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Fünftes Kapitel. Vom Ährenlesen und Kräutersammeln, von Müllern und Apothekern

Es kam Käthi die zweite ihrer Ernten allmählig näher, und darüber freute sie sich sehr. Kornäcker hatte Käthi keine, aber an die Kornäcker ein Recht, welches ihr Gott schon durch Moses gewährleistet hatte, wie man heutzutage zu sagen pflegt. Käthi war eine treue, fleißige Ährenleserin, wie sie schon vor viertausend Jahren in Ehren standen, eine, die mit frommem Sinn und ohne Sünde Ähren las, den Bauer um seine Garben nicht beneidete, ein fröhlich Genügen fand an ihrem Körbchen voll Ähren.

Käthi freute sich allemal sehr auf diese Zeit, und absonderlich jetzt, wo Johannesli zu helfen begann; an jeder Ähre, welche er auflas, hatte sie eine Freude, als ob sie eine goldene wäre. Es ist freilich eine strenge Sache für einen siebenzigjährigen Rücken, Ähren lesen zu müssen, aber Käthi trug dies unbeschwert. Sie mußte dabei immer an den schönen Spruch des Heilandes denken: »Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euern Leib, was ihr anziehen werdet! Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung? Sehet die Vögel des Himmels an; sie säen nicht, sie ernten auch nicht, sie sammeln auch nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater nähret sie doch.«

Viele Ähren fanden sich aufzulesen. Das Korn war mürbe, mußte oft mehrere Tage liegen, wurde zuweilen in großer Hast eingesammelt, wobei dann nicht sanftmütig mit den Garben umgegangen ward. Käthi hätte eine ihrer besten Ernten gemacht, wenn nicht ein Umstand eingetreten wäre, der ihr hinderlich war. Eben diese Hast, welche über die Menschen gekommen war auf seltsame Weise, ohne daß sie eigentlich in andauerndem Regenwetter zureichenden Grund hatte, verleitete die Menschen, an den Sonntagen zu ernten, und zwar gerade an diesen Tagen mit einer Hast, als ob sie vor Gott die Sache retten, sie ihm gleichsam aus den Händen reißen müßten. Aber der Herr zeigte ihnen, wer Meister sei. Am Sonntag wurde schlecht und feucht das Korn gesammelt, am Montag war schön Wetter, und wer gewartet hatte, dem wurden Gehorsam und Vertrauen gesegnet. Käthi brachte es nun aber nicht übers Herz, am Sonntag Ähren zu lesen. Sie sagte, wenn die armen Leute, welche niemand hätten als Gott, seine Gebote nicht mehr hielten, wer sie dann eigentlich halten solle; einmal den reichen Leuten sei es nicht zuzumuten, welche noch so viel anderes hätten neben Gott, worauf sie ihr Vertrauen setzen könnten. Was die armen Leute aber, welche Gottes Gebote verachten, dächten, das begreife sie nicht. Sie hätten keinen Teil an der Welt, bekämen keinen am Himmel; hier bös haben, dort noch böser und dann in alle Ewigkeit, Schrecklicheres könne man sich doch nicht denken! Nun hatte Käthi auch so gleichsam ihre Erbäcker, Äcker, auf welchen sie seit vierzig oder mehr Jahren Ähren gelesen hatte, wo sie gleichsam die privilegierte Ährenleserin war, zunächst hinter dem Wagen ging und vom Bauer Winke bekam, wenn er unter einer Garbe, die er an die Gabel steckte, ein Häuflein Ähren sah. Wenn nun auf einem solchen Acker am Sonntage eingesammelt ward, Käthi es wimmeln sah von Ährenlesern, so tat das weh, und schwer war es zu verwinden. Käthi dachte dann wohl: In Gottes Namen, deretwegen werde ich nicht verhungern, und wenn es sein müßte, ei nun, so würde ich es annehmen müssen; wenn nur dann die Seele in den Himmel kömmt, das ist allweg die Hauptsache.

So saß einmal Käthi an einem Sonntage auf dem Bänklein, sah in einiger Ferne nach einem Acker, worauf es wimmelte, und hatte fast Tränen in den Augen, denn das gerade war immer ihr ergiebigster Acker gewesen. »Bist krank, Käthi, daß du nicht auf dem Acker bist?« tönte plötzlich eine Stimme, und eine Bäurin stand neben ihr, die Käthi, versunken in Betrübnis, nicht kommen gehört hatte. »Gottlob nein«, sagte Käthi, »aber es ist heute Sonntag, Anne Bäbi.« »Selb weiß ich«, sagte die Bäurin und ward rot im Gesichte. »Habe bloß geglaubt, wenn wir uns heute mit Ernten mühen mögen, werdest du nicht zu vornehm sein zum Ährenlesen. Wirst es aber besser vermögen als wir, Sonntag zu halten!« So sprach sie und schritt weiter. »Sei doch nicht böse, Anne Bäbi«, sagte Käthi, »es ist nicht wegem Hochmut, sondern wegem lieben Gott.« »He nun«, sagte Anne Bäbi, »wann du dann Holz mangelst oder sonst was, so gehe auch zu dem, mag er dir selbst helfen.«

So sei es doch fast nicht dabei zu sein, seufzte Käthi; sehe man auf Gott, so mache man böse Leute, und wolle man es den Menschen treffen, so verspiele man es mit Gott. »Guten Abend, Käthi«, tönte es wieder, und wieder kam die Frage: »Warum nicht auf dem Acker? Sitzest da so ruhig, als ob du allen Ähren auf der Welt nichts nachfolgest.« Da erschrak Käthi, und eine Lüge war ihr auf der Zunge. Da dachte sie, Sünde sei ja Sünde, und was es ihr hülfe vor Gott, hier ruhig zu sitzen, wenn sie dabei lüge und trüge. »Darf es dir nicht sagen, Mädeli« seufzte Käthi »du wirst sonst auch böse über mich, und das ginge mir viel zu übel.« »'s ist keine Gefahr«, sagte Mädeli, »ich wüßte nicht, was ich dir übel nehmen sollte.« »Hör«, sagte Käthi, »ich mache mir ein Gewissen daraus, am Sonntag Ähren zu lesen. Wenn ich auf den lieben Gott mein Vertrauen setzen will, so muß ich auch so viel möglich seine Gebote halten. Daneben will ich die nicht tadeln, welche ernten, sie werden wohl wissen, was sie machen; bei mir hat es in Gottes Namen nicht gehen wollen.« »Das ist die Frage«, sagte Mädeli, »ob sie wissen, was sie machen«, und setzte sich fast neben Käthi. »Mein Vater war ein sehr alter Mann; er sagte oft, er habe am Sonntag nie eine Garbe eingeführt und deswegen doch nie weniger gehabt als die andern. Nun freut es mich, daß es noch jemand gibt, der meinen Sinn hat. Wenn du heute auch nicht auf dem Acker bist, deswegen sollst du nicht weniger haben. Willst du Obst im Herbst, so hole es ungeheißen, hast sonst was nötig, so sags; kann man, so hilft man, kann man nicht, so habe es nicht ungern! Jetzt muß ich gehn, ihnen das Abendbrot bringen, hätte lieber sechs Tage arbeiten wollen wie ein Roß, als dieses tun.«

Als Käthi allein war, dachte sie, wie es doch wunderlich sei mit den Menschen; mache man einen bös, so treffe man es dem andern, wer es allen treffen wolle, sei ein Narr oder müsse einer werden. Da sei es doch am besten, Gott zu gehorchen und nicht den Menschen, der bleibe allezeit der Gleiche; mit Gott hätte man noch die guten Leute, und wie Gott einem helfen und lohnen könne, wenn man es mit ihm halte, habe sie gleich jetzt erfahren.

»Hast Sonntag und gute Ruhe?« erscholl plötzlich eine rauhe Stimme neben Käthi, und als Käthi sich umsah, stand Mädelis Mann neben ihr, ein großer, dicker Bauer. »Es ist gut zu feiern, wers vermag und nicht sehen muß, woher das Brot kömmt«, sagte er. »O Hans«, sagte Käthi, »spotte mich nicht aus! Ärmer und nötiger ist niemand als ich, und andere plagen tue ich nicht mehr, als es sein muß. Aber eine arme alte Frau, mit einem Fuß im Grabe, hat niemand nötiger als Gott, und dem es recht zu machen, ist ihr die Hauptsache.« »Ein paar Ähren aufzulesen, hätte dich nicht um die Seligkeit gebracht«, sagte der Bauer. »Daneben mache, was du willst, an deinem Glauben will ich dir nichts befehlen, aber behalte ihn für dich und hetze nicht andere Weiber auf! Machst du das noch einmal, so ist es mir lieber und dir besser, du kommest mir niemals mehr ins Haus.« »Aber Hans, deine Frau habe ich nicht aufgewiesen, wir haben nur miteinander geredet, und so wüst wirst nicht gegen mich sein. Wenn du vielleicht bald mit mir zu Grabe mußt, so würde dir das doch leid sein.« »Leid sein oder nicht leid sein, aber mich dünkt, du könntest tun wie andere Leute. So eine alte Frau wird die Ordnung nicht machen wollen, weder auf der Welt noch im Himmel. Gute Nacht geb dir Gott und denk daran!«

Dahin ging er und kehrte sich nicht um, wie Käthi ihm auch nachrief. So gehe es einem, sagte Käthi für sich selbst; wenn man alsobald den Lohn der Welt haben wolle, so gehe einem der Ruhm bei Gott dahin.

Käthi nahm die Worte sehr ernsthaft, und mit Recht. Man könnte zwar sagen, sie hätten nichts zu bedeuten, nur einer habe sich so ausgesprochen, oder gar, nur Hansli habs gesagt; aber man täte sehr unrecht, wenn man solche Redensarten und Zumutungen übersehen wollte, ihnen alles Gewicht absprechen, sie sind im Gegenteil von oher Bedeutung.

Aus scheinbar leeren Redensarten Grundsätze und Zaubersprüche zu machen, ist des Teufels Bande tätig Tag und Nacht. Mitten in Europa als Christ verfolgt zu werden, gehört zu den Wahrscheinlichkeiten des Tages.

Bei gedachtem Hans hatte die Zeit allerdings noch nicht so tief gegriffen; denn als Käthi bald darauf scheu an seinem Hause vorüberstrich, rief er sie, hieß sie hineingehen, da seine Frau etwas mit ihr wolle. »Es ist brav, daß du wieder kommst«, sagte drinnen Mädeli. »Was bringt dich Guts?« »Hans hat mich gerufen und heißen hineingehen, du wollest was mit mir«, antwortete Käthi. »So, hat er das?« sagte Mädeli. »Der Wüstest war er nie und wirds hoffentlich nicht auf die neue Mode. Ich hatte es grausam ungern, daß er dich so angefahren. Er rühmte sich dessen, sobald er heimkam. Aber wohl, dem machte ich die Läuse runter. Es sei kein Wunder, wenn die armen Leute die reichen haßten, wenn diese ihnen nichts mehr gönnen, nicht einmal mehr die Religion und die Gnade Gottes, und ihnen den Glauben zu nehmen begehrten. Das sei eine saubere Freiheit, wenn eine alte Frau nicht einmal mehr die Gebote Gottes halten dürfe. Für den Schreck mußt jetzt Äpfel haben. Wir haben sie in diesem Jahr, und z'danken brauchst nicht so nötiglich; ich bin froh, wenn ich die frühen los werde und Platz kriege für die spätern.« Sie füllte Käthi einen Korb und meinte: »Du wirst wohl daran leben, sie sind honigsüß, und Holz brauchen sie fast keins, sie brauchen nur kurze Zeit auf dem Feuer zu sein, so sind sie weich und gut.«

Wer es nie erfahren, weiß nicht, wie glücklich eine arme christliche Frau ist, wenn sie unerwartet zu einem Korb voll Speise gekommen ist, während sie denselben nach Hause trägt.

Als Käthi heimging, begegnete ihr Hans wieder, und als sie danken wollte, fragte er: »Kennst du den Huebechbaum im Acker, gegenüber deinem Häuschen am Zaun?« »Ja«, sagte Käthi, »den schönen runden Baum wirst meinen?« »Gerade den«, sagte Hans. »Hast du unsere Ähren nichts geschätzt, so nimm dort die Äpfel, wenn du sie was schätzest, und meinethalb hol sie am Sonntag oder am Werktag, das kannst dann machen, wie du willst.« Käthi verstummte ordentlich ob solcher Güte, und als ihr das Reden wiederkam, war Hans schon weit weg.

Käthi hatte übrigens beim Ährenlesen einen guten Ertrag gehabt, Johannesli hatte tapfer geholfen, es war ordentlich zu merken; neun ganze Maß hatte Käthi zusammengelesen, und das ist viel für eine alte Frau, da bekanntlich alte Frauen auch alte Rücken haben. Mit gesenktem Kopfe ging sie manchen Tag herum, man wußte nicht, wars ihr besonders im Rücken oder was Apartes im Kopfe. Bald schaute sie den Sack mit Korn an, bald einen hervorspringenden Schrank, der bis an die Decke der Stube reichte und ungefähr zwei Schuh hoch war. Diesen Schrank nennt man das Gänterli, und er ist, wenn nicht in den meisten Stuben, so doch fast in allen Nebenstübchen zu finden. Dieses Gänterli ist ein gar bedeutsamer Behälter, an manchem Orte fast wie das Herz im Leibe; er ist die Schatzkammer des Hauses, birgt Kleinodien, Schriften und Barschaft. Bei ärmern Leuten sind begreiflich die Kleinodien sehr einfach; es ist ein Ring, der aussieht wie Gold, ein glänzend Silberstück, ein schönes Glas, eine weiße Flasche. Den Übergang von den Kleinodien zu den Schriften bilden die sogenannten Einbünde der Kinder, Geschenke der Paten am Tauftage. Der Einbund besteht vor allem aus einem gemalten Blatte, schön gefärbt, oft zwei Engel obenan, unten ein schöner Spruch aus der Bibel oder ein Vers mit Anmerkung des Tages und vom Paten unterschrieben. Dieses Blatt ist künstlich zusammengefaltet und enthielt ursprünglich den eigentlichen Einbund, ein schönes Geldstück von einem Gulden weg bis zu einem Doppellouisdor. Bei diesen Einbünden befindet sich die Barschaft der Kinder, gewöhnlich in einer Büchse oder einer kleinen Schachtel, die Batzen, welche sie hier und dort geschenkt kriegen oder verdienen. In einer großen Schachtel liegen die Schriften, Tauf- und Kopulationsscheine, Zeugnisse, manchmal sogar Quittungen, sogar manchmal ein Mietakkord, ja vielleicht sogar eine Geschrift, eine Erbteilung, ein Erbauskauf, die Weiß Gott wie in den Händen des Besitzers geblieben, durchaus wertlos ist, aber doch mit großer Sorgfalt aufbewahrt wird, von wegen, man könne nie wissen –!

Hier befindet sich endlich auch die Barschaft, der Hausschatz, und in zwei Teile gesondert. Vornen in einem Körbchen oder einer zerbrochenen Untertasse befindet sich die Kasse für die laufenden Ausgaben, sie besteht aus mehr oder weniger schlechten Münzen. Hinten in einer Ecke liegt ein Säcklein oder ein alter Strumpf, jedenfalls wohl verbunden, um unbedachtes Dreinfahren zu verhindern; darin liegt das Silber, welches man das Jahr durch in die Hand kriegt, es ist bestimmt, Miete oder sonst Zinse zu entrichten. Bleibt nach Bezahlung des Schuldigen was übrig, dann gibt es was Neues, Notwendiges, ein Bettstück, einen Karren, eine Axt, einige Hemden oder sonst Kleider, und bleibt dann noch was übrig, ja dann ist die Freude groß und bedenklich wird das Überlegen: Was jetzt? Die einen denken an die Kinder, sammeln künftige Lehrgelder, andere an die alten Tage und sparen ein Ruhkissen, andern zuckt es in allen Gliedern, und: »Frau«, sagt der Mann, »was meinst, wenn wir uns einmal ein Freudeli gönnen würden? Was willst lieber, einen Spiegel, einen Schrank, oder wollen wir zu Markte gehen und es einmal lustig flädern lassen, Fraueli, was meinst?«

Dieses Gänterli wars, welches Käthi eine ganze Woche bedenklich angesehen hatte und endlich am Sonntagnachmittag öffnete. Das war allemal ein festliches Ereignis für den Kleinen, denn da erhielt er zum Besehen seine Einbünde, von denen nicht bloß das Papier übrig war, sondern auch die Zulagen. Während Johannesli an seinem Schatz sich erfreute, nahm Käthi den ihren zur Hand, welcher in einem ihrer Hochzeitstrümpfe enthalten war. Er war dünn, dieser Strumpf, und als er ausgeleert war, lag ein gar klein Häufchen auf dem Tische, einige Basler Dreibätzler, ein halber Brabantertaler, einige Franken und halbe Guldenstücke. Als Käthi das sorgsam zusammenzählte, so fand sie, aber nicht beim ersten Male, daß ungefähr drei und einen halben Taler ihr Schatz betrug, und sieben und einen halben Taler betrug ihre Schuld, und das halbe Jahr, wo wieder ein Mietzins entrichtet werden sollte, war mehr als halb verflossen. Da ward es Käthi recht himmelangst; sie faßte den Entschluß, diesmal die Ähren zu verkaufen, und dieser Entschluß kam Käthi sehr hart an. An diesen Ähren hatte Käthi sonst große Freude gehabt, es war ihr Korn, sie konnte auch in die Mühle geben; das Mehl, welches sie erhielt, war vom eigenen Gewächs. Dieses Mehl hatte Käthi das ganze Jahr hindurch in besondern Ehren gehalten, nur bei besondern Anlässen, wenn sie so recht gut leben wollte, dasselbe gebraucht, ein Breichen gekocht, wenn die Kinder so recht gut gewesen, dem Mann, wenn er zum Besuch kam, einen Eierkuchen gebacken, am Neujahr Kuchen gebacken, um das Fleisch zu sparen usw. Verkaufte nun Käthi diese Ähren, so opferte sie alle die damit verbundenen Freuden, aber dann war sie die Schuld größtenteils los, denn allerwenigstens drei Taler schätzte sie die Ähren, ja sie dünkten ihr so schön, sauber und schwer, daß drei und ein halber Taler nicht übertrieben schienen; löste sie so viel, dann hatte sie ja sieben Taler, »und wer weiß, wenn ich ihm die sieben Taler bringe und er den guten Willen sieht, so schenkt er mir den halben, weil, ich verhagelt und verwässert worden«, so dachte Käthi, doch nur ganz leise und ja nicht, als ob ein Recht zu solchen Erwartungen dawäre. Freilich war dann gar kein Geld mehr da als einige St. Galler Halbbätzlein, hinter welchen nicht viel Trost liegt.

Dies machte ihr jedoch nicht Kummer; es gab im Herbst nicht bloß Verdienst, sondern es ging ihr jetzt eine Ernte an, von welcher Käthi manchen bessern Batzen hoffte. Käthi sammelte alle Jahre Bocksbart, Kamille, Kümmel, Wacholderbeeren, und was sie nicht in den sogenannten bessern Häusern absetzen konnte, trug sie in die Apotheke und löste dort immer etwas, wenn auch eben nicht viel. Die Apotheker heißen die Neunundneunziger sicher nicht umsonst. Doch wir gönnen ihnen den Profit von ganzem Herzen. Aber wenn in demselben so ein rechter Gottessegen sein soll, dürfen sie keine harte Hand haben gegen die alten Mütterchen und die Kinder, welche ihnen Beeren und Kräuter bringen, müssen sich nicht mästen wollen am Schweiße der Fleißigen, müssen sich begnügen lassen am Verdienste von der Torheit der Reichen und den Seufzern der Kranken.

Nun sind aber nicht alle Apothekerseelen dürr und trocken wie Kamillenstengel nach Michelstag; solchen noch grün und saftigen Seelen wünschen wir ebenfalls Ohren, welche hören auf Kanonenschußweite (was übrigens nicht bloß den Apothekern, sondern auch andern Majestäten zu wünschen wäre). Solche würden dann auch hören: »Das ist noch ein rechter Herr und ein guter, wenn sie nur alle so wären.« Von ganzem Herzen gönnten wir einem guten Apotheker, der nicht bloß alle Tage was Fettes und gut Gepfeffertes auf dem Tische liebt, sondern wirklich noch besseres, Ohren, solche Herzergießungen zu hören auf Kanonenschußweite.

Käthi zählte also auf diesen Verdienst, darum scheute sie sich nicht so sehr, so ganz von Gelde sich zu entblößen. Sie hatte einen Herrn an der Hand, wenn auch nicht einen von den besten, so doch auch nicht einen von den bösen; er hatte wohl die Batzen sehr lieb, und die guten reuten ihn immer mehr als die schlechten, aber gute Worte hatte er doch und Manieren, welche einer alten Frau wohl taten.

In zwei Bündeln, da Käthi das Ganze nicht tragen konnte, lud sie ihren Reichtum auf einen Schiebkarren, fuhr damit zur Mühle, trug dem Müller ihr Anliegen vor und sagte: Sie hätte sonst die Ähren nie verkauft, sondern sie mahlen lassen; aber jetzt sei sie die Hausmiete schuldig, der Flachs sei ihr verhagelt, sie müsse zu Geld machen, was sie könne und möge. Der Müller glich vielen Apothekern, im Handel hatte er nur einen Grundsatz: so wohlfeil als möglich zu kaufen. Zu diesem Zwecke machte er die Ware so schlecht als möglich, stellte sich, als hätte er dieselbe durchaus nicht nötig, und merkte er noch dazu, daß die Verkäufer Geld nötig hatten, dann wußte er sich zu drehen und zu winden, und während er mit dem Munde sagte, er wolle lieber mit der Sache nichts zu tun haben, klingelte er mit der Hand fortdauernd im Hosensack mit dem Gelde.

Dieser Müller also machte mit Käthi keine Ausnahme; erst kriegte er Galgenfreude ins Herz, als er hörte, was Käthi sagte, dann machte er das Korn schlecht, wog es schlecht, maß es schlecht, zahlte es schlecht, und zwar wollte er dieses noch mit schlechtem Gelde tun, und dieser Mann besaß vielleicht hunderttausend Taler. Käthi mußte sich alles gefallen lassen, nur das schlechte Geld wollte sie nicht; sie müsse damit die Hausmiete zahlen, sagte sie, und solches dürfe sie dem Hausbauer nicht bringen. Der Müller begehrte sehr auf und meinte, auch diesen Profit wolle er sich nicht entgehen lassen, und erst als Käthi erklärte, lieber wolle sie das Korn zurück und dieses statt Geld dem Hausbauer bringen, rückte er mit Silber heraus. Dieses Silber tröstete Käthi einigermaßen, daß sie nur zwei Taler in der Tasche hatte statt drei oder drei und einen halben, also mit den gehabten dreiundeinhalb Talern nur fünf und einen halben an der Miete bezahlen konnte, zwei Taler schuldig bleiben mußte, welche geschenkt zu erhalten sie keine Hoffnung hatte.


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