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Es klingt ein Ton durch unser Leben, so hehr und heilig wie Harfen- und Orgelton: es ist die Kindheit, die in der Seele des Menschen nachbebt, solange er nicht ganz entartet ist, und auch der Bösewicht, der Räuber und Mörder gedenkt der Tage, die er im heiligen Frieden der Unschuld dahinlebte, der himmlischen Zeit, da noch die Mutterliebe seine Schritte behütete und eine unentweihte Natur ihn auf ihrem Fittich über den Schmutz und Brodem der Erdengemeinheit emportrug. Die verloren gegebene goldene Zeit weilet und bleibet auf Erden, solange es noch Kinderengel gibt und große Menschen, die ihrer Unschuld Schöne im Herzen bewahrt haben.
O Kindheit, du süße Zeit, in dir ruht der Himmel auf Erden, denn die Kinder wohnen ja im Himmel und auf Erden zugleich, und mit den unsichtbaren Cherubsflügeln ihrer himmlisch gefeiten Einfalt und Einbildungskraft unterhalten sie für ihre Eltern, ihre Lehrer und alle erwachsenen Menschen, denen die Engelsflügel ausgefallen sind, die Verbindung zwischen dem Oben und Unten, den Verkehr zwischen Ewigkeit und irdischer Zeit.
Gleich wie die Blüten in Samen schießen und den Tod in ihm leiden, so verendet die Seele im Redeverstand. Wenn er die Worte macht, so hat er die Seele nicht bei sich, und wo wiederum viel Seele mit Worten verkehren darf, da ist der Wortverstand in Gefahr. Meine Seele schmachtet aber nach dem Blumenduft von Kinderseelen, nach dem heilkräftigen Balsamharz der Frühlingsknospen der Kindheit. Den Blütenäther vom Gewächse der Menschheit möcht' ich in Worte des Lebens wandeln. Aber ich fühle mich keinen Priester und Propheten -- nur die Kindheit begehr' ich in meinem Gewissen. Und so mag sie denn aus mir weissagen, was sie von Eden weiß.
O Menschenkind, gedenke der Kindheit und der Väter Zeit, die deiner Kindheit Blüten zeitigte; beherzige sie, diese heilige Zeit, bewege die Heimat, die Elternliebe, den Unschuldfrieden in der Seele von Sonst, daß aus den ältesten Herzenserinnerungen sich ein Gemüt erbaue, und eine Ewigkeit in der Zeit, eine Gegenwart, die in die Menschenvergangenheit ihre Wurzeln treibt und in die Zukunften Gottes ihre Wipfel.
So eint der Baum die Elemente Himmels und der Erden; Staub und Äther mischen sich in seinem Saft, das Licht des Himmels und des Erdenschoßes Nacht. Seine Wurzeln werden von denselben Wassern getränkt, welche aus den Wolken auf seine Blätter und Zweige herniedertauen. In der Erde um den Baumstamm hält der Wurm den Winterschlaf, und in den grünen Wipfeln nisten die Vögel des Himmels. Über der Krone verrinnen die Tages- und Jahreszeiten, verrauschen die Jahrzehnte und Jahrhunderte, flutet ein Jahrtausend hinweg, wenn der Baum eine nordische Eiche ist. Und dennoch zählt auch die tausendjährige Eiche ein jegliches Jahr ihres Wachstums zu den anderen, und der jüngste, der letzte Jahresring schließt noch sichtbar den ältesten ein. So gibt es ein derbes, ein eichenfestes Holz und einen eichenen Sarg in die Erde.
* * *
Haben wir großen Leute ihn auch noch, diesen Tag, an dem Gott der Herr ausruhte, diesen Kindersonntag, diesen zauberischen Tag, an dem sich alle Poesie und alle Andacht mitsammen vermählt, und der Himmel auf Erden zu Gast geladen ist?
Ist sie noch unser, diese Sabbatfeier, der alle Natur zustrebt, wie alle Lebensbewegung einem Ruhepunkt?! Haben wir sie gewißlich bei Predigt und Glockenklang oder in Saus und im Braus?
Nein, es ist nicht mehr Sonntag wie sonst! Nur die Kindheit hat einen Sonntag, denn sie hat ihn inwendig voller Sonnen, es mag draußen schön Wetter sein oder nicht. Am Sonntag war in meiner Kindheit immer schön Wetter, in jeder Witterung und Jahreszeit; wie konnte ein Sonntag häßlich sein, wie war das möglich an dem Tage, da man mit dem entzückenden Bewußtsein erwachte, daß wirklich Sonntag und nicht etwa Schulmontag sei!
O über dieses Erwachen an dem immer sonnigen Sonntag! Wo die Wirklichkeit uns so heilig und schmeichelnd umfing wie der Morgentraum selbst; ach und so erwartungsvoll, wie wenn sich Wunder und Überraschungen in jedem Winkel versteckt hätten! Nur eine kleine Geduld und sie kamen hervor.
Ach an diesem Sonntage war nichts so wie am Schul- und Werkeltage; man sog ihn aus den Lüften, man trank ihn im bloßen Wasser, man erging ihn sich auf dem Erdboden, die Sonnenstrahlen blitzten ihn in die Seele, die Sperlinge zwitscherten ihn unter den fernen Orgeltönen der Kirche, die im Laub flüsternden Bäume erzählten ihn sich, der Morgenwind trug ihn im Aufgang der Sonne auf seinem Fittich, und überlieferte schon im Morgengrauen dem auserwählten Erdentage die herannahende heilige Zeit!
O Herr, mein Gott, nun war es wirklich Sonntag! Sonntag den ganzen, langen Tag, in allen Stunden und Minuten, Sonntag in jedem Augen- und Sonnenblick! Sonntag in allen Pulsen und Blutstropfen, Sonntag in Sinn und Gedanken, in allen Kisten und Kasten, gleichwie in Seele und Leib. Man konnte nichts hören und sehen, nichts fühlen und empfinden, nichts wollen und denken, als eben ihn, diesen Sonntag, diesen heiligen Tag! Er war Mensch, er war Kind geworden, oder wir Kinder waren zu lauter Sonntag verwünscht; ich kann's nicht so eigentlich sagen, aber so ungefähr mußt' es sein, nur viel schöner und wunderbarer, als man es aussprechen kann.
Mir schauerte jede Fieber am Sonntagmorgen in stiller Wonne und Andachtslust; mir war es immer, als wenn am Sonntage Engel unsichtbar zwischen Himmel und Erde auf und nieder führen, als wenn der liebe Gott selbst allenthalben umherwandeln müßt'. An diesem Tage empfand ich mit hellsehenden Sinnen das süße Geheimnis des Lebens, und die Schönheit der Welt; der Sonntag hatte mir Augen und Ohren, Seele und Leib und alle Organe verwandelt, wie das etwa mit der christlichen Taufe einem Mohren und Heidensohn geschieht. Dieser siebente Tag blitzte mir im Eingeweide und in der Seele umher, daß ich nicht zu bleiben wußte, es war mir allzu heilig und allzu schön in der Welt. Man mochte ansehen und erleben, was man wollte, es war das anders als am andern Tag. Es war das alte und doch nicht das nämliche Ding, es war vom Sonntag verklärt und gefeit, von seiner Magie umflossen, alles wie in einem seligen Traum. Nicht nur die Menschen und Tiere, die Häuser, die Gassen, die Bäume, die Winde, die Wasser, die Wolken, die Lüfte, die Wetter und Jahreszeiten -- vor allem Himmel und Sonnenschein --; sondern auch die Stuben, die Hausgeräte, die alten Tische, Stühle und Bettstellen in unsrer Kinderstube hatten eine unsagbare Bedeutung, eine Sonntagsphysiognomie! Es hatte sie der Erdboden unter den Füßen, und ich empfand es, der Gassenkot hatte sie auch. Totes wie Lebendiges wußte und bezeugte, daß Sonntag sei! Am Sonntag gab es nichts Gemeines, nichts Totes und Garstiges auf Erden und im Leben, alles war sinn- und bedeutungsvoll, war heilig wie im Himmel, webte und schwebte im heiligen Geist.
Die Glorie, die Weihe des Sonntags, umduftete und durchschauerte, sie verwandelte, belebte und heiligte alles von Anfang bis zu End'. Ein jegliches konnte auch ohne Sprache vom Sonntag erzählen, die lauterste, die sprechendste Symbolik umfing alle Dinge und Lebensarten, alle Kreaturen und alle Spielwerke an diesem auserwählten und hochheiligen Tag. So war mein Gefühl und meine Empfindung vom Sonntage! O wollte Gott, es könnte heute so sein!