneben ein großer Gewinn entschlüpft, daher auch im Lustspiel der Pedant jedesmal der Braut, um die er geworben hat, verlustig geht. Er hat für das Neue keinen Enthusiasmus, nur Krittelei, für das Hergekommene taube Beschönigungen, ohne allen Trieb ihm auf den Grund zu sehn.
In der Sprache aber heißt pedantisch, sich wie ein Schulmeister auf die gelehrte, wie ein Schulknabe auf die gelernte Regel alles einbilden und vor lauter Bäumen den Wald nicht sehn; entweder an der Oberfläche jener Regel kleben und von den sie lebendig einschränkenden Ausnahmen nichts wissen, oder die hinter vorgedrungnen Ausnahmen still blickende Regel gar nicht ahnen. Alle grammatischen Ausnahmen scheinen mir Nachzügler alter Regeln, die noch hier und da zucken, oder Vorboten neuer Regeln, die über kurz oder lang einbrechen werden. Die pedantische Ansicht der Grammatik schaut über die Schranke der sie befangenden Gegenwart weder zurück noch hinaus, mit gleich verstockter Beharrlichkeit lehnt sie sich auf wider alles in der Sprache Veraltende, das sie nicht länger faßt, und wider die Keime einer künftigen Entfaltung, die sie in ihrer seichten Gewohnheit stören.
Es würde mir nun leicht sein, wenn ich bloß ins einzelne gehn wollte, Beispiele zu greifen, die das Bild des Pedanten keinen Augenblick verkennen lassen. Er schreibt mogte für mochte, weil, nach mögen blickend er vom schönen uralten Wandel der Konsonanten nichts weiß und sich weder auf Macht, noch das lateinische agere, actus besinnt. Das richtige mußte für sein muste oder gar musste läßt er sich von keinem Sterblichen einreden. Ein Engländer oder Franzose würde lachen, geschähe ihnen Anmutung, Deminutif und Demunitive zu schreiben; aber der Deutsche meint, sich schämen zu müssen, wollte er länger di für de behalten, seit ihm die Philologen eingebildet haben, nur de im lateinischen Wort sei recht. Überhaupt entstellt der Pedant ungern fremde Wörter und möchte wie Tataren für Tartaren, Petrarca für Petrarch, Chamomille für Kamille wieder einführen; zur Hauptangelegenheit aber wird es ihm, teutsch für deutsch zu schreiben, weil es heiße Teutonen, da doch das lateinische T gerade der schlagendste Grund für das deutsche D in diesem Wort ist und niemand darauf verfällt, Tietrich an die Stelle von Dietrich, worin dieselbe Wurzel steckt, zu setzen. Am allermeisten in seinem Wesen fühlt er sich, wenn Sachkenntnisse ihn ermächtigen, die Sprache zu bessern; er wird seiner schwindsüchtigen Frau nicht Eselsmilch, Wie der Grieche ὁ und ἡ ὀνοϛ, sagte auch der Gote sa und sô asilus und beide bilden den Gen. asilaus. Got. wäre also asilaus miluks so genau wie das gr. ἱππομολόϛ. Adelung und Kampe haben Eselsmilch. nur Eselinnenmilch zu trinken anraten, und selbst den unschuldigen Namen der euphorbia cyparissus, Wolfsmilch, wäre er nach solcher Analogie zu berichtigen versucht, obgleich auch die Wölfin ihre Milch nicht gegeben hat, als dies Kraut erschaffen wurde. Zeichenlehrer, Rechenmeister kommen dem Pedant höchst albern vor und werden durch Zeichnenlehrer, Rechnenmeister ersetzt, als dürfte unsere Sprache irgend in eine Zusammensetzung den baren Infinitiv aufnehmen. »Am ersten Mai« zu setzen vermeidet er, es müsse heißen »am ersten des Mais«, nämlich Tage. In der Syntax sind ihm Unterschiede nahliegender Konstruktionen zuwider, wie zwischen Wein trinken und Weines trinken, zwischen was hilft mich? und was hilft mir? Dort soll bloß der Akkusativ, hier bloß der Dativ gerecht sein. Keine einzige aller europäischen Sprachen hat so ungebärdige, schlechtbeholfne Übertragungen technischer und grammatischer Ausdrücke hervorgebracht, vom Zeugefall, Klagefall und Ruffall an bis zur anzeigenden und bedingenden Art herab, wie sie in deutschen Büchern stehn.
Man sollte glauben, daß bei dem schönen, ihr eignen Hang zu schmuckloser Einfachheit unsere Sprache vorzugsweise für Übersetzungen geschickt sei, und bis auf einen gewissen Grad gibt sie sich auch gern dazu her. Es heißt jedoch den Wert dieser unter uns allzusehr eingerissenen, unersättlichen Verdeutschungen fast jedes fremden Werks von Ruf übertreiben, wenn sogar behauptet worden ist, einzelne derselben seien so gelungen, daß sich aus ihnen der Urtext, wenn er abhanden käme, herstellen lassen würde. Ich wenigstens bekenne, keinen Begriff davon zu haben, daß selbst aus Schlegels oder Voßens Worten ein Shakespeare oder Homer auferstehn sollte, so gewaltig wie der englische und griechische in ihrer wunderbaren Schönheit. Was übersetzen auf sich habe, läßt sich mit demselben Wort, dessen Akzent ich bloß zu ändern brauche, deutlich machen: übersétzen ist übersetzen, traducere navem. Wer nun zur Seefahrt aufgelegt, ein Schiff bemannen und mit vollem Segel an das Gestade jenseits führen kann, muß dennoch landen, wo anderer Boden ist und andere Luft streicht. Wir übertragen treu, weil wir uns in alle Eigenheiten der fremden Zunge einsaugen und uns das Herz fassen, sie nachzuahmen, aber allzu treu, weil sich Form und Gehalt der Wörter in zwei Sprachen niemals genau decken können und was jene gewinnt, dieser einbüßt. Während also die freien Übersetzungen bloß den Gedanken erreichen wollen und die Schönheit des Gewands darangeben, mühn sich die strengen, das Gewand nachzuweben, pedantisch ab und bleiben hinter dem Urtext stehn, dessen Form und Inhalt ungesucht und natürlich zusammenstimmen. Nachahmung lateinischer oder griechischer Verse zwingt uns, die deutschen Worte zu drängen, auf die Gefahr hin, dem Sinn Gewalt anzutun; übertragne Prosa pflegt also gleich breiter zu geraten, wie beim Hinzuhalten des Originals in die Augen fällt. Vordem, ehe die treuen Übersetzungen aufkamen, kann man beinah als Regel annehmen, daß zwei lateinische oder griechische Verse zu vier deutschen Zeilen wurden; so sehr versagte sich unsere Sprache gedrungnem, gedankenschwerem Ausdruck. Es wäre undankbar, die große Wirksamkeit unumgänglicher Übersetzungen in der Geschichte unserer Sprache, deren älteste Denkmäler geradezu darauf beruhn, herabsetzen zu wollen; ich finde, daß der Gote Ulfilas, der vom Fuß des Haemus her deutschen Laut auf ewige Zeiten erschallen ließ, mit bewunderungswerter Treue und fast fessellos sich den Formen des Urtextes anschloß; aber schon die frühsten unvollendeten Versuche in hochdeutscher Mundart reichen ihm lange nicht das Wasser.
Dieser Standpunkt der deutschen Sprache gegenüber den Werken fremder Zunge fiel zuallererst ins Auge; ich will aber noch weiter ins Allgemeine vorschreiten und aus unserer Sprache selbst einzelne Züge hervorheben, die mir zugleich von der Sitte und Gewohnheit unseres Volks unzertrennbar scheinen und desto mehr zustatten kommen. Wie vermögen wir in Übersetzungen die volle Einfachheit der Alten zu erreichen, wenn uns in unserer täglichen Ausdrucksweise unbesiegbare und fast persönliche Hindernisse im Weg stehn? Wir sind dann genötigt, doppelter Sprache zu pflegen, einer für das Buch, einer andern im Leben, und können die größere Wärme des Lebens nicht unmittelbar dem Ausdruck des Buchs lassen angedeihn. Persönlich darf ich vor allem nennen, was die Bezeichnung der Person in der Rede selbst angeht.
Oft habe ich mir die Frage gestellt, wie ein Volk, das durch sein Auftreten den lebendigen Hauch der fast erstorbnen Freiheit in Europa anfachte, ein Volk, dessen rohe Kraft noch frisch und ungekünstelt war, allmählich den unnatürlichsten und verschrobensten Formen der Rede verfallen konnte? Die Tatsache selbst, wie gleichgültig sie uns heute trifft, ist so ungeheuer und so vielfach mit unserer Lebensart verwachsen, daß die Betrachtung nicht unterlassen mag, darauf zurückzulenken. Unsere Sprache verwischt den von der Natur selbst eingeprägten Unterschied der Person und der Einheit auf törichte Weise. Den einzelnen, der uns gegenübersteht, reden wir unter die Augen nicht mit dem ihm gebührenden Du an, sondern gebärden uns, als sei er in zwei oder mehr Teile gespalten und müsse mit dem Pronomen der Mehrzahl angesprochen werden. Demgemäß wird nun zwar auch das zu dem Pronomen gehörige Verbum in den Pluralis gesetzt, allein das attributive oder prädizierende Adjektivum im Singularis gelassen, einem Grundsatz der Grammatik zum Trotz, welcher gleichen Numerus für Subjekt, Prädikat und Verbum erfordert.
Zur Entschuldigung dieses unvernünftigen Gebrauchs, auf dessen Ursprung ich hernach zurückkommen werde, läßt sich allerdings anführen, daß die ganze Neue Welt willig ähnliche Bürde trägt und z. B. in der französischen Sprache, deren Adjektivflexion für das Prädikat besser erhalten ist als die unserige, jenes grammatische Gleichmaß ebenso verhöhnt wird, da es heißt vous êtes bon, vous êtes bonne, also neben dem Pluralis des Verbums der Singularis des Adjektivs eintritt. Was scheint unpassender, als zu sagen: Unglücklicher, ihr seid verloren, statt des einfachen: miser periisti! Es ist die schwüle Luft galanter Höflichkeit, in der ganz Europa seinen natürlichen Ausdruck preisgab; wir Deutschen aber sind nicht dabei stehngeblieben, sondern haben den Widersinn dadurch pedantisch gesteigert, daß wir nicht einmal die zweite Person in ihrem Recht, sondern dafür die dritte eintreten lassen, wozu wiederum das begleitende Verbum in die Tertia Pluralis gestellt wird, während das Adjektiv den Singularis beibehält. Also statt des ursprünglichen, allein rechtfertigen Du bist gut, verwöhnten wir uns erst: Ihr seid gut und endlich zu sagen: Sie sind gut, gleichsam als sei eine dritte, gar nicht anwesende und nicht die angeredete Person gemeint. Welche Zweideutigkeiten aus dieser Verstellung der Formen allenthalben hervorgehn können, welche Verwirrung des Possessivums verursacht wird, da die Pluralform aller Geschlechter der weiblichen des Singularis begegnet, leuchtet von selbst ein. Nur das habe ich beizufügen, daß die dritte statt der zweiten Person im Pluralis gerade eine beklagenswerte Eigenheit der herrschenden hochdeutschen Mundart ist, indem die übrigen bis auf geringe Anflüge des Verderbnisses wenigstens die zweite Person in ihrem natürlichen Recht ungekränkt lassen.
Ein kleiner oder großer Trost, zugleich die volle Verurteilung des Mißbrauchs, bleibt uns der, daß die alles läuternde und gern lauter in sich aufnehmende Poesie fortwährend den Gebrauch des herzlichen einfachen Du in der Anrede geheiligt, ja verlangt hat, und könnte uns von irgendher eine Rückkehr zu dem Weg der Natur gezeigt werden, so müßte es durch sie geschehn. Auch bedient sich noch heute die zutrauliche, jener falschen Zier müde Rede und sogar die feierliche Anrufung Gottes des edlen Du, das der alte Franke ebenso festgemut seinem König zurief, wenn er ein: heil wis chuninc! Der Angelsachse: väs hâl cyning! heil dû herro, liobo truthîn, edil Franko! Heil sei, König! heil du Herr, lieber Herrscher, edler Franke! erschallen ließ.
Die Steigerung schwer zu sättigender Höflichkeit ist freilich nicht aus dem Volk, das sich zulängst dawider sträubte, hervorgegangen, sondern ihm von oben, durch die vornehmen Stände zugebracht worden. Als unsere Könige und Fürsten, schmuckloser Einfalt ihres Altertums uneingedenk, byzantinische Pracht und den Schauprunk verderbter Kaiserzeit annahmen, von sich selbst ein majestätisches Wir gebrauchend, mußte ihnen auch mit Ihr erwidert werden, und wenn andern Ständen Nachahmung des Wir nicht verstattet war, blieb es unverwehrt, in der Anrede und Antwort jedem Höheren mit Ihr zu schmeicheln; einem Lauffeuer gleich verbreitete sich unter den Gebildeten des Volks diese Abweichung von der gesunden Regel. Ich habe ihre unermüdlichen Stufen anderwärts nachgewiesen und dargetan, daß das am meisten zu verwünschende »Sie« aus einer Verstärkung der dritten Person des Singularis, doch nicht viel länger als seit 150 Jahren unter uns in Deutschland entsprossen ist. Welch ein geringes Alter gegenüber dem hohen unserer Sprache insgemein, und welch ein Ursprung zur unseligsten Zeit, die auf den Dreißigjährigen Krieg, Deutschlands innerste Schmach, folgte, als beinah jedes Gefühl der Würde unserer Sprache und Nation erloschen war.
Weil aber das Widernatürliche an der Stelle, wo es begonnen hat, selten einzuhalten pflegt, sondern um sich zu greifen trachtet, so ist auch allmählich unter uns für die Anrede unserer Fürsten und Könige eine aufgedunsene Ausdrucksweise der Höflinge und Geschäftsleute eingerissen, wie sie kein einziges anderes Volk in Europa angenommen hat. Mit Einführung griechischer oder römischer Zeremonie schien für die Mächtigen der Welt die letzte Staffel auf der Leiter solcher äußerlichen Ehre lange noch nicht erreicht; anfangs walteten alle Titel der Majestät bloß in lateinischer Kanzleisprache, die zum Volk nicht so schnell vordringen konnte. Bei den Dichtern unseres Mittelalters bis ins dreizehnte, vierzehnte Jahrhundert hinab ist noch keine Spur, daß einem König oder Fürsten, so häufig sie angeredet werden, jemals der Name Majestät oder Durchlaucht beigelegt wäre. Diese Titel waren und klangen zu undeutsch, wie gangbar schon lange Zeit der Ausdruck durhliohtan für translucere, durhliuhtic für illustris gewesen war. Erst die an sich heilsame Verwendung deutscher Sprache für Urkunden, welche im dreizehnten Jahrhundert hin und wieder begann, im vierzehnten und fünfzehnten allgemein ward, scheint das Übersetzen lateinischer Kanzleiformen nach sich gezogen und dem hergebrachten deutschen Ausdruck Gewalt angetan zu haben. An Karls IV., wenn ich nicht irre, wenigstens Friedrichs III. Hof mochte sich der deutsche Titel Majestät volksmäßig festsetzen; zu Maximilians Tagen begegnen wir ihm allenthalben, und für den Kaiser, als den ansehnlichsten aller europäischen Fürsten, pflegte man den Superlativ gnädigster und durchlauchtigster, der an sich schon die volle Potenz dieser Begriffe erreicht, noch durch Voraussendung des Genetiv Pluralis aller, d. i. omnium, zu erhöhen, wie wir von altersher auch allerliebst, allerteuerst, allerletzt sagen. Von dieser Zeit an findet sich allerdurchlauchtigster in der Anrede des Kaisers und bald auf die der Könige erstreckt, jetzt auch auf die der übrigen Fürsten, welche, ohne Könige zu heißen, königliche Ehre in Anspruch nehmen, so daß der einschränkende Begriff des Worts durch seine ausgedehnte Anwendung in sich aufgehoben scheint. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts tat nun die höfische Sprache noch einen Schritt, indem sie neben dieser Anrede und nicht bloß in der Anrede, sondern auch, wenn von dritter Person gesprochen und erzählt wird, Im Mittelalter, wenn von Kaiser oder König die Rede war, in dessen Hand und Würde die Gewalt des Deutschen Reichs lag, pflegte man diese auch durch den einfachen Ausdruck › daz rîche‹ zu bezeichnen. das einfache persönliche und relative Pronomen, wo es sich auf Fürsten bezieht, zu gebrauchen scheut, ohne es mit dem Vorsatz höchst und allerhöchst zu verbinden Berliner Zeitungen aus den Jahren 1750-1770 gewähren von Friedrich dem Großen redend gewöhnlich noch einfaches Sie und Dero. und gleichsam dadurch zu verschleiern; Pedantischeres und Steiferes kann es nicht geben. Unsere Hof- und Geschäftssprache ist dahin gebracht, daß sie im Angesicht und im Kreis der Fürsten nirgends mehr natürlich reden darf, sondern ihre Worte erst in die verschlingenden Fäden unablässig wiederholter und schon darum nichtssagender Präfixe und Superlative einzuwickeln gezwungen ist. Alle daraus entspringenden Redensarten wären geradezu unübersetzbar in die französische und italienische Sprache, welche, nachdem einmal die Majestät angeredet ist, immer einfaches elle oder ella folgen lassen; das kann uns den Prüfstein für unsern Mißbrauch abgeben. Sonst in Europa haben lediglich die vom deutschen Zeremoniell abhängigen oder angesteckten Höfe in Holland, Dänemark und Schweden, mehr oder weniger genau, ein hoogstdezelve, allerhöjstdensamme, allernådigst nachgeahmt. Gewiß aber würde die Weisheit des Fürsten gepriesen werden, der seine Aufmerksamkeit auf den Ursprung und Zweck dieses leeren, seiner selbst wie unseres Sprachgenius unwürdigen, eher chinesischen als deutschen Gepränges richtend, es auf immer verabschiedet und die treuherzigen Anreden und Grüße unserer Vorzeit, soviel es noch angeht, zurückholt. Solch ein Beispiel würde auch darum Wohltat sein, weil es von oben herab wirkend die in endloser Abstufung gültigen eitlen Höflichkeiten unter allen andern Ständen abschaffen und der einfachen Sprache wieder Luft machen könnte; wie ist der heutige Briefstil durch die unnützesten Ausdrücke der Ergebenheit und des Gehorsams, durch unablässiges Anmuten der Geneigt-, Hochgeneigt- und Hochgeneigtestheit allenthalben angeschwellt, und in dieser übeln Sitte tun wir Deutschen es wieder allen übrigen Völkern zuvor. Viel schöner ist, wenn es darauf ankommt, wirklich ergeben zu sein und zu gehorchen, als die Gesinnung immer nur im Mund oder in der Feder zu führen.
Ich erlaube mir noch eine Bemerkung über die heutige Form des Namens Majestät beizufügen, worin, wie in vielen ähnlichen Substantiven, der Ausgang tät, gegenüber dem lateinischen tat befremdet. ä kann hier unmöglich auf dem Weg des Umlauts entsprungen sein, wozu gar kein Anlaß denkbar wäre. Erwägt man die mittelhochdeutsche Gestalt solcher Wörter (denn ein althochdeutsches Beispiel würde unerhört sein), so zeigen trinitât, nativitât langes â, wie es dem überlieferten romanischen oder lateinischen Vokal angemessen war, und diese richtige Form majestat herrscht auch in allen hochdeutschen Urkunden bis zum 16. und 17. Jahrhundert herab; sie wird bestätigt durch das schwäbische au in majestaut. Luther hingegen, Fischart und andere Schriftsteller des 16. Jahrhunderts schrieben majestet, antiquitet mit e, nicht mit ä, welches erst im 17. Jahrhundert fehlerhaft an jenes Stelle eingeführt wurde. Wie aber ist das e selbst zu erklären? Ich zweifle nicht, daß es niederdeutschen Ursprungs war und aus dem niederrheinischen und niederländischen ei hervorging, wofür schon moraliteit Trist. 8012, 8023, auctoriteit Ls. 1, 83 altes Zeugnis ablegen. Die Niederländer schrieben teit (z. B. diviniteit im Partonopeus 21, 5, universiteit Rose 10845), sie schreiben und sprechen bis auf heute majesteit, autoriteit, qualiteit, und ihr ei wechselt auch anderwärts mit langem ê.
Da sich unser Blick zu dem Pronomen gewandt hat, mag noch eine Vergleichung des deutschen Artikels mit dem romanischen zeigen, in welchem Nachteil auch hier unsere Sprache steht.
Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, daß fast alle heutigen Sprachen und schon einige der älteren sich des Artikels bedienen, der ursprünglich, wie sein Name andeutet (der griechische Ausdruck ist dafür ἄρϑρον) die Wirkung eines Gelenks hat, das die Demonstration des einen mit der Relation eines andern Satzes verbindet. Er sollte die Begriffe und noch nicht die Flexion bestimmen helfen. Als sich aber diese in den neueren Sprachen abzustumpfen begann, pflegte sie ihn gleichsam zu ihrem Beistand heranzurufen und wie zugezogne Hilfsvölker sich der Festung, die sie bloß mitwehren sollten, endlich selbst bemeistern, geschah es, daß der Artikel allmählich für die erlöschende oder erloschne Flexion unentbehrlich wurde, wenn er auch, näher angesehn, niemals ganz in ihren Begriff überging.
Die romanische Sprache schlug aber hier einen von der deutschen verschiednen, und, wie mich dünkt, glücklicheren Weg ein. Sie erkor sich zum Artikel nicht das erste strengere Demonstrativum, sondern mit vorteilhaftem Griff das zweite gelindere. Der romanische Artikel stammt aus dem lateinischen ille, illa, dessen liquider Laut jeder Verwandlung und Verschmelzung der Form außerordentlich günstig war. Der deutsche, gleich dem griechischen Artikel besitzt dagegen den eigentlich demonstrativen stummen Linguallaut, der schon an sich unfügsamer als jene Liquida erscheinen mußte. Dazu trat noch eine andere Ungunst. Alle deutschen Sprachen erfuhren Lautverschiebung, wodurch die griechische Tenuis in gotische oder sächsische Aspirata gewandelt wurde, was dem Artikel dieser Sprachen eine gewisse Schwerfälligkeit verlieh, die zwar in der althochdeutschen, wo Media an die Stelle der Aspirata kam, wieder aufhörte. Wer Gotisch oder Angelsächsisch aussprechen lernt, wird sich am meisten bei der allenthalben begegnenden Aspiration des Artikels verlegen fühlen.
Während nun im Romanischen das gelenke, sich leicht an die Präpositionen a und de schmiegende l durch die Bank wohllautige und gedrungne Formen zeugte, welche den untergegangnen Kasus umschreiben und das alte Suffix der Flexion durch ein neues Präfix ersetzen halfen, blieb der deutsche Artikel meistenteils unbeholfen. Aus seinem d, wenn es sich frühzeitig zur Anlehnung und Elision dargegeben hätte, wäre noch Vorteil zu ziehn gewesen; allein der pedantische Hang zu voller deutlicher Form widerstrebte, und es sind eigensinnig nur ausnahmsweise die Formen: am, im, zum, beim, zur – für: an dem, in dem, zu dem, bei dem, zu der – verstattet geblieben, da doch die ältere Sprache noch einige mehr, wie zen für ze den zulässig fand, was sich unbedenklich in die heutige Gestalt zun hätte wandeln mögen; warum wäre nicht ar für an der, gleich dem zur, und anderes mehr willkommen gewesen? Die althochdeutschen und mittelhochdeutschen Dichter hatten noch einige günstige Anlehnungen des gekürzten Artikels an die Präpositionen eingeführt, mochte der Artikel von diesen selbst abhängen oder einem zwischentretenden Genetiv gehören; wie zes für ze des, enents für enent des, jenseit des, welchen allen die jüngere Sprache überbedächtig wieder entsagte, das sind keine geringen Dinge, vielmehr solche, die unmittelbar jeden Satz behend oder schleppend machen können. Man halte unserm deutschen der Mann, des Mannes, dem Manne das ital. luomo, de luomo, al uomo, oder das franz. lhomme, de lhomme, à lhomme entgegen; wir haben hier sogar voraus, daß unsere Flexion noch zureicht und uns keine Präposition zu helfen braucht. Der Romane hat diese nicht gescheut, sondern in seinen Gewinn verwandt, und del, al, die genau übersetzt von dem, zu dem enthalten, sind ihm zu Wohllaut und deutlicher Kürze ausgeschlagen. Hinzugenommen den bewundernswert einfachen Hebel der provenzalischen und altfranzösischen Deklination, der die meisten Nomina bloß damit lenkt, daß er dem Nominativ Singularis die obliquen Pluralkasus, dem Nominativ Pluralis aber die obliquen Singularkasus gleichstellt (in welchem Gesetz ich noch einen Nachhall keltischer Spracheigenheit zu spüren meine), so muß man den praktischen Blick dieser Sprachen anerkennen, die freilich nachher ihren Vorteil fast wieder aus der Hand ließen. Ich gebe immer noch nicht die ehrwürdigen Überreste unserer uralten Flexion dafür hin, aber diese hätten wir weit mehr zu unserm Nutzen handhaben können.
Ist unsere heutige Nominalflexion abgewichen von ihrer ehmaligen Fülle und Bedeutung, so hat sich dagegen die herrliche und dauerhafte Natur des deutschen Verbums fast nicht verwüsten lassen, und von ihr gehn unzerstörbar Klang und Klarheit in unsere Sprache ein. Die Grammatiker, welche ihre Sprachkunde auf der Oberfläche, nicht in der Tiefe schöpften, haben zwar alles getan, um den Ablaut, der die edelste Regel deutscher Konjugation bildet, als Ausnahme, die unvollkommene Flexion als Regel darzustellen, so daß dieser der Rang und das Recht zustehe, jene allmählich einzuschränken, wo nicht gar aufzuheben. Fühlt man aber nicht, daß es schöner und deutscher klinge zu sagen buk, wob, boll (früher noch bester wab, ball) als backte, webte, bellte, und daß zu jener Form die Partizipa gebacken, geworben, gebollen stimmen? Im Gesetz des Ablauts gewahre ich eben, was vorhin bei dem von der neueren Deklination eingeschlagnen Weg vermißt werden konnte, den ewig schaffenden, wachsamen Sprachgeist, der aus einer anfänglich nur phonetisch wirksamen Regel mit dem heilsamsten Wurf eine neue dynamische Gewalt entfaltete, die unserer Sprache reizenden Wechsel der Laute und Formen zuführte. Es ist sicher alles daran gelegen, ihn zu behaupten und fortwährend schalten zu lassen.
Mit dem Ablaut eng zusammen steht ein anderes Gesetz von geringem Umfang, doch in das höchste Altertum aufreichend. Gleich der lateinischen und zumal griechischen besitzt unsere Sprache gewisse Verba, deren Form Vergangenheit, deren Begriff Gegenwart ausdrückt, weil in ihnen das Gegenwärtige unmittelbar auf das Vergangne gegründet, sozusagen aus ihm erworben ist. Wenn es heißt ich weiß, so gibt diese Form ein Präteritum kund, am sichtbarsten dadurch, daß die dritte Person den Ausgang t nicht annimmt, der zur Form des Präsens erfordert wird, wie umgekehrt alle Präterita ihn nicht haben. Ich weiß, will eigentlich sagen: ich habe gesehn und entspricht dem lateinischen vidi, griechischen οἶδα wie wissen dem lateinischen videre, griechischen ἰδεῖν. Auf solche Weise läßt sich die allmählich sehr beschränkte Zahl anderer Wörter dieser Klasse gleichfalls auslegen, und da sie fast alle aushelfen, d. h. die meisten Auxiliaria hergeben, folglich in der Rede oft wiederkehren, so verleihn sie, abgesehn von ihrer sinnigen Gestalt, dem Ausdruck wiederum angenehmen Wechsel. Sie sind als wahre Perlen der Sprache zu betrachten, und der Verlust eines einzigen von ihnen zieht empfindlichen Schaden nach sich. Nun sind aber, wie ich sagte, mehrere von ihnen heute ganz aufgegeben, andere in ihrer Eigenheit angetastet worden. Dahin gehört z. B. das Wort taugen, welches der älteren Sprache gemäß flektieren sollte taug, taugst, taug und im Grunde aussagt: ich habe mich geltend gemacht, dargetan, daß ich vermag. Noch Opitz, Christian Weise und manche spätere schreiben das richtige taug, nicht taugt, auf welches sich unmittelbar anwenden läßt, daß es ein Taugnichts sei, wennschon ein ziemlich alter, da ihn bereits einzelne Schreiber des vierzehnten Jahrhunderts einschwärzen. Weingartner Liederhandschrift S. 167: minne tovgt niht aine; und öfter. Den Sprachpedanten war aber taug mit seinem der Verdichtung entgangnen Diphthong ein Greuel, wie ihnen darf, mag und soll unbegreiflich sind, und sie haben wirklich ihr taugt, etwa nach der Analogie von brauchen braucht, saugen saugt durchgesetzt, wie man auch bei den sonst aufgeweckten Schwaben zu hören bekommt er weißt statt er weiß, oder uns allen gönnt das edlere gan verdrängt hat.
Kaum in einem andern Teil unserer Grammatik würde, was ich hier tadle, greller vortreten, als in der Syntax, und Beispiele liegen auf der Hand. Es sei bloß erinnert an das lästige Häufen der Hilfswörter, wenn Passivum, Präteritum und Futurum umschrieben werden, an das noch peinlichere Trennen des Hilfsworts vom dazugehörigen Partizipum, was französischen Hörern den verzweifelnden Ausruf » j’attends le verbe« abnötigt. Solch eine Scheidewand, wäre es bloß tunlich sie zu ziehn, nicht notwendig, könnte der Rede Abwechslung verleihn; daß sie fast nirgends unterbleibt, bringt den Ausdruck um Raschheit und Frische. Noch empfindlicher ist mir die aufgegebne alte einfache Negation, der in unserer frühern Sprache ihr natürlicher Platz unmittelbar vor dem Verbum zustand, das verneint werden soll. Anstatt des got. ni ist, ahd. nist, mhd. en ist haben wir ein »ist nicht«, d. h. dies nicht aus einer hinzutretenden, bloßen eigentlich nihil aussagenden Verstärkung zur förmlichen Negation erhoben, die in den meisten Fällen dem Verbum nachschleift. Schwerlich konnte der Sprache etwas Ungelegneres widerfahren, da die behende fließende Partikel schwand und durch eine mit ihr selbst schon zusammengesetzte gröbere ersetzt wurde, die nicht länger imstand war, da, wo sie in der Rede erwartet werden muß, zu erscheinen. Der gestiftete Schade leuchtet ein, sobald wir die alte Ausdrucksweise zur neuen halten, das got. ni grêt ist μὴ ϰλαῖε, ni karôs, ne cures, ahd. ni churi statt unseres weine nicht, sorge nicht; wie kurz ist das ahd. ni ruochat, mhd. en ruochet, nolite, sorget nicht, wo wir den Eindruck der Verneinung immer erst hinten fühlbar werden lassen. Auf die Frage, bist du hier? folgt mhd. die Antwort: ich en bin, heute muß sie lauten: ich bin nicht hier, weil wir antwortend zugleich das Adverb des Fragenden zu wiederholen pflegen, für acht jetzt fünfzehn Buchstaben, statt des leichtrollenden Bluts trägeren Pulsschlag. Kurz über dem pedantischen Hervorholen eines sparsam angewendet, die Verneinung stärkenden Worts ist uns die einfache, fast allen andern Sprachen zu Gebot stehende Negation wie ein Vogel aus dem Käfig entflogen, und wir haben nur das Nachsehn.
Es wird aber fruchten, von diesen aus Flexion und Syntax geschöpften Beispielen fortzuschreiten zu solchen, die bei der Wortbildung ausgesucht werden können, wo sich die Praxis der deutschen Sprache im Verhältnis zu benachbarten fremden noch deutlicher kundtut.
Man hat im Überschwang den Reichtum und die Überlegenheit unserer Sprache hervorgehoben, wenn von dem mannigfalten Ausdruck ihrer Wortableitungen und Zusammensetzungen die Rede ist. Ich vermag lange nicht in dies Lob einzustimmen, sondern muß oft unsere Armut in Ableitungsmitteln, unsern Mißbrauch im Zusammensetzen beklagen.
Eine Menge unserer einfachsten und schönsten Ableitungen ist verlorengegangen, oder sieht sich so eingeschränkt, daß die Analogie ihrer Fortbildung beinah versiegt. Einige fremde, völlig undeutsche Bildungen haben dagegen unmäßig gewuchert, das ist ein deutliches Zeichen für den Abgang eigner, deren Stelle jene vertreten. Ich wüßte kein gelegneres Beispiel zu wählen, als das der zahllosen Verba auf ieren, die von den Regierenden oben bis zu den buchstabierenden und liniierenden Schülern hinab wie Schlingkraut den ebenen Boden unserer Rede überziehn. Eine nähere wegen ihres Ursprungs gepflogne Untersuchung liefert ungefähr hundertundsechzig mhd. Wörter dieser Art, und leicht mögen ihrer noch zwanzig zugefügt werden können; es ergibt sich, daß man vor der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts nicht das Geringste in Deutschland von dergleichen Wörtern wußte, und daß sie erst mit der höfischen, auf romanische Quelle hingewiesnen Poesie eingebracht, man muß aber gestehn, recht pedantisch eingebracht worden. Denn bei Entlehnung fremder Wörter versteht sich doch von selbst, daß man sich bloß des Worts zu bemächtigen suche und seine fremde Flexion fahren lasse. Das r war nun hier bare romanische Form des lateinischen Infinitivs, Altfranzösisches ier haben eigentlich nur Verba, die lateinischen auf -iare oder -igare entsprechen, z. B. essilier mlat. exiliare, chastier lat. castigare, allier lat. adligare, alligare; dann aber wurde es auch auf andere erstreckt: mangier it. mangiare lat. manducare, laissier it. lasciare lat. laxare, brisier, vengier lat. vindicare it. vendicare. Ausnahmsweise entspringen deutsche -ieren aus franz. -ir: regieren franz. regir it. reggere, offrieren franz. offrir it. offerire, acquirieren franz. acquerir. Die italienische Sprache hatte keinen solchen Einfluß auf unsere, um ihr wohlklingendes -are in deutsches -aren überzuführen. In spazieren aus dem lat. Deponens spatiari, spatior, spatiaris ließe sich das r allenfalls entschuldigen. Gleich pedantisch ist aus François unser Franzosen gemacht. Schon Karlmeinet 375 Franzôsen: Engillôsen ( Anglois). die außer ihm in jedem andern Modus alsbald verschwindet, und es muß als die rohste Auffassung ausländischer Wortgestalt angesehn werden, daß der Deutsche in seine Nachahmung das infinitivische Zeichen aufnahm und charakteristisch überall bestehn ließ; sein eignes Zeichen aber noch dazu anhängte; außer dem Fleisch des genossenen Apfels ließ er sich auch den Griebs dazu wohlschmecken. Daß durch solche Wörter manche vollautende Formen (allarmieren, strangulieren) in unsere Sprache geraten sind, ist unleugbar, aber sie stimmen nicht mit ihrer fremdartigen Betonung zu unsern Wörtern und führen Steifheit mit sich. Wieviel taktvoller zu Werk ging die romanische Sprache, als sie sich ihrerseits einige deutsche Verba, wenn auch nur sparsam, anzueignen bewogen fand, z. B. das ital. albergare, franz. herberger nach unserm herbergen, ahd. heribergôn bildete oder noch früher ihr guardare, garder aus unserm warten. Hätte sie hier nach Analogie von parlieren, charmieren verfahren, so wäre ein alberganare, herbergener, ein guardanare, gardener entsprungen. Man darf das adchramire und adfathamire des salischen Gesetzes als die frühsten Beispiele solcher aus der deutschen Sprache von den Romanen entlehnten Wörter beibringen. Meine Ausführung zeigt, daß -ieren seiner fremden Art gemäß eigentlich nur fremden, lateinisch-romanischen Wörtern zustehn konnte; als es aber einmal bei uns warm geworden war, versuchte man, es auch an deutsche Stämme zu hängen und ihm deutsche Partikeln voranzuschicken. Wie verschieden sich die ahd. und nhd. Sprache benahm, wenn lateinische Wörter deutsch gemacht werden sollten, kann das Beispiel von schreiben ahd. scrîban lehren, das man früher aus scribere bildete, während später conscribere und rescribere sich in konskribieren, reskribieren verdrehte. Dort verfuhr man natürlich und sprachgemäß, hier widernatürlich und pedantisch.
Die Leichtigkeit des Zusammensetzens im Deutschen hat man ohne hinreichenden Grund zu der Fülle griechischer Zusammensetzungen gehalten. Schlechte, ungebärdige Zusammensetzungen leimen ist keine bcsondre Kunst, in tüchtigen müssen die einzelnen Wörter besser gelötet und aneinandergeschweißt sein. Eine echte Zusammensetzung ist erst dann vorhanden, wenn sich zwei Wörter gesellen, die los und ungebunden im Satz nicht nebeneinanderstehn würden; wir Deutschen haben aber eine Unzahl sogenannter Komposita, die für sich konstruierte Wörter bloß etwas enger aneinanderschieben und dadurch nur steifer und unbeholfner machen; die Wörter fangen zuletzt gleichsam selbst an sich für zusammengefügt zu halten und wollen nicht mehr getrennt auftreten. So hat sich in Eigennamen ein vorangestellter Genitiv nach und nach fester angeschlossen und läßt sich nicht mehr verrücken. Königsberg, Frankfurt war ursprünglich Königs berg, Franchono furt, wo die Franken eine Furt durch den Main gefunden hatten; aus Franken furt entstellte man zuletzt das unverständliche Frankfurt. Verba wie aufnehmen, wiedergeben, niederschreiben sind ebensowenig wahre Komposita, was sich augenblicklich bei der Umstellung: ich nehme auf, gebe wieder, schreibe nieder, zeigt. Erst dann entspringt hier Zusammensetzung, wenn die Partikel untrennbar geworden ist, wie in jenem übersetzen vertere, während übersetzen traducere trennbar bleibt.
Solcher Zusammenschiebung ungemeine Tunlichkeit im Deutschen verführt, ohne alle Not nichtssagende Wörter zu häufen und den Begriff des einfachen Ausdrucks nur dadurch zu schwächen. Wenn hier in Berlin jemand hingerichtet worden ist, liest man an den Straßenecken eine »Warnungsanzeige« angeheftet. Nun will warnen sagen: Gefahr weisen, an Gefahr mahnen; in jener Zusammensetzung steckt also unnützer Pleonasmus, der bald wie avertissement d’avertissement lautet, das ital. avvertimento bedeutet Warnung und Anzeige. Ein bloßes Warnung oder Verwarnung wäre nicht allein sprachgemäßer, sondern auch kräftiger, so kräftigen Stil die blutige Bekanntmachung auch ohne Rücksicht auf die gebrauchten Worte an sich redet.
Wo andere Sprachen einzelne Wörter aneinanderreihn, pflegen sie häufig zu kürzen, und das einleuchtendste Beispiel liefern uns Zahlwörter; es ist lästig, was man jeden Augenblick im Munde hat, in ganzer Breite aufzusagen. Wie günstig unterscheidet sich das französische treize, quatorze, quinze, seize von unsrem dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn; zum Glück haben wir mindestens elf und zwölf seit der ältesten Zeit verengt, und daß unser Hundert die allerstärkste Stümmelung voraussetzt, ahnen die wenigsten: es ging hervor aus taihuntaihund, wie das lat. centum aus decemdecentum usw. Die Pedanten, welche kaum achzehn, sechzehn, siebzehn in achtzehn, sechszehn, siebenzehn berichtigt haben, werden erschrecken zu hören, wieviel ihnen hier zu tun übrigbleibt.
Man sollte meinen, eine ganze Zahl deutscher Zusammensetzungen seien bloß aus Trägheit entsprungen oder in der Verlegenheit, für einen neuen, ungewohnten Begriff den rechten Ausdruck zu finden. Da, wo unsere alte Sprache einfache Namen hatte, suchte die neuere immer ihre gröberen Zusammensetzungen unterzuschieben, wie z. B. die deutschen Monatsnamen lehren, und schon Karl der Große stellte mit seinen Vorschlägen kein Meisterstück auf. Die Komposition ist alsdann schön und vorteilhaft, wenn zwei verschiedne Begriffe kühn, gleichsam in ein Bild gebracht werden, nicht aber, wenn ein völlig gangbarer, einfacher Begriff in zwei Wörter verschleppt wird. Unser himmelblau oder engelrein ist allerdings schöner als das französische bleu comme le ciel, pur comme un ange; aber ich stehe ebensowenig an, dem lat. malus, pomus, dem franz, pommier den Vorzug zu geben vor unserm Apfelbaum. Denn mit der belebteren Vorstellung eines Baums, woran Äpfel hangen, ist uns in den meisten Fällen gar nicht gedient, und jedermann wird es passender finden, daß wir Eiche sagen und nicht auch etwa Eichelbaum. Die Vergleichung anderer Sprachen lehrt, daß jeder Obstbaum von seinem Obst füglicher durch bloße Ableitung als durch Zusammensetzung unterschieden werde. Aber auch für abstrakte Begriffe ist die abgeleitete Form vorzüglicher, als die zusammengesetzte, z. B. das franz, maladie von malade besser als unsere Krankheit, welches eigentlich ordo oder Status aegroti ausdrückt. Deutschland pflegt einen Schwarm von Puristen zu erzeugen, die sich gleich Fliegen an den Rand unserer Sprache setzen und mit dünnen Fühlhörnern sie betasten. Ginge es ihnen nach, die nichts von der Sprache gelernt haben und am wenigsten die Kraft und Keuschheit ihrer alten Ableitungen kennen, so würde unsere Rede bald von schauderhaften Zusammensetzungen für einfache und natürliche fremde Wörter wimmeln; das wohllautende Omnibus muß ihnen jetzt unerträglich scheinen, und statt auf die nahliegende Verdeutschung durch den Dativ Pl. »Allen« zu geraten, wird ein steifstelliges Allwagen, Gemeinwagen, Allheitfuhrwerk oder was weiß ich sonst für ein geradbrechtes Wort vorgefahren werden. Selbst der Ausdruck, dessen ich hier nicht entraten kann, ich meine das Wort Zusammensetzung, ist schlecht geschmiedet und aus dem losen zi samana sezzunga entsprungen. Welcher Franzose würde ensembleposition dem natürlichen composition vorziehen? Genug hiervon ist gesagt, um allen, die meines Glaubens sind, Enthaltsamkeit im Anwenden der Zusammensetzungen (durch welche Kampe sein Wörterbuch ohne tiefere Sprachkenntnis anschwellte) und Eifer für den erneuten Gebrauch guter und alter Derivative anzuempfehlen.
Es bleibt übrig, einen Gegenstand zu berühren, vor dem mir bangt, ich meine die Art und Weise, wie wir unsere Sprache mit Buchstaben schreiben. Dies köstliche Mittel, das fliegende Wort zu fassen, zu verbreiten und ihm Dauer zu sichern, muß allen Völkern eine der wichtigsten Angelegenheiten sein, und die Freude, welche eine vollkommene Schrift gewährt, trägt wesentlich bei dazu, den Stolz auf die heimische Sprache zu erhöhn und ihre Ausbildung zu fördern. Vor mehr als 800 Jahren, zu Notkers Zeiten in Sankt Gallen, war es besser um die deutsche Schreibung bestellt, und auf das genaue Bezeichnen unserer Laute wurde damals große Sorgfalt gewendet; noch von der Schrift des 12. und 13. Jahrhunderts läßt sich Rühmliches melden, erst seit dem 14. Jahrhundert begann sie zu verwildern. Mich schmerzt es tief, gefunden zu haben, daß kein Volk unter allen, die mir bekannt sind, heute seine Sprache so barbarisch schreibt wie das deutsche, und wem es vielleicht gelänge, den Eindruck zu schwächen, den meine vorausgehenden Bemerkungen hinterlassen haben, das müßte er dennoch einräumen, daß unsere Schreibung von ihrer Pedanterei gar nicht sich erholen könne. Was in jeder guten Schrift stattfindet, die Annahme einfacher Zeichen für beliebte Konsonantverbindungen, wie bei uns ch und sch sind, ist gänzlich vermieden und dadurch der Anschein schleppender Breite hervorgebracht. Noch schlimmer steht es aber um den Gebrauch der wirklich gangbaren Zeichen. Zu geschweigen, daß der einzelne nach Verwöhnung oder Eigendünkel die Buchstaben übel handhabt, wird auch im allgemeinen weder strenge Folge noch Genauigkeit beachtet, und indem jeder gegen den Strom zu schwimmen aufgibt, beharrt er desto hartnäckiger in unvermerkten Kleinigkeiten, deren Wirrwarr aufrichtiger Besserung am meisten hinderlich wird.
Die Häufung unnützer Dehnlaute und Konsonantverdoppelungen, dazu aber noch ein unfolgerichtiger Gebrauch derselben gereicht unserer Sprache zur Schande. Ganz gleiche, nebeneinander stehende Wörter leiden ungleiche Behandlung. Der Franzose schreibt nous vous, der Italiener noi voi, der Däne vi i, der Pole my wy, der Deutsche hat den pedantischen Unterschied gemacht wir und ihr. Der Anlaß war vielleicht, weil man ihm von im (in dem) unterscheiden wollte, dies ihm zog ihr für den Dat. fem, und ihr für den Nom. vl. nach sich; einleuchtend schlechte Gründe. Nicht anders setzt er grün aber kühn, schnüren aber führen, Heer, Meer, Beere, aber wehre und nähre, schwöre, Haar aber wahr, Jahr, welchen Wörtern überall gleicher Laut zusteht. Von schaffen bilden wir die dritte Person schafft, in dem Substantiv Geschäft lassen wir den einfachen Laut. Auf den Wohllaut und das Gesetz aller andern Sprachen, daß inlautend Buchstab vor Buchstab schwinden müsse, wenn er nicht mehr auszusprechen ist, wird herkömmlich nicht geachtet, woraus bei Zusammensetzungen, deren erstem Wort man Bedenken trägt, die doppelte Konsonanz zu erlassen, obgleich das zweite mit demselben beginnt, dreifache Schreibung desselben Buchstabens entspringt: Schifffahrt, Stammmutter, Schnelllauf, Stalllicht, Betttuch finden sich mit unaussprechlichem fff, mmm, lll, ttt dargestellt. Unser Mittelalter, noch mit lebendigerem Lautgefühl ausgerüstet, stand nicht an, von verwandten Buchstaben, die aneinanderstießen, den einen in Schreibung und Aussprache fahren zu lassen; man schrieb und sprach Wanküssen Cervical Parz. 573, 14. Wh. 281, 16 nicht Wangküssen, Eichorn Parz. 651, 13 nicht Eichhorn, und hätten andere Völker unterlassen, auf solche Weise zu verfahren, ihre Sprache würde rauh und holpricht geblieben sein, wie die deutsche aus ängstlichem Streben nach voller Deutlichkeit an allzuviel Stellen ist.
Doch was sage ich von überflüssigen Buchstaben? Erklärte Liebhaber sind auch die Pedanten unnötiger Striche und Haken. Striche möchten sie, soviel möglich ist, in der Mitte von Zusammensetzungen, Haken überall anbringen, wo ihnen Vokale ausgefallen scheinen. Sie lieben es zu schreiben himmel-blau, engel-rein, fehl-schlagen und Buch's, Kind's, lies't, iß't, leb'te, geleb't. Ihnen sagt zu das französische garde-meuble, bouche-rose, epicondylo-sus-métacarpien, nichts aber erwirbt sich mehr ihren Beifall, als daß die Engländer von Eigennamen wie Wilkins oder Thoms einen sogenannten Genitiv Wilkins's, Thoms's schreiben, mit welchem man nun sicher sei, den rechten Nominativ zu treffen. Was eine fast alles Gefühls für Flexion verlustig gegangne Sprache nötig erachtet, will man auch uns zumuten! Sollte die Schrift alle Vokale nachholen, die allmählich zwischen den Buchstaben unserer Wörter ausgefallen sind, sie hätte nichts zu tun als zu häkeln, und wer würde setzen mögen Eng'land, Men'sch, wün'schen, hör'en? Der Schreibung, die ihre volle Pflicht tut, wenn sie alle wirklichen Laute zu erreichen sucht, kann nicht das Unmögliche aufgebürdet werden, zugleich die Geschichte einzelner Wörter darzustellen.
Jeder Regel des Schreibens aber enthoben wähnt man sich sonst bei Eigennamen, sei es Furcht, die Frömmigkeit gegen Großvater oder Urgroßvater zu verletzen, die ihren Namen schlecht schrieben, während ihn Ururgroßvater und ältere Ahnen wahrscheinlich recht geschrieben hatten, oder Sorge, die Anwartschaft auf ein Erbe zu gefährden, obwohl ich bezweifle, daß jemals aus diesem Grund ein gerechter Anspruch vor den Gerichten unterlegen hat. Kommt wohl in der gesamten griechischen oder römischen Literatur ein falsch oder ungrammatisch geschriebner Eigenname vor? Man schlage eins unserer Adreßbücher auf, welche Barbarei daraus entgegenweht; da stehn Hofmänner und Wölfe bald mit f, bald ff geschrieben, und in welcher bunten Masse von Schmieden, Schmidten, Schulzen, Schultzen, Scholzen, Scholtzen, Müllern, Möllern und Millern muß man sich verlieren. Mitten auf den Titeln unserer Bücher erscheinen solche verunzierte Namen, oft unaussprechlich unsern Nachbarn. Mag auch in den Mischungen deutscher Volksstämme die dialektische Eigenheit geduldet, neben dem schwäbischen Reinhart ein sächsischer Reinhard, neben dem hochdeutschen Schulze ein niederdeutscher Schulte, friesischer Skelta geschrieben werden, der orthographischen Eigenheit jedes Stammes angemessen; unerläßlich scheint es, daß eine gebildete Sprache ihre Eigennamen den Gesetzen unterwerfe, die für alle übrigen Wörter gelten, und wo sie es nicht tut, verdient sie geschmacklos zu heißen.
Den gleich verwerflichen Mißbrauch großer Buchstaben für das Substantivum, Hugo (dessen geistige Natur von pedantischen Schatten wenig verdunkelt wurde) führte sogar in seinen Büchern durch: HandSchrift, KaufMann, BuchDruckerKunst usw., neben handschriftlich kaufmännisch. Dabei läßt sich streiten, ob ErbgroßHerzog oder ErbGroßHerZog zu setzen sei? Denn in dem zog liegt die Hauptsache, dux. der unserer pedantischen Unart Gipfel heißen kann, habe ich und die mir darin beipflichten, abgeschüttelt, zu welchem Entschluß nur die Zuversicht gehört, daß ein geringer Anfang Fortschritten Bahn brechen müsse. Mit wie zaghafter Bedächtigkeit wird aber ausgewichen, nach wie unmächtigen Gründen gehascht gegen eine Neuerung, die nichts ist als wiederhergestellte naturgemäße Schreibweise, der unsere Voreltern bis ins fünfzehnte Jahrhundert, unsere Nachbarn Es ist hier natürlich abzusehn von den Dänen und Littauern, die sich von unserm Laster anstecken ließen; Niederländer, Schweden, Finnen, Letten, Slaven blieben rein. bis auf heute treu blieben. Was sich in der gesunknen Sprache des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts Verkehrtes festsetzte, nennt man nationale deutsche Entwicklung; wer das glaubt, darf sich getrost einen Zopf anbinden und Perücke tragen, mit solchem Grund aber jedwedes Verschlimmern unserer Sprache und Literatur gutheißen und am Besserwerden verzweifeln.
Dies alles rede ich in einer deutschen Akademie und würde es ihr ans Herz legen, wenn der rechte Augenblick dazu jetzt schon gekommen schiene. Es ist allgemein bekannt, wie nach Wiederherstellung der klassischen Literatur überall in Europa gelehrte Gesellschaften entsprangen, die mit Ausschluß der Theologie und Jurisprudenz, vorzugsweise auf den Betrieb der Philologie, Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaften gerichtet wurden. In erster Reihe stand aber Philologie, und nichts lag dieser näher als die Grundsätze, welche aus dem neuerstandnen und gereinigten Studium der klassischen Sprachen geschöpft wurden, auch auf die Landessprachen anzuwenden. Wie sollte ein sich selbst fühlendes Volk nicht unmittelbar angetrieben werden, was es in den herrlichen Sprachen des Altertums anschaut und ergründet, auch seiner eignen, deren es sich für den lebendigsten Ausdruck seiner Gedanken bedienen muß, angedeihn zu lassen? Eine auffallende, in ihren Ursachen erwägenswerte Erscheinung bleibt es nun, daß, während alle romanischen Zungen aus diesen gelehrten Vereinen Vorteil zogen, und zumal in Italien, Spanien und Frankreich für die Auffassung und Reinhaltung der Muttersprache Großes geschah, daß in den Ländern germanisches Sprachgebiets nichts geleistet wurde, was jenen Erfolgen nur von ferne an die Seite treten könnte. Um hier von England, den Niederlanden und Skandinavien abzusehn, im innern Deutschland ging die Sprache nach Luthers Zeit, der sie noch zuletzt emporgehoben hatte, aller ihrer alten Kraft vergessen, unaufhaltsam einer in der Geschichte der Sprachen ganz unerhörten Verderbnis entgegen, und in unserer politischen Zerrissenheit und Spaltung, wie hätten die gelehrten Gesellschaften einzelner Landstriche sich unterfangen können, aus dem engen Bereich ihnen noch zu Gebot stehender Quellen der hochdeutschen Sprachregel Geltung zu verschaffen? Niemand wird mir das Beispiel einer im siebzehnten Jahrhundert entstandnen und verschollnen Gesellschaft entgegenhalten, die wie lucus a non lucendo, ihren Namen davon führt, daß sie keine Frucht brachte. Weder was Gervinus 3, 176-182, noch jetzt eben Barthold in seiner anziehenden und belehrenden Schrift sagen, kann mich in diesem Urteil irremachen. Wie hätte eine so pedantische, abgeschmackte Spielerei, die nicht einmal den bessern Teil der geistigen Kraft jener Zeit, Opitz, Fleming, Gryphius, Logau (vgl. Barthold S. 193. 210. 254. 289) erfolgreich zu gewinnen verstand, Grundlage des deutschen Sinns sein können, der auch ohne sie harter Prüfung gewachsen war. Schottels brave Arbeit war ganz in ihm selbst emporgestiegen, und wenn die Gesellschaft darauf irgend Einfluß übte, mag dieser mehr schädlich als heilsam heißen. Mit weit größerem Recht darf ich an unsere eigne Akademie erinnern, die zwanzig Jahre nach dem Erlöschen jenes Phantoms ausdrücklich für deutsche Sprache mitgegründet ward, was sich schon bei der vaterländischen Gesinnung des Manns, der auf ihre Stiftung entscheidenden Einfluß übte, erwarten läßt. Leibnizens Empfehlung veranlaßte, daß ihr auch alsbald ein rüstiges Mitglied einverleibt wurde, Johann Leonhard Frisch, ein geborner Bayer, lange schon in Berlin wohnhaft, der mit sichtbarem Erfolg auf den Anbau unserer Sprache wirkte und aus eignen Mitteln ein deutsches Wörterbuch zustand brachte, dem sein bedeutender Wert für alle Zukunft verbleiben wird. Daß aber die Akademie selbst bald teilnahmslos für einen ihrer ursprünglichen Hauptzwecke wurde, hat, soviel ich entdecke, seinen Grund in zwei sie nah berührenden Richtungen der folgenden Zeit. Bei der Umgestaltung, die sie im Jahr 1744 erfuhr, mußte sie erleben, daß ihr für ihre Abhandlungen die französische Sprache aufgedrängt wurde, unter deren vorwaltendem Einfluß lange Jahre hindurch Förderung der einheimischen am wenigsten als zeitgemäße akademische Aufgabe angesehn werden durfte. Eine andere Ursache ist, scheint es mir, gelegen in dem Aufschwung, den seit den letzten hundert Jahren die exakten Wissenschaften überall in Europa genommen haben. Wenn früherhin Naturforschung und Philologie, wie in den tonangebenden italienischen Akademien italienische, auch namentlich deutsche Sprachkunde sich oft gern zueinander gesellten, welches das zuletzt angeführte Beispiel von Frisch bewährt, so ist allmählich den Naturwissenschaften auf der Höhe, zu welcher sie sich gehoben haben, nationale Farbe fast entwichen, und sie pflegen heutzutage geringen oder gar keinen Anteil am Gedeihn und Wachstum unserer Sprache zu nehmen. Ihre neuen Fünde empfangen außerhalb wie innerhalb des Lands gleiche Bedeutung, und des Pedantischen, wovon wir Philologen uns noch keineswegs frei fühlen, gehn sie längst bar und ledig.
Neben so empfindlichen, zum Teil fortdauernden Nachteilen hat sich aber auch ein günstiger Wandel zugetragen, der dem Fortschritt der deutschen Sprache allenthalben und namentlich in unserer Akademie zustatten kommt. Nicht nur daß jene Schranke eines zwängenden fremden Idioms längst wieder aus dem Weg geräumt wurde, es ist auch bereits vor der Zeit, seit welcher ich der Akademie anzugehören die Ehre habe, von trefflichen Kollegen manche Untersuchung gepflogen worden, die der Geschichte unserer Sprache und Literatur großen Vorschub tut, und ich kann nicht unterlassen, hiermit öffentlich meinen Dank abzustatten dafür, daß mir voriges Jahr gewährt ward, eine Preisaufgabe, meines Wissens in unserer Akademie die erste über einen Gegenstand deutscher Sprache zu stellen, dem ich nicht geringe Wichtigkeit beilege, und den ich zu fruchtbarer Bearbeitung für besonders reif und geeignet halte. Noch höher anzuschlagen als das, was bei dem besten Gelingen solcher Arbeiten immer nur vereinzelt dastehn würde, ist, daß auch das Volk seine Sprache, und was ihr recht ist, mit anderm Auge zu betrachten beginnt. In unsern Tagen, und wer frohlockt nicht darüber? wird lebhaft gefühlt, daß alle übrigen Güter schal seien, wenn ihnen nicht die Freiheit und Größe des Vaterlands im Hintergrund liege. Was aber helfen die edelsten Rechte dem, der sie nicht handhaben kann? Kaum ein anderes höheres Recht mag es geben als das, kraft welches wir Deutsche sind, als die uns angeerbte Sprache, in deren volle Gewähr und reichen Schmuck wir erst eingesetzt werden, sobald wir sie erforschen, reinhalten und ausbilden. Zur schmählichen Fessel gereicht es ihr, wenn sie ihre eigensten und besten Wörter hintansetzt und nicht wieder abzustreifen sucht, was ihr pedantische Barbarei aufbürdete; man klagt über die fremden Ausdrücke, deren Einmengen unsere Sprache schändet, dann werden sie wie Flocken zerstieben, wann Deutschland sich selbst erkennend, stolz alles großen Heils bewußt sein wird, das ihm aus seiner Sprache hervorgeht. Wie es sich mit dieser Sprache im Guten und Schlimmen bisher angelassen habe, ihr wohnt noch frische und frohe Aussicht bei, daß ihre letzten Geschicke lange noch unerfüllt sind und unter den übrigen Mitbewerbern wir auch eine Braut davontragen sollen. Dann werden neue Wellen über alten Schaden strömen.