Rudolf von Gottschall
Parasiten
Rudolf von Gottschall

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

Erleuchtete Zimmer und Salons – es war jour fixe bei der Geheimrätin. Sie selbst saß in ihrem Wohnzimmer, das in die Flucht der Prunkgemächer eingereiht war, auf dem Sofa unter dem Bilde ihres seligen Gatten. Das verkniffene Gesicht des Vivisektors sah ihr über die Schulter. Der Maler hatte sein möglichstes getan, um die Ecken und Kanten dieses scharfgeschnittenen Charakterkopfes abzuglätten; doch er behielt etwas Schroffes und Unliebenswürdiges, einen grausamen Zug um den Mund und die Unnahbarkeit einer dünkelhaften Selbstüberschätzung; er schien mit Verachtung auf alle Leute herabzusehen, welche nie einen Frosch skalpiert hatten, und das Komthurkreuz am Halse mit dem roten Bande, sowie die Goldkette, an der viele kleine Silberkreuze baumelten, ließen keinen Zweifel darüber, daß auch der Staat solche Verdienste um die leidende Menschheit anerkannt hatte.

57 Ob Sidonie Schweiger unter den grausamen Gelüsten ihres Gatten viel zu leiden gehabt, wer konnte es wissen? Noch immer hatte sie indes den verführerischen Reiz der Delilas nicht verloren und mit diesen Reizen hatte sie gewiß den Tierquäler unterjocht. Es war eine üppige vollaufgeblühte Rose – hier und dort ein welkes Blättchen in ihrer Krone, ein Silberhaar in ihrem Scheitel. Doch die Augen feurig, die vollen Lippen dürstend nach Lebenslust, die Gestalt bei aller Fülle noch jugendlich! Der Professor hatte gewiß in der Nähe dieser Armida seine überlegene Weisheit verloren und auch sein Hochmut wurde gewiß eingeschüchtert durch die Tatsache, daß der Reichtum seiner Sidonie auch ihm erlaubte, ein sehr angenehmes Leben zu führen. So wahrte er ihr gegenüber ein gewisses Gefühl von Unterwürfigkeit, welches er trotz seines grenzenlosen Dünkels auch in den Büreaus des Kultusministeriums zur Schau trug. Er ließ sie gewähren, Gesellschaften geben, Feste feiern. Er langweilte sich dabei, doch ein großer Gelehrter hat das Recht, sich zu langweilen, wenn die Leute von Dingen reden, die mit seiner Fachwissenschaft nichts zu tun haben. Er blieb doch immer der Gastgeber; die Weine kamen aus seinem Keller und wer sich um seine Gelehrsamkeit nicht kümmerte, der wußte doch sein Menu und seine Weinkarte zu schätzen und salutierte nebenbei auch vor seinem Komthurkreuz, womit der Staat seine Weisheit patentiert hatte.

Von dem Eheleben der Frau Sidonie Schweiger wußte man nicht viel, man konnte auch nicht beurteilen, ob es ihr lieber war, daß der Gatte jetzt im Bilde über ihrem Kopfe hing, statt noch lebend an ihrer Seite einherzuschreiten. Er hatte sie im Grunde 58 wenig gestört; sie hatte ihre Lieblinge, die nicht die seinigen waren; sie hatte ihre Neigungen, die er nicht teilte. Dafür hatte er eine schöne und wie die Leute sagten, geistreiche Frau – und das schmeichelte seiner Eitelkeit. Sie hatte ihm indes nie Anlaß gegeben, zur Pistole zu greifen, womit er weniger Bescheid wußte als mit dem anatomischen Messer. Denn ein Ehestörer in greifbarer Gestalt war nie in den Frieden seines Hauses eingebrochen.

Es war die Stunde, in welcher sie die Gäste erwarten konnte; der erste Ankömmling war ihr Bruder, der Kommerzienrat; er war immer sehr zärtlich gegen die Schwester, umarmte und küßte sie wie eine Geliebte, und es war nicht bloß äußerlich zur Schau gestellte Vertraulichkeit; sie war sein Stolz, er liebte sie von Herzen.

»Nun, rechnest du heute auf zahlreichen Besuch?«

»Gewiß – es kommen auch einige Fremde, auch Doktor Guttmann hat zugesagt.«

»Du wirst einen interessanten jungen Mann kennen lernen.«

»Es gibt jetzt so viele interessante junge Leute –«

»Er ist ein Naturforscher.«

»Ich habe stets gefunden, daß diese Herren sehr langweilig sind.«

»Ich bitte dich – ein Humboldt, ein Darwin –«

»Ich hatte nicht die Ehre, sie persönlich zu kennen. Doch der junge Nachwuchs – mit dem Mikroskop vorm Auge laufen sie herum und glauben den Dingen ins Herz zu sehen, wenn sie die Beschaffenheit eines Schmetterlingsflügels genau erkannt haben. Andere sehen wieder mit Riesenteleskopen den himmlischen Heerscharen ins Gesicht. Doch was wissen sie davon? 59 Nicht einmal ob der Mars oder die Venus bewohnt sind und dann rechnen sie und rechnen sie und berauschen sich an den Millionen, womit sie die Entfernungen messen und kennen ganz genau die Spaziergänge der Planeten und auch einiger Fixsterne, die sich kleine Motionen machen – was soll denn dabei für den Geist herauskommen? Und wenn einer gar einen neuen Planeten entdeckt hat, sei er auch noch so klein, so kommt er sich vor, wie ein Kolumbus des Kosmos! Und diese kleinen Planeten sind so schrecklich überflüssig.«

»Wenn du Doktor Guttmann wirst kennen gelernt haben, so wirst du deine Urteile über die heutigen Naturforscher berichtigen können. Auch ein anderer Gast wird dich überraschen – Baron von Perling ist hier; ich bin ihm begegnet; er wird heute kommen.«

»O das freut mich, dann wird es wieder bei uns von Geistesblitzen funkeln.«

»Er kommt aus London und Paris; er hat sich wie immer dort in den ersten Kreisen bewegt und kann ein Füllhorn von Neuigkeiten ausschütten. Mir scheint es nur, daß seine Finanzangelegenheiten nicht zum besten stehen; er nimmt immer neue Hypotheken auf seine Güter auf und ich weiß, daß die Zahl derjenigen, die hinter der landschaftlichen Belastung aufmarschieren, bereits eine sehr große ist.«

»Das möge seine Sorge sein; die gute Laune verdirbt es ihm keinesfalls und er hat so viele Beziehungen zu Fürstlichkeiten und Geldmächten, daß er nie in Verlegenheiten kommen kann oder mindestens gleich wieder herausgerissen wird. Solche genialen Köpfe sind in der Regel schlechte Finanzmänner.«

»Und die Finanzmänner keine genialen Köpfe, 60 das wolltest du sagen, liebe Schwester; doch es kränkt mich nicht; wir sind doch die eigentlichen Herren der Welt und können uns unsere Spaßmacher halten, wie früher die Fürsten. Gute Witze vermehren die Tafelfreuden.«

»Baron Perling ist kein Spaßmacher von Profession.«

»Ich weiß, daß er bei dir einen Stein im Brette hat. Doch wenn er sein Licht nur bei uns allein leuchten ließe – da könntest du mit diesem Juwel Staat machen; doch er glänzt ja überall – beim Hofmarschall, beim Finanzminister, beim Generalintendanten des Theaters – und was das Unangenehmste ist – auch bei dem Geheimrat Lobach. Die Frau Lobach macht dir Konkurrenz mit ihrem Salon – er selbst war ein wütender Gegner deines Gatten. Da versammeln sich so viele Schöngeister neben den jungen Assistenzärzten der Kliniken. Man tut dir Abbruch und der Baron Perling sollte nicht in diesem feindlichen Lager auftauchen.«

»O, du verkennst ihn ganz! Er ist mein Spion, er hinterbringt mir alles, was da drüben vorgeht; er erzählt uns die Lächerlichkeiten meiner Nebenbuhlerin; er sammelt da drüben bloß Stoff für unsere Unterhaltung.«

»Und vielleicht bei uns Stoff für die Unterhaltung da drüben.«

»Das weiß ich besser! Bei uns ist er zu Hause, da drüben gibt er bloß Gastrollen. Uns gehört er mit Leib und Seele an! Sein Herz, sein Empfinden –«

»Nimm's mir nicht übel, liebe Schwester; auch 61 die Geheimrat Lobach ist eine schöne Frau – und Frauenschönheit ist sein Lebenselement.«

»Die Geheimrat Lobach, nun ja, was die Männer so schön nennen! Sie hat einen sehr zarten Teint – haha! Was sie aber immer für Prozeduren vornimmt, um ihn sich zu erhalten, das hat mir Perling erzählt! Der versteht sich auf die Toilettenkünste, auf die Wasser – und Salben; der hat zu Paris Studien gemacht. Und dann ihre Haare – ja, sie sind goldgelb, es ist eine eigene Farbe, doch es ist eine Farbe aus den Fläschchen des Friseurs, und es kostet ihr viel Zeit, sie herzustellen – viel Mühe, viel Arbeit! Sie müßte ihren Kopf an die Waschleine hängen, wenn er rasch trocknen sollte! Nun bedarf's der Vorkehrungen jeder Art – und wenn einmal der Anstrich mißlingt – du lieber Gott! wie sie dann aussieht! Perling hat mir das geschildert – es ist zum Totlachen.«

Der Kommerzienrat zuckte mit den Achseln. Doch die Wagen fuhren vor, es war Zeit, die Gäste zu empfangen.

Zuerst trat ein junges Ehepaar ein, er an einem Feuilleton, sie an einem Theater engagiert; an ihrer Seite ein älterer Herr; er war Politiker über dem Strich und das Auswärtige Amt suchte ihn, wie er selbst erzählte, zu beeinflussen.

»Ich freue mich, zwei so geistreiche Herren zu begrüßen,« sagte die Frau Geheimrat, »Politik und Literatur und dazu die liebenswürdige Künstlerin.«

»Schmeicheln Sie uns nicht, gnädige Frau,« sagte der etwas barsche Politiker, »ich vertrag's schon, aber mein Kollege hier wird sonst zu übermütig. Das Feuilleton nimmt sich jetzt zu viel heraus; sie meinen, 62 daß selbst der Reichskanzler geistreiche Feuilletons spricht; doch der Reichskanzler gehört über den Strich!«

Schon ließ sich auf der Treppe draußen die Stimme des alten Majors hören, der über die glatten steilen Treppenstufen raisonnierte, auf denen er bisweilen ausglitt. Es war ein unermüdlicher Stammgast, gegenwärtig in allen großen, kleinen und kleinsten Gesellschaften der Frau Geheimrat, wo er sich für die Entbehrungen, die seine mit Schulden belastete Pension auferlegte, durch Tafelfreuden schadlos hielt, die ihm nichts kosteten. Er war ein heraufstilisierter Major der Table d'hote, ein miles gloriosus mit drohendem Schnauzbart, der aber nur von früheren Heldentaten bramarbasierte und allen Anwesenden gegenüber von größter Gefälligkeit und Nachgiebigkeit war. Die ganze Tafelrunde lauschte seinen Erzählungen; überreich war die Chronik seiner Kriegsabenteuer, er wiederholte sich selten; er war unerschöpflich in seinen Erfindungen – und er war und blieb eine Zierde des Salons. Ein noch älterer General, der gelegentlich die köstlichen Weine der Frau Geheimrat sich schmecken ließ, verdarb ihm nicht das Spiel; er schmunzelte nur behaglich bei diesen Geschichten, die von Unmöglichkeiten starrten, wie ein Verhau von Palisadenspitzen.

Jetzt rauschte auch die Prinzessin herein mit ihrer Hofdame; es war keine Prinzessin aus einem souveränen Hause; es war eine reichsunmittelbare Prinzessin aus einem so zusammengesetzten Hause, daß man sich allgemein scheute, die durch so viele Bindestriche aneinandergeheftete Linie in den Mund zu nehmen und sich begnügte, nur von der Prinzessin zu sprechen. 63 Es war eine Dame in den besten Jahren, unverheiratet, früher viel geliebt, wie man sagte, doch jetzt auf der Flucht vor einer Langenweile, die sie entsetzlich quälte. Bei der Frau Geheimrat konnte man doch wenigstens lachen und diese wurde dafür in den vornehmen Zirkel eingeführt, wo sie oft unter der Creme des hohen Adels das deutsche Bürgertum allein repräsentierte. Doch sie war ja eine schöne Frau – und so verzieh man ihr die fehlenden Ahnen väterlicherseits und mütterlicherseits. Ihre schöne Büste hatte nichts von einer Ahnentafel, wie sie verschiedene Komtessen und Baronessen zur Schau trugen, und diesen Vorzug wußten die Enkel stolzer Ahnen zu schätzen.

Da die Frau Geheimrat ihren vornehmsten Gast in die inneren Gemächer geleiten mußte, so traten alsbald die beiden Töchter, die inzwischen hereingekommen, an ihre Stelle und begrüßten die Gäste, so daß die dritte Grazie, wie man in diesem anmutigen Familienkleeblatt die Mutter nannte, nicht allzusehr vermißt wurde.

Freilich, Ella, die ältere, hatte nicht das liebenswürdig-einschmeichelnde der Mutter; aber es gab unter den Gästen auch eine geistige Elite, welche die Tochter höher schätzte, als die Mutter. Sie hatte etwas entzückend Feines in ihrem Wesen, die schlanke Gestalt, die edlen Züge, die sanften sinnigen Augen: doch sie war ein noli me tangere, sie schrak zurück vor jeder unsanften Berührung; sie machte kein Hehl aus ihrem Abscheu vor jeder Roheit, und sie empfand es oft schon als eine Roheit, was andere mit beifälligem Behagen aufnahmen; sie machte kein Hehl aus ihren Antipathien – und diese waren oft den anderen unerklärlich; denn sie richteten sich gegen manchen 64 Prachtkerl, der in der Gesellschaft gefeiert wurde. Doch nie wurde sie verletzend oder schnippisch bei der Abwehr des Feindlichen und Unerquicklichen; es war stets eine Ablehnung mit graziöser Handbewegung; sie flüchtete wie in ein inneres Heiligtum. Schön und reizend fanden sie alle, liebenswürdig die wenigsten; sie machte von den Waffen, welche ihr die Natur verliehen, nach der Ansicht der meisten, nicht den entsprechenden Gebrauch; sie verschmähte alle Hilfsmittel gefallsüchtiger Koketterie. Ihr Lächeln belohnte nicht die Schmeichler, ihre Blicke verhießen nichts. Natürlich, sagten die Zurückgesetzten, sie hat's ja nicht nötig; sie ist reich und bildet sich viel auf ihren Reichtum ein. Die feineren Beobachter aber erkannten die vornehme Natur des Mädchens, das, allem Gemeinen abhold, im stillen mit den Denkern und Dichtern aller Zeiten verkehrte. Man wußte, daß sie viel gelesen, und sie überraschte oft die Kundigen, nicht bloß durch ein treffendes Urteil, sondern auch durch den Hinweis auf irgendeine Äußerung der geistig Großen, welche mit dem entscheidenden Stichwort des einmal Gesagten das Thema des Gesprächs erledigt hatten.

Die jüngere Schwester, Berta, machte von ihrer Anmut und ihren Reizen einen ergiebigeren Gebrauch; es war eine geschmeidige Lacerte, beweglich, unfaßbar; sie lockte Verehrer herbei, aber sie foppte dieselben dann wieder schalkhaft und boshaft. Sie war kleiner und voller als Ella; ihre Löckchen auf Stirn und Schläfen, ihre Schleifen und Bänder, alles flatterte an ihr herum. Man nannte sie das Sprühteufelchen; Körbe hatte sie immer zur Hand und Gelegenheit, sie auszuteilen, während Ella nie in diese Lage kam; sie hatte ein scharfes Zünglein, kritisierte alles, und 65 bewunderte nichts. Respekt hatte sie vor wenig Personen in der Welt, am wenigsten vor ihrer Mutter, am meisten vor ihrer Schwester; Prinzessinnen und dergleichen machten gar keinen Eindruck auf sie. Zu Weihnachten wünschte sie sich eine Schachtel mit Leutnants, die sie auf dem Tisch in Reih und Glied stellen konnte und war sehr ungehalten darüber, daß es in den Spielwarenhandlungen solche Schachteln nicht gab, sondern daß dort überall die ganz gemeinen Soldaten alle Schachteln füllten. Zwei Oberleutnants hatten bereits um ihre Hand angehalten, doch sie hatte ihnen erklärt, daß ihr Herz die notwendige Kaution nicht stellen könne. Verliebt war sie noch nicht gewesen, sie meinte auch, sie würde es nie sein. Denn sie wisse zu gut, daß nicht ihre kleine Person, sondern ihr Mammon den Herren begehrenswert sei – und sie sei zu gut, um als Zugabe zu dienen. Wie oft begegnete sie offener Feindseligkeit, denn sie hatte es danach getrieben; doch das schreckte neue Bewerber nicht ab. Das Mädchen war hübsch, die Mitgift groß – und einer mußte doch endlich den Sieg erringen.

Berta begrüßte die Gäste mit ausgesuchter Höflichkeit, die vornehmeren mit einem Hofknix, der ein wenig übertrieben war, und dadurch einen kleinen böswilligen Beigeschmack erhielt, ihre früheren Verehrer, die sie abgewiesen, mit einer Feierlichkeit, als läuteten schon die Hochzeitsglocken und die unternehmungslustigen neuen Ehestandskandidaten mit einem ermunternden Lächeln, hinter dem sich allerlei schalkhafte Hintergedanken bargen. Da zeigte sich ein fremdes Gesicht – Berta wurde aufmerksam, die alten Gesichter waren schon alle so langweilig geworden und das Gesicht war hübsch und interessant. Doktor 66 Biesner führte seinen Freund Edgar ein und stellte ihn nun den jungen Damen vor.

»Ihre Freunde sind uns stets willkommen,« sagte Berta, welche das Wort ergriff, wie sie es gewöhnt war; denn Ella war zurückhaltend und begnügte sich mit einer freundlichen Verneigung, »Sie besuchen uns sehr selten, Herr Philosoph! Sie sitzen immer in Ihrer Höhle – unter dem philosophischen Weißdorn, ein Merlin ohne Viviane.«

»Mein Freund,« versetzte Edgar, »liebt zu sehr die Einsamkeit.«

»Aus der Einsamkeit,« sagte Ella, »sind oft diejenigen hervorgegangen, welche eine ganze Welt bewegten.«

»Gewiß, mein Fräulein,« meinte Edgar, »um eine Welt zu bewegen, muß man außer und über ihr stehen, doch nicht jeder ist ein Archimedes, und unsere großen Denker wollen die Welt mehr begreifen als bewegen; doch es gibt auch einsame Menschen, denen die ganze Welt zum Ekel ist, Eremiten, denen der Bart durch den Tisch wächst; damit mein Freund nicht ein solcher Sonderling werde, will ich ihn herausscheuchen aus seinem Versteck.«

»Man hat mehr davon,« sagte Ella, »wenn man sich selbst genügt, als wenn man der Welt genügt, und daß die Welt uns genügen soll, das ist eine kindliche Zumutung an alle höher strebenden Menschen.«

Edgar warf ihr einen prüfenden Blick zu; der Wohllaut ihrer Stimme hatte ihn gefangen genommen; sie war keine prunkende Kokette, die mit Geistreichigkeiten irrlichterierte; schlicht und einfach war ihre Rede, sie sprach nur aus, was sie innerlich erlebt hatte. Die schlanke Gestalt, die feinen Züge, das 67 sinnige Auge – das sprach alles mit in anmutigem Verein. Eine andere junge Dame, die ihn gleich an der Schwelle mit so schwerwiegenden Gedanken begrüßt hätte, wäre ihm verdächtig geworden, als ein herausfordernder Schöngeist, der irgendein Albumblatt rezitiert, das er beschrieben hat oder schreiben will. Und doch – sie wollte nicht blenden; indes, so fern ihr jede Koketterie lag, so wollte sie doch vielleicht dem Fremden ein geistiges Lebenszeichen geben; es bewies nur, daß er ihr nicht gleichgültig, daß er ihr sympathisch war.

»Doch kommen Sie, meine Herren, das Souper ist in unserem Gartensalon gerüstet; spätere Ankömmlinge finden dort noch einen Platz.«

Zwei lange Tafeln – doch es war keine festgeregelte Gesellschaft; die einen saßen, die anderen standen und gingen umher in lebhaften Gesprächen; es herrschte ein durchaus ungezwungener Ton; man aß und trank, sitzend, stehend, gehend. Die Geheimrätin freilich präsidierte mit Würde am oberen Ende des Tisches; sie war der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht. Edgar wurde ihr vorgestellt – er gefiel ihr! Das war doch ein Naturforscher, der Manieren hatte und nicht gleich alles, was er sah, an die Nadel spießen wollte; sie unterhielt sich mit ihm und er setzte sich an ihre Seite. Gegenüber hatte Ella Platz genommen; sie hörte mit halbem Ohr auf die Anekdoten, die ihr Leutnant von Pommelwitz, einer ihrer eifrigsten Verehrer, zuflüsterte; sie sah zwischen den Blumenvasen und Champagnerflaschen hindurch auf Edgar Guttmann mit jener Neugierde, die uns eine fremde Erscheinung einflößt, die uns sympathisch berührt hat und deren ganze Eigenart wir ablauschen möchten. 68 Leutnant von Pommelwitz hatte ernste Absichten und das hatten sie alle, auch die flottesten Lebemänner, wenn es sich um die Töchter der Geheimrätin handelte. Doch Ella kümmerte sich wenig darum und gerade die Herren mit ernsten Absichten kamen ihr oft sehr komisch vor.

Da rief das Erscheinen eines Herrn von eleganter Erscheinung und sicherem Auftreten eine gewisse Unruhe in der Gesellschaft hervor. Einige eilten ihm entgegen und begrüßten ihn aufs freundlichste; auch die Geheimrätin konnte es kaum erwarten, bis er an sie herangetreten war und ihr die Hand geküßt hatte.

Jeder Salon der Hauptstadt hatte seinen Star; der Star im Salon der Geheimrätin war Baron von Perling – das war allgemein anerkannt. Er hatte etwas Vornehmes, Weltmännisches in seinem ganzen Wesen; nie erschien er ohne die goldene Ordenskette, an welcher allerlei Kreuze und Medaillen baumelten. Sie stammten zum Teil aus anderen Weltteilen, es waren einige gewöhnliche Wald- und Wiesenorden dabei, zum Teil tropische Leuchtkäfer; auch der Fachmann des Heroldsamtes hätte sie nicht alle leicht beim Namen nennen können. Von deutschen Ordenskreuzen waren nur wenige dabei und zwar aus unscheinbaren Fürstentümern herstammend. Doch kein Prophet gilt in seiner Heimat. Perling trat selbst auf wie ein kleiner Fürst, selbstgewiß, siegreich, aber nicht mit steifer Grandezza, sondern mit jener beweglichen Geistreichigkeit, die auf die Bewunderung der ganzen Umgebung Anspruch machte. Er hatte eins jener eigentümlichen Gesichter, die durch ein lebhaftes Mienenspiel einen stets wechselnden Ausdruck annehmen, so daß es schwer ist, ihre ursprüngliche Eigenart 69 festzuhalten. Ein sarkastisches Lächeln um die Mundwinkel, dann wieder eine joviale Fröhlichkeit, ein feuriger, oft drohender Blick des Auges, dann wieder ein schwärmerischer Augenaufschlag: das wechselte wie Aprilwetter. Volles kastanienbraunes Haar umrahmte ein von Sonne, Wind und Wetter tief gebräuntes Gesicht; doch die Hände, die mit lebhaftem Gebärdenspiel seine Rede unterstützten, waren so zart und weiß, wie die Hände einer Schönen, die tagtäglich mit allen Toilettenseifen die Hand wäscht, die sie einmal zu vergeben hat.

Herr von Perling ist wieder da – die frohe Botschaft ging wie ein Lauffeuer durch den Salon.

»Erzählen Sie, erzählen Sie!« – riefen mehrere Stimmen zugleich, darunter auch die Baßstimme des Majors und des Generals. Perling schenkte sich ein Glas Champagner ein:

»Das ist nicht so leicht; man kann die Abenteuer nicht so aus dem Ärmel schütteln. Und dann wollen Sie nicht Dichtung und Wahrheit, sondern bloß Wahrheit. ›Was ist Wahrheit?‹ sagte der selige Pilatus; es kommt doch darauf an, wie man die Dinge sieht; was für den einen Wahrheit, ist für den anderen eine Lüge und gallebitter schmeckt uns heute, was gestern unseren Gaumen entzückte. So steckt in uns ein Dichter, der immer mit der Wahrheit spielt, wie die Katze mit der Maus.«

»Wie war's denn in Paris, Baron?« fragte der alte Major.

»Eine herrliche Stadt – das ist und bleibt sie. Doch les odeurs de Paris haben sich geändert! Nach Juchten hat es früher hier nicht gerochen, jetzt stolpert man bei jedem Schritt über einen Russen. Ich hatte 70 Verwandte in den deutschen Ostseeprovinzen; so konnte ich mich als einen Halbrussen aufspielen – und das genügte, um mir in allen Kreisen einen guten Namen zu verschaffen. Da war auch eine Balletteuse aus St. Petersburg, die mir schon an der Newa etwas vorgetanzt hatte. Jetzt hatte sie eine russisch-französische Allianz mit einem Marineoffizier geschlossen, der irgendeinen Schiffskoloß bei dem Verbrüderungsgeschwader in Kronstadt kommandiert hatte. Das kam mir sehr zu statten. Und wenn man mich für einen Vollblutrussen gehalten hätte, ich hätte nicht mit der Wimper gezuckt. Es gibt Dinge in der Welt, die ich mehr verehre, als die Knute; doch wenn's sein muß, nehme ich auch sie in mein Wappen auf.«

»Und die Republik,« fragte der General, »wird sie Bestand haben?«

»Darüber habe ich nicht nachgedacht. Das Volk gewöhnt sich an alles, es hat sich auch an die Republik gewöhnt. Es ist ja nicht die Republik Robespierres; es wird nicht geköpft, gelegentlich nur gemogelt. Die Bonapartes zu Pferde, die Boulangers, haben sich lächerlich gemacht und wenn die Deroulèdes zu Fuß einem Generalsgaul in die Zügel fallen, so geht deshalb noch lange nicht die Republik aus den Fugen. Im Lande der Marquis und der Duchesses regieren jetzt die Advokaten – und wenn vor einem solchen Advokaten die ganze Armee im Parademarsch vorüberzieht, so müßte sich eigentlich der Cäsar im Invalidendom im Grabe herumdrehen. Doch er tut es nicht, die Cäsaren sind jetzt bequem geworden; mir scheint, ihre Ära ist vorüber.«

»Doch das alte Königtum hat noch begeisterte Anhänger,« meinte der General.

71 »Ja, in den alten Schlössern in dem Faubourg Saint Germain – hinter den großen verschlossenen Toren und ummauerten Höfen, da sitzt noch eine gläubige Gemeinde, der alles, was über ihr steht, als ein Dunstgewölk erscheint, ruhmlos, bestandlos. Wer sind diese Präsidenten, Minister, Generale, die ein Karnevalsscherz der Weltgeschichte dort in die Lüfte geblasen, zu einer unglaublichen Höhe erhoben? Der alte ruhmvolle Adel Frankreichs wird aus seinen Erbbegräbnissen herauskriechen, wenn der Ruf seiner Könige ertönt! Das glauben sie, das hoffen sie! Ich bin in ihren Ahnensälen gewesen, die alten Herren und Damen sehen recht verdrossen drein; der Ruf läßt allzulange auf sich warten.«

»Und so waren Sie die ganze Zeit in der Welthauptstadt?« fragte die Dame vom Hause.

»O nein,« ich war auch an der Riviera – in Paris wäre ich gern ein Russe, in San Remo und Bordighera gern ein Engländer gewesen. Die Riviera haben die Engländer rascher erobert, als die südafrikanischen Republiken. Wenn da irgend einmal ein Deutscher in die Hotels mit hineingesprengelt ist, so macht er einen wehleidigen Eindruck. Ich habe indes eine aus Deutschland stammende Lady kennen gelernt und bin mit ihr unter den Palmen Scheffels gewandelt; doch davon ein anderes Mal.«

Ein vertraulicher Augenwink an die Frau Geheimrätin deutete an, daß diese Mitteilung ihr allein gemacht werden sollte.

Die Gesellschaft begab sich jetzt in den Garten der Villa, der mit seinen vielen sich kreuzenden und oft verschwiegenen Schattengängen Gelegenheit bot zu vertraulicheren Gesprächen abgesonderter Paare.

72 »Und Ella?« fragte der Baron die Geheimrätin in einem mit bunten Lichtern illuminierten Laubengang.

»Ist still und fremd wie immer; sie geht ihre eigenen Wege.«

»Und haben Sie nicht angedeutet, was ich für sie empfinde?«

»Ich fürchte, es ist zu früh! Sie verhält sich zu ruhig ablehnend, ja, was schlimmer ist, sie gedenkt Ihrer so beiläufig, wie einer höchst gleichgültigen Person. Sie haben Ihren Geist zu sehr für die ganze Gesellschaft ausgegeben; solch ein Mädchen verlangt einen aparten Kultus. Sie haben ihr noch keine Huldigungen dargebracht, die ihr Herz gewinnen könnten. Ella ist klug und – tief; so meinte wenigstens der Professor Durber, der bisweilen bei uns auftaucht, der berühmte Ästhetiker!«

»Tief – das klingt bedenklich,« sagte der Baron. »Doch es schreckt mich nicht, obschon der Professor mir diesen Ruhmestitel schwerlich erteilen würde.«

Sidonie Schweiger konnte ein fröhliches Lachen nicht unterdrücken; doch sie hielt die Hand vor den Mund, denn neben dem Laubengang hörte man Geflüster, blinkten helle Kleider, regten sich andere Paare.

»Nein, bester Baron! Das Senkblei eines Professors würde bei Ihnen rasch auf den Grund geraten. Doch das ist kein Unglück – mir sind Sie so lieber. Die tiefsinnigen Gelehrten sind unbrauchbar für das Leben und für die Liebe.«

»Und an den Tiefsinn eines Mädchens glaube ich nicht,« versetzte Perling, »die armen Dinger müssen sich immer etwas in den Kopf setzen, auch gelehrtes 73 Zeug, wenn sie nichts Besseres haben. Doch wenn der Rechte kommt, dann wird der ganze Ballast über Bord geworfen. Nein, nein, Ihre Ella wird dann wie die anderen und der gute Professor wird erstaunen, wie oberflächlich das schöne Kind geworden ist.«

»Doch ein so gewandter Herr wie Sie – und so schüchtern einem Mädchen gegenüber, sonst so siegesgewiß, so welterobernd – und da finden Sie nicht das rechte Wort. Meine Fürsprache würde Ihnen nichts nützen, eher den Eigensinn meiner Tochter gegen Sie in die Schranken rufen. Wenn Sie Ihre ganze Liebenswürdigkeit einsetzen . . . ich wenigstens zweifle nicht, daß Sie ihr Herz gewinnen werden.«

»Und hat sie keine andere Neigung?«

»Nein, das hätte ich schon bemerkt. Dafür habe ich feine Fühlfäden. Ihr Herz ist ein unbeschriebenes Blatt – und das Gekritzel leichtfertiger Liebhaber wird dort so leicht keinen Platz finden. Sie wissen, wie glücklich ich wäre, Sie den Unseren nennen zu können; auch in mein verarmtes Leben käme ein neuer Glanz; Sie würden die Stütze unseres Hauses werden. Drei vereinsamte Frauen – es ist ja wie im Kloster, wenn wir auch nicht gerade fasten, beten und uns geißeln.«

Der Baron küßte ihr die Hand und schlang den Arm um ihre Taille – ob das Recht des künftigen Schwiegersohnes nicht noch weiter ging? In diesem Augenblicke ließ es sich nicht entscheiden; ein anderes Paar war in den Laubengang getreten und Baron Perling mußte sein überwallendes Gefühl auf ein bescheideneres Maß beschränken, welches auch vor den Augen anderer minder gefühlvoller Sterblichen bestehen kann.

74 Es war kein blinder Zufall, der die beiden Töchter des Hauses und die beiden jungen Doktoren der Weltweisheit in dem Rosenboskett zusammenführte, das einen Springbrunnen mit seinem duftigen Kranz umrahmte. Edgar war Ella nachgefolgt in Begleitung des Freundes; unter den Rosen trafen sie zusammen. Der junge Philosoph eröffnete das Gespräch:

»Ich liebe die große Gesellschaft nicht; ich bin einmal ein einsiedlerischer Mensch. Auch ein Symposion Platos wäre nicht nach meinem Geschmack; entweder allein, wie die indischen Weisen bei ihren Lotosblumen oder mit einem anderen Jünger Buddhas zusammen – und auch einige Apsarasen könnten dabei einen lieblichen Kranz flechten als lebende Rosen.«

»Apsarasen?« versetzte Berta, »das sind wohl wir, und Sie müssen hier mit uns vorlieb nehmen, da es hier keine indischen Prinzessinnen oder Göttinnen gibt. Wenn man mit einem solchen Doktor der Weltweisheit zusammenkommt, da erfährt man doch immer etwas Neues. Ich bin schon mündlich, schriftlich, ja, auch gedruckt mit allen möglichen Ruhmestiteln bedacht worden; doch eine Apsarase – da fühl' ich mich sehr geschmeichelt, weil das etwas ganz Apartes ist und niemand weiß, was das zu bedeuten hat, außer den hochgelehrten Herren.«

»Du irrst,« meinte Ella, »ich kenne diese Göttinnen aus mancher reizenden und tiefsinnigen indischen Dichtung, die ich gelesen; sie leben in Indras Himmel und sind von unvergänglicher Schönheit. Vor allem aber sind sie den Einsiedlern gefährlich, Herr Doktor.«

»Mir nicht, mein Fräulein! Und wenn der ganze Himmel Indras sich entvölkerte und auf die Erde käme, 75 um mich zu verführen, es würde vergeblich sein. Ich gehe allen Dingen auf den Grund, und ich weiß ja, daß das alles Komödiantinnen sind, die dem guten Indra die Zeit vertreiben. Ich weiß mich aber besser zu beschäftigen und alle Komödie ist mir ein Greuel.«

Edgar blickte auf das schöne, stille, stolze Mädchen mit wachsender Teilnahme. Anders geartet als die anderen war sie ihm schon von Hause aus erschienen. Daß die Vergnügungen der jungen Damen, Bälle und Konzerte nicht ihr Leben ausfüllten, das erkannte man an ihrem ganzen zurückhaltenden Wesen. Denn ohne etwas Koketterie geht es bei diesen Lustbarkeiten nicht ab; sie ist doch die Würze des gesellschaftlichen Verkehrs, wenn Männlein und Fräulein zusammenkommen – und ein Mädchen, das nicht kokett ist, erscheint vielen als unnahbar und ungenießbar. Doch Ella hatte auch nicht das Gespreizte der gelehrten Frauen, nichts Prunkendes, auch nicht das Verglaste einer dem Leben mehr oder weniger abgestorbenen Weiblichkeit; sie war eine blumenhafte Natur von schlankem, geradem Wuchs, all ihre Kelche entfaltend und alles einfangend, was Himmel und Erde Erquickliches spenden. So hatte Edgar ihr Bild in sich aufgenommen; an eine Täuschung glaubte er nicht; so offenherzig, so harmonisch war ihr ganzes Wesen. Dunkles, glatt gescheiteltes Haar ohne modische Kräuselung und Aufbauschung, blaue Augen, sinnig und tief, ein feingeschnittener Mund, ein reizendes Oval des Gesichtes, eine Gestalt von schönem Ebenmaß, nicht üppig, und nicht dürftig, nicht überragend und nicht verkümmert: so erschien sie ihm als eine Grazie und als eine Muse zugleich, liebreizend, wenn sie schwieg und weihevoll, wenn sie sprach. Und von solchen 76 Eindrücken beherrscht, versäumte Edgar eine Zeitlang sich an der Unterhaltung zu beteiligen; er sah und hörte nur wie einer, der im Banne eines anderen Wesens sich selbst vergißt.

»Ich kann nicht finden, wie mein Freund, daß in der Vereinsamung das Glück liegt,« sagte er, um sich an dem Gespräch zu beteiligen, »man würde auf die reizvollsten Anregungen verzichten; der Geist schlummert ein, wenn nicht die Lebensgeister geweckt werden, auch was geistiges Schaffen betrifft; – nur durch die Berührung entzündet sich der Funken. Ich wenigstens habe kein Talent zum Eremiten und die Weisheit des Zarathustra, die aus einsamen Höhen herniederkommt, hat für mich etwas Frostiges.«

»Mir kommt sie in jeder Hinsicht gletscherhaft vor,« ließ sich jetzt die Stimme des Herrn von Perling vernehmen, der unbemerkt in das Rosenrondel eingedrungen war, »ja, meine Damen, ich bin auch ein Philosoph, wie diese Herren, so wenig man mir es anmerkt – und Zarathustra gehört auch zu meiner Reiselektüre. Wenn die Waggons stoßen und schütteln und die Buchstaben einem vor den Augen flirren und tanzen, dann ist man in der Stimmung, diese Offenbarungen zu genießen, die schon an sich auf einen bloßen Menschen, der kein Übermensch ist, einen sinnverwirrenden Eindruck machen.«

»Man genießt die Philosophie besser, wenn man kein Retourbillet in der Tasche hat,« sagte Doktor Biesner.

»Mir scheint es, als ob die Philosophie selbst mit einem Retourbillet fährt, und immer wieder dort ankommt, wo sie vor Jahrtausenden abgefahren ist,« versetzte Perling; »doch ich würde mich nicht in einen 77 so gelehrten Kreis gedrängt haben, wenn ich nicht den beiden Fräulein im Auftrage der Mama diese beiden Tücher überbringen müßte, denn es wird kühl im Freien. Fräulein Ella – dies rosa Tuch ist wohl das Ihrige und Fräulein Berta . . .«

»Ich bitte um das saftgrüne,« sagte die jüngere Schwester, »und danke für uns beide, da Ella offenbar zu danken vergißt.«

Eine freundliche Verneigung sollte das Versäumte nachholen; doch es war nur ein sehr kühler Dank. Ella zeigte eine unverhohlene Abneigung gegen den Star des Hauses, den Liebling der Mutter, der sich desto eifriger um ihre Gunst bemühte. Sie pflückte von den schönsten Rosen eine Marschall-Niel-Rose, die gerade im Windeshauch ihr Gelock gestreift hatte und zum Erstaunen aller und zur freudigen Überraschung des galanten Kavaliers reichte sie ihm dieselbe, leider! aber mit den unerfreulichen Worten: »Bitte, bringen Sie diese Rose meiner Mutter zum Dank für ihre liebevolle Fürsorge.«

Der Baron war von dieser Pietät durchaus nicht gerührt; er wurde hier hin- und hergeschickt wie ein Kurier und lag nicht etwas wie eine böswillige Absicht zugrunde, ihm eine böse Täuschung zu bereiten und ihn vor den anderen bloßzustellen? Bei dieser Ella konnte man auf alles gefaßt sein; sie war klug wie die Schlangen und verbarg hinter ihrer marmornen Ruhe oft sehr schlimme, feindliche Gedanken. Wollte sie ihn jetzt beiseite schaffen? Er störte sie im Gespräch mit den jungen Herren. Den einen sah er heute zum ersten Male; der neue Eindringling mißfiel ihm.

»Erlauben Sie,« versetzte Berta, »daß auch ich 78 Ihnen eine Rose gebe; doch diese ist für Ihr Knopfloch bestimmt.«

Sie pflückte eine weiße Teerose und überreichte sie dem Baron; ihr bereitete es ein besonderes Vergnügen, die Hartherzigkeiten der Schwester gut zu machen und diese zu ärgern. Es war ein kleiner Krieg zwischen beiden, der ihrer schwesterlichen Liebe keinen Eintrag tat.

Perling warf seiner Gegnerin Ella einen Blick zu, der sie beschämen sollte; er deutete zugleich an, daß er die Rose, die sein Knopfloch schmückte, lieber von ihrer Hand erhalten hätte; er verließ den Kreis mit lächelnder Miene, während er im Herzen das Gefühl einer Niederlage hatte, für die er sich rächen müsse. Den jungen Philosophen kannte er schon von früher; es war ein ungefährlicher Sonderling; nichts lag ihm ferner, als den Damen den Hof zu machen; auch war er selbst so reich, daß ihn die Schätze der Geheimratsfamilie nicht verlocken konnten, doch der andere – der mußte wohl nach den Schätzen schielen; der war, nach den Erkundigungen, die er in den letzten zehn Minuten eingezogen, kein Krösus. Und er sah überdies recht unternehmungslustig aus. Eine Reise um die Welt hatte er auch gemacht, während er selbst, der Baron, nur die Modetour durch die europäischen Hauptstädte zurückgelegt hatte. Jener konnte von den Kannibalen erzählen und von den tätowierten Schönheiten – und soweit hatten es die Schönen von Paris und St. Petersburg noch nicht gebracht. Das war ein unangenehmer Konkurrent, dem man auf die Finger sehen mußte; kaum hatte der Baron das Rosenrondel verlassen, als Ella wie von einem peinlichen Druck erlöst, das Wort ergriff:

79 »Erzählen Sie uns doch, Herr Doktor, von Ihren Reisen! Was haben Sie uns denn Schönes mitgebracht?«

»Vieles – wenn ich es Ihnen nur zeigen dürfte; einige seltene Blumen, die unsere Salons schmücken, vor allem aber eine sehr reichhaltige Pflanzensammlung, Kinder aller Zonen, doch es ist ein erloschenes Leben, wie aufgebahrt für die Wissenschaft! Es würde Sie ermüden, diese Herbarien zu durchblättern.«

»Keineswegs,« versetzte Ella, »das Feuer der tropischen Landschaft mit ihren leuchtenden Pflanzenmeteoren, mit den farbigen Sonnen prächtiger Blütenkronen, mit dem unermeßlichen Durcheinanderranken eines Wirrsals von Zweigen und Blumen, das der unersättliche Bildungstrieb der Erde gezeugt, ich würde damit die gepreßten Silhouetten beseelen, meine Phantasie würde sich aus diesen andeutenden Überresten die herrliche Welt aufbauen.«

»So werde ich Ihre Frau Mutter bitten, daß sie mit Ihnen uns besucht, um unsere Sammlungen zu mustern.«

»Das wäre reizend,« rief Ella.

»Nein,« meinte Berta, »ich habe gar keine Freude an der löschpapiernen Makulatur eines Herbariums. Doch irgendein zierliches Blümchen, das mir daraus entgegenguckt, würde mich erfreuen und ich würde ein solches armes plattgedrücktes Kind der Flora in Gedanken wieder anfeuchten, daß es noch einmal Sonne, Mond und Sterne begrüßen und den Tau des Himmels trinken kann.«

»Das ist hübsch von Ihnen, Fräulein,« sagte Doktor Biesner, »doch Sie können auch andere Sammlungen bei uns sehen. Ich habe meine wertlosen 80 Passionen, aber für müßige Viertelstunden kann es auch anderen eine kleine Ergötzlichkeit bereiten, was ich mir so aus aller Welt Enden zusammengesucht. Ich habe eine große Briefmarkensammlung.« –

»Das ist famos,« rief Berta in die Hände klatschend, »mein Album ist klein, aber sehr hungrig und da kann man's vielleicht mit Ihrer Hilfe etwas auffüttern. Doch das seh' ich zu gern, Briefmarken und Kleidermuster! Da muß Mama dran glauben! Überlassen Sie das mir, meine Herren, ich bringe sie schon hinüber. Sie ist auch etwas neugierig, unsere Mama, und sieht gern allerlei bunte Dinge!«

Als die Gäste aufbrachen, stand schon der Mond am Himmel; die Fenster der Villa funkelten in seinen Strahlen, vor allem ein grünumranktes Giebelfenster; hier schien das Mondlicht festgehalten wie ein kostbarer Brillant in einer smaragdenen Fassung. Es war kein ländlicher Giebel bürgerlicher Häuser, wie er sich in den Gassen der alten Reichsstädte findet; es war ein antiker Giebel mit allerlei Reliefs zwischen den Gesimsen und man konnte den Zug der Grazien und die Weisheitsgöttin mit ihrem Speer bemerken.

Dort mußte die Wohnung der schönen Ella sein. Das war Edgars Überzeugung – und sein Freund, der mit der Verteilung der Wohnräume Bescheid wußte, bestätigte dies. Beide gingen dann einige Zeit schweigend nebeneinander.

»Wie gefallen dir die Damen?« fragte Max.

»Zwei gefallen mir recht gut, die dritte aber gar nicht!«

»Und warum?«

»Weil ich sie nicht herabsetzen will durch ein 81 falsches Urteil. Ich kann sie den anderen nicht gleichstellen; sie steht hoch über ihnen, es wäre ein zu wohlfeiles Lob und gäbe nicht entfernt den Eindruck wieder, den sie auf mich gemacht hat.«

 


 


 << zurück weiter >>