Jeremias Gotthelf
Die Wassernot im Emmental
Jeremias Gotthelf

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wo Burgdorf liegt, oberhalb Kirchberg, weiß jedes Kind im Lande. Der Demant des Tales, erhebt es sich auf seinen Hügeln, das alte, von Bern hart bedrängte, bezwungene, das neue, Bern hart bedrängende, ihm übermächtig gewordene Burgdorf, Schloß und Kirche einander gegenüber, verbunden durch die dazwischen liegende Stadt, beide die Hüter der Stadt, das Schloß mahnend an einen freien, die Kirche aufrufend zu einem frommen Sinn. Der fromme Sinn hat das Bürgertum erhoben zu einem freien Sinn, der das Schloß, hoher Grafen hoher Sitz, in seine Hand gebracht. Freiheit und Frömmigkeit sind zwei Schwestern, die Wunder tun vereint; aber flieht die Frömmigkeit, besteht die Freiheit nicht, die holde Maid verwandelt sich in ein zottig, grauenvoll Ungetüm. Ein Unfrommer ist ein Knecht, darum haßt er die Freiheit anderer; in die Fesseln, in denen er liegt, will er die andern schlingen. Möglich, daß er seine Sklaverei Freiheit heißt, daß er seinem Stroh Heu sagt, Schlitten seinem Schleiftrog. Und was sollte die Burgdorfer hindern, fromm zu sein? Hat nicht der Herr sie mit einem Garten umgürtet wie ein Eden und in diesem Garten Menschenwerke aufrichten lassen, die Zeugnis reden, daß der Mensch nicht bloß aus Staub gebildet, für den Staub geboren, sondern zu einem höhern Leben bestimmt sei? Hat er sie nicht umgürtet mit einem freien Lande, und was hilft dem Menschen frei sein, wenn er aus Staub für den Staub geboren ist? Was hilft frei werden dem Hund, dem das Fressen des Lebens Höchstes ist und das Fressen aus des Herrn Hand das Kommodste? Was hilft frei werden ihm, der als Hund geboren ist, als Hund leben soll, als Hund sterben wird? Freiheit ist der Hunde Elend, ein Herr ihnen Notwendigkeit.

Wenn doch die Menschen alle die Augen auftäten und in den Garten Gottes schauten statt nur in Bücher, besonders in weltsche, es würde mancher mehr sehen, als er sieht.

Während in einem schönen, zierlich ausgerundeten Emmenbecken mild und freundlich Oberburg und Hasle liegen, Oberburg mit seiner altertümlichen Kirche auf Felsengrund, Hasle mit seiner leicht gebauten auf nicht viel ertragendem Moosboden, strecken Heimiswyl und Rüegsau aus tiefen Gräben hervor, Heimiswyl seinen Turm, Rüegsau sein Türmchen, schicken ihre Bäche der Emme zu und bewachen auf hohen Bergen von mächtigen Höfen weg aus den hier beginnenden glitzernden Emmentalerhäusern, den appetitlichsten Bauernhäusern der Schweiz, vielleicht der ganzen Welt, der Emme Grillen. Mit sonnigen Augen, den Fuß spülend in der Emme Wellen, sieht Lützelflüh hinauf an die mächtigen Berge, woher die Emme kömmt, sieht nieder an den blauen Berg, wohin sie fließt, sieht frei und froh über gesegnetes Land weg hinüber nach dem schwesterlichen Rüederswyl, wo ein dunkler Berg frühe Schatten wirft, aber die Menschen nicht verfinstert, nur einen Vorhang zu ziehen sucht vor den Nesselgraben.

Nachdem der Ranflüher goldenes Gelände die Emme in halbem Bogen umspannt, streckt der Klapperplatz an derselben lang sich hin, repräsentiert durch das Zollhaus, und jenseits liegt lustig auf sicherem Boden und sicher vor der Abendsonne Brand das alte Lauperswyl, mit prächtigen Kirchenfenstern weithin funkelnd.

Durch den fruchtbaren Langnauerboden, wo gwirbige Leute wohnen, hervor stürzt sich bei Emmenmatt die wilde Ilfis in die Emme, die dann, bei Schüpbach noch freundliche Blicke in die schönen Signauermatten sendend, ins enge Eggiwylertal hinauf sich beugt. Zwischen tannichten Hügeln oder Bergen strömend, bewässert sie manchen schönen Hof an der Berge Fuß, und wie gut vieles Land am Fuße der Berge ist, ahnet man nicht im unteren Lande, wissen es doch manchmal selbst die Besitzer nicht.

Heimelig steht im Winkel, wo der Röthenbach in die Emme sich mündet, Eggiwyl mit seinem kleinen Kirchlein am Talrande. Ein schmal, aber liebliches Tälchen hat der Röthenbach sich ausgegraben, und von allen Bergen mußte jeder Regenguß die beste Erde schwemmen in dasselbe, während fetter Mergel an vielen Stellen in der Tiefe liegt. Schöne Heimwesen, Sägen, Mühlen lagen in dem schönen Grunde, doch nach Röthenbach zu auch ärmliche Häuschen, deren Bewohner aber dort an der Sonne behaglicher lebten als viele Palastbewohner Schattseite. Das Tälchen schien so friedlich, daß weder Menschen noch Natur hier den Frieden stören, daß man Unfriede, Aufruhr hier nur träumen zu können schien.

Dieses schöne Tal, das zu unterst in ein Becken mündet, worin vor grauen Jahren die Aare und die Emme ihre Gewässer, nach raschem Lauf vom Gebirge her, an der Sonne rasten ließ, das nach oben immer enger wird, in ungezählte Seitentäler hineinsieht und in Klüften und Felsenspalten hoch an den Bergen ausläuft, wars, welches so traurigen Anblick darbot. Oben im Tale bebte der Mensch vor den Taten der Wasser, der verwüstenden Gewalt der Natur; aber das Tal hinab trat aus der Menschheit heraus noch erschütternderes Elend zutage. Doch unmöglich ists, das graue, grasse Bild jenes Montagmorgen auf irgendeine Weise lebendig andern Menschen vor die Augen zu zaubern, unmöglich, das langgewundene Tal und die darin wimmelnden Menschen darzustellen in wahren Treuen. Der Anblick eines Schlachtfeldes, einer zerschossenen Stadt und Festung ist furchtbar und mannigfach, aber es sind alles Zerstörungen von Menschenhänden. In allem diesem liegt nur etwas Kleinliches, Unzusammenhängendes, Zufälliges; aber, wo ein Element tobte, von oben angeregt, da ist in der Zerstörung eine großartige Einförmigkeit, ein Ungeheures, welches auszudrücken alle Buchstaben zu klein sind. Wer einen Schauplatz gesehen, wo die Elemente ungezähmt wüteten, wird ihn nie vergessen, aber auch nie darstellen können.

Es möchte jemand wähnen, gegen der großen Donau ungeheuren Ausbruch verschwinde der kleinen Emme kurzer Zornanfall. Er täuscht sich. Der Donau Anschwellen war Folge eines fatalen Stockens des Eises; der Emme Größe erzeugte ein schreckliches Gewitter, das mit Wasser und Feuer die Täler erfüllte, die Festen der Erde erschütterte. Der Donau Fluten waren unendlich größer, aber wilder war der Emme Strom. Menschen verschlang die Donau mehr als die Emme; aber fester als die Pester ihre Häuser hat Gott seine Berge gebaut, die Zuflucht der Talbewohner. Viel mehr Häuser begruben in Ungarn die Wellen, unendlich mehr Eigentum ging verloren als bei uns; aber Ungarn ist ein weites Land und doch nur ein Teil des noch weitern Östreich, da geht in der Masse der einzelne verloren, und ein großes Unglück wird klein in so weitem Lande. In einem kleinen Lande aber hat jede zerstörte Hütte Bedeutung, und die Gesamtheit sieht nicht nur den Schaden jedes einzelnen, sondern fühlt auch dessen Schadnis. Oh, es ist gar heimelig in kleinem Lande, wo das Weh des einen Teiles das ganze Ländchen durchzittert! Im weiten Östreich legen einige Landes-, einige Handelsfürsten Hunderttausende in Konventionsmünze zusammen; im kleinen Ländchen steuert der Bruder dem Bruder sein Scherflein, wie er es eben hat, in verdächtigem Luzernergeld oder in schlechten Neuenburgerbatzen, und die schlechten Batzen heilen den Schaden besser als die Hunderttausende in Konventionsmünze. Und wenn ein armes Bäuerlein mehr geben würde als der Schultheiß oder der Landammann, was ja leicht möglich sein könnte, so wäre kein Metternich da, der das Bäuerlein des Hochmuts bezichtigen, sondern vielleicht ein ehrlicher Schweizer, der dem Landammann oder Schultheiß Kargheit vorwerfen würde; denn man gibt hier eben nicht deswegen viel, um der Größte zu sein, sondern um dem Bruder am besten zu helfen.

Die alten, treuen Hüter des Tales, die schützenden Berge, sahen traurig und düster in die Verwüstung nieder. Sie waren festgestanden, die alten Berge, in der Wut der Wasser, aber furchtbar waren ihre Seiten zerrissen, sichtbar stundenweit waren ihre tiefen Wunden. Sie werden vernarben, diese Wunden, aber die Narben werden den Nachkommen noch lange reden von der Not am 13. August 1837, wenn im Tale auch jede Spur derselben längst verschwunden ist. Freilich viel grausiger als die Berge sah am ersten Tage das Tal aus. Was in demselben abgelagert, was weggenommen worden, hatte es in eine lange Schutt- und Sandbank umgeschaffen, auf welcher Bäume zu Tausenden herum- und übereinanderlagen. Bald hatte der Strom das Tal mit Geröll und Steinen übergossen, bald Schlamm und Sand aufgehäuft bis hoch an die Bäume, an die Häuser hinauf, bald aber Land und Straßen verschlungen, einen tiefen, breiten Abgrund gerissen in den schönen Boden.

Auf diesem Felde der Verwüstung schwankten zerstreut menschliche Wohnungen, untergraben hier und dort, bald eine Seite, bald den Hinter- oder Vorderteil hinaushängend in den Bergstrom, umlagert von Holz, Schlamm oder Steinen. Eingeschlagen waren die Fenster, und aus ihren leeren Fensterlöchern sahen sie einen an wie erblindete Menschen aus leeren Augenhöhlen; und aus solchen Fensterlöchern ragten ungeheure Tannen heraus wie vor Zeit nach wilder Schlacht Speere aus Menschenaugen. Die reinliche Nettigkeit der Stuben war verschwunden, grauer Schlamm füllte sie an, klebte rings an den Wänden, aufgespült war der Boden, hie und da guckte ein Hausgeräte, ein Bettstück aus der übelriechenden Masse, und verschüchterte Hühner stunden neugierig auf der Schwelle, drehten den Kopf bald links, bald rechts und konnten gar nicht fassen, wo die Tischdrucke hingekommen und die Menschen, die sonst rings sie umsaßen. Hie und da sah man ein Haus, das Front gemacht hatte gegen den Strom, fast unversehrt stehen und glänzen mit wohlerhaltenen Fenstern. Eine Baumgruppe vor dem Hause hatte es gerettet, den Strom gebrochen, den Sturm der Tannen gewehrt. Die treuen Bäume sahen traurig und zerschlagen aus, denn gar mannlich hatten sie festgehalten und gestritten für die treue Hand, welche sie besorgt und gepflegt hatte in gesunden und kranken Tagen. Wie ein Held im Sturme des wildesten Kampfes mächtig und ungebeugt, wenn ringsum die Schwächern fallen, hielt oberhalb der Luchsmatt ein gewaltiger und schlanker Saarbaum einsam den tosenden Wogenschwall, ganzer Wälder Andrang festen Fußes aus und zeigte am folgenden Tage, wie hoch im Tale tags zuvor die Wellen schlugen, und wird es noch den Enkeln erzählen, wenn er von seinen Wunden heil wird.

Keine Mühle klapperte mehr im Tale, keiner Säge Pochen hallte an den Bergen wider, auf keinem Baume zwitscherte ein lustig Vögelein, die Stille des Grabes lag schauerlich über dem verödeten Gelände. Nur hie und da bei dämmerndem Morgen spazierte eine Krähe über die Trümmer, wühlte eine Elster im Kote; aber die Krähe krähte nicht, selbst die Elster schwieg, wie vom Graus ergriffen.

Da erschienen nach und nach Gestalten der flüchtig Gewordenen zwischen den Trümmern. Lange, lange war den Armen die kurze Sommernacht geworden. Das Erlebte, das Verlorne, die Zukunft wälzten sich schwer über ihre Gemüter, unterbrachen alle Augenblicke den Schlummer oder ängstigten ihn mit furchtbaren Traumgebilden. Aber mancher konnte, wollte nicht schlafen, wenn schon die freundlichen Bewohner der Berge ihr weichstes Bett ihm anboten. In der Angst der plötzlichen Flucht, wo keine Abrede möglich war, jedes von dem Orte aus, wo es in selbem Augenblicke stund, fliehen mußte, waren die Familien auseinandergekommen. Der gleichen Bergseite waren die Bewohner eines Hauses zugelaufen, aber nicht am gleichen Punkte sie erreichend, waren sie bald durch weite Gräben getrennt und wußten nichts mehr voneinander. Der Mann wußte nicht, war seine Frau im nassen Grabe oder ihm zur Rechten oder Linken, die Mutter vermißte ihre Tochter, der kühnere Sohn war vielleicht auf einem Baume geblieben und hatte erst, nachdem er den ganzen Graus gesehen, eine Zufluchtsstätte gesucht. Es waren am Sonntage viele ihrem Strich oder ihren Geschäften nachgegangen. Diese wußten nicht, wie es ihren Leuten gegangen; ihre Leute bangten, die Wasser möchten auf dem Wege die Wanderer übereilt haben; sie fanden sich an diesem Abend nicht wieder zusammen. Da nun war Jammer und Wehklage, und ferne blieb der tröstende Schlaf. Man kann sich denken, wie mit dem ersten Morgenschein die Unglücklichen sich aufmachten und nicht warteten, bis das zMorgenesse zweg war, so dringlich ihre freundlichen Wirtsleute sie baten, nur einen Augenblick noch darauf zu warten, weil sie drunten doch nichts erhalten würden.

Wie sie geflohen waren am Abend, jedes nach seiner Kraft, so eilten sie jetzt am Morgen dem Tale wieder zu, jedes, so schnell es mochte; und, wo jedem zuerst der Anblick in die Tiefe ward, da wurzelte ein sein Fuß, die Hände rang er über dem Kopf zusammen, und ein namenloses Weh erfaßte ihn; dann riß er sich los, stürzte ins Tal, zu sehen, was ihm genommen worden, was geblieben sei.

Wie die Alten ihre zitternden Glieder anstrengten, wie der Stock zitterte in ihren schwachen Händen, den Rüstigen nachzukommen, wie dann der Husten sie überfiel, Herzklopfen sie stillestellte, wie ihre Seele vorwärts strebte, aus den Augen hervorzubrechen schien, den Voraneilenden nach, und wie der träge, schlaffe Leib die Seele bannte, das war ein herzbrechend Luegen.


 << zurück weiter >>