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Viertes Kapitel.
Freunde eines Millionärs.

Sowie ich im Hause war, überreichte mir Savory einen Brief von Lawford.

»Lieber Kapitän Wood!« lautete er. »Als ich mich in Piccadilly von Ihnen getrennt hatte, begegnete ich einigen Freunden, die sehr danach verlangen, Ihre Bekanntschaft zu machen, nämlich dem Herzog und der Herzogin von Buona Mano. Er ist Italiener und sie eine amerikanische Schönheit. In New York hieß sie Susette Bywater, und sie und ihre Familie waren mit Ihrem Onkel, Mr. M'Faught, sehr gut bekannt.

Wollen Sie nicht heute abend in die Oper kommen und sich der Herzogin vorstellen lassen? Die Dame hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, ihre Loge sei Nr. 27a auf dem ersten Rang, und es würde ihr ein Vergnügen sein, Sie zu empfangen. Lassen Sie mir so bald als möglich Antwort zukommen und erweisen Sie diesen kleinen Gefallen

Ihrem treu ergebenen
Rufus W. Lawford.«

 

Für diesen Abend war ich nur zu ein paar Bällen eingeladen, wozu ich nach meiner Enttäuschung im Park gar keine besondere Lust hatte. Außerdem wollte ich auch diese Nacht nicht spät nach Hause kommen, denn ich fand auf meinem Tische die erwartete verschlossene Mappe von der Nachrichtenabteilung mit dem großen Plan für den Angriff auf New York, der mir zur Prüfung und Berichterstattung übergeben worden war. Ihm wollte ich in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages meine Aufmerksamkeit widmen, weshalb ich mir vorgenommen hatte, früh zu Bett zu gehen. Indes dachte ich, etwas gute Musik werde beruhigend auf mich wirken, und so schrieb ich Lawford ein paar Zeilen, durch die ich die Einladung annahm. Hierauf kleidete ich mich um.

Während ich vor dem Spiegel stand, der in dem nach der Straße gehenden Fenster hing, erhaschte ich einen Schimmer desselben armen Menschen, der mir bei meiner Heimkehr aufgefallen war und der jetzt an meinem Hause in die Höhe sah. War das ein bloßer Zufall? Wie häufig hatte ich nicht schon die Erfahrung gemacht, daß unerklärliche und anscheinend geringfügige Dinge später Wichtigkeit annehmen.

Als ich nach dem Diner meinen Klub verließ, war mein »Schatten« wieder da, und da ich eine Droschke bestieg und dem Kutscher befahl, mich nach dem Covent Garden Theater zu fahren, schlich er langsam und, wie es mir vorkam, widerstrebend davon. Daß mir diese Vorfälle die vor wenigen Stunden von Mr. Snuyzer erhaltenen Warnungen ins Gedächtnis zurückriefen, ist ebenso natürlich, als daß diese Spionage infolgedessen ein gewisses Gefühl des Unbehagens in mir erweckte, aber sie war so plump ins Werk gesetzt, daß ich halb und halb glaubte, der Mensch wolle meine Aufmerksamkeit eher auf sich lenken, als ihr aus dem Wege gehen, und bald sollte ich einen unzweideutigen Beweis erhalten, daß diese Vermutung begründet war.

Beim Verlassen der Droschke, die ich in geringer Entfernung von der Vorhalle des Opernhauses hatte halten lassen, sah und hörte ich ihn nämlich dicht an meiner Seite. Er mußte sich auf dieselbe geheimnisvolle Weise an diesen Ort versetzt haben, die einen Gepäckträger gleichzeitig mit dir vom Bahnhofe an deine Hausthür bringt, so daß er beim Abladen des Gepäcks helfen kann.

»Hüten Sie sich davor, Droschken zu benutzen,« flüsterte er mir ins Ohr und war im nächsten Augenblick verschwunden. Wer hatte ihn mir auf so verschlungenen Wegen nachgeschickt, damit er mir das sage? Wer hatte ihm überhaupt den Auftrag erteilt, mich zu behüten? Natürlich konnte das nur ein Freund gethan haben, und ich glaubte, Mr. Snuyzer dafür danken zu müssen. Augenscheinlich waren Saraband & Söhne scharfsichtige Leute, die keine sich ihnen bietende Gelegenheit, ein Geschäft zu machen, vorübergehen ließen.

Noch war die Nacht nicht vorüber, eine Nacht dunkler Thaten und unerklärlicher Geheimnisse, die sich alle um mich zu drehen schienen. Daß sich die Bruchstücke eines Gespräches, die ich bald zu hören bekommen sollte, auf mich bezögen, konnte mir nicht in den Sinn kommen – wie wäre das möglich gewesen? – und dennoch, hätte ich die Gabe des Hellsehens besessen, oder hätte ich überhaupt der erhaltenen Warnung mehr Beachtung geschenkt, wie viel Leid wäre mir erspart geblieben! – Doch ich greife vor.

Als ich den Zuschauerraum betrat, war der Vorhang herabgelassen, und ich gedachte mich zunächst etwas im Hause umzusehen, ehe ich mich nach der Loge begab, wohin ich eingeladen war. Meine Gastfreunde waren Fremde, und ich hatte den Wunsch, zuvor Lawford zu treffen, damit er mich ihnen in aller Form vorstelle. Deshalb trat ich durch eine Seitenthür ins Parkett und blieb dort eine Zeit lang, die Zuschauer musternd, stehen.

Dabei wurde ich mir plötzlich bewußt, daß ein Paar glänzender Augen von der andern Seite auf mich gerichtet waren, und ich sah, daß sich eine elegante reizende Dame in einer Loge des ersten Ranges lebhaft für mich zu interessieren schien.

In diesem Augenblick berührte mich Lawford plötzlich am Arme.

»Aha, da sind Sie ja. Kommen Sie gleich mit und lassen Sie sich der Herzogin vorstellen; sie ist ganz versessen darauf, Ihre Bekanntschaft zu machen,« sagte er, indem er mir nach der Loge Nr. 27a vorausging.

Als wir in deren Nähe gelangten, sah ich, daß die Thür klaffte, und mir wohl verständliche italienische Worte schlugen an mein Ohr. Lawford hielt mich etwas zurück, vielleicht aus Furcht, Zeuge eines kleinen Familienzwistes zu werden; doch glaube ich nicht, daß er der italienischen Sprache mächtig war. Die Stimmen waren so laut, daß man sie auf dem Gange deutlich verstehen konnte – die rauhe, gewöhnliche und drohende Stimme eines Mannes, der eine bittende, weiche, aber doch feste Frauenstimme antwortete.

»Du kennst alle Umstände, und du bist verpflichtet, uns zu helfen. Der Mann ist uns in die Hände gegeben; er ist unser jagdbares Wild, unsre Beute. Was ihm gehört, muß unser werden – alles, das ganze riesige Vermögen.«

»Ich möchte lieber nichts mit der Sache zu thun haben. Die Rolle, die du mich spielen lassen willst, ist mir in der Seele zuwider und ich kann mich nicht entschließen, etwas gegen ihn zu unternehmen.«

» Santissima Vergine! Der Himmel behüte einen vor der Zimperlichkeit eines Frauenzimmers! Ich sage dir, du mußt – du hast keine Wahl. Verlocke ihn, gewinne seine Neigung. Warum denn auch nicht? Er ist ein ganz hübscher junger Mann, und du hast schon mit häßlicheren geliebäugelt. Du mußt und sollst! Beim Himmel, wenn ich dächte, du könntest uns im Stiche lassen …«

Mit einem plötzlichen gebieterischen »Bst!« brach er jäh ab und kam dann heraus, um uns aufs freundlichste einzuladen, in die Loge zu treten. Nichts verriet, daß deren Insassen noch soeben einen aufgeregten Wortwechsel miteinander gehabt hatten. Mann und Frau lächelten verbindlich, und die Stimme des Herzogs, eines kleinen, dürren Mannes, dessen Augen und Zähne aus seinem dunklen olivenfarbigen Gesicht herausglänzten, war jetzt so sanft und weich, daß ich ihn mir kaum als denselben Menschen vorstellen konnte, den ich eben in harten, kratzigen und ärgerlichen Tönen hatte sprechen hören. Auch sein Benehmen war so voll der förmlichen und peinlichen Höflichkeit, wie man sie bei den blaublütigen Dons bester Herkunft findet.

Die Dame (es war dieselbe, die mich vorher angesehen hatte) saß jetzt vollkommen gefaßt und ruhig auf ihrem Stuhle, und man bemerkte keine Spur von Erregung an ihr, als sie mich unverkennbar mit dem Bestreben, liebenswürdig zu erscheinen und mir jede Befangenheit zu benehmen, willkommen hieß.

Sie raffte ihr Kleid etwas zusammen, um mir Platz neben sich an der Brüstung der Loge zu machen, worauf sie in der freundlichsten und traulichsten Art mit mir zu plaudern begann.

»Es ist wirklich liebenswürdig von Ihnen, Kapitän Wood,« hob sie an, »daß Sie unsre zwanglose Einladung angenommen haben. Sowie ich in der Zeitung gelesen hatte, daß Sie der Erbe des Vermögens des alten Mr. M'Faught seien, erwachte das lebhafteste Verlangen in mir, Ihre Bekanntschaft zu machen. Wir haben Ihren Onkel – er war nicht Ihr Onkel? – also: Verwandten gekannt. Mr. M'Faught war damals Hausfreund bei uns. Ich selbst habe ihn freilich nicht mehr gesehen, aber ich habe meinen Vater oft von ihm und seinem großen Reichtum erzählen hören. Wollen Sie mir gestatten, Ihnen Glück zu wünschen? – Pippo« – das galt dem Herzog – »hast du Kapitän Wood schon beglückwünscht? Hoffentlich wirst du das nicht versäumt haben.«

»Selbstverständlich – ich weiß, daß Kapitän Wood einer der verzogenen Günstlinge des Glückes ist, aber, glauben Sie mir, caro signore, auch schwere Sorgen haben Sie mitgeerbt. Großer Reichtum ist eine furchtbare Last, und den richtigen Gebrauch davon zu machen, eine ernste Verantwortlichkeit, besonders wenn er einem – verzeihen Sie, wenn ich das ausspreche – unverdient zufällt.«

»Aber, Pippo, das zu sagen, ist ungerecht. Kapitän Wood ist ein Verwandter – er hatte ein gutes Recht auf die Erbschaft.«

»Ich wollte nur sagen, daß Kapitän Wood nicht weiß und wahrscheinlich niemals erfahren wird, ob es nicht andre Leute gibt, die noch größere Ansprüche, moralische Ansprüche an Mr. M'Faught hatten. Mir würde der Gedanke keine Ruhe lassen und ich bin nur froh, daß Sie der Erbe sind und nicht ich.«

»Lassen Sie sich keine Schrullen von ihm in den Kopf setzen, mein lieber Kapitän Wood. Der Herzog geht in der Theorie zwar weit, aber er weiß recht wohl, daß Reichtum Reichtum ist, und wenn unser Vermögen auch nicht sehr groß ist, würde es ihm doch leid thun, wenn er es hergeben müßte.«

Als sich der Herzog nach einiger Zeit mit Lawford entfernt hatte, setzten wir unsre Unterhaltung unter vier Augen fort und verkehrten sehr freundschaftlich und vertraulich miteinander.

»Natürlich haben Sie die Freude des Besitzes noch nicht genossen, denn es ist alles zu neu für Sie.«

»Ich kann es manchmal gar nicht fassen und weiß nicht, was ich mit dem Reichtum anfangen soll.«

»Glauben Sie mir, Kapitän Wood, Ihre erste Sorge sollte sein, Ihr Vermögen zu behüten,« sagte sie, indem sie mich fest über ihren Fächer hinweg ansah. »Die halbe Welt wird sich verbinden, Sie zu berauben. Ja, ja, ich spreche in vollem Ernste! Euch Männer kann man in drei Klassen teilen: Spitzbuben, Thoren und Polizisten.«

»Und zu welcher rechnen Sie mich, wenn ich mir die Frage erlauben darf?« entgegnete ich scherzend, da ich ihre bittere Bemerkung durchaus nicht ernst genommen hatte.

»Keinesfalls zur ersten, und wenn ich sagen wollte, zur zweiten, so wäre das nicht sehr schmeichelhaft für Sie, aber wenn Sie klug sind, so müssen Sie sich ganz entschieden der dritten anschließen. Wenn Sie eine große Polizeimacht in Sold nähmen, würde diese alle Hände voll zu thun haben, Sie zu beschützen.«

»Ist das Ihr Ernst?« fragte ich, da mir plötzlich ein eigentümlicher Ausdruck in ihren Augen auffiel.

»Mein voller Ernst, Kapitän Wood. Wenn ich ein Freund, ein alter Freund von Ihnen wäre, würde ich Ihnen raten und aufs entschiedenste darauf bestehen, daß Sie sich unablässig und ängstlich in acht nehmen.«

Bei diesen Worten überzog Totenblässe ihr Antlitz, das sonst lebhafte Farben hatte, wie man das oft bei sehr blonden Damen findet. Inzwischen war ihr Gatte ganz leise, man könnte fast sagen verstohlen, zurückgekehrt, und sie hatte eben erst gesehen, daß er hinter ihrem Stuhle stand. Warum mochte sie so erschrocken sein? Weil ihr Mann ihre letzten Worte gehört hatte?

Ob es der Herzog von Buona Mano mitangehört, als seine Frau mir so dringend geraten hatte, auf der Hut zu sein, konnte ich nicht beurteilen; jedenfalls ließ er sich nichts merken. Sein Benehmen war vollkommen ruhig und natürlich, und er sprach in ganz unbefangenem Tone, als er mich nötigte, seinen Platz in der vordersten Reihe zu behalten.

»Haben Sie die Absicht, zur ›Cavalleria rusticana‹ zu bleiben?« fragte er im nächsten Zwischenakt sehr höflich, »oder würden Sie uns die Ehre erweisen, uns zu einem Empfang in Rutland Gate zu begleiten? Unser Wagen ist da, und Susette wird es Freude machen, Sie vorzustellen.«

»Sie sind sehr freundlich,« entgegnete ich. »Ich begleite Sie sehr gern, wenn ich mich bald wieder entfernen darf. Ich muß nämlich diese Nacht noch ein paar Bälle besuchen.«

Im Lichte der späteren Ereignisse betrachtet, war es ein seltsames und nicht unwichtiges Zusammentreffen, daß die drei Häuser, die ich in dieser Nacht noch besuchen wollte, nur Steinwurfweite voneinander entfernt waren.

Das erste, das des Gesandten von Dos Rios, wo mich der Herzog und die Herzogin von Buona Mano einführten, lag in Rutland Gate, das nächste, Mrs. Collingham Smiths Haus, in Princes Garden, und das letzte, das der Lady Delane, in Princes Gale. Meine neuen Freunde drangen in mich, ihren Wagen zu benutzen, als sie hörten, daß die Entfernung so gering war. Der Herzog machte einige Bemerkungen über diese Nähe, als er wahrnahm, daß der Empfang beim Gesandten von Dos Rios nicht viel Anziehendes für mich hatte. Ich stürbe wohl vor Verlangen, auf meine Bälle zu kommen, fragte er mich, worauf er sich genau erkundigte, wo diese stattfänden.

»Sie müssen mir erlauben, Sie in unserm Wagen nach Princes Garden zu fahren,« sagte er höflich. »Wir sind die Veranlassung, daß Sie von Ihrem Wege abgewichen sind, um eine nicht sehr unterhaltende Gesellschaft zu besuchen, und demnach ist es unsre Pflicht, Ihnen von hier fortzuhelfen. Wir müssen noch ein paar Stunden bleiben, aber für Sie liegt gar kein Grund dazu vor.«

Princes Garden sei ja nur ein paar Schritte weit, thatsächlich nur um die nächste Ecke, und ich zöge wirklich vor, zu Fuße zu gehen, wandte ich ein. Außerdem wolle ich mich auch nur einen Augenblick zeigen, denn mein eigentliches Ziel sei Lady Delanes Haus, das ebenfalls ganz in der Nähe sei.

»Ja, richtig, ich weiß. Nun, wenn Sie sich nicht überreden lassen wollen – aber der Wagen steht Ihnen zu Diensten, nicht wahr, Susette?«

Mir schien, als ob die Herzogin mit dieser freigebigen Verfügung über ihren Wagen nicht ganz einverstanden sei, was mich um so mehr veranlaßte, das gütige Anerbieten abzulehnen. So verließ ich sie mit der angenehmen Empfindung, ein paar reizende neue Bekanntschaften gemacht zu haben.

Ein andrer neuer Bekannter, wie ich ihn nennen könnte, mochte er nun Freund oder Feind sein, wartete vor der Thür auf mich, nämlich kein andrer, als der watschelnde, schlecht gekleidete Mensch, den ich im Laufe des Abends schon so oft gesehen hatte. Sowie ich auf die Straße trat, gewahrte ich, wie er aus der Thürnische eines leer stehenden Hauses kam und mir bis nach Princes Garden folgte.

Als ich Mrs. Collingham Smith verließ, wo ich nichts gefunden hatte, was mich anziehen und fesseln konnte – keine Spur von Frida, die zu treffen ich gehofft hatte – stand er immer noch auf Posten. Gern wäre ich diesem beharrlichen »Schatten« gegenübergetreten, um ihn wegen seiner Spioniererei zur Rede zu stellen und ihn der Polizei zu übergeben, aber das hätte Zeit gekostet, und ich wußte, daß ich keine zu verlieren habe. Mitternacht war längst vorüber, und ich hätte Frida verfehlen können, ein Gedanke, der mir unerträglich war.

Mrs. Fairholme, ihre Mutter, konnte mir keine Auskunft über ihren Schützling geben.

»Ja, Frida ist hier – irgendwo; das ist alles, was ich weiß,« entgegnete sie mit müder, zerstreuter und halb schläfriger Stimme, wie sie ohne Zweifel ein Dutzend ähnlicher Fragen beantwortet hatte, »aber ich habe sie seit mehr als einer Stunde nicht gesehen. Sie thäten mir einen Gefallen, Mr. Wood, wenn Sie sie suchen und zu mir bringen wollten,« fügte sie in klagendem Tone hinzu.

»Kapitän Wood, Miß Fairholme wünscht Sie zu sprechen,« wurde ich plötzlich angerufen, während ich niedergeschlagen durch die Zimmer wanderte, und ich sah einen verhaßten Nebenbuhler, der ein nichts weniger als freundliches Gesicht machte, nach der Richtung zeigen, wo Frida hinter einer großen Gruppe blühender Azaleen saß.

Ein so anmutiges Bild als nur je darbietend, war sie eine der Schönsten und Glänzendsten ihres Geschlechts, das zum Entzücken und zur Qual der Männer erschaffen worden ist. Ihren Anzug zu beschreiben, übersteigt meine Kräfte. Wie ich glaube, trug sie ein Kleid von hellblauem Atlas mit rosa Rosen, aber das ist alles, was ich sagen kann, ausgenommen, daß sie von dem federartigen Kopfputz, der ihr sonniges Haar krönte, bis zur Spitze des winzigen Schuhes, der etwas unter dem Saume ihres Kleides hervorlugte und sich nervös auf dem Teppich bewegte, unbedingt das reizendste Weib war, das ich je gesehen hatte.

»Nicht ein Wort sollte ich eigentlich mit Ihnen sprechen,« begann Frida mit einem allerliebsten Schmollen. »Was haben Sie zu Ihrer Entschuldigung vorzubringen? Wissen Sie wohl, daß ich Ihnen drei Tänze aufgehoben hatte …?«

Ohne zu antworten, ließ ich mich an ihrer Seite nieder, und dann gab ich einem Gefühl von Selbstbewußtsein nach, zu dem ich mich trotz der großen Veränderung in meinen Vermögensverhältnissen bisher noch nicht aufzuschwingen vermacht hatte, und lachte ihr ins Gesicht.

»Dieses höchst einfältige Benehmen ist mir ganz unbegreiflich, Kapitän Wood, wie ich gestehen muß,« fuhr sie mit großer Würde fort. »Es muß Ihnen etwas zugestoßen sein.«

»Ja, ganz recht; mir ist auch etwas zugestoßen, etwas sehr Seltsames und Unerwartetes. Ich habe Sie den ganzen Tag gesucht, im Park, im Theater, bei Mrs. Collingham Smith, um Ihnen mitzuteilen, daß – daß – daß – entsinnen Sie sich noch, daß Sie einmal sagten, Sie fühlten sich in meiner Gesellschaft vollkommen sicher?«

»Das nehme ich hiermit ganz und gar zurück. Jetzt glaube ich, daß Sie ein gefährlicher Tollhäusler sind, und ersuche Sie, mich gefälligst zu meiner Mutter zu führen,« antwortete sie, indem sie sich halb von ihrem Sitze erhob.

»O, bitte, bleiben Sie. Sie pflegten zu sagen, daß zwischen uns von keinen Thorheiten die Rede sein könne, daß ich ein Bettler, eine ungefährliche, unbedeutende Null und darum unmöglich sei – während, wenn ich ein Herzog oder ein amerikanischer Millionär wäre, Sie vielleicht …«

»Wollen Sie damit etwa sagen, daß Sie mich während dieser ganzen Zeit getäuscht haben? Ich lehne es aufs allerentschiedenste ab, mich durch einige unbedachte Worte binden zu lassen, und wenn Sie weiter fortfahren, verzichte ich auf die Ehre Ihrer Bekanntschaft.«

»Jedenfalls hören Sie mich zu Ende,« bat ich, indem ich ihre Hand ergriff und sie sachte auf ihren Stuhl zurückzog, denn sie war inzwischen wirklich aufgestanden und wollte mir wie ein erschrecktes Vögelchen entfliehen.

Nun sprudelte ich meine ganze Geschichte in der unbeholfenen, tölpelhaften Art hervor, die einem Manne eigen, wenn sein Herz zum Springen voll ist und sein ganzes Glück von seinen Worten abhängt.

»Frida, mein Liebling!« rief ich endlich ganz verzweiflungsvoll, denn sie hatte mich vollkommen stumm angehört, »mein erster Gedanke, als ich von diesem Vermögen hörte, waren Sie – sagen Sie mir, daß Sie es mit mir teilen wollen.«

»Sie haben sich meiner Ansicht nach ganz abscheulich falsch und heimtückisch benommen,« stammelte sie. »Das hätten Sie mir nicht verheimlichen dürfen; ich hatte ein Recht, es zu wissen, und Sie hätten es mir sagen müssen. Ich … ich … ich …«

»Aber ich habe ja selbst heute morgen das erste Wort davon gehört!«

»Stellen Sie sich nur einmal vor, was die Leute sagen werden; man wird mich eine nur aufs Geld sehende erbärmliche Person nennen und mich bezichtigen, mich für Ihre Millionen verkauft zu haben.«

»Sie sollen die Ihren werden; ich werde sie sofort samt und sonders auf Sie übertragen lassen. Mir liegt nicht das Geringste daran, ausgenommen, daß Sie mir das Recht geben, Sie um dies zu bitten.«

Bei diesen Worten ergriff ich ihre Hand und küßte sie auf den Handschuh, aber Frida wandte mir ihr errötendes Gesicht zu und bot mir die Lippen.

###

Als ich Princes Gate verließ, schien ich auf Luft zu wandeln. Wir waren fast die letzten Gäste gewesen, die sich empfohlen hatten, denn Frida und ich waren so lange in unserm Versteck hinter den schützenden Azaleen geblieben, daß Mrs. Fairholmes Geduld vollkommen erschöpft und die besorgte Mutter selbst gekommen war, um unserm Tete-a-tete ein Ende zu machen. In unfern schuldbewußten Zügen mochte sie wohl lesen, daß sie sich mit der Hoffnung trösten könne, sie werde der Sorgen und Beschwerden einer Ballmutter bald überhoben sein, und von Herzen stimmte sie Fridas Einladung zu: »Kommen Sie morgen zum Lunch und zwar recht früh.«

Darauf geleitete ich sie zu ihrem Wagen, lehnte aber den angebotenen Sitz ab, denn ich wünschte, mit meinem neu gefundenen Glück allein zu sein.

Die Nacht war schön, die Luft weich unter dem bleichen Himmel, denn die Dämmerung nahte bereits, und ich schritt mit der Spannkraft eines Menschen, dem es gut geht in der Welt, munter dahin. Allein ich wurde kurzerhand und kräftig dadurch an die Wirklichkeit des Daseins erinnert, daß ich mit meinem »Schatten« zusammenrannte. Der Mann, der mir den ganzen Abend so hartnäckig auf den Fersen gewesen, war immer noch auf seinem Posten, allein jetzt lauerte er nicht in der Vertiefung einer Hausthür, sondern ich stand ihm Angesicht zu Angesicht auf dem Bürgersteig gegenüber, so daß er mir nicht entrinnen konnte.

»Halt, mein Bürschchen!« rief ich, mich sofort an ihn machend. »Das geht mir denn doch ein bißchen zu weit. Packen Sie sich, oder ich lasse Sie verhaften. Vorwärts – marsch!«

In diesem Augenblick fiel der Schein einer Gasflamme auf sein Gesicht, und ich erkannte ihn sogleich.

»Was, Sie sind's, Mr. Snuyzer?« sagte ich, laut auflachend. »Ich bin Ihnen, auf mein Wort, außerordentlich zu Danke verpflichtet, aber Sie hätten sich wirklich die Mühe ersparen können. Und – verzeihen Sie, daß ich das ausspreche – Sie machen Ihre Sache nicht sehr gut.«

Zunächst wollte er sich noch nicht zu erkennen geben.

»Gemach, gemach, mein guter Herr,« antwortete er mit gut verstellter näselnder Stimme. »Was wollen Sie eigentlich von mir? Ich habe dasselbe Recht, auf der Straße zu sein, wie Sie. Was wollen Sie also?«

»Ich sage Ihnen ganz offen, Mr. Snuyzer, daß das nicht angeht,« fuhr ich fort. »Ich brauche Sie nicht, und ich will nicht, daß Sie überallhin hinter mir herschleichen. Aus diese Weise gewinnen Sie mich nicht, und Sie müssen das aufgeben. Machen Sie gleich einen Anfang damit. Gehen Sie Ihres Weges – dorthin – und ich will diese Richtung einschlagen.«

Damit wies ich ihm die Exhibition Road an, während ich selbst die nach Knightsbridge führende Straße einschlug und nicht übel Lust hatte, den ganzen Weg nach meiner in östlicher Richtung gelegenen Wohnung zu Fuße zurückzulegen. Allein nach einiger Zeit kam eine Droschke aus einer Seitenstraße hervor, deren Kutscher mich sofort, wie das die Art dieser Leute ist, mit seinem: »Droschke gefällig, mein Herr, Droschke?« zu belästigen begann, wobei er die Gangart seines Pferdes der meinen anpaßte und mir hartnäckig zur Seite blieb, so daß ich schließlich aus reinem Aerger und um seiner Aufdringlichkeit ein Ende zu machen, einstieg und ihm befahl, mich nach meiner Wohnung in Clarges Street zu fahren. Kaum hatte ich mir eine Cigarre angezündet, mich in die Kissen zurückgelegt und angefangen, über die mannigfachen, aber meist angenehmen Ereignisse des Tages nachzudenken, als ich bemerkte, daß die Droschke eine falsche Richtung einschlug. Aus irgend einem seltsamen und unverständlichen Grunde hatte der Kutscher umgewendet und fuhr nach Westen.

»Heda, Sie!« rief ich, mich aus dem Fenster biegend. »Wo wollen Sie denn hin?«

»Was ist denn los?« fragte der Kutscher frech, indem er anhielt. »Glauben Sie etwa, ich wisse den Weg nicht? Halten Sie 's Maul, oder …«

Was er mir in Aussicht stellte, wenn ich das Maul nicht hielt, hörte ich nicht mehr, denn in diesem Augenblick wurden beide Thüren aufgerissen und zwei Männer fielen über mich her. Schon ihr Gewicht allein wäre hinreichend gewesen, mich zum Schweigen zu bringen und jeden Widerstand unmöglich zu machen. Nur einen wahnsinnigen Hilferuf konnte ich ausstoßen, denn jetzt stieg mir der starke, durchdringende Geruch von Chloroform in die Nase, und das vergebliche Ringen gegen die zunehmende Betäubung sagte mir deutlich, daß meine Angreifer einen furchtbaren Bundesgenossen zu Hilfe gerufen hatten und daß ich vollkommen wehrlos in ihre Hände gegeben war.


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