Franz Grillparzer
Das goldene Vließ
Franz Grillparzer

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Fünfter Aufzug

Vorhof von Kreons Burg wie im vorigen Aufzuge. Die Wohnung des Königs im Hintergrunde ausgebrannt und noch rauchend. Mannigfach beschäftigtes Volk füllt den Schauplatz. Morgendämmerung.

Der König schleppt Gora aus dem Palaste. Mehrere Dienerinnen Kreusas hinter ihm her.

König.
Heraus mit dir! Du warst's, die meiner Tochter
Das Blutgeschenk gebracht, das sie verdarb!
O Tochter! O Kreusa, du mein Kind!
(Gegen die Dienerinnen.)
Die war's?

Gora.
        Ich war's. Unbewußt
Trug ich den Tod in dein Haus.

König.
        Unbewußt?
O glaube nicht, der Strafe zu entgehn!

Gora.
Meinst du, mich schrecket deine Strafe?
Ich hab gesehn mit diesen meinen Augen
Die Kinder liegen tot in ihrem Blut,
Erwürgt von der, die sie gebar,
Von der, die ich erzog, Medea,
Seitdem dünkt Scherz mir jeder andre Greu'l!

König.
Kreusa! Oh, mein Kind! Du Reine! Treue! –
Erbebte dir die Hand nicht, Ungeheuer?
Als du den Tod hintrugst in ihre Nähe.

Gora.
Um deine Tochter klag ich nicht. Ihr ward ihr Recht!
Was griff sie nach des Unglücks letzter Habe?
Ich klag um meine Kinder, meine Lieben,
Die ich gesehn, von Mutterhänden tot.
Ich wollt', ihr läget allesamt im Grab
Mit dem Verräter, der sich Jason nennt,
Ich aber wär' in Kolchis mit der Tochter
Und ihren Kindern; hätt' euch nie gesehn,
Nie eure Stadt, die Unheil trifft mit Recht.

König.
Du legst den Trotz wohl ab, wenn ich dich treffe!
Allein ist's auch gewiß, daß tot mein Kind?
So viele sagen's; keine hat's gesehn!
Kann man dem Feuer nicht entrinnen?
Wächst Flamme denn so schnell? Nur langsam,
Nur zögernd kriecht sie an den Sparren fort.
Wer weiß das nicht? Und dennoch wär' sie tot?
Stand erst so blühend, lebend vor mir da,
Und wär' nun tot? Ich kann's, ich darf's nicht glauben!
Die Augen wend ich unwillkürlich hin
Und immer glaub ich, jetzt und jetzt und jetzt
Muß sie sich zeigen, weiß in ihrer Schönheit
Herniedergleitend durch die schwarzen Trümmer.
Wer war dabei? Wer sah es? – Du? – So sprich!
Dreh nicht die Augen so im Kopf herum!
Mit Worten töte mich! – Ist sie dahin?

Magd.
Dahin!

König.
        Du sahst's?

Magd.
                Ich sah's. Sah wie die Flamme,
Hervor sich wälzend aus dem Goldgefäß,
Nach ihr –

König.
        Genug! – Sie sah's! – Sie ist nicht mehr!
Kreusa! O mein Kind! O meine Tochter! –
Einst – noch als Kind – verbrannte sie die Hand
Am Opferherd und qualvoll schrie sie auf.
Hin stürz ich, fasse sie in meinen Arm
Die heißen Finger mit den Lippen hauchend.
Da lächelt sie, trotz ihren bittern Tränen
Und leise schluchzend spricht sie: 's ist nicht viel
Was tut der Schmerz? Nur brennen, brennen nicht!
Und nun – (Zu Gora.) Wenn ich das Schwert hier zwanzigmal
Dir stoß in deinen Leib – was ist's dagegen?
Und wenn ich sie, die Gräßliche! – Wo ist sie,
Die mir mein Kind geraubt?
        ich schüttle dir
Die Antwort mit der Seel' aus deinem Mund
Wenn du mir nicht gestehst: wo ist sie hin?

Gora.
Ich weiß es nicht und mag es auch nicht wissen!
Geh' unbegleitet sie in ihr Verderben.
Was weilt ihr? Tötet mich! Ich mag nicht leben!

König.
Das findet sich; doch eher noch gestehst du!

Jason (hinter der Szene).
Wo ist sie? Gebt sie mir heraus! Medea
(mit dem bloßen Schwerte in der Hand auftretend)
Man sagt mir, sie ward eingeholt! Wo ist sie?
Du hier? Und wo ist deine Herrin?

Gora.
        Fort!

Jason.
Hat sie die Kinder?

Gora.
        Nein!

Jason.
                So sind sie? –

Gora.
                        Tot!
Ja tot! du heuchelnder Verräter! – Tot!
Sie wollte sie vor deinem Anschaun retten,
Und da dir nichts zu heilig auf der Erde
Hat sie hinabgeflüchtet sie ins Grab.
Steh nur und starre nur den Boden an!
Du rufst es nicht herauf das liebe Paar.
Sie sind dahin und dessen freu ich mich!
Nein dessen nicht! – Doch daß du drob verzweifelst
Des freu ich mich! – Du heuchelnder Verräter,
Hast du sie nicht dahin gebracht? Und du,
Du falscher König, mit der Gleisnermiene? –
Habt ihr es nicht umstellt mit Jägernetzen
Des schändlichen Verrats, das edle Wild,
Bis ohne Ausweg, in Verzweiflungswut
Es, überspringend euer Garn, die Krone,
Des hohen Hauptes königlichen Schmuck
Mißbraucht zum Werkzeug ungewohnten Mords.
Ringt nur die Hände, ringt sie ob euch selbst!
(Zum König.)
Dein Kind, was sucht' es einer andern Bett?
(Zu Jason.)
Was stahlst du sie, hast du sie nicht geliebt?
Und liebtest du sie, was verstößt du sie?
Laßt andre, mich laßt ihre Tat verdammen
Euch beiden widerfuhr nur euer Recht.
Ihr spottet nun nicht mehr der Kolcherin. –
Ich mag nicht länger leben auf der Erde
Zwei Kinder tot, das dritte hassenswert.
Führt mich nur fort und, wollt ihr, tötet mich.
Auf etwas Jenseits hoff ich nun gewiß,
Hab ich gesehn doch, daß Vergeltung ist.

(Sie geht ab von einigen begleitet.)

(Pause.)

König.
Tat ich ihr Unrecht – bei den hohen Göttern
Ich hab es nicht gewollt! – Nun hin zu jenen Trümmern,
Daß wir die Reste suchen meines Kindes
Und sie bestatten in der Erde Schoß. (Zu Jason.)
Du aber geh, wohin dein Fuß dich trägt.
Befleckter Nähe, merk ich, ist gefährlich.
Hätt' ich dich nie gesehn, dich nie genommen
Mit Freundestreue in mein gastlich Haus.
Du hast die Tochter mir genommen! Geh
Daß du nicht auch der Klage Trost mir nimmst!

Jason.
Du stößt mich fort?

König.
        Ich weise dich von mir.

Jason.
Was soll ich tun?

König.
        Das wird ein Gott dir sagen!

Jason.
Wer leitet meinen Tritt? Wer unterstützt mich?
Mein Haupt ist wund, verletzt von Brandes Fall!
Wie, alles schweigt? Kein Führer, kein Geleitet?
Folgt niemand mir, dem einst so viele folgten?
Geht, Schatten meiner Kinder denn voran
Und leitet mich zum Grab, das meiner harrt.
(Er geht.)

König.
Nun auf, ans Werk! Dann Trauer ewiglich!
(Nach der andern Seite ab.)

Wilde, einsame Gegend von Wald und Felsen umschlossen, mit einer Hütte. Der Landmann auftretend.

Landmann.
Wie schön der Morgen aufsteigt. Güt'ge Götter!
Nach all den Stürmen dieser finstern Nacht
Hebt eure Sonne sich in neuer Schönheit.
(Er geht in die Hütte.)

(Jason kommt wankend, auf sein Schwert gestützt.)

Jason.
Ich kann nicht weiter! Weh! Mein Haupt – es brennt –
Es glüht das Blut – am Gaumen klebt die Zunge!
Ist niemand da? Soll ich allein verschmachten?
Hier ist die Hütte, die mir Obdach bot
Als ich, ein reicher Mann, ein reicher Vater
Hierherkam, neuerwachter Hoffnung voll!
(Anpochend.)
Nur einen Trunk! Nur einen Ort zum Sterben!

(Der Landmann kommt heraus.)

Landmann.
Wer pocht? – Wer bist du Armer? todesmatt?

Jason.
Nur Wasser! Einen Trunk! – Ich bin der Jason!
Des Wunder-Vlieses Held! Ein Fürst! Ein König!
Der Argonauten Führer Jason, ich!

Landmann.
Bist du der Jason? so heb dich von hinnen.
Beflecke nicht mein Haus, da du's betrittst.
Hast meines Königs Tochter du getötet
Nicht fordre Schutz vor seines Volkes Tür.
(Er geht hinein, die Türe schließend.)

Jason.
Er geht und läßt mich liegen hier am Weg!
Im Staub, getreten von des Wandrers Füßen!
Dich ruf ich: Tod, führ mich zu meinen Kindern!
(Er sinkt nieder.)

(Medea tritt hinter einem Felsenstück hervor und steht mit einemmal vor ihm, das Vlies wie einen Mantel um ihre Schultern tragend.)

Medea.
Jason!

Jason (halb emporgerichtet).
        Wer ruft? – Ha! seh ich recht? Bist du's?
Entsetzliche! Du trittst noch vor mich hin?
Mein Schwert! Mein Schwert!
(Er will aufspringen, sinkt aber wieder zurück.)
        O weh mir! Meine Glieder
Versagen mir den Dienst! – Gebrochen! – Hin!

Medea.
Laß ab! Du triffst mich nicht! Ich bin ein Opfer
Für eines andern Hand als für die deine!

Jason.
Wo hast du meine Kinder?

Medea.
        Meine sind's!

Jason.
Wo hast du sie?

Medea.
        Sie sind an einem Ort
Wo ihnen besser ist, als mir und dir.

Jason.
Tot sind sie, tot!

Medea.
        Dir scheint der Tod das Schlimmste;
Ich kenn ein noch viel Ärgres: elend sein.
Hätt'st du das Leben höher nicht geachtet
Als es zu achten ist, uns wär' nun anders.
Drum tragen wir! Den Kindern ist's erspart!

Jason.
Das sagst du und stehst ruhig?

Medea.
        Ruhig? Ruhig?
Wär' dir mein Busen nicht auch jetzt verschlossen,
Wie er dir's immer war, du sähst den Schmerz
Der endlos wallend wie ein brandend Meer
Die einzeln Trümmer meines Leids verschlingt
Und sie, verhüllt im Greuel der Verwüstung,
Mit sich wälzt in das Unermeßliche.
Nicht traur' ich, daß die Kinder nicht mehr sind
Ich traure, daß sie waren und daß wir sind.

Jason.
O weh mir, weh!

Medea.
        Du trage, was dich trifft,
Denn wahrlich, unverdient trifft es dich nicht!
Wie du vor mir liegst auf der nackten Erde,
So lag ich auch in Kolchis einst vor dir,
Und bat um Schonung, doch du schontest nicht!
Mit blindem Frevel griffst du nach den Losen,
Ob ich dir zurief gleich: du greifst den Tod.
So habe denn was trotzend du gewollt:
Den Tod. Ich aber scheide jetzt von dir;
Auf immerdar. Es ist das letztemal
In alle Ewigkeit das letztemal
Daß ich zu dir nun rede mein Gemahl.
Leb wohl. Nach all den Freuden frührer Tage,
In all den Schmerzen, die uns jetzt umnachten,
Zu all dem Jammer, der noch künftig droht
Sag ich dir Lebewohl, mein Gatte.
Ein kummervolles Dasein bricht dir an,
Doch was auch kommen mag: Halt aus!
Und sei im Tragen stärker als im Handeln.
Willst du im Schmerz vergehn, so denk an mich
Und tröste dich an meinem größern Jammer,
Die ich getan, wo du nur unterlassen.
Ich geh hinweg, den ungeheuern Schmerz
Fort mit mir tragend in die weite Welt.
Ein Dolchstoß wäre Labsal, doch nicht so!
Medea soll nicht durch Medeen sterben,
Mein frühres Leben, eines bessern Richters
Macht es mich würdig, als Medea ist.
Nach Delphi geh ich. An des Gottes Altar
Von wo das Vlies einst Phryxus weggenommen
Häng ich, dem dunkeln Gott das Seine gebend,
Es auf, das selbst die Flamme nicht verletzt
Und das hervorging ganz und unversehrt
Aus der Korintherfürstin blut'gem Brande;
Dort stell ich mich den Priestern dar, sie fragend,
Ob sie mein Haupt zum Opfer nehmen an,
Ob sie mich senden in die ferne Wüste
In längerm Leben findend längre Qual.
Erkennst das Zeichen du, um das du rangst?
Das dir ein Ruhm war und ein Glück dir schien?
Was ist der Erde Glück? – Ein Schatten!
Was ist der Erde Ruhm? – Ein Traum!
Du Armer! der von Schatten du geträumt!
Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.
Ich scheide nun, leb wohl, mein Gatte!
Die wir zum Unglück uns gefunden,
Im Unglück scheiden wir. Leb wohl!

Jason.
Verwaist! Allein! O meine Kinder!

Medea.
        Trage!

Jason.
Verloren!

Medea.
        Dulde!

Jason.
                Könnt' ich sterben!

Medea.
                        Büße!
Ich geh und niemals sieht dein Aug' mich wieder!

(Indem sie sich zum Fortgehen wendet fällt der Vorhang.)


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