Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen
Simplicius Simplicissimus
Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen

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Das 10. Kapitel

Simplicius überstehet ein unlustig Bad im Rhein

Noch ein paar Stücklein will ich erzählen, ehe ich sage, wie ich wieder von der Muskete erlöset worden; eins von großer Leib- und Lebensgefahr, daraus ich durch Gottes Gnad entronnen, das ander von der Seelengefahr, darinnen ich hartnäckiger Weis stecken blieb, denn ich will meine Untugenden so wenig verhehlen als meine Tugenden, damit nicht allein meine Histori ziemlich ganz sei, sondern der ohngewanderte Leser auch erfahre, was für seltsame Kauzen es in der Welt gibt.

Wie zu End des vorigen Kapitels gemeldet, so durfte ich auch mit andern auf Partei, so in Garnisonen nit jedem liederlichen Kunden, sondern rechtschaffenen Soldaten gegönnet wird: Also gingen nun unser neunzehn einsmals miteinander durch die Unter-Markgrafschaft hinauf, oberhalb Straßburg einem baslerischen Schiff aufzupassen, wobei heimlich etliche weimarische Offizierer und Güter sein sollten. Wir kriegten überhalb Ottenheim ein Fischernachen, uns damit überzusetzen und in ein Werder zu legen, so gar vorteilhaftig lag, die ankommenden Schiff ans Land zu zwingen, maßen zehen von uns durch den Fischer glücklich übergeführt wurden; als aber einer aus uns, der sonst wohl fahren konnte, die übrigen neune, darunter ich mich befand, auch holte, schlug der Nachen ohnversehens um, daß wir also urplötzlich miteinander im Rhein lagen. Ich sah mich nit viel nach den andern um, sondern gedachte auf mich selbst. Ob ich mich nun zwar aus allen Kräften spreizte und alle Vorteil der guten Schwimmer brauchte, so spielte dennoch der Strom mit mir wie mit einem Ballen, indem er mich bald über- bald untersich in Grund warf, ich hielt mich so ritterlich, daß ich oft über ihn kam, Atem zu schöpfen; wäre es aber um etwas kälter gewesen, so hätte ich mich nimmermehr so lang enthalten und mit dem Leben entrinnen können: Ich versuchte oft ans Ufer zu gelangen, so mir aber die Wirbel nit zuließen, als die mich von einer Seite zur andern warfen, und ob ich zwar in Kürze unter Goldscheur kam, so wurde mir doch die Zeit so lang, daß ich schier an meinem Leben verzweifelte. Demnach ich aber die Gegend bei dem Dorf Goldscheur passiert hatte und mich bereits drein ergeben, ich würde meinen Weg durch die Straßburger Rheinbrücke entweder tot oder lebendig nehmen müssen, wurde ich eines großen Baums gewahr, dessen Äste unweit vor mir aus dem Wasser hervorreichten, der Strom ging streng und recta drauf zu, derhalben wandte ich alle übrigen Kräfte an, den Baum zu erlangen, welches mir denn trefflich glückte, also daß ich beides durchs Wasser und meine Mühe auf den größten Ast, den ich anfänglich für einen Baum angesehen, zu sitzen kam, derselbe wurde aber von den Strudeln und Wellen dergestalt tribuliert, daß er ohn Unterlaß auf- und niederknappen mußte, und derhalben mein Magen also erschüttert, daß ich Lung und Leber hätte ausspeien mögen. Ich konnte mich kümmerlich darauf halten, weil mir ganz seltsam vor den Augen wurde, ich hätte mich gern wieder ins Wasser gelassen, befand aber wohl, daß ich nit Manns genug wäre, nur den hunderten Teil solcher Arbeit auszustehen, dergleichen ich schon überstritten hatte, mußte derowegen verbleiben und auf ein ungewisse Erlösung hoffen, die nur Gott ungefähr schicken müßte, da ich anderst mit dem Leben davonkommen sollte. Aber mein Gewissen gab mir hierzu einen schlechten Trost, indem es mir vorhielt, daß ich solche gnadenreiche Hilfe nun ein paar Jahr her so liederlich verscherzt; jedoch hoffte ich ein Bessers und fing so andächtig an zu beten, als ob ich in einem Kloster erzogen worden wäre; ich setzte mir vor, inskünftig frömmer zu leben, und tat unterschiedliche Gelübde: Ich widersagte dem Soldatenleben und verschwor das Parteigehen auf ewig, schmiß auch meine Patrontasch samt dem Ranzen von mir und ließ mich nit anderst an, als ob ich wieder ein Einsiedel werden, meine Sünden büßen und der Barmherzigkeit Gottes für meine hoffende Erlösung bis in mein End danken wollte: Und indem ich dergestalt auf dem Ast bei zwei oder drei Stunden lang zwischen Furcht und Hoffnung zugebracht, kam dasjenige Schiff den Rhein herunter, dem ich hätte aufpassen helfen sollen. Ich erhub meine Stimm erbärmlich und schrie um Gottes und des jüngsten Gerichts willen um Hilf, und nachdem sie unweit von mir vorüberfahren mußten, und dahero meine Gefahr und elenden Stand desto eigentlicher sahen, wurde jeder im Schiff zur Barmherzigkeit bewegt, maßen sie gleich ans Land fuhren, sich zu unterreden, wie mir möchte zu helfen sein.

Weil denn wegen der vielen Wirbel, die es rund um mich herum gab und von den Wurzeln und Ästen des Baums verursacht wurden, ohne Lebensgefahr weder zu mir zu schwimmen noch mit großen und kleinen Schiffen zu mir zu fahren war, also erforderte meine Hilf lange Bedenkzeit; wie aber mir unterdessen zumut gewesen, ist leicht zu erachten: Zuletzt schickten sie zween Kerl mit einem Nachen oberhalb meiner in den Fluß, die mir ein Seil zufließen ließen und das eine End davon bei sich behielten, das ander End aber bracht ich mit großer Mühe zuwegen und band es um meinen Leib so gut ich konnte, daß ich also an demselben wie ein Fisch an einer Angelschnur in den Nachen gezogen und auf das Schiff gebracht wurde.

Da ich nun dergestalt dem Tod entronnen, hätte ich billig am Ufer auf die Knie fallen und der göttlichen Güte für meine Erlösung danken, auch sonst mein Leben zu bessern einen Anfang machen sollen, wie ich denn solches in meinen höchsten Nöten gelobt und versprochen. Ja hintersich naus! Denn da man mich fragte, wer ich sei? und wie ich in diese Gefahr geraten wäre? fing ich an, diesen Burschen vorzulügen, daß der Himmel hätte erschwarzen mögen; denn ich dachte, wenn du ihnen sagst, daß du sie hast plündern helfen wollen, so schmeißen sie dich alsbald wieder in Rhein; gab mich also für einen vertriebenen Organisten aus und sagte, nachdem ich auf Straßburg gewollt, um über Rhein irgendeinen Schul- oder andern Dienst zu suchen, hätte mich eine Partei ertappt, ausgezogen und in den Rhein geworfen, welcher mich auf gegenwärtigen Baum geführt. Und nachdem ich diese meine Lügen wohl füttern konnte, zumalen auch mit Schwüren bekräftigte, wurde mir geglaubt und mit Speis und Trank alles Gute erwiesen, mich wieder zu erquicken, wie ichs denn trefflich vonnöten hatte.

Beim Zoll zu Straßburg stiegen die meisten ans Land, und ich mit ihnen, da ich mich denn gegen dieselben hoch bedankte und unter andern eines jungen Kaufherrn gewahr wurde, dessen Angesicht, Gang und Gebärden mir zu erkennen gaben, daß ich ihn zuvor mehr gesehen, konnte mich aber nicht besinnen, wo? vernahm aber an der Sprach, daß es eben derjenige Kornett war, so mich hiebevor gefangen bekommen, ich wußte aber nicht zu ersinnen, wie er aus einem so braven jungen Soldaten zu einem Kaufmann worden, vornehmlich weil er ein geborner Kavalier war: die Begierde zu wissen, ob mich meine Augen und Ohren betrügen oder nicht, trieben mich dahin, daß ich zu ihm ging, und sagte: »Monsieur Schönstein, ist Er's oder ist Er's nicht?« Er aber antwort: »Ich bin keiner von Schönstein, sondern ein Kaufmann«; da sagte ich: »So bin ich auch kein Jäger von Soest nit, sondern ein Organist oder vielmehr ein landläufiger Bettler!« »O Bruder«, sagt' hingegen jener, »was Teufels machst du, wo ziehest du herum?« Ich sagte: »Bruder, wenn du vom Himmel versehen bist, mir das Leben erhalten zu helfen, wie nun zum zweitenmal geschehen ist, so erfordert ohn Zweifel mein Fatum, daß ich alsdann nit weit von dir sei.« Hierauf nahmen wir einander in die Arm, als zwei getreue Freund, die hiebevor beiderseits versprochen, einander bis in Tod zu lieben. Ich mußte bei ihm einkehren, und alles erzählen wie mir ergangen, seit ich von L. nach Köln verreist, meinen Schatz abzuholen, verschwieg ihm auch nit, wasgestalt ich mit einer Partei ihrem Schiff hätte aufpassen wollen und wie es uns drüber erging; aber wie ich zu Paris gehaust, davon schwieg ist stockstill, denn ich sorgte, er möchte es zu L. ausbringen und mir deswegen bei meinem Weib einen bösen Rauch machen. Hingegen vertraute er mir, daß er von der hessischen Generalität zu Herzog Bernhard, dem Fürsten von Weimar, geschickt worden, wegen allerhand Sachen von großer Importanz, das Kriegswesen betreffend, Relation zu tun und künftiger Kampagne und Anschläg halber zu konferieren, welches er nunmehr verrichtet und in Gestalt eines Kaufmanns, wie ich denn vor Augen sähe, auf der Zurückreis begriffen sei. Benebens erzählte er mir auch, daß meine Liebste bei seiner Abreis großen Leibs und neben ihren Eltern und Verwandten noch in gutem Wohlstand gewesen; item daß mir der Obrist das Fähnlein noch aufhalte, und vexierte mich daneben, weil mich die Urschlechten so verderbt hätten, daß mich weder mein Weib noch das andere Frauenzimmer zu L. für den Jäger mehr annehmen werde, etc. Demnach redten wir miteinander ab, daß ich bei ihm verbleiben und mit solcher Gelegenheit wieder nach L. kehren sollte, so ein erwünschte Sach für mich war. Und weil ich nichts als Lumpen an mir hatte, streckt' er mir etwas an Geld vor, damit ich mich wie ein Gadendiener montierte.

Man sagt aber, wenn ein Ding nit sein soll, so geschiehts nicht, das erfuhr ich auch, denn da wir den Rhein hinunterfuhren und das Schiff zu Rheinhausen visitiert wurde, erkannten mich die Philippsburger, welche mich wieder anpackten und nach Philippsburg führten, allda ich wieder wie zuvor einen Musketierer abgeben mußte, welches meinen guten Kornett ja so sehr verdroß als mich selbsten, weil wir uns wieder scheiden mußten, so durfte er sich auch meiner nicht hoch annehmen, denn er hatt' mit sich selbst zu tun sich durchzubringen.


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