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In Bern war, wie man zu sagen pflegt, der Johannes vor Schausaal gewesen. Die Herren Doktoren und Professoren hatten ihn beschaut und befragt, hatten gewelscht und einander angeblickt, und daraufhieß es: Er solle die Kutte wieder anziehen und abtreten. Er möchte den Bescheid wissen, sagte er. Den werde er vernehmen, hieß es, er solle nur abtreten. Noch was, sagte Johannes, er hätte es bald vergessen. Die Herren drehten rasch sich um, glaubten was Neues, eine andere Verletzung, andere Ursache, Motiv, Erscheinung zu vernehmen. Er sei Korporal im Auszug, sagte Johannes und sah die Herren stark an. »So«, sagten diese und drehten sich so, daß Johannes nicht sah, wie sein Wort wirkte. Als die Beschauung vorüber war, wurden deren Resultate den Wartenden eröffnet. Als Johannes dann abgelesen wurde, daß er eine Badefahrt erhalten, freilich erst bei der zweiten Fahrt in der Mitte des Sommers, da sagte er im Weggehen: Es sei doch gut, daß es ihm noch in Sinn gekommen, zu sagen, er sei Korporal, sie hätten ihn sonst beim Hagel nicht genommen; das aber habe gewirkt und Respekt gemacht, sie hätten gewußt, daß sie ihn zu ästimieren hätten.
Sonst aber war Johannes nicht breit, wie man diesen Worten nach hätte glauben sollen, sondern sehr schmal. Wie es zu gehen pflegt, auf dem Wege nach Bern hin und her hatte er hundertmal seinen Fall erzählt, und wenigstens zweihundert Geschichten hatte er vernommen von solchen Fällen und was sie für einen Ausgang genommen, und zwar zumeist einen schlechten. Das war ihm auch nicht entgangen, daß die Herren einander bedenklich angesehen, und wenn sie welscheten mit einander, so sei die Sache nicht richtig, das sagte man ihm allenthalben. Und jetzt mußte er noch bei zwei Monaten verdienstlos warten, ehe er an eine Besserung nur denken durfte, mußte von der Mutter Verdienst leben, sie aufzehren!
Das begann ihm alle Tage härter zu werden. Die Augen waren ihm nach und nach, besonders seit der Prozeß zu Ende war, aufgegangen; er sah, wie schwer es der Mutter ward, sie zu erhalten, wie wenig sie aß, wie sichtbar sie magerte. Von dem Gelde, welches er erhalten hatte, war ihm, nachdem er alle seine Kosten berichtigt, wenig übrig geblieben. Was er hatte, wollte er wirklich der Mutter geben; sie aber wollte nicht alles, nur das Nötigste, um einige Rückstände zu berichtigen beim Bäcker und für Milch. Er werde auch Geld brauchen im Bade, und wenn er da ein paar Batzen habe, so sei er froh, sagte die Mutter.
Damit der Sohn nicht Hunger leide, aß sie einstweilen kaum halb genug. Sie hatte auch etwas Grund dazu. Sie war am Erdäpfelsetzen, dabei half ihr der Sohn, und das freute sie sehr; es gehe noch einmal so schnell und sei gar kurzweilig, wenn man einander helfe, sagte sie. Aber bei dem Setzen minderte ihr Vorrat; sie sah mit Schrecken, daß derselbe kaum noch wenige Wochen dauern werde, und dann – was essen? Sie hatte ein oder zwei Mäß dürre, aber das Kochen von dürren Erdäpfeln ist immer kostbarer als das Kochen von grünen, und dann sind zwei Mäß auch kein großer Haufe. Zudem grämte sie sich heimlich mit dem Gedanken, daß wenn der Johannes die Speise recht hätte, so wäre er auch eher auf dem Plätze, und gar manches bösen Gedankens gegen dessen Meisterfrau, daß dieselbe ihn zu solcher Zeit aus dem Hause gestoßen, ward sie nicht Meister.
Wenn Käthi ihren Flachs zeigte, welcher wirklich sehr gleichmäßig gesäet war, nicht zu dünn, nicht zu dick, wie der Flachs wirklich schwer zu säen ist, so konnte sie sich nie enthalten, zu sagen: Der Johannes habe ihn gesäet, der könne es bsunderbar wohl, er hätte bei seiner letzten Meisterfrau alles allein gesäet; sie habe immer die schönsten Sachen gehabt weit und breit, und jetzt gehe sie und mache es ihm so, schlechteres hätte man nicht leicht gehört. Aber in Gottes Namen, es werde auch vorbeigehen, und es werde so haben sein sollen. Sie müßte es sagen: wenn es nicht wegem Verdienst wäre, sie wünschte es nicht anders. Man wisse nicht, was man habe, wenn man beieinander sein könne, einander helfen und abraten bei Sachen, besonders wenn einer so fein und gut sei wie der Johannes. Sie müsse ihn rühmen, wie er mit allem zufrieden sei und vorlieb nehme, wie schlechtlich sie es ihm auch geben könne. Er sei ganz nicht mehr der gleiche, wie ein Engel hätte er ein Gemüt und tue so weich und sanft, daß sie sich oft von ihm wegkehren müsse, weil sie denken müsse: stirbt mir der wohl auch noch?
In der Tat war Johannes so, und nicht bloß die Mutter sah ihn so. Das muß man sagen, das versteht sich nicht von selbst, denn bekanntlich sehen nur zu oft die Mütter ihre Söhne ganz anders als die übrige Welt. Das Herz der Menschen ist ein gar wunderlich Ding. Wäre Johannes bei seinen Anlagen und eingesogenen sogenannten Ansichten bei schlechten Leuten gewesen, welche seine Bitterkeit genährt, über Gott und Menschen aufbegehrt, ihre Zeit mit Plänen verbraucht hätten, wie sie die Macht in die Hand kriegen und wann der Augenblick gekommen sei, um loszuschlagen und zuzugreifen, so wäre Johannes ärger, bitterer, zurückstoßender geworden als je. Seine Lage hätte zu nichts gedient, als ihm die Glücklichern zeitlebens zu einem Steine des Anstoßes zu machen, dem er noch gerne einen Mühlstein an den Hals gehängt und ihn versenkt hätte, wo das Meer am tiefsten ist.
Nun war Johannes bei seiner guten, weichen Mutter, welche ihr Möglichstes tat, Genügen hatte bei wenigem und Gott und Menschen rühmte. Ihre Liebe zu ihm machte sein Herz weich, mild, und weiche, milde Herzen reflektieren ganz anders als harte, bittere, trotzige; in der Liebe spiegelt sich die Welt ganz anders als im Haß, so wie ein Menschengesicht auch ganz anders aussieht in kotiger Pfütze als im klaren See.
Nun führte Gott den Johannes zu seiner Mutter; bei der Bäurin wäre er nicht kuriert worden an der Seele, und auch jetzt war er noch nicht kuriert, doch auf dem Wege zur Besserung. Wenn er betrachtete, wie die Mutter es hatte und was sie tat, so schämte er sich in seine Seele hinein, daß er ihr nicht besser beigestanden. Er dachte nach, wie manchen Schoppen er zum Überfluß getrunken, während seine Mutter aus ihren Kreuzern Milch für sein Kind gekauft, wie manche Taler er hätte beiseite legen können, welche ihm jetzt wohl kämen. Er stellte immer wieder vor sein Gedächtnis die unglückliche Nacht, in welcher er angetrunken den Streit begonnen, welcher ihn in die Lage versetzte, und wie er repetieren und repetieren mochte, zwei Dinge wurden ihm immer klarer: er hatte den Streit angefangen, er wußte nicht, wer ihn gestochen! Und wenn er jetzt den Eid getan hätte, einen Eid, den der Rhein nicht abwäscht und alle Wasser, die auf der Erde und über der Erde sind, nicht! Den Eid, der brennt mit einem Feuer, welches nicht verlöscht, den hatte er nicht getan; das wars, was ihn freute und aufrecht erhielt. Jetzt kam es ihm anders: er hatte Zeit, zu denken, Zeit, zu lesen; er ging in die Kirche, seine Seele taute auf wie ein Blumenbeet in der Frühlingssonne; die Dinge der Welt kamen ihm ganz anders vor und seine Person ganz anders. Er kam zur Demut, er wurde klein, und das kam ihm wohl.
Der Polizeidiener, welcher zumeist von Polizei nichts weiß, sondern mit Weibeln sich die Zeit vertreibt, kam einmal beim Häuschen vorbei und sagte zu Johannes: »Du sollst zu den Mannen kommen, sie sind beieinander, sie wollen dich was fragen.« Dem Johannes war das ganz sonderbar. »Was ists, was haben die mit mir?« frug er. »Weiß nicht«, sagte der Polizeidiener. »Es ist ein Schreiben da, wo was von dir drin ist, es wird wegen dem sein. Mach gleich und komm!« Das kam dem Johannes schwer vor. Daß er sich in etwas verfehlt, wußte er nicht; endlich dachte er, vielleicht daß sie ihm ein Pöstlein geben wollten aus Erbarmen, etwa Mauser oder Betteljäger oder sonst was. Er machte ziemlich lange Schritte, und bald stand, er vor den Mannen. »Schreiber, lies ab«, sagten sie. Der las nun ein Schreiben ab von der Inselverwaltung, worin die Gemeinde aufgefordert wurde, den üblichen Beitrag von ungefähr einem Drittel, welches vier Taler betragen mochte, zu bezahlen. Das war ganz das Gewöhnliche, aber Johannes wußte nichts davon, er erstaunte daher ganz. »Wir haben dich kommen lassen«, sagte einer, »um dich zu fragen, ob du das etwa machen wollest? Es dünkte uns, du könntest das wohl; du hast erst brav Geld bekommen, und das wendest du gerade hier am besten an, denn um dich heilen zu lassen, wirst du es bekommen haben. Wir haben ohnehin so viel Unkosten, daß wir gar nicht auskommen können, und wenn wir anfangen wollen, für solche Bursche zu zahlen, wie du einer bist, so gmeindrätlen wir uns selbst von Haus und Hof und können nach Amerika.« »Ja«, sagte ein anderer, »du weißt dann, was du anderen den Weg vorzulaufen hast; wärest du daheim geblieben, so hätte kein Mensch dir was getan, du bist an der Sache halt selbst schuld. Vor Gott und Menschen ists nicht recht, wenn es zuletzt noch über die Gemeinde ausgehen soll, nein, ists nicht.« »Gemeinde, Gemeinde«, sagte ein Dritter, »die soll an allen Orten herbei, den Buckel darhalten. Den Lohn versauft ihr, und sagt man ein Wort, so heißt es: Du hast mir nichts zu befehlen, ich versaufe mein Geld und nicht deins. Und handkehrum ist er einem vor der Türe, und zum Helfen ist man gut genug.«
So wetterte es auf Johannes ein, Schlag um Schlag, mit keinem Hämmerlein hätte man dazwischen gekonnt. Die Mannen waren offenbar übler Laune, und in Gemeindräten geht es akkurat gleich wie in Ministerräten und andern Räten mehr: von den Stimmungen hängt das meiste ab. In Johannes' Kopfe pochte ein Hämmerlein alleweil rascher und stärker, es war das Hämmerlein des Zornes, welches auf die Stirn trat, sagen wollte: Wie das eine schlechte Sache sei, einem Armen sein Unglück vorzuhalten, und sie seien nicht da, um den Leuten wüst zu sagen, sondern um ihnen zu helfen, und wenn die Bauern bessere Beispiele geben würden, so wären die Armen auch anders usw. Aber der alte Johannes und Korporal war nicht mehr allein Meister; es war nun noch ein anderer Johannes da, es war der arme, lahme Johannes. Dieser arme, lahme Johannes fand, die Mannen hätten eigentlich recht, und wenn ihnen der Ärger zuweilen auch überlaufe, so sei es sich nicht zu wundern, und als Gemeindväter hätten sie nicht bloß die Pflicht, zu geben, sondern auch das Recht, ein Wort dazu zu reden und zu strafen, akkurat wie die leiblichen Väter auch. Und in der Tat, wenn sie allen helfen sollten, welche faul wären oder Streiche gemacht, so wären es nicht rechte Väter, sie brächten sich um ihre eigene Sache und pflanzten nichts als Begehrlichkeit, Bettelei und Unordnung. Es fühlte der arme, lahme Johannes, daß er wirklich ein armer Sünder sei und diese Strafpredigt mehr als verdient hätte und daß sie ihm eigentlich nichts sagten, als was er sich oft schon selbst gesagt habe, aber wahrscheinlich nicht wußten, daß er dieses schon getan, und im Glauben standen, sie kämen ihm mit lauter Neuigkeiten.
Sobald eine Pause entstand, war der arme, lahme Johannes hinterher, die Rede zu ergreifen. »Ja, ihr ehrenden Vorgesetzten«, sagte er, »ihr habt recht, es ist mir leid, daß ich es sagen muß. Wenn es mir erlaubt wäre, so möchte ich ein Wort sagen. Ihr habt mehr als recht, die Augen sind mir aufgegangen, und es wird wohl den Meisten so gehen, daß sie nicht witzig geboren worden, sondern es erst mit der Zeit wurden. Ich hätte besser hausen können, es ist wahr, aber das Militär kostet viel Geld, und was ich für eine Frau gehabt, wißt ihr, und damals habe ich doch niemand geplagt, wie schwer es mir auch ankam, sie in ihrer langen Krankheit durchzubringen. Es ist wahr, die letzte Schlägerei ist ein Unglück, aber es war nicht die erste, es wird nicht die letzte sein. Ihr Manne wißt, wie das geht; es wird wohl keiner sein, der nicht auch schon dabeigewesen ist. Wenn's Feuer im Dache ist, so kommt man dazu, man weiß nicht wie. Ich habe das Unglück davon; was ich erhielt, war ein Trinkgeld, das meiste nahmen wie üblich die Agenten. Was mir überblieb, ist nichts, bloß noch ein paar Batzen; nicht einmal ein Tischgeld konnte ich der Mutter geben, und das ist, was mich am meisten plaget, ihr Manne; das ist eine Frau, wenn sie alle so wären, ihr müßtet weniger versorgen und erhalten. Ich wußte auch nicht, was sie tut, und hätte ihr besser beistehen sollen, als ichs tat, und daß ichs nicht getan, das kommt mir oft des Nachts vor, ihr mögt es mir glauben oder nicht. Jetzt weiß ich mir, weiß Gott, nicht zu helfen; was hier nötig ist, habe ich nicht, die Mutter hat es nicht, aber sie würde das Bett unter dem Leibe verkaufen, wenn sie wüßte, wie ich dran bin. Das werdet ihr aber nicht wollen, das weiß ich, und wenn es Gottes Wille ist, daß ich gesund werde, so soll es mein Erstes sein, wiederzugeben, was ihr mir vorgestrecket. Glaubt mir, ich weiß jetzt, wie es einem ist, wenn das Bettlerbrot vors Maul kommt und wenn man nicht zu rechter Zeit denkt, was kommen könnte, und an seine Schuldigkeit. Gottlob, jetzt sind mir die Augen aufgegangen, und wie bitter mir manchmal das Essen wird, das stellt sich keiner unter euch vor. Ich möchte daher angehalten haben, daß ihr das Geld für mich nach Bern schicktet; denket, ihr tätets der Mutter, sie hat euch noch nie geplaget und ist immer mit Ehren durchgekommen.«
Die Manne hatten die lange Rede geduldig angehört und noch mit einer Art Behagen. Es kam ihnen gar selten vor, daß einer sich als Sünder bekannte und in Demut unterzog; die meisten begehrten auf wie Häftlimacher, wollten an nichts schuld sein, ja behandelten oft die Gemeindräte, als wären es läuter Schulbuben oder Blutsauger.
»Deine Mutter ist eine brave Frau«, sagte der Präsident, »darwider sind wir nicht; es wäre gut, es täte mancher Exempel an ihr nehmen und du auch.« »Es will mir scheinen, es käme ihm«, sagte einer, »er fängt an, einzusehen, daß andere Leute nicht bloß für ihn da sind, und das ist schon etwas.« »Ja«, sagte ein anderer, »und wenn sich einer auch noch dafür hält und kommt mit Manier und gibt sich dar, wie er ist, so ists wieder eins. Man kann auch noch Erbarmen haben, einmal ich will ihm für diesmal das Wort geredt haben.« »Ja, wenn sie alle so kämen«, sagte ein anderer, »so wäre es wieder eins. Wenn man jung ist, so sinnet man es oft nicht besser; es wird sich ein jeder besinnen, wie man ist in selber Zeit. Aber was hast eigentlich am Arm, daß du ihn nicht brauchen kannst?«
Nun kams auf ein neues Feld, und es war, als ob plötzlich der Gemeindrat verschwunden, eine Versammlung von Ärzten emporgetaucht wäre. Johannes zog die Kutte ab und zeigte die Wunde, erzählte, wieviele Ärzte er gebraucht und was dieser, was jener mit ihm vorgenommen. Nun hatte ein jeder der Räte auch was erlebt und noch viel mehr gehört, und jeder fand es lätz, daß Johannes nicht zu diesem gegangen, nicht jenes gebraucht, er wäre sicher längst davon, denn die, zu denen er gegangen, könnten alle nichts, zögen die Sache auf die lange Bank, es sei ihnen nie um die Leute, sondern nur ums Geld. »Ich denke«, sagte endlich der Präsident, »wir führen fort. Du kannst jetzt gehen in Gottes Namen, und vergiß nicht, was du versprochen hast. Leb wohl.« »Ists erkannt?« frug der Schreiber. »Ich denke«, sagte der Präsident, »oder wenn jemand was darwider hat, so sag ers, und wers genehmigen will, heyg uf. Einhellig! Die Armenkasse solle das Geld schicken, aber es nicht wieder vergessen, wie sie es zuweilen tut oder das Geld lieber an einem andern Orte braucht.«
Johannes ging viel langsamer nach Hause, als er nach dem Gemeindrat gegangen war. Über die Behandlung konnte er nicht klagen, sie war väterlich, sie war ihm fast wie einge Bürgschaft für die Zukunft, daß wenn er mit guten, freundlichen Worten komme, er sicher auch gute Leute und offene Hände finden werde.
Es war ihm aber doch, als trüge er eine schwere Bürde, und er trug auch eine; er war in Schuld verfallen, da ja die Gemeinde für ihn zahlen mußte. Das Wort hat einen eigenen Klang und ein besonder Gewicht. Nun gibt es wohl Ohren, welchen der Klang nicht auffällt, Gemüter, welche das Gewicht nicht gewahren. Indessen gibt es noch Viele, welche Klang und Gewicht empfinden werden und schwer dran tragen denen es fast ist, als seien ihnen Hände und Füße gebunden, als rufe das Wort eine Scheidewand zwischen ihnen und anderen Leuten auf, als klebe es sich wie eine Art Brand, Malzeichen auf ihre Stirn.
Nun, Johannes fühlte das Gewicht des Wortes Schuldner sehr schwer, und wir freuen uns darüber. Und als er nach Hause kam und der Mutter erzählen mußte, wo er gewesen und warum, da legte sich das Wörtlein noch schwerer auf die Mutter, sie weinte fast und zankte zum erstenmale mit ihrem Sohne, daß er ihr die Sache nicht gesagt; sie hätte sehen wollen, wie machen, um sich der Schuld zu erwehren. Als sie der Sohn aber fragte: »Aber Mutter, wie hättet Ihr es denn machen wollen?«, da war sie freilich in Verlegenheit, denn was zu verkaufen fiel ihr nicht bei, und wer hätte ihr drei oder vier Taler leihen wollen für so was? »Und was haben sie gesagt?« frug Käthi. »Du mein Gott, wie wüst werden die getan haben über mich! Es sind gute Mannen daneben, aber steuern tun sie je weniger, je lieber, und wenn ich hätte vor sie gehen sollen deretwegen, die Beine hätten mich nicht getragen.« Da erzählte Johannes, wie alles gegangen, was sie gesagt, was er gesagt, was sie dann wieder gesagt und wie es ihn bei allem gefreut, daß sie Verstand gehabt, und am meisten, daß sie die Mutter so gerühmt und einer gar gesagt: Vor der hätte er Respekt, es sei mancher, man ziehe vor ihm den Hut ab, er sei nicht, was sie. »Mutter, wenn du vor den Gemeindrat gingest, du hättest, was du wolltest.« »Nein aber, was sagst, schäme dich«, sagte Käthi, »nein aber, ich vor den Gemeindrat, ei, was denkst du! So was soll man nicht sagen; manche Nacht kann ich jetzt nicht schlafen, es wird mir immer vorkommen. Ich glaube nicht, daß ichs übers Herz brächte. Vor den Gemeindrat, nein aber, das stünd ich nicht aus, lieber noch sieben Kindbetten, verzeih mir Gott meine Sünde!« Käthi war sehr unschuldig in diesem Punkte, wie man sieht. »Aber was sie da gesagt haben von mir, das hast du ersinnet, das haben sie nicht gesagt«, meinte sie. Als nun Johannes ernst versicherte, nicht mehr oder minder hätten sie gesagt, da kam Käthi das Augenwasser. »Nein aber«, sagte sie, »das hätte ich nicht geglaubt, daß solche Manne einem armen Fraueli sich achteten! Nein aber, und Respekt haben sie gesagt! Sie werden vexiert haben, gedacht haben, so einem jungen Löhl könne man sagen, was man will.« Als aber Johannes versicherte, das hätten sie gewiß gesagt und sehr im Ernste, da ward Käthi gerührt und glücklich, gewiß inniger glücklich als mancher General, dem nach gewonnener Schlacht sein König ein Kreuz an den Hals hängt, ihn zum Marschall macht und Graf sagt, wo er sonst nur Baron gewesen. Käthi hatte aber vielleicht auch mehr Ursache, glücklich zu sein, denn nicht bloß einstündiger Heldenmut hatte ihr das Lob verdient und den Respekt, sondern ein mehr als vierzigjähriger Heldenmut, der im Kämpfe aushielt und standhielt, wenn auch der Feind nie fliehen wollte, sondern alle Tage neu ansetzte.
»Ja, ja, mit einem guten Worte kann man manchmal viel machen«, sagte ein Sekretärchen, in dessen Gunst und Wohlgewogenheit man sich einmal spaßweise empfahl. Ja, mit einem guten Worte kann man viel machen! Wenn die Reichen den Armen, die Armen den Reichen gute Worte geben würden aus gutem Herzensgrunde, da wäre schon unendlich viel gewonnen. Die Herzen ständen sich freundlich offen, der brüderliche Sinn zöge wieder ein.
Es war ein schönes Frühjahr; früh tat sich der Schoß der Erde auf und ward fruchtbar, gar manches edle Kraut bot dem Menschen Speise, und fleißig wurde diesmal das weiße Kraut, welches den Winter über unter aufgefahrener Erde gelegen, jetzt freigehackt, wurde aufgelesen, gut verkauft oder mit Behagen selbst verspeist.
Bald röteten sich lieblich und jungfräulich der zarten Beeren blasse Wangen, und ehe der Mai zu Ende war, konnte Käthi ihre erste Ernte beginnen und löste gar manchen schönen Batzen aus dem süßduftenden Waldsegen. Diese Batzen halfen etwas nach; kümmerlich gings, aber von Tag zu Tag ging es doch, und allemal stand was auf dem Tische. Freilich, das könnte man nicht sagen, daß sie allemal wohlgesättigt den Tisch verließen.
Johannes hatte großes Verlangen, bald ins Bad zu gehen, um zu erfahren, was aus ihm werden sollte. So konnte es nicht bleiben, das begann er zu begreifen. Besserte der Arm sich nicht, daß er wieder stark wurde zur Bauernarbeit, so mußte er was vornehmen, um zu verdienen. Aber es ist wirklich schwer, wenn einer bald dreißig Jahre alt ist, einen Broterwerb suchen zu müssen. Johannes dachte wirklich an Mausefallenhändler oder Topfträger, Schwammträger, Fußbote, ja es dünkte ihn manchmal, er könnte auch Landjäger sein, am Spazieren und Tragen von Briefen hinderte ihn sein lahmer Arm nicht. Aber es war ihm alles zuwider, denn Johannes war eine stabile Natur; aus freiem Triebe ändern oder ersinnen, das war seine Sache nicht. Ein guter Knecht war er gewesen, hatte namentlich Freude am Vieh gehabt, wäre daher gern beim Vieh geblieben. Wir begreifen diese Richtung vollkommen, ist einem doch wirklich beim Vieh oft viel wohler als bei Menschen; wird wahrscheinlich wegen der beiderseitigen Kulturstufe sein. Käthi dagegen schwebte zwischen Bangen und Verlangen. Johannes sah übel aus, er hätte keinen Mut mehr, sagte Käthi, und wenn man so weit auseinanderkomme, so wisse man nie, ob man wieder zusammenkomme. Und wenn sie schon bös hätten, so ginge es doch. Er sei so ein Guter, mit allem zufrieden, helfe ihr, trage Wasser, helfe, wo er könne und möge, sei jetzt immer daheim, lese in einem Buche, lehre den Johannesli, daß sie oft denke, wenn es doch immer so bliebe. Der Friede, und wenn man einander liebe, so sei das am Ende doch die Hauptsache. Daneben, wenn er wieder gesund werden könne, so möge sie es ihm grausam wohl gönnen, denn eine schreckliche Sache wärs für einen solchen Bursch, wenn er ein Krüppel bleiben sollte sein Leben lang.
Die Befehle zur Abreise in die Bäder kommen rasch; kurze Frist bleibt zur Zurüstung, was bleibt, darf man nicht verjammern, man muß sich zurechtmachen und scheiden. Käthi und Johannesli gaben dem alten Johannes das Geleit, und ein Stücklein Weges liefen noch beide Hühner hinterdrein. Erst bleiben die Hühner zurück, dann meinte Käthi, welcher der Atem zu fehlen begann, sie wolle nicht säumen, er hätte zu pressieren. »Aber du hast doch alles?« frug sie, und als sie sich dessen vergewissert hatte, gab sie ihm die Hand und sagte: »Lebe wohl und gib Bescheid, wenn du kannst, wies dir geht. Da, nimm das noch und häb nit Hunger!« Es war Käthis ganzer Schatz, es waren fünf Batzen. »Nein, Mutter«, sagte Johannes, »das nehme ich absolut nit, bin Euch lange genug eine Last gewesen.« »Glaub das nit«, sagte Käthi, »und nimms; es täte mir in der Seele weh, wenn du es nicht nähmest. Glaube, du bist mir wert, kommst du heim, gesund oder wie jetzt, nur gleich gut gegen mich; wo die Liebe ist, da steht man alles aus und hat noch Freud dabei.« »O Mutter!« sagte Johannes. »Geh«, sagte Käthi, »denk, wenn du zu spät kämest! Mach Bescheid, hast gehört? Lebe wohl und geh mir sacht!« Johannes mußte gehen, aber er hatte noch lange Tränen in den Augen, er mußte denken, wenn das Weibervolk alles wäre wie seine Mutter, was das für ein Leben wäre in der Welt! Aber wie sie sei keine mehr, dachte er.