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Auch in Friedenszeiten war der Pulten Jackele niemals ein Held gewesen. Sonst hätte er in dem mehr als 20jährigen Krieg, den er mit seinem ehelich angetrauten Weib, der Geadl, führte, nicht regelmäßig den kürzeren gezogen.
Ja, ja, die Geadl, die war ein eigenes Kapitel in dem irdischen Dasein des Pulten Jackele, aber schon ein ganz eigenes Kapitel.
Von Beruf war der Jackele Schuster, eigentlich schon mehr Flickschuster. Denn er hatte es weder als Ehemann, noch als ehrsamer Schuhmachermeister zu einem besonders hohen Grad der Vollendung gebracht. Da er jedoch in Hinterdux nicht der einzige seines Handwerks war, langten seine Fähigkeiten für die Bedürfnisse der Bergbauern immerhin aus.
Hinterdux, das ist auch so ein Örtel im Tiroler Landl, von dem man sagen kann, daß dort die Welt schon bald mit Brettern 102 verschlagen ist. Einsame Bergmatten, in der Höhe das Joch, einige Gehöfte und Häuseln und die tiefe Stille der vollkommenen Weltabgeschiedenheit.
Im Sommer, da geht es allerdings lebendiger zu. Da kommen die Touristen, die über das Joch wandern; und auch eine ganz ansehnliche Zahl von ständigen Sommerfrischlern sammelt sich in dem stattlichen Wirtshaus von Hinterdux.
Da haben auch die Schuster mehr Arbeit; denn die harten und steinigen Bergwege wetzen das Sohlenleder oft rasch genug durch.
Wohl hauptsächlich für die fremden Herrischen prangte auch ein hölzernes Schild mit schwarzen Buchstaben an dem Häusel des Pulten Jackele. »Jakob Niederegger, Schuhmacher« lautete die Inschrift darauf; denn das war der bürgerliche Name des Jackele.
Wenn er ihn nicht zufällig einmal auf der Tafel las oder einen Steuerzettel bekam, dann dachte der Jackele gar nicht daran, daß er aktenmäßig anders hieß, als sein Hausname war.
In seinem Leben hatte der Jackele zwei große 103 Unvorsichtigkeiten begangen. Die eine kennen wir bereits. Die hieß Geadl.
Seit die beiden Madeln, die der Ehe des Jackele entsprossen waren, aus dem Haus geheiratet hatten, war die Hölle für den Jackele noch ärger geworden. Früher hatten wenigstens die Töchter öfter zum Vater geholfen.
Von der andern großen Unvorsichtigkeit im Leben des Jackele ist noch zu berichten. Wenigstens hielt das der Jackele für eine seinem Ehekarren ebenbürtige Dummheit.
In friedlichen Zeiten hatte sich nämlich der Pulten Jackele unter die Standschützen einschreiben lassen.
Heute noch hat er eine Mordswut auf den Vorsteher, der ihm so lange gut zuredete, bis er endlich in die Trappel ging. Ja, im Frieden, da war ganz gut Standschütz sein. Da konnte man wenigstens ab und zu einmal außer dem Haus eine Rolle spielen.
Aber als der Jackele, der schon ein tüchtiger Fünfziger war, auf einmal gegen die Wallischen als Standschütz einrücken mußte, da hat er ganz 104 gottsjämmerlich geflucht. Denn Krieg hat er eigentlich schon mit der Geadl ausgiebig genug geführt. Und das war doch nicht so gefährlich gewesen, weil Kochlöffel, Töpfe und Holzscheiter gewöhnlich nicht loszugehen pflegen wie so ein vermaledeiter Schießprügel.
Die kriegerische Laufbahn des Pulten Jackele hatte ein ziemlich rasches Ende gefunden.
Offenbar wollten sich die Wallischen diesen äußerst gefährlichen Gegner so schleunig als möglich vom Hals schaffen und nahmen ihn daher gefangen.
Wie es bei dieser kriegerischen Aktion zugegangen war, darüber war von dem Pulten Jackele kein genauer Bericht zu erfahren. Gewöhnlich erklärte er ganz lakonisch: »Es ist halt nimmer anders gangen. Was willst du machen, wann du mußt!«
Übrigens war der Jackele gar nicht einmal allein gefangen worden. Er hatte einen Leidensgefährten gefunden. Und der war noch dazu ein guter Bekannter und Freund von ihm und auch ein Schuster.
105 Der Paulen Ander, recte Andreas Moser, war von Finkenberg, dem vordersten Dorf des Duxertals, mit gegen die Wallischen gezogen und hatte das gleiche Schicksal erfahren wie der Jackele.
Jahr und Tag hockten die beiden nun mitsammen irgendwo drunten im Welschland. Da es ihnen nicht vergönnt gewesen war, die Wallischen zu versohlen, begnügten sie sich in ruhiger Würdigung ihres Geschickes damit, wenigstens die feindlichen Stiefel zu versohlen.
Während der Weltkrieg weitertobte, schusterten also der Jackele und der Ander fleißig im Feindesland.
Wenn sie nur mehr Geld gehabt hätten! Der wallische Wein war halt gar soviel verteufelt gut und süffig. Aber schenken tat ihnen niemand einen Tropfen.
Der Ander, der ledig war und in Finkenberg so eine halbete Braut zurückgelassen hatte, bekam von seiner G'spusi wenigstens manchmal ein paar Groschen geschickt. Die Geadl aber, die schon immer ein arger Geizkragen gewesen 106 war, klemmte den Beutel jetzt erst recht fest zu.
Geld bekam der Jackele daher von seinem Hauskreuz keinen lumpigen Heller. Dafür trafen aber öfter Briefe mit ganz unverkennbaren Drohungen ein, der Jackele solle sich nur freuen, wenn er wieder heimkomme. Sie wolle ihm das Lederzeug schon anstreichen.
Die Geadl war sonst nie eine schreibselige Natur gewesen. Sie war aber das Keifen offenbar so gewöhnt, daß sie jetzt lieber zur Feder griff, als sich ganz in Stillschweigen hüllte.
Da heckten der Ander und der Jackele eines schönen Tages auf ihren Schusterstühlen einen großartigen Plan aus. Es wurde gemeinsam ein langer Schreibebrief verfaßt, den sodann der Ander eigenhändig abschrieb und unterfertigte.
Der Brief war für die Geadl bestimmt und enthielt die traurige Nachricht, daß der Pulten Jackele plötzlich und unvermutet am wallischen Fieber selig verstorben sei.
Gar beweglich wurden in dem Schreiben die 107 letzten Lebensstunden des Jackele geschildert . . . wie er in seinen lichten Momenten immer wieder nach der Geadl verlangte und es herzlich bereut habe, daß er ihr nicht stets ein liebevoller Gatte gewesen sei.
Die Hauptsache des Schreibens war aber der letzte Wille des Jackele. Darin vermachte er seinem Eheweib noch ausdrücklich sein Häusel mit Grund und Boden und allem, was drum und dran hing. Nur müsse die Geadl für seine ewige Ruhe fleißig Seelenmessen lesen lassen.
Die Messen müßten jedoch in Welschland gelesen werden, damit sie die gehörige Kraft hätten. Sonst könnte der Jackele im feindlichen Grabe keine Ruhe finden, und er würde seinem Weib als unerlöster Geist so lange zu mitternächtlicher Stunde erscheinen, bis die Messen ihre Wirkung getan hätten.
Das Geld für die Seelenmessen solle die Geadl Jackeles bestem Freund und Leidensgefährten, dem Paulen Ander, senden. Der würde dann schon das weitere besorgen.
Der Brief hatte eine wundersame Wirkung.
108 Richtig traf von der Geadl nach angemessener Zeit an den Paulen Ander reichlich Geld für die Seelenruhe des Abgeschiedenen ein.
Der Jackele und der Ander kamen ein paar Tage hindurch nicht aus den Räuschen heraus. Und als Geld und Wein sich ihrem Ende zuneigten, da verfaßte der Ander einen neuerlichen Schreibebrief an die Geadl. Die Seelenmessen hätten noch immer nicht ihre Wirkung getan. Der Jackele müßte ein großer Sünder gewesen sein; denn sein Geist sei ihm, dem Ander, neulich erschienen und habe noch mehr Messen verlangt, widrigenfalls er bei der Geadl einmal Nachschau halten wolle.
Abermals traf Geld ein, und das wiederholte sich noch öfter, so daß der Ander und der Jackele im Welschland ein recht fideles Leben führten und es schließlich herzlich bedauerten, als sie aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurden.
Sie faßten es beinahe als einen unfreundlichen Akt auf, als ob man sie böswillig hinausgeschmissen hätte . . .
109 An einem wolkenlos reinen und klaren Septembertag stiegen der Ander und der Jackele von Mairhofen im Zillertal aus gegen Finkenberg am Eingang des Duxertales empor.
In Finkenberg nahmen sie Abschied voneinander, und der Jackele wanderte etliche Stunden weiter bis Hinterdux.
Sonderlich wohl war ihm nicht zu Mut dabei. Das hätte er lügen müssen. Wenn er an die Geadl dachte, dann stiegen ihm ganz gewaltig die Grausbirn' auf.
Es war schon recht still in Hinterdux. Die Sommerfrischler waren abgezogen. Draußen auf den Bergmahden arbeiteten noch einzelne Leute. Die Schatten des frühen Abends senkten sich über das Tal.
Beklommenen Herzens schlich der Jackele zu seinem Häusel. Er sah nicht vertrauenerweckend aus in seinem abgerissenen Heimkehrergewand. Das Gesicht hatte er voll grauer Bartstoppeln. Man hätte ihm einen Kreuzer schenken können, wenn man ihm begegnete.
Das Häusel war verlassen. Die Geadl war 110 nicht daheim, jedoch stand die Tür offen. Wer hätte auch in dieser Einsamkeit etwas stehlen sollen.
»Dö ist g'wiß bei einer Nachbarin ratschen!« dachte sich der Jackele, als er sein Hauskreuz nirgends vorfand.
Er trat in die Stube. Da stand noch der Schusterstuhl und lag das Werkzeug herum, wie er es vor Jahr und Tag verlassen hatte. Ein bissel Sohlleder war auch noch da, und zwei alte Stiefel lagen in der Ecke, die große Löcher zeigten.
Da setzte sich der Jackele kurzweg auf seinen Schusterstuhl, nahm die Stiefel vor und begann sie zu flicken. Eifrig klopfte er darauf los, daß es nur so eine Freude war.
Und als es immer finsterer wurde, da suchte er nach dem kleinen Öllamperl, das ihm früher stets getreuliche Dienste geleistet hatte. Richtig war noch ein Rest von Petroleum in der Lampe. Der Jackele entzündete den Docht und schusterte fleißig weiter.
Als es schon ganz dunkel geworden war, da 111 kam die Geadl, die tatsächlich bei einer Nachbarin auf ein paar Ratschstünderln geweilt hatte, heim.
Lähmendes Entsetzen erfaßte das hagere, knochige Weib, das den Jackele um schier einen halben Kopf überragte, als sie sich ihrem Häusel näherte. In der Stube brannte Licht, und von drinnen tönte unablässiges und kräftiges Klopfen und Hämmern in die aufsteigende Nacht heraus.
»Jessas, Maria und Josef!« kreischte die Geadl. »Alle heiligen Nothelfer! Der Jackele geistert in der Stuben!«
Damit hatte die Geadl auch schon die Flucht ergriffen.
Der Jackele auf seinem Schusterstuhl hatte von dem ganzen Vorgang nichts gesehen und gehört. Die Geadl aber rannte, an allen Gliedern schlotternd vor Angst und Entsetzen, geradewegs zum Meßmer Bartl.
Der mußte ihr helfen in ihrer Not. Denn wie konnte sie es wagen, allein ihr Häusel zu betreten! Der Jackele hatte seine Drohung wahr 112 gemacht. Ein boshaftiger und heimtückischer Mensch war er schon immer gewesen.
Und sie hatte doch so fleißig Seelenmessen gezahlt. Der, wenn er ihr lebendig heimgekommen wäre! Aber mit einem Geist anzubandeln, das ging selbst über die Schneid' der Geadl.
Der Meßmer Bartl war nicht einmal gar so leicht zu bewegen, die Geadl zu begleiten. Das sei eine lebensgefährliche Sache, meinte er. Man könne bei so einem Geist nie wissen, was ihm einfalle und was er einem antue. Er, der Bartl, verspüre nicht die geringste Lust, sich den Kopf ins G'nack drehen zu lassen.
Endlich ging aber der Meßmer Bartl doch mit. Er trug in der linken Hand einen großen Weihbrunnkessel, voll von geweihtem Wasser, und in der Rechten einen riesigen Weihbrunnwedel, den größten, der da war.
Der Jackele war so sehr in seine Arbeit vertieft, daß er es nicht bemerkte, wie sich die Stubentür öffnete und der Meßmer mit der Geadl im Rahmen der niederen Tür erschien. Er schreckte erst empor, als ein gewaltiger 113 Schwall Wasser wie ein Platzregen auf ihn niederprasselte.
»Alle guten Geister loben Gott den Herrn!« rief der Meßmer Bartl mit zitternder Stimme.
Der Jackele schaute ganz verdutzt auf und wischte sich das Wasser von Kopf und Gesicht.
»Oh Geist des abgeschiedenen Jakob Niederegger, was ist dein Begehr?« frug der Meßmer feierlich.
Dabei tauchte er den Wedel neuerdings in den Weihbrunnkessel und zielte nach dem Jackele. Der duckte sich aber rechtzeitig auf seinem Schusterstuhl, so daß diesmal der nasse Schwall über seinen Kopf hinweg ging und gegen die Scheiben der engen Stubenfenster schlug.
»Und i hab' fleißig Messen zahlt für ihn! Und nix hat's g'nutzt!« jammerte die Geadl hinter dem Meßmer.
»Oh abgeschiedener Geist,« fuhr der Bartl zu beschwören fort, »verkünde uns, warum du keine Ruhe findest in deinem Grabe!«
»Oh Jackele, Jackele!« jammerte die Geadl. 114 »Warum hab' i so was mit dir erleben müssen! I bin dir doch immer a treues Weib g'wesen!«
Da begann eine plötzliche Erkenntnis in dem Gehirn des Pulten Jackele aufzudämmern. Die hielten ihn also für einen Geist. Und die Geadl fürchtete sich vor ihm.
Das war ja großartig. Die Geadl fürchtete sich vor ihm! So also sah die Geadl aus, wenn sie sich vor ihm fürchtete. Kasweiß war die Geadl im Gesicht, und zittern und schlottern tat sie.
»Na wart', enk werd' i heimleuchten!« murmelte der Jackele unhörbar zwischen den Zähnen.
»Alle guten Geister!« Der Meßmer Bartl holte abermals zu einem gewaltigen Spritzer mit dem Weihbrunnwedel aus.
Bevor er jedoch den Wedel in Schwung bringen konnte, schmiß der Jackele den Stiefel, den er gerade in der Arbeit hatte, gegen die Türöffnung und dann den zweiten Stiefel und dann etliche Schusterleisten und den Hammer und zuletzt den Schusterstuhl selber.
115 Der Jackele hatte sich in seiner ganzen Größe erhoben und bleckte nun mit einem wahrhaft teuflischen Grinsen seine Zunge heraus, so weit er sie aus dem Rachen brachte. »Bläääh!« machte er. »Bläääh!« und noch einmal »Bläääh!«
Der Meßmer und die Geadl, die schon auf die Wurfgeschosse hin die Flucht ergriffen hatten, drehten sich im Hausgang entsetzt um und sandten noch einen raschen Blick durch die Stubentür. Die gröhlenden Laute des Jackele dünkten sie wie höllisches Hohngelächter.
Der Meßmer hatte den Weihbrunnkessel fallen gelassen, so daß der Stubenboden nur so von Wasser schwamm. »Dös ist ja der hellichte Höllteufel!« rief er. »Da soll a anderer damit anbandeln!«
Es traute sich auch in der selbigen Nacht niemand mehr in das Häusel des Pulten Jackele. Die Geadl übernachtete bei einer Bekannten.
Der Jackele suchte Stiefel, Schusterwerkzeug und Stuhl wieder zusammen und ging dann auf seine Kammer ins Bett.
116 Er konnte lange nicht einschlafen; denn die eigenartigsten Gedanken und Erwägungen fuhren ihm durch den Kopf . . .
Daß er kein Geist war, hat sich beim hellen Tag natürlich herausgestellt. Aber das Regiment im Hans hat die Geadl nie wieder bekommen.
Einmal hatte sie der Jackele gesehen, wie sie sich vor ihm fürchtete. Und weil er jetzt wußte, wie die Geadl ausschaute, wenn sie sich fürchtete, bekam er auch die gehörige Schneid', sich auf die Hinterfüß' zu stellen. Und nachdem er jetzt einmal ein Paar Stiefel, Hammer, Schusterleisten und Schusterstuhl nach der Geadl geschleudert hatte, allerdings als Geist, fiel es ihm nicht gar so schwer, sich diese löbliche Praxis auch als Mensch von Fleisch und Blut anzugewöhnen.
Für die ewige Seelenruhe des Pulten Jackele hatte die Geadl das Geld freilich umsonst bezahlt. Aber für seine Ruhe in diesem irdischen Jammertal hatte es doch Früchte getragen. 117