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Den einen von ihnen nannte man »Tanzbein« und den andern »Hoffender«; ihrem Berufe nach waren sie aber beide Diebe.
Sie wohnten am Rande der Stadt, in einer Vorstadt, in einer der baufälligen, aus Lehm und halbverfaultem Holz zusammengeklebten Hütten, die eigentümlich in einer Schlucht verstreut lagen und wie Schutthaufen aussahen, die man hinabgeworfen hatte. Zum Stehlen gingen die »Freunde« in die der Stadt am nächsten gelegenen Dörfer, denn in der Stadt selbst konnte man nur schwer etwas stehlen, und bei den Nachbarn in der Vorstadt gab es nichts zu stehlen.
Beide waren vorsichtige und bescheidene Menschen: wenn sie mal ein Stück Leinwand, einen Bauernmantel oder ein Beil, Pferdegeschirr, ein Hemd oder ein Huhn stahlen, so suchten sie das Dorf, in dem es ihnen gelungen war, die Dinge zu stibitzen, lange Zeit nicht mehr auf. Aber die Vorstadtbauern kannten sie trotz dieser vernünftigen Handlungsweise gut und drohten, sie bei Gelegenheit zu erschlagen. Doch eine solche Gelegenheit bot sich den Bauern nicht, und die Knochen der beiden Freunde blieben heil, obwohl sie seit sechs Jahren schon die Drohungen der Bauern hörten.
Tanzbein war ein Mann von etwa vierzig Jahren, lang, gebückt, hager und sehnig. Er hielt den Kopf immer gesenkt, die langen Arme im Rücken, machte langsame, doch große Schritte und blickte im Gehen mit seinen zusammengekniffenen, unruhigen, scharfen Augen besorgt nach den Seiten. Er trug das Haar kurz geschoren und rasierte sich das Kinn; der dichte graue Soldatenschnurrbart verdeckte seinen Mund und verlieh seinem Gesicht einen strengen, bissigen Ausdruck. Sein linkes Bein war wohl ausgerenkt oder gebrochen und so zusammengewachsen, daß es länger als das rechte war; wenn er es im Gehen hob, hüpfte es in der Luft und schnellte zur Seite; dieser Eigentümlichkeit seiner Gangart verdankte er auch seinen Spitznamen.
Der Hoffende war um etwa fünf Jahre älter, kleiner und breitschultriger als sein Freund. Aber er hustete viel und dumpf, und sein derbes, von einem breiten, schwarzen, leicht ergrauten Vollbart eingerahmtes Gesicht zeigte eine ungesunde gelbe Farbe. Er hatte große, schwarze Augen, die immer schuldbewußt und freundlich blickten. Beim Gehen spitze er den Mund und pfiff leise ein eintöniges, trauriges Lied vor sich hin, immer das gleiche. Er hatte um die Schultern ein kurzes Gewand aus bunten Lumpen hängen, eine Art wattierte Jacke; Tanzbein trug aber immer einen langen grauen Kaftan mit einem Gürtel. Der Hoffende war Bauer, sein Freund aber der Sohn eines Küsters, ehemaliger Lakai und Marqueur. Sie waren immer zusammen, und die Bauern pflegten, wenn sie sie sahen, zu sagen:
»Die Freunde sind wieder aufgetaucht. Aufgepaßt!«
»Ach, diese Teufel!«
»Wann werden sie einmal verrecken?!«
Die Freunde gingen aber einen Feldweg entlang, blickten scharf nach den Seiten und wichen Begegnungen aus. Der Hoffende hustete und pfiff sein Lied; und das Bein seines Freundes tanzte in der Luft, als wollte es sich losreißen und den gefährlichen Weg seines Besitzers verlassen. Oder sie lagen irgendwo am Waldrande, im Korn oder in einem Graben und berieten sich leise, wo sie etwas stehlen könnten, um sich satt zu essen.
Im Winter haben sogar die Wölfe, die für den Kampf ums Dasein besser ausgerüstet sind als die beiden Freunde, ein schlechtes Leben. Mager, hungrig und erbost treiben sie sich auf den Landstraßen umher; man tötet sie zwar, aber man fürchtet sie doch: sie haben Krallen und Zähne zur Verteidigung, vor allem aber harte Herzen. Das letztere ist besonders wichtig, denn der Mensch muß, um aus dem Kampfe ums Dasein als Sieger hervorzugehen, entweder viel Verstand oder das Herz eines Tieres haben.
Im Winter hatten es die Freunde schlecht; oft gingen sie beide abends in die Straßen der Stadt und bettelten, wobei sie sich bemühten, der Polizei nicht vor die Augen zu kommen. Nur sehr selten gelang es ihnen, etwas zu stehlen; durch die Dörfer zu ziehen, ging nicht gut, denn es war kalt, und im Schnee blieben ihre Spuren zurück; es hatte auch keinen Zweck, die Dörfer aufzusuchen, wo alles versperrt und vom Schnee verweht war. Der Kampf mit dem Hunger kostete den Freunden im Winter viel Kraft, und vielleicht erwartete kein Mensch so sehnsüchtig den Frühling, wie sie ihn erwarteten . . .
Endlich nahte der Frühling. Die Freunde kamen entkräftet und krank aus ihrem Graben gekrochen und blickten freudig auf die Felder hinaus, wo der Schnee mit jedem Tag schneller schmolz, braune, vom Schnee entblößte Stellen zum Vorschein kamen, die Pfützen wie Spiegel glänzten und die Bächlein lustig rieselten. Die Sonne ergoß auf die Erde ihre uneigennützige Liebe, und die beiden Freunde wärmten sich in ihren Strahlen und sprachen davon, wie sie, wenn die Erde einmal trocken war, wieder einmal nach den Dörfern auf die »Jagd« gehen würden. Der Hoffende, der an Schlaflosigkeit litt, weckte seinen Freund oft am frühen Morgen und verkündete ihm voller Freude: »Du, steh auf . . . die Saatkrähen sind schon da!«
»Wirklich?«
»Bei Gott! Hörst du, wie sie schreien?«
Sie traten aus ihrer Hütte ins Freie und beobachteten lange und aufmerksam, wie die schwarzen Boten des Frühlings neue Nester bauten, die alten ausbesserten und die Luft mit ihrem lauten, besorgten Geschrei erfüllten.
»Jetzt sind die Lerchen an der Reihe«, sagte der Hoffende und machte sich daran, das alte, halbverfaulte Netz auszubessern.
Die Lerchen kamen; die Freunde gingen aufs Feld, stellten das Netz auf einer der vom Schnee entblößten Stellen auf, rannten durchnäßt und schmutzig hin und her und trieben die hungrigen und von der langen Reise ermüdeten Vögel, die auf der nassen, erst eben vom Schnee befreiten Erde Nahrung suchten, ins Netz. Wenn sie eine Anzahl beisammen hatten, verkauften sie sie zu fünf und zu zehn Kopeken das Stück. Dann kamen die ersten Brennesseln, die sie einsammelten und den Gemüsehändlerinnen auf dem Markte verkauften. Fast jeder neue Frühlingstag brachte ihnen etwas Neues, einen neuen, wenn auch kleinen Verdienst. Sie verstanden alles auszunützen: Weidenkätzchen, Sauerampfer, Champignons, Erdbeeren, Schwämme – nichts entging ihren Händen. Wenn die Soldaten Schießübungen hatten, gingen die Freunde nachher hinaus, wühlten in den Erdwällen, suchten die Kugeln zusammen und verkauften sie dann zu zwölf Kopeken das Pfund. Alle diese Beschäftigungen ließen sie zwar nicht des Hungers sterben, gaben ihnen aber nur sehr selten die Möglichkeit, das Gefühl des Sattseins, das angenehme Gefühl des vollen Magens und dessen eifriger Arbeit an den verzehrten Speisen zu genießen.
Einmal im April, als die Knospen an den Bäumen erst zu schwellen anfingen, die Wälder in einem bläulichen Dunste lagen und auf den braunen, fruchtbaren, von Sonnenlicht übergossenen Feldern das erste Grün sproßte, gingen die beiden Freunde die Landstraße entlang; sie rauchten selbstverfertigte Zigaretten aus billigem Tabak und unterhielten sich.
»Du hustest aber immer mehr . . .« sagte Tanzbein seinem Freunde warnend, doch ruhig.
»Ich spucke drauf . . .! Wenn mich die Sonne ordentlich durchwärmt, werde ich wieder lebendig . . .«
»Hm. Solltest doch mal ins Spital gehen . . .«
»Ach! Was brauche ich es? Wenn ich mal sterben muß, so werde ich sterben.«
»Das stimmt . . .«
Die Birken, die die Landstraße einsäumten, warfen auf sie die Schatten ihrer feinen Zweige. Die Spatzen hüpften lebhaft zwitschernd auf der Straße herum.
»Du gehst auch viel schlechter . . .« bemerkte Tanzbein nach einer Pause.
»Das kommt, weil es mich in der Brust würgt . . .« erklärte der Hoffende. »Die Luft ist jetzt so dick, feucht und fett, es ist mir schwer, sie zu schlucken . . .«
Er blieb stehen und bekam einen Hustenanfall.
Tanzbein stand neben ihm, rauchte und sah ihn mit unbestimmtem Ausdruck an. Der Hoffende schüttelte sich vor Husten und rieb sich mit den Händen die Brust, sein Gesicht war ganz blau geworden.
»Die Atemmaschine ist ordentlich durchlöchert«, sagte er, als der Hustenanfall vorüber war.
Und sie gingen weiter, die Spatzen von der Straße aufscheuchend.
»Jetzt gehen wir gegen Muchino . . .« sagte Tanzbein, indem er die Zigarette fortwarf und ausspuckte. »Wir nehmen den Weg durch die Hinterhöfe . . . vielleicht erwischen wir was . . . Dann gehen wir durch den Ssiwzowschen Wald nach Kusnetschischa . . . Von dort biegen wir nach Markowka ab . . . und dann geht's nach Hause . . .«
»Das werden an die dreißig Werst sein«, sagte der Hoffende.
»Daß wir den Weg nur nicht umsonst machen . . .«
Links von der Straße lag ein eintönig dunkler und unfreundlicher Wald; zwischen seinen nackten Ästen war noch kein einziger grüner, das Auge erfreuender Fleck zu sehen. An seinem Rande irrte ein kleines, zottiges und zerzaustes Pferdchen mit eingefallenen Seiten herum: seine Rippen waren so deutlich zu sehen wie die Reifen an einem Faß. Die Freunde blieben wieder stehen und sahen lange zu, wie das Tier, die Schnauze zur Erde gebeugt, langsam von einem Bein aufs andere trat, die gelben Halme rupfte und sie mit seinen abgewetzten gelben Zähnen sorgfältig zerkaute.
»Ist auch ausgehungert . . .!« bemerkte der Hoffende.
»Komm doch, komm!« versuchte Tanzbein es zu locken. Das Pferd sah ihn an, schüttelte verneinend den Kopf und senkte ihn wieder zur Erde.
»Es will nicht zu dir«, deutete der Hoffende diese müde Gebärde.
»Gehen wir . . .! Wenn man es . . . den Tataren bringt, so werden sie dafür vielleicht an die sieben Rubel geben . . .« versetzte Tanzbein nachdenklich.
»Nichts werden sie geben. Was brauchen sie es!«
»Und die Haut?«
»Die Haut? Wird man denn für so eine Haut was geben? Höchstens drei Rubel.«
»Aber!«
»Was denn? Was ist das für eine Haut? Ein alter Fußlappen und keine Haut . . .«
»Etwas wird man für sie doch geben . . .«
»Ja, das schon . . .!«
Tanzbein blickte seinen Freund an, blieb stehen und sagte: »Nun?«
»Das wird schwierig sein . . .« entgegnete der Hoffende unschlüssig.
»Warum?«
»Die Spuren . . . Die Erde ist feucht . . . man wird sehen, wo wir es hingeführt haben . . .«
»Wir wollen ihm Bastschuhe anziehen . . .«
»Wie du willst . . .«
»Los! Wir treiben es in den Wald und warten im Graben bis zur Nacht . . . Nachts führen wir es wieder heraus und bringen es zu den Tataren. Es ist gar nicht weit, so an die drei Werst . . .«
»Warum nicht?« sagte der Hoffende und nickte. »Komm! Ein Sperling in der Hand . . . Daß man uns nur nicht . . .«
»Uns erwischen sie nicht!« sagte Tanzbein überzeugt.
Sie bogen von der Straße ab und gingen, immer nach den Seiten blickend, zum Wald. Das Pferd sah sie an, schnaubte, bewegte den Schwanz und machte sich wieder an das welke Gras.
Auf dem Grunde des tiefen Waldgrabens war es feucht, still und dunkel. Das Bächlein rieselte in der Stille eintönig, traurig, wie klagend. Von den steilen Rändern hingen in den Graben die nackten Zweige von Haselstauden, Brombeeren und Geißblatt herab; hie und da ragte aus der Erde hilflos eine von den Frühlingsgewässern bloßgelegte Baumwurzel. Der Wald war noch tot; die Abenddämmerung verstärkte die leblose Eintönigkeit seiner Farben, und die traurige Stille, die in ihm lauerte, erfüllte ihn mit der düsteren und feierlichen Ruhe eines Friedhofs. Die Freunde saßen schon lange hier in der Stille, im feuchten Dunkel, unter einer Gruppe von Espen, die zusammen mit einer riesengroßen Erdscholle auf den Grund des Grabens herabgerutscht waren. Vor ihnen brannte hell ein kleines Feuer; sie wärmten sich die Hände, legten hie und da etwas Reisig nach und sorgten dafür, daß das Feuer gleichmäßig brenne und keinen Rauch gebe. Nicht weit von ihnen stand das Pferd. Sie hatten ihm das Maul mit einem Ärmel, den sie von den Lumpen des Hoffenden abgerissen hatten, umwickelt und es an einen Baumstamm festgebunden.
Der Hoffende kauerte vor dem Feuer, blickte nachdenklich in die Flammen und pfiff sein Lied; sein Freund hatte sich eine Tracht Weidenruten geschnitten, flocht aus ihnen einen Korb und schwieg, ganz von seiner Arbeit hingerissen. Die traurige Melodie des Bächleins und das leise Pfeifen des elenden Menschen flossen zu einem Akkord zusammen und weinten traurig in der Stille des Abends und des Waldes; ab und zu knisterten die Zweige im Feuer, sie knisterten und zischten, als seufzten sie aus Mitgefühl mit dem Leben, das langsamer als ihr Tod im Feuer und darum auch qualvoller ist.
»Nun . . . werden wir bald gehen?« fragte der Hoffende.
»Noch zu früh . . . Wenn es ganz dunkel wird, dann gehen wir . . .« antwortete Tanzbein, ohne das Gesicht von seiner Arbeit zu heben.
Der Hoffende seufzte und begann zu husten.
»Frierst du, oder was?« fragte ihn sein Freund nach einer langen Pause.
»Nein . . . es ist mir so trüb zumut . . .«
»So!« versetzte Tanzbein und schüttelte den Kopf.
»Es nagt mir am Herzen . . .«
»Die Krankheit . . .«
»Es wird wohl die Krankheit sein . . . Vielleicht auch was anderes.«
Tanzbein schwieg eine Weile und sagte dann: »Denk doch nicht . . .«
»Woran?«
»An nichts . . .«
»Siehst du«, sagte der Hoffende, auf einmal lebhaft werdend, »es ist mir nicht möglich, nicht zu denken. Ich schau' es an« – er zeigte mit der Hand auf das Pferd –, »ich schau' es an und denke mir . . . auch ich habe in meiner Wirtschaft ein solches gehabt . . . Eine Schindermähre zwar, ist aber in der Wirtschaft die Hauptsache! Einmal habe ich sogar ein Paar gehabt . . . gut habe ich damals gearbeitet!«
»Und was hast du dir erarbeitet?« fragte Tanzbein kurz und kühl. »Das mag ich nicht an dir . . . Gleich fängst du zu jammern an . . . wozu?«
Der Hoffende warf schweigend eine Handvoll zerkleinerter Zweige ins Feuer und beobachtete, wie die Funken hinaufflogen und in der feuchten Luft erloschen. Seine Augen zwinkerten, und über sein Gesicht huschten schnelle Schatten. Dann wandte er sein Gesicht dem Pferde zu und beobachtete es lange Zeit.
Das Pferd stand unbeweglich, wie angewurzelt; sein durch den Verband verunstalteter Kopf war traurig gesenkt.
»Man muß es sich einfach überlegen«, sagte Tanzbein ernst und eindringlich. »Wir leben in den Tag hinein, von der Hand am Munde! Hat man was zu essen, so ist es gut; hat man nichts, so jammert man eine Weile und hört dann auf . . . denn das führt zu nichts . . . Wenn du aber so jammerst . . . ist es ekelhaft zuzuhören. Ob es von deiner Krankheit kommt . . .?«
»Wohl von der Krankheit . . .« bestätigte der Hoffende leise. Dann schwieg er eine Weile und fügte hinzu: »Vielleicht auch von Herzensschwäche.«
»Auch das Herz kommt von der Krankheit . . .« erklärte Tanzbein kategorisch.
Er biß mit den Zähnen eine Weidenrute durch, fuhr mit ihr durch die Luft, so daß es pfiff, und sagte streng: »Ich bin gesund und kenne solche Sachen nicht.«
Das Pferd trat von einem Bein aufs andere; ein Zweig knisterte; in den Bach fiel etwas Erde, und in seine stille Melodie kamen einige neue Töne. Zwei Vögel flatterten von irgendwo auf und flogen mit unruhigem Gezwitscher längs des Grabens. Der Hoffende sah ihnen nach und sagte leise: »Was mögen das für Vögel sein? Wenn es Stare sind, so haben sie im Walde nichts zu suchen . . . Die sind meistens in der Nähe von Menschenwohnungen. Ich meine, es sind Seidenschwänzchen . . . es können gar keine anderen sein . . .«
»Vielleicht sind es Kreuzschnäbel«, versetzte Tanzbein.
»Für die Kreuzschnäbel ist es noch zu früh. Auch nisten die Kreuzschnäbel in Fichtenwäldern. Hier haben sie nichts zu suchen . . . Es können nur Seidenschwänzchen sein . . .«
»Laßt sie es sein!«
»Ja, gewiß«, stimmte der Hoffende zu und seufzte aus irgendeinem Grunde schwer auf.
Die Arbeit ging beim Tanzbein schnell vorwärts: er hatte den Boden des Korbes schon fertig und flocht nun mit großer Geschicklichkeit die Seitenwände. Er schnitt die Ruten mit einem Messer ab, biß sie mit den Zähnen durch, bog und band sie mit schnellen Fingern, schnaubte mit der Nase und sträubte den Schnurrbart.
Der Hoffende sah bald auf ihn, bald auf das Pferd, das in seiner traurigen Stellung erstarrt schien, und bald auf den Himmel, der schon fast ganz nächtlich war, aber noch keinen einzigen Stern zeigte.
»Der Bauer wird das Pferd suchen«, begann er plötzlich mit eigentümlicher Stimme, »es ist aber weg . . . Er sucht und sucht – weg ist das Pferd!«
Der Hoffende spreizte die Arme nach beiden Seiten. Sein Gesicht hatte einen dummen Ausdruck, und die Augen zwinkerten so, als sähe er ein grelles Feuer, das plötzlich vor ihm aufgeflammt wäre.
»Was meinst du damit?« fragte Tanzbein streng.
»Es ist mir eine Geschichte eingefallen . . .« sagte der Hoffende schuldbewußt.
»Was für eine?«
»Ja . . . auch die gleiche Sache, daß man ein Pferd weggetrieben hat . . . meinem Schwager, Michailo hat er geheißen . . . war ein so großer Kerl . . . mit Pockennarben im Gesicht.«
»Nun?«
»Nun, man hat es ihm weggetrieben. Es weidete in der Wintersaat und war plötzlich weg! Als Michailo sah, daß er um sein einziges Pferd gekommen war, fiel er zu Boden und fing zu heulen an! Ach, wie er damals heulte, Bruder . . .! Und er fiel hin, als wären ihm die Beine gebrochen.«
»Nun, und?«
»Nun . . . lange lag er so . . .«
»Was geht's dich an?«
Der Hoffende rückte bei der schroffen Frage des Freundes von ihm weg und antwortete schüchtern: »Ja, es ist mir nur so eingefallen. Denn es ist für den Bauern der Tod, wenn man ihm sein Pferd nimmt!«
»Hör mal, was ich dir sagen möchte«, begann Tanzbein streng und sah den Hoffenden durchdringend an. »Hör damit auf. Solche Gespräche führen zu nichts Gescheitem. Hast du es verstanden? Schwager Michailo! Es ist nicht deine Sache.«
»Es tut doch einem leid«, entgegnete der Hoffende achselzuckend.
»Es tut dir leid? Wir aber tun niemand leid.«
»Ach, was soll man davon noch reden . . .!«
»Also schweig . . . Wir müssen bald gehen.«
»Bald?«
»Nun, gewiß . . .«
Der Hoffende rückte ans Feuer, rührte darin mit dem Stock, warf einen Seitenblick auf Tanzbein, der wieder in seine Arbeit vertieft war, und sagte in bittendem Ton: »Geben wir's lieber auf . . .«
»Was hast du doch für eine gemeine Natur!« rief Tanzbein.
»Bei Gott!« sagte der Hoffende leise und eindringlich. »Bedenke doch, es ist gefährlich! Ganze vier Werst müssen wir uns mit ihm schleppen . . . Und wenn die Tataren es nicht nehmen? Was dann?«
»Wie du willst! Es wäre doch besser, es laufen zu lassen . . . soll es nur laufen . . . Siehst doch, es ist halb tot!«
Tanzbein schwieg, aber seine Finger fingen an, sich noch schneller zu bewegen.
»Wieviel wird man dafür wohl geben?« fuhr der Hoffende leise, doch hartnäckig fort. »Jetzt ist aber die schönste Zeit . . . Gleich ist es dunkel – wir gehen aus dem Graben nach Dubenki . . . und schon haben wir etwas Gescheites erwischt.«
Die eintönige Rede des Hoffenden vermischte sich mit dem Rieseln des Baches, schwebte durch den Graben und brachte den fleißigen Tanzbein aus der Fassung.
Er schwieg mit zusammengebissenen Zähnen, und seine Finger brachen vor Erregung die Ruten entzwei.
»Jetzt haben die Weiber die Leinwand zum Bleichen hinausgelegt . . .«
Das Pferd seufzte auf und regte sich. Von der Finsternis eingehüllt, erschien es jetzt noch häßlicher und elender. Tanzbein sah es an und spuckte ins Feuer . . .
»Auch das Geflügel ist jetzt im Freien . . . in den Pfützen . . . sind Gänse . . .«
»Wirst du bald aufhören? Teufel!« rief Tanzbein böse.
»Bei Gott . . .! Sei mir nicht böse, Stepan. Soll es zum Teufel gehen! Wirklich!«
»Hast du heute was gefressen?« schrie ihn Tanzbein an.
»Nein . . .« antwortete der Hoffende verlegen, vom Schrei erschreckt.
»Dann hol' dich der Teufel! Kannst von mir aus verrecken . . . Mir ist es gleich . . .«
Der Hoffende sah ihn schweigend an: er band die Ruten zu einem Bündel zusammen und schnaubte wütend mit der Nase. Der Schein des Feuers fiel auf ihn, und sein böses Gesicht mit dem gesträubten Schnurrbart schien ganz rot.
Der Hoffende wandte sich weg und seufzte schwer.
»Ich sag' ja, mir ist es gleich – tu wie du willst«, begann Tanzbein mit böser, heiserer Stimme.
»So!« erwiderte der Hoffende leise.
»Ich sag' dir aber: wenn du solche Geschichten machst . . . geh' ich nicht mehr mit dir! Laß gut sein! Ich kenne dich ja . . . das ist es . . .«
»Ein merkwürdiger Mensch bist du . . .«
»Kein Wort mehr!«
Der Hoffende duckte sich und begann zu husten; als er ausgehustet hatte, sagte er, schwer atmend: »Warum sage ich das? Weil es mit dem Vieh gefährlich ist . . .«
»Ist schon gut!« rief Tanzbein böse.
Er hob das Rutenbündel auf die Schulter, nahm den halbfertigen Korb unter den Arm und stand auf.
Der Hoffende stand auch auf, sah seinen Freund an und ging mit langsamen Schritten zum Pferd.
»Prrrr . . .! Christus sei mit dir . . . fürchte dich nicht . . .!« ertönte im Graben seine dumpfe Stimme.
»Prrr, prr . . . halt . . .! Nun, geh doch . . . geh. Hü. Dummkopf!«
Tanzbein sah zu, wie sein Freund sich am Pferde zu schaffen machte und ihm die Schnauze aus den Lumpen befreite, und der Schnurrbart des alten Diebes zitterte. »Komm doch, komm!« sagte er und machte einen Schritt vorwärts.
»Ich komme«, antwortete der Hoffende.
Und sie bahnten sich den Weg durch das Gestrüpp und gingen schweigend den Graben entlang, durch das Dunkel der Nacht, das ihn bis an den Rand füllte.
Das Pferd ging ihnen nach.
Dann erklang hinter ihnen das Plätschern des Wassers, das die Melodie des Baches übertönte.
»Das dumme Vieh . . .! In den Bach ist es getreten . . .« sagte der Hoffende.
Tanzbein schnaubte böse mit der Nase und sagte nichts. Im Dunkel und im mürrischen Schweigen des Grabens ertönte das leise Knistern der Sträucher, und dieses Geräusch entfernte sich langsam von der Stelle, wo das rote Häuflein Glut wie ein böses und spöttisches Auge eines Ungeheuers auf der Erde funkelte . . .
Der Mond ging auf.
Sein gespenstisches Licht erfüllte den Graben mit nebligem Scheine; überall lagen Schatten; der Wald war davon noch dichter und die Stille vollkommener und strenger geworden. Die weißen Stämme, der Birken hoben sich, vom Monde versilbert, wie Wachskerzen von dem dunklen Hintergrunde der Eichen, Ulmen und Sträucher ab.
Die Freunde gingen langsam auf dem Grunde des Grabens; das Gehen fiel ihnen schwer: ihre Füße glitten bald aus und versanken bald tief im Schmutz. Der Hoffende atmete schnell, und in seiner Brust pfiff, schnarchte und rasselte es, als hätte er in ihr eine große, lange nicht gereinigte Wanduhr versteckt. Tanzbein ging voraus; der Schatten seiner geraden und großen Figur fiel auf den Hoffenden.
»Da soll man gehen!« sagte er plötzlich brummig und beleidigt. »Wohin soll man gehen? Was sollen wir suchen? Ach ja . . .!«
Der Hoffende seufzte und schwieg.
»Auch ist so eine Nacht kürzer als eine Spatzennase. Wenn wir ins Dorf kommen, ist es schon hell. Und wie gehen wir? Wie Damen, die einen Spaziergang machen . . .«
»So schwer ist es mir, Bruder . . .« sagte der Hoffende leise.
»Schwer?« rief ironisch Tanzbein. »Nun siehst du es! Und warum ist es schwer?«
»Das Atmen ist mir schwer . . .« antwortete der kranke Dieb.
»Das Atmen? Und warum ist es dir schwer?«
»Von der Krankheit . . . wahrscheinlich . .«
»Unsinn! Das kommt nur von deiner Dummheit.«
Tanzbein blieb stehen, wandte sein Gesicht dem Freunde zu, fuchtelte vor dessen Nase mit dem Finger und fügte hinzu: »Wegen deiner Dummheit kannst du nicht atmen . . . jawohl! Verstanden?«
Der Hoffende ließ den Kopf tief sinken und sagte schuldbewußt:
»Gewiß . . .«
Er wollte noch etwas sagen, bekam aber einen Hustenanfall. Er stützte sich mit den zitternden Händen gegen einen Baumstamm und hustete lange, indem er mit den Beinen immer auf dem gleichen Fleck herumtrat, den Kopf schüttelte und den Mund weit aufriß.
Tanzbein blickte ihm aufmerksam in sein eingefallenes, fahles, im Mondlichte grünes Gesicht.
»So wirst du alle Teufel im Walde wecken . . .« sagte er mürrisch.
Und als der Hoffende ausgehustet hatte, und, den Kopf in den Nacken geworfen, frei aufatmete, sagte er ihm im Tone eines Befehles: »Ruh dich aus . . . setzen wir uns!«
Sie setzten sich auf die feuchte Erde in den Schatten der Sträucher. Tanzbein drehte sich eine Zigarette, steckte sie an, betrachtete ihr glimmendes Ende und begann langsam: »Wenn wir zu Hause etwas zum Essen hätten . . . so könnten wir auch nach Hause umkehren . . .«
»Es ist wahr . . .« antwortete der Hoffende und nickte.
Tanzbein sah ihn von der Seite an und fuhr fort: »Da wir aber zu Hause nichts haben, müssen wir gehen . . .«
»Ja, das müssen wir . . .« Der Hoffende seufzte.
»Obwohl wir nirgends hingehen können, denn es kommt doch nichts Gescheites dabei heraus . . . Dumm sind wir, das ist der Hauptgrund! So dumm sind wir . . .«
Die trockene Stimme Tanzbeins durchschnitt die Luft und tat wohl dem Hoffenden weh: er rückte unruhig hin und her, seufzte und röchelte eigentümlich.
»Wie gerne ich aber fressen möchte, das kann ich dir gar nicht sagen!« schloß Tanzbein seine gedehnte, vorwurfsvolle Rede.
Nun stand der Hoffende entschlossen auf.
»Wohin?« fragte Tanzbein.
»Gehen wir.«
»Was bist du so . . . aufgesprungen?«
»Gehen wir!«
»Gehen wir . . .« Tanzbein stand auch auf. »Es hat aber keinen Zweck . . .«
»Schon gut . . . komme, was kommen mag!« sagte der Hoffende und winkte mit der Hand.
»Wie tapfer du auf einmal bist . . .!«
»Gewiß. Hast mir doch genug zugesetzt! Mein Gott!«
»Warum handelst du so dumm?«
»Warum?«
»Ja!«
»Es dauert mich doch!«
»Wer? Was?«
»Wer? Ich meine, der Mensch.«
»Der Mensch?« sagte Tanzbein gedehnt. »Hat man so was gehört . . .! Ach, du, gute Seele, hast auch kein bißchen Grütze im Kopf! Was ist dir der Mensch? Verstehst du es? Er packt dich am Kragen und zerdrückt dich . . . wie einen Floh mit dem Nagel! Dann soll er dich dauern . . . ja! Dann kannst du ihm deine Dummheit zeigen. Er wird dich für dein Mitleid . . . mit allen sieben Plagen peinigen. Alle deine Gedärme wird er dir herausreißen und sich um die Hand wickeln . . . alle deine Adern wird er dir herausziehen, einen Zoll in der Stunde. Ach, du . . . Mitleid! Bete lieber zu Gott, daß man dich einfach ohne jedes Mitleid umbringt, und fertig! Ach, du! Im Regen sollst du zergehen . . .! Mitleid . . . pfui Teufel!«
Er war tief empört, dieser Tanzbein.
Seine schneidende, von Ironie und Verachtung gegen seinen Freund erfüllte Stimme hallte durch den Wald, und die Zweige der Büsche schwankten mit leisem Rauschen, als stimmten sie den strengen und wahren Worten zu.
Der Hoffende ging, von den Vorwürfen erdrückt, mit zitternden Beinen, die Hände in die Ärmel seiner Jacke vergraben und den Kopf tief auf die Brust gesenkt.
»Wart . . .« sagte er schließlich. »Was ist denn? Ich werde mich schon erholen . . . gleich kommen wir ins Dorf . . . ich gehe allein hin . . . du brauchst gar nicht mitzugehen. Ich stehle . . . das erste, was mir in die Hände kommt . . . und dann geht es heim! Wir kommen heim, und ich lege mich hin! Es ist mir so schwer . . . Du sollst nichts sagen . . .«
Er sprach kaum hörbar, schwer keuchend, schnarchend, mit einem Röcheln in der Brust. Tanzbein sah ihn argwöhnisch an . . . er blieb stehen, wollte etwas sagen . . . winkte aber bloß mit der Hand, sagte nichts und ging weiter . . .
Lange gingen sie so, langsam und schweigend.
Irgendwo ganz in der Nähe krähten die Hähne; ein Hund heulte . . . dann erklang ein trauriger Glockenschlag von der Dorfkirche und erstarb im düsteren Schweigen des Waldes . . . Ein großer Vogel stürzte von irgendwoher als großer schwarzer Fleck in das trübe Mondlicht, und das hastige Rauschen und Sausen seiner Flügel klang unheimlich durch den Graben.
»Ein Rabe . . . oder eine Saatkrähe«, bemerkte Tanzbein.
»Hör mal . . .« begann der Hoffende, indem er sich schwer auf die Erde setzte. »Geh du allein, ich bleibe hier . . . ich kann nicht mehr . . . es würgt mich . . . und der Kopf schwindelt mir . . .«
»Da haben wir es!« sagte Tanzbein unzufrieden. »Kannst du wirklich nicht?«
»Ich kann nicht . . .«
»Ich gratuliere! Pfui Teufel!«
»Ich bin ganz schwach geworden . . .«
»Das will ich meinen! Wir treiben uns doch seit dem frühen Morgen ohne zu fressen herum.«
»Nein, es ist wohl . . . mein Ende! Siehst, wie das Blut läuft!«
Der Hoffende hielt seine mit etwas Dunklem beschmutzte Hand dem Tanzbein vors Gesicht. Jener warf einen Blick auf die Hand und fragte mit gedämpfter Stimme: »Was werden wir jetzt anfangen?«
»Du geh . . . und ich bleibe hier . . . vielleicht erhole ich mich noch . . .«
»Wo soll ich hingehen? Vielleicht ins Dorf . . . um ihnen zu sagen, daß es mit dem Menschen schlecht steht . . .?«
»Nein . . . paß auf, sie werden dich noch schlagen.«
»Das ist wahr . . . Wenn man ihnen nur in die Hände kommt . . .!«
Der Hoffende warf sich auf den Rücken und hustete dumpf, ganze Klumpen geronnenen Blutes ausspuckend.
»Es läuft?« fragte Tanzbein, über ihm stehend, doch auf die Seite blickend.
»Es läuft stark . . .« sagte der Hoffende kaum hörbar und bekam einen neuen Hustenanfall.
Tanzbein fluchte laut und unflätig.
»Wenn man doch jemand rufen könnte!«
»Wen denn?« fragte der Hoffende traurig.
»Vielleicht . . . stehst du doch noch auf und gehst . . . langsam . . .?«
»Ach, nein . . .«
Tanzbein setzte sich zu Häupten seines Freundes, umschlang seine Knie mit den Armen und fing an, ihm ins Gesicht zu sehen. Die Brust des Hoffenden hob und senkte sich ungleichmäßig, mit einem dumpfen Röcheln, seine Augen waren eingefallen, die Lippen aber hatten sich eigentümlich gedehnt und schienen an den Zähnen zu kleben. Aus dem linken Mundwinkel rieselte über die Wange ein lebendiges dunkles Bächlein.
»Läuft es noch immer?« fragte Tanzbein leise, und im Ton seiner Frage klang etwas wie Andacht.
Das Gesicht des Hoffenden zuckte.
»Es läuft . . .« röchelte er leise.
Tanzbein beugte den Kopf zu den Knien und verstummte. Über ihnen hing der von den Frühlingsgewässern tief durchfurchte Grabenrand herab. Von oben blickte eine Reihe zottiger, vom Monde beschienener Bäume in den Graben herein. Der andere, weniger steile Grabenrand war ganz mit Sträuchern bewachsen; hie und da ragten aus der dunklen Masse des Gesträuchs graue Espen, und in ihrem nackten Geäst konnte man deutlich die Krähennester unterscheiden. Der vom Mondlicht übergossene Graben war wie ein Traumgesicht, wie ein langweiliger, aller Schönheit des Lebens barer Traum; und das stille Rieseln des Baches vergrößerte noch diese Leblosigkeit, unterstrich diese beklemmende Stille.
»Ich sterbe . . .« flüsterte der Hoffende kaum hörbar. Dann wiederholte er es laut und deutlich: »Ich sterbe, Stepan!«
Tanzbein fuhr am ganzen Körper zusammen, rückte hin und her, schnaubte, hob den Kopf von den Knien und sagte verlegen und leise, als fürchtete er, etwas zu stören: »Du . . . fürchte dich nicht! Macht nichts . . . vielleicht ist es . . . nichts! Bei Gott!«
»Herr Jesu Christ . . .« stöhnte der Hoffende schwer auf.
»Macht nichts!« flüsterte Tanzbein, sich über sein Gesicht beugend. »Nimm dich etwas zusammen . . . vielleicht vergeht es noch . . .«
Aber der Hoffende begann wieder zu husten; aus seiner Brust kam ein neuer Ton; es klang, wie wenn ein nasser Lappen gegen seine Rippen schlüge. Tanzbein sah ihn an und bewegte den Schnurrbart. Nachdem er ausgehustet hatte, fing der Hoffende an, laut und abgerissen zu atmen, als liefe er sehr schnell irgendwohin. Lange atmete er so und begann dann: »Verzeih mir, Stepan . . . wenn ich . . . das Pferd . . . verzeih mir, Brüderchen . . .!«
»Verzeih du mir . . .« unterbrach ihn Tanzbein. Er schwieg eine Weile und fügte dann hinzu: »Und ich . . . wo soll ich jetzt hin? Und was soll jetzt sein?«
»Macht nichts! Gott gebe dir . . .«
Er sprach den Satz nicht zu Ende, stöhnte auf und verstummte.
Dann fing er an zu röcheln . . . dann streckte er die Beine aus . . . ein Bein warf er auf die Seite.
Tanzbein sah ihn unverwandt an. Die Minuten gingen so langsam dahin wie Stunden.
Da hob der Hoffende den Kopf; er fiel aber gleich wieder kraftlos auf die Erde.
»Was ist, Bruder?« fragte Tanzbein, sich über ihn beugend.
Jener antwortete aber nicht mehr, sondern lag ruhig und unbeweglich da.
Tanzbein saß noch eine Weile ernst neben seinem Freund, stand dann auf, zog die Mütze, bekreuzigte sich und ging langsam den Graben entlang. Sein Gesicht war spitz geworden, seine Brauen und Schnurrbart sträubten sich, und er schritt so fest dahin, als schlüge er die Erde mit den Füßen, als wollte er ihr weh tun.
Es tagte. Der Himmel war grau und unfreundlich; im Graben herrschte eine düstere Stille; bloß der Bach fuhr, ohne jemand zu stören, in seiner eintönigen trüben Rede fort.
Da raschelte es aber . . . ein Erdklumpen war auf den Grund des Grabens gerollt. Eine Saatkrähe erwachte, schrie unruhig auf und flog davon. Dann zwitscherte hell eine Meise. In der feuchten kalten Luft des Grabens hatten die Töne nur ein kurzes Leben: sie entstanden und starben gleich dahin . . .