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Wie freundlich und lieblich ists, wenn im friedlichen Stübchen der Weihnachtsbaum brennt, zu mahnen, wie es licht ward auf der dunkeln Erde mitten in dunkler Nacht, und das Kindlein erschien, das für die Kinder kam und zu Gottes Kindern machen will alle die, die zu Lichteskindern werden und an das wahre Weihnachtskindlein glauben, und die Kindlein überrascht die Hände zusammenschlagen, freudig aufjauchzen über das helle Licht und die bescherte Herrlichkeit und auf Erden sich im Himmel glauben!
Wie anders ists, wenn zur selben Stunde Kinder im Finstern sitzen und hungrig, es ihnen zu kalt ist zum Weinen und zu trocken ums Gemüt zum Beten, sie so dasitzen in Schlotter und Elend, und es poltert zur Türe herein oder an die Türe ein wilder, böser Vater, oder es pocht an die Türe, und vor derselben liegt auch eine Bescherung: ein bewußtloser Vater, den man hineintragen muß als Weihnachtsbescherung mitten unter die Kinder, die im Dunkeln sitzen und in Schlotter und Elend! O wie so anders geht es zu auf der gleichen Erde und zur selben Stunde!
Verschieden gehen auch die heiligen Tage über die Erde hin: einmal leuchtet am klaren Himmel die Sonne, lieblich ists, Erdbeeren gelüstet es zu blühen, und aufs neue lieb wird dem Menschenkinde die mütterliche Erde; ein andermal ist verhüllt der Himmel, die Stürme brausen, oder harter Frost zieht das Herz zusammen, unheimlich ists draußen, es flieht das Menschenkind und sucht eine künstliche Heimat, ein warmes Gemach, und sehnt sich nach einer besseren Heimat, wo es so rauh nicht ist, wo solcher Wechsel nicht ist, es nicht so unheimlich ist, wo ein freundliches, mildes Wohnen ist in unveränderter Klarheit.
Der Weihnachtstag, von welchem wir reden wollen, trug einen dichten, trüben Schleier, Tag schien es nicht werden zu wollen, und als es Tag war, wollte es doch nicht Tag werden, bis wieder die Nacht kam. Auch in Frau Agnes' Herz schien die Weihnachtssonne nicht. Es war eine tüchtige (praktische würde man dato sagen) Frau, aber die höhere Weihe fehlte ihr doch; sie stritt mit dem Unglück, und das war recht, aber im Streite suchte sie nicht die Hülfe von oben, und wenn das Unglück stärker war als sie, wußte sie nichts vom einzigen Troste, und das war unrecht. Es war auch Nebel in ihrem Herzen, sie dachte nicht an Weihnachten und ihre Segnungen; sie dachte an ihre Kinder und ihre Not, an ihren Mann und ihre Verlassenheit, kämpfte mit Zorn um Rat, wie sie sich aushelfen wolle in dieser herben Zeit. Noch war es nicht Tag, als sie von ihrem Lager sich erhob, das Rad des Tagewerkes in Bewegung zu setzen. Eigenhändig schloß sie das Tor, welches doch noch ganz war, auf, um eine Magd nach frischer Milch zu senden. Es schien eingefroren das Tor; als sie mit Macht es aufstieß, fiel ein schwerer Körper ihr zu Füßen, als sie niedersah, erblickte sie Kurt bewußtlos. Sie schrie nicht hellauf, dazu hatte sie zu harte Nerven, aber ein mächtiger Schrecken ergriff sie doch, man kann es sich denken; sie glaubte ihn tot, erschlagen oder erfroren, hierhergeschleppt von den Mördern oder aus den Händen derselben hierhergeflüchtet. Als sie noch Leben in ihm fand, rief sie nach Hülfe; er ward an die Wärme getragen, und in der Heilkunde nicht fremd, suchte sie nach des Zustandes Ursache. Erfroren war er nicht, zerhauen war sein Körper, Wunden fand sie, aber unbedeutende; aber ein schreckliches Fieber, welches ihn erfaßt hatte und mit seinem Leben rang, bemerkte sie.
Kurt war in treuen Händen, in treueren, als er es verdiente. Frau Agnes werweißete nicht, was ihre Pflicht sei und was nicht, was sie ihm noch schuldig sei, und wie wohl es ihr eigentlich ginge, wenn das Fieber Meister würde. Frau Agnes tat, was sie glaubte, daß gut sei, und was ihr möglich war; aber lange wollte der Tod nicht von der ergriffenen Beute lassen, setzte von neuem an, trieb Kurt in Fieberhitze und Angst herum, ärger noch als im Utzenstorfer Walde, daß Frau Agnes oft Hülfe nötig hatte, den unbändigen Kranken festzuhalten auf seinem Lager.
Allmählich wich der böse Geist, aber langsam; zum Bewußtsein erwachte Kurt wieder, aber unendlich schwach war er, und wenn die letzten Ereignisse, welche er erlebt zu haben glaubte, wieder vor seine Seele kamen, so kam auch das Fieber wieder und warf seine Gedanken untereinander. Doch allmählich verglomm die Glut, lichtete sich das Bewußtsein, die hellen Augenblicke wurden häufiger, länger, die Gedanken zusammenhängender, die Vergangenheit kam wieder ins Gedächtnis stückweise, aber umsonst mühte er sich, sie zusammenzuknüpfen mit der Gegenwart. Er fragte nach seinem Hengste, aber niemand wußte etwas von ihm, nie ward wieder eine Spur von ihm gefunden; dann fragte er, wer ihn hergebracht, und mehr als hundertmal mußte Agnes erzählen, wann, wo und wie sie ihn gefunden; aber wie er dahingekommen, ward nie ergründet, nie begriffen. Die lange, treue Pflege hatte Agnes ihrem Manne wieder nähergebracht; er lag da so weich, so matt, daß die Kinder sich ihm näherten, daß sie ihn wieder fragen durfte um sein vergangenes Tun und Treiben, fragen, wo er gewesen, und was ihm zuletzt bei vollem Bewußtsein begegnet.
Kurt erzählte, was er wußte, sein Herz war dem Weibe wieder offen. Dies freute Agnes sehr, und darin lag die Versöhnung, für sentimentale Zärtlichkeiten und Herzensergießungen fehlte beiden der Verstand; dazu kam noch bei Agnes das Erbarmen mit dem armen Kurt, der erst von seinen Freunden verraten, dann so Schreckliches hatte ausstehen müssen. Kurt war es, als sei ihm ein Brett vor den Augen gewesen und jetzt abgefallen, er sah nicht bloß das Heillose seines Lebens vollständig ein, sondern auch, daß er der Narr aller gewesen, und von seinen sogenannten Freunden und Bekannten es niemand gut mit ihm gemeint als vielleicht die Tochter in der Hütte; seine alte Verblendung war ihm rein unbegreiflich, denn jetzt sah er alles so klar und ganz anders. Er konnte sich das durchaus nicht anders erklären, als daß er durch Trank oder Spruch verzaubert und verhext gewesen, wie ja bis auf den heutigen Tag der Glaube an Tränke, wodurch das Innere des Menschen umgewandelt, in Liebe oder Haß entflammt werden könne, geblieben ist.
Der gute Kurt wußte so wenig als viele Menschen noch heutzutage, wie wandelbar der Menschen Herz ist, wie abhängig von äußern Eindrücken, wie leicht es umschlägt von einer Übertreibung in die andere, heute verflucht, was gestern sein Lebensglück geschienen, wie über Nacht einem Menschen ganz andere Augen wachsen können, daß er am Morgen schwarz sieht, was am Abende ihm weiß gewesen, und rot, was er grün gesehen, wie not es ihm daher tut, daß er etwas habe, welches fest bleibt, an dem er sich halten kann, wenn es wirbeln will im Gemüte und draußen wechselt die Welt; wie auch der Taucher, welcher Perlen fischt auf des Meeres Grund, festgebunden bleibt und wieder sich nach oben ziehen läßt, wenn unten ihm vergehen wollen Sinn und Gedanken, um frischen Atem zu schöpfen und neue Kraft zu neuem Fischen; oder wie der Mensch einen ewig klaren Spiegel haben muß in der Welt, darin sich täglich zu beschauen, wo ihm dann offenbar wird jeglicher Wandel in seinem Gemüte sowohl zum Bessern als zum Schlimmern und jedes Verhältnis im wahren Lichte.
So ward es wieder traulich in Koppigen, und die alte Liebe kam wieder in Kurt und Agnes, sie wußten nicht, wie. Wie gesagt, mit besondern Herzensergießungen von Gefühlen über die Vergangenheit und Vorsätzen über die Zukunft gaben weder Kurt noch Agnes sich ab, trugen einander auch gar nichts nach, sondern ließen sich von Herzen wohl sein beieinander. Kurt fühlte zum ersten Male, wie wohl es dem Menschen in seinem eigenen Hause sein könne, die rechte Behaglichkeit nur im eigenen Hause wohne; es schauderte ihn ordentlich, wenn er in seiner Schwäche daran dachte, hinauszumüssen in die Kälte, zu jagen, zu fischen, zu streiten, und wenn es so recht stürmte und sauste draußen, so stellte er wohl eine kurze Betrachtung an über den Unterschied, am warmen Feuer sitzen zu können oder draußen im Schneesturme reiten zu müssen; er fühlte zum ersten Male, wie bequem dem Manne ein verständiges, sorgliches Weib komme, und wie gut das seine eigentlich sei, und wie gut er es daheim haben könnte. Der Verstand, dies einzusehen, kam ihm erst, als ihm das Bedürfnis kam, daß jemand zu ihm sehe, für ihn sorge – in den ersten Jahren seiner Ehe wußte er davon nichts; auch trieb ihn jetzt kein Keifen und kein Zanken fort, den Krieg zwischen Grimhilde und Agnes hatte der Tod beendigt, und Friede war im Hause, denn Agnes war eine starke Frau, deren Obergewalt man sich willig fügte; bloß wo Schwäche ist, ist auch beständiger Aufruhr, ein ewiges Zanken um Macht oder Freiheit. Auch empfand Kurt eigentlich zum ersten Male Vaterfreuden und Vaterstolz; bei seinem unsteten Leben hatte er sich um seine Kinder weder gekümmert, noch kannte er sie, er wußte nichts von ihren Eigenschaften und Eigentümlichkeiten, wußte also nichts von ihrer Entwickelung, hatte keine Freude zuzusehen, wie in ihnen aufging bald dies, bald jenes, wie zur Frühlingszeit in der Natur alle Tage etwas Neues. Ebensowenig kannten die Kinder ihren Vater, sie hatten weder Freude, wenn er heimkam, noch hingen sie an ihm, wenn er daheim war; sie flohen ihn vielmehr, er war ihnen mehr der Bölimann, mit dem ihnen gedroht war, wenn sie nicht gehorchten, als der Vater. »Schweig, oder er nimmt dich! Gehorche, oder der Vater muß es wissen, wenn er heimkommt!« so hieß es. Jetzt waren die Kinder seine Kurzweil, die Bücher, mit welchen er sich die Zeit vertrieb und jeden Augenblick etwas Neues lernte. Erst jetzt wurden ihm die Kinder lieb, da er sah, was an ihnen war, und jetzt hingen die Kinder am Vater, er war ihnen kein Bölimann mehr, sondern in ihrem einsamen Winterleben war er ihr Mittelpunkt, recht eigentlich ihr Glück, dessen sie sich alle Tage von ganzem Herzen freuten.
Da Kurts Krankheit nicht rasch vorüberrauschte, langsam nur die Kräfte kamen, die Schwäche langsam wich, sein Leben außerhalb abgebrochen, nichts ihn draußen zog, daheim es ihm so wohl war, so ward das Daheimsein ihm lieb, er schlug Wurzel im Hause, in das Leben des Hauses ward er aufgenommen, wurde ein Teil desselben, so daß des Hauses Leben auch sein Leben war. Solange Winter und Schwäche Kurt ins Haus bannten, nahm er sich der Kinder an, lehrte sie Netze stricken, Schlingen flechten, Fallen machen, unterrichtete in den kleinen Kniffen in Feld und Wald, in Sumpf und Bach, in allem, was Jürg ihn gelehrt, was er jung meisterlich getrieben. Was das dann für eine Freude war bei den beiden ältesten Buben, pausbäckig, stämmig und doch rasch und gelenkig, ganz Schweizerschlag, mehr in sich tragend, als man ihnen äußerlich ansah, wenn sie auszogen mit ihrer neuen Gelehrsamkeit und neuen Netzen und Schlingen, und welche Freude, wenn alles sich bewährt hatte, und mit reicher Beute sie wiederkehrten! Sie hatten lange gestümpert und doch gemeint, was sie könnten, und wieviel sie vermochten; um so mehr nun staunten sie den Vater an, der alles unendlich besser wußte und konnte, und freuten sich kindlich auf die Tage, wo er mit ihnen ausziehen wollte, wie er verheißen hatte. Er lehrte sie Waffen machen und Waffen brauchen, und was das für ein Jubel war, wenn sie mit den selbstgemachten Armbrusten schossen, und wie sie den Vater bewunderten, der auch hier aller Meister war! Das alles flocht eben aller Leben in eins zusammen mit unzerreißlichen Banden.
Eine trübe Bescherung war es zu Weihnachten gewesen, als der bewußtlose Vater der Mutter auf die Füße fiel, aber ehe der Frühling kam ins Land, war diese trübe Bescherung zur reichsten geworden, die es geben konnte, zu einem wahren göttlichen Gnadengeschenke: es war der Vater, der verloren war, wiedergefunden, welcher der kräftige Mittelpunkt eines neuen, freudigen Lebens ward, ja durch welchen nun alle Kräfte belebt und geleitet wurden. Was kann aber einem Hause Herrlicheres werden als ein solcher Mittelpunkt, der das Zerrissene bindet, das Tote belebt, alles lenkt zum Besten und zu aller Wohl? Agnes wurde nicht eifersüchtig auf ihres Mannes neue Stellung, es freute sie herzinniglich, daß es so war; sie sprach nicht darüber, aber sie ward alle Tage hübscher, ihre Bewegungen rascher, ihre Mienen freundlicher, kurz, sie ward ganz wie jung; man sah es ihr wirklich an, sie hatte verwunden alle Bitterkeit, hatte vergessen, was dahinten war, freute sich dessen, was jetzt war, verkümmerte sich dasselbe nicht durch Zagen und Zweifeln, ob es so bleiben werde, sorgte bloß dafür, daß es nicht anders werde durch ihre Schuld.
Als endlich die Sonne höher stieg, ihre Kraft den Frost brach, den Schnee schmolz, den Schoß der Erde aufschloß, die Zugvögel durch die Wälder strichen, die aufgefrornen Wasser sich belebten, die Fische der Oberfläche sich näherten, da erst ging in Koppigen ein neues Leben an, den Kindern ein neuer Frühling auf. Kurt war so weit erstarkt, daß er an sonnigen Tagen ins Freie durfte, einige Stunden darin aushalten konnte. Was das nun für eine Freude war, wenn der Vater mit seinen Buben auszog, teilnahm an ihrem Treiben, sie die wilden Enten fangen lehrte, das Ausspüren ihrer Nester, sie Schlingen legen lehrte den Schnepfen und den Fang der Füchse und Dachse, ihnen zeigte die besten Stellen zum nächtlichen Anstand, zur Lauer auf das Wild, welches zur Tränke wollte oder auf die Weide, sie lehrte die großen Fische stechen oder werfen mit dem Ger oder sie fangen an großen Angeln, die man an Weiden band und über Nacht im Wasser schweben ließ! Welcher Jubel dann am Abend, wenn man reichbeladen wiederkehrte, so viel Neues nun wußte, so viel Zuversicht zu der eigenen Kunst und Kraft jedes gewonnen hatte! Kurt selbst hatte die größte Freude und besonders an der Buben Anstelligkeit und Gelehrigkeit; aus den kleinen Anfängen schloß er auf Großes in der Zukunft, nach der gewöhnlichen Weise der Väter.