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Über den Ursprung der Sprache

Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 9. Januar 1851.

Von dem großen Weltweisen in unserer Mitte ist die Frage, deren Gegenstand ich eben bezeichnet habe, und die schon vor achtzig Jahren unter uns zum Preis gestellt war, jüngst bei der philosophisch-historischen Klasse zweimal angeregt worden. Herr von Schelling machte nämlich den Vorschlag, eine solche Aufgabe jetzt zu wiederholen, zog ihn aber unmittelbar darauf zurück. Bald hernach gab er in einer eignen Vorlesung einige Auskunft über die Unzufriedenheit, welche Hamann gegen Herders damals von der Akademie gekrönte Preisschrift an den Tag gelegt hatte, Goethe (26, 108) besaß den Aufsatz. sowie Proben eines lateinischen Gedichts von noch unbekanntem Verfasser über der Sprache Ursprung. Hoch zu bedauern ist, daß er selbst dabei nirgend seine eigne Ansicht kundgeben oder erraten lassen wollte; an jener neuen Preisaufgabe, wenn sie festgehalten und näher entfaltet worden wäre, würde man darüber wohl manches haben entnehmen können, da es kaum möglich scheint, einen solchen Vorschlag anschaulich zu machen, ohne daß zugleich im Entwurf selbst des Preisstellers, und eines solchen Preisstellers, Meinung bestimmend durchbräche. Nur das eine dürfen wir als unzweifelhaft voraussetzen, daß ihm die herderische Lösung wenigstens für unsere Zeit keineswegs genug tut, denn sonst wäre überflüssig gewesen, sie neuerdings auf die Bahn zu bringen.

Wie man aber auch den im Jahr 1770 erlangten und erlangbaren Ergebnissen zugetan oder ungeneigt sei, das läßt sich gar nicht in Abrede stellen, daß seitdem die Lage der Sprachforschung wesentlich oder gänzlich verändert worden ist, und darum schon ein Versuch, was sie uns gegenwärtig biete, auf jene Frage in erneuter Antwort anzuwenden wünschenswert erscheinen mag, da auf jedweden in philosophische oder historische Betrachtung zu ziehenden Gegenstand die ihm gewordne größre Pflege und feinere Ausbildung günstig einwirken muß. Alle Sprachstudien finden sich nun heutzutage ungleich vorteilhafter gestellt und ausgerüstet, als zu jener Zeit, ja sie sind, kann man sagen, erst in unserm Jahrhundert zur wahren Wissenschaft gediehn. Die Art und Weise, nach welcher die klassischen Sprachen ehdem betrieben wurden und in Wahrheit immer noch angebaut zu werden pflegen (wie es auch den von mir gewiß hochgestellten übrigen Zwecken der Philologie nicht unangemessen ist), führte nie oder bloß zufällig zu allgemeinen und entscheidenden Aufschlüssen über das Verhältnis der Sprachen untereinander. Man mühte sich, in das Wesen der lateinischen oder griechischen Zunge einzudringen, soweit es nötig war, um den Geist kostbarer, für alle Zeiten bewundernswerter Denkmale zu erfassen, die sie hervorgebracht und auf uns überliefert hatten, und dieses Geistes habhaft zu werden, dazu gehört unermeßlich viel. Solchem Ziel gegenüber verhielt sich der Sprache noch so gewaltige äußere Erscheinung und Form dienend; wahrzunehmen, was in ihr über den Redebrauch, über die Technik der Dichter und den Inhalt der Werke hinausging, war der klassischen Philologie gewissermaßen gleichgültig, und von allen feiner eingehenden Beobachtungen schienen ihr fast nur solche wertvoll, welche der Textkritik zu festeren Regeln irgend verhelfen konnten. Für sich selbst zog das innere Gewebe der Sprache wenig an und wurde in seiner Schönheit und Fülle gleichsam vorausgesetzt, weshalb auch die auffallendsten Worterscheinungen, wo sie ihrem Begriff nach klar sich darstellten, meistens unerwogen blieben. Etwa wie der seine Sprache fertig handhabende, in ihr waltende Dichter fast keiner Kunde ihres innern Baus, noch minder ihrer geschichtlichen Veränderungen bedarf und nur hin und wieder ein seltnes Wort aufsucht, dem er eine gelegne Stelle zu geben hat, war der Grammatiker auch bloß ausnahmsweise irgendeiner ihm anstößigen Wortgestalt der Wurzel auf der Spur, an welcher er seine Kunst zu üben trachtete. So erklärt sich, warum lange Jahrhunderte hindurch die unablässig fortgesetzte, aufmerksame Behandlung lateinischer und griechischer Sprache auf der Schule wie in den Stuben der Gelehrten mit der einfachen Formlehre am wenigsten vorrückte und fast nur für die halb schon außerhalb der Grammatik liegende Syntax Früchte trug. Weder verstand man, wozu diese beiden klassischen Sprachen gerade mächtig reizen mußten, ihre Gestalten scharf aneinander zu halten und wechselsweise jede mit gleicher Berechtigung aus der andern zu erörtern, da man fehlerhaft die lateinische als unterwürfige Tochter der griechischen ansah, noch weniger unserer Muttersprache aufzuhelfen, die in der Schule allenthalben Frondienste eines unbefugten Handlangers zu leisten hatte, geschweige ihr den dritten Hauptplatz einzuräumen, obgleich, wie aus drei gegebnen Punkten eine Figur zu bilden, aus den Verhältnissen dreier unter sich verwandter Sprachen ihr lebendiges Gesetz zu finden ist.

Man hat das Sprachstudium vielfach und auch nicht ohne Grund dem der Naturgeschichte an die Seite gestellt; sie gleichen einander sogar in der Art und Weise ihres mangelhaften oder bessern Betriebs. Denn ins Auge springt, daß gerade, wie jene Philologen die klassischen Sprachdenkmäler, um ihnen kritische Regeln für die Emendation beschädigter und verderbter Texte abzugewinnen, erforschten, so auch die Botaniker ihre Wissenschaft ursprünglich darauf anlegten in einzelnen Kräutern heilsame Kräfte zu entdecken, die Anatomen in die Leiber schnitten, um des innern Baus sicher zu werden, auf dessen Erkenntnis nun die Herstellung der gestörten Gesundheit gestützt werden könnte. Die Stoffe zogen als ein Mittel, nicht für sich selbst an. Allmählich aber bereitete sich eine Änderung der Ansicht und des Verfahrens vor. Da es natürlich ist und durch alle Erfahrung bestätigt wird, daß die Menschen an dem Einheimischen, ihren Augen täglich Dargebotnen vorübergehend vom Fremden und Neuen stärker berührt und zur Betrachtung gereizt werden, so darf man wohl behaupten, daß durch Reisen ins Ausland, wie durch Zufuhr fremder, seltner Pflanzen in unsere Gärten, die Übersiedlung vielfacher Tiergestalten aus fernen Weltteilen nach Europa den Wissenschaften ein anderes Gepräge aufgedrückt wurde und bei Erforschung der Gegenstände sie von jenen praktischen Zwecken gleichsam abstanden und sich auf unbefangnere, darum wissenschaftlichere Untersuchungen einließen. Denn das ist eben wahres Zeichen der Wissenschaft, daß sie ihr Netz auswerfe nach allseitigen Ergebnissen und jede wahrnehmbare Eigenheit der Dinge hasche, hinstelle und der zähesten Prüfung unterwerfe, gleichviel was zuletzt daraus hervorgehe. Die Sprachwissenschaft, wie mich dünkt, hat auf demselben Weg, dessen Betreten die Pflanzen- und Tierzergliederung ihrem engern Standpunkt entrückte und zu einer vergleichenden Botanik und Anatomie erhob, endlich ebenso durchgreifende Umwälzung erfahren. Ohne Zweifel wurde durch das von der Kaiserin Katharina in den Jahren 1787-1790 veranstaltete Petersburger Wörterbuch, wenn es auch auf noch sehr ungenügenden Grundlagen aufgerichtet war, Sprachvergleichung überhaupt wirksam angeregt und gefördert. Allein weit größeren Einfluß auf sie hatte die in allen Weltteilen, hauptsächlich in Indien befestigte Herrschaft der Briten, durch welche das genaue Verständnis einer der reinsten und ehrwürdigsten Sprachen der ganzen Welt, die man früher beinahe gar nicht gekannt hatte, erweckt, gesichert und verbreitet wurde. Die Vollkommenheit und gewaltige Regel des Sanskrit mußte, obschon auch den Weg bahnend zu einer der ältesten und reichsten Poesien, recht dazu einladen, sich mit ihr um ihrer selbst willen vertraut zu machen, und hat, nachdem das Eis einmal gebrochen und gleichsam ein Magnet gefunden war, zu welchem die auf dem Sprachenozean Schiffenden hinschaun konnten, auf die weit erstreckte Reihe der mit der indischen unmittelbar zusammenhängenden und verwandten Sprachen ein so erhellendes, sonst ungeahntes Licht fallen lassen, daß daraus eine wahrhafte Geschichte aller dieser Sprachen, wie sie noch nie vor eines Sprachforschers Auge gestanden hatte, mit tief eindringenden und überraschenden Resultaten teils schon hervorgegangen, teils eingeleitet worden ist. Und da um dieselbe Zeit man zugleich bemüht gewesen war, das bisher unbegreiflich gering geachtete Gesetz unserer eignen deutschen Sprache historisch zu entfalten, wie der Naturforscher in den Halmen und Knoten einheimischer Gräser dieselben wunderbaren Triebe erkennen muß, die er an ausländischen Pflanzen wahrnahm, so konnte nicht fehlen, daß von unserm eigensten und unmittelbarsten Standpunkt aus zugleich der Blick auf die uns benachbarten slavischen, littauischen und keltischen Sprachen lebhafter geworfen wurde, welchen allmählich allen die nämliche geschichtliche Bedeutung und Betrachtung zuteil geworden ist oder zweifelsohne werden wird. Auf solche Weise haben sich, wo nicht alle, doch die meisten Glieder einer großen, fast unabsehbaren Sprachkette gefunden, die in ihren Wurzeln und Flexionen aus Asien bis her zu uns reicht, beinahe ganz Europa erfüllt und schon jetzt die mächtigste Zunge des Erdbodens genannt werden darf, auf welchem sie unaufhaltsam weiter fortschreitet, den sie einmal überall erfüllen wird. Diese indogermanische Sprache muß nun zugleich durch ihren innern Bau, der sich an ihr in unendlichen Abstufungen klar verfolgen läßt, wenn es irgendeine andere Sprache imstand ist, auch über den allgemeinen Gang und Verlauf der menschlichen Sprache, vielleicht über deren Ursprung die ergiebigsten Aufschlüsse darreichen.

Ich bin befugt, die Tunlichkeit dieser Untersuchung über den Ursprung der Sprache als bloßes Problem hinzustellen, dessen Gelingen noch von vielen darf in Zweifel gezogen werden. Sollte es sich lösen können, mögen solche Zweifler einwenden, so hätten unsere Sprachen und unsere Geschichte viel weiter als sie tun zurückzureichen, denn es ist glaublich, vielmehr es ist schon ausgemacht, daß die ältesten Denkmäler der Sanskrit- oder Zendsprache, gleich den hebräischen oder was sonst man für die frühste Sprache ausgeben wolle, um lange Zeit, um viel Jahrtausende von dem wirklichen Ursprung der Sprache oder der Schöpfung des Menschengeschlechts auf Erden abstehn. Wie kann über eine solche Kluft hinweg ein Anfang der Sprache ermessen werden? Fällt die gesamte Frage nicht in die Reihe der Unmöglichkeiten?

Dies Bedenken scheint aber noch stärker einzuleuchten, wenn wir die Lage und den Gegenstand der Naturforschung, die, wie eben erhellte, sich zur Sprachforschung ähnlich verhält, erwägen. Jene Forscher streben, in die Geheimnisse des Naturlebens zu dringen, d. h. die Gesetze der Zeugung und Fortdauer der Tiere, des Keims und Wachstums der Pflanzen zu ergründen. Nie habe ich vernommen, daß darüber hinaus ein seiner Aufgabe sich bewußter Anatom oder Botaniker auch die Erschaffung der Tiere und Pflanzen hätte wollen nachweisen; höchstens kann ihm klar werden, daß einzelne Tiere oder Kräuter, um ihren Zweck vollständig zu erreichen, an bestimmter Stelle zuerst erscheinen und geschaffen sein mußten. Wenn sodann Analogie obwaltet zwischen Schöpfung und Zeugung, sind doch beide als ein erster und zweiter Akt wesentlich verschieden voneinander. Die ewig sich erneuende Forterzeugung erfolgt vermöge einer in das erschaffne Wesen gelegten Kraft, während die erste Schöpfung durch eine außerhalb dem Erschaffnen waltende Macht geschah. Die Zeugung ruft, wie das Schlagen des Stahls an den Stein schlafenden Funken weckt, neues Dasein hervor, dessen Bedingung und Gesetz bereits dem Zeugenden anerschaffen war. Hier aber scheint für den genau Überlegenden in der Tat ein Wendepunkt zu liegen, wo Naturforschung und Sprachforschung wesentlich sich voneinander scheiden, und alles Folgende wird gerade davon abhängen, ob wir die Sprache als ein Erschaffnes oder Unerschaffnes anerkennen. War sie erschaffen, so bleibt ihr erster Ursprung unsern Blicken ebenso undurchbringbar, als der des zuerst erschaffnen Tiers oder Baums. Falls sie aber unerschaffen, d. h. nicht unmittelbar durch göttliche Macht, sondern durch die Freiheit des Menschen selbst hervorgebracht wurde und gebildet, so mag sie nach diesem Gesetz ermessen, ja von dem, was uns ihre Geschichte bis zum ältesten Stamm hinauf ergibt, darf über jenen unerfüllten Abgrund von Jahrtausenden zurückgeschritten und in Gedanken auch am Ufer ihres Ursprungs gelandet werden. Der Sprachforscher braucht also nicht die Hand abzulegen, sondern kann weitergehn als der Naturforscher, weil er ein menschliches, in unserer Geschichte und Freiheit beruhendes, nicht plötzlich, sondern stufenweise zustand gebrachtes Werk seiner Betrachtung unterwirft, da im Gegenteil alle erschaffnen unfreien Wesen gar keine Geschichte kennen und bis auf heute beinah noch ebenso sich verhalten, wie sie aus des Schöpfers Hand hervorgegangen sind.

Hiermit ist im voraus freilich schon ausgesprochen, was ich als möglichen Erfolg meiner ganzen angestellten Untersuchung betrachtet wissen will; gleichwohl müssen für sie eine Reihe einzelner Gründe in Anschlag gebracht werden, und es wird außerdem nicht ungeraten sein, diesen erst noch vorangehn zu lassen, was zugunsten eines unmittelbar von der Gottheit ausgegangnen Ursprungs der Sprache könnte gesagt werden. Weil nun ein solcher noch auf doppelte Weise denkbar wäre, insofern nämlich Gott die Sprache den Menschen anerschaffen oder erst nach der Schöpfung selbst offenbart hätte, so soll zuvörderst von einer geschaffnen, dann von einer offenbarten Sprache gehandelt und näher dargetan werden, warum keine von beiden anzunehmen sei.

Eine geschaffne, naturwüchsige Menschensprache vorauszusetzen, mahnt von der Oberfläche her angesehn nicht weniges. Vergegenwärtigen wir uns ihre Schönheit, Macht und Mannigfaltigkeit, wie sie sich über den ganzen Boden der Erde erstreckt, so erscheint in ihr etwas fast Übermenschliches, kaum vom Menschen selbst Ausgegangnes, vielmehr unter dessen Händen hier und da Verderbtes und in seiner Vollkommenheit Angetastetes. Gleichen die Geschlechter der Sprachen nicht den Geschlechtern der Pflanzen, Tiere, ja der Menschen selbst in aller beinah endlosen Vielheit ihrer wechselnden Gestalt? Erblüht nicht die Sprache in günstiger Lage wie ein Baum, dem nichts den Weg sperrt, und der sich frei nach allen Seiten ausbreiten kann, und wird unentfaltet, versäumt und absterbend sie nicht einem Gewächs ähnlich, das bei Mangel an Licht oder Erde schmachten und dorren mußte? Auch die erstaunende Heilkraft der Sprache, womit erlittnen Schaden sie schnell verwächst und neu ausgleicht, scheint die der mächtigen Natur überhaupt; und nicht anders als diese, versteht sich die Sprache darauf mit geringen Mitteln auszureichen und volles Haus zu halten: denn sie spart, ohne zu geizen, sie gibt reichlich aus und vergeudet nie.

Treten wir aber dem eignen Element der Sprache näher. Fast die ganze Natur ist Lauts und Klangs erfüllt, wie sollte er ihrem edelsten Geschöpfe, dem Menschen, nicht in der Schöpfung erteilt worden sein? Machen die Tiere mit ihrer der Menschensprache gleich endlos verschiednen Stimme sich nicht untereinander verständlich, erschallt der Vögel mannigfalter Gesang nicht durch alle Lüfte? Menschliche Einbildung hat den Tieren wirkliche Sprache beigelegt. Die Sage meldet sogar, daß im goldnen Zeitalter alle Tiere noch mit den Menschen traulich gesprochen hätten, daß sie seitdem ihre Sprache nur verhielten, aber im Augenblick des Dranges ausbrechen ließen, wie Bileams Eselin, als ihr Unrecht widerfahren und der Engel des Herrn erschienen war, das Wort erhob. Diese redete in Menschenweise, andere Tiere sollen in ihrer eignen Sprache, oder wie es zu heißen pflegt, in ihrem Welsch und Latein sich vernünftig unterreden, was hören und verstehn könne, wer durch Genuß einer weißen Schlange oder eines Drachenherzens Kunde davon sich erworben habe. So sangen dem Sigurd, nachdem er Fafni erlegt und seine Fingerspitzen in dessen Herzblut getaucht hatte, die Vögel auf den Ästen, was ihm noch zu tun übrig sei.

Wir unterscheiden die gesamte Natur in eine tote und lebendige, womit nicht zusammenfällt, daß sie stumm oder laut sei. Unter den Elementen stumm ist nur die träge Erde, denn die Luft saust und heult, das Feuer sprüht, knistert, prasselt, dem Meer legen wir Rauschen bei, dem Bach Klingeln, Murmeln, Plätschern, ja sein Geriesel dünkt uns ein Schwatzen und Plaudern ( garrulus rivus). Selbst das Geklapper des Mühlrads legt man in Worte aus. Haupts Zeitschrift für deutsches Altertum 4, 511. Gleich der Erde geben die starren Steine keinen Laut von sich, auch den lebendigen, an den Boden gefesselten, Gangs unfähigen Pflanzen wurde er nicht verliehn: wenn Baumblätter flüstern, ist's der Wind, der sie von außen rührt. Allen Tieren dagegen ist Bewegung und Gefühl verliehn, nicht allen Stimme, denn die Fische bleiben lautlos, von den Insekten machen sich nur hörbar, die schwirrend im Flug durch ihre Atemlöcher Luft stoßen oder harte Flügeldecken aneinanderreiben; aus ihrem Innersten durch ihren Mund geht keine Stimme. Aber jedem vollkommeneren, warmblütigen Tier, Vögeln wie Säugenden, ist immer ein ganz besondrer Laut eigen, mit welchem es seine Empfindungen wechselsweise des Behagens, der Lust und des Schmerzes lockend oder scheuchend kundtun kann; einigen unter ihnen, und zwar nicht den uns sonst verwandteren vierfüßigen Tieren, sondern voraus dem Gevögel wurde ein klangvoller, meistens anmutiger und herzerfreuender Gesang zugeteilt. Stehn alle Tierlaute nicht der Menschensprache zur Seite? Hat man doch heisere, rauhe, harte Menschensprache dem Gekrächze der Raben, Quaken der Frösche, Bellen der Hunde und Wiehern der Rosse verglichen.

Diese tierische, in ihrer Äußerung gleich der Tiergestalt selbst mannigfaltigste Stimme ist aber sichtbar von Natur in jedes Tier geprägt und wird von ihm hervorgebracht, ohne sie erlernt zu haben. Laßt ein eben ausgeschloffnes Vöglein, dem Nest entnommen, von Menschenhand aufgefüttert werden, es wird dennoch aller Laute mächtig sein, die seinesgleichen, unter welchen es sich niemals befand, eigen sind. Darum bleibt die jeder Tierart angewiesene Stimme immer einförmig und unveränderlich: ein Hund bellt noch heute, wie er zu Anfang der Schöpfung boll, und mit demselben Tirilieren schwingt die Lerche sich auf, wie sie vor vielen tausend Jahren tat. Das Angeschaffne hat, weil es angeschaffen ist, unvertilgbaren Charakter.

Alle Tiere leben und handeln also nach einem in sie gelegten, dunkeln Trieb, der an sich gar keiner Steigerung fähig von Anfang schon seine natürliche, dem Menschen manchmal unerreichbare Vollkommenheit mit sich trug. Das Spinngewebe ist so zart und regelrecht vom Tierlein aus seinem Leib gezogen und ausgespannt wie im Laubblatt die selbstgewachsenen Rippen. Die Biene wirkt ihre kunstmäßige Sechseckenzelle ein wie das andere Mal, ohne haarbreit je von dem ihr vorgeordneten Muster und Bauplan abzuweichen. Dennoch wohnt den Tieren mehr oder minder außer dem in ihnen herrschenden Instinkt der Notwendigkeit ein Analogon von Freiheit bei, die sie leise anfliegt, aus der sie unmittelbar wieder in ihre Natur zurücktreten. Wenn Bienen ausgeflogen sind, um Honigstoff einzuholen, und sich auf eine Heide niederlassen, von welcher sie immer zu rechter Zeit und sicher den Heimweg nach ihrem Stock nicht verfehlen, mag es einzelne unter dem Schwarm geben, die sich ein paar hundert Schritte abwärts verfliegen und in der Irre zugrund gehn: ihnen ist die kleine Freiheit verderblich geworden. Es gibt gelehrige Tiere, die der Mensch für seine Zwecke abrichtet, und leicht ist wahrzunehmen, daß, je ausgebildeter jener Kunsttrieb sich entfaltete, desto weniger solches Abrichten vonstatten geht. Die Biene oder Ameise wären für alle menschliche Lehre unempfänglich, aber Hund, Pferd, Rind, Falke nehmen sie bis auf einen gewissen Grad an und ergeben sich dem Willen des Menschen. Alle jedoch, erließe man sie dessen, würden gern in ihre natürliche Ungezwungenheit zurückkehren und das Angelernte vergessen. Das ganze Tierleben scheint eine Notwendigkeit, aus der zuckende Richtungen oder Blicke der Freiheit sie nicht vermögen loszureißen; entgehn wir freien Menschen selbst zuletzt nicht dieser Not.

Die Stimme, mit welcher die Tierwelt für alle einzelnen Geschlechter einförmig und unabänderlich ausgestattet wurde, steht demnach in unmittelbarem Gegensatz zur menschlichen Sprache, die immer abänderlich ist, unter den Geschlechtern wechselt und stets erlernt werden muß. Was der Mensch nicht zu lernen braucht und alsobald in das Leben tretend von selbst kann, das bei allen Völkern sich gleichbleibende Wimmern, Weinen und Stöhnen oder jede andern Ausbrüche leiblicher Empfindung, das allein könnte dem Schrei der tierischen Stimme mit Recht an die Seite gesetzt werden. Das gehört aber auch zur Menschensprache nicht und läßt mit deren Werkzeugen sich ebensowenig als der Tierlaut genau ausdrücken, nicht einmal vollständig nachahmen.

Wir wollen dem für des Naturlauts Unverrückbarkeit beigebrachten Fall einen andern für das Unangeborensein der Menschensprache gegenüber halten und einmal setzen, daß auf einem Schlachtfeld das neugeborne Kind einer französischen oder russischen Mutter aufgenommen und mitten in Deutschland erzogen würde; es wird nicht französisch, nicht russisch, sondern gleich allen andern Kindern, unter welchen es erwächst, deutsch zu sprechen anheben. Seine Sprache war ihm nicht angeboren.

Dieselben gleichgearteten Menschen, die heute uns geboren, bald alle Laute und Eigenheiten unserer jetzigen Sprache sich erwerben, würden, vor fünfhundert oder tausend Jahren zur Welt gebracht, ebenso leicht und unvermerkt in den Besitz alles dessen gelangt sein, was unserer Vorfahren Sprache von der heutigen unterscheidet. Die Besonderheit jeder einzelnen Sprache ist also abhängig von dem Raum und der Zeit, in welcher die sie Übenden geboren und erzogen werden, Raum und Zeit sind Anlaß aller Veränderungen der Menschensprache, aus ihnen allein läßt sich die Mannigfaltigkeit und Abweichung der einem Quell entstammenden Völker begreifen. Der heutige Tiroler und Friese werden einander gegenüber ihre Rede zu verstehn Mühe haben, obgleich ihre Urväter näher zusammengestanden, einem und demselben Volksschlag angehört haben müssen. Auch unter einander verstehenden, ungeschieden lebenden Menschen pflegen je nach Geschlecht und Individuum dennoch Eigenheiten und Abstände der Sprache einzutreten, die bald einen größern Umfang und Vorrat von Wörtern, bald Armut oder Mangel daran wahrnehmen lassen, so daß ihnen insgesamt ihre Sprache zwar als Gemeinbesitztum, zugleich aber einzelnen als besonders zuständige Ausdrucksweise erscheinen muß, die von jener Einförmigkeit tierischer Stimmbegabung himmelweit fern ist.

Nein, die Sprache ist dem Menschen weder angeboren noch anerschaffen, und in allen ihren Leistungen wie Erfolgen kann sie mit der Tierstimme nicht gleichgesetzt werden; nur eins müssen beide miteinander einigermaßen gemein haben, die ihnen unterliegende, notwendig durch den erschaffnen Leib bedingte Grundlage.

Jeder Laut geht hervor durch eine Bewegung und Erschütterung der Luft, selbst jenes elementarische Rauschen des Wassers oder Knistern des Feuers war im gewaltsamen Aneinanderschlagen der Wellen, die ihren Druck auf die Luft übten, oder im Verzehren der Brennstoffe, welche die Luft erregten, bedingt. Dem Tier wie dem Menschen sind Stimmwerkzeuge von Natur eigen, mittelst welcher sie in mannigfacher Weise Eindrücke aus die Luft bewirken können, deren unmittelbare Folge ein regelrechter, gleichartig wirkender Schall ist. Das Tier bringt damit einzelne ähnliche Laute wie der Mensch hervor, dieser vermag sie weit reicher und allseitiger zu entfalten. Das geordnete Entfalten der Laute heißt uns Gliedern, Artikulieren, und die Menschensprache erscheint eine gegliederte, womit das homerische Beiwort der Menschen οἱ μέροπες ἄνϑρωτεοι oder βροτοί zusammentrifft, von μείρομαι oder μερίζω, die ihre Stimme Teilenden, Gliedernden. Wesentlich hängt aber diese Lautgliederung ab von dem aufrechten Gang und Stand der Menschen, Selbst ἄνϑρωπος, Mannes Gesicht oder Aussehn habend, weist nach dieser aufrechten Stellung des Antlitzes. Der erste Teil des Wortes nimmt durch Einfluß des Ρ ein Θ statt Δ an und gehört zu ἀνήρ ἀνδρός = skr. nṛi und nara vir, homo. Andere dachten ἄνω ἀϑρειν, aufwärts schaun. vermöge dessen sie die einzelnen Laute ruhig und gemessen vernehmen lassen können, während die Tiere zur Erde gebückt sind:

pronaque quum spectent animalia caetera terram,
os homini sublime dedit caelumque tueri
jussit, et erectos ad sidera tollere vultus.
Ovid. Met. 1, 84.
Während die andern Tiere vorgeneigt die Erde betrachten,
Gab sie (die Natur) dem Menschen das erhabne Antlitz, und den Himmel anzuschaun
Gebot sie ihm, und das aufgerichtete Gesicht zu den Gestirnen emporzuheben.

Die notwendige Reihe und das Maß dieser Laute und Schälle ist natürlich bedingt, wie die Tonleiter in der Musik oder die Folge und Abstufung der Farben, ihrem Gesetz kann nichts hinzugetan werden. Denn außer den sieben Grundfarben, die unendliche Mischung dargeben, sind keine andern denkbar, und ebensowenig läßt sich den drei Vokalen a i u, aus welchen e und o samt allen übrigen Diphthongen und deren Verdichtung zur bloßen Länge entspringen, das geringste zufügen, noch die Ordnung der Halbvokale und Konsonanten, die sich in zahlloser Mannigfaltigkeit der Verbindungen erzeigen, dem Grunde nach erweitern. Diese Urlaute sind uns angeboren, da sie durch Organe unsers Leibs bedingt, entweder aus voller Brust und Kehle gestoßen und gehaucht, oder mit Hilfe des Gaumens, der Zunge, Zähne und Lippen hervorgebracht werden. Einige ihrer Bedingungen sind auch so greif- oder faßbar, daß es nicht völlig mißlingen konnte, sie durch künstliche, mechanische Vorrichtungen bis auf einen gewissen Grad nachzuahmen und scheinbar darzustellen. Da nun aber die Leibesorgane mehrerer Tierarten den menschlichen gleichen, so darf nicht befremden, daß gerade unter den Vögeln, deren sonstiger Bau weiter als der der Säugetiere von uns absteht, die uns aber in aufrechter Haltung des Halses näherkommen, darum auch wohllautige Gesangstimmen haben, daß vorzugsweise Papageien, Raben, Stare, Elstern, Spechte Der Specht (wörtlich der spähende, weissagende Vogel) hieß darum μέροψ, gleich dem Menschen, und in altrömischer wie in altdeutscher Sage verweben sich Pikus und Bienenwolf mit Heldengeschlechtern. Bemerkenswert scheint, daß Papageien und Raben auch die Höhe des Menschenalters erlangen. imstand sind, menschliche Wörter fast vollkommen zu erfassen und nachzusprechen. Von den Säugetieren dagegen vermag das kein einziges, zumal nicht die in andern Stücken uns zum Erschrecken ähnlichen Affen, welche, obgleich sie uns manche Gebärden abzusehn suchen, nie darauf verfallen, unsere Sprache nachzuäffen. Man sollte denken, den Affenarten, welche aufrecht zu gehn lernen, müßte es gelingen, Vokale, Zungen- und Zahnlaute zu erreichen, wenn ihnen auch Lippenlaute, weil ihre Zähne blecken, unmöglich fielen: aber keine Spur, daß sie sich Sprechens unterfangen.

Johannes Müller hat uns neulich die Kehlen einiger Singvögel scharf untersucht und darin nachgewiesen, was ihren Gesang hebe und zeuge. Ich weiß nicht, ob es möglich wäre, daß die Zergliederung auch in den ausgebildeten Kehlen menschlicher Sänger Eindrücke gewahrte, die eine große Entwicklung der Gesangsfähigkeit verkündigten; oder um noch stärkeres zu fragen, ob es dem Anatom gelänge, in den Sprachorganen solcher Völker, die entschieden harter Gutturale pflegen oder, wie die Slaven, schwere Zischlautverbindungen eingeübt haben, äußere Spuren davon aufzuweisen. Wäre das der Fall, so würde ich nicht abgeneigt sein, weil solche Eigentümlichkeiten sich vererben können, wie einzelne Gebärden und Schulterdrehungen unbewußt vom Vater auf den Sohn übergehn oder Geschwister häufig dieselbe Anlage zum Gesang empfangen haben; Man nimmt selbst wahr, daß Geschwister ähnlich niesen. ich würde also geneigt sein, schon in den Kinderkehlen einzelner Völker eingeprägte Anlage für die Aussprache eigner Lautbestimmungen vorhanden zu glauben, so daß jenem in Deutschland zur Welt gekommenen Russen- oder Franzosenkind immer noch einige unserer Laute schwergefallen wären. Dies ergäbe das Gegenstück zur tierischen Beschränkung der Notwendigkeit durch die Freiheit, insofern hier umgekehrt die menschliche Sprachfreiheit durch einen Zug der Notwendigkeit beeinträchtigt schiene, den sie doch leicht überwindet. Die Anatomie wird noch lange zu lernen haben, ehe sie die Sprachwerkzeuge eines auf der Ebene eingewohnten Norddeutschen von denen eines süddeutschen Alpenhirten unterscheidet. Unserm Hauptergebnis aber, daß die menschliche Sprache unangeboren sei, wird nichts dadurch benommen. Die natürliche Lautgrundlage, deren sie gleich der tierischen Stimme bedarf und die sie voraussetzt, wie unsere Seele den menschlichen Schädelbau, ist nichts als das Instrument, auf dem die Sprache gespielt wird, und dies Spiel erzeigt sich beim Menschen in einer Mannigfaltigkeit, die den unveränderbaren Tierlauten völlig entgegensteht. Den Physiologen wird doch mehr das Instrument selbst, den Philologen das Spiel darauf anziehn.

Nun aber wurde außer der eben verworfnen Angeborenheit der Sprache noch eine andere Annahme als denkbar vorausgesetzt, daß sie von des Menschengeschlechts Urheber diesem zwar nicht unmittelbar im Akt der Schöpfung, vielmehr nach der Schöpfung mitgeteilt, durch das menschliche Gedächtnis aufgefaßt und dann von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt und ausgearbeitet worden sei, mit allem Wechsel und aller Verderbnis, die sie unter des Menschen Hand habe erfahren müssen. Jene göttliche Mitteilung oder Offenbarung der Sprache, vergleichbar der eines göttlichen Gesetzes, müßte dennoch früher als dieses fast allsogleich nach vollbrachter Schöpfung des ersten Menschenpaares eingetreten sein, weil ein solches der Sprache beinah keinen Augenblick hätte entraten können und mit der schöpferischen Allmacht unvereinbar schiene, daß ihrer fertigen, edelsten Kreatur im Anfang gebrochen habe, was ihr später zuteil werden sollte.

Diese Auffassung würde von der im Verfolg entgegenzusetzenden eines menschlichen Ursprungs der Sprache sich zwar in der Grundlage wesentlich, in bezug auf die Fortpflanzung einer so kostbaren Gabe scheinbar wenig unterscheiden. Eine solche Fortpflanzung erfolgt von Geschlecht auf Geschlecht, da niemals alle Menschen zugleich sterben, wie sie allmählich zur Welt kommen, folglich die Überlebenden den Nachlebenden hinterlassen, was sie selbst von ihren Vorfahren empfangen hatten, gleichviel ob eine von Gott offenbarte oder von den ersten Menschen frei erworbne Sprache weitergetragen worden sei. Die Offenbarung brauchte nur einmal erfolgt zu sein, vorausgesetzt, daß sie nie wieder ganz erloschen war, sondern ihren Schein immer, wenn auch schwächer, von sich geworfen hätte; die Menschenerfindung könnte sich öfter wiederholt haben. Im Fall der offenbarten Sprache wäre gleichwohl anzunehmen, daß die ersten ihr nähergestandnen Menschen gegenüber den späteren von der göttlichen Macht bevorzugt, diese nachteiliger gestellt worden seien, was Gottes Gerechtigkeit widerstritte.

Die Vorstellung einer offenbarten Sprache, dünkt mich, muß denen willkommen sein, welche in den Anfang aller menschlichen Geschichte einen Stand paradiesischer Unschuld setzen, hernach durch den Sündenfall die edelsten Gaben und Fähigkeiten des Menschen zerrüttet werden, folglich auch die gottähnliche Sprache von ihrem Gipfel herabsinken und dann nur geschwächt den Nachkommen zustehn lassen mögen. Solch eine Ansicht könnte zusagen und Halt gewinnen, weil die ganze Geschichte der Sprache, soweit wir in sie gedrungen sind, in der Tat ihren Abfall von einer vollendeten Gestalt zur minder vollkommenen zu verraten, somit anzudeuten scheint, daß auch für die Sprache wie für die gesamte menschliche Natur eine Herstellung und Erlösung eintreten und nach dem verlornen Zustand anfänglicher Vollkommenheit und Reinheit auf geistigem Wege allmählich müsse zurückgekehrt werden.

Dennoch finden wir diese Deutung schon im Widerspruch mit den Urkunden unserer Heiligen Schrift, welche einer stattgefundnen göttlichen Offenbarung der Sprache an den Menschen nirgends gedenkt, vielmehr das von ihr selbst unerklärt gelassene Dasein der Sprache voraussetzt und deren Verwirrung erst lange Zeit nach dem Sündenfall eintreten läßt. Sinnreich und ergreifend wird aller Sprachenzwiespalt aus einem gewaltsamen Frevel übermütiger Menschen abgeleitet, die den Himmel stürmenden Titanen des griechischen Mythus ähnlich der Gottheit durch einen törichten Turmbau näherzurücken wähnten und darüber die Einfachheit ihrer Sprache verloren, welche sie nun von dieser Stätte verworren in alle Teile des Erdbodens austrugen. Neulich hat ein gewandter Maler in reicher Komposition diese vielleicht aus bloßem Mißverstand des hebräischen Wortes babal, welches vermischen, mengen bezeichnet, erwachsene Sage veranschaulichen wollen. Hier aber kann die Kunst nur spielen, nichts ausrichten; da die Zersplitterung der Sprache über die ganze Erde und ihre endlose Mannigfaltigkeit Die auch im Mittelalter angenommen wurde, das sich oft auf 72 Sprachen einschränkt, Parz. 736. 28 von einem heidnischen König:
er hete fünf und zweinzec her,
der neheinez sandern rede vernam.

(Übers.: Er hatte fünf und zwanzig Heere,
Deren keines des andern Rede verstand.)
höchst naturgemäß war und die größten Zwecke der Menschheit förderte, darf sie bloß wohltätig und notwendig, keineswegs verwirrend heißen und ist sicher auf ganz andere Weise erfolgt, als uns diese einem lauten Einspruch der Sprachgeschichte überhaupt ausgesetzte Erzählung zu verstehn gibt.

Hier reicht meine Untersuchung an einen theologischen Standpunkt, vor dem sie nicht zu erschrecken braucht.

Unter Offenbarung denken wir uns eine Kundtuung oder Manifestation, die Griechen nennen sie ἀποϰάλνψιϛ Enthüllung, die Römer revelatio Entschleierung, und diese Wörter alle laufen auf denselben Begriff hinaus, das Offengemachte war vorher verschlossen, das Enthüllte bedeckt oder verschleiert. Niemand kann bezweifeln, daß eine schaffende Urkraft unablässig auch ihr Werk fortdurchdringe und forterhalte: das Wunder der Weltdauer kommt dem ihrer Schöpfung vollkommen gleich. Diese sich unausgesetzt kundtuende göttliche Kraft ist keinem als dem Verstehenden eine kennbare Offenbarung. Da sie die gesamte Natur durchdringt und in allen Dingen enthalten ist, liegt sie zugleich offen und verborgen da und mag bloß durch das Mittel der Dinge selbst erforscht werden. Denn sie ist in allen Dingen, eben darum nicht außer ihnen. Unverstanden redet die Natur, solange der Suchende nicht auf ihre Spur kommt und sie ihm verständlich wird.

Des Altertums kindliche Vorstellung pflegte aber unmittelbaren Verkehr der Gottheit mit den Menschen anzunehmen, dessen Wirklichkeit unserer Vernunft unbegreiflich und so unzulässig ist, wie die der meisten andern Mythen. Denn hat die Gottheit anfangs sichtbar sich gezeigt, warum sollte sie je nachher aufgehört haben es zu tun? Dies ist dem ihr notwendig beiwohnenden Begriff der Stetigkeit entgegen; das Unerschaffne kann keine Geschichte haben, muß sich ewig gleichbleiben. Man fühlt sich in einen Kreis von Widersprüchen gebannt, die, wenn überall vortretend, kaum irgend greller obwalten, als wo ein göttlicher Ursprung der Sprache behauptet werden soll.

Der griechischen Poesie verursacht es nicht den mindesten Anstoß, daß die Götter erscheinen und in der Sprache des Landes reden, so wenig es heute auf unserer Schaubühne befremdet, daß Helden und Männer aller Länder sich einstimmig in der jetzigen Sprache ausdrücken, da sie nur durch das Mittel unserer eignen Vorstellungen uns anschaubar werden. Es muß aber ein Grund vorhanden gewesen sein, warum bei Homer wie noch bei den Tragikern zwar Apollo, Hermes, Athene und andere Götter und Göttinnen, niemals Zeus selbst Diesen Anstand verletzt also Plautus, wenn er im Amphitryo den Jupiter erscheinen und reden läßt. Aeschylos und Sophokles werden es auch in ihren verlornen Stücken anders damit gehalten haben. Auch in der Edda, als die drei Götter Odin, Hoenir, Loki auf Erden wandeln, führt nur Loki die Rede, die andern schweigen. Im Nalas erscheinen und reden Götter. – Joh. 1, 18 ϑεὸν οὺδεὶς ἑώρακεν πώποτε. (Niemand hat Gott je gesehn.) den Menschen leiblich erscheinend und redend vorgeführt wird; gleichsam stellen sich jene nur als seine Boten dar, die den höchsten, an sich unaussprechlichen Willen in Menschenworte zu kleiden und zu fassen beauftragt sind, und in der wuchernden Vielgötterei treten lauter unterwürfige Handlanger des höchsten Wesens auf, dessen Eigenschaften sie vorstellen, dessen Geheiß sie verkünden und ausrichten, wie die katholischen Engel oder Heiligen.

Im Alten Testament erscheint Gott gleich von Anfang leibhaft und redet mit Adam, Eva, Noah, Abraham, Moses, Josua, die seine Rede von selbst verstehend und darauf antwortend dargestellt werden; nirgend ist gesagt, daß eine erste Eröffnung dieses Verständnisses eingetreten oder nötig befunden worden sei. Doch schon zu Moses Zeit beginnt sich Gott ferner zu stellen, nur auf dem Berg zu erscheinen, nur in der Wolke zu reden, aus welcher Donner und Blitz fahren, ganz wie der donnernde Zeus im Gewölk sich erzeigt. Allmählich pflegt er gar nicht mehr selbst, sondern der Engel des Herrn aufzutreten, und bereits Moses gegenüber wird es einigemal zweifelhaft, ob ihm des Herrn Stimme oder die seines Boten erschollen sei. Später Der Herr redet mit Satan. Hiob 1, 6-12. 2, 1-6. Hiob und der Herr reden miteinander 39, 31. 33. 42, 1-8. Der Herr antwortet dem Hiob aus einem Wetter. Hiob 38, 1. 40, 1. Und siehe, das Wort des Herrn kam zu ihm und sprach zu ihm. 1. Kön. 19, 9. Zu Abraham geschah das Wort des Herrn im Gesicht. 1. Mos. 15, 1. redet Gott zu den Menschen nur durch der Weissager und Engel Mund, deren höhere Gabe von einem nähern Verhältnis zu Gott abgeleitet werden könnte, wie die Ausschüttung des Geistes in der Apostelgeschichte (10, 44-46) unmittelbar die Zungen löst Auch die Sage meldet, daß die Gabe des Dichtens plötzlich über einen gekommen sei. daraus läßt sich aber der einfache Ursprung der längst bestandnen Menschensprache nicht begreifen, wenn man auch jenem Ausguß über das Bild hinaus die wirkliche Eingebung menschlicher Sprachpraxis beilegen will. Das Buch, von welchem wir den Namen der Apokalypsis entnehmen, wurde zu Johannes durch einen Engel des Herrn gesandt, und der Apostel Paulus redet von Zungen der Menschen und Engel, wie Plato den Verkehr ὁμιλία καὶ διάλεκτος zwischen Göttern und Menschen durch Dämone vermitteln läßt, aber alle Vorstellung von Dämonen und Engeln ist in der Natur der Welt unbezeugt, in der Geschichte, so glaublich man sie zu machen gestrebt hat, unbegründet.

Wie soll unsere Vernunft der menschlichen Sprache Ursprung aus göttlicher Offenbarung, die doch notwendig keine heftige Inspiration, sondern einfache Rede gewesen und mittels dieser Rede weitergetragen sein müßte, fassen? Waren die ersten Menschen fähig, Gottes Worte zu vernehmen, d. h. zu verstehn, so scheint es unvonnöten, ihnen eine Sprache zu enthüllen, die als jenes Verständnisses Bedingung sie bereits besitzen mußten. Vorhin jedoch haben wir erwiesen, daß ihnen keine Sprache anerschaffen war, folglich daß sie gar nicht im Bereich eines Mittels standen, von welchem das Verstehn, dessen sie unerläßlich bedurften, abhing. Die Natur des Menschen war zur Zeit der Schöpfung nicht anders, als sie heute ist, sie vermochte lediglich durch ihre Sinne und die Vernunft, womit sie ausgestattet war, Eindrücke zu empfangen, die auf anderm Wege ihr gar nicht zuteil werden konnten. Nirgends steigt eine Lehre so gewaltsam auf die Menschen herab, daß ihr nicht ein inneres Lernen entgegenkommen müßte.

Noch mehr, sollen und dürfen wir uns Gott redend denken? Redete, d. h. spräche er menschliche Worte, so müßten wir ihm auch menschlichen Leib, zumal alle jene leiblichen Organe beilegen, von welchen gegliederte Rede abhängt. Es scheint mir aber gleich widersinnig, einen vollkommenen Menschenleib ohne eins seiner Gliedmaße, z. B. ohne Zähne, als die Gottheit mit Zähnen, folglich essend sich vorzustellen, da die Zähne nach unserer weisen Natur zwar mitbeholfen sind zum Sprechen, hauptsächlich aber zum Zermalmen der Speise dienen. Auf solche Weise würde es ganz unmöglich sein, eins der andern Glieder des Leibes, deren innerer und äußerer Einklang unsere höchste Bewunderung rege macht, irgend der schaffenden Gottheit abzusprechen oder beizulegen. Mit Recht Wolfram im Parz. 119, 20 von Gott: der antlitzes sich bewac (nicht gebildet war) nâch menschen antlitze.

Wenn aber überhaupt ein Leib, mindestens ein menschlicher, der Gottheit gar nicht anstände, wie könnte Rede oder Bedürfnis der Rede ihr beigemessen werden? Was sie nur denkt, das will sie auch, was sie will, hat sie ohne Aufenthalt und Zweifel mit mehr als Blitzesschnelle vollführt. Wozu hätte sie sich eines Boten bedient, um langsamer auszurichten, was sie mit einem Wink, wenn es ihrer Weisheit gefällig gewesen wäre, vollbrächte? Rinnen in dem göttlichen Sein alle jene von uns gesondert betrachteten Eigenschaften, Allmacht, Urplan und Ausführung nicht zusammen? Ohne ihresgleichen, doch uneinsam waltet die Gottheit allenthalben in der unendlichen Naturfülle, des Behelfs einer der menschlichen, auch nur von ferne vergleichbaren Sprache bedarf sie nicht, wie ihre Gedanken nicht den Weg des Menschendenkens gehn.

Daß an eines Menschen Ohr jemals, solange die Welt steht, ein unmittelbares Wort Gottes gedrungen sei, kann alle menschliche Geschichte mit nichts erweisen. Seine Verlautbarung würde keiner Menschensprache nahekommen, eine Harmonie der Sphären sein. Das Volk hält die himmlische Stimme für Donner. Joh. 12, 29. Vgl. Apok. 8, 5. 11, 19. 16, 18. – 10, 3. 4. 14, 2. 19, 6. Wo, daß Gott redete, aufgezeichnet ist, hat der Geschichtschreiber einer Sage gefolgt, die für die Dunkelheit der Vorzeit eines gangbaren Bilds sich bediente, wer wollte buchstäblich nehmen, wenn gesagt ist, daß Gott das Gesetz mit seinem Finger in die hernach von Moses zerbrochne Steintafel geschrieben habe? Die Heilige Schrift, die wir Gottes Wort nennen, ist uns ehrwürdig durch ihr hohes Altertum und die edle Einfachheit ihrer Darstellung; allein wer sie auch zuerst abfaßte, stand von dem Anfang der Schöpfung bereits allzuweit ab, als daß er anderes als Bild und Sage davon mitzuteilen vermocht hätte. Was von der heidnischen Sage jeder allenthalben zugesteht, muß er auch für die des Alten Testaments einzuräumen wahrheitliebend und besonnen sein. Arnobius eifert mit schlagenden Gründen wider das Heidentum, ohne zu ahnen, daß gar manche derselben auch gegen die neue Lehre gebraucht werden können.

Das Verhältnis Gottes zur Natur beruht auf gleich festen, unerschütterbaren Gesetzen wie die Bande der Natur unter sich, und da diese ihr Geheimnis und Wunder nur in sich selbst, nicht außer sich tragen, so muß jedes nicht natürliche Mittel von ihnen ausgeschieden sein. Ein Geheimnis, bei dem es unnatürlich herginge, gibt es nicht. Lessing (Sämtliche Schriften 10, 4, 5) bemerkt zu einem Aufsatze Jerusalems über den Ursprung der Sprache, daß die Sprache durch ein Wunder dem ersten Menschen nicht mitgeteilt sein könne, darum der Mensch sie noch nicht erfunden zu haben brauche; im Umgang mit höheren Geschöpfen, durch Herablassung des Schöpfers selbst könne sie gelernt worden sein, was einige Wahrscheinlichkeit gewinne dadurch, daß die menschliche Erfindung lange Jahrhunderte gedauert haben müsse und des Schöpfers Güte den Armen doch nicht so lange die Sprache entzogen haben werde. Alle solche Voraussetzungen sind sichtbar ohne Boden. – Der christlichen Ansicht nach offenbarte Gott nicht nur zu Anfang die Sprache, sondern er gibt auch fortwährend redenden Menschen ihre Worte ein. Es ist ganz gewöhnlich zu sagen: das Wort ließ dich Gott sprechen, gab dir Gott ein.

Es mag auffallen, daß weder das griechische noch indische Altertum versucht haben, die Frage nach dem Ursprung und der Mannigfaltigkeit menschlicher Zungen zu stellen und darauf zu antworten. Die Heilige Schrift strebte wenigstens das eine der beiden Rätsel, das der Mannigfaltigkeit, durch den Turm von Babel zu lösen. Ich kenne nur noch eine arme estnische Volkssage, welche dieser Lösung sich etwa an die Seite stellen ließe. Der alte Gott, als den Menschen ihr erster Wohnsitz zu eng geworden war, beschloß, sie über den ganzen Erdboden auszubreiten, jedem Volk auch eine besondre Sprache zu erteilen. In dieser Absicht stellte er einen Kessel mit Wasser zum Feuer, ließ die einzelnen Stämme der Reihe nach herantreten und für sich die Töne entnehmen, welche das eingesperrte und gequälte Wasser singend hervorbrachte. Hier also wurde den Menschen, wo nicht ihre erste, wenigstens eine neue Sprache durch die Naturlaute eines Elements überwiesen.

Ich habe, worauf mein Ziel sich beschränkte, dargetan, daß die Menschensprache so wenig eine unmittelbar geoffenbarte sein könne, als sie eine anerschaffne war; eine angeborne Sprache hätte die Menschen zu Tieren gemacht, eine geoffenbarte in ihnen Götter vorausgesetzt. Es bleibt nichts übrig, als daß sie eine menschliche, mit voller Freiheit ihrem Ursprung und Fortschritt nach von uns selbst erworbne sein müsse: Sprachen geistige Schöpfungen der Menschheit. Humboldt, Kosmos I, 383. nichts anders kann sie sein, sie ist unsere Geschichte, unsere Erbschaft.

Das, was wir sind, wodurch wir uns von allen Tieren unterscheiden, führt im Sanskrit den bedeutsamen, ehrwürdigen Namen manudscha, welcher auch vorzugsweise in unserer deutschen Sprache bis auf heute sich erhalten hat, got. manniska, ahd. mannisco, nhd. Mensch und so durch alle Mundarten; dies Wort darf zwar mit gutem Grund auf einen mythischen Ahnen Manna, Mannus, den schon Tacitus bezeugt, auf einen indischen König Manas zurückgeleitet werden, dessen Wurzel Man, d. h. denken ist und wozu unmittelbar auch manas, μένος, Mensch fallen.

Der Mensch heißt nicht nur so, weil er denkt, sondern ist auch Mensch, weil er denkt und spricht, weil er denkt, dieser engste Zusammenhang zwischen seinem Vermögen, zu denken und zu reden, bezeichnet und verbürgt uns seiner Sprache Grund und Ursprung. Vorhin sahen wir griechische Benennungen des Menschen, hergenommen von seinem emporgerichteten Antlitz, von seiner gegliederten Rede, hier ist er noch treffender nach seinem Denken genannt. Die Tiere reden nicht, weil sie nicht denken, und heißen darum die unredenden, altn. ômælandi, dän. de umælende, wie die unvernünftigen, bruta, mutae, bestiae, mutum et turpe pecus, das griechische ἄλογος drückt zugleich aus unredend und undenkend. Das Kind beginnt zu reden, wie es anhebt zu denken, und die Rede wächst ihm, wie ihm der Gedanke wächst, beides nicht additiv, sondern multiplikativ. Menschen mit den tiefsten Gedanken, Weltweise, Dichter, Redner haben auch die größte Sprachgewalt; die Kraft der Sprache bildet Völker und hält sie zusammen, ohne solches Band würden sie sich versprengen, der Gedankenreichtum bei jedem Volk ist es hauptsächlich, was seine Weltherrschaft festigt.

Die Sprache erscheint also eine fortschreitende Arbeit, ein Werk, eine zugleich rasche und langsame Errungenschaft der Menschen, die sie der freien Entfaltung ihres Denkens verdanken, wodurch sie zugleich getrennt und geeint werden. Alles, was die Menschen sind, haben sie Gott, alles, was sie überhaupt erringen in Gutem und Bösem, haben sie sich selbst zu danken. Die Inspiration des Propheten ist nur ein Bild für den in ihm erweckten und wachen Gedanken. Weil aber die Sprache anfangs unvollkommen war und ihr Wert erst steigt, kann sie nicht von Gott, der Vollendetes prägt, ausgegangen sein.

Der Schöpfer hat die Seele, d. h. die Kraft zu denken, er hat die Sprachwerkzeuge, d. h. die Kraft zu reden in uns beides als kostbare Gaben gelegt, aber wir denken erst, indem wir jenes Vermögen üben, wir sprechen erst, indem wir die Sprache lernen. Gedanke wie Sprache sind unser Eigentum, auf beiden beruht unserer Natur sich aufwindende Freiheit, das sentire quae velis et quae sentias dicere, Denken was man will, und sagen was man denkt. ohne sie würden wir Tieren gleich barer Notwendigkeit hingegeben sein, und mit ihr sind wir emporgeklommen.

Diese Sprache, dies Denken steht aber nicht abgesondert da für einzelne Menschen, sondern alle Sprachen sind eine in die Geschichte gegangne Gemeinschaft und knüpfen die Welt aneinander. Ihre Mannigfaltigkeit eben ist bestimmt, den Ideengang zu vervielfachen und zu beleben. Von dem sich ewig erneuernden, wechselnden Menschengeschlecht wird der köstliche, allen dargebotne Erwerb auf die Nachkommen übertragen und vererbt, ein Gut, das die Nachwelt zu erhalten, zu verwalten und zu mehren angewiesen ist. Denn hier greifen Lernen und Lehre unmittelbar und unvermerkt ineinander. Die ersten Worte vernimmt der Säugling an der Mutterbrust von der weichen und sanften Mutterstimme ihm entgegengesprochen, und sie schmiegen sich fest in sein reines Gedächtnis, bevor er noch der eignen Sprechorgane mächtig geworden ist, darum heißt sie die Muttersprache, und so erfüllt sich mit den Jahren in schnell erweiterten Kreisen ihr Umfang. Sie allein vermittelt uns am unvertilgbarsten Heimat und Vaterland, und was von den einzelnen Geschlechtern und Stämmen, die gleiche Spracheigenheit eingedrückt empfangen, muß weiterhin von der ganzen menschlichen Gesellschaft gelten. Ohne Sprache, Dichtkunst und die zur rechten Zeit sich eingestellten Erfindungen der Schrift und des Bücherdrucks würde die beste Kraft der Menschheit sich verzehrt haben und ermattet sein. Auch die Schrift hat man die Götter den Menschen weisen lassen wollen; doch ihr überzeugend menschlicher Ursprung, ihre wachsende Vollkommenheit muß, wenn es nötig wäre, den Erweis des menschlichen Ursprungs der Sprache bestätigen und vollführen.

Herodot meldet uns, Psammetich, der Ägypterkönig, um zu versuchen, welches Volk und welche Sprache zuerst erschaffen worden sei, habe zwei neugeborne Kinder einem Hirten einsam aufzuziehn gegeben, mit Befehl, kein Wort vor ihren Ohren auszusprechen und zu achten, welchen Laut sie nun hervorbringen würden. Nach einiger Zeit Verlauf, als der Hirt diesen Kindern sich genähert, hätten sie mit ausgestreckten Händen βεκός ausgerufen und dann öfter dasselbe Wort in Gegenwart des Königs wiederholt. Auf angestellte Erkundigung sei man aber gewahr geworden, daß die Phryger das Brot βεκός nennen, – und habe dadurch die Überzeugung gewonnen, daß die Phryger das älteste Volk der Erde seien Herod. 2, 2. Vgl. fragm. histor. graecor. 1, 22. 23.

Wäre es möglich, denn die ganze Erzählung klingt höchst abenteuerlich, einen solchen Versuch jemals anzustellen und in der Weise durchzuführen, daß man neugeborne Kinder grausam auf eine abgelegne Insel aussetzen und von stummen Dienern großziehn ließe, so würde man zwar keine Worte der ältesten Menschensprache, die ihnen ja durchaus nicht angeboren sein konnte, vernehmen, wohl aber hätten diese elenden, dem menschlichen Erbteil entrissenen Geschöpfe mit ihrem erwachenden Denkvermögen von vorn an beginnend gleich den ersterschaffnen Menschen eine Sprache sich zu erfinden, und falls ihre Abgeschiedenheit andauern könnte, auf ihre Nachkommen fortzupflanzen. Nur um so teuern Preis, was jedoch nie, solange die Erde dauern wird, zur Ausführung gelangen dürfte, weil sich zahllose Hindernisse entgegenstemmen müßten, könnte die Sprachforschung unmittelbare Bestätigung dessen entnehmen, was sie aus andern Gründen zu folgern berechtigt ist.

Ich nähere mich meiner eigentlichen Aufgabe oder doch dem für die meisten meiner Zuhörer anziehendsten Teil derselben, welcher auf die Frage Antwort geben soll, wie man sich zu denken habe, daß die ersten Menschen die Erfindung ihrer Sprache bewerkstelligten.

Vorausgeschickt werden muß jedoch in aller Kürze, ob, ganz abgesehn von dem hier noch beiseite bleibenden Problem, inwiefern die grundverschiednen Sprachen der Erde auf eine erste Bildung oder nur auf mehrere Bildungen sich zurückführen lassen, ob man auch da, wo eine einzige, weitverbreitete und hernach in viele Äste zerfallende Ursprache vorliegt, nur ein Menschenpaar oder mehr als eins anzusetzen habe, durch welches sie hervorgebracht und fortgepflanzt worden sei?

Das ist anzunehmen, daß Mann und Weib zusammen, vollwüchsig und zeugungsfähig erschaffen wurden, denn nicht setzt der Vogel das Ei, die Pflanze den Samen, sondern das Ei den Vogel voraus, das Korn die Pflanze; Kind, Ei, Samenkorn sind Erzeugnisse, folglich unurerschaffen: der erste Mensch war also nie Kind, doch das erste Kind hatte einen Vater. Wer wollte glauben, daß aus unerschaffnen, sich aneinanderfügenden, ineinander wirkenden Elementen eine geheime stumme Gewalt sich allmählich zum Leben hinaufgerungen hätte? Das belebende Band, mit dessen Schwinden jedesmal das Leben in die toten Stoffe zurückweicht, muß doch vorausgegangen sein. Aber daß von jedem Tier, von jedem Kraut nur ein Paar, nicht mehrere nebeneinander erschaffen worden, daß alle Gräser in ihrer Fülle aus eines Halms Wucher vervielfacht seien, hat wenig für, mehr gegen sich. Die ein Paar entstehnlassende schöpferische Kraft konnte unbehindert auch mehrere zusammen schaffen, wie sie schon im ersten Paar das Gleichartige zweimal hervorzubringen genötigt war. Gegen den Ausgang der gesamten Tiermenge aus einem Paar jeder Gattung hat man auch nicht ohne Schein den Gesellschaftstrieb der Ameisen und Bienen eingewandt, der ihnen muß angeboren gewesen, nicht allmählich entwickelt sein, folglich nicht erst auf die entwickelte Menge gewartet haben kann. Auf den Menschen und die Sprache angewandt, ist es sogar wahrscheinlich, daß mehr als ein Paar erschaffen wurde, schon aus dem natürlichen Grunde, weil die erste Mutter möglicherweise lauter Söhne oder lauter Töchter hätte gebären können, wodurch alle Forterzeugung gehindert worden wäre, noch mehr aus dem sittlichen, um Vermischung von Geschwistern, wovor die Natur ein Grauen hat, zu verhüten. Die Bibel geht darüber still hinweg, daß Adams und Evas, wenn sie alleinstanden, Kinder untereinander sich begatten mußten. Goethe läßt die ersten Menschenpaare zu Dutzenden hervorgehn. Eckermann 2, 21.

Auch erklärt sich der Sprache Ursprung viel leichter, wenn alsogleich zwei oder drei Menschenpaare und bald ihre Kinder an ihr bildeten, so daß alle Sprachverhältnisse auf der Stelle sich zahlreich vervielfachen konnten; die Einheit der entspringenden Regel läuft darunter keine Gefahr, weil auch schon bei einem Menschenpaar zwei Individuen, Mann und Frau, die Sprache erfinden mußten und hernach ihre Kinder sich mit daran beteiligten. Man kann den Frauen, die nach einigen Generationen, zumal wenn mehrere Paare stattfanden, gern ihre eigne, von den Männern in manchem gesonderte Sitte und Stellung einnahmen, sogar Eigenheiten der Mundart für Ausprägung der ihnen vorzugsweise geläufigen Begriffe von früh beilegen, wie sie uns am bestimmtesten das Prakrit gegenüber dem Sanskrit bezeugt. Aber in allen alten Sprachen sehen wir männliche und weibliche Flexionen nebeneinander unterschieden, was auf keinen Fall ohne Einfluß des Frauengeschlechts auf die Sprachgestaltung selbst kann geschehn sein.

Aus dem Verhältnis der Sprachen nun, welches uns über die Verwandtschaft der einzelnen Völker sichereren Aufschluß darreicht, als alle Urkunden der Geschichte es vermögen, läßt sich auf den Urzustand der Menschen im Zeitraum der Schöpfung und auf die unter ihnen erfolgte Sprachbildung zurückschließen. Dem menschlichen Geist macht es erhebende Freude, über die greifbaren Beweismittel hinaus das zu ahnen, was er bloß in der Vernunft empfinden und erschließen kann, wofür noch die äußere Bewahrheitung mangelt. Wir gewahren in den Sprachen, deren Denkmäler aus einem hohen Altertum bis zu uns gelangt sind, zwei verschiedne und abweichende Richtungen, aus welchen eine dritte ihnen vorhergegangne, aber hinter dem Bereich unserer Zeugnisse liegende notwendig gefolgert werden muß.

Den alten Sprachtypus stellen uns Sanskrit und Zend, großenteils auch noch die griechische und lateinische Zunge vor; er zeigt eine reiche, wohlgefällige, bewundernswerte Vollendung der Form, in welcher sich alle sinnlichen und geistigen Bestandteile lebensvoll durchdrungen haben. In den Fortsetzungen und späteren Erscheinungen derselben Sprachen, wie den Dialekten des heutigen Indiens, im Persischen, Neugriechischen und Romanischen ist die innere Kraft und Gelenkigkeit der Flexion meistens aufgegeben und gestört, zum Teil durch äußere Mittel und Behelfe wieder eingebracht. Auch in unserer deutschen Sprache, deren bald schwach rieselnde, bald mächtig ausströmende Quellen sich durch lange Zeiten hin verfolgen und in die Wagschale legen lassen, ist dasselbe Herabsinken vom früheren Höhepunkt größerer Formvollkommenheit unverkennbar, und dieselben Wege des Ersatzes werden eingeschlagen. Halten wir die gotische Sprache des vierten Jahrhunderts gegen unsere heutige: dort ist Wohllaut und schöne Behendigkeit, hier, auf Kosten jener, vielfach gesteigerte Ausbildung der Rede. Überall erscheint die alte Gewalt der Sprache in dem Maß gemindert, als etwas anderes an die Stelle der alten Gaben und Mittel getreten ist, dessen Vorteile auch nicht dürfen unterschätzt werden.

Beide Richtungen stehen einander keineswegs schroff entgegen, und alle Sprachen erzeigen sich auf mannigfalten, ähnlichen aber ungleichen Stufen. Die Formabnahme hat z. B. auch im Gotischen oder Lateinischen bereits begonnen, und für die eine wie die andere Sprache darf man eine vorausgegangne ältere und reichere Gestalt ansetzen, die sich zu ihrem klassischen Bestand verhält, wie dieser etwa zum Neuhochdeutschen oder Französischen. Anders und allgemein ausgedrückt, ein erreichter Gipfel der förmlichen Vollendung alter Sprache läßt sich historisch gar nicht feststellen, so wenig die ihr entgegengesetzte geistige Sprachausbildung heute auch schon zum Abschluß gelangt ist, sie wird es noch unabsehbar lange Zeit nicht sein. Es ist zulässig, selbst dem Sanskrit voraus, noch einen älteren Sprachstand zu behaupten, in welcher die Fülle seiner Natur und Anlage wiederum reiner ausgeprägt gewesen wäre, die geschichtlich wir gar nicht mehr erreichen, aus dem Verhalt der vedischen Sprachform zur späteren ahnen.

Ein verderblicher Fehler würde aber sein, und er scheint mir gerade bei Untersuchung der Ursprache hemmend eingewirkt zu haben, jene Vollendung der Form noch höher und bis in ein vermeintes Paradies zurückzuverlegen. Vielmehr ergibt der beiden letztern Sprachperioden Aneinanderhalten, daß wie an den Platz der Flexion eine Auflösung derselben getreten sei, so auch die Flexion selbst aus einem Verband analoger Wortteile einmal erst entsprungen sein müsse. Notwendig demnach sind drei, nicht bloß zwei Staffeln der Entwicklung menschlicher Sprache anzusetzen, des Schaffens, gleichsam Wachsens und Sichaufstellens der Wurzeln und Wörter, die andere des Emporblühens einer vollendeten Flexion, die dritte aber des Triebs zum Gedanken, wobei die Flexion als noch nicht befriedigend wieder fahren gelassen und, was im ersten Zeitraum naiv geschah, im zweiten prachtvoll vorgebildet war, die Verknüpfung der Worte und strengen Gedanken abermals mit hellerem Bewußtsein bewerkstelligt wird. Es sind Laub, Blüte und reifende Frucht, die, wie es die Natur verlangt, in unverrückbarer Folge neben- und hintereinander eintreten. Nach Winkelmann (Brief an Berendis 121) entfaltet sich in der Kunst erst das Notwendige, dann das Schöne, endlich das Überflüssige. Durch die bloße Notwendigkeit einer ersten unsichtbaren, den beiden andern für uns sichtbaren Perioden vorausgegangnen wird, dünkt mich, der Wahn eines göttlichen Ursprungs der Sprache ganz beseitigt, weil es Gottes Weisheit widerstritte, dem, was eine freie Menschengeschichte haben soll, im voraus Zwang anzutun, wie es seiner Gerechtigkeit entgegen gewesen wäre, eine den ersten Menschen verliehne göttliche Sprache für die Nachlebenden von ihrem Gipfel herabsinken zu lassen. Was die Sprache Göttliches an sich trägt, hat sie, weil in unsere Natur und Seele überhaupt Göttliches gespreitet ist.

Mit Betrachtung der Sprache, wie sie im letzten Zeitraum erscheint, allein würde man nie dem Geheimnis ihres Ursprungs nähergetreten sein, und allen aus dem gegenwärtigen Sprachbestand nach dem Etymon eines Wortes Forschenden pflegt es damit meistens fehlzuschlagen, da sie weder die Bildungsteile von der Wurzel rein abzulösen noch den sinnlichen Gehalt derselben zu ermitteln vermögen.

Anfangs entfalteten sich, scheint es, die Wörter unbehindert in idyllischem Behagen, ohne einen andern Haft als ihre natürliche vom Gefühl angegebne Aufeinanderfolge; ihr Eindruck war rein und ungesucht, doch zu voll und überladen, so daß Licht und Schatten sich nicht recht verteilen konnten. Man könnte sagen, daß die flexionslose chinesische Sprache gewissermaßen in der ersten Bildungsperiode verharrt sei. Allmählich aber läßt ein unbewußt waltender Sprachgeist auf die Nebenbegriffe schwächeres Gewicht fallen und sie verdünnt und gekürzt der Hauptvorstellung als mitbestimmende Teile sich anfügen. Die Flexion entspringt aus dem Einwuchs lenkender und bewegender Bestimmwörter, die nun wie halb und fast ganz verdeckte Triebräder von dem Hauptwort, das sie anregten, mitgeschleppt werden, und aus ihrer ursprünglich auch sinnlichen Bedeutung in eine abgezogne übergegangen sind, durch die jene nur zuweilen noch schimmert. Zuletzt hat sich auch die Flexion abgenutzt und zum bloßen ungefühlten Zeichen verengt, dann beginnt der eingefügte Hebel wieder gelöst und fester bestimmt nochmals äußerlich gesetzt zu werden; die Sprache büßt einen Teil ihrer Elastizität ein, gewinnt aber für den unendlich gesteigerten Gedankenreichtum überall Maß und Regel.

Erst nach gelungner Zergliederung der Flexionen und Ableitungen, wodurch Bopps Scharfsinn so großes Verdienst errungen hat, hoben sich die Wurzeln hervor, und es ward klar, daß die Flexionen größtenteils aus dem Anhang derselben Wörter und Vorstellungen zusammengedrängt sind, welche im dritten Zeitraum gewöhnlich außen vorangehn. Ihm sind Präpositionen und deutliche Zusammensetzungen angemessen, dem zweiten Flexionen, Suffixe und kühnere Komposition, der erste ließ freie Wörter sinnlicher Vorstellungen für alle grammatischen Verhältnisse aufeinanderfolgcn. Die älteste Sprache war melodisch, aber weitschweifig und haltlos, die mittlere voll gedrungner poetischer Kraft, die neue Sprache sucht den Abgang an Schönheit durch Harmonie des Ganzen sicher einzubringen, und vermag mit geringeren Mitteln dennoch mehr.

Der den Ursprung der Sprache hüllende Schleier ist gelüftet, nicht vollends aufgedeckt. Es kann hier weder ausführbar noch mein Zweck sein, alle oder die meisten Beweise für die vorgetragne Ansicht auszuheben, was ein eignes schweres Buch fordern würde, ich strebe, nur die wesentlichen Grundlagen der Untersuchung hinzustellen.

Nichts in der Sprache, wie in der ganzen sie gleichsam auf ihren Schoß nehmenden Natur, geschieht umsonst, alles, was ich schon oben sagte, ausreichend ohne Verschwendung. Einfache Mittel richten das Stärkste aus, kein Buchstabe ursprünglich steht bedeutungslos oder überflüssig.

Jeder Laut hat seinen natürlichen, im Organ, das ihn hervorbringt, gegründeten und zur Anwendung kommenden Gehalt. Von den Vokalen hält a die reine Mitte, i Höhe, u Tiefe; a ist rein und starr, i und u sind flüssig und der Konsonantierung fähig. Offenbar muß den Vokalen insgesamt ein weiblicher, den Konsonanten insgesamt ein männlicher Grund beigelegt werden.

Von den Konsonanten wird l das Linde, r das Rauhe bezeichnen. Wahrzunehmen ist, daß in vielen Wörtern der ältesten Sprache r waltet, wo die jüngeren l setzen, während das s der älteren dem r der jüngeren weicht. Niemals aber gehen s und l ineinander über. Entweder wollte der Sprachgeist eine entsprungne Lücke ausgleichen, oder was richtiger scheint, beiderlei r sind auch in der Aussprache schon verschieden, jenes dem l nahe rein und rollend, dieses mit s verwandte heiser und unrein.

Alle Konsonantverdoppelungen sind der ältesten Sprache abzuerkennen, und erst allmählich durch Assimilation verschiedner Konsonanten und zumal häufig aus anstoßendem i entsprungen. Konsonantlautabstufung, die sich am allerdeutlichsten und zu zweien Malen in den Verschiebungen der deutschen Sprache ereignete, pflegt mit wundervollem Instinkt, indem sie alle stummen Laute verrückt, ihnen doch jedesmal wieder die rechte Stelle anzuweisen. Haben irgendwo in der Sprache Naturtrieb und freie Kraft zusammengewirkt, so geschah es in dieser höchst auffallenden Erscheinung.

Der Ursprache waren e und o fremd. Wenn Diphthonge und Brechungen dem zweiten Zeitraum, dem dritten Umlaute und noch andere Vokaltrübungen gemäß sind, so wird man dem ersten vorzugsweise fast nur kurze Vokale und einfache Konsonanten beizumessen haben.

Doch die Natur der einzelnen Laute zu erörtern, liegt mir hier nicht ferner ob; dies würde mehr da an seiner Stelle sein, wo jene leibliche Anlage unseres Organismus auf die Sprache sorgfältig angewandt werden soll.

Hebel aller Wörter scheinen Pronomina und Verba. Das Pronomen ist nicht bloß, wie sein Name könnte glauben machen, Vertreter des Nomens, sondern geradezu Beginn und Anfang alles Nomens. Wie das Kind, dessen Denkvermögen wachgeworden ist, »ich« ausspricht, finde ich auch im Jadschurveda ausdrücklich anerkannt, daß das ursprüngliche Wesen »ich bin ich« spreche und der Mensch, wenn er gerufen werde, »ich bin es« antwortete. Alle Verba und Nomina, das persönliche Verhältnis an sich bezeichnend, fügen Pronomina ein, wie sie in der dritten Sprachperiode äußerlich dazu ausgedrückt werden. Als der Mensch das erstemal sein Ich, das im Sanskrit aham lautet, sprach, stieß er es aus voller Brust im Geleit eines Kehlhauchs, und alle urverwandten Zungen sind sich hierin gleichgeblieben, nur daß sie das reine a schwächen oder die Gutturalstufe verschieben. Im obliquen Kasus tritt ein halb zurückweisendes labiales m vor. Das deutende t der angeredeten zweiten Person muß hingegen im Kasus rectus und obliquus haften. Größere Mannigfaltigkeit als die beiden ersten sich gegenüberstehenden Personen fordert aber die fernere dritte, und ihr Hauptkennzeichen war entweder s oder t, jenes vorzugsweise zur Bezeichnung des flüssigen Reflexivbegriffes, der sich auch dem Verbum suffigiert.

Außer dem belebenden Pronomen liegt die größte und eigentliche Kraft der Sprache im Verbum, das fast alle Wurzeln in sich darstellt.

Alle Verbalwurzeln, deren Anzahl im ersten Sprachzeitraum beim Beginn nicht über einige Hundert hinaus gereicht zu haben braucht, aber äußerst schnell wuchs, enthalten sinnliche Vorstellungen, aus welchen unmittelbar auch analoge und abstrakte knospen und sich erschließen konnten, wie z. B. dem Begriff des Atmens der des Lebens, dem des Ausatmens der des Sterbens entsprießt. Es ist ein folgenschwerer Satz, daß Licht und Schall aus denselben Wurzeln fließen.

Alle Verbalwurzeln wurden aber mit dem einfachsten Aufwand an Mitteln erfunden, indem ein Konsonant dem Vokal vor- oder nachtrat. Ob aus bloßem Vokal Wurzeln bestehn können, darf noch in Zweifel gezogen werden, da nach dem vorhin vom Wesen der Vokale und Konsonanten überhaupt Gesagten die Zeugung einer Wurzel von dem Sichvermählen beider Geschlechter abhängig scheint. Das Sanskrit kennt keine allein von kurzem a gebildete Wurzel, wogegen kurzes i als Wurzel für den Begriff gehn (die auch im lateinischen i, welches doch lang ist, bloßläge) und kurzes u als Wurzel für Tönen angenommen wird; ihnen beiden könnten aber Konsonanten abgefallen sein. Unter den mit Konsonant und Vokal gebildeten scheinen die konsonantisch anlautenden den konsonantisch auslautenden im Alter voranzugehn, weil auch den vokalisch auslautenden ein zweiter Konsonant allmählich zuzutreten pflegt, nicht den vokalisch anlautenden vorzutreten, z. B. neben der Wurzel mâ. ergibt sich eine zweite Wurzel mad, welche dem lateinischen metiri, unserm Messen entspricht. Etwas anderes ist, daß die wehenden Anlaute v, h und s vor Liquiden bald vorzutreten, bald abzufallen pflegen, was man nun für das Ältere halte: das Vortreten, denke ich.

Welchen Vokal und welchen Konsonant der Erfinder für ein Verbum nehmen wollte, lag, abgesehn von der natürlich vorbrechenden und sich geltend machenden organischen Gewalt des Lautes meist in seiner Willkür, die gar nicht stattgefunden hätte, wäre sie von jenem Einfluß immer und völlig abhängend, selbst aber mit feinerem oder gröberem Gefühl geübt werden konnte. In diesen einfachsten Bildungsgesetzen sehn wir also auch hier Notwendigkeit und Freiheit einander durchdringen. Wenn z. B. im Sanskrit die Wurzel pâ, gr. πιεῖν, sl. piti trinken ausdrückt, so hindert nichts, daß ein anderer Spracherfinder dafür auch oder ergriffen hätte. Ein großer Teil der indogermanischen Wurzeln hat bloß ein historisches Urrecht, dem nur organische Bestimmungen zutreten können. Doch instinktmäßig ist vorgesehn, daß in der einzelnen Sprache wenig oder gar keine gleichlautige Wurzeln für verschiedne Vorstellungen statthaben, d. h. von den Erfindern nicht mehrmals dieselben Laute für grundverschiedne Vorstellungen gewählt wurden, was unabsehbar verwirren müßte. Zu unterscheiden hiervon ist aber sorgsam die uns oft unerkannte und dunkle Verwandtschaft mehrfacher sinnlicher und abgezogner Begriffe, die aus den Buchstaben einer und derselben Wurzel erwachsen.

Ob und wieviel Wurzeln, die auf doppelten stummen Konsonant an- und auslauten, man im ersten Zeitraum gestatten dürfe, lassen die bisherigen Untersuchungen noch unentschieden.

An jedem Verbum können im zweiten Zeitraum Personen, Numerus, Tempus, Modus und Genus bezeichnet werden, die Personen durch angefügte persönliche Pronomina, die Tempora meistens durch Hilfswörter, die, ursprünglich lose angeschlossen, allmählich zur Flexion verwuchsen. Außer Bezeichnung der Vergangenheit durch ein solches Hilfswort, trat zu gleichem Zweck auch ein Wiederholen der Wurzel oder Reduplikation derselben ein, da das Vergangne natürlicherweise im Wiederholen seinen Ausdruck findet. Mit solcher reduplizierenden Form hängt aber nach Erlöschen der Reduplikationssilbe noch der deutsche Ablaut innig zusammen, und wie Diphthonge in Vokallängen sich verengen, tun es die Reduplikationen im Ablaut. In unsern deutschen, mit Ablaut gebildeten Präteriten darf demnach kein Hilfsverbum einverleibt gedacht werden.

Alle Nomina, d. h. die den Sachen beigelegten Namen oder Eigenschaften setzen Verba voraus, Aus dem Verbum Participium, aus Participium Adjektiv, aus Adjektiv Substantiv, aus Substantiv Partikel. deren sinnlicher Begriff auf jene angewandt wurde, z. B. unser Hahn, got. hana bezeichnet den krähenden Vogel, setzt also ein verlornes Verbum hanan voraus, das dem skr. kan, lat. canere entsprach, und dessen Ablaut got. hôn, ahd. huon uns zugleich über huon pullus gallinaceus nhd. Huhn ins klare bringt. Nicht anders führt sich der sl. Name des Hahns pjetel auf pjeti singen, der lit. gaidys auf giedmi zurück. Der Wind, lat. ventus, sl. vjetr, lit. vejas, skr. vâju heißt der Wehende von vâ, got. vaian spirare, genau wie ἄνεμος animus zum got. anan spirare, unser Geist zu einem alten geisan vento ferri gehören; den in vâju, vejas abgehenden Linguallaut haben ventus Wind vjetr, ebenso Geist eingeschaltet, wie es unzähligemal, z. B. auch in unserm Hund gegenüber dem lat. canis, gr. κύων geschah. Hier strömen Beispiele von allen Seiten ohne Ende zu. Unser heute verdunkeltes Bohne steht gleich dem lat. faba wurzellos, doch ergibt sich leicht, faba müsse aus fagba, Bohne, ahd. bôna, folglich ein got. bauna aus bagbana, bagbuna hervorgegangen sein, wozu auch das sl. bob gefügt werden darf; zu fagba, bagba lehrt uns dann das gr. φαγεῖν die rechte Wurzel: fagba war eßbare Frucht, wie auch fagus, unser ahd. puocha, nhd. Buche und gr. φακῆ Linse denselben Ursprung verraten.

Höchst natürlich und menschlich aber war, daß die Sprachfindung jedem Namen ein Geschlecht erteilte, wie es entweder an der Sache selbst ersichtlich vorlag oder ihr in Gedanken beigelegt werden konnte. In der Flexion wurde jedoch das männliche Genus am vollkommensten und rührigsten geprägt, das weibliche ruhiger und schwerer, so daß jenem mehr Konsonanzen und kurze Vokale, diesem lange zusagen, ein aus beiden erzeugtes Neutrum sich aber in die Eigenheiten beider teilt. Durch die Unterscheidung der Geschlechter wird mit dem glücklichsten Griff, wie durch einen Ruck, in alle Lagen, denen das Nomen unterzogen werden muß, Regel gebracht und Klarheit.

Diese Lagen sind zumal Verhältnisse des Kasus und Numerus. Während nämlich den geradestehenden, im Satz herrschenden Kasus ein Pronomen kennzeichnet, müssen die obliquen Kasus ihre räumlichen Begriffe durch Partikeln ausdrücken, die gleich jenen Auxiliären des Verbums dem Nomen hinzutreten, nach und nach fest mit ihm verwachsen mannigfache Flexionen erzeugen. Den Flexionen, als sie entsprangen, wird solcher Verengungen und Zusammenziehungen wegen überwiegend langer Vokal oder Diphthong zugestanden haben, und wie er sich verdünnte, die Flexion erblaßt sein. In den neueren Sprachen sehen wir endlich die erblichne Flexion fast oder ganz gewichen und von außen durch Artikel und Präpositionen ersetzt, welche uns ahnen lassen, daß die Flexion selbst einmal aus ähnlichen Bestandteilen hervorgegangen sein mußte. Wenn das franz. le loup und du loup dem lat. lupus und lupi gleichsteht, nachweislich aber aus ille lupus, de illo lupo entsprungen ist, so folgt, daß auch der Ausgang s ein Pronomen enthalten und die Flexion i auf eine volle ursprüngliche Form zurückgeleitet, eine Partikel erscheinen lassen werde.

Da nun die Partikeln selbst, mit Ausnahme der dem angebornen Organismus heimfallenden, halbtierischen Interjektionen, ursprünglich lebendige Nomina oder Pronomina waren, denen nach und nach abgezogne Funktionen beigelegt werden, so ist der Sprache lebendiger Kreislauf abgeschlossen.

Die Sprache kann einzelne und große Vorteile fahren lassen, z. B. das Medium und Passivum, den Optativ, viele Tempora und Kasus der Form nach aufgeben und sich dafür mit deutlicheren Umschreibungen schleppen oder auch den sinnlichen Ausdruck mit gar nichts ersetzen, z. B. die schöne, beholfne Dualform. Eine Zeitlang erreichten wir noch das skr. tschaksusî, das gr. ὄσσε durch »beide Augen«, das gr. χεροῖν durch »mit beiden Händen«, und der Beisatz erweist die Naturgemäßheit des alten Dualis, endlich genügte das bloße »Augen« und »Händen«.

Ich bin in raschen Umrissen über reichhaltige, unerschöpfliche, meinem Vortrag sich hier oft versagende Sprachverhältnisse geglitten, um noch für eine allgemeinere Betrachtung der angesetzten drei Perioden Raum zu gewinnen. Es ergibt sich, daß die menschliche Sprache nur scheinbar und von Einzelnem aus betrachtet im Rückschritt, vom Ganzen her immer im Fortschritt und Zuwachs ihrer innern Kraft begriffen angesehn werden müsse.

Unsere Sprache ist auch unsere Geschichte. Wie eines Volks, eines Reichs Grund gelegt wurde von einzelnen Geschlechtern, die sich vereinten, gemeinsame Sitten und Gesetze annahmen, im Bund handelten und den Umfang ihres Besitztums erweiterten, so forderte auch die Sitte einen findenden ersten Akt, aus dem alle nachfolgenden hergeleitet werden, auf den zurück sie sich beziehn. Die Dauer der Gemeinschaft legte hernach eine Menge von Abänderungen auf.

Den Stand der Sprache im ersten Zeitraum kann man keinen paradiesischen nennen in dem gewöhnlich mit diesem Ausdruck verknüpften Sinn irdischer Vollkommenheit; denn sie durchlebt fast ein Pflanzenleben, in dem hohe Gaben des Geistes noch schlummern oder nur halb erwacht sind. Ihre Schilderung darf ich etwa in folgende Züge zusammenfassen.

Ihr Auftreten ist einfach, kunstlos, voll Leben, wie das Blut in jugendlichem Leib raschen Umlauf hat. Alle Wörter sind kurz, einsilbig, fast nur mit kurzen Vokalen und einfachen Konsonanten gebildet, der Wortvorrat drängt sich schnell und dicht wie Halme des Grases. Alle Begriffe gehn hervor aus sinnlicher, ungetrübter Anschauung, die selbst schon ein Gedanke war, der nach allen Seiten hin leichte und neue Gedanken entsteigen. Die Verhältnisse der Wörter und Vorstellungen sind naiv und frisch, aber ungeschmückt durch nachfolgende, noch unangereihte Wörter ausgedrückt. Mit jedem Schritt, den sie tut, entfaltet die geschwätzige Sprache Fülle und Befähigung, aber sie wirkt im ganzen ohne Maß und Einklang. Ihre Gedanken haben nichts Bleibendes, Stetiges, darum stiftet diese frühste Sprache noch keine Denkmale des Geistes und verhallt wie das glückliche Leben jener ältesten Menschen ohne Spur in der Geschichte. Zahlloser Samen ist in den Boden gefallen, der die andere Periode vorbereitet.

In dieser haben alle Lautgesetze sich vervielfacht und glänzend aufgetan. Aus prachtvollen Diphthongen und ihrer Ermäßigung zu Vokallängen entspringt neben der noch waltenden Fülle der kurzen wohllautender Wechsel; auf solche Weise rücken auch Konsonanten, nicht mehr überall durch Vokale gesondert, aneinander und steigern Kraft und Gewalt des Ausdrucks. Wie aber die einzelnen Laute sich fester schließen, beginnen Partikeln und Auxiliare näher anzurücken und, indem sich der ihnen selbst einwohnende Sinn allmählich abschwächt, mit dem Wort, das sie bestimmen sollten, sich zu einigen. Statt der bei verminderter Sinneskraft der Sprache schwer überschaulichen Sonderbegriffe und unabsehbaren Wortreihen ergeben sich wohltätige Anhäufungen und Ruhepunkte, welche das Wesentliche aus dem Zufälligen, das Waltende aus dem Untergeordneten vortreten lassen. Die Wörter sind länger geworden und vielsilbig, aus der losen Ordnung bilden sich nun Massen der Zusammensetzung. Wie die einzelnen Vokale in Doppellaute, drängten die einzelnen Wörter sich in Flexionen, und wie der doppelte Vokal in dichter Verengung wurden auch die Flexionenbestandteile unkenntlich, aber desto anwendbarer. Zu fühllos gediehnen Anhängen gesellen sich neue deutlicher bleibende. Die gesamte Sprache ist zwar noch sinnlich reich, aber mächtiger an Gedanken und allem, was diese knüpft, die Geschmeidigkeit der Flexion sichert einen wuchernden Vorrat lebendiger und geregelter Ausdrücke. Um diese Zeit sehn wir die Sprache für Metrum und Poesie, denen Schönheit, Wohllaut und Wechsel der Form unerläßlich sind, aufs höchste geeignet, und die indische und griechische Poesie bezeichnen uns einen im rechten Augenblick erreichten, später unerreichbaren Gipfel in unsterblichen Werken.

Da nun aber die ganze Natur des Menschen, folglich auch die Sprache dennoch in ewigem, unaufhaltbarem Aufschwung begriffen sind, konnte das Gesetz dieser zweiten Periode der Sprachentwicklung nicht für immer genügen, sondern mußte dem Streben nach einer noch größeren Ungebundenheit des Gedankens weichen, welchem sogar durch die Anmut und Macht einer vollendeten Form Fessel angelegt schien. Mit welcher Gewalt auch in den Chören der Tragiker oder in Pindars Oden Worte und Gedanken sich verschlingen, es entspringt dabei das Gefühl einer der Klarheit Eintrag tuenden Spannung, die noch stärker in den indischen, Bild auf Bild häufenden Zusammensetzungen wahrnehmbar wird; aus dem Eindruck solcher wahrhaft übermächtigen Form trachtete der Sprachgeist sich zu entbinden, indem er den Einflüssen der Vulgaridiome nachgab, die bei dem wechselnden Geschick der Völker auf der Oberfläche wieder neubefruchtend vortauchten. Gegenüber dem seit Einführung des Christentums versinkenden Latein trieben auf anderer Schicht und Unterlage die Romansprachen empor, und neben ihnen machten sich im Laufe der Zeit die deutsche und die englische Sprache nicht einmal mit ihren ältesten Mitteln, sondern in der durch die bloße Kraft der Gegenwart bedingten Mischung Luft. Den reinen Vokalen war längst Trübung, die wir durch Umlaut, Brechung und noch auf andere dem Altertum unbekannte Weise bezeichnen, gefolgt, unserm Konsonantismus war beschieden, verschoben, entstellt und verhärtet zu sein. Man mag bedauern, daß die Reinheit des ganzen Lautsystems geschwächt fast aus der Fuge geriet; allein niemand wird auch verkennen, durch entsprungne Zwischentöne seien unerwartet neue Behelfe, mit welchen aufs freieste geschaltet werden konnte, zuwege gebracht worden. Eine Masse von Wurzeln wurde durch solche Lautänderungen verfinstert, fortan nicht mehr in ihrer sinnlichen Urbedeutung, nur für abgezogne Vorstellungen fort unterhalten; von den ehemaligen Flexionen ging das meiste verloren und wird durch reichere, freiere Partikeln ersetzt, vielmehr überboten, weil der Gedanke außer der Sicherheit auch an vielseitiger Wendung gewinnen kann. Wie schon die vier oder fünf griechischen und lateinischen Kasus an sich unvermögender erscheinen, als die vierzehn der finnischen Sprache, und dennoch mit aller solcher mehr scheinbaren als wirklichen Behendigkeit diese weniger ausrichtet, so ist auch unsern neuern Sprachen insgemein minder, als man glauben sollte, dadurch benommen, daß sie die überreiche Form des griechischen Verbums entweder unausgedrückt lassen oder, wo es daranliegt, umschreiben müssen.

Was das Gewicht und Ergebnis dieser Erörterungen angeht, so mag ich mit einem einzigen, aber entschiednen Beispiel ihrer beinah enthoben sein. Keine unter allen neuern Sprachen hat gerade durch das Aufgeben und Zerrütten alter Lautgesetze, durch den Wegfall beinah sämtlicher Flexionen eine größere Kraft und Stärke empfangen, als die englische, und von ihrer nicht einmal lehrbaren, nur lernbaren Fülle freier Mitteltöne ist eine wesentliche Gewalt des Ausdrucks abhängig geworden, wie sie vielleicht noch nie einer andern menschlichen Zunge zu Gebot stand. Ihre ganze überaus geistige, wunderbar geglückte Anlage und Durchbildung war hervorgegangen aus einer überraschenden Vermählung der beiden edelsten Sprachen des spätern Europas, der germanischen und romanischen, und bekannt ist, wie im Englischen sich beide zueinander verhalten, indem jene bei weitem die sinnliche Grundlage hergab, diese die geistigen Begriffe zuführte. Ja, die englische Sprache, von der nicht umsonst auch der größte und überlegenste Dichter der neuen Zeit im Gegensatz zur klassischen alten Poesie, ich kann natürlich nur Shakespeare meinen, gezeugt und getragen worden ist, sie darf mit vollem Recht eine Weltsprache heißen und scheint gleich dem englischen Volk ausersehn, künftig noch in höherem Maße an allen Enden der Erde zu walten. Denn an Reichtum, Vernunft und gedrängter Fuge läßt sich keine aller noch lebenden Sprachen ihr an die Seite setzen, auch unsere deutsche nicht, die zerrissen ist, wie wir selbst zerrissen sind, und erst manche Gebrechen von sich abschütteln müßte, ehe sie kühn mit in die Laufbahn träte: doch einige wohltuende Erinnerungen wird sie darbieten, und wer möchte ihr die Hoffnung abschneiden? Die Schönheit menschlicher Sprache blühte nicht im Anfang, sondern in ihrer Mitte; ihre reichste Frucht wird sie erst einmal in der Zukunft darreichen.

Wer aber kann dieser Zukunft heimliche Wege alle spähn? Einer großen Weltordnung angemessen war, daß im Lauf der Zeiten dichte Wälder wichen vor rankenden Reben und mehltragenden Halmen, die beim Anbau des Erdbodens immer breitere Strecken einnahmen; so auch scheinen unter auseinandergelaufnen, im weiten Raum zerarbeiteten, später sich wieder berührenden Sprachen endlich nur solche des Feldes Meister zu werden, die nährende Geistesfrucht gebracht und geboren hatten. Und statt daß von den Stufen jenes babylonischen Turms herab, der gen Himmel strebte, wie es ägyptische Pyramiden, griechische Tempelhallen und der Christen gewölbte Kirchen auch tun, alle Menschensprachen getrübt und zerrüttet ausgetreten sein sollen, könnten sie einmal in unabsehbarer Zeit rein und lauter zusammenfließen, ja manches Edle in sich aufnehmen, was jetzt in den Sprachen verwilderter Stämme wie zertrümmert liegt.

Nicht starr und ewig wirkendem Naturgesetz, wie des Lichts und der Schwere, anheimgefallen waren die Sprachen, sondern menschlicher Freiheit in die warme Hand gegeben, sowohl durch blühende Kraft der Völker gefördert als durch deren Barbarei niedergehalten, bald fröhlich gedeihend, bald in langer, magerer Brache stockend. Nur insofern überhaupt unser Geschlecht am Widerstreit des Freien und Notwendigen unausweichlichen Einflüssen einer außerhalb ihm selbst waltenden Macht unterliegt, werden auch in der menschlichen Sprache Vibration, Abdämpfung oder Graviation dürfen gewahrt werden.

Wohin uns aber ihre Geschichte den Blick auftut, erscheinen lebendige Regungen, fester Halt und weiches, nachgiebiges Gelenk, unablässiges Recken und Falten der Flügel, ungestillter Wechsel, der noch nie zum letzten Abschluß gelangen ließ; alles verbürgt uns, daß die Sprache Werk und Tat der Menschen ist, Tugenden und Mängel unserer Natur an sich trägt. Ihre Gleichförmigkeit wäre undenkbar, da dem neu Hinzutretenden und Nachwachsenden ein Spielraum offenstehn mußte, dessen nur das ruhig Fortbestehende nicht bedarf. Im langen, unabsehbaren Gebrauch sind die Wörter zwar gefestigt und geglättet, aber auch vernutzt und abgegriffen worden oder durch die Gewalt zufälliger Ereignisse verloren gegangen. Wie die Blätter vom Baume, fallen sie von ihrem Stamm zu Boden und werden von neuen Bildungen überwachsen und verdrängt: die ihren Stand behaupteten, haben so oft Farbe und Bedeutung gewechselt, daß sie kaum mehr zu erkennen sind. Für die meisten Einbußen und Verluste pflegt aber beinah auf der Stelle und von selbst sich Ersatz und Ausgleichung darzubieten. Das ist das stille Auge jenes hütenden Sprachgeistes, der ihr alle Wunden über Nacht heilt und schnell vernarben läßt, alle ihre Angelegenheiten ordnet und vor Verwirrung bewahrt, nur daß er einzelnen Sprachen seine höchste Gunst, andern geringere erwiesen hat. Das ist auch, wenn man will, eine Naturgrundkraft, die aus den uns angebornen, eingepflanzten Urlauten unerschöpflich hervorquillt, dem menschlichen Sprachbau sich vermählt, jede Sprache in ihre Arme schließt. Doch jenes Lautvermögen steht zum Sprachvermögen wie der Leib zur Seele, welche das Mittelalter treffend die Herrin, den Leib den Kämmerer oder das Kammerweib nannte.

Von allem, was die Menschen erfunden und ausgedacht, bei sich gehegt und einander überliefert, was sie im Verein mit der in sie gelegten und geschaffnen Natur hervorgebracht haben, scheint die Sprache das größte, edelste und unentbehrlichste Besitztum. Unmittelbar aus dem menschlichen Denken emporgestiegen, sich ihm anschmiegend, mit ihm Schritt haltend, ist sie allgemeines Gut und Erbe geworden aller Menschen, das sich keinem versagt, dessen sie gleich der Luft zum Atmen nicht entraten könnten, ein Erwerb, der uns zugleich leicht und schwer fällt. Leicht, weil von Kindesbeinen an die Eigenheiten der Sprache unserm Wesen eingeprägt sind und wir unvermerkt der Gabe der Rede uns bemächtigen, wie wir Gebärden und Mienen einander absehn, deren Abstufung endlos ähnlich und verschieden ist gleich der der Sprache. Poesie, Musik und andere Künste sind nur bevorzugter Menschen, die Sprache ist unser aller Eigentum, und doch bleibt es höchst schwierig, sie vollständig zu besitzen und bis auf das Innerste zu ergründen. Die große Menge reicht etwa schon mit dem halben Vorrat der Wörter oder mit noch weniger aus.

Musik, aus totem Instrument geweckt, mit ihrem schweifenden, gleitenden, mehr gefühlten als verstandnen Ausdruck, steht der alle Gedanken deutlich fastenden, bestimmt greifenden, gegliederten Sprache entgegen, im Gesang aber tritt sie gesprochnen Worten hinzu und gibt ihnen feierliches Geleit. Solchen herzerhebenden Menschengesang vergleichen mag man dem der Vögel, welcher über das Bedürfnis tierischer Schreie hinaus tiefer anhaltende Empfindung bekundet, wie auch einzelne gelehrige Vögel ihnen oft wiederholte Weisen ablauschen und herpfeifen. Dennoch, so beseelt er scheine, ist der süße Nachtigallenschlag immer derselbe und nur angeborne, unwandelbare Fertigkeit, unsere Musik aber aus dem Gefühl und der Phantasie der Menschen hervorgegangen, überall verschieden. In Zeichen gesetzt, kann das Lied nachgesungen, die Musik nachgespielt, wie das Wort aus dem Buch gelesen werden. Die Sprachmaschine, von der ich oben redete, ging davon aus, die Menschensprache weniger im Gedanken als im Wortschall nachzuahmen und physiologisch hinter den Mechanismus der Grundlaute zu kommen.

Darin aber, daß Musik, was ihr Name andeutet, und Poesie einer höheren Eingebung beigelegt, göttlich oder himmlisch genannt werden, Zeugnis für der Sprache übermenschlichen Ursprung zu suchen, scheint schon darum unstatthaft, weil die Sprache, bei welcher eine gleiche Annahme gebricht, jenen beiden notwendig voranging. Denn aus betonter, gemessener Rezitation der Worte entsprangen Gesang und Lied, aus dem Lied die andere Dichtkunst, aus dem Gesang durch gesteigerte Abstraktion alle übrige Musik, die nach aufgegebnem Wort geflügelt in solche Höhe schwimmt, daß ihr kein Gedanke sicher folgen kann. Wer nun Überzeugung gewonnen hat, daß die Sprache freie Menschenerfindung war, wird auch nicht zweifeln über die Quelle der Poesie und Tonkunst in Vernunft, Gefühl und Einbildungskraft des Dichters. Viel eher dürfte die Musik ein Sublimat der Sprache heißen, als die Sprache ein Niederschlag der Musik.

Traun, geheimnisvoll und wunderbar ist der Sprache Ursprung, doch rings umgeben von andern Wundern und Geheimnissen. Schwerlich ein kleineres liegt in dem der Sage, die bei allen Völkern über den ganzen Erdboden in gleicher Unermessenheit und Abwechslung zuckt und auftaucht, durch lange Gemeinschaft der Menschen erwachsen und weit fortgepflanzt worden sein muß. Nicht sowohl in ihrem Wesen selbst beruht das Rätsel der Sprache, als vielmehr in unserer schwachen Kunde von dem ersten Zeitraum ihrer Erscheinung, da sie noch in der Wiege lag, den ich dadurch mir zu verdeutlichen strebte, daß ich kunstlose Einfachheit sinnlicher Entfaltung als sein Merkmal setzte: um diesen Angel dreht sich meine ganze Vorstellung, darin unterscheide ich mich von meinen Vorgängern. War uns das Wesen der Flexion nicht auch in Dunkel gehüllt, ehe eine Decke nach der andern davon weggezogen wurde? Zahllose Begebenheiten selbst aus historischer Zeit sind erst dem Auge des Geschichtsforschers klar geworden, des Menschengeschlechts älteste Geschichte lagert verborgen gleich der seiner Sprache, und nur die Sprachforschung wird Lichtstrahlen darauf zurückwerfen.

Eine Sprache ist schöner und scheint ergiebiger als die andere; dem Dichter verschlägt es nichts, und er weiß geringen Mitteln dennoch große Wirkung zu entlocken, wie aus grauem Gefieder entzückende Stimme schallt. Auch die nordischen Skalden verstanden sich auf kunstreiche Liederform und türmten Band auf Band, Bild auf Bild: ist man eingedrungen in ihre Weise, so läßt sie bald leer, weil immer nur von Kampf, Sieg und Milde gesungen wird, Pindar regt aber alle Saiten der Seele an. Ein Mythus ist tiefer und lieblicher als der andere, doch am stärksten ergreift uns der, um welchen die größte Fülle der Poesie erwachsen war; gegen den griechischen, dessen Grundlage er oft bilden soll, verliert der ägyptische, weil er fast nur Samen und Frucht darreicht, Laub und Blüte der Dichtkunst ihm ganz mangeln. In der gesamten Poesie steht aber nichts seiner Anlage und Entfaltung nach der Sprache so nah und ebenbürtig als das Epos, und auch es muß von einfachem Boden zur Höhe sich aufgeschwungen haben, die wir an ihm bewundern. Wer in ihm und in den edelsten Denkmälern menschlicher Dichtung und Sprache nur geschwächten Widerschein oder Abglanz gewaltigerer Gestaltungen, die der Welt entschwunden seien, sehen wollte, erklärte damit weniger als nichts, weil das, worauf zurückgeschoben wird, stände es irgend zu erlangen, noch lauter nach Erklärung schrie.

Ich gedachte hier zuletzt aufzuwerfen, inwiefern mit der im vorausgehenden fast einzig und allein ins Auge gefaßten indogermanischen Sprache die andern Zungen der Erde aus einer und derselben Quelle dürfen abgeleitet werden oder nicht? Wesentlich würde das über den allgemeinen Ursprung aller gewonnene Ergebnis dadurch nicht verändert werden: doch hinter dem außerordentlichen kaum sich abgrenzenden Umfang einer solchen auch nur angerührten Untersuchung, selbst wenn ich beispielsweise sie auf den Verhalt der finnischen Sprache zu jener, worüber ich verschiedentlich nachgedacht habe, einschränken wollte, müßten meine Kräfte bleiben. Bei dem Fortgang historischer Forschungen, wenn sie sich zu allen bedeutenden Sprachgeschlechtern der Erde gewendet haben, werden große Aufschlüsse für das hier Erörterte und hoffentlich zugunsten des von mir Gefundnen sich einmal ergeben. Jetzt aber würde ich doch nur das Wasser getrübt haben für fremde Fischer.

Enden kann ich nicht, ohne vorher dem Genius des Mannes zu huldigen, der, was ihm an Tiefe der Forschung oder Strenge der Gelehrsamkeit abging, durch sinnvollen Takt, durch reges Gefühl der Wahrheit ersetzend, wie manche andere auch die schwierige Frage nach der Sprache Ursprung bereits so erledigt hatte, daß seine erteilte Antwort immer noch zutreffend bleibt, wenn sie gleich mit andern Gründen, als ihm dafür schon zu Gebot standen, aufzustellen und zu bestätigen ist.


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