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Versetzen wir uns in den einen der kleineren Hörsäle einer Universität und wohnen wir im Geiste der Vorlesung oder besser gesagt einer sogenannten seminaristischen Übung bei, die ein Professor und Doktor der Medizin mit einer Anzahl seiner Studenten, lauter Medizinbeflissenen, vornimmt. Er hat in seinen eigentlichen Vorlesungen bereits alles besprochen, was zum Verständnis der Wissenschaft des Hypnotismus nötig ist und gibt seinen Zuhörern, zukünftigen Ärzten, nunmehr praktische Anweisungen, wie Suggestionsexperimente und Versetzungen in hypnotischen Zustand vorgenommen werden sollen. Indem wir im Geiste solchen Übungen beiwohnen, lassen wir die direkte Anredeform auf uns als Leser in voller Eindringlichkeit wirken, und lernen so gleichsam mit eigener Anschauung – wenn auch nur mit geistigen Augen – die praktische hypnotische Betätigung kennen. Allerdings würden wirkliche seminaristische Übungen so gehandhabt werden, daß sie gleichzeitig den Nachweis bestimmter physiologischer und psychologischer Reaktionen erbrächten, die von klinischer Bedeutung, von Wert für die Praxis des Arztes sind, wir aber bringen zum leichteren Verständnis unserer Leser, die mit der medizinischen Terminologie doch kaum vertraut sein dürften, Beispiele mehr allgemeiner Natur, die aber zu Genüge den Stärkegrad kennzeichnen, bis zu welchem für eine geeignete Versuchsperson Suggestion und Hypnose zugänglich werden kann. Hören wir nun dem Professor zu:
»Meine Herren! Sie haben in meinen Vorlesungen sich über Begriff, Wesen, Bedingungen der Suggestion und Hypnose theoretisch eingehend unterrichten können. Heute wollen wir die praktische Nutzanwendung ziehen, d. h. wir wollen Versuche anstellen, die uns einen Überblick über die Ausdehnungsmöglichkeit der Suggestionswirkungen geben sollen. Ich werde Ihnen später eine Versuchsperson vorstellen, mit der wir einige Experimente vornehmen wollen. Zunächst noch einige Vorbemerkungen:
Wer immer von Ihnen selbst hypnotisieren will, muß unbedingt vor allem die innere Überzeugung haben, tatsächlich hypnotisieren, sich in erfolgreichen Kontakt mit der Versuchsperson setzen zu können. Versetzen Sie sich selbst zunächst in eine gewisse Autosuggestion, sagen Sie sich selbst immer wieder:
›Ich bin mit den Gesetzen der persönlichen Beeinflussung vollkommen vertraut! Ich habe den festen Willen, auf den zu Suggestionierenden einzuwirken! Ich werde Suggestionen mit Erfolg durchführen! Ein Mißerfolg kommt für mich nicht in Betracht!‹
Was ich Ihnen über die Eignung zum Hypnotisieren nach der Charakterseite und nach der Seite des persönlichen Auftretens hin gesagt habe, rufen Sie sich bitte ins Gedächtnis. Ebenso das, was ich über die Eignung zum Hypnotisiertwerden darlegte.
Wir haben nun zwischen Wachsuggestion und Versetzung in hypnotischen Schlaf zu unterscheiden, obschon, wie Sie aus meinen theoretischen Ausführungen wissen, die Grenzen etwas sehr flüssig sind. Dem einen von Ihnen werden je nach seiner Befähigung wie nach der Eignung des Versuchsobjektes bereits schon Wachsuggestionen gelingen, während den anderen erst der längere Weg über die Versetzung in hypnotischen Schlaf zum Ziele bringen wird. Stellen wir uns vor, die Versuchsperson wäre hier anwesend, einer von Ihnen tritt auf sie zu und sagt nun ungefähr folgendes:
›Mit Ihrem Einverständnis werde ich jetzt mit Ihnen einige Suggestions-Versuche vornehmen. Diese sind ganz ungefährlich und auch nach deren Ablauf haben Sie keinerlei Nachteile körperlicher oder geistiger Natur zu fürchten. Richten Sie Ihre Gedanken ganz auf das, was ich Ihnen sage. Haben Sie den ernstesten Willen, mich bei meinem Vorhaben zu unterstützen. Wenn Sie innerlich mit mir widerstreben, hat das gar keinen Zweck.‹
Nach diesen Äußerungen beginnen Sie mit der eigentlichen Suggestionshandlung, deren Verlauf wir kennen lernen werden. Da hängt es eben von der beiderseitigen Tätigkeit oder Eignung ab, ob schon eine sogenannte Wach-Suggestion genügt oder ob der eigentliche tiefere hypnotische Schlaf angestrebt werden muß.
Einige Autoren greifen bei dieser Suggestionsvornahme zu Mitteln äußerer Unterstützung. Dieselben bestehen teilweise in körperlichen Handlungen seitens des Suggestionierenden, wie z. B. in bestimmten Strichführungen der Hand am Kopfe oder Körper der Versuchsperson. Ich, meine Herren, stehe zwar persönlich auf dem Standpunkte, daß derartige Streichvornehmungen lediglich eine Wortsuggestion unterstützen, daß die letztere in Wahrheit immer das Allerwesentlichste bleibt. Andere wiederum glauben, daß dieses Streichen der Hände einen direkten Einfluß auf die Nervensubstanz der Versuchsperson ausübe. Wie dem auch sein möge, ich stelle Ihnen frei, Ihre Suggestionsabsicht durch Streichen mit der Hand von der Mitte der Stirn nach rechts und links seitwärts hinunter, über die Schläfen hinweg oder auch durch Striche von der Achsel ausgehend die Arme oder die Brust hinab abwärts zu unterstützen. Nach meiner Auffassung werden durch solche Manipulationen im Grunde in der Versuchsperson eben nur die Vorstellungen unterstützt, daß jetzt etwas mit ihr geschehe, der Wille zum Mittun wird in gewissem Sinne körperlich beeinflußt. Aber je mehr Sie mit einer Versuchsperson Experimente erfolgreich durchführen, desto mehr wird sich die Überflüssigkeit solcher Maßnahmen erweisen. Das gleiche gilt natürlich von den anderen Unterstützungsformen, die gebraucht werden, um die Aufmerksamkeit der Versuchsperson zu fixieren. Es sind da die verschiedenartigsten Hilfsmittel im Schwange. Man läßt die Versuchsperson beispielsweise auf einen glänzenden Gegenstand, einen kleinen Kristall, einen schwarzen Fleck auf weißer Wand, einen Hellen Nagelkopf, eine Krawattennadel und dergleichen blicken. Das angestrengte Hinsehen auf einen derartigen Gegenstand mag in der Tat die Aufmerksamkeit der Versuchsperson sammeln und vor allem das Abirren des Auges und damit der Sinne auf andere Gegenstände im Raume hemmen oder ganz unterdrücken – jedenfalls läßt sich die Wirksamkeit solcher Hilfsmittel nicht leugnen. Aber, meine Herren, auch diese Hilfsmittel haben gleichwohl nur die Bedeutung von unterstützenden Maßnahmen und ich persönlich glaube keinesfalls, daß sie etwa eine ursächliche Bedingung darstellen, auf Grund deren nur Suggestionswirkungen zustande kommen könnten. Wer aber von Ihnen glaubt, daß solche Fixationen angebracht und wirksam seien, mag immerhin zu ihnen greifen.
Nehmen wir an, die Versuchsperson sei eingetreten. Lassen Sie sie in einen bequemen Stuhl niedersetzen; Sie treten auf sie zu, ergreifen vielleicht auch ihre Hand – wenn Sie wollen, bedienen Sie sich auch der oben genannten unterstützenden Mittel (Streichungen oder Fixationen) – und nun erteilen Sie eine Wortsuggestion ungefähr folgenden Inhalts:
›Ich werde jetzt mit Ihnen einfache und unschädliche hypnotische Versuche anstellen. Sie müssen den guten Willen haben, mir in allem zu folgen, was ich Ihnen sagen werde.‹
Wenn bei der Versuchsperson jener suggestive Zustand jetzt noch nicht eingetreten sein sollte, wie ich Ihnen denselben in meinen theoretischen Ausführungen eingehend geschildert habe, gehen Sie dann dazu über, sie in den hypnotischen Schlaf zu versetzen. Sie fahren dann also fort:
›Sie werden jetzt auf meinen Befehl hin einschlafen. Sie werden aber gleichwohl alles hören, was ich Ihnen sage und alle meine Befehle ausführen. Ihre Augen fangen an, müde zu werden. – Sie werden müde. – Sie fühlen sogar den Schlaf. – Sie sind jetzt nicht mehr imstande, die Augenlider zu heben. – Ich werde jetzt bis drei zählen. – Wenn ich bis drei gezählt habe, sind Sie eingeschlafen. – Eins – zwei – drei. – Sie schlafen jetzt. – Ihr Schlaf wird immer tiefer. – Ich kann Sie nicht mehr ermuntern. – So, jetzt schlafen Sie vollkommen fest.‹ –
Und nun ist die Versuchsperson in dem Zustand, den Sie wünschen, und sie wird Ihnen auf alle Ihre Befehle hin genau gehorchen.
Sie werden, meine Herren, nicht immer diese Wortsuggestion nötig haben. Suggestible Personen werden schon durch das Bewußtsein, daß hier etwas dergleichen mit ihnen vorgenommen werden soll, in den gewünschten Zustand der völligen Hingabe verfallen. Es wird schon ein nur sekundenlanges Anblicken, ein Handergreifen, ein wortloses Streichen mit den Händen, auch eine kurze Fixation mittels der oben erwähnten Gegenstände genügen. Jedenfalls tun Sie gut, und auch die Praxis wird Sie dazu zwingen, erst aus den leichteren Stadien allmählich zu tieferer Beeinflussung überzugehen. Die Versuchsperson muß sich immer – halten Sie das fest, meine Herren – allmählich auf den Suggerierenden einstellen. Ist dies geschehen, nach dem Verlaufe einer Reihe von Sitzungen, dann bedarf es erfahrungsgemäß vielfach überhaupt nicht mehr umständlicherer Wortsuggestionen.
Ich werde Ihnen jetzt eine Versuchsperson vorstellen, und mit derselben durch einen Herrn aus Ihrer Mitte bestimmte Experimente vornehmen lassen.«
Der Professor ruft den Diener, gibt ihm den Auftrag, Fräulein Valeska Pierer von der Station 66 zu holen. Nach einiger Zeit tritt das Mädchen ein, eine vollreife Person, ohne merkbare pathologische Züge. Der Professor stellt sie den Anwesenden vor. Wir kürzen ihren Namen zweckmäßig mit V. P. ab (was wir für uns auch gleichzeitig mit Versuchsperson deuten können). Nun wendet sich der Professor an die V. P. mit folgenden Worten:
›Mein Fräulein, Herr E. wird mit Ihnen einige Suggestionsversuche vornehmen, die für Sie ganz ungefährlich sind, die aber der Wissenschaft zum Nutzen sein sollen. Haben Sie die Güte, Ihr Einverständnis zu erklären. Ich danke Ihnen, daß Sie uns dasselbe geben. Sagen Sie uns aber offen, ob Sie etwa innerlich ein gewisses Widerstreben haben. Nicht? Umso besser.‹
Der Professor, ein erfahrener Hypnotiseur, hat die Hand der V. P. ergriffen und sie nach kurzem Anblicken bereits in einen tief suggestionierten Zustand gebracht. Er fügt noch die Worte hinzu:
›Sie werden von jetzt ab nur noch den Weisungen des Herrn E. folgen. Sie kennen ihn. Dort der Herr mit schwarzem Haar, in heller Weste. Nur was dieser Herr zu Ihnen sagt, kommt für Sie in Betracht. Was sonst im Raume vorgeht, hören und bemerken Sie nicht.‹
Nun wendet er sich wieder an seine Hörer:
»Meine, Herren, ich habe zur Erleichterung der Sache unsere V. P. bereits selbst hypnotisiert. Sie sehen, sie reagiert bereits nicht mehr auf meine Worte.«
Er macht den entsprechenden Versuch, der gemäß seiner vorhergehenden Suggestion, daß die V. P. nur auf Herrn E. hören solle, mißlingt und somit in Wahrheit gelingt.
›Sie werden jetzt, mein lieber Herr E., ihr einige Suggestionen erteilen. Was ich Ihnen sage, nimmt unsere V. P. nicht wahr, erst durch Ihren Mund kommt der Inhalt ihr zu Bewußtsein. Versuchen wir es zunächst, die äußere Bewegungsfreiheit der Glieder der V. P. zu beeinflussen. Ergreifen Sie den Arm der V. P., legen Sie ihn, Herr E., flach auf Ihre eigene rechte Hand.‹
Alle Anordnungen des Professors müssen sich unsere Leser, was Wort und Tat anlangt, unmittelbar darauf als geschehen vorstellen.
»Jetzt sagen Sie zu der V. P.:
›Sie fühlen, wie Ihr Arm steif wird. Sie können ihn nicht mehr beugen. Ihre Hand wird jetzt schwer wie Blei. Sie können die Hand nicht mehr bewegen. Sie können den Arm nicht mehr in die Höhe heben. Ihr Arm bleibt jetzt ausgestreckt. Sie werden ihn weder nach unten noch nach oben bewegen.‹
Sie sehen, meine Herren, nachdem Herr E. getan hat, was ich ihm sagte, haben wir jetzt einen kataleptischen Zustand unserer V. P. und in Wirkung dessen eine Erstarrung ihres rechten Armes erzielt. Wir können diese unnatürliche Haltung eine sehr lange Weile fortdauern lassen, sehen aber – davon ab und wollen jetzt den Einfluß des Herrn E. wieder aufgehoben sehen. Suggerieren Sie bitte, Herr E., jetzt folgendes:
›Ihr Arm bekommt seine volle Bewegungsfreiheit wieder. Sie können die Hand und Gelenke bewegen, den Ellbogen beugen. Bringen Sie ihren Arm in die natürliche Lage.‹
Auch diese Suggestion ist, wie Sie sehen, vollkommen wirksam geworden. Ich brauche Sie nicht weiter mit Versuchen ähnlicher Art zu langweilen. Sie können sich selber meine Herren, denken, daß die verschiedenartigsten Versuche möglich sind, die Ihnen alle zeigen, wie sehr die willkürlichen Bewegungen der Gliedmaßen durch Suggestionshandlungen beeinflußbar sind. Stehen, gehen, sich hinlegen, sich wieder erheben, Augen schließen und Augen öffnen, Arme, Beine, Hände und Füße, Rumpf und Kopf in diese oder jene Lage bringen – das alles ist im Grunde nur ein und dasselbe.
Gehen wir jetzt dazu über, unsere Versuchsperson daraufhin zu prüfen, wieweit ihre subjektiven Wahrnehmungen beeinflußbar bez. veränderbar sind. Herr E., bitte nehmen Sie diesen Bleistift und legen Sie ihn auf den Fußboden. Jetzt sagen Sie zu der V. P.:
›Vor Ihnen habe ich jetzt ein hohes Brett aufstellen lassen von einem halben Meter Höhe. Sehen Sie das Brett. Schön, Sie sehen es. Versuchen Sie jetzt, über dieses Brett hinwegzusteigen! So. Sie haben es getan. Jetzt steigen Sie wieder rückwärts. Das Brett ist sehr hoch. Aber ich werde jetzt einen Balken über zwei Stühle in dreiviertel Meter Höhe legen. Hier liegt der Balken. Springen Sie über ihn hinweg.‹
Nachdem unser Herr E. die Suggestion erteilt hat, haben Sie gesehen, meine Herren, wie unsere V. P. nicht wahrnahm, daß hier in Wahrheit nur ein Bleistift auf dem Fußboden liegt, sondern daß sie vielmehr genau erst die Schrittbewegungen gemacht hat, die dazu gehören, um ein Brett von einem halben Meter zu überschreiten, und dann die Sprungbewegung ausgeführt hat, die zum Nehmen eines Hindernisses von Dreiviertelmeter Höhe nötig ist. In der Versuchsperson ist also lediglich durch Suggestion die optische Täuschung erzielt worden, daß die suggerierten Gegenstände tatsächlich vorhanden seien und es sind in ihr jene körperlichen Aktionen ausgelöst worden, die dem wirklichen Vorhandensein der suggerierten Gegenstände in Verbindung mit der von ihr gewünschten Handlung entsprechen.
Gemäß meiner Ausführungen in den Vorlesungen sind natürlich alle anderen Organe einzeln für sich oder mehrere zusammen suggestiv beeinflußbar. Herr E., hier haben Sie eine kleine Tüte voll Zucker, erteilen Sie der V. P. jetzt folgende Suggestion:
›Ich habe hier eine Tüte voll des stärksten weißen Pfeffers. Sehen Sie hier, ein ganzes Pfund. Bitte riechen Sie daran, ziehen Sie die Luft scharf ein, Sie müssen niesen. Natürlich, das ist auch kein Wunder. Es ist ja der schärfste Pfeffer, den es gibt.‹
Herr E. hat, wie Sie alle gesehen haben, unserer V. P. lediglich diese Tüte, gefüllt mit Zucker, an die Nase gehalten und Sie haben alle das krampfhaft langandauernde Niesen gehört, womit die V. P. auf das angeblich vorhandene Pfund Pfeffer reagiert hat. Sie sehen hieraus, meine Herren, daß auch Funktionen, die der willkürlichen Hervorbringung völlig entzogen sind, durch suggestive Beeinflussung in Erscheinung treten können. Noch deutlicher soll Ihnen diese Tatsache folgendes Experiment veranschaulichen: Bitte Herr E., nehmen Sie diesen Apfel und überreichen Sie ihn der V. P. mit folgender Suggestion:
›Ich habe hier eine große Zwiebel, nehmen Sie bitte dieses Messer und zerschneiden Sie diese Zwiebel möglichst dicht an Ihrem Gesicht auf diesem Teller. Ihre Augen beginnen zu tränen, kaum können Sie es mehr aushalten, die Zwiebel beißt auch zu sehr, aber schneiden Sie ruhig weiter. So, jetzt sind Sie fertig und nun essen Sie die Zwiebel auf. Sie können sie nicht aufessen, sie ist Ihnen zu scharf. Na gut, da lassen Sie den Rest liegen.‹
Auch in diesem Falle, meine Herren, haben wir genau diejenigen Folgen beobachten können, die einem normalen Geschmacks- und Geruchsvermögen beim Zerschneiden und Aufessen einer scharfen Zwiebel zustoßen. Auch hier wieder Erscheinungen, die gemeinhin von niemandem willkürlich erzeugt werden können. Die Kraft der Suggestion war also so stark, daß hier ein sichtliches Röten der Augenlider, ein heftiges Tränen aus den Augenwinkeln, das Verziehen der Gesichtsmuskeln, die von den Geschmacksnerven her beeinflußt werden, und alle sonstigen damit verknüpften Erscheinungen zutage traten.
Auch die akustische Aufnahmefähigkeit einer Suggestionierten läßt sich ganz nach dem Inhalt der erteilten Suggestion modeln. Ich weiß zufällig, daß die V. P. auf das Kratzen mit einem Messer an einem Tellerrande im Wachzustande regelmäßig mit der Verlautbarung äußersten Mißbehagens antwortet. Es liegt hier also eine der bekannten Idiosynkrasien gegen Geräusche vor, wie wir Menschen sie alle mehr oder weniger, bald so, bald so gestaltet, haben. Andererseits wiederum weiß ich, daß die Versuchsperson von dem Largo von Händel, auf der Geige vorgetragen, aufs innigste ergriffen und aus Bestimmten Gefühlszusammenhängen heraus, die wir hier nicht weiter erörtern können, bis zu Tränen gerührt zu werden pflegt. Hier haben Sie eine Geige, Herr E., wir wissen ja alle, daß Sie sie meisterlich beherrschen. Nun spielen Sie zunächst einige Sätze aus dem Largo und danach kratzen Sie mit diesem Messer hier an dem Tellerrand. Erteilen Sie aber die entgegengesetzte Suggestion, indem Sie bei Ihrem Geigenspiel das Messergekratze suggerieren und bei dem letzteren das Largo.
›Ich werde Ihnen jetzt das Largo von Händel vorspielen. Sie hören dasselbe sehr gern. Man sagt, ich sei ein Meister auf der Geige. Nicht wahr, es klingt herrlich. An Ihrer Miene sehe ich, daß Sie hingerissen sind. Es ergreift Sie zu sehr, ich will darum abbrechen. – Hier habe ich einen Teller und ein scharfes Messer. Ich kratze mit letzterem auf dem Tellerrand. Hören Sie das? Sie zucken zusammen. Sie halten sich die Ohren zu. Sie können das anscheinend nicht vertragen. Gut, so hören wir auch damit auf.‹ –
Herr E. hat uns soeben zunächst das uns allen selber höchst unangenehme Geräusch des Messerkratzens und darnach erst sein in der Tat vortreffliches Geigenspiel vor die Ohren gebracht. Während wir aber alle mit unseren Gehörnerven sachentsprechend reagierten, sahen wir, daß die V. P. gemäß der erteilten Suggestion umgekehrt reagierte. Bei der Erheblichkeit und Unterschiedlichkeit der empfangenen Gehörseindrücke wird Ihnen, wie übrigens allenthalben bei unseren Versuchen, der Stärkegrad des Suggestionierbaren besonders deutlich geworden sein.
Es bleibt uns noch von den fünf Sinnen der Tastsinn, in diesem Falle die Tastempfindlichkeit übrig, die wir ebenfalls experimentell beeinflussen können. Unsere V. P. ist im Wachzustand eine Person von durchaus normaler Sensibilität der Epidermis, aber Sie werden sehen, daß diese sich ganz anders unter dem Einflusse entsprechender Suggestionen verhält. Bitte, Herr E., geben Sie der V. P. die nachfolgende Suggestion:
›Ich werde jetzt mit einer Nadel in Ihren Arm stechen, ich werde ziemlich tief stechen. Ich sichere Ihnen aber zu, daß Sie nicht den geringsten Schmerz empfinden werden, höchstens ein leises Kitzeln.‹ –
Obschon unser Herr E. vor unseren Augen die Nadel tief in den Arm hineingestochen hat – Sie sahen alle die Blutstropfen – haben wir weder aus dem Munde unser V. P. einen Schmerzenslaut gehört, noch ihre Gesichtsmuskeln sich irgendwie verziehen gesehen. Umgekehrt werden wir eine starke Empfindungsfähigkeit feststellen, obschon die physische Grundlage dafür ausfällt, nachdem Herr E. die folgende Suggestion erteilt haben wird:
›Ich werde jetzt mit einer Gerte über Ihren Unterarm schlagen. Dies geschieht nur zur Feststellung Ihrer Empfindlichkeit. Ich werde es nur mäßig tun, kann aber nicht vermeiden, daß Sie großen Schmerz empfinden werden. Nach fünf Schlägen werde ich aufhören. Haben Sie also keine Furcht, aber genieren Sie sich auch nicht, Ihren Schmerz zu äußern, jedenfalls etwas weh wird es wohl tun!‹
Wie Sie alle bestätigen werden, hat Herr E. keine Gerte, sondern einen Wollfaden genommen, der in Wahrheit natürlich kaum eine Empfindung beim Austreffen auf die Haut erzeugt. Gleichwohl haben wir mit Bedauern feststellen müssen, daß unsere V. P. die lebhaftesten Schmerzempfindungen hatte, die ihr sogar die Tränen in die Augen trieben. Sie haben also, meine Herren, an praktischen Versuchen die Beeinflußbarkeit aller fünf Sinne bei unserer Versuchsperson ausreichend kennen gelernt und werden nicht nur als Ergänzung zu meinen theoretischen Ausführungen die Überzeugung gewonnen haben, daß sich in der Tat die Sinneswahrnehmungen unterm Einflüsse entsprechender Suggestionen entscheidend äußern, sondern Sie werden auch zugleich erkannt haben, einen wie hohen therapeutischen Wert man einer hypnotischen Behandlung beimessen muß. Wenn es gelingt, in der ärztlichen Praxis das Sinnesleben bald so, bald so zu beeinflussen, so merken wir vor allem, daß wir die leidigste Begleitgabe aller Erkrankungen, die Schmerzempfindung, doch wenigstens auf die Dauer eines hypnotischen Experimentes wesentlich abschwächen können. Wir werden späterhin sehen, daß auch über diese Dauer einer augenblicklichen Behandlung hinaus, nämlich durch eine sogenannte posthypnotische Beeinflussung sich für uns Ärzte höchst wichtige Ergebnisse erzielen lassen. Für heute wollen wir es mit den Vorführungen genug sein lassen, nur muß zunächst unser Herr E. meiner ursprünglichen Suggestion gemäß selbst die Zurückführung unser V. P. in den Normalzustand herbeiführen. Denn merken Sie wohl, meine Herren, wenn ich auch selber sonst den leichtesten Eingang in das Seelenbereich unser V. P. habe, und sonst jederzeit sie sowohl hypnotisieren wie in den Normalzustand zurückführen kann, so habe ich mir doch heute einen Riegel vorgeschoben, indem ich Fräulein V. P. gesagt habe, daß sie in diesem Raume nur auf die Weisung des Herrn E. zu gehorchen habe. Der Versuch, sie jetzt in den Normalzustand zurückzuführen, würde mir jetzt mißlingen. Und darum bitte ich den Herrn E., unserer Versuchsperson jetzt nur noch zu erklären:
›Unsere Versuche sind zu Ende. Bitte Fräulein Pierer wachen Sie auf. Sie fühlen sich vollkommen gesund und spüren keinerlei Nachwirkungen und werden sich heut nachmittag durch einen angenehmen Spaziergang und durch Lektüre zerstreuen. Wir danken Ihnen.‹
Die V. P. wird vollkommen normal, blickt nur ein wenig befangen umher, bis ihr der Herr Professor freundlich die Hand reicht und sie mit einem nochmaligen Dank zur Tür geleitet.