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Es braust, es dröhnt durch Kiews Vorstadt; der Kosakenhauptmann Gorobetz feiert die Hochzeit seines Sohnes. Viele Leute sind zum Hauptmann zu Gast gekommen. In alten Zeiten liebte man, gut zu essen; noch mehr liebte man, gut zu trinken; und vor allem liebte man, lustig zu sein. Auf seinem braunen Pferde kam der Saporoger Kosak Mikitka; vom ausgelassenen Zechgelage auf dem Pereschljai-Felde kam er geritten, wo er sieben Tage und sieben Nächte des polnischen Königs Schlachta mit Rotwein traktiert hatte. Es kam auch der Blutsfreund und Kampfgenosse des Hauptmanns, Danilo Burulbasch, vom anderen Ufer des Dnjepr gefahren, wo zwischen zwei Bergen sein Gut lag; sein junges Weib Katerina und seinen einjährigen Sohn brachte er mit. Die Gäste staunten über das weiße Antlitz der Pani Katerina, über ihre Brauen, so schwarz wie deutscher Samt, über das schmucke Gewand und den Rock aus schwerer blauer Seide und über ihre silberbeschlagenen Stiefel; aber noch mehr staunten sie, daß ihr alter Vater nicht mitgekommen war. Nur ein einziges Jahr hatte der in der Heimat hinter dem Dnjepr gelebt und einundzwanzig Jahre war er verschollen gewesen; erst dann war er zu seiner Tochter zurückgekehrt, als sie schon verheiratet war und einen Sohn geboren hatte. Viel Wunderliches hätte er wohl berichten können. Einer, der so lange in fremden Landen geweilt, kann ja manches erzählen; dort ist ja alles anders als bei uns: die Menschen sind anders, und es gibt auch keine Christenkirchen dort . . . Doch er war nicht mitgekommen.
Den Gästen wurde süßer Schnaps mit Rosinen und Pflaumen kredenzt und auf einer großen Schüssel das Hochzeitsbrot aufgetragen. Die Spielleute legten für eine Weile ihre Zimbeln, Geigen und Pauken weg und griffen nach der unteren Kruste des Brotes, in die Geld eingebacken war. Die jungen Mädchen und Frauen wischten sich indes mit gestickten Tüchern die Gesichter ab und traten wieder aus ihren Reihen hervor, während die Burschen, die Hände in die Hüften gestemmt und stolze Blicke um sich werfend, gerade im Begriff waren, ihnen entgegenzutanzen – als der alte Hauptmann zwei Heiligenbilder brachte, um das junge Ehepaar mit ihnen zu segnen. Diese Bilder hatte ihm der ehrwürdige Einsiedler, der greise Warfolomej, gegeben. Sie waren weder reich geziert, noch funkelten sie von Silber oder Gold; aber keine höllische Macht hatte über den Gewalt, der sie in seinem Hause bewahrte. Der Hauptmann erhob die Bilder und wollte gerade ein kurzes Gebet sprechen, als plötzlich die Kinder, die auf dem Hofe spielten, aufschrien und dann auch die übrigen Leute, die sich im Hofe drängten, erschrocken zurückwichen, voller Angst auf einen Kosaken in ihrer Mitte weisend. Niemand wußte, wer er war. Er hatte schon gar feurig den Kosakentanz getanzt und die Leute, die sich um ihn drängten, durch einige Worte zum Lachen gebracht. Als aber der Hauptmann die Heiligenbilder emporhob, veränderte sich plötzlich das Gesicht des Kosaken: die Nase wurde lang und neigte sich auf die Seite, die vorher braunen Augen wurden grün, die Lippen blau, das Kinn erzitterte und wurde spitz wie ein Speer, aus dem Munde zeigte sich ein Hauer, hinter dem Kopf wuchs ein Buckel, und der Kosak verwandelte sich in einen Greis.
»Er ist es! Er ist es!« schrien die Leute, sich eng aneinander drängend.
»Der Zauberer zeigt sich wieder!« riefen die Mütter, rasch ihre Kinder bei den Händen packend.
Würdevoll trat der Hauptmann vor und sagte mit lauter Stimme, die Heiligenbilder dem Fremden entgegenhaltend: »Verschwinde, Abbild des Satans! Für dich ist kein Platz hier!«
Der seltsame Greis zischte, knirschte wie ein Wolf mit den Zähnen und verschwand.
Wie das Meer im Sturme, erbrauste es in der Menge; man lärmte, man schrie, man sprach durcheinander.
»Was ist das für ein Zauberer?« fragten die Jungen und Unerfahrenen.
»Unheil droht!« sprachen die Alten und schüttelten die Köpfe. Und überall auf dem weiten Gehöfte des Hauptmanns sammelten sich die Leute zu Haufen und lauschten den Geschichten von dem wunderlichen Zauberer. Aber fast jeder erzählte anderes, und niemand wußte etwas Sicheres zu sagen.
Ein Faß Met wurde auf den Hof gerollt und mancher Eimer griechischen Weines daneben gestellt. Und wieder wurden alle lustig. Die Spielleute schmetterten, die jungen Mädchen und Frauen und die wackeren Kosaken in bunten Röcken flogen im Tanze dahin. Selbst die neunzigjährigen und hundertjährigen Greise, die auch schon etwas bezecht waren, rührten die Beine im Tanze und ließen ihre alten Jahre, die sie nicht umsonst verlebt hatten, wieder aufleben. Man zechte bis spät in die Nacht hinein, und man zechte so, wie man es heute nicht mehr tut. Endlich brachen die Gäste auf; aber nur wenige von ihnen gingen nach Hause: viele blieben beim Hauptmann über Nacht; und noch viel mehr Kosaken schliefen ungebeten unter den Bänken, auf dem Fußboden, neben den Pferden und vor den Ställen ein: wo ein berauschter Kosakenkopf gerade hinfiel, da blieb er schon liegen und schnarchte über ganz Kiew.
Still leuchtet es über die ganze Welt: der Mond zeigt sich hinter dem Berge. Wie mit einem Tuch aus Damast, wie mit einem schneeweißen Schleier verhüllt er das gebirgige Ufer des Dnjepr, und die Schatten ziehen sich in das Dickicht der Fichten zurück.
Inmitten des Dnjepr schwimmt ein eichener Einbaum. Zwei Burschen sitzen vorn, die schwarzen Kosakenmützen schief auf die Seite gerückt, und unter ihren Rudern sprüht der Wasserstaub empor, wie unter dem Feuerstahl die Funken.
Warum singen die Kosaken nicht? Warum sprechen sie nicht davon, daß die römischen Pfaffen die Ukraine durchziehen und das Kosakenvolk in Katholiken umtaufen? Davon, wie sie am Salzsee zwei Tage lang gegen die Tatarenhorde kämpften? Wie sollen sie auch singen und von den kühnen Taten sprechen! Ihr Pan Danilo ist ja in Gedanken versunken, und der Ärmel seines karmesinroten Kaftans hängt aus dem Boote hinaus und badet im Flusse; ihre Herrin Pani Katerina wiegt leise ihr Kind und wendet keinen Blick von ihrem Manne, während ihr von keiner Leinwand geschütztes Festgewand vom Wasserstaub wie von grauer Asche überschüttet wird.
Schön ist der Blick von der Mitte des Dnjepr auf die hohen Berge, auf die weiten Wiesen, auf die grünen Wälder! Diese Berge sind gar keine Berge; sie haben keine Sohlen, oben wie unten ragen spitze Gipfel, und über ihnen und unter ihnen wölbt sich der hohe Himmel. Auch die Wälder auf den Anhöhen sind gar keine Wälder: es sind Haare, die auf dem struppigen Kopfe des Waldgreises gewachsen sind. Seinen Bart umspült das Wasser, und unter dem Barte und über den Haaren wölbt sich der hohe Himmel. Auch die Wiesen sind keine Wiesen: ein grüner Gürtel ist es, der den runden Himmel in der Mitte umgürtet; und in der oberen und in der unteren Hälfte wandelt der Mond.
Aber Pan Danilo blickt nicht auf die Ufer, er blickt nur auf sein junges Weib. »Mein junges Weib, meine goldene Katerina, warum bist du in Gram versunken?«
»Ich bin nicht in Gram versunken, mein Pan Danilo! Mich haben die seltsamen Mären vom Zauberer erschreckt. Man erzählt sich, er sei schon so auf die Welt gekommen: schon als Kind wäre er so schrecklich gewesen, daß keines von den anderen Kindern mit ihm spielen wollte. Höre nur, mein Pan Danilo, wie schrecklich das ist, was man von ihm sagt: es scheint ihm immer, daß alle Leute ihn verhöhnen. Wenn er am finstern Abend einen Menschen trifft, so dünkt es ihn gleich, daß jener den Mund auf tut und grinst. Und diesen Menschen findet man am nächsten Tage als Leiche. Mir war so sonderbar, so grauenvoll zumute, als ich diese Mären hörte!« So sprach Katerina. Und sie holte ihr Tuch hervor und wischte damit dem Kinde, das in ihren Armen schlief, das Gesicht ab. Auf dem Tuche waren mit roter Seide Blätter und Beeren gestickt: ihre eigene Arbeit war's.
Pan Danilo versetzte kein Wort. Er blickte ab und zu ins Dunkel hinüber, wo in der Ferne, hinter dem Walde, ein schwarzer Erdwall zu sehen war, und hinter dem Walde ein altes Schloß ragte. Über seinen Brauen erschienen plötzlich drei tiefe Furchen; mit der linken Hand strich er sich über den kühnen Schnurrbart. »Nicht das ist schrecklich, daß er ein Zauberer ist«, sprach er, »aber schrecklich ist es, daß er ein schlimmer Gast ist. Was fiel ihm ein, sich hierherzuschleppen? Ich hörte, die Polen wollen hier eine Festung errichten, um uns den Weg zu den Saporogern abzuschneiden. Mag es nur wahr sein . . . Ich werde sein Teufelsnest zerstören, sobald ich auch nur ein Wort davon höre, daß er die Feinde bei sich versteckt hält. Ich werde den alten Hexenmeister verbrennen, daß selbst die Raben nichts mehr zu picken haben werden. Ich denke mir auch, daß er nicht wenig Gold und anderes Gut bei sich hat. Hier wohnt dieser Satan! Wenn er Gold hat . . . Wir werden gleich Kreuze sehen: das ist ein Friedhof! Hier modern seine unsauberen Ahnen. Man sagt, sie alle seien immer bereit gewesen, sich mitsamt ihren Seelen und ihren zerfetzten Kaftans für einen Groschen dem Teufel zu verkaufen. Wenn er aber in Wahrheit Gold besitzt, so will ich nicht lange zögern: nicht immer kann man es im Kriege erbeuten . . .«
»Ich weiß, was du im Sinne hast: nichts Gutes verheißt mir die Begegnung mit ihm. Du atmest so schwer, du blickst so streng, so finster sträuben sich die Brauen über deinen Augen! . . .«
»Schweig, Weib!« sagte Danilo erbost. »Wer sich an euch bindet, der wird selbst zum Weibe. Bursche, gib mir Feuer für die Pfeife!« Er wandte sich zu einem der Ruderer um; dieser klopfte die glimmende Asche aus seiner Pfeife und begann sie in die Pfeife seines Herrn zu stopfen. »Sie schreckt mich mit dem Zauberer!« fuhr Pan Danilo fort. »Der Kosak fürchtet, Gott sei Dank, weder die Teufel noch die römischen Pfaffen. Das wäre gut, wenn wir auf unsere Weiber hörten. Nicht wahr, Burschen? Unser Weib ist die Pfeife und der scharfe Säbel!«
Katerina schwieg und blickte auf das schlafende Wasser hinab, das der Nachtwind furchte, und der ganze Dnjepr schimmerte silbergrau wie ein Wolfsfell im Mondlicht.
Der Einbaum wendete um und hielt sich am waldigen Ufer. Bald wurde hier ein Friedhof sichtbar: morsche Kreuze drängten sich aneinander. Kein Wacholder blühte zwischen ihnen, kein Gras grünte unter ihnen; nur der Mond bestrahlte sie von der Himmelshöhe.
»Hört ihr die Schreie, Burschen? Jemand ruft uns zu Hilfe!« rief Pan Danilo seinen Ruderern zu.
»Wir hören die Schreie, von dieser Seite scheinen sie zu kommen«, sagten die Burschen zugleich und wiesen nach dem Friedhof.
Es war aber schon wieder alles still. Der Kahn wendete wieder um und folgte dem vorspringenden Ufer. Plötzlich ließen die Ruderer ihre Ruder sinken und starrten auf das Ufer hinüber. Auch Pan Danilo war wie erstarrt. Angst und kalter Schauer drangen in die Adern der Kosaken.
Auf einem der Gräber wankte das Kreuz, und leise erhob sich daraus ein vertrockneter Leichnam. Der Bart reichte ihm bis zum Gürtel; lange Krallen waren an den Fingern, viel länger als die Finger selbst. Langsam erhob er die Arme. Sein Gesicht erbebte und verzerrte sich. Schreckliche Qualen schien er zu leiden. »Schwül ist mir! Schwül!« stöhnte er mit wilder, unmenschlicher Stimme. Die Stimme schnitt einem ins Herz wie ein Messer. Und plötzlich versank der Leichnam wieder. Ein anderes Kreuz wankte, und wieder kam ein Leichnam hervor, noch schrecklicher und noch riesenhafter; er war ganz mit Haaren bewachsen, sein Bart reichte bis an die Knie, und die knöchernen Krallen waren noch länger als beim ersten. Noch wilder rief er: »Mir ist so schwül!« und versank in die Erde. Nun wankte ein drittes Kreuz, und ein dritter Leichnam stand auf. Es schien, als ob nur die Knochen allein sich über die Erde erhoben hätten. Der Bart reichte bis an die Sohlen; die Finger mit den langen Krallen bohrten sich in die Erde. Schrecklich warf er die Arme empor, als ob er nach dem Monde greifen wolle, und schrie so auf, als ob ihm jemand seine gelben Knochen zersäge . . .
Das Kind, das in Katerinas Armen schlief, erwachte mit einem Schrei; die Pani selbst schrie auf; die Ruderer ließen die Mützen in den Dnjepr fallen; auch der Pan fuhr zusammen.
Und plötzlich war alles verschwunden, als wäre es nie gewesen; doch die Burschen griffen noch lange nicht zu ihren Rudern. Voller Sorge blickte Burulbasch auf seine junge Frau, die erschrocken das schreiende Kind wiegte; er drückte sie an sein Herz und küßte sie auf die Stirn. »Fürchte nichts, Katerina! Schau: es ist ja nichts!« sagte er, nach allen Seiten weisend. »Der Zauberer will den Menschen nur Angst machen, damit niemand wagt, seinem unsauberen Nest nahe zu kommen. Doch nur die Weiber allein kann er damit erschrecken! Gib mir den Sohn in den Arm!«
Mit diesen Worten nahm Pan Danilo seinen Sohn, hob ihn in die Höhe und hielt ihn ganz nahe vor seinen Lippen. »Nun, Iwan, fürchtest du dich vor Zauberern? – Sag: Nein, Vater, ich bin ja ein Kosak! – Genug, laß das Weinen! Wir kommen bald nach Hause! Und wenn wir zu Hause sind, wird dir Mutter Brei geben, wird dich in die Wiege legen und dir das Lied singen:
›Lulli, lulli, lulli!
Lulli, Söhnchen, lulli!
Wachse auf zu muntern Spielen,
Wachse auf zu stolzen Zielen,
Ruhm und Zierde der Gemeinde
Und ein Schrecken für die Feinde!‹
Höre, Katerina! Ich glaube, dein Vater will nicht in Frieden mit uns leben. So finster, so verdrießlich kam er hier an, als sei er uns böse . . . Wenn er mit uns nicht zufrieden ist, was brauchte er herzukommen? Er weigerte sich, auf unsere Kosakenfreiheit zu trinken! Auch unser Kind wollte er nicht auf die Arme nehmen! Anfangs wollte ich ihm alles sagen, was ich auf dem Herzen habe, aber ich konnte nicht sprechen und brachte kein Wort über die Lippen. Nein, er hat kein richtiges Kosakenherz! Wenn sich zwei Kosakenherzen begegnen, so springen sie aus der Brust einander zu! Nun, meine lieben Burschen, sind wir bald am Ufer? Ich will euch neue Mützen schenken. Du, Stetzko, kriegst eine samtene mit Gold. Ich habe sie mal einem Tataren zugleich mit dem Kopfe abgenommen; seine ganze Rüstung fiel mir zu, nur seine Seele allein ließ ich frei. Legt an! Nun sind wir daheim, und du weinst noch immer, Iwan! Nimm ihn, Katerina!«
Alle stiegen ans Land. Hinter dem Berge zeigte sich ein Strohdach: das war Pan Danilos Ahnensitz. Hinter dem Hause ragte noch ein anderer Berg, und dann kam gleich das freie Feld: hundert Werst konnte man da gehen, ohne auf einen einzigen Kosaken zu stoßen.
Das Gut Pan Danilos liegt zwischen zwei Bergen in einem engen Tale, das zum Dnjepr hinunterführt. Nicht groß ist das Haus: wie die Hütte des einfachen Kosaken sieht es von außen aus und hat bloß eine Stube; es ist aber genug Raum darin für ihn, für sein Weib, für die alte Magd und für die zehn ausgewählten Burschen. An den Wänden entlang ziehen sich oben eichene Borde hin. Viele Schüsseln und Kochtöpfe stehen darauf, auch silberne Becher und goldene Pokale, sowohl geschenkte wie auch im Kriege erbeutete. Unter den Borden hängen an den Wänden kostbare Musketen, Säbel, Gewehre und Lanzen; willig und gegen Willen sind sie aus den Händen der Tataren, Polen und Türken in die Hände Pan Danilos gekommen; darum ist auch manche Scharte an ihnen zu sehen. Wenn er sie anschaut, kann er sich aller seiner Gefechte erinnern. Unten an den Wänden entlang laufen glattgehobelte eichene Bänke; vor der Ofenbank hängt an Stricken, die durch einen Ring an der Decke gezogen sind, die Wiege. In der ganzen Stube ist der Fußboden glatt gestampft und mit Lehm bestrichen. Auf den Bänken schläft Pan Danilo mit seiner Frau, auf der Ofenbank die alte Magd; in der Wiege spielt und schläft das kleine Kind; auf dem Fußboden nächtigen die Burschen. Der Kosak schläft am liebsten auf der bloßen Erde unter freiem Himmel; er braucht weder Kissen noch Federbett: er bettet sich frisches Heu unter den Kopf und streckt sich im Grase aus. Er liebt es, wenn er nachts erwacht, den hohen gestirnten Himmel zu sehen und vor der nächtlichen Kühle, die seine Kosakenknochen erfrischt, zu erschauern; er dehnt und reckt sich, murmelt etwas im Schlafe, steckt sich seine Pfeife an und wickelt sich fester in seinen warmen Pelz.
Es war nicht mehr früh, als Burulbasch nach dem gestrigen Trinkgelage erwachte; als er aufgestanden war, setzte er sich auf die Bank in die Ecke und begann einen türkischen Säbel, den er vor kurzem eingetauscht hatte, zu schleifen; Pani Katerina stickte indessen ein seidenes Tuch mit goldenen Fäden.
Plötzlich trat Katerinas Vater in die Stube. Verdrießlich und finster, mit einer ausländischen Pfeife zwischen den Zähnen ging er auf seine Tochter zu und begann sie streng auszufragen, warum sie gestern so spät nach Hause gekommen sei.
»Darüber sollst du, Schwäher, mich und nicht sie befragen! Nicht die Frau, der Mann hat Antwort zu stehen! So ist es einmal Sitte bei uns, nimm es mir nicht übel!« antwortete Danilo, immer noch seinen Säbel schleifend. »Vielleicht sind in manchen heidnischen Ländern andere Sitten – das weiß ich nicht.«
Das mürrische Gesicht des Schwähers färbte sich rot, und seine Augen funkelten wild. »Wer soll denn sonst auf die Tochter aufpassen, wenn nicht der Vater?« murmelte er vor sich hin. »Dich frage ich jetzt: wo hast du dich so spät bei Nacht herumgetrieben?«
»Das ist etwas anderes, teurer Schwäher! Darauf will ich dir sagen, daß ich schon lange nicht mehr in dem Alter bin, wo man von Weibern in Windeln gewickelt wird. Ich verstehe im Sattel zu sitzen, auch mit dem scharfen Säbel umzugehen, und noch manches andere verstehe ich . . . Ich verstehe es auch, niemandem darüber, was ich tue, Rechenschaft zu geben.«
»Ich sehe, Danilo, ich weiß es, du suchst Hader! Wer heimlich tut, der hat gewiß böse Absichten.«
»Du kannst dir denken, was dir gefällt«, erwiderte Danilo. »Auch ich habe meine Gedanken. Ich war noch, Gott sei Dank, an keiner unehrlichen Tat beteiligt; immer stand ich für unseren rechten Glauben und für die Heimat ein; nicht so wie manche Landstreicher, die sich Gott weiß wo herumtreiben, während die rechtgläubigen Christenmenschen ihr Blut verspritzen, und die später herkommen, um das Korn zu ernten, das sie gar nicht gesät haben. Sie sind sogar schlechter als die Unierten: niemals blicken sie in die Kirche Gottes hinein. Solche Leute sollte man doch ordentlich ins Gebet nehmen und befragen, wo sie sich herumgetrieben haben.«
»He, Kosak! Weißt du . . . Ich schieße schlecht; bloß auf hundert Klafter trifft meine Kugel das Herz; ich fechte nicht viel besser: ich haue den Menschen in Stücke, die viel, viel kleiner sind als die Körner, aus denen man Brei kocht.«
»Ich bin bereit«, sagte Pan Danilo und schwang seinen Säbel kühn durch die Luft, als hätte er schon früher gewußt, wozu er ihn geschliffen.
»Danilo!« schrie Katerina auf, ihn bei der Hand packend und sich an ihn hängend. »Bedenke doch, du Wahnsinniger, gegen wen du die Hand erhebst! Vater, dein Haar ist schneeweiß, und doch erhitzt du dich wie ein dummes Kind!«
»Weib!« rief Pan Danilo drohend. »Du weißt, ich mag das nicht leiden; kümmere dich um deine Weibergeschäfte!«
Furchtbar klirrten die Säbel. Eisen schlug gegen Eisen, die Funken sprühten über den Kosakenköpfen wie Staub. Weinend lief Katerina in die Kammer, warf sich aufs Bett und hielt sich die Ohren zu, um das Säbelgeklirr nicht zu hören. Die Kosaken fochten aber nicht so schlapp, daß man das Waffengeklirr auf diese Weise ersticken könnte. Katerinas Herz wollte in Stücke springen; sie hörte in ihrem ganzen Körper die Säbelhiebe.
»Nein, ich halte es nicht aus, ich halte es nicht aus . . . Vielleicht springt schon ein Blutquell aus dem weißen Leibe; vielleicht ist schon mein Liebster ohnmächtig, und ich liege noch hier!« Ganz bleich und schwer atmend ging sie wieder in die Stube.
Gleichmäßig und furchtbar fochten die Kosaken; keiner von ihnen konnte den anderen bezwingen. Bald dringt Katerinas Vater vor, und Pan Danilo weicht zurück; bald dringt Pan Danilo vor, und der finstere Vater muß zurückweichen, und sie stehen beide wieder gleich. Es kocht. Sie holen aus . . . Hui, wie die Säbel klirren . . . Zerbrochen fliegen die beiden Klingen auf die Seite.
»Gott, ich danke dir!« sagte Katerina und schrie gleich wieder auf: sie sah, daß die Kosaken nach den Musketen griffen. Sie richteten die Feuersteine und spannten die Hähne.
Pan Danilo schoß und traf nicht. Jetzt zielte der Vater . . . Er war alt und sah nicht so scharf wie ein Junger, und doch zitterte seine Hand nicht. Der Schuß krachte . . . Pan Danilo wankte, hellrotes Blut färbte den linken Ärmel seines Kaftans.
»Nein«, rief er aus. »So billig verkaufe ich mein Leben nicht. Der rechte Arm und nicht der linke ist der Herr. Ich habe an der Wand eine türkische Pistole hängen: noch nie im Leben ist sie mir untreu gewesen. Komm von der Wand herab, alter Kamerad! Erweise dem Freund einen Dienst!« Danilo streckt die Hand nach der Pistole aus.
»Danilo!« rief Katerina verzweifelt aus. Sie ergriff seinen Arm und warf sich ihm zu Füßen. »Nicht für mich fleh' ich dich an. Meinem Schicksal entrinne ich nicht: unwürdig ist das Weib, das den Tod des Mannes überlebt; der Dnjepr, der kühle Dnjepr wird mein Grab sein . . . Aber schau deinen Sohn an, Danilo! Schau deinen Sohn an! Wer wird das arme Kind in seinen warmen Arm nehmen? Wer wird es liebkosen? Wer wird es lehren, auf einem rabenschwarzen Rosse dahinzufliegen, für Freiheit und Glauben zu kämpfen, zu trinken und zu zechen wie ein wahrer Kosak? Geh zugrunde, mein Sohn, verdirb! Dein Vater will nichts von dir wissen! Schau, wie er sein Gesicht von dir wendet. Ja, jetzt kenne ich dich! Du bist ein Tier und kein Mensch. Du hast ein Wolfsherz und den Sinn der listigen Schlange! Ich dachte, daß du ein Tröpflein Erbarmen hast, daß in deinem steinernen Leibe ein Funke menschlichen Gefühls glimmt! Wie wahnsinnig habe ich mich getäuscht! Das wird dir nur Freude bringen. Deine Knochen werden im Grabe vor Freude tanzen, wenn die verruchten Polen deinen Sohn ins Feuer werfen, wenn dein Sohn unter dem Messer oder in siedendem Wasser liegt und schreit. Ja, ich kenne dich! Dann wirst du froh sein, aus dem Grabe aufzustehen und mit der Mütze das Feuer anzufachen, das unter ihm lodert!«
»Halt, Katerina! Komm her, teurer Iwan, laß dich küssen! Nein, mein Kind, niemand soll dir ein Haar krümmen. Du wirst zum Ruhme deiner Heimat aufwachsen; wie der Sturmwind wirst du an der Spitze deiner Kosaken dahinfegen, mit einer Samtmütze auf dem Kopfe, mit einem scharfen Säbel in der Hand. Vater, gib mir die Hand! Wollen wir, was gewesen, vergessen! Wenn ich vor dir etwas verbrochen habe, so will ich meine Schuld bekennen. Aber warum gibst du mir nicht die Hand?«
So sprach Danilo zu Katerinas Vater, der immer noch auf einem Fleck stand und dessen Gesicht weder Zorn noch Versöhnung zeigte.
»Vater!« rief Katerina. Sie umarmte und küßte ihn. »Vater, sei nicht unerbittlich, verzeihe Danilo, er wird dir keinen Kummer mehr bereiten!«
»Nur dir zu Gefallen, Tochter, vergebe ich ihm!« erwiderte er mit seltsam funkelnden Augen und küßte sie.
Katerina fuhr leicht zusammen: so seltsam kamen ihr sein Kuß und das Funkeln seiner Augen vor. Sie lehnte sich gegen den Tisch, auf dem ihr Gemahl seinen verwundeten Arm verband. Danilo sagte sich aber, daß er schlecht und nicht nach Kosakenart gehandelt habe, als er um Vergebung gebeten, ohne sich einer Schuld bewußt zu sein.
Ein neuer Tag brach an, doch ein Tag ohne Sonne: der Himmel war trüb, und ein feiner Regen ging auf die Felder, Wiesen, Wälder und den breiten Dnjepr nieder. Pani Katerina erwachte, aber nicht freudig war ihr Erwachen: ihre Augen waren verweint, und es war ihr so traurig und unruhig zumute. »Mein Mann, mein lieber Mann! Einen wunderlichen Traum habe ich gehabt!«
»Was für einen Traum, meine liebe Pani Katerina?«
»Der Traum war so wunderlich und dabei so lebhaft, als ob ich wachte. Mir träumte, mein eigener Vater sei jenes Ungeheuer, das wir beim Hauptmann gesehen haben. Aber ich bitte dich, trau dem Traume nicht: man träumt doch allerhand Unsinn! Mir träumte, ich stand vor ihm, zitterte vor Entsetzen, und bei jedem Worte aus seinem Munde stöhnte mir jede Ader im Leibe. Wenn du nur gehört hättest, was er sprach . . .«
»Was sprach er denn, meine goldene Katerina?«
»Er sprach: ›Schau mich an, Katerina, ich bin doch schön! Mit Unrecht sagen die Leute, ich sei häßlich. Ich werde dir ein gar trefflicher Mann sein. Schau nur, wie meine Augen blicken!‹ Mit diesen Worten richtete er seinen flammenden Blick auf mich, ich schrie auf und erwachte.«
»Ja, Träume sagen manches Wahre. Weißt du übrigens, daß es hinter dem Berge nicht mehr so ruhig ist? Ich glaube gar, die Polen haben sich wieder gezeigt. Gorobetz ließ mir ansagen, ich solle wachsam sein. Er macht sich unnütze Sorgen: ich schlafe auch ohnehin nicht. Meine Burschen haben in dieser Nacht zwölf Schanzen errichtet. Wir wollen die Herren von der Reichsversammlung mit Pflaumen aus Blei empfangen, und die königliche Schlachta soll unter unseren Peitschen tanzen.«
»Weiß mein Vater davon?«
»Er sitzt mir auf dem Halse, dein Vater! Ich kann ihn bis zur Stunde nicht ergründen. Er hat wohl nicht wenig Sünden in den fremden Ländern begangen. Wahrlich, was mag das für einen Grund haben: er lebt hier schon einen Monat und war noch nie lustig, wie es einem Kosaken ziemt! Er weigerte sich, Met zu trinken! Hörst du, Katerina, er wollte nicht den Met trinken, den ich den Brester Juden abgenommen habe! He, Bursche!« rief Pan Danilo. »Lauf, mein Junge, in den Keller und bring mir vom jüdischen Met! Nicht mal Schnaps will er trinken! Verflucht! Mir scheint, Pani Katerina, daß er an unseren Heiland nicht glaubt. He? Wie gefällt dir das?«
»Gott weiß, was du sprichst!«
»Es ist doch wirklich seltsam, Pani!« fuhr Danilo fort, den tönernen Krug aus der Hand des Kosaken nehmend. »Selbst die Katholiken trinken Schnaps; nur die Türken trinken keinen. Was, Stetzko, hast du im Keller einen ordentlichen Schluck Met genommen?«
»Ich habe nur einen Tropfen gekostet, Pan!«
»Du lügst, Hundesohn! Ich sehe ja, wie die Fliegen über deinen Schnurrbart hergefallen sind! Deinen Augen sehe ich an, daß du einen halben Eimer ausgesoffen hast. Ach, diese Kosaken! Was das für ein tolles Volk ist! Alles gibt er dem Freunde her, aber den Schnaps trinkt er immer ganz allein aus. Ich war ja schon lange nicht mehr berauscht, Pani Katerina. Nicht wahr?«
»Das nennst du lange! Und am vorigen . . .«
»Fürchte nicht, fürchte nicht, ich trinke nicht mehr als diesen einen Krug. Da kommt ja schon der türkische Abt!« sagte er durch die Zähne, als er den Schwäher erblickte, der sich bückte, um durch die Tür zu kommen.
»Was soll das heißen, meine Tochter?!« sagte der Alte, indem er sich die Mütze vom Kopfe nahm und seinen Gürtel, an dem ein Säbel mit seltsamen Steinen hing, zurechtrückte. »Die Sonne steht schon hoch, und noch ist dein Mittagessen nicht fertig.«
»Das Mittagessen ist fertig, Pan Vater, gleich werden wir es auftragen. Hol die Schüssel mit den Klößen aus dem Ofen!« sagte Pani Katerina zu der alten Magd, die das Holzgeschirr abwischte. »Wart, ich hol' sie lieber selbst. Ruf du die Burschen.«
Alle setzten sich im Kreise auf den Boden: der Vater der Wand mit den Heiligenbildern gegenüber, Pan Danilo ihm zur Linken, Pani Katerina ihm zur Rechten; dann folgten die zehn der allertreuesten Burschen in blauen und gelben Kaftans.
»Ich mag diese Klöße nicht!« sagte der Vater, nachdem er ein wenig gegessen und dann den Löffel weggelegt hatte. »Sie haben gar keinen Geschmack!«
– Ich weiß, daß dir Judennudeln besser schmecken –, dachte Danilo bei sich. »Warum sagst du, Schwäher,« fuhr er laut fort, »daß die Klöße keinen Geschmack haben? Sind sie denn schlecht zubereitet? Meine Katerina macht solche Klöße, wie sie selbst der Hetman selten zu essen bekommt. Man soll doch Klöße nicht verschmähen: es ist eine christliche Speise! Alle Heiligen und alle gottgefälligen Leute haben stets Klöße gegessen.«
Der Vater versetzte kein Wort; auch Pan Danilo verstummte.
Nach den Klößen wurde ein gebratener Eber mit Kraut und Pflaumen aufgetragen. »Ich mag kein Schweinefleisch!« sagte Katerinas Vater, indem er das Kraut allein aus der Schüssel herausholte.
»Wie kann man kein Schweinefleisch mögen?« sagte Danilo. »Nur die Türken und Juden essen kein Schweinefleisch.«
Noch finsterer blickte der Vater.
Er nahm sich nur etwas vom Mehlbrei mit Milch und trank statt des Schnapses von einem schwarzen Wasser, das er in einer Flasche am Busen trug.
Nach dem Essen legte sich Danilo hin und schnarchte bis zum Abend. Als er erwachte, setzte er sich an den Tisch und schrieb Botschaften an das Kosakenheer; Pani Katerina saß indes auf der Ofenbank und schaukelte mit dem Fuße die Wiege. So sitzt Pan Danilo da, blickt mit dem linken Auge auf das Papier und mit dem rechten nach dem Fenster. Er sieht draußen die Berge und den Dnjepr schimmern; hinter dem Dnjepr blauen die Wälder; über den Wäldern strahlt der heitere Abendhimmel in mildem Glanz. Pan Danilo ergötzt sich aber weder am fernen Himmel noch am blauen Walde: er blickt auf die vorspringende Landzunge, auf der das alte Schloß dunkel in die Luft ragt. Es ist ihm, als ob im Schlosse ein schmales Fensterchen aufleuchte. Aber alles ist still; es ist ihm wohl nur so vorgekommen. Man hört nur unten dumpf den Dnjepr rauschen und die Schläge der plötzlich erwachten Wellen an drei Seiten hintereinander widerhallen. Der Strom ist nicht in Aufruhr; er brummt nur und murrt wie ein mürrischer Greis; nichts will ihm gefallen, alles hat sich hier so verändert; still kämpft er gegen die Berge, Wälder und Wiesen auf seinen Ufern und trägt seine Klagen gegen sie ins Schwarze Meer.
Da erscheint plötzlich mitten im Dnjepr ein schwarzes Boot, und im Schlosse leuchtet es wieder auf. Danilo tut einen leisen Pfiff, und auf den Pfiff kommt der treue Bursche gelaufen. »Nimm, Stetzko, rasch einen scharfen Säbel und eine Büchse und folge mir!«
»Du gehst fort?« fragte Pani Katerina.
»Ich gehe, Frau. Ich muß nachsehen, ob alles in Ordnung ist.«
»Ich fürchte mich, allein zu bleiben. Mich überkommt der Schlaf; wie, wenn ich heute wieder denselben Traum habe? Ich weiß sogar nicht sicher, ob es nur Traum war – so lebendig sah ich alles!«
»Die Alte bleibt bei dir; und im Hausflur und im Hofe schlafen die Kosaken.«
»Die Alte ist schon eingeschlafen, und den Kosaken vertraue ich nicht sehr. Höre, mein Pan Danilo, schließe mich in der Kammer ein und nimm den Schlüssel zu dir. Dann werde ich mich nicht so sehr fürchten; die Kosaken sollen aber vor der Tür schlafen.«
»Es sei, wie du sagst!« erwiderte Danilo, indem er den Staub von der Büchse wischte und Pulver auf die Pfanne schüttete.
Der treue Stetzko stand schon in seiner ganzen Kosakenrüstung fertig da. Danilo setzte die Lammfellmütze auf, schloß das Fenster, verriegelte die Tür, drehte den Schlüssel um und ging zwischen den schlafenden Kosaken leise hinaus, den Bergen zu.
Der Himmel hatte sich fast völlig aufgeheitert. Ein frischer Wind wehte kaum wahrnehmbar vom Dnjepr herüber. Nur das Stöhnen der Möwe störte allein die Grabesstille. Doch plötzlich vernahm man ein Rascheln . . . Burulbasch versteckte sich mit seinem treuen Diener leise hinter den Dornenbüschen, die einen Verhau verdeckten. Jemand, in rotem Kaftan, mit zwei Pistolen im Gürtel und einem Säbel an der Seite, kam vom Berge herab. – »Es ist der Schwäher!« sagte Pan Danilo, aus dem Busch hervorlugend. »Wohin und wozu mag er wohl um diese Stunde gehen? Sei auf der Hut, Stetzko, paß gut auf, welchen Weg der Herr Vater nehmen wird.« Der Mann im roten Rock kam zum Ufer herab und ging auf die Landzunge zu. »Ach so, da geht er also hin!« sagte Pan Danilo. »Was meinst du, Stetzko, geht er nicht geradeswegs zum Neste des Zauberers?«
»Ja, gewiß an keinen anderen Ort, Pan Danilo! Sonst würden wir ihn auf jener Seite wieder herauskommen sehen; er ist aber dicht vor dem Schlosse verschwunden.«
»Wart, wir wollen von hier herauskriechen und dann seinen Spuren nachgehen. Es muß wohl etwas dahinterstecken. Nein, Katerina, ich hab's dir doch gleich gesagt, daß dein Vater kein guter Mensch ist; sein ganzes Gebaren ist nicht wie das eines rechtgläubigen Christen.«
Schon stehen Pan Danilo und sein treuer Bursche auf der Landzunge. Und schon sind sie wieder verschwunden: der dichte Wald, der das Schloß umgibt, hält sie verborgen. Schwach schimmert ein Fenster im Obergeschoß; unten stehen die Kosaken und überlegen, wie sie eindringen können: sie sehen weder Tor noch Tür; der Zugang ist wohl vom Hofe aus, aber wie kommt man in den Hof? Sie hören von ferne Ketten rasseln und Hunde umherlaufen.
»Was überlege ich noch lange?« sagte Pan Danilo, als er eine hohe Eiche vor dem Fenster erblickte. »Bleib hier, mein Junge! Ich will auf die Eiche steigen: von ihrem Wipfel werde ich ins Fenster schauen können.«
Er nahm seinen Gürtel ab, legte auch den Säbel weg, damit er nicht klirre, und stieg an den Ästen hinauf. Das Fenster war noch immer erleuchtet. Er setzte sich auf einen Ast dicht vor das Fenster, hielt sich mit einer Hand am Baumstamme fest und blickte hinein: im Zimmer brannte kein Licht, und doch war es darin hell. An den Wänden waren seltsame Zeichen gemalt; auch Waffen hingen an den Wänden, lauter wunderliche Waffen, wie sie weder Türken noch Krimer Tataren, weder Polen noch rechtgläubige Christen, noch die tapferen Schweden tragen. Unter der Decke flatterten Fledermäuse hin und her, und ihre Schatten huschten über die Wände, die Türen und die Dielenbretter. Nun ging, ohne zu knarren, die Tür auf. Ein Mann in rotem Rock kam herein und trat vor den Tisch, der mit einem weißen Tuche bedeckt war. »Er ist's, der Schwäher!« Pan Danilo kletterte etwas tiefer hinunter und schmiegte sich noch fester an den Baumstamm.
Der Schwäher hatte aber nicht Zeit, darauf zu achten, ob jemand zum Fenster hineinblickte oder nicht. Finster und schlechter Laune trat er herein und riß das Tuch vom Tische: plötzlich war das ganze Zimmer von einem stillen, durchsichtigen, blauen Lichte durchflutet; die Wellen des blaßgoldenen Lichtes, das den Raum vorher erfüllt hatte, vermischten sich aber nicht mit diesem neuen bläulichen Lichte: sie fluteten wie in einem blauen Meere und verästelten sich wie die Adern im Marmor. Der Alte stellte auf den Tisch einen Topf und begann Kräuter hineinzuwerfen.
Pan Danilo blickte aufmerksamer hin und sah plötzlich den roten Rock nicht mehr; der Mann hatte jetzt weite Pluderhosen an, wie sie die Türken tragen; im Gürtel steckten Pistolen; auf dem Kopfe hatte er eine wunderliche Mütze, die mit seltsamen Zeichen bemalt war: es waren aber weder russische noch polnische Schriftzeichen. Er blickte ihm ins Gesicht – auch das Gesicht war verändert: die Nase war länger geworden und hing über die Lippen herab; der Mund dehnte sich in einem Augenblick bis an die Ohren; aus dem Munde guckte ein Hauer hervor und neigte sich zur Seite; vor ihm stand derselbe Zauberer, den er auf der Hochzeit beim Hauptmann gesehen hatte.
– Wahr ist dein Traum, Katerina! sagte sich Burulbasch.
Der Zauberer beginnt um den Tisch herumzugehen; die Zeichen an den Wänden verändern sich in einem fort, und die Fledermäuse huschen noch wilder und schneller auf und ab, hin und her. Das bläuliche Licht wird immer schwächer und ist beinahe ganz erloschen. Und die Stube ist jetzt von einem schwachen rosigen Schimmer erleuchtet. Das wunderbare Licht ergießt sich mit einem leisen Klingen über alle Winkel; plötzlich ist es verschwunden, und in der Stube ist es stockfinster. Man hört nur ein Rauschen, wie wenn der Wind in stiller Abendstunde singend über dem Wasserspiegel kreist und die silbernen Weiden tiefer ans Wasser drückt. Und Pan Danilo scheint es, als ob im Zimmer der Mond strahle und die Sterne flimmern; als ob ein dunkelblauer Himmel darin aufleuchte und ein kühler nächtlicher Hauch sein Gesicht berühre. Und dann scheint es Pan Danilo (nun zupfte er sich am Schnurrbart, um nachzuprüfen, ob es nicht ein Traum sei), als sähe er in der Stube keinen Himmel mehr, sondern sein eigenes Schlafgemach: er sieht seine eigenen tatarischen und türkischen Säbel hängen; an den Wänden entlang ziehen sich Borde mit Geschirr und Hausgerät; auf dem Tische stehen Brot und Salz; auch die Wiege hängt von der Decke herab . . . doch statt der Heiligenbilder starren ihn entsetzliche Fratzen an; und auf der Ofenbank . . . aber jetzt senkt sich ein Nebel über das Bild, und in der Stube wird es wieder finster. Und dann füllt sich der ganze Raum wieder mit wunderbarem Klingen und mit rosigem Lichte, und wieder steht der Zauberer in seinem seltsamen Turban mitten in der Stube. Das Klingen wird immer lauter und tiefer; das rosige Licht greller, und etwas Weißes, das einer Wolke gleicht, schwebt mitten in der Stube, und es scheint Pan Danilo, als sei die Wolke gar keine Wolke, als stünde eine Frau da; woraus ist sie aber gebildet? Ist sie nicht aus Luft gewebt? Warum steht sie so da, ohne die Erde zu berühren und ohne sich auf etwas zu stützen, während das rosige Licht und die Zeichen an der Wand durch sie hindurchschimmern? Da bewegt sie den durchsichtigen Kopf: still leuchten ihre blaßblauen Augen; die Locken fließen ihr wie ein hellgrauer Nebel über die Schultern; die Lippen sind blaßrot und gemahnen an die erste kaum sichtbare Morgenröte, die sich über den durchsichtigen weißen Morgenhimmel ergießt; die dunkeln Brauen sind kaum zu erkennen . . . Ach! Das ist ja Katerina! Und Danilo fühlte, wie seine Glieder erstarrten; er wollte etwas sagen, aber die Lippen bewegten sich lautlos.
Regungslos stand der Zauberer auf einem Fleck. »Wo bist du gewesen?« fragte er, und die Gestalt, die vor ihm stand, erbebte.
»Oh, warum hast du mich gerufen?« stöhnte sie leise. »Mir war so froh zumute. Ich war an der Stätte, wo ich zur Welt gekommen war und wo ich fünfzehn Jahre gelebt hatte. Oh, wie herrlich war's da! Wie grün und duftig ist die Wiese, auf der ich als Kind gespielt habe! Auch die Feldblumen sind noch dieselben, auch unser Haus und Gemüsegarten! Wie herzlich umarmte mich meine gute Mutter! Wie liebevoll sah sie mich an! Sie herzte mich, sie küßte mich auf den Mund und auf die Wangen, sie kämmte meine blonden Locken mit einem dichten Kamm . . . Vater!« Sie richtete ihre blassen Augen auf den Zauberer.
»Vater, warum hast du meine Mutter ermordet?«
Der Zauberer drohte wütend mit dem Finger. »Bat ich dich denn, davon zu sprechen?« Die durchsichtige Schöne erbebte. »Wo ist jetzt deine Pani?«
»Meine Pani Katerina ist eben eingeschlafen, und ich flatterte freudig empor und flog davon. Schon lange wollte ich meine Mutter sehen. Ich war plötzlich wieder fünfzehn Jahre alt und so leicht wie ein Vöglein. Warum hast du mich gerufen?«
»Weißt du noch, was ich dir gestern gesagt habe?« fragte der Zauberer so leise, daß Pan Danilo es kaum hören konnte.
»Ich weiß es noch. Aber was gäbe ich wohl darum, um es wieder zu vergessen. Die arme Katerina! Sie weiß vieles von dem nicht, was ihre Seele weiß.«
– Das ist Katerinas Seele! – sagte sich Pan Danilo; aber er wagte noch immer nicht, sich zu rühren.
»Tu Buße, Vater! Ist es dir denn nicht entsetzlich, daß nach jedem deiner Morde die Toten aus den Gräbern steigen?«
»Du kommst schon wieder mit diesen Dingen!« unterbrach sie der Zauberer zornig. »Ich werde meinen Willen durchsetzen, ich werde dich zwingen, das zu tun, was ich von dir verlange. Katerina wird mich lieben! . . .«
»Du bist ein Ungeheuer und nicht mein Vater!« stöhnte sie. »Nein, du wirst deinen Willen nicht durchsetzen! Mit deinen höllischen Zauberkünsten kannst du freilich meine Seele heraufbeschwören, um sie zu quälen; aber nur Gott allein kann sie zwingen, ihm zu Willen zu sein. Nein, solange ich in ihrem Leibe bin, wird sich Katerina niemals zu einer so verruchten Tat entschließen. Vater! Die Stunde des Gerichts ist nahe! Und wenn du auch nicht mein Vater wärest, niemals würdest du mich zwingen können, meinem lieben, treuen Mann untreu zu werden. Und selbst wenn mir mein Mann nicht so lieb und treu wäre, würde ich ihn niemals betrügen: Gott liebt die meineidigen und treulosen Seelen nicht.«
Da richtete sie ihre blassen Augen auf das Fenster, hinter dem Pan Danilo saß, und starrte unverwandt hinaus . . .
»Wo schaust du hin? Wen siehst du dort?« schrie der Zauberer.
Das Luftgespenst Katerinas erbebte. Pan Danilo war aber schon längst wieder auf der Erde und schlich mit seinem treuen Stetzko in seine Berge. – Furchtbar, furchtbar! – sagte er zu sich selbst, und eine ungewohnte Angst erfüllte sein Kosakenherz. Bald war er wieder auf seinem Hofe, wo die Kosaken noch fest schliefen, außer einem einzigen, der die Pfeife rauchend Wache hielt. Der Himmel war ganz mit Sternen besät.
»Wie gut tatest du, daß du mich wecktest!« sprach Katerina, indem sie sich mit dem gestickten Ärmel ihres Hemdes die Augen rieb und den vor ihr stehenden Mann vom Scheitel bis zu den Füßen betrachtete. »Welch einen schrecklichen Traum habe ich wieder gehabt! Wie schwer atmet meine Brust! Ach! . . . Es war mir, als müßte ich sterben . . .«
»Was war das für ein Traum? Vielleicht dieser?« Und Burulbasch erzählte seiner Frau alles, was er gesehen.
»Wie hast du das erfahren, mein Gemahl?« fragte Katerina erstaunt. »Aber nein, vieles von dem, was du erzählst, ist mir unbekannt. Nein, mir träumte gar nicht, mein Vater habe meine Mutter ermordet; auch von den Toten träumte mir nicht. Nein, Danilo, du erzählst es nicht richtig. Ach, so schrecklich ist mein Vater!«
»Es ist auch kein Wunder, daß du im Traume vieles nicht gesehen hast. Du weißt auch nicht den zehnten Teil von dem, was deine Seele weiß. Weißt du denn, daß dein Vater der Antichrist ist? Erst im vorigen Jahre, als ich im Bunde mit den Polen gegen die Krimer Tataren ins Feld zog (damals hielt ich es noch mit diesem treulosen Volke), sagte mir der Abt des Bruderklosters (und der ist ein heiliger Mann, Weib!), der Antichrist habe die Gewalt, die Seele jedes Menschen zu sich zu beschwören; denn wenn der Mensch einschläft, schwebt seine Seele in Freiheit und flattert mit den Erzengeln um Gottes Thronsaal herum. Das Gesicht deines Vaters gefiel mir schon auf den ersten Blick nicht. Hätte ich gewußt, daß du einen solchen Vater hast, so hätte ich dich nicht geheiratet. Ich hätte dich verlassen und auf meine Seele nicht die Sünde geladen, mit der Brut des Antichrist verschwägert zu sein.«
»Danilo!« sagte Katerina. Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und schluchzte. »Habe ich denn etwas gegen dich verbrochen? Habe ich dich je verraten, geliebter Mann? Womit habe ich deinen Zorn auf mich gezogen? Habe ich dir nicht treu gedient? Habe ich denn je ein Wort gesagt, wenn du angezecht von einem Trinkgelage heimkamst? Gebar ich dir nicht den schwarzbrauigen Sohn? . . .«
»Weine nicht, Katerina; jetzt kenne ich dein Herz und werde dich um nichts in der Welt verlassen. Alle Sünden sind bei deinem Vater.«
»Nein, nenne ihn nicht meinen Vater! Gott sei mein Zeuge, ich sage mich von ihm los, ich sage mich von meinem Vater los! Er ist gottlos, und er ist der Antichrist! Mag er zugrunde gehen, mag er ertrinken – nie werde ich ihm die Hand zur Rettung reichen; mag er an einem schleichenden Gift verdorren, nie werde ich ihn mit Wasser laben. Du bist mir der Vater!«
Im tiefen Verliese Pan Danilos sitzt hinter drei Schlössern, in eiserne Ketten geschmiedet, der Zauberer; fern über dem Dnjepr steht seine teuflische Burg in Flammen, und blutrote Wellen branden und lecken an den uralten Mauern. Nicht wegen Zauberei, nicht wegen seiner gottlosen Taten sitzt der Zauberer im tiefen Verlies; dafür hat er sich vor Gott allein zu verantworten. Wegen heimlichen Verrats sitzt er dort, wegen seiner Verschwörung mit den Feinden des rechtgläubigen Russenlandes, das ukrainische Volk an die römischen Ketzer zu verschachern und alle Christenkirchen zu verbrennen. Finster ist der alte Hexenmeister; ein Gedanke, so schwarz wie die Nacht, hat sich in seinem Kopf festgesetzt; nur noch einen Tag hat er zu leben, und morgen muß er der Welt Ade sagen: morgen erwartet ihn der Tod. Aber es ist kein leichter Tod, der ihn erwartet: es wäre noch eine Gnade, wenn man ihn bei lebendigem Leibe in einem Kessel kochen oder von ihm seine sündige Haut schinden würde. Finster läßt der Hexenmeister seinen Kopf sinken. Vielleicht tut er schon Buße vor seiner Todesstunde; seine Sünden sind aber nicht so, daß Gott ihm vergeben könnte. Hoch oben über seinem Kopfe ist ein schmales, mit Eisenstäben vergittertes Fenster. Mit den Ketten rasselnd, erhebt er sich zum Fenster, um zu schauen, ob seine Tochter nicht vorbeikäme. Sie trägt ja keinen Groll nach und ist mild wie eine Taube: vielleicht hat sie Erbarmen mit dem Vater? . . . Aber niemand läßt sich blicken. Unten zieht die Straße vorbei; aber auch auf der Straße ist niemand zu sehen. Noch tiefer unten braust der Dnjepr; er kümmert sich aber um niemand: er tobt, und traurig lauscht der Gefangene dem dumpfen Tosen.
Da zeigt sich jemand auf der Straße – es ist ein Kosak! Schwer seufzt der Gefangene auf. Und wieder ist alles leer. Doch da nähert sich jemand den Mauern . . . ein grünes Überkleid flattert im Winde . . . ein goldener Kopfputz in Gestalt eines Schiffchens glänzt in der Sonne . . . Sie ist es! Er drängt sich noch näher zum Fenster. Da ist sie schon ganz nahe . . .
»Katerina! Tochter! Erbarme dich, reich mir Almosen! . . .«
Sie bleibt stumm, sie will nicht hören, sie richtet keinen Blick auf den Kerker; schon ist sie vorübergegangen und verschwunden. So öde und leer ist die Welt, traurig braust der Dnjepr; Trauer erfüllt jedes Herz; kennt aber auch der Zauberer diese Trauer?
Der Tag neigt sich dem Abende zu. Schon sinkt die Sonne; schon ist sie verschwunden. Es ist Abend; kühl wird es, irgendwo brüllt ein Ochse; von irgendwo schallen gedämpfte Töne; Menschen gehen vergnügt plaudernd von ihrer Arbeit heim. Über den Dnjepr gleitet ein Kahn . . . Wer kümmert sich um den Gefangenen? Am Himmel leuchtet die silberne Sichel auf; da kommt wieder jemand über die Straße, aus der anderen Richtung; schwer ist es im Dunkeln, etwas zu erkennen; es ist Katerina, die heimkehrt.
»Tochter! Um Christi willen! Selbst das grausame Wolfsjunge zerfleischt seine Mutter nicht – Tochter, sieh deinen Vater doch nur an!«
Sie hört nicht und geht weiter.
»Tochter, um deiner unglücklichen Mutter willen! . . .«
Sie bleibt stehen.
»Komm, mein letztes Wort zu vernehmen!«
»Warum rufst du mich, du Gottloser? Nenne mich nicht deine Tochter. Zwischen uns ist keine Verwandtschaft. Was willst du von mir um meiner unglücklichen Mutter willen?«
»Katerina! Mein Ende ist nahe; ich weiß, dein Mann will mich an den Schweif einer Stute binden und von ihr übers Feld schleifen lassen; vielleicht erfindet er eine noch grausamere Strafe . . .«
»Gibt's denn in der Welt eine Strafe, die deinen Sünden gleichkäme? Erwarte den Tod; niemand wird für dich ein Wort einlegen.«
»Katerina! Nicht der Tod ist's, was mich schreckt; mich schrecken die ewigen Martern im Jenseits. Du bist unschuldig, Katerina: deine Seele wird im Paradiese in der Nähe Gottes schweben; aber die Seele deines gottlosen Vaters wird im ewigen Feuer brennen, und niemals wird dieses Feuer verlöschen; immer höher und mächtiger wird es lodern; niemand wird einen Tautropfen fallen lassen, kein Windhauch wird mir Kühlung bringen . . .«
»Es ist nicht in meiner Gewalt, diese Strafe zu lindern«, sagte Katerina und wandte sich ab.
»Katerina! Warte, nur noch ein Wort: du kannst meine Seele retten. Du weißt noch nicht, wie gütig und barmherzig Gott ist. Hast du noch nichts vom Apostel Paulus gehört, der ein großer Sünder gewesen und dann Buße tat und ein Heiliger wurde?«
»Was kann ich aber tun, um deine Seele zu retten?« sagte Katerina. »Wie kann ich, ein schwaches Weib, daran auch nur denken?«
»Wenn es mir nur gelänge, von hier herauszukommen, so würde ich alles aufgeben. Ich werde Buße tun, in einer Höhle wohnen, ein härenes Hemd tragen und Tag und Nacht zu Gott beten. Nicht nur keine Fleischspeisen, auch keine Fischspeisen werde ich in den Mund nehmen! Kein Gewand werd' ich mir unter meinen Leib betten, wenn ich schlafe! Und immer werde ich beten! Und wenn Gottes Barmherzigkeit auch nicht den hundertsten Teil meiner Sünden von mir nimmt, so werde ich mich bis an den Hals in die Erde vergraben oder in ein Steingewölbe einmauern; weder Speise noch Trank werde ich zu mir nehmen, bis ich sterbe; und ich werde meine ganze Habe den Mönchen geben, damit sie vierzig Tage und vierzig Nächte für mich Totenmessen lesen.«
Katerina wurde nachdenklich. »Wenn ich dir auch aufsperre, so kann ich dir deine Ketten doch nicht sprengen.«
»Ich fürchte die Ketten nicht«, sagte er. »Du glaubst, daß sie mich an Händen und Füßen gefesselt hätten? Nein, ich habe ihre Augen mit Blindheit geschlagen und ihnen statt meiner Arme ein dürres Holz entgegengehalten. Schau her: ich trage keine einzige Fessel mehr!« Mit diesen Worten trat er in die Mitte des Verlieses. »Ich würde auch diese Mauern nicht fürchten und durch sie hindurchkommen; dein Mann weiß aber selbst nicht, was das für Mauern sind: ein heiliger Einsiedler hat sie errichtet, und keine höllische Macht kann den Gefangenen von hier befreien, ohne das Schloß mit demselben Schlüssel aufzuschließen, mit dem der Heilige seine Zelle zu verschließen pflegte. Eine ebensolche Zelle will ich, der ungeheuerlichste aller Sünder, mir erbauen, wenn ich von hier herauskomme.«
»Höre: ich will dich herauslassen. Wenn du mich aber betrügst und, statt Buße zutun, wieder des Teufels Bruder wirst?« sprach Katerina, vor der Tür stehenbleibend.
»Nein, Katerina, ich habe nicht mehr lange zu leben; auch ohne die Todesstrafe ist mein Ende nahe. Glaubst du denn, daß ich mich gutwillig den ewigen Höllenqualen überliefern will?«
Die Schlösser rasselten. »Leb wohl! Der barmherzige Gott schütze dich, mein Kind!« sagte der Zauberer und küßte sie.
»Rühr mich nicht an, ungeheuerlicher Sünder! Geh schneller fort! . . .« sagte Katerina.
Er war aber schon verschwunden.
»Ich habe ihn herausgelassen«, sagte sie erschrocken, mit wilden Blicken die Mauern betrachtend. »Was werde ich meinem Manne sagen können? Ich bin verloren. Es bleibt mir nichts übrig, als mich lebendig ins Grab zu legen!« Sie fiel schluchzend auf den Klotz nieder, auf dem der Gefangene gesessen hatte. »Ich habe eine Seele gerettet«, sagte sie leise. »Ich habe ein gottgefälliges Werk getan; aber mein Mann . . . zum ersten Male habe ich ihn betrogen. Oh, wie schrecklich, wie schwer wird es mir sein, ihm die Unwahrheit zu sagen! Da kommt jemand her! Er ist es, Danilo!« rief sie verzweifelt aus und fiel ohnmächtig zu Boden.
»Ich bin's, Töchterchen! Ich bin's, Herzchen!« hörte Katerina, als sie wieder zu sich kam. Ihre alte Magd stand über sie gebeugt und flüsterte ihr etwas zu; sie hatte ihre dürre Hand ausgestreckt und bespritzte Katerina mit kaltem Wasser.
»Wo bin ich?« fragte Katerina, indem sie sich erhob und um sich blickte. »Vor mir rauscht der Dnjepr, hinter mir ragen die Berge . . . Wohin hast du mich gebracht, Alte?«
»Ich habe dich nirgends hingebracht, ich habe dich herausgeführt; ich habe dich auf meinen Armen aus dem dumpfen Verlies herausgetragen. Ich habe die Tür mit dem Schlüssel zugeschlossen, damit dich Pan Danilo nicht bestraft.«
»Wo ist denn der Schlüssel?« fragte Katerina und blickte auf ihren Gürtel. »Ich sehe ihn nicht.«
»Dein Mann hat ihn abgebunden, um nach dem Zauberer zu sehen, Kind.«
»Um nach dem Zauberer zu sehen? . . . Alte, ich bin verloren!« rief Katerina aus.
»Gott mag uns davor behüten, mein Kind! Wenn du schweigst, meine liebe Pani, wird es niemand erfahren!«
»Er ist entflohen, der verdammte Antichrist! Hast du es gehört, Katerina? Er ist entflohen!« rief Pan Danilo, der jetzt zu seiner Frau herantrat. Seine Augen sprühten Funken; der Säbel klirrte an seiner Seite. Totenblaß wurde die Frau.
»Hat ihn jemand herausgelassen, mein lieber Mann?« fragte sie zitternd.
»Freilich hat ihn jemand herausgelassen: der Teufel hat das getan. Schau nur her: statt seiner liegt ein Stück Holz in den Fesseln. Warum hat es nur Gott so eingerichtet, daß der Teufel keine Angst vor Kosakentatzen hat! Wenn es einem von meinen Kosaken eingefallen wäre, es zu tun, wenn ich das nur erführe . . . ich wüßte gar nicht, welch grausame Strafe ich für ihn erfinden sollte!«
»Und wenn ich es wäre? . . .« fragte Katerina unwillkürlich und hielt erschrocken inne.
»Wenn dir das einfiele, so wärest du mein Weib nicht mehr. Ich würde dich in einen Sack einnähen und in die Mitte des Dnjepr versenken lassen! . . .«
Katerina stockte der Atem, und es war ihr, als lösten sich ihr die Haare vom Kopfe.
In einer Schenke an der Grenzstraße haben sich die Polen versammelt und zechen schon seit zwei Tagen. Viel Gesindel sitzt da beisammen.
Sie haben wohl irgendeinen Überfall vor: manche von ihnen haben Musketen bei sich; man hört Sporen klirren und Säbel rasseln.
Die Herren sind lustig und prahlen mit Taten, die sie niemals vollbracht haben; sie höhnen den rechten Glauben und nennen das Volk der Ukrainer ihre leibeigenen Sklaven; sie drehen sich stolz die Schnurrbärte, werfen die Köpfe in den Nacken und rekeln sich auf den Bänken. Auch ein Priester ist dabei; ihr Priester ist aber vom gleichen Schlage wie sie selbst. Er sieht aber auch gar nicht wie ein christlicher Priester aus: er zecht und vergnügt sich mit ihnen und führt mit seiner zuchtlosen Zunge schamlose Reden. Auch die Diener stehen ihnen in nichts nach: sie haben die Ärmel ihrer zerfetzten Röcke zurückgeworfen und stolzieren einher, als wären sie was Rechtes. Sie spielen Karten und hauen einander mit den Kartenblättern auf die Nasen; sie haben auch fremde Weiber bei sich; man schreit, man rauft! . . . Die Herren sind ganz toll vor Vergnügen und treiben allerlei Spaß: sie packen den Juden am Barte und malen ihm auf seine unsaubere Stirne das Zeichen des Kreuzes; sie geben blinde Schüsse auf die Weiber ab und tanzen mit ihrem ruchlosen Priester den Krakowiak. Solch Ärgernis hat's in russischen Landen selbst in den Tagen der Tataren nicht gegeben; Gott hat wohl dem Lande für seine vielen Sünden diese Schmach als Strafe gesandt! Und mitten in diesem Sodom hört man die polnischen Herren vom Gute des Pan Danilo hinter dem Dnjepr, auch von seinem schönen Weibe sprechen . . . Es ist wohl nichts Gutes, was die Bande im Schilde führt!
Pan Danilo sitzt in seiner Kammer, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, und sinnt. Pani Katerina sitzt auf der Ofenbank und singt ein Lied. »Mir ist so traurig ums Herz, mein Weib!« sagt Pan Danilo. »Der Kopf tut mir weh, und auch das Herz tut mir weh. Es ist mir so schwer zumute. Mein Tod schleicht wohl ganz in der Nähe umher.«
»Oh, mein geliebter Mann! Schmiege dich mit deinem Haupte an meine Brust!« – Warum hegst du so finstere Gedanken? – dachte sich Katerina, aber sie wagte es nicht auszusprechen. Es war ihr so bitter, sich mit dem schuldbeladenen Haupte von ihrem Manne herzen zu lassen.
»Höre, mein Weib!« sagte Danilo. »Verlaß meinen Sohn nicht, wenn ich nicht mehr bin. Gott wird dir wie in dieser so in jener Welt jedes Glück versagen, wenn du ihn verläßt. Gar schwer wird es meinen Gebeinen fallen, in der feuchten Erde zu modern, und noch schwerer wird es meine Seele bedrücken!«
»Was sprichst du, mein lieber Mann? Hast du nicht immer selbst über uns schwache Weiber gespottet? Und jetzt redest du selbst wie ein schwaches Weib. Du mußt noch lange leben.«
»Nein, Katerina, die Seele ahnt den nahen Tod. So bange ist es jetzt auf Erden; schlimme Zeiten brechen an. Ach, ich gedenke noch der Jahre, die niemals wiederkehren! Er war noch am Leben, der alte Konaschewitsch! Mir ist's, als ob die Kosakenregimenter jetzt vor meinen Augen vorbeizögen! Eine goldene Zeit war's, Katerina! Der alte Hetman saß auf seinem Rappen; der Feldherrnstab funkelte in seiner Hand; rings um ihn ragten die Feldzeichen; zu beiden Seiten wogte das rote Meer der Saporoger. Der Hetman begann zu sprechen, und das ganze Heer erstarrte wie angewurzelt. Der Alte weinte, als er der alten Taten und Schlachten gedachte. Ach, wenn du wüßtest, Katerina, wie blutig wir damals gegen die Türken kämpften! Auf meinem Kopfe kannst du auch jetzt noch eine Schramme sehen. Vier Flintenkugeln sind an vier Stellen durch meinen Leib geflogen, und keine der vier Wunden ist ganz verheilt. Und wieviel Gold haben wir damals erbeutet! Die Kosaken schöpften die Edelsteine mit den Mützen. Und welche Pferde, wenn du nur wüßtest, Katerina, welche Pferde wir ihnen damals weggetrieben haben! Ach, solche Kämpfe sind mir nicht mehr beschieden! Ich bin ja noch nicht alt, und mein Leib ist noch rüstig; und doch fällt mir das Kosakenschwert aus der Hand, ich lebe ohne Taten und weiß selbst nicht, wozu ich lebe. Es gibt keine Ordnung mehr in der Ukraine: die Obersten und Hauptleute beißen sich wie die Hunde: es gibt kein Oberhaupt, das über allen stünde. Unser Adel hat polnische Sitten angenommen und hat von den Polen Tücke gelernt . . . Er hat seine Seele verschachert, indem er die unierte Kirche anerkannte. Die Juden bedrücken das arme Volk. Oh, vergangene Zeiten! Wohin seid ihr verschwunden, meine Jahre? Geh mal in den Keller, Bursche, und bring mir einen Krug Met! Ich will auf unser früheres Leben und die vergangenen Zeiten trinken!«
»Womit werden wir die Gäste empfangen, Pan? Von der Wiesenseite her kommen die Polen!« sagte Stetzko, in die Stube tretend.
»Ich weiß, wozu sie kommen!« versetzte Danilo, sich von seinem Platze erhebend. »Sattelt die Pferde, meine treuen Diener! Nehmt die Waffen! Zieht die Säbel! Vergeßt auch die blauen Graupen nicht: mit Ehren wollen wir die Gäste empfangen!«
Die Kosaken hatten noch nicht Zeit gehabt, auf die Pferde zu springen und die Musketen zu laden, als die Polen schon den Berg übersäten, wie das Laub, das im Herbste vom Baume fällt.
»Hehe, da ist gar mancher dabei, mit dem wir ein Wörtchen sprechen können!« sagte Danilo, die dicken polnischen Herren, die sich würdevoll auf ihren goldgeschirrten Pferden wiegten, betrachtend. »Wir werden also doch noch einmal den Tanz erleben! Vergnüge dich zum letzten Male, Kosakenseele! Freut euch, Burschen, unser Festtag ist angebrochen!«
Und über die Berge ging der Tanz los, das Festmahl begann. Es schwirren die Schwerter, es fliegen die Kugeln, die Pferde wiehern und stampfen. Das Geschrei verwirrt die Köpfe, der Rauch blendet die Augen. Alle sind durcheinander gekommen; aber der Kosak fühlt, wo Freund und wo Feind ist; die Kugel pfeift – und schon stürzt ein kühner Reiter vom Pferde; der Säbel saust – und schon rollt ein Kopf, unzusammenhängende Worte lallend, über den Boden.
Aber mitten in der Menge ist der rote Boden von Pan Danilos Kosakenmütze zu sehen; der goldene Gürtel auf seinem blauen Kaftan fällt immer in die Augen; wie der Wirbelwind weht die Mähne seines Rappen. Wie ein Vogel flattert er bald hierher, bald dorthin; er schreit und schwingt seinen Damaszener Säbel und holt bald nach rechts, bald nach links aus. Hau zu, Kosak! Erfreue dein mutiges Herz! Schau nicht auf das goldene Zaumzeug und auf die kostbaren Kaftans: tritt Gold und Edelsteine mit Füßen! Stich zu, Kosak! Vergnüge dich, Kosak! Doch blicke zurück: die ruchlosen Polen zünden schon die Häuser an und treiben das erschrockene Vieh fort. Wie der Wirbelwind wendet Pan Danilo sein Roß um, und seine Mütze mit dem roten Boden leuchtet schon neben den Häusern, und immer kleiner wird der Haufen um ihn.
Eine Stunde, und zwei Stunden kämpfen schon die Polen und die Kosaken; immer weniger werden ihrer auf beiden Seiten; doch Pan Danilo ist noch nicht ermattet: er wirft mit seiner langen Lanze die Reiter von den Pferden, er trampelt mit seinem tapfern Roß das Fußvolk nieder. Schon ist der Hof halb gesäubert, schon fliehen die Polen; schon zerren die Kosaken die goldgestickten Röcke und Rüstungen von den Gefallenen; Pan Danilo will schon zur Verfolgung aufbrechen; er blickt sich um, um die Seinen zu sammeln . . . Da entbrennt er in wilder Wut; er erblickt Katerinas Vater. Der steht auf dem Berge und zielt auf ihn mit der Muskete. Danilo treibt sein Pferd auf ihn zu . . . Kosak, du reitest ins Verderben! . . . Der Schuß kracht, und der Zauberer verschwindet hinter dem Berge. Nur der getreue Stetzko allein sah den roten Kaftan und die seltsame Mütze aufleuchten. Der Kosak schwankt und fällt aus dem Sattel. Der getreue Stetzko stürzt zu seinem Herrn hin: sein Pan liegt auf dem Boden hingestreckt, die klaren Augen geschlossen; ein Quell hellroten Blutes bricht ihm aus der Brust. Aber er fühlte wohl, daß sein treuer Diener vor ihm stand; langsam hob er die Lider und blickte ihn an: »Leb wohl, Stetzko! Sag Katerina, sie soll den Sohn nicht verlassen! Verlaßt auch ihr ihn nicht, ihr getreuen Diener!« Und er verstummte. Die Kosakenseele floh aus dem adligen Leib; blau wurden die Lippen: der Kosak schläft den ewigen Schlaf.
Der getreue Diener schluchzte und winkte Katerina mit der Hand: »Komm her, Pani, komm her: dein Pan ist berauscht; er liegt trunken auf dem feuchten Boden; es wird lange dauern, bis er wieder nüchtern ist!«
Katerina schlug die Hände zusammen und fiel wie leblos über den Leichnam. »Mein Gemahl! Bist du es, der mit geschlossenen Augen daliegt? Steh auf, mein lieber Falke, strecke deine Hand aus! Steh auf! Sieh nur einmal noch deine Katerina an, öffne die Lippen, sprich ein Wörtchen! . . . Aber du schweigst, du schweigst, mein edler Pan! Du bist dunkelblau wie das Schwarze Meer! Dein Herz schlägt nicht mehr! Warum bist du so kalt, mein Pan? Meine Tränen sind wohl nicht heiß genug, um dich zu erwärmen! Mein Weinen ist wohl nicht laut genug, um dich zu erwecken! Wer wird nun dein Heer anführen? Wer wird auf deinem Rappen vor den Kosaken dahinsprengen, mit lauten Schreien und den Säbel schwingend? Kosaken, Kosaken! Wo ist eure Ehre, wo ist euer Ruhm? Da liegt eure Ehre und euer Ruhm mit geschlossenen Augen auf der feuchten Erde. Begrabt mich, begrabt mich zusammen mit ihm! Verschüttet mir die Augen mit Erde! Preßt mir Ahornbretter auf den weißen Busen! Ich brauche meine Schönheit nicht mehr!«
So weint und jammert Katerina; eine Staubwolke steigt indes in der Ferne auf: es ist der alte Hauptmann Gorobetz, der zur Hilfe eilt.
Herrlich ist der Dnjepr bei heiterem Wetter, wenn er seine reichen Wasser frei und gemessen durch Wald und Berge trägt. Kein Rauschen, kein Dröhnen. Du schaust hin und weißt nicht, ob sich sein majestätisch breiter Spiegel regt, ob nicht: und es scheint dir, als ob er ganz aus Glas gegossen wäre, als ob eine blaue Spiegelstraße, maßlos in der Breite, endlos in der Länge, sich durch die grüne Welt winde. So wohlig ist dann der heißen Sonne, wenn sie von ihrer Höhe blickt und ihre Strahlen in die Kühle der kristallenen Wogen versenkt; wohlig ist auch den Wäldern am Ufer, wenn sie sich klar in den Wassern spiegeln. Die Grüngelockten! Sie drängen sich zugleich mit den Feldblumen zu den Wassern, und beugen sich über sie, und schauen, und können sich nicht satt sehen an ihrem lichten Spiegelbild, und sie lächeln ihm zu, und sie grüßen es, mit ihren Zweigen winkend. Doch in die Mitte des Dnjepr wagen sie nicht zu schauen: niemand als die Sonne und der blaue Himmel blickt hinein; nur wenige Vögel fliegen bis zur Mitte des Dnjepr. Der Prunkvolle! Es gibt keinen Strom in der Welt, der ihm gliche. Herrlich ist auch der Dnjepr in einer warmen Sommernacht, wenn alles schläft: Mensch und Tier und Vogel, und Gott allein majestätisch Himmel und Erde überschaut und majestätisch seinen Ornat schüttelt. Vom Ornate fallen Sterne herab; die Sterne glühen und leuchten über der Welt und spiegeln sich alle zugleich im Dnjepr. Er hält sie alle in seinem dunkeln Schoße fest; kein einziger kann ihm entrinnen, es sei denn, daß er am Himmel erlischt. Der schwarze Wald voller schlafender Krähen und die seit Urzeiten zerklüfteten Berge beugen sich vor und suchen ihn wenigstens mit ihren langen Schatten zu bedecken: vergebens! Es gibt nichts in der Welt, was den Dnjepr bedecken könnte. Tiefblau wogt seine freie Flut, und bei Tage wie bei Nacht sieht man ihn so weit, als das Menschenauge nur blicken kann. Vor nächtlicher Kühle erzitternd, schmiegt er sich zärtlich ans Ufer, und in seiner Mitte leuchtet dann eine silberne Flut auf, gleich einer Damaszener Klinge; doch er, der Blaue, schlummert schon wieder. Auch dann ist der Dnjepr herrlich, und es gibt keinen Strom, der ihm gliche! Doch wenn über den Himmel dunkelblaue Gewitterwolken ziehen und sich zu Bergen türmen, wenn der schwarze Wald bis auf die Wurzeln erzittert, die Eichen krachen und der Blitz, aus den Wolken hervorbrechend, mit einem Male die ganze Welt erleuchtet – schrecklich ist dann der Dnjepr! Die Wasserhügel prallen dröhnend gegen die Felsen und laufen stöhnend zurück und weinen und schluchzen in der Ferne. So jammert die alte Kosakenmutter, wenn sie ihren Sohn ins Feld geleitet: kühn und munter sitzt er auf seinem Rappen, die Hände in die Hüften gestemmt und die Mütze keck in den Nacken geschoben; sie aber läuft ihm weinend nach, greift nach den Steigbügeln, sucht die Zügel zu erhaschen, ringt die Hände und zerfließt in heißen Tränen.
Wild ragen zwischen den kämpfenden Wellen schwarze, verkohlte Baumstümpfe und Steine auf dem vorspringenden Ufer. Ein Boot schlägt ans Ufer, es hebt sich empor und stürzt wieder: das Boot will wohl landen. Welcher Kosak wagt es, zu einer Stunde, wo der alte Dnjepr wütet, ins Boot zu steigen? Er weiß wohl nicht, daß der Dnjepr Menschen wie die Fliegen verschlingt.
Doch das Boot legt an, und der Zauberer tritt ans Ufer. Er ist nicht froh: bitter war der Totenschmaus, den die Kosaken ihrem erschlagenen Pan zu Ehren aufgetischt hatten. Nicht billig kam er den Polen zu stehen: vierundvierzig vornehme Herren samt Kaftans und Rüstung, und dreiunddreißig Knechte wurden in Stücke gehauen; und die übrigen wurden mit ihren Rossen gefangengenommen, um an die Tataren verkauft zu werden.
Er stieg die steinernen Stufen zwischen den verkohlten Baumstümpfen in die Kammer hinab, die er sich tief in der Erde gegraben hatte. Leise trat er ein, ohne mit der Tür zu knarren, stellte auf den mit einem Tuche bedeckten Tisch einen Topf und begann mit seinen langen Händen unbekannte Kräuter hineinzuwerfen; dann nahm er einen aus wunderlichem Holz gedrechselten Krug, schöpfte mit ihm Wasser und goß es, fortwährend Beschwörungen murmelnd, in den Topf. Rosiges Licht erfüllte die Kammer, und schrecklich war das Gesicht des Zauberers: blutrot war es, die tiefen Furchen zeichneten sich darauf schwarz ab, und die Augen glühten wie Feuer. Der ruchlose Sünder! Sein Bart war ja schon längst ergraut und sein Gesicht voller Runzeln; ganz ausgetrocknet war er, und doch hatte er immer noch Gottloses im Sinn. Mitten in der Stube bildete sich eine weiße Wolke, und in seinem Gesicht leuchtete etwas wie Freude auf; doch warum war er plötzlich erstarrt, warum sperrte er den Mund auf, warum wagte er nicht, sich zu rühren? Warum sträubten sich seine Haare wie Borsten? In der Wolke vor ihm leuchtete ein seltsames Gesicht. Ungebeten, ungerufen war es zu ihm gekommen; und es wurde immer deutlicher und starrte ihn immer fester mit unbeweglichen Augen an. Die Züge, die Brauen, die Augen, die Lippen – alles war ihm unbekannt, noch nie im Leben hatte er sie gesehen. Das Gesicht war ja gar nicht so schrecklich, und doch überfiel den Zauberer ein Grauen. Und der unbekannte, wunderbare Kopf starrte ihn noch immer aus der Wolke an. Schon hatte sich die Wolke verzogen. Aber die unbekannten Züge erschienen immer schärfer, und die stechenden Augen wollten sich nicht von ihm wenden. Der Zauberer wurde bleich wie Leinwand; er schrie mit wilder Stimme, die gar nicht wie seine Stimme klang, auf und warf den Topf um . . . Alles war verschwunden.
»Beruhige dich, geliebte Schwester!« sagte der alte Hauptmann Gorobetz. »Träume sprechen selten die Wahrheit.«
»Leg dich hin, Schwesterchen!« sagte seine junge Schwiegertochter. »Ich will die alte Wahrsagerin kommen lassen; keine böse Macht kann ihr widerstehen. Sie wird Blei gießen und den Grund dieser Unruhe erfahren.«
»Fürchte nichts!« rief des Hauptmanns Sohn, nach dem Säbel greifend. »Niemand wird dir etwas zuleide tun.«
Mit trüben Augen blickte Katerina alle an und konnte kein Wort sagen. »Ich habe mich selbst ins Verderben gestürzt: ich habe ihn herausgelassen!« Endlich sagte sie: »Ich finde keine Ruhe vor ihm! Ich bin ja schon seit zehn Tagen bei euch in Kiew, und mein Kummer ist um keinen Tropfen geringer. Ich dachte, ich würde mir in Ruhe meinen Sohn zum Rächer großziehen . . . So furchtbar erschien er mir im Traum! Der Herr behüte euch davor, ihn je zu sehen! Mein Herz klopft noch immer wie wild. – ›Ich werde dein Kind in Stücke hauen, Katerina‹, schrie er, ›wenn du nicht mein Weib werden wirst!‹ . . .« Und schluchzend stürzte sie zur Wiege, aus der das erschrockene Knäblein schreiend die Hände ausstreckte.
Des Hauptmanns Sohn tobte vor Wut, als er diese Reden hörte.
Auch der Hauptmann selbst war mächtig erregt. »Mag er's nur versuchen, herzukommen, der verdammte Antichrist: er soll sehen, welche Kraft in den Armen des alten Kosaken noch wohnt. Gott ist mein Zeuge!« rief er aus, seine scharfen Augen gen Himmel erhebend. »Eilte ich denn nicht meinem Bruder Danilo zu Hilfe? Doch es war Sein heiliger Wille! Ich traf ihn schon auf dem kalten Bette, auf dem schon so viel Kosakenvolk ruhte. War aber sein Totenschmaus nicht prunkvoll? Haben wir auch nur einen einzigen Polen am Leben gelassen? . . . Beruhige dich, mein Kind! Niemand wird dir etwas zuleide tun, es sei denn, daß ich und mein Sohn nicht mehr am Leben sind.«
Nach diesen Worten trat der alte Hauptmann zur Wiege; als das Kind seine rote, in Silber gefaßte Pfeife und das glänzende Feuerzeug erblickte, streckte es die Händchen aus und lachte. »Der wird ganz wie der Vater!« sagte der alte Hauptmann, indem er die Pfeife vom Riemen löste und dem Kinde reichte. »Er ist noch nicht der Wiege entwachsen und will schon Pfeife rauchen!«
Leise seufzte Katerina und begann ihr Kind zu wiegen. Man kam überein, die Nacht gemeinsam zu verbringen, und bald schliefen sie alle; auch Katerina war eingeschlummert.
Auf dem Hofe und in der Stube war alles still; nur die Kosaken, die Wache hielten, schliefen nicht. Plötzlich stieß Katerina einen Schrei aus, und mit ihr erwachten auch alle anderen. »Er ist tot, er ist ermordet!« rief sie aus und stürzte zur Wiege . . . Alle umringten die Wiege und erstarrten vor Entsetzen, als sie das Kind leblos daliegen sahen. Keiner von ihnen sprach ein Wort, keiner wußte, was er von der unerhörten Missetat denken sollte.
Fern vom Lande der Ukrainer, hinter Polen und der volkreichen Stadt Lemberg zieht sich eine Bergkette hin mit hohen Gipfeln. Berg steht hinter Berg; wie mit einer steinernen Kette haben sie die Erde gefesselt, damit das brausende, wilde Meer nicht hindurchsickere. Die steinernen Ketten ziehen sich bis in die Walachei und Siebenbürgen hinein und ragen als ein Riesenhufeisen zwischen den galizischen und den ungarischen Landen. In unserer Heimat gibt es solche Berge nicht. Das Auge wagt nicht, sie zu umfassen. Manchen Gipfel betrat noch kein Menschenfuß. Seltsam ist ihr Anblick: hat nicht die ausgelassene Meeresflut bei Sturm ihre weiten Ufer verlassen und ihre unförmigen Wellen im Wirbel hinaufgeschleudert, die nun versteinert in die Luft ragen? Sind nicht schwere Wolken vom Himmel gestürzt, die sich da zu wilden Haufen türmen? Denn die Berge haben die graue Farbe der Wolken, und nur ihre Gipfel blinken und funkeln weiß in der Sonne. Bis zu den Karpaten hört man noch hie und da die russische Sprache, und auch hinter den Bergen kann man zuweilen ein vertrautes Wort hören; aber dann kommt ein Land mit einem anderen Glauben und einer fremden Sprache. Da lebt das zahlreiche Volk der Ungarn; sie reiten, fechten und zechen nicht schlechter als die Kosaken; für schönes Zaumzeug und prächtige Kaftans ziehen sie gern manchen Dukaten aus der Tasche. Große und freie Seen liegen zwischen den Bergen. Unbeweglich wie Glas ist ihr Wasser, und wie im Spiegel zeichnen sich in ihnen die nackten Gipfel und die grünen Sohlen der Berge.
Wer reitet aber um Mitternacht – bei sternklarer und auch bei finsterer Nacht auf einem riesigen Rappen? Welcher Recke von übermenschlicher Gestalt reitet da unter den Berggipfeln über den Seen und spiegelt sich mit seinem Riesenroß im regungslosen Wasser, während sein endloser Schatten unheimlich an den Bergen vorbeihuscht? Sein aus Stahl geschmiedeter Harnisch glänzt, auf der Schulter trägt er die Lanze; am Sattel rasselt der Säbel; das Visier ist herabgelassen; schwarz ist sein Schnurrbart; geschlossen sind die Augen – er schläft und lenkt schlafend sein Roß; hinter seinem Rücken sitzt im selben Sattel ein kleiner Page; auch er schläft und hält sich im Schlafe an dem Recken fest. Wer ist er, wo reitet er hin und wozu? Niemand weiß es. Es ist nicht der erste und auch nicht der zweite Tag, seit er so über die Berge reitet. Wenn der Tag anbricht und die Sonne aufgeht, ist er unsichtbar; nur selten sahen die Bergbewohner, wie durch die Berge ein langer Schatten huschte, obwohl der Himmel ganz klar war und keine Wolke über ihn zog. Aber wenn die finstere Nacht kommt, ist er mit seinem Spiegelgebilde im Wasser gleich wieder zu sehen, und ihm folgt zitternd sein Schatten. Über viele Berge ist er schon hinübergeritten; nun hat er den Krivan erklommen. Es ist der höchste Berg unter den Karpaten: wie ein König erhebt er sich über die anderen. Hier blieb der Reiter mit seinem Roß stehen: noch tiefer sank er in Schlaf, und die Wolken senkten sich über ihn und hüllten ihn ein.
»Still, Weib! Lärme nicht so: mein Kind ist eben eingeschlafen. Lange hat mein Sohn geschrien, nun schläft er. Ich will in den Wald gehen, Weib! Was schaust du mich so an? Du bist so schrecklich; eiserne Zangen stecken dir aus den Augen heraus . . . so lang sind die Zangen, und sie glühen wie Feuer! Du bist wohl eine Hexe! Wenn du eine Hexe bist, so verschwinde! Du wirst mir meinen Sohn rauben. Wie dumm ist doch dieser Hauptmann: er glaubt, es sei mir eine Wonne, in Kiew zu leben. Nein, hier ist mein Mann, auch mein Söhnchen ist hier. Wer wird das Haus bewachen? Ich ging so leise fort, daß es weder die Katze noch der Hund hörten. Willst du, Weib, wieder jung werden? Das ist gar nicht so schwer: man muß tanzen. Sieh nur her, wie ich tanze . . .« Und nach diesen sinnlosen Worten begann Katerina zu tanzen. Sie blickte wie irrsinnig nach allen Seiten und stemmte sich die Arme in die Hüften. Sie schrie und stampfte mit den Füßen; ohne Maß, ohne Takt klirrten ihre silberbeschlagenen Absätze. Ihre aufgelösten schwarzen Flechten hingen ihr über den weißen Hals. Sie flog wie ein Vogel, ohne stehenzubleiben, dahin; sie schwang die Arme und nickte mit dem Kopf, und es schien, als müsse sie jetzt ohnmächtig zu Boden stürzen oder aus dieser Welt hinausfliegen.
Traurig stand die alte Kinderfrau vor ihr, und Tränen strömten ihr über die tiefen Runzeln; eine schwere Last bedrückte die Herzen der getreuen Burschen, als sie das Gebaren ihrer Pani sahen. Schon war sie ermüdet und stampfte mit den Beinen auf demselben Fleck. Aber sie glaubte, es sei der Turteltaubentanz, was sie tanzte. »Ich habe eine Halskette, Burschen!« sagte sie, endlich stehenbleibend. »Und ihr habt keine! . . . Wo ist mein Mann?« schrie sie plötzlich auf und zog einen türkischen Dolch aus dem Gürtel. »Ach, das ist kein Dolch, wie ich ihn brauche.« Tränen traten ihr in die Augen, und ihr Gesicht verzerrte sich vor Kummer. »Bei meinem Vater liegt das Herz gar tief: der Dolch kann nicht so tief eindringen. Sein Herz ist aus Eisen geschmiedet; eine Hexe hat es ihm auf dem höllischen Feuer geschmiedet. Warum kommt mein Vater noch immer nicht? Weiß er denn nicht, daß ich ihn jetzt erdolchen muß? Er will wohl, daß ich selbst zu ihm komme . . .« Sie hielt inne und lachte seltsam auf. »Eine gar lustige Geschichte kommt mir eben in den Sinn: ich erinnere mich, wie man meinen Mann begrub. Man hat ihn ja lebendig begraben . . . Ich mußte so lachen! . . . Hört doch, hört!« Und statt weiterzusprechen, begann sie ein Lied zu singen:
»Kommt ein Wagen angefahren,
Ein Kosak in blut'ger Wehr
Liegt im Wagen, totgeschossen,
Und die Rechte hält den Speer.
Und ein Blutstrom fließt vom Speere,
Fließt dahin mit blut'gem Schaum . . .
Steht ein Ahornbaum am Ufer,
Krächzt ein Rabe auf dem Baum.
Und die Mutter weint vor Leid . . .
Weine nicht, Kosakenmutter,
Denn dein Sohn hat schon gefreit.
Ist erbaut zum Hochzeitsschmause
Auf dem Felde eine Klause;
Ohne Fenster sind die Wände,
Und das Liedchen hat ein Ende . . .
Tanzt der Krebs mit einem Fische . . .
Und wer mich nicht mag, des Mutter
kriegt die Kränke . . .«
So bringt sie alle Lieder durcheinander. Sie lebt schon seit zwei Tagen in ihrem Hause und will nichts von Kiew wissen. Sie betet nicht, sie flieht die Menschen, sie irrt vom frühen Morgen bis in die späte Nacht in den dunkeln Wäldern umher. Die spitzen Äste ritzen ihr die Schultern und das weiße Gesicht blutig; der Wind zerzaust ihr das aufgelöste Haar; welkes Laub raschelt unter ihren Füßen – sie sieht aber nichts von alledem. In der Stunde, wo das Abendrot erlischt, wo die Sterne noch nicht zu sehen sind und der Mond noch nicht leuchtet, ist es so unheimlich, durch den Wald zu gehen. Die ungetauften Kinder krallen sich an die Baumstämme fest und greifen nach den Ästen; sie schluchzen und lachen und rollen wie Knäuel über die Wege und die Brennesseln; aus den Wellen des Dnjepr steigen reihenweise die Mädchen heraus, die sich das Leben genommen haben; die Haare fließen von den grünen Köpfen auf die Schultern herab; das Wasser rieselt von den langen Haaren auf die Erde hinunter, und die Mädchenleiber schimmern durch das Wasser hindurch wie durch gläserne Hemden; seltsam lächeln ihre Lippen, die Wangen glühen, die Augen locken einem die Seele aus dem Leibe . . . Die Jungfrau verbrennt vor Liebe, sie will dich totküssen . . . Entfliehe, du Christenmensch! Ihre Lippen sind Eis, ihr Bett ist das kalte Wasser; sie wird dich zu Tode kitzeln und in den Fluß schleppen, Katerina sieht aber nichts, die Wahnsinnige hat keine Furcht vor den Wasserjungfrauen; sie rennt spät in der Nacht mit dem Dolche umher und sucht ihren Vater.
Am frühen Morgen kam ein unbekannter stattlicher Gast in rotem Kaftan und erkundigte sich nach Pan Danilo; als er alles erfahren hatte, wischte er sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen, und seine Schultern erbebten. Er hätte mit dem seligen Burulbasch Seite an Seite gefochten; gegen die Krimer Tataren und die Türken hätten sie gekämpft; er hätte es nie erwartet, daß Pan Danilo ein solches Ende nehmen würde. Der Gast erzählte noch manches andere und wollte schließlich auch Pani Katerina sehen.
Katerina hörte zuerst gar nicht darauf, was der Gast erzählte; dann begann sie aber seinen Reden zu lauschen, wie wenn sie bei klarem Verstande wäre. Er sprach davon, daß er und Danilo wie zwei Brüder miteinander gelebt hätten; wie sie sich einmal vor den Krimer Tataren hinter einem Damme versteckt hatten . . . Katerina hörte ihm zu, ohne die Augen von ihm zu wenden.
– Sie wird wieder zur Besinnung kommen!– dachten sich die Burschen, die dabei waren und sie beobachteten. – Dieser Gast wird sie heilen! Sie hört ihm ja ganz vernünftig zu! –
Der Gast erzählte indessen, daß Pan Danilo ihm in einem vertraulichen Zwiegespräch gesagt hätte: »Sieh, Bruder Koprjan: wenn ich einmal nach Gottes Ratschluß nicht mehr bin, so nimm mein Weib zu dir, und sie soll dein Weib werden . . .«
Entsetzt starrte ihn Katerina an. »Ach!« schrie sie auf: »Er ist es! Er, mein Vater!« Und mit diesen Worten stürzte sie sich mit dem Dolche auf ihn.
Lange kämpfte er mit ihr und suchte ihr das Messer zu entreißen; endlich entwand er es ihr und holte zum Schlage aus. Eine schauerliche Tat geschah: der Vater erdolchte seine wahnsinnige Tochter.
Die Kosaken waren wie vom Blitze getroffen. Sie stürzten sich auf den Missetäter. Aber der Zauberer schwang sich in den Sattel und entschwand allen Blicken.
In der Gegend bei Kiew begab sich ein unerhörtes Wunder. Alle vornehmen Herren und Hetmans versammelten sich, das Wunder anzustaunen: man konnte plötzlich ganz klar bis an die Enden der Welt sehen. In der Ferne blaute die Mündung des Dnjepr, hinter ihr wogte das Schwarze Meer. Leute, die die Welt gesehen hatten, erkannten auch die Krim, die sich wie ein Berg aus dem Meere erhob, und auch den sumpfigen Siwasch. Zur linken Hand konnten sie aber das galizische Land erkennen.
»Und was ist das?« befragte das Volk die alten Männer, auf die ferne am Himmel ragenden grauen und weißen Spitzen zeigend, die mehr wie Wolken aussahen.
»Das sind die Karpaten!« sagten die alten Männer. »Es gibt unter ihnen solche, von denen der Schnee niemals verschwindet; die Wolken landen und nächtigen auf ihren Gipfeln.«
Da geschah aber ein neues Wunder: vom höchsten Berge flogen plötzlich die Wolken herab, und auf dem Gipfel wurde ein Reiter in Ritterrüstung sichtbar; er hielt die Augen geschlossen, und man konnte ihn so deutlich sehen, als ob er ganz in der Nähe stünde.
Da sprang einer mitten in der vor Schreck erstarrten Menge aufs Pferd und jagte, wild um sich blickend, als wolle er sich vergewissern, daß ihn niemand verfolge, davon. Es war der Zauberer. Was hatte ihn so erschreckt? Er hatte im wunderbaren Ritter dasselbe Gesicht erkannt, das ihm, als er neulich seine schwarze Kunst übte, ungerufen erschienen war. Er konnte selbst nicht begreifen, warum dieser Anblick ihn so erschreckt hatte. Scheu um sich blickend, sprengte er auf seinem Pferde dahin, bis die Nacht anbrach und die Sterne aufleuchteten. Da wandte er sein Roß um und ritt nach Hause, vielleicht um die bösen Mächte zu befragen, was jenes Wunder zu bedeuten habe. Er wollte schon über den schmalen Bach hinübersetzen, der quer über die Straße lief, als sein Pferd plötzlich wie angewurzelt stehenblieb, das Maul nach ihm wandte und – o Wunder! – zu lachen anfing! Unheimlich schimmerten die beiden Reihen seiner weißen Zähne in der Finsternis. Dem Zauberer standen die Haare zu Berge. Er stieß einen wilden Schrei aus, schluchzte wie ein Besessener und trieb sein Pferd geradeswegs auf Kiew zu. Es war ihm, als ob alles, was er sah, ihm nachsetzte, um ihn einzufangen; die Bäume drängten sich um ihn zu einem Dickicht zusammen; sie nickten wie lebendig mit den schwarzen Barten und streckten die langen Äste nach ihm aus, um ihn zu erwürgen; die Sterne schienen ihm vorauszueilen, um aller Welt den Sünder zu zeigen; selbst die Straße, so schien es ihm, setzte ihm nach.
Der Zauberer eilte in seiner Verzweiflung zum heiligen Höhlenkloster von Kiew.
Einsam saß der Einsiedler in seiner Höhle vor der Lampe und sah unverwandt in ein heiliges Buch. Seit vielen Jahren saß er schon in seiner Höhle; er hatte sich einen Sarg aus rohen Brettern gezimmert, in dem er wie in einem Bette schlief. Der heilige Greis schlug das Buch zu und begann zu beten . . . Plötzlich kam ein Mann, seltsam und schrecklich von Angesicht, in die Höhle gestürzt. Zum erstenmal erstaunte der heilige Einsiedler und taumelte zurück, als er diesen Menschen sah. Der Fremde zitterte am ganzen Leibe wie Espenlaub; seine Blicke schweiften irr umher; schreckliche Funken stoben aus seinen Augen; die Seele erschauerte vor seiner Mißgestalt.
»Heiliger Vater, bete! Bete!« schrie er verzweifelt auf. »Bete für meine verlorene Seele.« Und er stürzte zu Boden.
Der heilige Einsiedler bekreuzigte sich, schlug sein Buch wieder auf, taumelte entsetzt zurück und ließ das Buch fallen. »Nein«, sagte er, »du unerhörter Sünder! Es gibt keine Gnade für dich! Fliehe von hier! Ich kann nicht für dich beten!«
»Du kannst nicht?« schrie der Sünder wie toll.
»Schau: die heiligen Lettern im Buche sind blutrot geworden. Noch nie hat es in der Welt einen solchen Sünder gegeben!«
»Heiliger Vater, du spottest meiner!«
»Geh, du verdammter Sünder! Ich spotte deiner nicht. Angst überfällt mich. Es ist nicht gut für den Menschen, mit dir zu sein!«
»Nein, nein! Du spottest, leugne es nicht . . . Ich sehe, wie du den Mund auftust: weiß schimmern deine alten Zähne!«
Wie besessen stürzte er sich auf den Heiligen und erschlug ihn.
Etwas stöhnte schwer auf, und das Stöhnen klang durch Feld und Wald. Hinter dem Walde erhoben sich hagere trockene Arme mit langen Krallen; sie erbebten und verschwanden wieder.
Nun fühlte er keine Angst mehr, er fühlte gar nichts mehr. Alles kam ihm wie im Nebel vor; in seinen Ohren rauschte es, in seinem Kopfe rauschte es, wie wenn er trunken wäre, und alles, was er vor Augen sah, war gleichsam mit einem Spinngewebe überzogen. Er sprang in den Sattel und schlug den Weg nach Kanew ein, um von dort über Tscherkassy geradeaus nach der Krim zu den Tataren zu gelangen, obwohl er selbst nicht wußte, was er dort tun sollte. Er ritt zwei Tage lang, von Kanew war aber noch immer nichts zu sehen. Endlich leuchteten in der Ferne Kirchenkuppeln auf, aber es war nicht Kanew, sondern Schumsk. Der Zauberer staunte, als er sah, daß er einen falschen Weg genommen hatte. Und er trieb sein Pferd zurück auf Kiew zu, und am folgenden Tage zeigte sich die Stadt. Die Stadt war aber nicht Kiew, sondern Halitsch, eine Stadt, die von Kiew noch weiter entfernt ist als Schumsk; von Halitsch ist es nicht mehr weit nach Ungarn. Der Zauberer wußte gar nicht, was er anfangen sollte, und kehrte wieder um. Und er fühlte wieder, daß er in die entgegengesetzte Richtung ritt und immer weiter kam. Kein Mensch in der Welt hätte sagen können, was in der Seele des Zauberers vorging; und wenn ein Mensch in seine Seele hineingeblickt und gesehen hätte, was in ihr vorging, so würde er keine Nacht mehr ruhig zu Ende schlafen und würde niemals mehr lachen. Es war weder Wut noch Furcht, noch wilder Zorn. Es gibt kein Wort in der Welt, mit dem man es hätte nennen können.
Das Gefühl brannte ihm auf der Seele, er hatte Lust, die ganze Welt mit seinem Rosse zu zertrampeln, das ganze Land von Kiew bis nach Halitsch mit allen Menschen und allem, was darauf war, im Schwarzen Meere zu ertränken. Doch nicht aus Haß wollte er es tun: er wußte selbst nicht warum. Und er erzitterte, als ganz nahe vor ihm die Karpaten auftauchten und zwischen ihnen der hohe Krivan, dessen Gipfel mit einer grauen Wolke wie mit einer Mütze bedeckt war. Aber das Roß jagte immer weiter und sprengte schon über die Berge dahin. Plötzlich verzogen sich die Wolken, und vor ihm erschien in schauerlicher Majestät der Reiter . . . Der Zauberer wollte sein Pferd anhalten, aus aller Kraft zog er die Zügel an; wild wieherte das Roß, es warf die Mähne empor und raste auf den Ritter zu. Da war es dem Zauberer, als ob alles in ihm erstürbe, als ob der regungslose Reiter sich bewege, die Augen aufmache und beim Anblick des auf ihn zueilenden Zauberers laut auflache. Wie der Donner dröhnte das wilde Lachen durch die Berge und hallte im Herzen des Zauberers wider, sein ganzes Inneres erschütternd. Und es war ihm, als ob jemand Starker in ihn hineingekrochen wäre und in ihm umherginge und auf sein Herz und seine Adern mit Hämmern schlüge: so schrecklich hallte in ihm das Lachen wider!
Und der Reiter ergriff mit mächtiger Hand den Zauberer und hob ihn in die Luft. Im Nu war der Zauberer tot. Als er schon tot war, schlug er die Augen auf; aber er war schon ein Leichnam und blickte wie ein Leichnam. So schrecklich blickt kein Lebendiger und kein vom Tode Auferstandener. Er rollte die toten Augen nach allen Seiten und sah, wie sich die Toten im Kiewer Lande, in Galizien und in den Karpaten aus ihren Gräbern erhoben; und sie alle glichen ihm wie zwei Tropfen Wasser. Entsetzlich bleich, einer immer größer als der andere, einer immer knochiger als der andere, umringten sie den Ritter, der in der Hand seine furchtbare Beute hielt. Und wieder lachte der Ritter und schleuderte ihn in einen Abgrund. Und alle Toten sprangen in den Abgrund, packten den Leichnam und bohrten ihre Zähne in ihn hinein. Aber ein Toter war größer und schrecklicher als alle anderen; auch er wollte sich aus der Erde erheben, doch er konnte es nicht: so riesengroß war er in der Erde geworden, daß die Karpaten, das Siebengebirge und die Türkei umstürzen würden, wenn er sich erhöbe. Er reckte sich nur ein wenig in seinem Grabe, und da ging ein Beben über die Erde, und viele Häuser wurden umgeworfen, und viele Menschen kamen dabei um.
Oft hört man in den Karpaten ein Sausen, wie wenn tausend Mühlräder sich im Wasser drehten: in einem Abgrund, aus dem es keinen Ausgang gibt, den noch kein Mensch gesehen hat und den jedermann fürchtet, nagen die Toten an einem Toten. Oftmals kommt es vor, daß die Erde von einem Ende bis zum anderen erzittert. Die gelehrten Menschen sagen, das käme daher, daß irgendwo am Meere ein Berg stehe, aus dem Flammen emporlodern und brennende Ströme hervorfließen. Aber die alten Männer in Ungarn und in Galizien wissen es besser und sagen, daß es der in die Erde hineingewachsene große Tote sei, der die Welt erschüttere.
In der Stadt Gluchow hat sich das Volk um einen greisen Leiermann versammelt und hört wohl seit einer Stunde dem Spiele des Blinden zu. Kein Leiermann hat noch so wunderbare Lieder gesungen. Zuerst sang er von den Hetmans der alten Zeiten, von Sagaidatschnyj und von Chmelnitzkij. Das waren andere Zeiten: die Kosaken waren damals weit berühmt, sie stampften ihre Feinde mit den Rossen nieder, und niemand wagte es, ihrer zu spotten. Der Alte sang auch lustige Lieder und ließ dabei seine Augen wie ein Sehender über die Menge schweifen; seine Finger mit den Knochenstäbchen flogen wie die Fliegen über die Saiten, und die Saiten schienen von selbst zu klingen; das Volk aber lauschte andächtig, die Alten mit gesenkten Köpfen, die Jungen, die Augen auf den Greis gerichtet, und niemand wagte auch nur ein Wort zu flüstern.
»Wartet«, sagte der Greis, »ich singe euch von einer Begebenheit aus uralten Zeiten.« Das Volk rückte noch enger zusammen, und der Blinde sang:
»In der Zeit des Pan Stephans, des Fürsten von Siebenbürgen (damals war der Fürst von Siebenbürgen zugleich auch König der Polen), lebten zwei Kosaken, Iwan und Petro. Sie lebten wie Brüder miteinander. ›Sieh, Iwan, alles, was uns das Schicksal gibt, wird geteilt: hat der eine Freude, so hat auch der andere Freude; hat der einen Kummer, so haben beide Kummer; auch jede Beute wird geteilt; gerät der eine in Gefangenschaft, so muß der andere alles verkaufen und Lösegeld zahlen oder selbst in Gefangenschaft gehen.‹ Und so geschah es: was auch die Kosaken erbeuteten, ob fremdes Vieh, ob fremde Pferde, alles teilten sie untereinander.«
»König Stephan kämpfte gegen die Türken. Drei Wochen schon währte der Kampf, doch der König konnte die Feinde noch immer nicht verjagen. Die Türken hatten aber einen Pascha, der ganz allein mit zehn Janitscharen ein ganzes Regiment niedermetzeln konnte. Da verkündete König Stephan, daß, wenn sich ein Kühner fände, der ihm den Pascha tot oder lebendig brächte, er ihm allein so viel Lohn bezahlen würde, als das ganze Heer bekäme . . . ›Komm, Bruder, wollen wir den Pascha fangen!‹ sagte Bruder Iwan zu Petro. Und die beiden Kosaken ritten davon, der eine nach rechts, der andere nach links.«
»Man weiß nicht, ob Petro den Pascha gefangen hätte oder nicht, aber Iwan führt ihn schon mit einem Strick um den Hals vor den König. ›Braver Bursch!‹ sagte König Stephan und ließ ihm so viel Lohn auszahlen, als ein ganzes Heer bekam; und er befahl, ihm Ländereien zuzuteilen, wo er nur welche haben wollte, und ihm so viel Vieh zu geben, als er nur verlangte. Als Iwan diesen Lohn vom König erhalten hatte, teilte er alles am selben Tage zu gleichen Teilen mit Petro. Petro nahm die Hälfte des königlichen Lohnes an, konnte aber nicht verschmerzen, daß der König seinem Bruder solche Ehre erwiesen hatte, und es regten sich in ihm heimliche Rachegedanken.«
»Nun ritten die beiden Kosaken hinter die Karpaten, in das Land, das der König verliehen hatte. Iwan hatte seinen Sohn zu sich auf den Sattel gesetzt und ihn an sich festgebunden. Es dämmerte schon, und sie ritten noch immer. Das Kind war eingeschlafen, und auch Iwan selbst nickte ein. Schlafe nicht, Kosak, die Wege in den Bergen sind gefährlich! Doch der Kosak hat ein Roß, das überall den Weg findet, das niemals strauchelt und niemals ausgleitet. Zwischen den Bergen gibt es einen Abgrund; noch niemand hat den Boden des Abgrundes gesehen; so weit es von der Erde bis zum Himmel ist, so weit ist es auch von der Erde bis zum Boden des Abgrundes. Und oben am Rande des Abgrundes führt ein Pfad, über den gerade noch zwei Menschen reiten können . . . Drei können es aber um nichts in der Welt. Behutsam setzte das Roß mit dem schlummernden Kosaken seine Hufe. An seiner Seite ritt Petro; er zitterte am ganzen Leibe und konnte vor Freude kaum atmen.
Er blickte sich um und stieß plötzlich seinen Blutsfreund in den Abgrund hinab; und das Roß stürzte mit dem Kosaken und dem Kinde in den Abgrund.«
»Der Kosak hielt sich aber an einem Aste fest, und nur das Roß allein stürzte hinab. Er begann, mit dem Sohne auf dem Rücken, hinaufzuklettern; schon hatte er beinahe den Rand erreicht, als er die Augen hob und sah, wie Petro ihm die Lanze entgegenhielt, um ihn wieder hinabzuwerfen. ›Gerechter Gott! Hätte ich doch lieber meine Augen nicht erhoben, als daß ich sehen muß, wie mein eigener Bruder mit der Lanze nach mir zielt, um mich wieder hinabzustoßen! . . . Liebster Bruder! Stich mich mit der Lanze nieder, das ist mir wohl schon so beschieden; nimm aber meinen Sohn zu dir; was hat das unschuldige Kind verbrochen, daß es einen so grausamen Tod sterben muß?‹
Petro lachte auf und stieß ihn mit der Lanze hinab, und der Kosak stürzte mit seinem Kinde in den Abgrund.
Petro nahm sich aber die ganze Habe und lebte wie ein Pascha. Niemand hatte solche Pferdeherden, niemand so viele Schafe und Hammel wie Petro. Und Petro starb.«
»Als Petro gestorben war, rief Gott die Seelen der beiden Brüder, Petro und Iwan, vor sein Gericht. ›Ein großer Sünder ist dieser Mensch!‹ sagte Gott. ›Iwan, ich kann keine Strafe für ihn finden, wähle du selbst die Strafe!‹ Lange dachte Iwan nach, um eine Strafe zu erfinden, und endlich sagte er: ›Großes Leid hat mir dieser Mensch zugefügt; wie ein Judas hat er seinen Bruder verraten, und er hat mich meines Geschlechts und meiner Nachkommenschaft beraubt. Der Mensch ohne Geschlecht und ohne Nachkommenschaft ist aber wie ein Samenkorn, das fruchtlos in der Erde umkommt. Die Saat geht nicht auf, und niemand erfährt, daß der Same ausgesät wurde.«
»So richte es, Herr, so ein, daß sein ganzes Geschlecht auf Erden kein Glück erfahre; daß der Letzte seines Geschlechts ein solcher Bösewicht werde, wie es noch keinen in der Welt gegeben hat; daß seine Ahnen und Urahnen keine Ruhe in ihren Särgen finden und sich in Qualen, wie sie die Welt noch nicht gekannt hat, aus ihren Gräbern erheben! Und der Judas Petro soll nicht die Kraft haben, aus dem Grabe zu steigen und noch schrecklichere Marter leiden; wie ein Besessener soll er Erde essen und sich unter der Erde in Krämpfen winden!«
»Und wenn das Maß der Missetaten jenes Letzten seines Geschlechts voll wird, so erhebe mich, Herr, mit meinem Roß aus dem Abgrund auf den höchsten Bergesgipfel; und er soll zu mir kommen, und ich werde ihn vom Berge in den tiefen Abgrund schleudern, und alle Toten, alle seine Ahnen und Urahnen, in welchen Ländern sie auch bei Lebzeiten gewohnt haben, mögen von allen Seiten der Erde herbeikommen und zur Vergeltung aller Pein, die er ihnen zugefügt, an ihm nagen; und ich werde mich am Anblick seiner Qualen weiden. Und der Judas Petro soll sich nicht aus der Erde erheben können, um am Letzten seines Geschlechts zu nagen; er soll nur an sich selbst nagen, und seine Gebeine sollen je länger, je größer wachsen, damit sein Schmerz noch unerträglicher werde. Und diese Qual wird für ihn am schrecklichsten sein, denn es gibt für den Menschen keine größere Qual, als sich rächen zu wollen und es nicht tun zu können!‹«
»›Eine furchtbare Strafe hast du ersonnen, Mensch!‹ sprach der Herr. ›Doch es geschehe, wie du gesprochen; aber auch du sollst ewig auf deinem Rosse sitzen und nicht ins Himmelreich kommen, solange du auf deinem Rosse sitzest!‹ Und es geschah so; auch heute noch steht der wunderbare Reiter in den Karpaten und sieht, wie im bodenlosen Abgrunde die Toten an dem Toten nagen, und hört, wie der in der Erde liegende Tote wächst, wie er in furchtbaren Qualen an den eigenen Knochen nagt und die ganze Erde erschüttert.«
Der Blinde hat sein Lied beendet; schon greift er wieder in die Saiten; schon singt er lustige Lieder von Choma und Jerjoma und von Stkljar Stokosa . . . Doch die Alten und Jungen können noch immer nicht zu sich kommen. Lange stehen sie da, die Köpfe gesenkt, und sinnen über die schreckliche Mär aus uralten Zeiten.