Rudolf Greinz
Tiroler Leut
Rudolf Greinz

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Der schlaue Rat

Unser lieber Herrgott hat allerhand Kostgänger. Und um die allermeisten ist er wahrhaft nicht zu beneiden. Darum soll man eigentlich, wenn ein Mensch dieses irdische Jammertal für immer verläßt, immer am meisten den Herrgott bedauern und nicht die zurückgebliebenen Mitmenschen. Denn die sind den selig Verblichenen wenigstens los und wissen sich in der Mehrzahl der Fälle ungemein rasch über den unersetzlichen Verlust zu trösten. Aber der liebe Herrgott muß das betreffende Exemplar für ewige Zeiten haben.

Ja, wenn man in die wimmelnde Menschenschachtel hineingreift, dann ist sie viel mannigfaltiger, krauser und vor allem verrückter in ihren Vertretern als der größte zoologische Garten, wie überhaupt unter Viechern vielfach gemütlicher zu leben ist als unter Menschen.

Gewöhnlich erwischt man bei einem kräftigen 89 Griff in dieses Gezücht und Gezwatzel und Gezappel irgendeinen ekelhaften Kerl. Den schmeißt man halt weg. Ab und zu kommt einem doch ein drolliger Kauz unter, mit dem man was beginnen kann.

So ein Kauz war der Pflarren Hansele.

Da steht er. Kaum mittelgroß, etwas schwerfällig, nicht sonderlich robust. Ein Gesicht mit einer Kolbennase und einem struppigen rötlichen Schnauzbart. Nimmer jung, aber auch noch nicht alt. Kleine verkniffene Äuglein und eine beginnende, um so größere Glatze. Im Gesicht einen Zug unendlicher Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit. Von Beruf Viehhändler. Handelte hauptsächlich mit Kleinvieh, der Hansele, mit Schafen und Schweinen.

Sonst war der Hansele ein ganz vernünftiger Mensch. Er litt aber trotzdem in sehr erheblichem Maße an der Erbkrankheit der Menschen . . . daß er nämlich für sein Leben gern eine Rolle spielte.

Ja, ja, das ist unsere Erbkrankheit: das Rollespielen! Wenn die Menschen nicht das 90 vermaledeite Rollespielen hätten, dann würden wir so friedlich nebeneinander hausen wie im Paradiese.

Dabei gibt es auf unserm elendigen Welttheater unter tausend Rollespielern mindestens 999 Schmierenkomödianten. Darum sehen unsere Komödien auch regelmäßig so lausig aus.

Doch um von dieser erbaulichen Weltbetrachtung wieder auf den Pflarren Hansele zu kommen . . . der Hansele erzählte zu gerne Geschichten von sich selber, Geschichten, in denen er die eine oder andere bedeutende Rolle spielte. Er tat nichts lieber, als Erlebnisse und Abenteuer seiner eigenen werten Persönlichkeit zum besten geben. Und wenn er gläubige Zuhörer fand, dann schwamm er im Fett der allgemeinen Bewunderung wie eine Ölsardine in ihrer Büchse.

Und der Hansele fand meist gläubige Zuhörer. Das mußte man ihm lassen: er war geschickt im Aufschneiden.

Da er natürlich im Verhältnis zu seiner

91 Leidenschaft viel zu wenig tatsächlich erlebte, mußte er sich auf das Erdichten verlegen. Und da er als Viehhändler mit Schafen und Schweinen nicht gerade über eine üppig prangende dichterische Phantasie verfügte, kam er auf einen gelungenen Ausweg.

Er stellte sich selbst in den Mittelpunkt von Geschehnissen, von denen er irgendwo erzählen gehört hatte. Er eignete sich einfach die Erlebnisse anderer an. Er stahl also die tatsächlichen Abenteuer seiner Mitmenschen und spielte als Plagiator anderer seine eigenen Heldenrollen.

Darum habe ich auch den Hansele als eine besondere Spezies aus dem allgemeinen Gezwatzel herausgegriffen.

Weil der Hansele in Verfolgung seines Berufes einen großen Teil des Jahres unterwegs war und viel landaus und landein kam, ermangelte er auch nie neuen Stoffes. Dabei war er aber klug genug, sich die Örtlichkeiten der Begebnisse sorgfältig einzuteilen.

Es kam nämlich niemals vor, daß sich ein Erlebnis des Pflarren Hansele irgendwo in der 92 Nähe abgespielt hätte, wo er davon erzählte. Sonst wäre man ihm mit der Zeit doch auf seine Schliche gekommen.

Wenn er also im obersten Vintschgau was erlebt hatte, dann erzählte er sicher nur im untersten Unterinntal davon.

Heute hatte es der Hansele ganz besonders wichtig. Zu Fügen im Zillertal war Viehmarkt. Der Hansele hockte in der vollgepfropften Wirtsstube beim Ochsen und erzählte.

Mindestens ein halbes dutzendmal hatte er seine neueste Geschichte schon zum besten gegeben. Und immer fanden sich wieder neue Zuhörer. Jetzt waren gerade ein paar seiner Kollegen in die Stube getreten.

»Geh', Hansele!« ließ ihn der Wirt an. »Erzähl' doch noch amal, wie ös den Überacker Hias in der Fuchsfallen g'fangen habt's!«

»O mei!« meinte der Pflarren Hansel bescheiden. »Dös ist doch nix B'sonders. Es muß einem halt das richtige Mittele einfallen. Nachher wird man über den größten Raufer und Ranggler Herr. Da braucht's halt an schlauen 93 Rat. Und den hab' i denen in Nauders oben, denen Vintschgern geben.«

»Ja, wie ist denn dös g'wesen, Hansele?« frug einer der neu dazugekommenen Viehhändler neugierig.

»Dös kann i dir schon sagen!« erwiderte der Hansele, warf sich in die Brust, nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Weinglas, wischte sich mit dem Rücken der rechten Hand über den feuchten Schnauzbart und begann: »Also in Nauders, da ist der ärgste Raufer der Überacker Hias. A Kerl wie a Baum. Was sag' i, wie zehn Bäum'. A Mordslackel, a Erzviech. Pratzen wie Scheibenbretter und a Kraft wie a Stier. G'fürchtet hat sich alles vor ihm, und alles ist ihm meilenweit aus'm Weg gangen.

A wahre Landplag ist der Kerl g'wesen. Na ja, bis i amal nach Nauders kommen bin und denen Leutlen a Liacht aufg'steckt hab'.

Ös habt's ja narrische Schwämm' g'fressen, hab' i ihnen g'sagt, daß ös enk nit zu helfen wißt's. Da will i enk an schlauen Rat geben. Den Überacker Hias, den Malefiztropf, den 94 höllischen, den fangen wir in a Fuchsfallen. Werdet's wohl im ganzen Ort a Fuchsfallen haben.

Ja freilich, haben sie g'moant. Nit eine, sondern glei mehrere. Dö kannst dir aussuachen, die Fuchsfallen.

Und a Freud' haben's g'habt über mein' schlauen Rat, a Gaudi, gar nit zum sagen, so a Gaudi. Ja, ös müaßt's bedenken, wie viele hat der Hias schon verprügelt. Sie haben ja a Wuat g'habt über den groben Zapfen, ja, schon so a Wuat, gar nit zum beschreiben.

Also der Rat mit der Fuchsfallen hat ihnen völlig eing'leuchtet. Iatz hat's sich nur noch darum g'handelt, wo den Hias fangen mit der Fallen. Ja, wo und wie den Hias fangen. Dös war die Schwierigkeit. Denn Fuchs ist der Hias ja schließlich keiner g'wesen, wenn er auch a Viech war. Aber auf an Köder wär' er uns halt doch nit in die Trappel gangen.

Aber seht's, dös was für den Fuchs der Köder ist, dös ist für a Mannsbild das Weibervolk. Und auf den Köder ist der Überacker Hias in die Fuchstrappel gangen.

95 Der Hias, der ist nämlich fast alle Nacht fensterln gangen zu der Lechner Moid. Und unter dem Fenster von der Moid haben wir die Fuchstrappel aufg'stellt und haben gepaßt. Paßt haben wir auf den Lackl, auf den damischen. Und kommen ist der Hias, und drin war er auch schon in der Trappel. Mit an ganzen Haxen war er drin im Fangeisen. Und g'fluacht hat er gotteslästerlich.

Aber da sein wir schon dag'wesen und haben dem Hias Religionsunterricht geben. Wißt's schon, das G'satzl aus dem Katechismus: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Und weil der Hias seine Nächsten aus lauter Liebe immer verprügelt hat, haben wir ihm's auch b'sorgt. Aber wie b'sorgt! Schad', daß ös dös nit sehen habt's können!

Dös war's höhere Theater. Der Hias mit seinem Haxen in der Fuchstrappel. Und wir draufdroschen wie in der Tennen aufs Troad. Und der Hias, bald ist er in die Höh' g'schnellt in seiner Trappel und bald hat er sich niederg'hockt. G'schrien hat er wie a Wilder, und 96 umadum g'haut hat er mit seine Arm' und mit dem freien Haxen wie a Windmühl'.

Hat ihm aber nix g'nutzt, wenn er auch noch so gearbeitet hat. Los ist er nit kommen. Und wir haben gedroschen und gedroschen, bis endlich einer g'sagt hat, iatz sei's g'nuag für an Christenmenschen. Sonst müßten wir um den Pfarrer schicken, daß er dem Hias die letzte Ölung gibt.

Ist auch höchste Zeit g'wesen, daß wir aufg'hört haben zu dreschen. I mein' sonst völlig, der Hias hätt' Absterbens Amen g'macht. Ist in der Fuchstrappel g'hockt der Hias wie a Häufele Elend. Wir aber sein durch und haben ihn hocken lassen.«

Gleichzeitig mit den neu dazugekommenen Viehhändlern, denen der Pflarren Hansele die Geschichte erzählt hatte, war ein großer stämmiger Bursch in die Wirtsstube getreten, von den übrigen Gästen unbemerkt. Er hatte sich in die dämmerige Ecke beim Ofen gesetzt und sich ein Viertele Wein angeschafft.

Jetzt erhob er sich und trat gemächlich und 97 langsam zu dem Tisch der Viehhändler. Er stützte seine klobigen Fäuste schwer auf die Tischplatte und wandte sich mit einem Grinsen im Gesicht an den Pflarren Hansele . . . »Also wohl in der Trappel ist er g'hockt, der Hias?« fragte er. »Und wie a Häufele Elend?«

Der Hansele fühlte sich, da er jetzt offenbar noch einen neuen Bewunderer gefunden hatte, den er übrigens gar nicht kannte. Mußte wohl irgendeiner sein, der auf Viehkauf in Fügen war.

»Und was für a Häufele Elend!« versicherte der Hansele eifrig.

»Und du hast denen in Nauders den schlauen Rat geben, den Hias in der Fuchstrappel zu fangen?« grinste der Bursch.

»Freilich i! Wer denn sonst!« sagte der Hansele stolz.

»O du Sauhund, du windiger!« brüllte jetzt der neue Gast wütend. »Du Abg'schöpfet vom höllischen Sudkessel! Du Darmdürrer, du elendiger!«

Ehe es jemand verhindern konnte, hatte der 98 Bursch den Hansele bei den Schultern gepackt und hob ihn wie einen jungen Hund mitten aus der Gesellschaft heraus auf den Stubenboden.

Der Hansele zappelte verzweifelt in der Luft mit den Beinen und stieß dabei fast sämtliche Flaschen und Gläser auf dem Tisch um, so daß sich eine rote Weinflut über die Tischplatte ergoß.

»A Narrischer! A Narrischer!« zeterte der Pflarren Hansele. »Zu Hilfe! Zu Hilfe!«

Dabei wollte er Reißaus nehmen. Sein unvermuteter Angreifer hatte ihn aber schon gepackt und hielt ihn fest wie mit Eisenklammern.

»Kennst du mi vielleicht nimmer, du Luader, du?« fauchte er den Hansele an.

»Naa, i kenn' di nit! Hab' di meiner Lebtag nit g'sehen!« stöhnte der Hansele entsetzt.

»Was? Du kennst mi nit? Nit kennen tuast du mi? Den Überacker Hias kennst du nimmer? Davonlaugnen möchtest du di iatz? Ha?« schrie der Hias und begann auf den Hansele nach allen Regeln der Kunst einzuhauen. 99 »I bin's ja nit g'wesen! I bin's ja nit g'wesen!« brüllte der Hansele verzweifelt. »Es ist lei a G'spaß g'wesen!«

»I will dir schon den G'spaß geben!« sagte der Hias verbissen und verprügelte den Hansele mit einer geradezu rührenden und fachgemäßen Gewissenhaftigkeit. »I g'spür's heut' noch in mein' Haxen! Und da bist du's nit g'wesen! Erweck' Reu' und Leid, du Judassöckel du! Lass' dir nur den Pfarrer holen, daß er dir die Seel' aussegnet! G'wissen erforschen hilf i dir schon!«

Langsam hatte sich nun die Erstarrung am Wirtstisch gelöst.

Sie kamen dem Hansele zu Hilfe. Aber bevor sie ihn aus den eisernen Pratzen des Überacker Hias befreien konnten, war der Hansele mehr tot als lebendig und hatten auch etliche seiner Helfer gehörige Beulen weggekriegt.

Der Hias arbeitete wie zehn Viecher. Etlichen Stühlen riß er die Beine aus und schlug damit um sich, und schließlich verließ er unbezwungen, freiwillig, stolz und über das ganze Gesicht 100 grinsend vor Vergnügen den Schauplatz seiner Rache.

Der Pflarren Hansele soll seither keine Geschichten mehr erzählt haben. Er ist völlig eingegangen in seiner Wichtigkeit und ganz traurig geworden. Denn, was hat der Mensch schließlich noch vom Leben, wenn man ihm das Liebste nimmt und er gar keine Rolle mehr spielen kann? Mit Schafen und Schweinen handeln kann ja ein anderer auch. 101

 


 


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