Jeremias Gotthelf
Kurt von Koppigen
Jeremias Gotthelf

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Da saßen sie einmal an einem schönen Abend, wo die Sonne nur noch so flimmerte durchs grüne Buchenlaub, auf dem Söller, tranken feinen Wein aus dem Markgrafenland, welchen der Herr besonders liebte; gleich und gleich gesellt sich gerne, der Wein hatte zwar nicht viel Geist, aber er war so gutmütig. Sie schauten über das Land an den blauen Berg hinüber, schauten die alte Burg Pipins, deren Reste noch heute Zeugnis geben, wie klug und sinnig die Alten die Bauplätze wählten, wie schön sie bauten, schauten weiter hinab, wo die Aar gegen Basel hin durch die Bechburg bewacht wird, sowie auch den Weg durchs Gau hinab; sie schauten tiefsinnig hinüber und dachten nichts, tranken viel, redeten wenig; geraucht hätten sie wahrscheinlich, wenn man darum gewußt hätte: »Was hast du jetzt im Sinne?« fragte plötzlich der Herr von Önz. Kurt war es, als schlüge ihm jemand mit dem Holzschlägel auf den Kopf und sage: »Was lieber, Geld oder Blut?« »Nichts«, sagte endlich Kurt, dieweil er viel Zeit gebrauchte, um zu sich selbst zu kommen. »Hast kein Verlangen nach der Mutter?« fragte der Herr von Önz; »Vielleicht ist sie gestorben, habe lange nichts von ihr gehört, solltest gehen und sehen. Kannst begreiflich wiederkommen, bist mir nicht erleidet, und vor die Türe stelle ich dich nicht.« »Heimgehen wäre mir ganz recht«, sagte Kurt, »aber was soll ich heimbringen, habe ja nicht mehr, was ich mitgenommen, käme ja heim wie ein geschundener Bär.« »Hättest du also wieder ein ganzes Fell, reiche Beute oder gar eine schöne Frau samt großem Brautschatz, so wäre dir das Heimkehren recht?« fragte der Alte. Da machte Kurt Glotzaugen und sagte endlich dumm: das wäre was, aber eine solche wüßte er nicht zu stehlen, geschweige sonst zu kriegen. »Weißt dann kein Mädchen, welches du möchtest, und welches dich möchte, und welches anfällig zu einer reichen Frau zu machen wäre?« Da machte Kurt noch größere Glotzaugen, sah damit den Alten ganz dumm an, bis ihm plötzlich ein Licht aufging. Es fiel ihm nämlich ein, der Alte könnte Agnes meinen, wenn er die heirate, so sei sie eine Frau, reich könne sie der Alte machen, und Besseres könnte ihm nicht zuteil werden auf der Welt. »Jawohl«, sagte er, »es fiele ihm so was bei, aber er wüßte nicht, was der Junker von Önz dazu sagen würde.« »Wirst die Brigitte meinen, wie ich merke«, schmunzelte der Alte; »die sollst du haben samt vielem Segen und etwas Gut!« Da machte Kurt schreckliche Glotzaugen, sah ganz dumm drein, endlich sagte er: eben die meine er nicht, möge sie nicht, weder reich noch arm. Das sei ihm leid, sagte der alte Herr, er hätte ihm gerne geholfen, und Brigitte wäre eine gewesen für die alte Grimhilde. Einstweilen möchte er eine Frau für sich und nicht für die Mutter, sagte Kurt, da wäre ihm die Agnes die rechte, eine andere möge er nicht. Da lachte der Herr und sagte: »Bist nicht so dumm, als man glauben sollte; wenn ich das Auslesen hätte, wäre es mir auch so; für mich habe ich nichts dawider, hat man Mädchen, sind Töchtermänner ein notwendiges Übel. Die Hauptsache ist aber, was das Mädchen meint; zwingen tue ich es nicht, will es dich nicht, mußt du doch mit der Brigitte dir zu helfen suchen; der wäre es recht, denke ich, und sie ist die Älteste.« »Das sieht man«, sagte Kurt, »aber ich denke, mit Agnes sei ich doch schneller richtig, sie sieht mich nicht so böse an wie die andere und gibt mir gute Worte, besonders wenn es niemand hört.« Da lachte der Alte und meinte, es habe sich schon mancher mit den Mädchen getäuscht, und gerade die hätte ihn am liebsten genommen, welche ihm zehn Nägel spitziger als Katzenkrallen eingeschlagen; er solle die Agnes holen, sie werde nicht weit sein, sie könne es am besten selbst sagen, wie sie es meine. Kurt ging, doch etwas langsam, es machte ihm auf einmal bange, der Alte könnte recht haben. Den Anschein gewann es auch immer mehr, lange fand er das Mädchen, welches vermutlich seine Ohren nicht zu weit weg gehabt haben mochte, nicht; als er endlich als kundiger Jäger die Spur fand, floh es, er holte es nicht ein, verlor es wieder aus dem Gesichte. Als er endlich keuchend zum alten Herrn zurückkehrte, saß das flüchtige Reh neben demselben und gebärdete sich, als ließe es sich nur mit der größten Gewalt halten. Die kleine Hexe hatte ihre Rolle nicht studiert, sie aber trefflich gespielt, was immer die Hauptsache ist, war geflohen mit Windeseile, hatte sich fangen lassen auf ganz natürliche Weise, denn ewig fliehen, was hätte das genützt? Sie konnte sich des Lachens kaum enthalten als Kurt im Schweiße seines Angesichts daherpolterte, tat dabei um so nötlicher, des Vaters Händen sich zu entwinden.

Kurt, der auf solches Spiel sich schlecht verstand, ward es angst, er glaubte, dem Mädchen sei es ernst, der Vater habe recht, es begehre ihn nicht. Er dachte, die Mädchen hätten es vielleicht mit ihren Herzen wie mit ihren Röcken; es haben nämlich fast alle Mädchen, auch die ärmsten, zwei Röcke, einen zum Hausbrauch und einen zum Staate, so hätten sie vielleicht auch zwei Herzen, eins zum Lieben und eins zum Heiraten, dachte er. Es tun wirklich auch einige so, als möchten sie den Mann nicht zum Schatz, den Schatz nicht zum Manne, sind kuriose Dinger, die Mädchen nämlich. Er stand da verblüfft, und kein Wort kam ihm in den Mund, wie in großer Hitze kein Wasser in so manchen Brunnen. Der alte Junker mußte endlich reden und tat es kurz. »Sieh«, sagte er, »der da will dich zum Weibe, magst du ihn zum Manne?« »Das mache, wie du willst«, rief Agnes, riß sich los und war verschwunden. Kurt wollte ihr nach. »Ist nicht nötig«, sagte der Vater, »der Handel ist auf mich gestellt und also richtig. Aber vor der nimm dich in acht, das ist eine Blitzhexe, in der mehr steckt, als man denkt. Jetzt kannst gehen und es dem Mädchen sagen, wenn du es findest, wie ich entschieden.« Man sagt, diesmal hätte Kurt schneller das Mädchen gefunden, ohne Schweiß und Keuchen den Auftrag ausrichten können. Die abgemachte Sache, das fait accompli, ward alsobald eine bekannte. Kunigunde nahm es kaltblütig, sie sagte zu Agnes bloß, zu wenig Jahren sei viel Verstand nötig, den wünsche sie ihnen beiderseitig von ganzem Herzen. Zu Brigitten, die ihr in einer wahren Sündflut entgegenschwamm und zwar unter Blitz und Donner, sagte sie: »Tue nicht so, aus der Haut zu fahren wäre dumm, ist man einmal raus, kommt man nicht wieder hinein, und die Welt ist ja so groß, und der Männer sind so viele.« Aber in solchen Gemütszuständen hilft bekanntlich Trost wenig und um so weniger, je vernünftiger er ist. Brigitte fuhr umher wie ein brüllender Löwe, der etwas sucht zum Verschlingen; sie schlug die Hunde, trat Katzen auf die Schwänze, schmiß Mägden das Habermus ins Gesicht, und wartete den andern mit Worten auf, an denen ein Haifisch erstickt wäre, welche Fischart doch bekanntlich einen sehr radikalen Schlund hat. Der Vater wollte trösten und sagte: sobald die Agnes aus dem Hause sei, wolle er ausreiten und reiten, bis er einen finde, der auf den Kopf geschlagen oder gefallen sei; den lasse er heimbringen, und den müsse sie haben trotz Hölle und Welt, sie solle darauf zählen; aber der Trost zog nicht, er roch nach Spott, schüttete Öl ins Feuer. Da sah denn der Junker, daß es ein einziges Mittel gebe, die ganze erwildete Brigitte einigermaßen zu stillen und Ruhe zu bringen ins Haus, nämlich die beiden Glücklichen aus dem Hause zu schaffen so schnell als möglich.

Weitläufige Geschichten gab es damals nicht, wenn jemand heiraten wollte; an drei Sonntagen hintereinander mußte man sich noch nicht aufbieten lassen, Schneiderinnen und Näherinnen waren damals noch nicht so hageldicht wie Nesseln an den Zäunen, man ließ nicht alle drei Tage die Röcke ändern, und mit Weißzeug plagte man sich wenig, geschweige daß man die Hemden brodiert hätte hinten und vornen und die Nachthäubchen garniert mit Brüsseler Spitzen. Die befreundeten Mönche in Herzogenbuchsee segneten die beiden ein, sobald der Junker wollte, und aus den gefüllten Schränken nahm man einen Rock von Großmutter oder Urgroßmutter, welcher am besten paßte, steckte die Agnes hinein, hing ihr einiges Goldzeug um, und die Braut war fix und fertig geschmückt und schrecklich glücklich in solchem Glanze. Ja, damals ging es noch einfach zu!

Ein einziges war dem Junker dabei nicht recht; eine Hochzeit ohne Hochzeitsfest, eine Hochzeit so gleichsam unter der Hand, bei welcher man den Jubel nicht zehn Stunden in der Runde hörte, nicht eine Stunde in der Runde alle Wege mit Glücklichen besät fand, welche in seligen Träumen ihr Räuschchen verschliefen und der Stunde der Auferstehung harrten, wo in die Beine wieder Kraft kam, den Leib zu tragen, eine so stille Hochzeit war unerhört, erschien ihm fast wie gottloser Greuel; aber was sollte er mit der Brigitte anfangen, die herumfuhr wie eine eingeschlossene Hornisse an den Fenstern? Wäre es ein stiller Jammer gewesen, verbunden mit etwelchem Seufzen und Stöhnen, mit welchem sie behaftet gewesen, so hätte sich das Ding wohl machen lassen, in einem Hinterstübchen hätte sie ihr Weh verbergen können; aber Brigitte hatte kein stilles Weh und ließ sich nicht einschließen, sie wäre unter den Gästen herumgefahren wie eine wütende Katze, welcher man feurigen Schwamm unter den Schwanz gebunden. Bei einer splendiden Hochzeitsfeier hätte auch die Überraschung der Frau Grimhilde, auf welche der alte Junker sich sehr freute, gefährdet werden können. Die Koppiger Leute waren zu hungrig, als daß sie nicht den Hochzeitsduft in die Nase bekommen und nach Önz gezogen worden wären, hätten also ihren jungen Herren erkennen müssen. Er verzichtete also, wenn auch ungern, auf ein großes Fest und begnügte sich mit einigen Mönchen von Herzogenbuchsee und einem wackern Schluck. Gleich am andern Morgen sollte der Zug nach Koppigen losgehen mit möglichst großem Gefolge, eine stattliche Mitgift mit sich führend. Kurt hatte sich dieses anfangs ganz prächtig vorgestellt und sich sehr darauf gefreut, in Koppigen einzuziehen wie ein Fürst, mit einer schönen Frau, großem Reichtum, mit Kühen und Pferden, in strahlender Rüstung, reich geschmückt, wie der freigebige Schwiegervater den stattlichen Tochtermann selbst herausgeputzt hatte zur eigenen Ehre und Freude. Kurt hatte sich vorgestellt, für wen man ihn wohl nehmen möchte, und was für Augen man endlich machen werde, wenn man in der fürstlichen Gestalt den Kurt erkenne, der vor zwei Jahren auf einem steifen Hengste und in der alten Rüstung mit den tiefen Rostgruben und den losen Bändern ausgeritten!

Nun aber, als es wirklich auf Koppigen losgehen sollte, fiel es ihm ein, wie es wohl in Koppigen aussehen möge, und was Frau und Schwiegervater für Augen machen und dazu sagen werden. Es wurde ihm ganz blöde, wenn er so recht daran dachte. Was sollte er machen? Sollte er einen Boten senden, sich ankündigen lassen oder selbst voranreiten, um Anstalten zum gehörigen Empfang zu treffen? Aber womit Anstalten treffen, wenn niemand da ist, der sie macht, nichts da ist, womit man sie machen kann? Zudem wäre ihm auch die Freude der Überraschung verdorben, und er hatte sich das so schön gedacht, wie Jürg unter dem Tore stände, wackelnd mit grauem Haupte, die Mutter erst lange, lange Zähne mache, endlich die Hände über dem Kopfe zusammenschlage, wie jung und alt aus jeder Hütte stürzen würde, die Herrlichkeiten zu bewundern: ihn voran auf stolzem Roß, hintendrein den reichen Troß. Darauf freute er sich, während es ihm bitterlich graute, ihre grenzenlose Armut fremden Augen und der Diener Spott preiszugeben. Er hatte sich freilich nicht reicher gemacht, als er wirklich war, nicht von Gütern gefaselt, welche näher dem Monde als Koppigen lagen, wie es bis auf diesen Tag getrieben wird mit der gleichen Schamlosigkeit und mit der gleichen Leichtgläubigkeit geglaubt. Aber so die rechte Vorstellung von ihrer Dürftigkeit hatte er ihnen doch nicht beigebracht, sie war ihm selbst nicht so eigentlich anschaulich, hatte er doch, solange er daheim war, keinen Begriff gehabt, wie arm sie seien, ihm fehlte die rechte Vergleichung. Erst als er in die Welt kam und andere Burgen sah, erlebte, was dort tägliches Bedürfnis war, erst da merkte er, wie ihnen fast alles fehlte, und wie arm sie seien.

Sein Schwiegervater sah diese innere Plage wohl und begriff sie; er kannte Koppigen besser, als Kurt sich es dachte, ja als Kurt selbst. Frau Grimhilde war eine zornige Person, aber zorniger wallte ihr adelig Blut doch nie durch ihre Adern, als wenn ihr enges Gebiet durch fremde Jagd entweiht ward. Da sie nun niemanden hatte, welcher ihr die Frevler fing, um auf einen Hirsch sie zu schmieden oder mit schwerem Gelde zu büßen, so brauchte sie, was sie hatte, die Zunge, schimpfte, so laut und lästerlich sie konnte die Jäger aus. Diese, wenn es tunlich war, ritten, so nahe sie konnten, am Schlößchen vorbei und ergötzten sich an Frau Grimhildens Schelten, ungefähr wie noch heutzutage die liebe Schuljugend irgendeinen bissigen Haushund oder wunderlichen Junggesellen oder bösen weiblichen Drachen haben muß, um sie zu necken und an ihrem Gekläffe sich zu ergötzen. Der lustige Junker, wenn auch kein Schuljunge mehr, war doch mehr als einmal bei solchen Streichen gewesen, hatte mit geübtem Auge das Elend sich angesehen, hatte noch viel von halbnackten Jungen vernommen, welche hungrig den Jägern nachstrichen und Brosamen schnappten, mit den Hunden sich darum stritten. Also die Armut störte ihn nicht, aber so viel Bosheit hatte er im Leibe, daß er den Tochtermann nicht nur nicht tröstete, sondern sich sehr auf sein Gesicht und seine Verlegenheit freute.


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