Jeremias Gotthelf
Kurt von Koppigen
Jeremias Gotthelf

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Was Kurt des Tags gehört, träumte er des Nachts und erwachte am Morgen mit heißem Verlangen auszuführen, was er geträumt. Mit großem Eifer schleppten sie aus allen Winkeln altes Rüstzeug zusammen, feilten und nagelten, bis sie so gleichsam eine neue Rüstung hatten, putzten einen verrosteten Schild neu auf und schliffen ein altes Schwert. Wenn Kurt zur Übung diese Rüstung getragen hatte, den Tag über mit dem Schwerte Äste von den Bäumen gehauen und Jürg mit einer Axt tapfer auf den Schild gehämmert hatte, so hatte Kurt des Nachts um so wildere Träume, fuhr als ein großer Kriegsheld in der Welt herum, baute ein großes Schloß und im Schloß ein tiefes, schauerliches Verließ, in das Verließ warf er alle neun Fräuleins von Halten und fütterte sie ihr Leben lang mit alten Buchnüssen und schwarzen Eicheln.

Das waren so kurzweilige Mittel, einen langen Winter zu verkürzen, daß mancher laichende Lachs mit dem Leben wieder zur Aar und von da weiterkam, statt in Koppigen verspeist zu werden, mancher Eber die nächsten Eicheln noch erlebte, und Wölfe ungestraft brüllten in der Nähe.

Endlich dämmerte der Frühling, die günstige Zeit, dem Glück entgegenzureiten, nahte. Der Junker war fertig genagelt und gefeilt, sogar ziemlich eingehauen, nur eins fehlte, um auszureiten, und welches in der Tat für jemand, der ausreiten will, von ziemlicher Bedeutung ist, ein Pferd nämlich. Vor alten Zeiten waren Pferde in Koppigen gewesen, aber längst den Weg alles Fleisches gegangen, andere zu kaufen, hatte man kein Geld, sie zu stehlen, war die Gefahr größer als bis dahin das Bedürfnis. Jetzt war das Bedürfnis da, und wenn Kurt gleich mit dem Raub weiterritt in die weite Welt hinaus, die Gefahr nicht groß. Jetzt war Not am Mann, jetzt mußte eins gestohlen werden, ohne Roß konnte begreiflich der Junker nicht ausreiten, die Welt zu erobern. Guter Rat war teuer, denn zum Pferdestehlen war die Zeit gar zu ungünstig. Bekanntlich stiehlt man Pferde am leichtesten von der Weide, aus wohlverwahrten Ställen aber in aller Stille einen Hengst zu bringen, von bekannten Stuten weg und mit unbekannten Händen, ist ein vermessenes Stücklein.

Gern hätte Jürg für seinen Zögling einen rechten Staatshengst gehabt, einen Ausbund mit Brüllen, Schlagen und Beißen, aber solche Hengste sind eben schwer zu stehlen, noch schwerer zu reiten, und in diesem war leider Kurt kein Ausbund. Lange spionierte Jürg im Lande herum, nach etwas Dienlichem für einen armen Junker, stöberte endlich einen Klosterhengst auf, welchem bei einem Klostermeier das Gnadenbrot gegeben wurde, der es sicher zu haben glaubte, dort sein Leben in Ruhe verbringen zu können. Es ist aber halt alles ungewiß in der Welt, wie sicher man sich auch gestellt glaubt.

In einer dunkeln, stürmischen Nacht verschwand der Hengst aus des Meiers Stall, der Meier ließ sich nie ausreden, daß nicht der Teufel den Hengst geholt. Ohne Brüllen und Beißen hätte der sich nicht abführen lassen von menschlichen Händen, behauptete der Meier. Der Meier dachte nicht an seinen Klosterschlaf, der so dick war wie der Vorhang vor dem Allerheiligsten im Tempel zu Jerusalem und siebenmal dicker als der Schlaf des Holofernes, der bekanntlich auch erst merkte, was Trumpf war, als Judith ihm den Kopf bereits vom Halse gestohlen hatte.

Nun war Kurts Abreise unvermeidlich. Der alte Hengst brüllte gar gewaltiglich, als man ihn in Koppigen installieren wollte, erregte dadurch Aufsehen ringsum. Unter den Erlenstöcken hervor schossen die Wasserhühner, streckten neugierig ihre Hälse über das Wasser empor, die Enten flogen auf mit schwerem Flügelschlag und schossen einem entfernten Wasser zu. Die Rehe sprangen auf und horchten mit zitternden Beinchen, was die ungewohnten Töne zu bedeuten hätten, das wilde Schwein grunzte zornig, daß in seinem Revier ein neues Schwein ihns störe. Zwei alte Jagdhunde aber sprangen auf, heulten gar herzinniglich und wedelten auf das zärtlichste mit ihren kurzen Schwänzen über die heimeligen, so lange nicht gehörten Töne, welche sie an die Herrlichkeit vergangener Tage erinnerten.

Doch nicht bloß Hühner und Rehe kamen in Verlegenheit und in Zorn das wilde Schwein, denn zorniger als das Schwein ward die alte Grimhilde und verlegener als Reh und Huhn Jürg und Kurt. Zornig war Grimhilde, als sie sah, daß es ernst war mit Kurts Einfall in die Welt. Sie hatte es wie viele Eltern, sie betrachtete die Kräfte, welche sie genährt und erzogen, als ihr Eigentum, über welches sie allein verfügen, allein es nutzen konnte. Wenn Kurt fortging, wie sollte sie es machen können? Mit ihm entwich aus dem Hause die rüstige Kraft, was sollte sie beginnen allein mit dem alten Jürgen? Der schaffte ihr kaum genug Nahrung, geschweige daß er ihr Beiträge lieferte für ihre Truhen, wie sie sich deren von Kurt zu erfreuen gehabt. Früher, als Kurts Fahrt bloß so ein Gedanke oder, wie man im gemeinen Leben zu sagen pflegt, eine Idee war, fand sie dieselbe beides, prächtig und zeitgemäß, jetzt, da sie in Wirklichkeit treten, verkörpert werden, ihre Selbstsucht Opfer bringen sollte, empörte sich der kurze Sinn, welcher gerne beim Alten wohnt, welcher alle Tage das Gewohnte haben will. Da schrie sie, als ob man sie am Messer hätte. Es ging halt nicht anders, als es oft geht, daß, was von weitem prächtig, ist in der Nähe häßlich, daß herrliche Ideen und Theorien in der Ausführung abscheulich werden oder auch wiederum nur abscheulich scheinen.

So belferte Grimhilde gar bitterlich, und doch war nicht dieses Belfern der Hauptgrund der Verlegenheit der beiden andern. Man war dessen gewohnt, Jürg sagte, sie hätte es immer so gemacht und doch niemanden jemals Plätzen damit abgesprengt. Aber es ging ihnen wie der Grimhilde, sie erfuhren, daß einen Gedanken fassen und denselben ausführen zwei ganz verschiedene Dinge sind. Wohin sollte Kurt reiten und zu wem? Sie fühlten jetzt, was eine Menge Eltern nicht denken, sondern erst fühlen, wenn sie ihre Kinder in die Welt schicken wollen, den Mangel an ehrbarer, gewichtiger Bekanntschaft nämlich. Kommode wäre es gewesen, wenn er so geradezu auf einen Edelsitz hätte reiten und sagen können: »Bonjour miteinander! Ich bin der Kurt von Koppigen, Vater und Mutter lassen grüßen und sagen, es wäre ihnen anständig, wenn ihr mich eine Weile behieltet und mir in der Welt forthülfet; ich bin ein tüchtig Stück Mensch, gereuen wird es euch nicht.« Aber das konnte leider Kurt nicht, sein Name war keine Empfehlung, sein Vater gestorben, seine Mutter aller Bekanntschaft abgestorben, weil eben alle diesen Namen lieber gar nicht mehr hörten. Sie konnten also keinen Hafen ins Auge fassen, in welchem Kurt zu landen hätte, sie hatten bloß die Wahl zwischen den vier Weltgegenden, die sind weit, aber eben das wars, was sie in Verlegenheit setzte.

Damals war es eine schöne Zeit für junge und alte Freibolde oder Freischärler, wie man sie jetzt nennen würde, für Leute, welche im Recht des Stärkeren ihr Heil suchten und ein Leben auf Kosten anderer. Einst war kein König in Israel, jeder tat, was ihm wohlgefiel, so stehts geschrieben, ungefähr so war es damals in Deutschland. Kein Kaiser war da, welcher Ordnung hielt, jeder lebte, solange es ging, auf eigene Faust.

Kaiser Friedrich war ein hochgesinnter Mann und gewaltiger Held gewesen, aber über seiner Zeit und seinen Kräften lag, was er wollte. Den Papst wollte er unter dem Kaiser, die Kirche unter dem Reiche haben, wollte über alle Fürstenkronen die kaiserliche setzen und in des Kaisers Hand die Kräfte sämtlicher Fürsten Deutschlands vereinigen. Mit Kühnheit und Kraft rang er nach diesem Ziele. Aber wie ein edles Pferd durch Wespen und Hornissen zu Tode gehetzt werden kann, so kann der größte Held kleineren Feinden erliegen, wenn sie ihn unablässig hetzen, nimmer zur Ruhe kommen lassen. Für solche Feinde sorgten die Päpste, wandelten sogar in solche des Kaisers Söhne um, brannten in Deutschland das Feuer des Aufruhrs an, wenn der Kaiser in Italien war; eilte derselbe nach Deutschland, so stand alsbald Italien in Flammen. Nach dem Höchsten strebte Friedrich und erreichte weniges, kaum einen ruhigen Tod, kaum ein geweihtes Grab.

Nach seinem Tode ging es wild und frei zu in Deutschland, das heißt, es ging drunter und drüber, überall Streit und Fehde, keiner mächtig genug, die losgelassenen Kräfte zu binden und Frieden zu machen. Wem das Schicksal wollte, wer das Fischen im trüben verstand, dem konnte leicht ein prächtiger Fang gelingen. Im Westen dagegen war mehr Zucht und Ordnung, war ein geregeltes Leben. Die Städte übten ihre Macht, Ordnung war das Element ihres Gedeihens. In Berns Bärenklauen zu kommen, war nicht geraten. Freiburg sorgte ebenfalls für Sicherheit nach seinen Kräften, und des Landes große Grafen mußten einigermaßen auf Ordnung halten um der Städte willen. Nach langem Bedenken kalkulierte daher Jürg, der Weg nach Osten, dem freien Deutschland zu, möchte am sichersten und schnellsten zu Geld und Ehren führen; das Land hinunter sollte Kurt also reiten, sobald vorüber war die Fastenzeit samt dem Osterfeste. Nicht daß sie sich um die Fasten kümmerten, sie aßen das ganze Jahr durch, was sie hatten, und zwar ohne Dispens, ebensowenig um Ostern. Sie bedurften keinen Erlöser, da sie keine andere Sünde kannten, als einen Fang sich entgehen zu lassen, den sie hätten machen sollen; da sie geschickte Leute waren, so begingen sie diese Sünde selten, und geschah es einmal, so machten sie dieselbe alsbald durch verdoppelte Anstrengung wieder gut. Ostern bezeichnete ihnen bloß den Frühlingsanfang. Schon glaubte Frau Grimhilde, der Plan sei aufgegeben, und ärgerte sich bitterlich über den Hengst, der sie gefährde und nichts nütze.

Ein schöner Aprilmorgen war es, als Kurt eine doppelte Portion Hafermus, zu welchem der Hafer nicht auf ihren Feldern gewachsen war, verzehrte, ein gewaltig Stück Fleisch verschlang, denn er wußte nicht, wann er wieder zum Essen kam; Jürg sattelte ihm den Hengst, es war der Tag des Aufbruches. Als er gegessen hatte, im Notfalle für einige Tage, kündete er der Mutter seine Abfahrt an. Potz blind blau, wie loderte die Frau, spie Feuer und Flammen und sagte, wer Meister sei im Schlößchen. Kurt der Gewaltige schlotterte und wäre daheim geblieben, aber Jürg war nicht auf den Kopf gefallen, er sagte, sein erschlagener Herr wolle es, daß Kurt fortreite, er sehe ihn täglich im Stalle. Wenn die Frau es verhindere, so müsse sie sich gefaßt machen, was geschehe, er für sich wolle keine Schuld haben, aber wenn er was zu raten hätte, so solle Kurt machen, daß er fortkomme. Frau Grimhilde war nun nicht die, welche von ihrem Willen alsbald abstand, welche zugab, sie fürchte sich vor irgendeinem Mann, sei es ein lebendiger oder ein toter. Indessen brauchte sie nicht Gewalt, schlug die Tore nicht zu, ließ Kurt ungefährdet ziehen. Als sie ihn so stolz zu Rosse sah, sah, wie seine mächtige Gestalt fast das Tor füllte, da kamen plötzlich mütterliche Gefühle über sie; wenn er nicht wiederkommen würde, dachte sie, und heiß schoß es ihr in die Augen. Unglücklicherweise hüpfte ein alter Rabe ihr um die Füße, der ward zum Sündenbock, erhielt einen Fußtritt, der ihn lähmte; denn wenn eine Grimhilde weich wird, so folgt alsbald der Zorn, und herhalten muß, wer zuerst in Schußweite kommt.

Als hoch zu Roß der große Kurt durchs enge Törchen ritt, schwellte Stolz seine breite Brust, stolz sah Jürg ihm nach, stolz fast wie ein Schneider, wenn er an einem Löwen des Tages die Arbeit seiner Hände bewundert. Was werden sie draußen dazu sagen, wie wird die Welt sich wundern und nach dem Meister fragen? Akkurat das gleiche dachte auch Jürg. Verwundert schauten die Bewohner der verfallenen Hütten ihrem aufgeputzten Junker nach, wie wilde Katzen schlüpften nackte Kinder durch die Gebüsche, um zu erkunden, was das zu bedeuten hätte, und wohin er wolle. Bei Kurt blieb der Stolz nicht lange das vorherrschende Gefühl. Sicher und wohlgemut schritt er über die Erde, strich durch die Wälder, dürftig bedeckt, die Keule auf der Achsel, Bogen oder Speer in der Hand. Aber unheimlich ward es ihm auf dem alten Klosterhengst, die Lanze am Bügel, und unwohl in der steifen, starren, eisernen Rüstung. Wild und scheu ritt er langsam und mühsam das Land hinab und studierte im Schweiße seines Angesichts an der Lösung der Frage: was, um sein Glück in der Welt zu machen, zweckdienlicher sei, den ersten, welcher ihm begegne, zu spießen oder demütig ihn um Dienst zu bitten. Anfänger sind oft pedantisch und handeln gern nach vorgefaßten Grundsätzen, also entweder oder: entweder spießen oder entweder bitten. Erfahrene ziehen Umstände und Gelegenheit zu Rate. Das Auftreten in der großen Welt hat immer seine Schwierigkeiten, wie keck sich einer auch gebärden mag in gewohnter, engerer Umgebung. Gegenwärtig weiß man jungen Leuten die Sache ungemein zu erleichtern, man schickt sie ein Jahr ins Welschland oder tut sie ein halbes Jahr in eine Schreibstube, muntert sie zu einem Schnauz auf und gibt ihnen einen Hakenstock in die Hand, Stiefel an die Füße, dann kommt die Keckheit von selbst und im Überfluß, wie Schilf im Sumpfe.

Das Land von Koppigen bis Seeberg war ihm so bekannt wie das Koppiger Schlößchen. Wenn er es früher durchstreifte, erwartete er nichts Besonderes als einen fetten Rehbock oder gar einen Hirsch, aber jetzt, hoch zu Roß, abenteuerlich aufgeputzt, erwartete er auch absonderliche Abenteuer, etwas ganz Neues. Mit der größten Spannung rückte er Schritt vor Schritt vor, in weiter Ferne glaubte er die seltsamsten Töne zu hören, Töne, wie sie noch kein Mensch gehört, in der Nähe aber war alles akkurat wie sonst: Wald und Wild und Wasser und sonst nichts.

Endlich erblickte er durch Buchen die Burg von Seeberg, wo ein armer Junker hauste mit einer halbwilden Familie. Er stellte die Lanze hoch, riß am Hengst herum, machte sich gewaltig im Sattel, hoffte, von oben her angeblasen und eingeladen zu werden als unbekannter Ritter und sich dann zu zeigen als der ihnen wohlbekannte wilde Koppiger Junker. Aber still blieb es oben, wahrscheinlich war der Junker weder neugierig, noch hatte er überflüssigen Proviant, vielleicht auch hatte sein Weib Kopfweh oder Zahnweh oder war sonst nicht in gastlicher Stimmung. Er mußte fürbaß und war ärgerlich.


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