Ferdinand Gregorovius
Lucrezia Borgia
Ferdinand Gregorovius

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Erstes Buch

Lucrezia Borgia in Rom

I

Das spanische Geschlecht der Borja (oder Borgia, wie die Italiener den Namen aussprechen) war an ungewöhnlichen Menschen reich. Die Natur verlieh ihm zum Teil verschwenderische Gaben: sinnliche Schönheit und Kraft, Verstand und jene Energie des Willens, welche das Glück an sich zieht und wodurch Cortez und Pizarro und andere spanische Abenteurer groß geworden sind.

Konquistadoren waren auch die Borgia in Italien, gleich den Aragonen; sie errangen sich hier Ehren und Macht, wirkten tief auf die Schicksale des ganzen Landes ein, halfen es hispanisieren und verbreiteten darin zahlreich ihre Familie. Von alten Königen Aragons wollten sie abstammen, doch so wenig weiß man von ihrem Ursprung, daß ihre Geschichte erst mit dem wahren Begründer ihres Hauses, mit Alfonso Borgia beginnt, dessen Vater bald Juan, bald Domenico genannt wird, und von dessen Mutter Francesca nicht einmal der Familienname bekannt ist.

Zu Xativa bei Valencia war er im Jahre 1378 geboren. Er diente dem König Alfonso von Aragon als Geheimschreiber und ward Bischof von Valencia. Mit ihm kam er nach Neapel, auf dessen Thron sich dieser geniale Fürst emporschwang. Im Jahre 1444 wurde er Kardinal.

Spanien begann eben aus seinen Glaubenskriegen zur nationalen Größe aufzusteigen und europäische Bedeutung zu gewinnen. Es holte jetzt nach, was es bisher versäumt hatte, nämlich mithandelnd in Italien aufzutreten, dem Herzen der lateinischen Welt und noch immer Schwerpunkt der Politik wie der Zivilisation Europas. Spanien drang bald in das Papsttum und das Kaisertum ein. Von dort kamen erst die Borgia auf den Heiligen Stuhl, von dort stieg später Karl V. auf den Kaiserthron. Von Spanien kam auch Ignatius Loyola, der Stifter der mächtigsten aller Sekten von politisch-kirchlicher Natur, welche die Geschichte gesehen hat.

Alfonso Borgia, einer der eifrigsten Gegner des Basler Konzils und der Reformbestrebungen Deutschlands, wurde Papst im Jahre 1455, als Calixt III. Groß war seine Familiensippschaft und schon zum Teil in jener Zeit nach Rom gekommen, in welcher er selbst als Kardinal hier seinen Sitz nahm. Sie bestand zunächst aus den drei verwandten valencianischen Häusern Borgia, Mila (oder Mella) und Lanzol. Von den Schwestern Calixts war Catarina Borgia mit Juan Mila, Baron von Mazalanes, vermählt und Mutter des jungen Juan Luis. Isabella war die Gemahlin des Jofré Lanzol, eines zu Xativa begüterten Edelmannes, und Mutter des Pedro Luis und Rodrigos, sowie mehrerer Töchter. Diesen beiden Neffen gab der Oheim durch Adoption seinen Familiennamen. So wurden die Lanzol zu Borgia.

Zweien Mila verlieh Calixt III. die Kardinalswürde, dem Bischof Juan von Zamora, welcher dann im Jahre 1467 in Rom starb, wo sein Grabmal in S. Maria del Monserrato noch erhalten ist, und jenem jüngeren Juan Luis. In demselben Jahre 1456 erhielt auch Rodrigo Borgia den Purpur. Andere Mitglieder des Hauses Mila siedelten sich in Rom an, wie Don Pedro, dessen Tochter Adriana Mila wir in den innigsten Beziehungen zu der Familie ihres Oheims Rodrigo finden werden.

Von den Schwestern desselben Rodrigo hatte sich Beatrix mit Don Ximenez Perez de Arenos, Tecla mit Don Vidal de Villanova, und Juana mit Don Pedro Guillen Lanzol vermählt. Sie alle blieben in Spanien. Wir besitzen einen Brief Beatrices, welchen sie aus Valencia an ihren Bruder schrieb, bald nachdem er Papst geworden war.

Fünfundzwanzig Jahre war Rodrigo Borgia alt, als er die Würde des Kardinals erhielt, mit welcher er ein Jahr später die große Stellung des Vizekanzlers der römischen Kirche vereinigte. Nur ein Jahr älter war sein Bruder Don Pedro Luis. Calixt erhob diesen jungen Valencianer zu den höchsten Ehren des Nepoten: seither kommt überhaupt die Erscheinung eines solchen vatikanischen Nepotenprinzen auf, in welchem der Papst alle weltliche Gewalt zu vereinigen strebt. Er wird sein Condottiere, sein Exekutor, sein Thronwächter, und endlich sein weltlicher Erbe. Er gestattet ihm, im Bereich des Kirchenstaats Herrschaften an sich zu reißen und als Würgengel unter Tyrannen und Republiken umherzugehen, damit er eine Familiendynastie begründe, in welcher der flüchtige Moment des erblosen Papsttums sich verewige.

Calixt machte Pedro Luis zum Feldhauptmann der Kirche, zum Stadtpräfekten, zum Herzog von Spoleto, endlich zum Vikar von Terracina und Benevent. In diesem ersten spanischen Nepoten findet sich so die spätere Laufbahn des Cesar Borgia vorgezeichnet.

Allmächtig waren die Spanier in Rom, solange Calixt lebte. Sie strömten zumal aus dem Königreich Valencia massenhaft herbei, ihr Glück am Hof des Papstes zu machen, als Monsignoren und Skriptoren, als Hauptleute und Burgvögte, und auf jede andere Weise. Aber Calixt III. starb am 6. August 1458; und schon tags zuvor war Don Pedro Luis mit Mühe und Not aus Rom entronnen, wo sich der bisher unterdrückte einheimische Adel, die Colonna und Orsini gegen die verhaßten Fremdlinge erhoben hatten. Bald darauf im Dezember jenes Jahres raffte diesen jungen und glänzenden Emporkömmling plötzlicher Tod in Civitavecchia hin. Es ist nicht bekannt, daß Pedro Luis Borgia vermählt war, oder irgend Nachkommen hinterließ.

Der Kardinal Rodrigo beweinte den Verlust seines vielleicht einzigen und sehr geliebten Bruders, aber er erbte dessen Güter, während seine hohe Stellung an der Kurie durch den Papstwechsel nicht erschüttert wurde. Als Vizekanzler bewohnte er ein Haus im Viertel Ponte, welches ehemals die Münze war, und dies baute er zu einem der ansehnlichsten Paläste Roms aus. Das Gebäude von zwei Höfen, worin man noch heute die ursprünglich offenen Säulenhallen des Untergeschosses erkennt, war burgartig angelegt, wie der fast gleichzeitige venezianische Palast. Doch weder an Schönheit der Architektur, noch an Räumlichkeit konnte sich der Palast Borgia mit jenem Bau Pauls II. vergleichen. Er erfuhr im Lauf der Zeit manche Veränderung; heute gehört er, und schon seit langem, den Sforza Cesarini.

Das Privatleben Rodrigos während der Pontifikate von vier auf Calixt folgenden Päpsten, von Pius II., Paul II., Sixtus IV. und Innozenz VIII., ist in Dunkel gehüllt, denn wir besitzen die Memoiren jener Zeit entweder gar nicht oder nur sehr fragmentarisch.

Unerschöpfliche Sinnlichkeit beherrschte diesen Borgia, einen Mann von seltener Schönheit und Kraft, bis in sein spätestes Alter. Nie ist er diesen Dämon seines Lebens losgeworden. Einmal gab er Pius dem II. durch seine Exzesse Ärgernis, und das erste Streiflicht, welches auf das Privatleben Rodrigos fällt, ist ein Mahnbrief jenes Papstes, geschrieben in den Bädern von Petriolo am 11. Juni 1460. Borgia war damals neunundzwanzig Jahre alt. Er befand sich in dem schönen, verführerischen Siena, wo auch Piccolomini seine Jugend nicht als Heiliger verlebt hatte. Hier veranstaltete er eines Tages ein Bacchanal, von welchem eben der Brief jenes Papstes eine Schilderung gibt.

»Geliebter Sohn! Als vor vier Tagen in den Gärten des Johann de Bichis mehrere Frauen Sienas, weltlicher Eitelkeit hingegeben, zusammenkamen, befand sich, wie wir vernommen haben, Deine Würdigkeit, des Amts, welches Du bekleidest, wenig eingedenk, unter ihnen von der siebzehnten Stunde bis zur zweiundzwanzigsten; und Du hattest von Deinen Kollegen den zum Genossen, welchen wenn nicht die Ehre des Heiligen Stuhls, so doch sein Alter an seine Pflicht hätte erinnern sollen. Dort ist, wie wir hörten, in aller Ausgelassenheit getanzt worden; dort wurde keine Liebeslockung gespart, und Du betrugst Dich dabei nicht anders, als wärest Du einer aus dem Schwarm der weltlichen Jugend. Was dort alles getrieben wurde, verbietet die Scham zu sagen; denn nicht nur der Tat, sondern schon dem Namen nach, ist es Deines Grades unwürdig. Die Gatten, die Väter, die Brüder und die Verwandten der jungen Frauen und Mädchen, welche zugegen waren, wurden dort nicht eingelassen, damit Eure Lust um so fesselloser sein konnte; nur Ihr mit wenigen Dienern waret die Führer und die Ermunterer dieser Chöre. Man sagt, daß heute in Siena von nichts anderem geredet wird, als von Deiner Eitelkeit, die allen zum Spotte dient. Sicherlich bist Du hier in diesen Bädern, wo die Zahl der anwesenden Geistlichen und Weltlichen groß ist, das Tagesgespräch. Unser Mißfallen ist namenlos; denn dies gereicht dem geistlichen Stande und Amt zur Schmach; man wird von uns sagen, daß man uns reich und groß macht, nicht damit wir ein tadelloses Leben führen, sondern um uns die Mittel zur Lust zu geben. Daher verachten uns die Fürsten und die Mächte, und verhöhnen uns täglich die Laien; daher wirft man uns unseren eigenen Lebenswandel vor, wenn wir denjenigen anderer tadeln wollen. Selbst der Statthalter Christi fällt derselben Verachtung anheim, weil er das zu dulden scheint. Du stehst, geliebter Sohn, dem Bistum von Valencia vor, dem ersten in Spanien; Du bist auch Kanzler der Kirche, und was Dein Betragen noch tadelnswerter macht, Du sitzest mit dem Papst unter den Kardinälen, den Räten des Heiligen Stuhls. Deinem eigenen Urteil überlassen wir es, ob es für Deine Würde schicklich sei, Mädchen zu schmeicheln, Früchte und Wein derjenigen zu schicken, die Du liebst, und den ganzen Tag auf nichts zu sinnen, als auf jede Art von Wollust. Man tadelt Uns Deinetwegen, man tadelt das Andenken Deines seligen Oheims Calixt, welcher, wie viele urteilen, unrecht tat, auf Dich so viele Ehren zu häufen. Wenn Du Dich mit Deinem Alter entschuldigst, so bist Du nicht mehr so jung, um nicht einzusehen, welche Pflichten Dir Deine Würde auferlegt. Ein Kardinal muß tadellos sein und ein Beispiel des sittlichen Wandels vor den Augen aller. Und haben wir dann wohl Grund zum Zorn, wenn weltliche Fürsten uns mit wenig ehrenvollen Titeln benennen, wenn sie uns den Besitz unserer Güter bestreiten, und uns zwingen ihren Geboten uns zu unterwerfen? Wahrlich, wir selbst schlagen uns diese Wunden, und wir selbst bereiten uns diese Übel, indem wir durch unsere Handlungen täglich die Autorität der Kirche mindern. Unsere Züchtigung dafür ist in dieser Welt die Schande, und in der anderen die gebührende Pein. Möge daher Deine Klugheit diesen Eitelkeiten eine Schranke setzen, und Deine Würde im Auge behalten, und nicht wollen, daß man Dir unter Weibern und Jünglingen den Namen eines Galans gebe. Denn sollte sich dergleichen wiederholen, so müßten Wir notgedrungen zeigen, daß solches ohne Unseren Willen und zu Unserem Schmerz geschehen ist, und Unser Tadel würde nicht ohne Dein Erröten über Dich ergehen. Wir haben Dich stets geliebt, und Wir hielten Dich Unserer Protektion wert, als einen Mann, welcher ein ernstes und bescheidenes Wesen zu erkennen gab. Handle demnach also, daß Wir diese Unsere Meinung von Dir festhalten, und nichts kann dazu mehr beitragen, als die Annahme eines gesetzten Lebens. Deine Jahre, welche noch Besserung versprechen, erlauben Uns, Dich väterlich zu ermahnen. Petriolo, 11. Juni 1460.«

Wenige Jahre später, als Paul II. regierte, zeichnete der Geschichtsschreiber Caspar von Verona das Porträt des Kardinals Borgia mit diesen Worten: »Er ist schön, von anmutigem und heiterem Antlitz, von zierlicher und süßer Beredsamkeit. Wo er nur herrliche Frauen erblickt, regt er sie in fast wunderbarer Weise zur Liebe auf, und er zieht sie an sich, stärker als der Magnet das Eisen anzieht.«

Es gibt solche Organisationen, wie sie Caspar bezeichnet hat; es sind das Menschen von der physischen und moralischen Natur Casanovas und des Regenten von Orleans.

Die Schönheit Rodrigos wird von vielen seiner Zeitgenossen gepriesen, auch als er schon Papst war. Im Jahre 1493 schilderte ihn Hieronymus Portius mit diesen Worten: »Alexander ist von hoher Gestalt, von mittlerer Farbe; seine Augen sind schwarz; sein Mund etwas voll. Seine Gesundheit ist blühend; er erträgt über jedes Vorstellen hinaus Mühen jeder Art. Er ist außerordentlich beredt; jedes unzivilisierte Wesen ist ihm fremd.«

Die Macht dieser glücklichen Organisation lag, wie es scheint, in dem Gleichmaß aller Kräfte. Aus ihm floß die heitere Klarheit seines Wesens. Denn nichts ist falscher als das Bild, welches man sich gewöhnlich von diesem Borgia zu machen pflegt, als wie von einem finsteren und ungeheuerlichen Menschen. Auch der berühmte Jason Mainus von Mailand pries an ihm »die Eleganz der Gestalt, die heitere Stirn, die königlichen Brauen, das Antlitz mit dem Ausdruck der Liberalität und Majestät, das Genie und die heroische Wohlgestalt seines ganzen Körperbaues«.


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