Rudolf Greinz
Tiroler Leut
Rudolf Greinz

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Stoanklopfer Josele

Im vergangenen Sommer habe ich mir einen Freund erworben. Einen echten, wahren und treuen Freund.

Das will sehr viel sagen. Denn erstens besitzt man Freunde dieser Sorte verflucht wenig, und zweitens und drittens erwirbt man sich derartige Freunde noch viel weniger.

Mein treuer Freund hockt in einem stillen Bergtal Tirols, klopft dort Steiner und macht den Weg, so gut es eben geht. Er lebt also fernab von allem Schiebertum und allen sonstigen schönen Errungenschaften der Neuzeit. Sonst wäre er wahrscheinlich nicht mein Freund geworden.

Der Stoanklopfer Josele hat ganz sein eigenes schlaues Köpfl auf. Ist schon hoch in den Sechzigern. Ein paar helle blaue Augen schauen aus einem mit grauen Bartstoppeln übersäten Gesicht, und eine markige und 175 etwas hakenförmige Nase baut sich über den schmalen und fast verkniffenen Lippen des Alten auf.

Einige Male war ich bereits stumm an ihm vorübergegangen und hatte ihn zu allen Tageszeiten heimlich beobachtet. Er war auch zu allen Tageszeiten bei seinem Schotterhaufen zu sehen und bei jedem Wetter.

Seinen ganzen Haushalt führte der Josele über Tags im Freien. Er kochte sich selber auf einem aus mehreren Steinplatten zusammengeschichteten Herd, wo ein mit Dürrholz und anderem Reisig genährtes Feuerlein unter einem kleinen rußigen Kessel flackerte, lohte oder glomm. Je nachdem das Wetter war, warm, windig oder regnerisch.

Dabei lullte der Josele regelmäßig an einer alten, schmierigen, hölzernen Stummelpfeife, die mit Eisen beschlagen war.

Reggelpfeifen heißt man dieses Instrument, für dessen Gebrauch man von guten Eltern sein muß. Denn so ein Reggel kann ganz höllisch auf der Zunge brennen. Und wer ihn gewöhnt, 176 der hat sicher eine Art Sohlleder auf seinem Löcker bekommen.

Das Feuerle unter dem Herdkessel des Josele gab mindestens einen Rauch, auch beim miserabelsten Wetter. Aus dem Reggel des Josele vermochte ich aber nie das geringste Rauchwölkchen aufsteigen zu sehen.

Ja, es war mit dem Tabak in den Tiroler Bergen sakrisch rar geworden, seit Krieg und Umsturz die knappe Rationierung gebracht hatten. Schier so rar war's mit dem Tabak geworden wie mit den goldenen und silbernen Münzen. Da machten wir uns da heraußen im Reich gar keinen Begriff davon, was so eine arme Raucherseele für Höllenqualen der Entbehrung leiden mußte. Und schon erst in einem abgelegenen Bergtal, zu dem gar keine Tabakäderlein führten.

Sprach ich also eines Tags den Josele an: »Mir scheint, dein Reggel hat aa koan richtigen Zug nit?«

»Zug hat er schon!« meinte der Stoanklopfer mürrisch. »Aber raach du, bald nix hast!«

177 »Hast gar nix mehr?« frug ich.

»Koan Brosen nit!« versicherte mich der Josele. »Hast schon amal den Teufl g'sehen?« frug er mich völlig unvermittelt.

»Bis zum heutigen Tag ist mir nix wissentlich!« erwiderte ich.

Der Josele zog eine Schweinsblase, wie sie als Tabaksbeutel im Gebrauch sind, aus seiner Hosentasche, drehte sie um und sagte: »Da schau her!«

»I siech nix!« stellte ich fest.

»Dös ist eben der Teufl!« sagte der Josele mit einem ingrimmigen Lachen. »Iatz raach i schon die dritte Wochen kalt. Und wie oan dös fuxen kann! Aber schon ganz sakramentisch fuxen!«

Nun griff ich in meine Rocktasche und zog meinen ziemlich umfangreichen ledernen Tabaksbeutel, der ganz vollgefüllt und prall war, hervor, entfaltete ihn vor den Augen des Josele und meinte: »Da schau iatz her!«

Der Josele sperrte den Mund auf, als ob er ein reines Gotteswunder erblicken würde. Dann stieß er völlig fassungslos hervor: »O Maria!«

178 Der Anblick war für ihn ein derartig überwältigender, daß er sich nur mehr in dem Anruf der Himmelskönigin Luft machen konnte.

Ich füllte die Schweinsblasen des Josele mit dem ganzen Inhalt meines Tabaksbeutels und gab sie dem alten Stoanklopfer mit den auferbaulichen Worten zurück: »Iatz haben wir den Teufl bezwungen. Die Pforten der Hölle haben sich geschlossen. Iatz raach!«

»Der ganze Tabak . . .« Der Josele sah mich von der Seite an, als ob er einen Verrückten vor sich habe.

»Der ganze Tabak g'hört iatz dein!« versicherte ich ihm.

»Iatz muaß i mi aber niederhocken!« sagte der Josele und setzte sich auf ein langes Brett, das über zwei klobige große Steine gelegt war und das ihm als Tisch und Bank gleichzeitig diente. Dann griff er mit seinen groben Arbeitsfingern in die Schweinsblasen und begann seinen Reggel zu stopfen. »Sag' i halt Vergelt's Gott z'tausendmal in Himmel aufi!«

Ich setzte das Rädchen meines Feuerzeuges 179 in Bewegung, das zufällig sofort funktionierte.

Der Josele zog an seinem Reggel und qualmte blaugraue Wolken vor sich hin. »Ah!« machte er. »Ah! Sakra! Sakra!« Dann schwieg er eine geraume Weile still und ergab sich völlig dem Genuß des Rauchens.

»Du bist a G'schichtenschreiber?« frug er mich endlich.

»Sell wohl!« bestätigte ich ihm.

»Ah wohl. Schreibst du nachher G'schichten zum Lesen?«

»Sell wohl.«

»Ah wohl. Also zum Lesen . . .« meinte er nachdenklich. »Kannst du nachher von der Schreiberei leben?«

»Es tuat si schon.«

Der alte Stoanklopfer sah mich vorsichtig von der Seite an, mit einem entschiedenen starken Mißtrauen und mit einem Zuge aufrichtigen Mitleids in seinem bartstoppeligen Gesicht.

»Tabak hast aber an guaten, an vertuifelt 180 guaten!« sagte er, auf ein anderes Thema ablenkend. »Siehst . . .« meinte er behaglich qualmend. »Wuat hab' i dir in dö lötzen Zeiten schon a diawat amal oane g'habt, a Wuat, daß i grad' am liabsten lauter Schädel eing'schlagen hätt. Und da ist's Stoanerklopfen was guat dafür, dös sag' i dir. Da kannst dei' Wuat auslassen an die Stoaner. Kannst sie auslassen die Wuat. Brauchst dir grad' zu denken, die Stoaner sein lauter Schädel. Lauter so damische Dickschädel, so gottsverfluachte Pultengrint, auf dö du losdreschen därfst!«

Er schwieg wieder eine Weile und qualmte andächtig vor sich hin. »Wie lang bleibst denn no da?« frug er mich dann.

»In a drei, vier Tag' geht's wieder dahin.«

»Ah wohl, wieder dahin. Schad', daß d' durchgehst. Wärst sonst a rarer Mensch. Und Tabak hast an guat'n, an malefizisch guat'n. Also G'schichten schreibst zum Lesen? Muaßt wohl no a anders G'schäft haben?«

»Naa. Anders G'schäft hab' i koans.«

181 Der Alte schaute mich jetzt mit unverhohlener ehrlicher Besorgnis an und meinte: »Aber vom G'schichtenschreiben kannst do nit leben bei dö teuren Zeiten. Du sollst dir do um a Anstellung schauen.«

»Moanst? Um a Anstellung? Aber woher denn nehmen und nit stehlen?«

»Woaßt was? Vielleicht derfrag' i was. I bin iatz dei' guater Freund. Den Tabak vergiß i dir meiner Lebtag nit. Es wird si schon a Pöstele finden.«

Wie manchem Menschen hat man tausendmal mehr Dienste erwiesen, als nur einen Beutel Tabak, und hat bloß krassen Undank dafür geerntet.

Und da besitze ich jetzt für einen Beutel Tabak einen treuen Freund, der ehrlich um mein Fortkommen besorgt ist und der sich sicher nach Kräften bemühen würde, mich unterzubringen. Vielleicht sogar beim Stoanerklopfen.

Herrgott, das wär' was! Ich hab' auch a diawat amal eine Viechswut und tät' am liebsten Schädel einschlagen in der miserabligen Zeit . . . und wüßte ganz genau, welche Schädel ich am liebsten einschlagen würde, aber schon mit einer ausgesprochenen Wonne am Schädeleinschlagen.

Und da soll nach dem Rezept des Josele das Stoanerklopfen ein vorzügliches Mittel wider die Gemeingefährlichkeit sein. Denn solche Anwandlungen wie oben benannte sind entschieden gemeingefährlich im höchsten Grade.

Vielleicht überlege ich mir doch noch das Stoanerklopfen und wende mich an meinen treuen Freund Josele um eine Anstellung. 183

 


 


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