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Und eines schönen Tages, beim Mittag, sagte die Mutter zu Wanjuschka Kusin:
»Wanja, du solltest fort, in die Stadt.«
Wanjuschka sagte nichts, er schälte eine heiße Kartoffel, blies sich geräuschvoll auf die Finger, formte seine Lippen zum Trichter und hob und senkte ärgerlich die Brauen.
Die Mutter sah ihm in sein rundes, jugendliches Gesicht, seufzte und sagte noch einmal, mit gedämpfterer Stimme:
»Du solltest fort, wirklich . . .«
»Und dann?« fragte Wanjuschka und ließ die Kartoffel aus einer Hand in die andere wandern.
»Ja, nimm halt dein Beil und geh . . .«
»Da giebt's genug solche, wie ich einer bin, mit Beilen . . .«
»Na, dann nimmst du die Schaufel . . . Jetzt wird ja bald das Eis in die Keller geführt . . . Hier kannst du Holz hacken, dort bekommst du was anderes . . . Weißt du, und so kannst du dich so durchfüttern. Geh doch nur, Wanja . . .
Wanjuschka hatte große Lust, in die Stadt zu gehen, aber er antwortete der alten Frau mit keiner Silbe. In den zwei Wochen, seit sein Vater tot war, hatte Wanjka sich als durchaus unabhängiger Mann fühlen gelernt. Auf dem Leichenschmaus für den Vater hatte er zum erstenmal Branntwein getrunken, ohne daß ihm einer dafür was gethan hätte, und seitdem ging er im Dorf herum, die Brust heraus, die Brauen wichtig und sorgenvoll hinaufgezogen, und redete mit seiner Mutter in der kurzen, abgehackten Art, die er von seinem Vater her kannte . . .
Nach dem Mittag machte sich die alte Frau daran, ihren Pelz zu flicken, und Wanjuschka kroch auf den Ofen, räkelte sich ein halbes Stündchen und fragte schließlich seine Mutter:
»Wieviel Geld hast du?«
»Einen Rubel sechzig . . .«
»Gieb mir die sechzig . . .«
»Wozu hast du sie nötig?«
»Auf die Reise.«
»Du gehst fort?«
»Ich werd' wohl . . .«
»Na also . . . Geh nur, Wanjka . . . Und wann willst du?«
»Morgen.«
Bei Tagesanbruch segnete die Mutter ihn mit dem kupfergefaßten Heiligenbild des Gottesmannes Nikolai.
Wanjuschka verneigte sich träge, schob sein Beil in den Gürtel, zog sich die Mütze über die Ohren, klopfte sich mit den Händen, die in großen Fausthandschuhen steckten, auf die Schenkel und sagte:
»Also marsch! Adjes . . .«
»Behüt' dich Gott, Wanja! Nimm dich nur in acht vor den Stadtleuten . . . Sieh dich vor mit ihnen – sie sind schlau. Und trink mir keinen Schnaps . . . Sieh dich vor!«
»Schon gut,« sagte Wanja, schob die Mütze flott auf ein Ohr und trat auf die Straße.
Es war noch dunkel. Er war noch keine zehn Schritte von der Hütte entfernt, aber als er sich jetzt auf den Ruf der Mutter, die in der Thür stand, wendete, konnte er sie in der Finsternis nicht mehr sehen. Er vernahm nur ihre Worte, die in der Stille der Nacht seltsam laut klangen.
»Der Schnaps kann einen hin machen, Wanja . . . Und mit den Weibsbildern in der Stadt sieh dich vor . . . Da kriegt eins eine schlechte Krankheit, wie nichts . . .«
»Adjes!« rief Wanjuschka.
Und da auf einmal wurde ihm weh ums Herz, weil er fort mußte von der Mutter, aus seinem Dorf, seiner baufälligen Hütte. Er blieb stehen und horchte . . . Aber es lag schon wieder alles still, – die Mutter war hineingegangen. Er seufzte, dann schritt er der regungslosen, lautlosen Dunkelheit entgegen, in der noch keine Ahnung der Dämmerung war . . .
Als er über die Felder ging, dachte er darüber nach, daß es ihm in der Stadt vielleicht glücken und er ein hübsches Stück Geld verdienen könnte, und wie er dann im Frühjahr nach Hause kommen und Wassilissa Schamoff heiraten würde. Und er sah Wassilissa vor sich, rund, stark, sauber . . . Aber vielleicht würde er auch eine Stelle als Hausknecht bei einem tüchtig reichen Kaufmann finden und dann natürlich nicht Wassilissa heiraten, sondern irgend ein Mädel aus der Stadt. So ging er dahin, und hinter ihm entbrannte der Himmel, die dichten Schatten ringsum schwanden mählich, und auf den Schnee legten sich blaßgelbe Strahlen der Wintersonne. Der Schnee unter seinen Füßen knirschte lustiger und lauter, und Wanjuschka stimmte ein Lied an. Drei Zwanziger klingelten in seiner Hosentasche, und durch seinen Kopf schwammen langsam unter den Klängen des Liedes Zukunftsgedanken und Zukunftsträume.
Es ging sich gut, der Schnee auf der Straße lag glatt und ballte sich nicht unter den Füßen, die Frostluft floß tief in die Brust hinein und erfüllte sie mit einem munteren Gefühl, und die blaue Ferne lag schön und freundlich und lockte und winkte. Die paar Leute, die ihm hie und da entgegenkamen, sahen Iwan mit freundlichen, guten Augen an. Reif hängte sich an Wanjuschkas noch kaum bemerkbaren Schnurrbart, und der junge Bursche stülpte seine Oberlippe vor und schielte vergnügt auf sie hinunter – sein Schnurrbart deuchte ihn lang und schön . . . Ein großer, kohlschwarzer Rabe spazierte seitwärts vom Wege gravitätisch durch den Schnee. Wanjuschka pfiff. Aber der dunkele Vogel blinzelte nur mit einem Auge zu ihm hinüber und kam watschelnd noch näher an die Straße heran. Da schlug Iwan die Fausthandschuhe zusammen, daß es wie ein Schuß klang, aber auch dies jagte dem Vogel keinen Schrecken ein . . .
»Der Teufel!« brummelte Kusin und schritt schneller aus.
Um Mittag, als er schon mehr als die Hälfte des Weges hinter sich hatte, sprang auf dem Felde ein Schneetreiben auf. Bald hier, bald da stoben von den Schneewehen leichte, durchsichtige Wölkchen in die Höh' und flogen dahin, sie begegneten sich und überschütteten einen mit kaltem, weißem Staub. Manchmal stieg direkt vor Iwans Füßen eine Flockenherde auf, als wollte sie den Burschen am Weitergehen hindern; und dann stieß ihn wieder der Wind in den Rücken, als wollte er ihn vorwärts dringen. Die Ferne verschwand in dunkelen Wolken, der Wind sauste und fuhr über die Erde und verwehte die Spuren, er flog die Straße entlang und ließ ein gedehntes, trauriges Heulen hören. Die Menschen und die Pferde, die ihm entgegenkamen, tauchten auf und verschwanden, wie Steine im Wasser. Wanjuschka machte die Augen zu und ging in der Dunkelheit, durch das Tosen und den schwermütigen Sang des Schneesturms, in seinen Hüften fühlte er ein Reißen, seine Sohlen wurden schwer . . . Stolpernd ballte er den Schnee mit seinen Füßen und dachte wütend an seine Mutter:
»Sie sitzt warm . . . und ich, ich kann . . .«
Aber dann wurde er so müde, daß er überhaupt an gar nichts mehr dachte und nur den einen Wunsch hatte, möglichst bald in die Stadt zu kommen, sich im warmen Zimmer auszuruhen, ein Glas Thee zu trinken. Mit krummem Rücken und hängendem Kopf ging er dahin, wie ein Ochse, und bemerkte nichts um sich herum, bis er endlich durch das Tosen des Schneesturms das klagende Geheul einer Fabriksirene vernahm. Da blieb er stehen, richtete sich auf und atmete tief. Und dann zog er sein Geld aus der Tasche und steckte es in den Mund, zwischen Wange und Zähne, damit es mit seinem Klang die Stadtleute nicht in Versuchung führte . . .
Durch den grauen Schneeschleier gesehen, glich die Stadt einer schweren Wolke, die sich auf die Erde gesetzt hatte. Es wurde zur Vesper geläutet. Der Wind trug den brummenden Sang der Glocken durch die Luft und verwehte ihr kupferstimmiges Lied, Wanjuschka nahm seine Mütze vom Kopf, bekreuzigte sich und sagte vor sich hin:
»Da wären wir also glücklich . . .«