Ferdinand Gregorovius
Lucrezia Borgia
Ferdinand Gregorovius

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VII

In jenem Jahr, wo sich Lucrezia mit schwesterlicher Liebe um das Schicksal ihres schrecklichen Bruders härmte, war in ihren eigenen Verhältnissen eine große Veränderung eingetreten. Denn seit dem 25. Januar 1505 war sie wirkliche Herzogin von Ferrara. Ihr Gemahl Alfonso hatte sich auf den Wunsch seines Vaters nach Frankreich, Flandern und England begeben, um die dortigen Höfe kennenzulernen. Er sollte dann über Spanien nach Italien heimkehren. Aber am Hofe Heinrichs VII. von England meldeten ihm Depeschen die Erkrankung des Herzogs; er eilte nach Ferrara zurück, wo Ercole bald nach seiner Ankunft starb.

Alfonso bestieg den Herzogsthron in einer Zeit, welche viel Kraft und Klugheit von ihm forderte, um den Gefahren zu begegnen, die seinem Staate drohten. Denn die Republik Venedig hatte sich bereits eines Teiles der Romagna bemächtigt und suchte auch Ferrara von den Pomündungen abzuschneiden, während Julius II. in Rom sich rüstete, Bologna zu unterwerfen und wenn dies geschehen war, vielleicht auch Ferrara anzugreifen. Unter solchen Umständen war es ein Glück für diesen Staat, daß ein Fürst von der ruhigen und praktischen Natur Alfonsos zur Regierung kam. Er war nicht prachtliebend und verschwenderisch; er hielt nichts auf einen glänzenden Hof. Er vernachlässigte alles Äußerliche, selbst seine Kleidung. Seine Leidenschaft war auf Heerwesen, Befestigungen und den Guß von Kanonen gerichtet. Wenn ihm seine Geschäfte Muße übrig ließen, vergnügte er sich in einer Drechslerwerkstätte, die er eingerichtet hatte, oder er bemalte als geschickter Dilettant Gefäße von Majolika. Für die höhere Kultur besaß er keinen Sinn. Er überließ diese seiner Gemahlin.

Daß Lucrezia hinreichende Bildung und Neigung besaß, um an der geistigen Bewegung in Ferrara Anteil zu nehmen, darf die kleine Büchersammlung beweisen, welche sie schon aus Rom mit sich gebracht hatte. Wir besitzen ein Inventarium derselben aus den Jahren 1502 und 1503; dasselbe klärt uns zugleich über die Studien auf, welche Lucrezia vorzugsweise beschäftigten. Nach diesem Verzeichnis besaß sie folgende, meist reich und schön in Purpursamt, in Gold und Silber gebundene Bücher: ein Breviarium; ein Büchlein mit den sieben Psalmen und anderen Gebeten; ein pergamentnes Buch mit Miniaturen in Gold, genannt de Coppelle ala Spagnola; die gedruckten Briefe der heiligen Catarina von Siena; die gedruckten Episteln und Evangelien in Vulgär; ein spanisches Buch religiösen Inhalts; eine handschriftliche Sammlung von spanischen Kanzonen, mit den Sprichwörtern des Domenico Lopez; ein gedrucktes Buch, genannt aquila volante; ein gedrucktes Buch, genannt Supplement von Chroniken in Vulgär; den »Spiegel des Glaubens« gedruckt und in Vulgär; einen gedruckten und kommentierten Dante; ein Buch in Vulgär »über die Philosophie«; die Legende der Heiligen, in Vulgär; ein altes Buch de Ventura; einen Donatus; ein Leben Christi in spanischer Sprache; einen Petrarca, handschriftlich auf Pergament, in Duodez. Man ersieht aus diesem Verzeichnis, daß die Studien Lucrezias nicht tief gingen; sie teilten sich zwischen Büchern christlicher Erbauung und solchen schöner Literatur.

In voller Freiheit richtete Lucrezia ihren herzoglichen Hof ein. Sie war jetzt Seele und Mittelpunkt allen geistigen Lebens in Ferrara. Ihr gebildeter Verstand, ihre Schönheit und die unwiderstehliche Anmut ihres Wesens bezauberten jeden, der ihr nahte. Der Widerwille, welchen die Verwandten des Hauses Este ihr am Anfange entgegenbrachten, war geschwunden, und namentlich hatte er sich bei Isabella Gonzaga in Zuneigung verwandelt. Das Zeugnis davon ist der zahlreiche Briefwechsel zwischen beiden Frauen, welcher bis zum Tode Lucrezias fortdauerte; mehrere hundert ihrer Briefe an die Markgräfin von Mantua bewahrt noch das Archiv Gonzaga.

Kaum minder freundlich waren ihre Beziehungen zum Hause Urbino geworden, und sie setzten sich auch fort, als Guidobaldo im April 1508 gestorben war; denn sein Nachfolger wurde Francesco Maria Rovere, der Schwiegersohn Isabella Gonzagas. Sie empfing die Besuche dieser Fürsten, sie stand in lebhaftem Verkehr mit vielen ausgezeichneten Menschen, wie Baldassar Castiglione und Ottaviano Fregoso, Aldus Manutius und Bembo.

Bembo war in Liebe zu der schönen Herzogin entbrannt; er besang sie in Versen und er widmete ihr am 1. August 1504 seinen Dialog über die Liebe, die Asolani, mit einem Brief, worin er ihre Tugenden feierte. Sein Freund Aldus, welcher erst in Ferrara am Hofe Ercoles gelebt hatte, dann zu den Pii nach Carpi gegangen war und sich endlich in Venedig niedergelassen hatte, gab dort im Jahre 1505 diese Asolani im Druck heraus und schickte sie Lucrezia mit einer Widmung. Die Leidenschaft Bembos für die Herzogin ist unzweifelhaft, aber es wird ein fruchtloses Unternehmen bleiben, aus den Beweisen der Zuneigung, welche ihm die schöne Frau schenkte, darzutun, daß jene die Grenzen des Erlaubten überschritten hat. Dies ist auch aus den Briefen Bembos an sie, welche in seinen Werken abgedruckt sind, und mehr noch aus denen Lucrezias an ihn selbst gefolgert worden. Der geistvolle Venezianer stand vom Jahre 1503 bis 1506, in welchem er an den Hof Guidobaldos nach Urbino ging, in dem lebhaftesten persönlichen Verkehr mit Lucrezia; er schrieb an sie Briefe, wenn er bei seinen Freunden, den Strozzi, auf der Villa Ostellato wohnte. Diese Briefe, zumal solche, die er an eine ungenannte Freundin richtete, unter welcher ohne Frage die Herzogin gemeint ist, atmen mehr als Freundschaft, sie sind voll zärtlicher Vertraulichkeit. Die eignen Briefe Lucrezias an Bembo bewahrt, wie bekannt, die Ambrosiana in Mailand, und jeder Besucher dieser berühmten Bibliothek hat sie und die blonde Haarlocke gesehen, die ihnen beiliegt. Jene sind eigenhändig und zweifellos; die Haarlocke kann zweifelhaft erscheinen, mochte aber doch wohl ein Pfand ihrer Zuneigung sein, welches der beglückte Bembo davontrug. Ihre Briefe an ihn beschrieb und behandelte zuerst Baldassare Oltrocchi, dann brachte sie Lord Byron in Ruf, und neuerdings gab sie Bernardo Gatti im Jahre 1859 zu Mailand heraus. Sie sind neun an der Zahl; sieben davon sind italienisch, zwei spanisch geschrieben. Beigelegt ist ihnen eine spanische Kanzone.

Daß ihr Herz für Bembo mehr als Freundschaft empfand, darf als gewiß erscheinen, denn sie selbst war noch jung und er ein vollendeter Kavalier, schön, liebenswürdig und voll Geist, so daß er den rauhen Alfonso in Schatten stellte. Er wird dessen Eifersucht erregt haben, und vielleicht war diese und die Gefahr, die ihm drohte, der Grund seiner Abreise nach Urbino. Bis zum Jahre 1513 unterhielt Lucrezia mit ihm einen freundschaftlichen Verkehr auch aus der Ferne.

Viele andere Dichter in Ferrara huldigten ihr und vergötterten sie. Die Verse beider Strozzi sind sogar noch leidenschaftlicher als die von Bembo, vielleicht weil ihr dichterisches Talent größer war als das seinige. Titus, der Vater, begegnete sich mit seinem genialen Sohn Herkules in denselben Empfindungen für die schöne Fürstin, und selbst in den gleichen poetischen Motiven und Vorstellungen. Und schon diese Gemeinschaftlichkeit mag dartun, daß ihre Liebe eine ästhetische Huldigung war. Titus besang eine Rose, die ihm Lucrezia geschenkt hatte, aber sein Sohn überbot ihn noch in einem Epigramm auf »Die Rose Lucrezias«, und diese war schwerlich dieselbe, die sein Vater empfangen hatte:

Rose, dem Boden der Freuden entsproßte, vom Finger gepflückte,
    Warum scheinet als sonst schöner dein farbiger Glanz?
Färbt' dich Venus aufs neu? hat eher Lucrezias Lippe
    Dir im Kusse so hold schimmernden Purpur verliehn?

Titus bekannte in seinen Epigrammen, daß er, ein alternder Mann, vor Amor sicher zu sein glaubte, aber nun doch in den Fesseln Lucrezias liege. In ihr habe sich, so sagte er, alle Herrlichkeit des Himmels und der Erde vereinigt, und nichts ihr Gleiches sei in der Welt zu finden. An Bembo, dessen Leidenschaft er kannte, richtete er ein Epigramm, welches mit geistreicher Laune den Namen Lucretia aus Lux und retia zusammensetzte und das Netz heiter verspottete, von dem namentlich Bembo umflochten war.

Sein Sohn Herkules nannte sie eine Juno an hilfreichen Werken, eine Pallas an Sitte, eine Venus von Angesicht. Er besang in Catullischen Versen den marmornen Kupido, den die Herzogin in ihrem Salon aufgestellt hatte; vom Blick ihrer Augen sei dieser Liebesgott versteinert worden. Das schöne Auge Lucrezias verglich er mit der Sonne, die denjenigen blendet, der in sie zu schauen wagt. Wie die Meduse versteinere dann derselbe Blick dieser Augen den Geblendeten; aber auch im Stein lebe der Liebesschmerz fort und quelle in Tränen hervor.

Wird es möglich sein, alle jene anmutigen Gedichte zu lesen und dann sich noch vorzustellen, daß diese Dichter sie schreiben konnten, wenn sie Lucrezia Borgia jener Verbrechen wirklich für schuldig hielten, die ihr Sannazar auch noch nach dem Tode ihres Vaters nachgerufen hatte?

Antonio Tebaldeo, Calcagnini und Giraldi besangen die Schönheit und die Tugend derselben Fürstin. Marcello Filosseno dichtete auf sie verliebte Sonette, worin er sie mit Minerva und Venus verglich. Jacopo Caviceo, der in den letzten Jahren seines Lebens (er starb 1511) Vikar des Bistums von Ferrara war, widmete ihr seinen wunderlichen Roman Peregrino mit einer Zuschrift, worin er sie als »schön und gelehrt, weise und sittsam« feierte. Die Reihe der Dichter, die ihr zu Füßen lagen, mag groß gewesen sein, und sie selbst empfing ihre Huldigungen mit jener befriedigten Eitelkeit, mit welcher solche Opfer noch heute jede schöne Frau empfängt. Einige dieser Dichter waren vielleicht von Liebe zu ihr trunken, andere streuten ihr Weihrauch aus höfischer Gunstbuhlerei; und alle waren froh, in ihr ein Ideal zu besitzen, welches für sie wenigstens die platonische Quelle von Reimen und Versen sein konnte.

Jene Poeten sind für uns nur noch literarische Namen, mit Ausnahme Ariostos. Der große Dichter war seit dem Jahre 1503 in ein nahes Verhältnis zu dem Fürstenhof Ferraras gekommen, da er zunächst in die Dienste des Kardinals Hippolyt trat. Bald darauf, im Jahr 1505, begann er sein Epos, auf dessen Fortführung indes die schöne Herzogin wenig Einfluß gehabt zu haben scheint. Er feierte sie darin einigemal, namentlich in einer Stanze, für welche sie dem Dichter, wenn sie dessen Unsterblichkeit schon begriff, keinen ausreichenden Dank zu bieten hatte. Es ist die dreiundachtzigste im zweiundvierzigsten Gesange des Orlando Furioso, wo er in dem Ehrentempel der Frauen das Bild Lucrezias aufgestellt hat, welches als ihre ritterlichen Zeugen die zwei berühmten Dichter Ferraras tragen, Antonio Tebaldeo und Ercole Strozzi. Die Inschrift unter ihrem Bilde sagt, daß ihr Vaterland Rom sie um ihrer Schönheit und Sittsamkeit willen der antiken Lucrezia vorziehen müsse.

Ein neuerer Autor Italiens bemerkt zu dieser Huldigung Ariostos: »Wie viel man hier auch auf Rechnung des höfischen Sinnes der Poeten jener Zeit und der Dienstbeflissenheit Messer Lodovicos gegen die Este setzen mag, so wird man doch zugeben, daß auch die Kunst der Schmeichelei ihre Gesetze und ihre Grenzen hatte, und daß derjenige mit der Welt und den Gebräuchen der Höfe vollkommen unbekannt sein mußte, der an einer fürstlichen Person solche Eigenschaften rühmte, um deren Mangel willen sie gerade öffentlich geschmäht wurde; denn in diesem Fall würde das Lob zur Satire geworden und dem unvorsichtigen Höfling schlecht bekommen sein.« Die Schmeichelei war zu allen Zeiten der Dank, womit Hofpoeten ihre goldene Knechtschaft bezahlten, ihr Laster und ihre Strafe. Ariosto und Tasso sind von ihr so wenig frei wie Horaz und Virgil. Als der Dichter des Orlando Furioso sich vom Kardinal Hippolyt mit Kälte behandelt sah, wollte er sogar alles auslöschen, was er zu dessen Lobe gesagt hatte. Man darf auch behaupten, daß es der bloße Name »Lucrezia« war, der sowohl bei Ariosto als bei anderen Poeten den Vergleich mit jenem klassischen Ideal weiblicher Ehre veranlaßte, denn er lag zu nahe, zumal für die Vorstellung der Dichter in der Renaissance. Aber doch wird man jene Bemerkung des modernen Advokaten Lucrezias nicht ganz abweisen können. Auch wo jener Vergleich nicht gemacht wurde, haben andere Zeitgenossen Ariostos gerade die Sittsamkeit der schönen Herzogin gefeiert. Dies steht fest, daß sie während ihres Lebens in Ferrara als ein Muster tugendhafter Frauen gegolten hat.

An ihrem Hofe lebte eine junge Dame, deren Reize alle Herzen bezauberten, bis sie zu einer Hoftragödie Veranlassung gab. Es war jene Angela Borgia, welche Lucrezia aus Rom nach Ferrara mit sich gebracht hatte, die frühere Verlobte Francesco Maria Roveres. Wann dieses Verlöbnis aufgelöst wurde, ist unbekannt; es mochte bald nach dem Tode Alexanders geschehen sein, und der Erbe Urbinos vermählte sich, wie bemerkt ist, mit Eleonora Gonzaga. Zu den Anbetern Angelas gehörten die beiden gleich lasterhaften Brüder des Herzogs Alfonso, der Kardinal Hippolyt und Giulio, ein natürlicher Sohn Ercoles. Angela rühmte eines Tages, da Hippolyt ihr seine Huldigungen darbrachte, die Schönheit der Augen Giulios, was den eifersüchtigen Wüstling so sehr erbitterte, daß er einen wahrhaft teuflischen Racheplan aussann. Der ehrwürdige Kardinal dang Meuchelmörder und gab ihnen Befehl, seinem Bruder bei der Rückkehr von einer Jagd aufzulauern und jene Augen auszureißen, welche Donna Angela schön gefunden hatte. Das Attentat wurde ausgeführt im Beisein des Kardinals, doch nicht so vollkommen, als es dieser gewünscht hatte. Man trug den Verwundeten in seinen Palast, wo es den Ärzten glückte, ihm das eine Auge zu erhalten. Dieser Frevel geschah am 3. November 1505. Er brachte den ganzen Hof in Aufregung: der Herzog strafte zwar den Kardinal mit vorübergehender Verbannung, aber der unglückliche Giulio konnte ihm den Vorwurf machen, daß er dieses Verbrechen nur mit Gleichgültigkeit behandelte. Er brütete Rache, und dieser Exzeß sollte bald die schrecklichsten Folgen nach sich ziehen.

Ariosto, der Höfling des frevelhaften Kardinals, kam in eine nicht geringe Verlegenheit; er zog sich aus ihr in einer Weise, die nicht ehrenvoll für ihn zu nennen ist, und daher auch den Wert jenes Lobes mindert, welches er Lucrezia darbrachte. Die Schmeichelei verführte ihn, eine Ekloge zu dichten, in welcher er die Motive des Attentats verschleierte und den Mörder zu reinigen suchte, indem er den Charakter Giulios mit schwarzen Farben malte. In derselben Ekloge ergoß er sich zugleich in ein begeistertes Lob Lucrezias. Er pries nicht nur ihre Schönheit, ihren Geist und ihre frommen Werke, sondern vor allem ihre Keuschheit, um deren willen sie schon gefeiert gewesen sei, ehe sie nach Ferrara kam.

Ein Jahr darauf, am 6. Dezember 1506, vermählte Lucrezia Donna Angela mit dem Grafen Alessandro Pio von Sassuolo, und ein wunderlicher Zufall fügte es später, daß deren Sohn Giberto der Gemahl Isabellas wurde, einer natürlichen Tochter des Kardinals Hippolyt.

In demselben Monat November, wo jenes Attentat geschah, erregte ein Ereignis im Vatikan die lebhafteste Aufmerksamkeit Lucrezias und erweckte ihr die peinvollsten Erinnerungen. Denn Julia Farnese, die Gefährtin ihrer unglücklichen Jugend, trat dort unter Verhältnissen auf, die sie wahrhaft überraschen mußten. Welches die Schicksale dieser Geliebten Alexanders einige Jahre vor und nach dessen Tode waren, wissen wir nicht. Sie hatte mit ihrem Gatten Orsini auf dem Schloß Bassanello gelebt, wohin sich wohl auch dessen Mutter Adriana zurückzog. Wenigstens befand sich Julia daselbst im Jahre 1504, zu einer Zeit, wo in der Familie Orsini eines jener Verbrechen verübt wurde, an denen die Geschichte italienischer Familien so reich ist. Ihre Schwester Girolama Farnese, die Witwe von Puccio Pucci, hatte sich in zweiter Ehe mit dem Grafen Giuliano Orsini von Anguillara vermählt: ihr Stiefsohn Giambattista von Stabbia ermordete sie, wie man sagte, weil sie ihn selbst hatte vergiften wollen. Julia bestattete die tote Schwester im Jahre 1504 zu Bassanello.

Im folgenden Jahre muß sie nach Rom gezogen sein und den Palast Orsini bewohnt haben. Ihr Gemahl war gestorben, und auch Adriana Ursina mochte schon tot sein; denn bei dem feierlichen Akt, welcher im November des Jahres 1505 im Vatikan stattfand, erscheint sie nicht. Hier vermählte Julia, zum tiefen Erstaunen von ganz Rom, ihre einzige Tochter Laura mit dem leiblichen Nepoten des Papstes Julius II., mit Nicolaus Rovere, dem Bruder des Kardinals Galeotto.

Laura galt bei allen, welche in die Geheimnisse ihrer Mutter eingeweiht waren, als das Kind Alexanders VI., als die natürliche Schwester der Herzogin von Ferrara. Als sie sieben Jahre alt geworden war, hatte ihre Mutter sie am 2. April 1499 mit Federigo, dem zwölfjährigen Sohne Raymund Farneses, rechtskräftig verlobt; und dieses Bündnis war dann gelöst worden, um durch das glänzendste ersetzt zu werden, welches ihr Ehrgeiz nur wünschen konnte.

Die Einwilligung Julius' II. in die Verbindung seines Nepoten mit der Bastardtochter Alexanders VI. ist eine der erstaunlichsten Tatsachen aus der persönlichen Geschichte dieses Papstes. Sie erscheint als seine Versöhnung mit den Borgia. Er hatte diese Menschen gehaßt, solange er ihr Feind war, aber sein Haß hatte nie moralische Motive gehabt. Verachtet hat Julius II. Alexander und Cesar niemals, vielmehr ihre Kraft so bewundernd anerkannt wie Machiavelli. Wir haben zwar keine Kunde davon, daß er nach seiner Thronbesteigung mit Lucrezia Borgia persönliche Beziehungen unterhielt, doch wird das sicherlich schon um des Hauses Este willen der Fall gewesen sein. Nur einmal hatte er Lucrezia tief verwundet, als er am 24. Januar 1504 Guglielmo Gaetani in den Besitz von Sermoneta setzte, durch eine Bulle in so rücksichtsloser Sprache, daß er darin Alexander VI. geradezu als einen Betrüger bezeichnete, welcher die Seinigen mit dem Raube anderer bereichert habe. Und gerade von Sermoneta waren erst Lucrezia und dann ihr Sohn Rodrigo Herren gewesen.

Später, zumal nachdem Alfonso zur Regierung gekommen war, mußte sich das Verhältnis des Papstes zu Lucrezia freundlicher gestalten. Sie unterhielt noch fortdauernd mit Julia Farnese einen Briefwechsel, und ohne Frage empfing sie von ihr die Anzeige der Verbindung ihrer Tochter mit dem Hause des Papstes.

Diese Vermählung wurde im Vatikan vollzogen, in Gegenwart Julius' II., des Kardinals Alessandro Farnese und der Mutter der jungen Braut. Julia feierte einen der größten Triumphe ihres romanhaften Lebens: sie unterjochte den moralischen Widerstand eines zweiten Papstes, und dieser war der Feind Alexanders und der Verderber Cesars. Sie, die Ehebrecherin, die mit den Satiren Roms und Italiens gebrandmarkte Geliebte Alexanders VI., erschien jetzt als eine der vornehmsten Frauen der römischen Aristokratie, als die »erlauchte und edle Donna Julia de Farnesio«, die Witwe Orsinis im Vatikan, um ihre und Alexanders Tochter dem Nepoten Julius' II. zu vermählen und dadurch ihrer eigenen frevelvollen Vergangenheit die Absolution zu geben. Sie selbst war damals noch eine schöne verführerische Frau und höchstens erst im Anfang der dreißiger Jahre ihres Lebens.

Dieses Glück und diese Wiederherstellung ihrer Ehre (wenn man von solcher im Angesicht der Moral jener Zeit reden darf) verdankte sie dem Ansehen ihres Bruders, des Kardinals. Auch bestimmten politische Rücksichten den Papst zu jener Verbindung; denn um seinen Plan der Restauration des Kirchenstaats auszuführen, wollte er zunächst in Rom selbst die großen Familien für sich gewinnen. Er zog die Farnese und Orsini an sich; er vermählte (im Mai 1506) seine eigene natürliche Tochter Felice mit Giangiordano Orsini von Bracciano, und im Juli desselben Jahres gab er seine Nichte Lucrezia Gara Rovere, die Schwester jenes Nicolaus, dem Marcantonio Colonna zum Weibe.

Seither verschwindet Julia Farnese wieder unseren Blicken. Weder unter Julius II. noch unter Leo X. wird sie irgend sichtbar. Am 14. März 1524 machte sie ein Testament zugunsten ihrer Nichten Isabella und Costanza, wenn ihre Tochter keine Nachkommen haben sollte. Am 23. März desselben Jahres meldete der venezianische Botschafter Marco Foscari in Rom seiner Signorie: »Die Schwester des Kardinals Farnese, Madonna Julia, ehemals die Geliebte des Papstes Alexander, ist gestorben.« Dies scheint anzudeuten, daß ihr Tod in Rom selbst erfolgte. Kein sicheres Bildnis ist von Julia Bella auf uns gekommen; nur die römische Tradition behauptet, daß in den zwei liegenden Marmorfiguren, welche das Denkmal Pauls III. Farnese im S. Peter zieren, die eine, die Gerechtigkeit, Julia Farnese, seine Schwester, die andere, die Klugheit, Giovanella Gaetani, seine Mutter porträtgetreu vorstelle.

Die Tochter Julias blieb Herrin von Bassanello und Carbognano. Sie hatte einen Sohn Giulio Rovere, welcher später im Rufe eines großen Gelehrten stand.

Unterdes brachte das gegen Giulio d'Este ausgeführte Attentat solche Folgen hervor, daß sich das fürstliche Haus Ferrara von einer schrecklichen Katastrophe bedroht fand. Giulio klagte Alfonso der Ungerechtigkeit an; aber die vielen Freunde des Kardinals fanden dessen Verbannung noch zu hart. Hippolyt besaß einen großen Anhang in Ferrara: er war ein verschwenderischer Lebemann, während der Herzog bei seinen realistischen Neigungen und praktischen Beschäftigungen Hof und Adel vernachlässigte. Es bildete sich eine Partei, die einen gewaltsamen Regierungswechsel für wünschenswert hielt; und solche Revolutionen waren im Haus der Este mehrmals erlebt worden, auch beim Regierungsantritt Ercoles.

Giulio gewann mißvergnügte Edle und gewissenlose Menschen im Dienste des Herzogs für seinen Racheplan, den Grafen Albertino Boschetti von San Cesario, dessen Schwiegersohn, den Kapitän der Palastwache, einen Kämmerer, einen Hofsänger des Herzogs und andere. In diese Verschwörung trat sogar Don Ferrante ein, der leibliche Bruder Alfonsos, welchem als seinem Prokurator Lucrezia in Rom war angetraut worden. Der Plan war zunächst der, den Kardinal durch Gift aus der Welt zu schaffen, und weil das nicht straflos bleiben konnte, wenn der Herzog am Leben blieb, so sollte auch dieser umgebracht und Don Ferrante auf den Thron gehoben werden. Auf einem Maskenball wollte man Alfonso ermorden.

Der Kardinal, welcher von seinen Spionen in Ferrara gut bedient wurde, bekam einen Wink von diesem Vorhaben und konnte bald seinen Bruder Alfonso darüber aufklären. Das geschah im Juli 1506. Die Verschwörer suchten ihr Heil in der Flucht, doch nur Giulio vermochte nach Mantua und der Sänger Guasconi nach Rom zu entrinnen. Der Graf Boschetti wurde in der Nähe Ferraras aufgegriffen. Don Ferrante scheint nicht einmal einen Fluchtversuch gemacht zu haben. Als man ihn vor den Herzog brachte, warf er sich ihm zu Füßen und flehte ihn um Gnade an; aber seines Zornes nicht mehr Meister, stieß ihn Alfonso nicht nur wütend von sich, sondern er schlug ihm mit einem Stecken, den er in der Hand hielt, ein Auge aus. Dann ließ er ihn in den Turm des Kastells sperren. Dorthin wurde bald auch Don Giulio gebracht, welchen der Markgraf von Mantua nach einigem Sträuben ausgeliefert hatte. Der Majestätsprozeß ward schnell beendigt und das Todesurteil über die Schuldigen ausgesprochen. Zuerst wurde Boschetti mit zwei seiner Genossen vor dem Palast della Ragione enthauptet. Diese Hinrichtungsszene stellt getreu ein Bild dar, welches in einer Kriminalstatistik Ferraras jener Zeit enthalten ist; die merkwürdige Handschrift besitzt die dortige Universitätsbibliothek.

Die beiden Prinzen sollten im Hofe des Kastells hingerichtet werden, am 12. August. Das Schafott war aufgeschlagen, die Tribünen füllten sich, der Herzog nahm seinen Platz ein, und man führte die Unglücklichen an den Block. Da gab Alfonso ein Zeichen: er begnadigte seine Brüder. Ihrer Sinne nicht mehr mächtig, wurden sie in den Kerker zurückgebracht. Ihre Strafe war ewiges Gefängnis. Darin schmachteten sie lange Jahre und bis über den Tod Alfonsos hinaus; denn nichts erweichte das Herz dieses grausamen Mannes; er ertrug es alle Zeit geduldig, seine elenden Brüder in dem Turm desselben Schlosses zu wissen, wo er aus- und einging, wo er wohnte und oft genug in Freuden lebte. Das waren die Este, welche Ariosto in seinem Gedicht zu den Sternen erhoben hat. Don Ferrante erlöste der Tod erst am 22. Februar 1540, im Alter von dreiundsechzig Jahren; Don Giulio erhielt seine Freiheit im Jahre 1559 und starb dann, dreiundachtzig Jahre alt, am 24. März 1561.


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