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Ich war in jener Nacht unter all den Mädchen im ganzen Saal vielleicht am wenigsten beachtet, aber sicher am glücklichsten – bis um ein Uhr. Dann aber stürzte meine ganze Welt zusammen, oder wenigstens erlitt sie einen schweren Schlag. Wie und warum das geschah, werde ich im folgenden erzählen.
Ich besaß nicht die Eigenschaften, die den Männern ein Mädchen liebenswert erscheinen lassen. Das hatte ich mir oft gesagt, sehr oft in der letzten Zeit. An Gestalt bin ich zu unscheinbar, und meine Züge sind viel zu mittelmäßig, als daß ich an mein Aeußeres hätte Erwartungen knüpfen dürfen. Und so kam es, daß ich in meinen Zukunftsplänen nie daran gedacht hatte, mich einmal zu verheiraten. Auch ließ jetzt schon mein Diplom als Krankenpflegerin, das ich eben nach drei Jahren harten Studiums und strenger Arbeit erworben hatte, keinen Gedanken an Liebe aufkommen.
Ich war nicht für die Liebe geschaffen. Aber wäre ich es gewesen, hätte ich eine vorteilhafte Gestalt, regelmäßige Züge oder auch nur jene Beredsamkeit des Ausdrucks besessen, die außer ausgesprochener Häßlichkeit alle Mängel übersehen läßt, dann weiß ich wohl, wessen Auge ich zu gefallen getrachtet hätte, wessen Herz zu erobern mein Stolz gewesen wäre.
Dies erkannte mein Herz mit einem Schlage, als ich am Ende des ersten Tanzes inmitten einer Gruppe von jungen Mädchen stand und im Saale herumblickte. Als ich nämlich zufällig dorthin sah, wo unser Gastgeber und seine Gemahlin damit beschäftigt waren, die neuangekommenen Gäste zu empfangen, bemerkte ich, daß der Herr, mit dem sie sich eben unterhielten, niemand anders war als Anson Durand.
Er schien, trotz seiner Unterhaltung, mit dem Auge im ganzen Saale suchend herumzuirren, und aus seinem Benehmen schloß ich, daß er gespannt jemand zu sehen erwartete. Wen suchte er? Irgend eines der zahlreichen heiteren und lebhaften Mädchen in meiner Nähe sicherlich. Beinahe unausgesetzt suchte sein Blick in unserer Richtung. Aber welches von ihnen?
Ich glaubte es zu wissen. Es fiel mir ein, bei wem ich ihn zum ersten Male getroffen, bei wem ich ihn seither mehr als einmal gesehen hatte. Sie war ein reizendes Mädchen, witzig und aufgeweckt. Sie stand in jenem Augenblick gerade neben mir. In ihrer Schönheit lag der Reiz, der natürliche Reiz, der gerade für einen Mann von seiner Begabung und seiner einnehmenden Persönlichkeit die lebhafteste Anziehungskraft besitzen mußte. Wenn ich mit meinen Beobachtungen fortfuhr, mußte ich bald sein Antlitz sich aufheitern sehen, sobald es den Schein des Wiedererkennens auf dem ihrigen lesen würde. Und das konnte nicht lange ausbleiben. Ich hatte mich nicht getäuscht; einen Augenblick später bewahrheitete sich meine Annahme; sein Antlitz überzog sich mit einem solchen Glanze, daß ich mich nicht im unklaren über dessen Ursache befinden konnte. Nur ein einziges Gefühl im Menschenherz verleiht den Gesichtszügen eine solche Wärme, einen solchen Ausdruck. Wie hübsch er jetzt aussah, wie vornehm, wie – kurz, wie alles, was ich selber nicht war, mit Ausnahme von –
Doch halt! Was bedeutet das? Er ist an Fräulein Sperry vorübergegangen – mit einem Lächeln und einem freundlichen Wort – und spricht jetzt zu mir, zu mir allein und bietet mir seinen Arm! Er lächelt und lächelt in einer Weise, wie er Fräulein Sperry nicht zulächelte: wärmer, persönlicher möchte ich sagen.
Strahlend nahm ich den dargebotenen Arm. Die Lichter erschienen mir trüber als zuvor; nichts glänzte mehr im Saale als sein Lächeln. Und dies Lächeln schien die Welt verwandelt zu haben. Ich dachte nicht mehr an meine Unscheinbarkeit, ich vergaß, daß ich zu klein war, und daß ich keine Reize besaß, die mich seinem Auge oder Herzen hätten empfehlen können. Ich ließ mich von ihm hinwegführen und stellte keine Frage; ich genoß den Augenblick und unterließ es, daran zu denken, was mir die nächsten Minuten bringen würden, bis ich mit ihm in einem der lauschigsten Winkel des Gewächshauses saß, fern von allen anderen, und allein die unbestimmten Töne der Musik, die an unsere Ohren drangen, uns noch an die Szene erinnerten, die wir soeben verlassen.
Warum hatte er mich hierher geführt, in diesen märchenhaften Raum mit seinen fahlschimmernden Lichtern und seinen berauschenden Blumendüften? Was konnte er mir zu sagen oder zu zeigen haben? Oh, im nächsten Augenblick wußte ich es. Er hatte meine Hände ergriffen, und Liebesworte, glühende Liebesworte sprudelten über seine Lippen.
War es ein Traum? Konnte es die Wirklichkeit sein? War ich der Gegenstand all dieser Gefühle – ich? Wenn das kein Traum war, dann war das Leben für mich mit einem Schlage verändert.
Der Sturm meiner Gefühle hielt mir die Zunge gefesselt. Ich suchte auf seinem Antlitz zu lesen, ob das Paradies, dessen Tore mir offen standen, und das mich so leidenschaftlich willkommen hieß, in Wahrheit nur ein Traum war, eine Illusion, die mir von der Aufregung des Tanzes und dem Reize des Festes vorgespiegelt wurde, das selbst für eine luxuriöse Stadt, wie New York, sich ungewöhnlich glänzend und entzückend gestaltet hatte. Nein! Es war nicht bloß ein Traum. Aufrichtigkeit und Ernst lagen in seinem Benehmen, und seine Worte klangen weder fieberhaft noch unnatürlich.
»Ich liebe dich! Ich muß dich lieb haben!« Das hörte ich, und von der Aufrichtigkeit seiner Worte überzeugte ich mich auch in der kürzesten Zeit. »Du hast mich vom ersten Augenblick an bezaubert. Deine quälerische, vertrauensvolle, bescheidene Seele, süßer als irgend eine andere, hat mein Herz an sich gefesselt. Ich habe viele Frauen gesehen, viele Frauen bewundert, aber dich allein habe ich geliebt und liebe ich. Willst du die Meine werden?«
Ich war verwirrt und gerührt, so daß es mir unmöglich war, meine Gedanken zu sammeln. Ich vergaß alles, was mich bis zu diesem Augenblicke in meinem Innersten bewegt hatte; ich vergaß alle die Empfindungen, die ich gehabt, alle die Gedanken, die mir durch den Kopf gegangen, als ich ihn hatte auf unsere Gruppe zukommen sehen, mit der Absicht, wie ich glaubte, ein anderes Mädchen aufzusuchen; ich vertraute mich seiner Ehrlichkeit an und verließ mich völlig auf seine Wahrhaftigkeit, und so verblaßten alle meine Pläne und Vorsätze, die ich jahrelang gehegt und gemacht, im Glanze dieser neuen Freude, und ich sprach das Wörtchen aus, das uns für immer zu einem Bunde vereinigen sollte. Noch eine halbe Stunde zuvor hätte ich nicht im Traume daran gedacht, daß ich mich mit einem Manne verbinden würde.
Sein leidenschaftlicher Ausruf: »Die Meine! Du bist die Meine!« füllte den Becher meiner Wonne zum Ueberfließen. Ein Sturm der Lebenslust drang in meine Seele, der trotz allem, was ich seit jener Stunde noch habe erdulden müssen, die Welt für mich umschuf, und der alles Vorhergegangene zu einem bloßen Vorspiel des neuen Lebens, der neuen Freude verwandelte.
Oh, ich war glücklich, glücklich, vielleicht nur zu glücklich! Als sich allmählich das Gewächshaus mit Gästen füllte, und wir den anstoßenden Raum wieder betraten, brachte mich der Blick, den ich von mir in einem Spiegel erhaschte, auf diesen Gedanken. Hätte ich nicht die Farbe meines Kleides und die eigenartige Frisur gesehen, die ich an jenem Abend trug, ich glaube, ich hätte das strahlende Mädchen gar nicht erkannt, das mich aus den Tiefen des verräterischen Glases anschaute.
Kann man denn zu glücklich sein? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß man zu ratlos, zu bedrückt und zu traurig sein kann.
Bis jetzt habe ich nur den Zusammenhang erwähnt, in dem ich selber mit dem gewählten Feste an diesem Abend stand. Aber trotzdem mich meine Abstammung aus einem alten holländischen Geschlecht zum Anspruch auf eine gewisse gesellschaftliche Beachtung berechtigte, die mir übrigens auch, wie ich glücklicherweise bestätigen kann, stets zuteil wurde, so zog ich – selbst in dieser Stunde höchster Befriedigung – nur in geringem Maße die allgemeine Aufmerksamkeit auf mich, und ich erregte wenig Aufsehen. Es war ein anderes Weib anwesend, das diese Aufmerksamkeit eher auf sich zog, als meine Wenigkeit: ein schönes Weib von prächtiger Gestalt und selbstbewußtem Benehmen, gewöhnt, Eroberungen zu machen, und mit der Fähigkeit begabt, ihre Siege mit einer gewissen nachlässigen Grazie aufzunehmen, die für die Männer im allgemeinen etwas Bestrickendes an sich hatte; ein Weib von ungewöhnlicher Schönheit, mit einem Diamanten an der Brust, dessen Feuer für die meisten Frauen zu lebhaft gewesen wäre, ja beinahe für sie selber noch zu glänzend leuchtete. Schon früh am Abend hatte ich den Diamanten bemerkt; jetzt fiel mir seine Besitzerin selber auf. Sie konnte den herrlichen Stein tragen, ohne fürchten zu müssen, daß er die Blicke von ihr selber abzog, und wäre ich in weniger gehobener Stimmung gewesen, so hätte ich sie um die Zeichen der Bewunderung beneiden mögen, die sie von allen Männern mit Einschluß dessen empfing, auf dessen Arm ich mich stützte. Später am Abend konnte es niemand auf der Welt geben, den ich – weniger beneidet haben würde.
Die Festlichkeit trug einen rein privaten und doch höchst eleganten Charakter. Es waren einige sehr bemerkenswerte Gäste anwesend. Im besonderen wurde ich auf einen Herrn aufmerksam gemacht, der ein sehr vornehmer Engländer von großer politischer Bedeutung sein sollte. Ich fand, daß er für sein Alter ein sehr interessanter Mensch sei, aber ein seltsames und ein wenig allzu selbstbewußtes Benehmen zur Schau trug. Obgleich ihm große Aufmerksamkeit erwiesen wurde, schienen ihm die neugierigen Blicke, deren Ziel er fortwährend war, merkwürdig lästig zu sein, und es sah aus, als wäre er zufrieden, wenn er nur selbst die Szene um ihn in aller Muße betrachten könnte. Wäre ich weniger in mein eigenes Glück vertieft gewesen, so würde ich schon jetzt beobachtet haben – was ich erst später tat – daß seine Aufmerksamkeit den kleinen Gruppen galt, die sich um die Dame mit dem Diamant scharten. Aber um jene Zeit fiel mir das nicht auf, und daher war ich auch sehr erstaunt, als ich am Ende meines Tanzes zufällig bemerkte, daß er sich mit dieser Dame in ein angeregtes Gespräch eingelassen hatte. Seine zuvorkommenden Manieren bildeten dabei den größten Gegensatz zu seiner früheren Teilnahmlosigkeit, die sich beinahe zur Gelangweiltheit verstärkt hatte, und mit der er bisher allen Aufmerksamkeiten begegnet war.
Und doch war es augenscheinlich nicht die Bewunderung für ihre Person, die er so offen zur Schau trug. So lange ich ihn in dieser Stellung beobachtete, richtete er nur selten seinen Blick auf ihr Gesicht; hauptsächlich ruhte dieser – und das erregte mein Erstaunen – auf dem großen Fächer von Straußfedern, den die üppige Schönheit vor der Brust hielt. Trachtete er darnach, den großen Diamanten zu sehen, den sie auf diese Art unbewußt – oder geschah es mit Absicht? – vor seinen Blicken verbarg? Dies war wohl möglich, denn als ich fortfuhr, ihn zu beobachten, machte er vor ihr plötzlich eine Verbeugung, und ebenso rasch richtete er sich wieder auf, und sein Gesicht trug einen eigenartigen Ausdruck, den ich mir gar nicht erklären konnte. Die Dame hatte für einen Augenblick ihren Fächer bewegt, und sein Blick war auf den Edelstein gefallen.
Das nächste Ereignis an diesem Abend, an das ich mich mit einiger Deutlichkeit erinnere, war ein intimes Gespräch mit meinem Geliebten, das auf einem gewissen gelben Diwan in einem Winkel einer der Vorhallen stattfand. Rechts von diesem Diwan befand sich ein kleines, durch einen Vorhang abgeschlossenes Gemach, das man den »Alkoven« nannte. Da dieser Schlupfwinkel in meiner Geschichte eine große Rolle spielt, ist es an der Zeit, ihn zu beschreiben.
Ursprünglich war der Alkoven dazu bestimmt gewesen, eine große Marmorgruppe aufzunehmen, die unser Gastgeber, Herr Ramsdell, aus Italien kommen lassen wollte, um damit sein neues Haus zu schmücken. Er hat in dieser Beziehung sehr originelle Anschauungen und war so weit gegangen, diesen Teil des Hauses eigens in Hinsicht auf eine günstige Aufstellung des versprochenen Kunstwerks ausbauen zu lassen. Da er befürchtete, das Gewicht eines Sockels, der für eine so beträchtliche Gruppe die richtigen Größenverhältnisse besitzen würde, könnte Schwierigkeiten bereiten, ließ er gleich beim Bau des Hauses den Boden des Alkovens um einige Fuß höher legen, als den der Halle, um so das Kunstwerk auf die richtige Augenhöhe zu bringen. Einige niedere, breite Stufen verbanden die zwei Räume miteinander, die, der Rundung der Wand folgend, selber in hohem Maße zur Schönheit dieses Teils der Halle beitrugen.
Der Auftrag zerschlug sich indes, und die Gruppe wurde nie eingeschifft; aber der Alkoven war gebaut worden und blieb bestehen; da er gut beleuchtet war und sich von der Halle aus ohne Schwierigkeit heizen ließ, wurde er mit ausgesuchtem Geschmacke als kleiner Salon eingerichtet.
Durch dieses Kabinett, das sich bis zu dem einsamen Diwan erstreckte, wurde unser Platz – so schätzten wir uns wenigstens glücklich zu glauben – vor unberufenen Augen verborgen. Mit einem möglicherweise ungerechtfertigten Vertrauen auf unseren vorteilhaften Platz besprachen wir eben ein Thema, das uns allein interessierte. Plötzlich unterbrach sich Herr Durand mit der Erklärung:
Du bist das Weib, das für mich geschaffen ist, – du, du allein. Und ich möchte nicht lange warten. Wann wollen wir Hochzeit halten? Bald, ich bitte dich, Geliebte. In einer Woche – wenn – wenn – –
War es mein Blick, der ihn verstummen ließ? Ich war erstaunt. Vor diesem Satze hatte er keinen einzigen unvollendet gelassen.
Eine Woche? meinte ich abwehrend. Wir brauchen ja mehr als eine Woche, um uns für eine Reise oder irgend ein rasch vorübergehendes Vergnügen vorzubereiten. Und ich begreife noch nicht, ich kann es noch nicht einmal fassen, daß ich verlobt bin.
Du hast nicht die letzten zwei Monate an nichts anderes gedacht, wie ich, entgegnete er.
Nein, erwiderte ich spröde, indem ich über meinem Entzücken über dieses Geständnis alles andere vergaß.
Auch bist du nicht ein Nomade wie ich, der vom Klub zum Restaurant und vom Restaurant wieder in den Klub zieht.
Nein, ich habe ein Heim!
Noch liebst du mich so leidenschaftlich, wie ich dich liebe! –
Ueber diesen Punkt wollte ich mich nicht aussprechen, daher fuhr er fort, als ich im Schweigen verharrte:
Das Heim, von dem du sprichst, ist luxuriös eingerichtet. Ich kann dir nicht das gleiche bieten. Vielleicht hast du es erwartet –
Ich war entrüstet.
Du weißt, unterbrach ich ihn daher, daß ich es nicht erwarte. Ich habe freiwillig das Leben einer Krankenwärterin gewählt, als mir das Herz und Heim meines guten Onkels offen standen; glaubst du, ich werde davor zurückschrecken, mit dem Manne, den ich liebe, der Armut ins Antlitz zu blicken? Wir werden so einfach, als du es wünschest, beginnen –
Nein, unterbrach er mich entschlossen, jedoch mit einem gewissen Zögern, das Zweifel zu verraten schien, die er selbst schwerlich anerkannte, nein, ich werde dich nicht heiraten, wenn ich dich Entbehrungen aussetzen muß, oder der verschämten Armut, die ich so sehr hasse. Ich liebe dich mehr, als du dir bewußt bist, und wünsche dir das Lebensglück zu bringen. Ich kann dir nicht alles bieten, an was du im Hause deines reichen Oheims gewöhnt warst, aber wenn sich meine Verhältnisse günstiger gestalten, wenn mir das Glück hold ist, auf das ich gebaut habe – und es wird sich heute nacht entscheiden, ob ich Glück habe oder nicht – dann wirst du den Komfort dein eigen nennen, den meine Liebe zur kostbarsten Lebenshaltung steigern wird – und – und –
Wieder wurden seine Worte unzusammenhängend, und zwar hielt er dieses Mal seine Augen nach einer anderen Richtung, als zu meinem Gesicht gekehrt. Ich folgte seinem Blicke und entdeckte, was es war, das seine Aufmerksamkeit von mir abgezogen hatte: die Dame mit dem Diamant näherte sich uns, offenbar im Begriff, sich zum Alkoven zu begeben. Sie war von zwei Herren begleitet, die mir beide unbekannt waren. Ihr Haupt, das von Brillanten funkelte, wandte sich mit nachlässiger Grazie von einem zum anderen. Ich war nicht überrascht, als der Mann an meiner Seite zusammenfuhr und eine Bewegung machte, als wolle er sich erheben. Es war ein berückend herrliches Weib. Im Vergleich zu dieser imponierenden Gestalt in einem Schleppkleide von reichem, rotem Sammet, mußte mein schmächtiges Figürchen in seinem einfachen, meergrünen Kleid so farblos und matt wirken, wie ein halbverwischtes Pastellbild.
Eine auffallende Schönheit, bemerkte ich, als ich sah, daß er nicht im Sinne hatte, das Gespräch wieder aufzunehmen, das durch ihr Nahen unterbrochen worden war. Und welch ein wunderbarer Diamant!
Er warf mir einen eigentümlichen Blick zu.
Ist er dir besonders aufgefallen? fragte er.
Anson hatte etwas sehr Gezwungenes in seinem Benehmen, so daß ich fast erwartete, daß er sich erheben und auf die Gruppe zugehen würde, die er so scharf beobachtete, ohne eine Antwort von mir zu erwarten. Erstaunt darüber erwiderte ich rasch:
Es wäre schwierig, den Stein nicht zu bemerken, den man eigentlich nur an der Brust einer Königin zu erblicken erwartet. Aber vielleicht ist es eine Königin? Wenigstens sollte man es aus der Ehrerbietung schließen können, mit der sie behandelt wird.
Seine Augen suchten die meinigen. Es lag eine Frage darin, aber ich verstand die Frage nicht.
Was weißt du von Diamanten! sagte er nunmehr. Du kennst nur ihren Schimmer, aber der Schimmer ist nicht alles; der Edelstein, den sie trägt, ist unter Umständen recht wertlos.
Ich errötete ein wenig betreten. Anson war ja Diamantenhändler – das war sein Beruf – und die Worte, mit denen er meinen Enthusiasmus gedämpft hatte, brachten mir meine eigene Anmaßung ins Bewußtsein. Ich war indes nicht gewillt, meine Aussage zurückzuziehen. Ich hatte besser als er Gelegenheit gehabt, das bemerkenswerte Juwel zu betrachten, und mit der Gedankenlosigkeit des erregten Widerspruchs bemerkte ich, sobald die Röte von meinen Wangen wieder geschwunden war:
Nein, nein! Der Diamant ist großartig, er ist wunderbar. Ich habe nie einen ähnlichen gesehen. Ich zweifle daran, ob du je einen sahst. Sein Wert muß ungeheuer sein. Wer ist sie denn? Du scheinst sie zu kennen?
Diese Frage war sehr unzweideutig gestellt, aber ich erhielt keine Antwort darauf. Anson war der Dame mit den Augen gefolgt; sie selbst war ein wenig auf der obersten Stufe stehen geblieben. Erst als sie mit ihren zwei Gefährten hinter dem großen Plüschvorhang verschwunden war, der den Eingang zum Teil verdeckte, sah er mich wieder an. Dann aber hatte er meine Worte vergessen, wenn er sie überhaupt gehört hatte. Mit einer etwas gezwungenen Begeisterung, aus der ich merkte, daß seine Gedanken anderswo weilten, brachte er seine alte Bitte wieder vor.
Wann ich heiraten wollte? Würde ich, falls er mir ein Heim bieten könnte – und das würde er morgen früh erfahren – würde ich in diesem Falle in den Termin »in einem Monat« einwilligen? Er wollte nicht sagen, in einer Woche, das sei vielleicht zu früh, aber in einem Monat? Ob ich ihm nicht versprechen wolle, in einem Monat die Seine zu werden?
Was ich darauf antwortete, kann ich mich kaum mehr entsinnen. Seine Augen waren zum Alkoven zurückgekehrt, und die meinen den seinen gefolgt. Die Herren, die die Dame hineinbegleitet hatten, kamen wieder zurück, aber andere lösten sie ab, und in kurzem hielt sie in diesem ausgesuchten Gemach regelrecht Hof ab.
Warum interessierte mich das? Warum fiel sie mir auf, und warum schaute ich überhaupt nach jener Richtung? Weil es Herr Durand tat? Vielleicht. Ich erinnere mich daran, trotz aller seiner leidenschaftlichen Liebesbeteuerungen. Ich fühlte mich ein wenig verletzt, daß seine Aufmerksamkeit in dieser Weise geteilt war. Vielleicht dachte ich auch, daß er für diesen Abend wenigstens, gegenüber den Reizen einer offenkundigen Kokette blind sein sollte.
So war ich also damit beschäftigt, den Worten meines Geliebten zu lauschen und zugleich die zahlreichen Herren zu beobachten, die die Stufen hinauf und herab gingen, als ein Bekannter auf mich zukam und mich daran erinnerte, daß ich ihm einen Walzer versprochen hatte. Ich hatte keine Lust, Herrn Durand zu verlassen; aber da ich keine Ausrede fand, um mich Herrn Fox gegenüber zu entschuldigen, warf ich meinem Geliebten einen bittenden Blick zu. Zu meinem großen Kummer sah ich, daß er bereits aufgestanden war.
Viel Vergnügen, rief er, ich muß Frau Fairbrother ein Wort sagen, – und weg war er, ehe mein neuer Partner mir noch seinen Arm geboten hatte.
War Frau Fairbrother die Dame mit dem Diamant? Jawohl. Als ich im Begriff stand, mit meinem Partner den Salon zu betreten, erblickte ich einen Augenblick die hohe Gestalt Herrn Durands, der gerade auf der obersten Stufe hinter dem grünen Vorhang verschwand.
Wer ist Frau Fairbrother? fragte ich Herrn Fox am Schlusse des Tanzes.
Herrn Fox, seit Jahren ein unermüdlicher Gast bei allen Gesellschaften, kennt jedermann.
Sie ist – das heißt, sie war die Frau von Abner Fairbrother. Sie kennen doch den Millionär Fairbrother, der in der sechsundachtzigsten Straße jenes merkwürdige Gebäude bauen ließ? Gegenwärtig leben sie getrennt – auf gegenseitiges Einverständnis, wie ich glaube. Ihr Diamant ist berühmt. Es ist einer der bemerkenswertesten Steine in New York, vielleicht sogar in den gesamten Vereinigten Staaten. Haben Sie ihn gesehen?
Jawohl – das heißt, aus der Entfernung. Halten Sie sie für sehr hübsch?
Frau Fairbrother? Man sagt es, aber sie ist nicht nach meinem Geschmack. – Hierbei warf er mir einen brennenden Blick zu. – Ich bewundere Frauen mit Geist und Herz; sie brauchen keine Juwelen zu tragen, die das Vermögen eines gewöhnlichen Sterblichen wert sind.
Ich suchte nach einem Vorwand, um mich diesem nicht allzu erwünschten Verehrer zu entziehen.
Wir wollen wieder in die lange Halle zurück, drängte ich. Dieser unaufhörliche Wirbel von Tanzenden macht mich schwindelig.
Mit der Liebenswürdigkeit des vollendeten Weltmannes bot er mir den Arm, und bald ergingen wir uns wieder in der Richtung auf den Alkoven zu. Als wir bei dem gelben Diwan umkehren wollten, war es mir möglich, einen flüchtigen Blick in sein Inneres zu werfen. Die Dame mit dem Diamant war immer noch dort. Eine Falte ihres wundervollen, roten Samtkleides sah aus dem Spalt zwischen den zwei ein wenig zurückgeschlagenen Vorhängen heraus, genau so wie eine halbe Stunde zuvor. Aber es war mir nicht möglich, ihr Gesicht zu sehen, noch, wer bei ihr war. Was ich indes sehen konnte, war die Gestalt eines Mannes, der unten bei der Treppe an der Wand lehnte. Zuerst kam mir diese Gestalt unbekannt vor, dann fiel mir ein, daß es niemand anders als der gefeiertste Gast des Abends war, der Engländer, den ich schon früher erwähnt habe.
Sein Gesicht trug nicht mehr denselben Ausdruck. Nunmehr sah er vielmehr vertieft und gespannt aus, ungewöhnlich vertieft und ungewöhnlich gespannt; so sehr, daß ich nicht erstaunt war, als niemand es wagte, sich ihm zu nähern. Abermals wunderte ich mich, und wiederum stellte ich mir die Frage, auf was oder auf wen er warte. Vielleicht auf den Augenblick, wo Herr Durand die Dame verlassen würde? Nein, nein, das wollte ich nicht glauben. Herr Durand konnte nicht mehr in dem Gemache sein; doch gibt es ja Frauen, die es einem Manne schwer machen, sie zu verlassen, und als mir dies einfiel, konnte ich es nicht über mich bringen, einen Blick zurückzuwerfen, als ich dem fröhlichen Drängen des Herrn Fox nachgebend, mich dem Speisesaal zuwandte. Dabei sah ich, wie der Engländer von einem Tischchen, nahe beim Eingang zum Salon, zwei Kaffeetassen holte. Da sein Benehmen mit aller Klarheit verriet, für wen die Erfrischung bestimmt war, fühlte ich mit einem Schlage mein Unbehagen schwinden, und so nahm ich in aller Ruhe an einem der Tischchen, die im Speisesaal standen, Platz, und lieh, für einige Minuten wenigstens, den Komplimenten und Gemeinplätzen des Herrn Fox ein williges Ohr. Dann aber ging meine Aufmerksamkeit ihre eigenen Wege.
Ich hatte mich nicht vom Platze bewegt, noch meinen Blick von der Szene vor mir – dem gewöhnlichen Bilde eines reichbesuchten, fröhlichen Speisesaals – abgewendet, und doch hatte ich die Empfindung, als blicke ich durch einen Nebel hindurch, dessen Entstehung ich nicht einmal bemerkt hatte, auf etwas Fremdartiges und Ungewöhnliches. Es schien so fern zu sein, wie irgend ein Spuk der Phantasie, und doch erschien es mir so deutlich in den Umrissen, daß ich den unbezweifelbaren Eindruck eines hellen Vierecks empfing, in dessen Mitte sich ein Mann in einer eigenartigen Stellung befand, die ich mir weder leicht vorstellen, noch deutlich beschreiben kann.
Alles das war in einem Augenblick vor sich gegangen. Ich saß da, starrte auf das Fenster, das sich gegenüber von mir befand, und hatte das Gefühl, als habe ich eben einen Spuk gesehen. Doch sofort vergaß ich wieder das ganze Ereignis, als ich mich ängstlich fragte, wo sich wohl Herr Durand befinde. Gewiß unterhielt er sich irgendwo ganz ausgezeichnet, sonst hätte er doch schon lange eine Gelegenheit gefunden, mich aufzusuchen. Ich konnte seiner nicht einmal ansichtig werden, und so wurde ich über die endlose Speisenfolge und das alberne Geplauder meines Partners ärgerlich. Da ich wußte, daß er sich meine Launen gefallen ließ, stand ich vom Tische auf und ging auf eine Gruppe von Bekannten zu, die gerade vor der Türe zum Speisesaale standen.
Während sie mich nun begrüßten, warf ich instinktiv noch einmal einen Blick die Halle entlang, nach dem Alkoven. Ein Mann – ein Kellner – kam in diesem Augenblicke aufgeregt aus dem Gemache gelaufen. Auf seinem bestürzten Gesichte stand eine schlechte Nachricht, und als seine Augen denen der Frau Ramsdell begegneten, die eilends auf ihn zuging, sprang er die Stufen hinab und stieß einen Schrei aus, der in einem einzigen Augenblick einen dichten Schwarm von Zuschauern heranlockte.
Was bedeutet das? Was hat sich ereignet?
Sinnlos vor Angst hielt ich mich nicht lange auf, um darüber nachzudenken, sondern eilte auf die kleine Ansammlung zu, wo ich in unbezwingbarer Aufregung einen nach dem andern fragte, was sich ereignet hatte. Mit einem Male aber verschwamm alles vor meinen Blicken und meiner Sinne nicht mehr mächtig, stürzte ich zu Boden.
Eine laute Stimme hatte gerufen:
Frau Fairbrother ist ermordet und ihres Diamants beraubt worden! Man verschließe die Türen!