Jeremias Gotthelf
Die Wassernot im Emmental
Jeremias Gotthelf

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Unglückliche hätten doch so dringende Ursachen, ihre Herzen zu bewahren, denn der Herr, der ein Unglück gesendet, kann ein zweites zum ersten fügen, kann seine Blitze schleudern alle Tage, kann seine Wasserkammern öffnen zu jeder Stunde, und wie würde ihnen dann sein, wenn ihr Streit und widerwärtig Hadergeschrei der Geber Herzen verschlossen hätte, milde Hände sich ihnen nicht mehr öffnen wollten?

Von ganzem Herzen sollte jeder dem Herrn danken, fröhlich sein über seine Gabe und sich freuen über die Gabe seines Nächsten. Was der eine erhalten, was der andere, beides kömmt aus des Herrn Hand; er hat es geordnet, wieviel, nicht mehr, nicht weniger, jeder erhalten solle. Darum sollte niemand mit Neid sich versündigen gegen den Herrn. Und wenn bei weitem die Steuer den Verlust nicht deckt, den Erwartungen nicht entspricht, warum das Murren und Klagen? Wer ist schuld an zu hoch gespannten Erwartungen? Betrachte man doch nicht das Verlorne, sondern das Empfangene, das niemand schuldig war zu geben, bedenke, wie einem wäre, wenn man gar nichts erhalten hätte, worüber man niemandem mit Recht Vorwürfe machen könnte, dann erst kann man dankbar werden, kann sich freuen über seinen Gott, der uns nicht vergessen, freuen über die Geber alle zu Stadt und Land, die um Gott und der Liebe willen soviel gegeben, freuen, daß der Nachbar nicht vergessen worden in seiner Not.

Dann wäre Segen in jeder Gabe, und in jedem Herzen duftete das köstliche Blümelein als köstlicher Weihrauch dem Herrn, das Blümelein der Liebe, und aus ihm wüchse die goldene Frucht der Treue, der Treue in guten und bösen Tagen, durchs ganze Leben bis in den Tod. Dann würde erfüllt an den Bedrängten die Verheißung, daß allen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen, Geben und Nehmen, Unglücklichsein und Unglücklichen Helfen.

Alles tut der Herr, damit jede Schickung also an den Seelen gedeihe, zu ihrer Läuterung diene, und der Mensch hat Ohren und höret nicht, Augen und siehet nicht, und sein Verstand will nicht fassen des Herrn lebendige Predigt.

Traurig, grausig sah im letzten Herbst das Tal aus, alle Tage schien es düsterer zu werden, so wie die Tage trüber wurden; eine Wüste schien es vielen, zu ewiger Unfruchtbarkeit verdammt, und sie hoben die Hände jammernd auf und frugen Gott, wo sie nun Speise pflanzen, Nahrung suchen sollten, da der Boden, der Speise ihren Vätern gegeben, verwüstet sei.

Schweigend antwortete der Herr auf diesen Jammer. Er deckte mit Schnee die Erde, das ganze Tal der Verwüstung zu, damit auch es schweige und sein Anblick nicht fort und fort jammernd rede zu den Talbewohnern und sie sich sammeln möchten, um mit besonnenem Mut neubelebt ihre Kräfte walten zu lassen, wenn zur Arbeit die Sonne rufe.

Aber wie unter dem Schnee hervor im Winter die Tiere des Waldes ihre Nahrung scharren, so gibt es Menschen, die auch unter dem Schnee hervor Nahrung kratzen für ihr mißvergnügtes Herz, das keine andere Arbeit kennt, keine andere Lust, als Klage auf Klage ausströmen zu lassen gegen Gott und Menschen. Ein feuerspeiender Berg ruht doch noch zuzeiten, seine Feuerströme verglühen, selbst das Grollen in seinem Schoße schweigt; ein stolzes Herz aber schweigst nimmer, seine Ausbrüche strömen fort und fort; selbst wenn die Emme austrocknet in den heißen Sommern, vertrocknen diese nicht; selbst wenn Fluß und See zusammenfrieren in hartem Winterfrost, bleibt flüssig der Klagestrom mißvergnügter Herzen. Was doch wohl für Materie sein mag in einem solchen Herzen?

Doch hat sicher auch manches Herz den Winter durch sein Gleichgewicht wiedergefunden, hat Mut gefunden und Zutrauen, zu arbeiten, hat den Glauben neu gefaßt, daß Gott nur den verlasse, der sich selbst verläßt.

Lange schwieg der Herr, lange ließ er bedeckt die Erde lange Zeit, Mut und Glauben zu fassen, gab er den Menschen.

Endlich zog er die Decke weg, hauchte neue Kräfte der Sonne ein und redet nun laut und immer lauter von Tag zu Tag. Es knospen die Bäume, lustiges Grün drängt sich allenthalben aus Schlamm und Sand hervor; und, wo eine fleißige Hand dem Schlamm oder Sand Samen anvertraute, da steigt zutage eine üppige Saat.

Wohl sind noch wüste Stellen im Boden, sind tiefe Furchen an den Bergen; die einen werden nie, die andern lange nicht vergehen, aber bald wird der größte Teil des Tales neu geboren sein wunderbarlich, wird aller Welt verkünden, wie groß des Herrn Werke seien und wie herrlich über der Erde seine Güte, wie seine Allmacht Nacht in Tag verwandle und wüste Zerstörung in helle Pracht.

Ein Tor möchte sagen, die gepriesene Weisheit und Güte komme ihm vor wie mutwilliges Kinderspiel, das auch zerstöre, um wieder von vornen beginnen zu können. Der arme Tor kennt Gottes Walten nicht, weiß nicht, daß in der Zerstörung immer der Keim einer herrlicheren Schöpfung liegt, daß alles, was Gott schaffet, sichtbarlich ein Spiegel des Unsichtbaren ist, ein Spiegel dessen, was vorgeht in des Menschen Seele, dessen, was vorgehen sollte in derselben. Der gute Gott findet es nötig, selbst zu predigen und durch seine eigene Predigt selig zu machen, die daran glauben. Er redet leise, meist im Säuseln des Windes, aber er redet auch gewaltig, harte Ohren aufzusprengen. Und wenn er laut redet über Berg und Tal, dann zittert Berg und Tal, und das blasse Menschenkind schweigt in tiefem Schauer; es weiß, wer redet. Und wenn des Herrn Predigt Berge gespalten, Täler verschüttet, Menschenglück und -arbeit zerstört hat durch feurige Blitze, durch der Wasser Gewalt, so hat der Herr dem Menschen gezeigt seine Majestät und die Haltlosigkeit dessen, was am festesten scheint auf der Erde, und mit den empörten Wassern macht er ihm verständlich empörte Leidenschaften, und daß sie es seien, die Häuser brechen, Leben töten, Länder verzehren.

Und wenn der Herr jetzt redet im Frühlingswehen, im grünen Grase, das dem Schlamm entsprießt, in den Blüten der Bäume auf dem Schuttfelde, so ruft er auf zu frohem Mut, zu heiterer Hoffnung, die in tiefster Nacht nie an dem kommenden Tag verzagt, so will er weisen auf versandete, verschlammte, versteinerte Herzen, will sagen, daß es auch da grünen und blühen sollte und könnte, daß, wie graus, wie hoffnungslos ein Herz aussehen möge beim ersten Anblick, bei dem Herrn alle Dinge möglich seien; wie mit des Herrn Hülfe der Mensch das trostlos scheinende Tal wieder blühend machen werde und reich, so könne und solle jeder Mensch, so unfruchtbar und versteinert er auch scheinen möge, neu geboren werden zum Grünen und Blühen, zum Fruchtbringen in Liebe und Treue.

Es klingt im Frühlingswehen die Verheißung: wie lieblich das Tal sich gestalte im warmen Hauche des Herrn, wie schauerlich es gewesen nach der Wasser wildem Wüten, so schauerlich sei anzusehen das von Leidenschaften zerrissene, so unfruchtbar das mit sündigen Gelüsten überschlammte Herz, so lieblich werde es aber allgemach auch in diesem zerrissenen und überschlammten Herzen, wenn des Herrn Lüfte wehen, seine Sonne leuchtet in diese Herzen und in diesen Herzen die alles vermögende gebärende Kraft hervorrufe, die Liebe. Da rege sich dann das Gute und Schöne, baue und treibe auf dem verödeten Boden himmlische Pflanzen und Blumen, deren Duft nicht vergeht, deren Grün nicht verwelkt, die keine Wasserflut wegspült, die dann aus dem Leben in den Himmel wachsen und dort Kronen werden allen, die hier treulich bauen und säen, aber nicht nur Weizen und Korn auf ihres Ackers Boden, sondern auch des Herrn mündlich und schriftlich Wort auf ihres Herzens Grund.

So, ihr Emmentaler, predigt euch der Herr mit selbsteigenem Munde. Tut nun eure Ohren auf und hört des Herrn Predigt, erkennet sein gütig Leiden, die Wunder seiner Allmacht im Tale; verstehet ihn aber auch, den Herrn, der durch das Sichtbare erwecken, beleben, beseligen will eure unsichtbaren Seelen! Bauet und sät munter, unverdrossen in den Schoß des neubelebten Bodens, freuet euch, wie die Saat herrlich gedeiht in des Allmächtigen Segen; aber dieses Sichtbare sei euch nur der Spiegel, in dem ihr erblickt das Unsichtbare, wie an den Herzen Arbeit not tue, wie auch da bei dem Mutigen, Unverdrossenen der Segen des Herrn sei und auf dem wüstesten Herzensboden herrlich gedeihen könne, was mit des Herrn Hülfe gesät wird! So werden dann euer Tal und eure Herzen wetteifernd grünen und blühen zur Ehre des Herrn, herrlicher von Jahr zu Jahr, und jede wüst gebliebene Stelle im Tale und in den Herzen ist nur ein neuer Sporn zu neuer Arbeit, ein neuer Trieb, die Hülfe des Herrn zu suchen und mit dieser Hülfe zu bauen und zu säen auf irdischen und geistigen Boden. Ein glückliches Leben geht dann über dem Tale auf, das kein Donner erschüttert, keine Lawine begräbt, keine Emme zerstört; jedes Herz wird zum blühenden Baum, und zwischen den Herzen klemmt nichts mehr trennend sich ein, sondern eins sind alle im Wetteifer, zu säen und zu bauen dem Herrn zu Lob und Ehre; und von oben senkt dann die unsichtbare Himmelsleiter ins Tal sich nieder, auf der alle Tage alle Herzen in den Himmel steigen, bis sie der Vater reif erfindet für den Himmel und sie behält in seinem Schoße. So wird zum Heil, was man mit blutigen Tränen empfangen, wird zum Born der wahren Kraft, was zuerst eine Quelle von Not und Verzweiflung schien.

Nun gilt aber des Herrn Predigt nicht den Talbewohnern allein, sein Wehen säuselt um alle versandeten, verschlammten Herzen. Wie der Donner seiner Stimme in den Tagen des Augusts Tausende aufrief und Tausende versammelte im unglücklichen Tale, über sie ergoß das Gefühl ihrer Ohnmacht und seiner Allmacht, daß sie ihre Herzen beugten in unaussprechlicher Ehrfurcht und zitternd baten, daß er sie nicht zertreten möchte, so ladet er nun wieder jeden ein mit lauen Lüften, warmen Sonnenstrahlen, zu kommen und zu schauen, wie lebengebend er sei, wie er aus dem Graus der Verwüstung hervorrufe neues Grün, neue Blumen, Früchte verheißend und immer reichere und schönere, je weniger der Mensch Mut und Vertrauen verloren, damit jeglichem der Glaube aufgehe, daß auch auf seines Herzens Boden es grünen und blühen könne, wenn er ihn ausbreite der Sonne des Herrn und mit Glauben und Vertrauen zu pflanzen versuche auf demselben. So kommt dann und höret auf des Herrn Frühlingsrede und empfanget mit ihr in öden Boden den Samen, der zur Seligkeit reifet! Und könnt ihr nicht kommen, so schauet eure Matten, eure Bäume, wie reich und wunderschön des Herrn Frühlingswehen sie gemacht, und lasset dann das gleiche Wehen auch an eure Herzen dringen, daß auch da ein neues Leben auferblühe, ein unvergängliches, wunderlieblich, wunderkräftig Leben! Schauet jeden Tag, jetzt, und wenn die Sonne höher steigt, und wenn sie wieder tiefer sinket, rings um euch; erkennet, was der Herr tut, höret, was er predigt dem Leibe zum Heil, der Seele zur Seligkeit! Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Ausdehnung verkündet seiner Hände Werk, und je ein Tag nach dem andern quillet heraus mit seiner Rede, und je eine Nacht nach der andern zeiget Weisheit an. Sie haben zwar keine Rede und keine Worte, doch wird ohne diese ihre Stimme gehört. Ihre Schrift gehet aus in alle Lande und ihre Rede an das Ende des Erdkreises. Würden so unsere Augen den Herrn schauen, so würden auch unsere Grundsätze des Herrn voll; dann würde jeder Ort, den unser Fuß betrittet, zur Kirche, jeder Tag zum heiligen Fest, das ganze Land zum großen Gotteshaus, gläubiger Beter voll, horchend auf die Stimme des Herren. Dann würde aber auch eines jeden Leben ein Loblied auf den Allerhöchsten, jedes Herz ein Dankaltar, und jeder Mund würde beten aus Herzensgrund: »Herr, wie du willst, und was du gibst, ist unserer Seelen Seligkeit.« Und die Engel des Herrn, die Freude, die nie verglüht, der Friede, der über allen Verstand geht, die Freiheit, die keine irdische Gewalt erzwingt, der Glaube, der Berge versetzt, die Liebe, die alles überwindet, würden Wohnung machen in unserm Ländchen in allen Hütten, und Ländchen und Hütten würde erfüllen des Herrn Segen und unaussprechliche Wonne.

Darum lasset die Predigt des Herrn euch zu Herzen gehen! Ich habe sie zu deuten versucht auf meine Weise in der Liebe und ohne Furcht; ich wollte zeigen, wie des Herrn Tun zu verstehen sei dem verständigen Gemüt. Möglich, daß ein anderer des Herrn Predigt besser verstanden, dann rede er! Und seine Rede wird ein neues Zeugnis sein, wie reich des Herrn lebendig Wort zu jeder Stunde über die Menschenkinder sich ergießt, wie not es täte dem, der Ohren hat, zu hören auf dieses nie verstummende Wort.


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