Nikolai Gogol
Furchtbare Rache
Nikolai Gogol

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2

Stilles Licht versilbert die Welt, – der Mond ist über den Bergkamm gestiegen. Er spreitet seinen Glanz gleich einem Nesseltuch aus seiner weißer Seide über die Dnjeprufer und scheucht die Schatten tief ins Fichtendickicht.

Mitten im Dnjepr schwimmt ein eichener Einbaum. Zwei junge Burschen sitzen vorn im Kahn. Sie tragen ihre schwarzen Lammfellmützen keck auf dem linken Ohr. Wie Funken vom Feuerstahl, so fahren unter ihren Rudern leuchtende Spritzer in die Luft. – Doch warum singen die Kosaken kein munteres Lied? Warum schelten sie nicht auf die Polackenpfaffen, die das rechtgläubige Volk im Grenzland katholisch taufen wollen? Warum sprechen sie nicht davon, wie ihre Scharen zwei Tage lang die Schlacht geschlagen haben, die man die Schlacht am Salzsee nennt? – Die Burschen wagen nicht zu singen, sie wagen nicht von kühnen Taten zu erzählen, da Herr Danilo, ihr Gebieter, tief in Gedanken ist. Der Ärmel seines roten Rockes ist aus dem Kahn geglitten und plätschert leis im Wasser. Frau Katherina wiegt in ihren Armen still das Kind und läßt die Augen ernst auf seinem Antlitz ruhn. Ihr Festgewand aus feinem Tuch ist übersprüht von grauem Wasserstaub.

Schön ist vom Dnjeprspiegel her die Schau auf hohe Berge, breite Wiesen, dunkelgrüne Wälder. Die Berge hier sind keine Berge, – sie haben keinen Fuß und strecken spitze Gipfel nach unten wie nach oben; drunten wie droben blaut hoch und weit der Himmelsraum. Die Wälder auf den Hügeln dort sind keine Wälder, – sie sind des Waldschrats zottiges Gelock; und drunten spielt die Flut um seinen Bart. Und unter seinem Bart wie über seinem Haupthaar blaut hoch und weit der Himmelsraum. Die Wiesen an den Ufern dort sind keine Wiesen, – sie sind der grüne Gürtel, der die Mitte des Himmels sanft umspannt; und unter diesem Gürtel wie über ihm lustwandelt durch den Himmelsraum der Mond.

Danilo sieht die Berge nicht und nicht die Wälder, – er sieht nur auf sein Weib.

»Mein junges Weib, geliebte Katherina, was für ein Kummer drückt dein Herz?«

»Kein Kummer drückt mein Herz, o mein Gemahl! Mir gehen bloß die schlimmen Dinge nach, die sie vom bösen Zauberer erzählten. Er war von klein auf schon so häßlich, daß kein anderes Kind je mit ihm spielen wollte. Ist das nicht furchtbar, Herr Danilo? Er glaubt, daß jeder ihn verlacht! Wenn ihm im Abenddunkel ein Mensch begegnet, meint er immer, der Fremde fletsche ihm zu Hohn und Spott die Zähne. Und kommt der Morgen, dann findet man den Mann, der ihm zur Nacht begegnet ist, tot auf der Straße liegen. Das ist so furchtbar, Herr Danilo, und will mir gar nicht aus dem Sinn,« sprach Katherina. Dann zog sie ihr gesticktes Tüchlein aus der Tasche und wischte ihrem kleinen Sohn die Stirn.

Danilo sagte kein Wort. Er spähte seitwärts in das Dunkel, wo durch die Stämme schwarz ein Erdwall lugte, der das Gemäuer einer alten Burg umschloß. Drei Falten traten auf Herrn Danilos Stirn, er strich sich seinen kecken Schnauzbart.

»Mag es auch schlimm sein,« sprach er, »daß er ein Zauberer ist, – weit schlimmer dünkt es mich, daß er ein sehr verdächtiger Nachbar ist! Was in drei Teufels Namen sucht er hier? Man munkelt, die Polacken wollen da eine Zwingburg aufrichten. Die sperrt uns dann den Weg zu unserm Lager hinter den Dnjeprschnellen. Sie sollen's nur versuchen! In Trümmer leg' ich ihm sein Teufelsnest, wenn ich herausbekomme, daß der Schuft geheime Ränke spinnt. Verbrannt wird dann der Zauberer; auch nicht den Raben soll etwas an ihm zu fressen bleiben! Gold und andres Gut gibt es in seiner Burg auch nicht zu wenig, – das halt' ich für gewiß. Dort drüben haust er, der verdammte Satan! Und hat er einen tüchtigen Haufen Gold, dann um so besser . . .! Wir kommen gleich vorbei an einem Feld voll Kreuzen, – das ist der Friedhof, wo die Knochen seiner schurkischen Ahnen modern. Von denen ist noch immer jeder gern bereit gewesen, sich gegen ein Stück Geld dem Teufel zu verschreiben mit Seel' und Leib und seinem schäbigen Rock dazu. – Und hat der Kerl solch einen Haufen Gold, – wozu soll man da lang' warten? Das ist so gute Beute wie im Krieg.«

»Ich weiß, was du im Sinn hast,« sagte Frau Katherina. »Und Böses ahnt mir von deinem Kampf mit ihm. Danilo, dein Atem geht so schwer, du schaust so grimmig drein, so finster dräuen deine Brauen . . .«

»Schweig, Weib!« rief Herr Danilo zornentbrannt. »Wer sich mit euch befaßt, wird selber bald zum Weib. Bursch, gib mir Feuer für die Pfeife!«

Der Bursche klopfte aus seiner Pfeife Glut und tat sie in die Pfeife seines Herrn.

»Ich soll mich vor dem Zauberer fürchten?« fuhr Herr Danilo fort. »Gott sei dafür bedankt: ein rechter Kosak fürchtet nicht Tod und Teufel und auch nicht das katholische Pfaffenpack. Das fehlte uns, daß wir auf Weiberrede horchten! Ist es nicht wahr, ihr Burschen? Unser Weib ist unsere Pfeife und der schneidige Pallasch!«

Kein Wort sprach Katherina. Über die stillen Wasser flog ihr Blick. Ein Windhauch ließ die Flut erschauern. Der breite Dnjepr schimmerte silbern wie eines Wolfes Fell bei Nacht.

Der Kahn fuhr näher an das Ufer und ihm entlang. Dort tauchte jetzt der Friedhof auf, – ein morsches Kreuz beim anderen. Zwischen den Gräbern wuchs kein Schneeballstrauch, kein Gras begrünte sie. Der Mond allein goß aus den Himmelshöhen sein kaltes Licht auf sie herab.

»Horcht, Burschen, hört ihr nichts? Es ist, als wenn da einer um Hilfe schreit!« sprach Herr Danilo.

»Ja, freilich! Und von da drüben kommt es.« Die Burschen zeigten nach dem Friedhof hin.

Doch es war wieder still. Der Kahn bog um die Felsenzunge, die in den Dnjepr vorsprang. Da plötzlich sanken den Burschen ihre Ruder aus den Händen; sie schauten wie versteint mit großen Augen. Auch Herr Danilo prallte bleich zurück: durch die Kosakenadern kroch das kalte Grauen.

Auf einem von den Gräbern drüben wankte das Kreuz. Lautlos stieg aus der Erde ein verdorrter Leichnam auf. Der Bart hing ihm bis an den Gürtel. Die Finger trugen lange Krallen, viel länger als die Finger selbst. Lautlos hob er die Arme zum Himmel auf. Sein Antlitz zuckte und verzerrte sich vor fürchterlicher Pein.

»Ich brenne . . . brenne!« stöhnte er mit gräßlich wilder Stimme. Ihr Laut ging einem wie ein Messer durch und durch.

Dann sank der Leichnam in sein Grab zurück.

Wieder wankte ein Kreuz, und wieder hob sich ein Leichnam empor, noch schrecklicher, gewaltiger von Wuchs noch als der erste. Er war mit grauem Moos bewachsen, bis an die Kniee hing sein Bart. Er hatte noch viel längere Krallen. Und noch viel wilder klang sein Jammern:

»Ich brenne . . . brenne!«

Dann sank er in das Grab zurück.

Ein drittes Kreuz geriet ins Wanken, – ein dritter Leichnam stieg empor. Sein nacktes Gerippe ragte hoch in die Luft. Der Bart hing ihm bis auf die Füße herab. Die langen Krallen an den Fingern gruben sich in den Boden. Furchtbar hob er die Hände gen Himmel, – hinauf zum Monde schienen sie zu greifen. Die Stimme des Knochenmannes schrillte, als raspele eine Feile an seinem gilbenden Gebein . . .

Das Kind, das still im Mutterarm geschlummert hatte, erwachte und schrie auf. Auch über Katherinens Lippen kam ein Ruf des Schreckens. Den Burschen fielen die Mützen in den Dnjepr. Selbst Herrn Danilo schlotterten die Glieder.

Und plötzlich war der Spuk verweht, als sei er nie gewesen. Doch eine ganze Weile brauchten die Burschen noch, bis sie von neuem zu den Rudern griffen. Danilo schaute sorgenvoll auf Katherinen. Sie wiegte erschrocken das schreiende Kind. Er zog sie an sein Herz und küßte sie.

»Fürchte dich nicht, mein Weib! Sieh: es ist nichts!« sprach er und zeigte nach dem Ufer. »Der Zauberer will nur die Leute schrecken, daß sie dem Teufelsnest nicht nahe kommen. Damit schreckt er bloß Weiber! – Gib mir das Kind!«

Danilo nahm den kleinen Iwan und küßte ihn auf den Mund.

»Was, mein Iwan, du fürchtest dich vor dem Zauberer nicht? Sag: ›Vater, nein, ich fürcht' mich nicht, – ich bin doch ein Kosak!‹ – Hör auf und weine nicht! Jetzt sind wir gleich daheim! Wir kommen heim, und Mutter kocht dir einen guten Brei und legt dich in die Wiege und singt dich in den Schlaf:

Eia popeia,
Mein Söhnchen, schlaf ein!
Wachs fröhlich aus, zum Ruhm
Für das Kosakentum,
Zu Strafe und Gericht
Für jeden schlechten Wicht!«

Und weiter dann sprach Herr Danilo zu seinem jungen Weib: »Horch, Katherina, ich glaube doch, dein Vater will nun einmal nicht in Frieden mit uns leben. Gleich, als er ankam, hat er so finster dreingesehn, als wär' er bös auf uns . . . Nun, wenn es ihm nicht recht ist, – warum bleibt er nicht weg? Er hat noch nie mit mir getrunken zur Ehre der Kosakenfreiheit. Er nimmt das Kind nicht auf den Arm! Im Anfang wollte ich ihm alles sagen, was mir am Herzen liegt. Allein mich warnte mein Gefühl, und ich hielt meinen Mund. Nein, er hat kein Kosakenherz! Wenn zwei Kosakenherzen sich begegnen, so sprängen sie am liebsten aus der Brust heraus, um sich zu grüßen. – Nun, liebe Burschen, sind wir bald am Ufer? Seid nur zufrieden, ihr sollt neue Mützen kriegen. Du, Stetzko, kriegst 'ne feine mit einem Rand von goldgesticktem Samt. Ich hab' sie einem Tataren abgenommen, zugleich mit seinem Kopf. Die ganze Rüstung hab' ich ihm genommen; bloß seine Seele ließ ich laufen. – Also, legt an! – Na sieh, Iwan, jetzt sind wir da, jetzt laß das Flennen! Da, nimm den Jungen, Katherina!«

Sie stiegen aus dem Kahn. Ein Strohdach lugte über den Berg hervor. Das war Danilos Vaterhaus. Dahinter kam ein zweiter Berg und dann ein weites, weites Feld . . . Dort magst du hundert Meilen wandern, – keinen Kosaken wird dein Auge sehn.

 


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