Johann Wolfgang von Goethe
Propyläen und Umkreis
Johann Wolfgang von Goethe

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Einleitung (in die Propyläen)

Der Jüngling, wenn Natur und Kunst ihn anziehen, glaubt, mit einem lebhaften Streben, bald in das innerste Heiligtum zu dringen; der Mann bemerkt, nach langem Umherwandeln, daß er sich noch immer in den Vorhöfen befinde.

Eine solche Betrachtung hat unsern Titel veranlaßt. Stufe, Tor, Eingang, Vorhalle, der Raum zwischen dem Innern und Äußern, zwischen dem Heiligen und Gemeinen kann nur die Stelle sein, auf der wir uns mit unsern Freunden gewöhnlich aufhalten werden.

Will jemand noch besonders, bei dem Worte Propyläen sich jener Gebäude erinnern, durch die man zur Atheniensischen Burg, zum Tempel der Minerva gelangte, so ist auch dies nicht gegen unsere Absicht, nur daß man uns nicht die Anmaßung zutraue, als gedächten wir ein solches Werk der Kunst und Pracht hier selbst aufzuführen. Unter dem Namen des Orts verstehe man das, was daselbst allenfalls hätte geschehen können, man erwarte Gespräche, Unterhaltungen, die vielleicht nicht unwürdig jenes Platzes gewesen wären.

Werden nicht Denker, Gelehrte, Künstler angelockt, sich in ihren besten Stunden in jene Gegenden zu versetzen? unter einem Volke, wenigstens in der Einbildungskraft, zu wohnen, dem eine Vollkommenheit, die wir wünschen, und nie erreichen, natürlich war, bei dem in einer Folge von Zeit und Leben sich eine Bildung in schöner und stätiger Reihe entwickelt, die bei uns, nur als Stückwerk vorübergehend, erscheint?

Welche neuere Nation verdankt nicht den Griechen ihre Kunstbildung? und, in gewissen Fächern, welche mehr als die Deutsche?

So viel zur Entschuldigung des symbolischen Titels, wenn sie ja nötig sein sollte. Er stehe uns zur Erinnerung, daß wir uns so wenig als möglich vom klassischen Boden entfernen, er erleichtere durch seine Kürze und Bedeutsamkeit die Nachfrage der Kunstfreunde, die wir durch gegenwärtiges Werk zu interessieren gedenken, das Bemerkungen und Betrachtungen, harmonisch verbundner Freunde, über Natur und Kunst enthalten soll.

Derjenige, der zum Künstler berufen ist, wird auf alles um sich her lebhaft acht geben, die Gegenstände und ihre Teile werden seine Aufmerksamkeit an sich ziehen, und, indem er praktischen Gebrauch von solchen Erfahrungen macht, wird er sich nach und nach üben, immer schärfer zu bemerken, er wird in seiner frühern Zeit alles so viel möglich zu eignem Gebrauch verwenden, später wird er sich auch andern gerne mitteilen. So gedenken auch wir manches, was wir für nützlich und angenehm halten, was, unter mancherlei Umständen, von uns seit mehrern Jahren aufgezeichnet worden, unsern Lesern vorzulegen und zu erzählen.

Allein wer bescheidet sich nicht gern, daß reine Bemerkungen seltner sind, als man glaubt? Wir vermischen so schnell unsere Empfindungen, unsere Meinung, unser Urteil mit dem, was wir erfahren, daß wir in dem ruhigen Zustande des Beobachters nicht lange verharren, sondern bald Betrachtungen anstellen, auf die wir kein größer Gewicht legen dürfen, als in so fern wir uns auf die Natur und Ausbildung unsers Geistes einigermaßen verlassen möchten.

Was uns hierin eine stärkere Zuversicht zu geben vermag, ist die Harmonie, in der wir mit mehreren stehen, ist die Erfahrung, daß wir nicht allein, sondern gemeinschaftlich denken und wirken. Die zweifelhafte Sorge, unsere Vorstellungsart möchte uns nur allein angehören, die uns so oft überfällt, wenn andere gerade das Gegenteil von unserer Überzeugung aussprechen, wird erst gemildert, ja aufgehoben, wenn wir uns in mehreren wieder finden; dann fahren wir erst mit Sicherheit fort, uns in dem Besitze solcher Grundsätze zu erfreuen, die eine lange Erfahrung uns und andern nach und nach bewährt hat.

Wenn mehrere vereint auf diese Weise zusammen leben, daß sie sich Freunde nennen dürfen, indem sie ein gleiches Interesse haben, sich fortschreitend auszubilden, und auf nahverwandte Zwecke losgehen, dann werden sie gewiß sein, daß sie sich auf den vielfachsten Wegen wieder begegnen, und daß selbst eine Richtung, die sie von einander zu entfernen schien, sie doch bald wieder glücklich zusammen führen wird.

Wer hat nicht erfahren, welche Vorteile in solchen Fällen das Gespräch gewährt! allein es ist vorübergehend, und indem die Resultate einer wechselseitigen Ausbildung unauslöschlich bleiben, geht die Erinnerung der Mittel verloren, durch welche man dazu gelangt ist.

Ein Briefwechsel bewahrt schon besser die Stufen eines freundschaftlichen Fortschrittes, jeder Moment des Wachstums ist fixiert, und wenn das Erreichte uns eine beruhigende Empfindung gibt, so ist ein Blick rückwärts auf das Werden belehrend, indem er uns zugleich ein künftiges, unablässiges Fortschreiten hoffen läßt.

Kurze Aufsätze, in die man von Zeit zu Zeit seine Gedanken, seine Überzeugungen und Wünsche niederlegt, um sich nach einiger Zeit wieder mit sich selbst zu unterhalten, sind auch ein schönes Hülfsmittel eigner und fremder Bildung, deren keines versäumt werden darf, wenn man die Kürze der dem Leben zugemeßnen Zeit und die vielen Hindernisse bedenkt, die einer jeden Ausführung im Wege stehen.

Daß hier besonders von einem Ideenwechsel solcher Freunde die Rede sei, die sich, im allgemeinern, zu Künsten und Wissenschaften auszubilden streben, versteht sich von selbst, ob gleich ein Welt- und Geschäftsleben auch eines solchen Vorteils nicht ermangeln sollte.

Bei Künsten und Wissenschaften aber ist nicht allein eine solche engere Verbindung, sondern auch das Verhältnis zu dem Publikum eben so günstig als es ein Bedürfnis wird. Was man irgend allgemeines denkt oder leistet, gehört der Welt an, und das, was sie von den Bemühungen der einzelnen nutzen kann, bringt sie auch selbst zur Reife. Der Wunsch nach Beifall, welchen der Schriftsteller fühlt, ist ein Trieb, den ihm die Natur eingepflanzt hat, um ihn zu etwas höherem anzulocken, er glaubt den Kranz schon erreicht zu haben, und wird bald gewahr, daß eine mühsamere Ausbildung jeder angebornen Fähigkeit nötig ist, um die öffentliche Gunst fest zu halten, die wohl auch, durch Glück und Zufall, auf kurze Momente, erlangt werden kann.

So bedeutend ist für den Schriftsteller, in einer frühern Zeit, sein Verhältnis zum Publikum, und selbst in spätern Tagen kann er es nicht entbehren. So wenig er auch bestimmt sein mag, andere zu belehren, so wünscht er doch sich denen mitzuteilen, die er sich gleichgesinnt weiß, deren Anzahl aber in der Breite der Welt zerstreut ist, er wünscht sein Verhältnis zu den ältesten Freunden dadurch wieder anzuknüpfen, mit neuen es fortzusetzen, und, in der letzten Generation, sich wieder andere für seine übrige Lebenszeit zu gewinnen. Er wünscht der Jugend die Umwege zu ersparen, auf denen er sich selbst verirrte, und, indem er die Vorteile der gegenwärtigen Zeit bemerkt und nützt, das Andenken verdienstlicher früherer Bemühungen zu erhalten.

In diesem ernsten Sinne verband sich eine kleine Gesellschaft, eine heitere Stimmung möge unsere Unternehmungen begleiten, und wohin wir gelangen, mag die Zeit lehren.

Die Aufsätze, welche wir vorzulegen gedenken, werden, ob sie gleich von mehrern verfaßt sind, in Hauptpunkten hoffentlich niemals mit einander in Widerspruch stehen, wenn auch die Denkart der Verfasser nicht völlig die gleiche sein sollte. Kein Mensch betrachtet die Welt ganz wie der andere, und verschiedene Charaktere werden oft Einen Grundsatz, den sie sämtlich anerkennen, verschieden anwenden. Ja, der Mensch ist sich, in seinen Anschauungen und Urteilen, nicht immer selbst gleich, frühere Überzeugungen müssen spätern weichen. Möge immerhin das Einzelne, was man denkt und äußert, nicht alle Proben aushalten, wenn man nur auf seinem Wege gegen sich selbst und gegen andre wahr bleibt!

So sehr nun auch die Verfasser untereinander und mit einem großen Teil des Publikums in Harmonie zu stehen wünschen und hoffen, so dürfen sie sich doch nicht verbergen, daß ihnen von verschiedenen Seiten mancher Mißton entgegen klingen wird. Sie haben dies um so mehr zu erwarten, als sie von den herrschenden Meinungen, in mehr als Einem Punkte, abweichen. Weit entfernt, die Denkart irgend eines Dritten meistern oder verändern zu wollen, werden sie ihre eigne Meinung fest aussprechen, und, wie es die Umstände geben, einer Fehde ausweichen, oder sie aufnehmen; im Ganzen aber immer auf einem Bekenntnisse halten, und besonders diejenigen Bedingungen, die ihnen zu Bildung eines Künstlers unerläßlich scheinen, oft genug wiederholen. Wem um die Sache zu tun ist, der muß Partei zu nehmen wissen, sonst verdient er nirgends zu wirken.

Wenn wir nun Bemerkungen und Betrachtungen über Natur vorzulegen versprechen, so müssen wir zugleich anzeigen, daß es besonders solche sein werden, die sich zunächst auf bildende Kunst, so wie auf Kunst überhaupt, dann aber auch auf allgemeine Bildung des Künstlers beziehen.

Die vornehmste Forderung, die an den Künstler gemacht wird, bleibt immer die: daß er sich an die Natur halten, sie studieren, sie nachbilden, etwas, das ihren Erscheinungen ähnlich ist, hervorbringen solle.

Wie groß, ja wie ungeheuer diese Anforderung sei, wird nicht immer bedacht, und der wahre Künstler selbst erfährt es nur bei fortschreitender Bildung. Die Natur ist von der Kunst durch eine ungeheure Kluft getrennt, welche das Genie selbst, ohne äußere Hülfsmittel, zu überschreiten nicht vermag.

Alles, was wir um uns her gewahr werden, ist nur roher Stoff, und wenn sich das schon selten genug ereignet, daß ein Künstler durch Instinkt und Geschmack, durch Übung und Versuche, dahin gelangt, daß er den Dingen ihre äußere schöne Seite abzugewinnen, aus dem vorhandenen Guten das Beste auszuwählen, und wenigstens einen gefälligen Schein hervorzubringen lernt; so ist es, besonders in der neuern Zeit, noch viel seltner, daß ein Künstler sowohl in die Tiefe der Gegenstände, als in die Tiefe seines eignen Gemüts zu dringen vermag, um in seinen Werken nicht bloß etwas leicht- und oberflächlich wirkendes, sondern, wetteifernd mit der Natur, etwas geistisch-organisches hervorzubringen, und seinem Kunstwerk einen solchen Gehalt, eine solche Form zu geben, wodurch es natürlich zugleich und übernatürlich erscheint.

Der Mensch ist der höchste, ja der eigentliche Gegenstand bildender Kunst! Um ihn zu verstehen, um sich aus dem Labyrinthe seines Baues herauszuwickeln, ist eine allgemeine Kenntnis der organischen Natur unerläßlich. Auch von den unorganischen Körpern, so wie von allgemeinen Naturwirkungen, besonders wenn sie, wie z. B. Ton und Farbe, zum Kunstgebrauch anwendbar sind, sollte der Künstler sich theoretisch belehren; allein welchen weiten Umweg müßte er machen, wenn er sich aus der Schule des Zergliederers, des Naturbeschreibers, des Naturlehrers, dasjenige mühsam aussuchen sollte, was zu seinem Zwecke dient; ja es ist die Frage: ob er dort gerade das, was ihm das Wichtigste sein muß, finden würde? Jene Männer haben ganz andere Bedürfnisse ihrer eigentlichen Schüler zu befriedigen, als daß sie an das eingeschränkte, besondere Bedürfnis des Künstlers denken sollten. Deshalb ist unsere Absicht hier ins Mittel zu treten, und, wenn wir gleich nicht voraussehen, die nötige Arbeit selbst vollenden zu können, dennoch, teils im Ganzen eine Übersicht zu geben, teils im Einzelnen die Ausführung einzuleiten.

Die menschliche Gestalt kann nicht bloß durch das Beschauen ihrer Oberfläche begriffen werden, man muß ihr Inneres entblößen, ihre Teile sondern, die Verbindungen derselben bemerken, die Verschiedenheiten kennen, sich von Wirkung und Gegenwirkung unterrichten, das Verborgne, Ruhende, das Fundament der Erscheinung sich einprägen, wenn man dasjenige wirklich schauen und nachahmen will, was sich, als ein schönes ungetrenntes Ganze, in lebendigen Wellen, vor unserm Auge bewegt. Der Blick auf die Oberfläche eines lebendigen Wesens verwirrt den Beobachter, und man darf wohl hier, wie in andern Fällen, den wahren Spruch anbringen: Was man weiß, sieht man erst! denn wie derjenige, der ein kurzes Gesicht hat, einen Gegenstand besser sieht, von dem er sich wieder entfernt, als einen, dem er sich erst nähert, weil ihm das geistige Gesicht nunmehr zu Hülfe kommt, so liegt eigentlich in der Kenntnis die Vollendung des Anschauens.

Wie gut bildet ein Kenner der Naturgeschichte, der zugleich Zeichner ist, die Gegenstände nach, indem er das Wichtige und Bedeutende der Teile, woraus der Charakter des Ganzen entspringt, einsieht, und den Nachdruck darauf legt.

So wie nun eine genauere Kenntnis der einzelnen Teile menschlicher Gestalt, die er zuletzt wieder als ein Ganzes betrachten muß, den Künstler äußerst fördert, so ist auch ein Überblick, ein Seitenblick über und auf verwandte Gegenstände höchst nützlich, vorausgesetzt, daß der Künstler fähig ist, sich zu Ideen zu erheben, und die nahe Verwandtschaft entfernt scheinender Dinge zu fassen.

Die vergleichende Anatomie hat einen allgemeinen Begriff über organische Naturen vorbereitet, sie führt uns von Gestalt zu Gestalten, und indem wir nah oder fern verwandte Naturen betrachten, erheben wir uns über sie alle, um ihre Eigenschaften in einem idealen Bilde zu erblicken.

Halten wir dasselbe fest, so finden wir erst, daß unsere Aufmerksamkeit, bei Beobachtung der Gegenstände, eine bestimmte Richtung nimmt, daß abgesonderte Kenntnisse durch Vergleichung leichter gewonnen, und fest gehalten werden, und daß wir zuletzt, beim Kunstgebrauche, nur dann mit der Natur wetteifern können, wenn wir die Art, wie sie bei Bildung ihrer Werke verfährt, ihr wenigstens einigermaßen abgelernt haben.

Muntern wir ferner den Künstler auf, auch von unorganischen Naturen einige Kenntnis zu nehmen, so können wir es um so eher tun, als man sich gegenwärtig von dem Mineralreich bequem und schnell unterrichtet. Der Maler bedarf einige Kenntnis der Steine, um sie charakteristisch nachzuahmen, der Bildhauer und Baumeister um sie zu nutzen, der Steinschneider kann eine Kenntnis der Edelsteine nicht entbehren, der Kenner und Liebhaber wird gleichfalls darnach streben.

Haben wir nun zuletzt dem Künstler geraten, sich von allgemeinen Naturwirkungen einen Begriff zu machen, um diejenigen kennen zu lernen, die ihn besonders interessieren, teils um sich nach mehr Seiten auszubilden, teils um das, was ihn betrifft, besser zu verstehen; so wollen wir auch über diesen bedeutenden Punkt noch einiges hinzufügen.

Bisher konnte der Maler die Lehre des Physikers von den Farben nur anstaunen, ohne daraus einigen Vorteil zu ziehen; das natürliche Gefühl des Künstlers aber, eine fortdauernde Übung, eine praktische Notwendigkeit führte ihn auf einen eignen Weg, er fühlte die lebhaften Gegensätze, durch deren Vereinigung die Harmonie der Farben entsteht, er bezeichnete gewisse Eigenschaften derselben durch annähernde Empfindungen, er hatte warme und kalte Farben, Farben, die eine Nähe, andere die eine Ferne ausdrücken, und was dergleichen Bezeichnungen mehr sind, durch welche er diese Phänomene den allgemeinsten Naturgesetzen auf seine Weise näher brachte. Vielleicht bestätigt sich die Vermutung, daß die farbigen Naturwirkungen, so gut als die magnetischen, elektrischen und andere, auf einem Wechselverhältnis, einer Polarität, oder wie man die Erscheinungen des Zwiefachen, ja Mehrfachen, in einer entschiedenen Einheit nennen mag, beruhen.

Diese Lehre umständlich und für den Künstler faßlich vorzulegen, werden wir uns zur Pflicht machen, und wir können um so mehr hoffen, hierin etwas zu tun, das ihm willkommen sei, als wir nur dasjenige, was er bisher aus Instinkt getan, auszulegen, und auf Grundsätze zurück zu führen bemüht sein werden.

So viel von dem, was wir zuerst in Absicht auf Natur, mitzuteilen hoffen, und nun das Notwendigste in Absicht auf Kunst.

Da die Einrichtung des gegenwärtigen Werks von der Art ist, daß wir einzelne Abhandlungen, ja dieselben sogar teilweise, vorlegen werden, dabei aber unser Wunsch ist, nicht ein Ganzes zu zerstücken, sondern aus mannigfaltigen Teilen endlich ein Ganzes zusammen zu setzen; so wird es nötig sein, bald möglichst, allgemein und summarisch dasjenige vorzulegen, worüber der Leser nach und nach im einzelnen unsere Ausarbeitungen erhalten wird. Daher wird uns zunächst ein Aufsatz über bildende Kunst beschäftigen, worin die bekannten Rubriken, nach unserer Vorstellungsart und Methode, vorgetragen werden sollen. Dabei werden wir vorzüglich darauf bedacht sein, die Wichtigkeit eines jeden Teils der Kunst vor Augen zu stellen, und zu zeigen: daß der Künstler keinen derselben zu vernachlässigen habe, wie es leider so oft geschehen ist und geschieht.

Wir betrachteten vorhin die Natur als die Schatzkammer der Stoffe im allgemeinen, nun gelangen wir aber an den wichtigen Punkt, wo sich zeigt, wie die Kunst ihre Stoffe sich selbst näher zubereite.

Indem der Künstler irgend einen Gegenstand der Natur ergreift, so gehört dieser schon nicht mehr der Natur an, ja man kann sagen: daß der Künstler ihn in diesem Augenblicke erschaffe, indem er ihm das Bedeutende, Charakteristische, Interessante, abgewinnt, oder vielmehr erst den höhern Wert hineinlegt.

Auf diese Weise werden der menschlichen Gestalt die schönern Proportionen, die edlern Formen, die höhern Charaktere gleichsam erst aufgedrungen, der Kreis der Regelmäßigkeit, Vollkommenheit, Bedeutsamkeit und Vollendung wird gezogen, in welchem die Natur ihr Bestes gerne niederlegt, wenn sie übrigens, in ihrer großen Breite, leicht in Häßlichkeit ausartet und sich ins Gleichgültige verliert.

Ebendasselbe gilt von zusammengesetzten Kunstwerken, ihrem Gegenstand und Inhalt, die Aufgabe sei Fabel oder Geschichte.

Wohl dem Künstler, der sich bei Unternehmung des Werkes nicht vergreift! der das Kunstgemäße zu wählen, oder vielmehr dasselbe zu bestimmen versteht!

Wer in den zerstreuten Mythen, in der weitläufigen Geschichte, um sich eine Aufgabe zu suchen, ängstlich herum irrt, mit Gelehrsamkeit bedeutend, oder allegorisch interessant sein will, der wird, in der Hälfte seiner Arbeit, oft bei unerwarteten Hindernissen stocken, oder nach Vollendung derselben seinen schönsten Zweck verfehlen. Wer zu den Sinnen nicht klar spricht, redet auch nicht rein zum Gemüt, und wir achten diesen Punkt so wichtig, daß wir gleich zu Anfang eine ausführlichere Abhandlung darüber einrücken.

Ist nun der Gegenstand glücklich gefunden, oder erfunden, dann tritt die Behandlung ein, die wir in die geistige, sinnliche und mechanische einteilen möchten.

Die geistige arbeitet den Gegenstand in seinem innern Zusammenhange aus, sie findet die untergeordneten Motive, und wenn sich bei der Wahl des Gegenstandes überhaupt die Tiefe des künstlerischen Genies beurteilen läßt; so kann man an der Entdeckung der Motive, seine Breite, seinen Reichtum, seine Fülle und Liebenswürdigkeit erkennen.

Die sinnliche Behandlung würden wir diejenige nennen, wodurch das Werk durchaus dem Sinne faßlich, angenehm, erfreulich und durch einen milden Reiz unentbehrlich wird.

Die mechanische, zuletzt, wäre diejenige, die, durch irgend ein körperliches Organ auf bestimmte Stoffe wirkt, und so der Arbeit ihr Dasein, ihre Wirklichkeit verschafft.

Indem wir nun auf solche Art dem Künstler nützlich zu sein hoffen, und lebhaft wünschen, daß er sich manches Rates, mancher Vorschläge bei seinen Arbeiten bedienen möge, so dringt sich uns, leider, die bedenkliche Betrachtung auf: daß jedes Unternehmen, so wie jeder Mensch, von seinem Zeitalter eben sowohl leide, als man davon gelegentlich Vorteil zu ziehen im Fall ist, und wir können bei uns selbst die Frage nicht ganz ablehnen: welche Aufnahme wir denn wohl finden möchten?

Alles ist einem ewigen Wechsel unterworfen, und, da gewisse Dinge nicht neben einander bestehen können, verdrängen sie einander. So geht es mit Kenntnissen, mit Anleitungen zu gewissen Übungen, mit Vorstellungsarten und Maximen. Die Zwecke der Menschen bleiben ziemlich immer dieselben, man will jetzt noch ein guter Künstler und Dichter sein, oder werden, wie vor Jahrhunderten; die Mittel aber, wodurch man zu dem Zwecke gelangt, sind nicht jedem klar, und warum sollte man leugnen, daß nichts angenehmer wäre, als wenn man einen großen Vorsatz spielend ausführen könnte.

Natürlicherweise hat das Publikum auf die Kunst großen Einfluß, indem es für seinen Beifall, für sein Geld, ein Werk verlangt, das ihm gefalle, ein Werk, das unmittelbar zu genießen sei, und meistens wird sich der Künstler gern darnach bequemen, denn er ist ja auch ein Teil des Publikums, auch er ist, in gleichen Jahren und Tagen gebildet, auch er fühlt die gleichen Bedürfnisse, er drängt sich in derselbigen Richtung, und so bewegt er sich glücklich mit der Menge fort, die ihn trägt, und die er belebt.

Wir sehen auf diese Weise ganze Nationen, ganze Zeitalter, von ihren Künstlern entzückt, so wie der Künstler sich in seiner Nation, in seinem Zeitalter bespiegelt, ohne daß beide nur den mindesten Argwohn hätten, ihr Weg könnte vielleicht nicht der rechte, ihr Geschmack wenigstens einseitig, ihre Kunst auf dem Rückwege und ihr Vordringen nach der falschen Seite gerichtet sein.

Anstatt uns hierüber ins allgemeinere zu verbreiten, machen wir hier eine Bemerkung, die sich besonders auf bildende Kunst bezieht.

Dem deutschen Künstler, so wie überhaupt jedem neuen und nordischen, ist es schwer, ja beinahe unmöglich, von dem Formlosen zur Gestalt über zu gehen, und wenn er auch bis dahin durchgedrungen wäre, sich dabei zu erhalten.

Jeder Künstler, der eine Zeitlang in Italien gelebt hat, frage sich: ob nicht die Gegenwart der besten Werke alter und neuer Kunst in ihm das unablässige Streben erregt haben, die menschliche Gestalt, in ihren Proportionen, Formen, Charakteren zu studieren und nachzubilden, sich in der Ausführung allen Fleiß und Mühe zu geben, um sich jenen Kunstwerken, die ganz auf sich selbst ruhen, zu nähern, um ein Werk hervorzubringen, das, indem es das sinnliche Anschauen befriedigt, den Geist in seine höchsten Regionen erhebt? er gestehe aber auch, daß er nach seiner Zurückkunft, nach und nach, von jenem Streben herunter sinken müsse, weil er wenig Personen findet, die das Gebildete eigentlich sehen, genießen, und denken wollen, sondern meist nur solche, die ein Werk obenhin ansehen, dabei etwas beliebiges denken, und, nach ihrer Art, etwas dabei empfinden und genießen wollen.

Das schlechteste Bild kann zur Empfindung und zur Einbildungskraft sprechen, indem es sie in Bewegung setzt, los und frei macht, und sich selbst überläßt; das beste Kunstwerk spricht auch zur Empfindung, aber eine höhere Sprache, die man freilich verstehen muß; es fesselt die Gefühle, und die Einbildungskraft, es nimmt uns unsre Willkür, wir können mit dem Vollkommenen nicht schalten und walten, wie wir wollen, wir sind genötigt, uns ihm hinzugeben, um uns selbst von ihm, erhöht und verbessert, wieder zu erhalten.

Daß dieses keine Träume sind, werden wir nach und nach im einzelnen so deutlich als möglich zu zeigen suchen, besonders werden wir auf einen Widerspruch aufmerksam machen, in welchen sich die Neuern so oft verwickeln. Sie nennen die Alten ihre Lehrer, sie gestehen jenen Werken eine unerreichbare Vortrefflichkeit zu, und entfernen sich, in Theorie und Praxis, doch von den Maximen, die jene beständig ausübten.

Indem wir nun von diesem wichtigen Punkte ausgehen, und oft wieder auf denselben zurückkehren werden, so finden wir noch andere, davon noch einiges zu erwähnen ist.

Eines der vorzüglichsten Kennzeichen des Verfalles der Kunst ist die Vermischung der verschiedenen Arten derselben.

Die Künste selbst, so wie ihre Arten, sind unter einander verwandt, sie haben eine gewisse Neigung, sich zu vereinigen, ja sich in einander zu verlieren; aber eben darin besteht die Pflicht, das Verdienst, die Würde des echten Künstlers, daß er das Kunstfach, in welchem er arbeitet, von andern abzusondern, jede Kunst und Kunstart auf sich selbst zu stellen, und sie aufs möglichste zu isolieren wisse.

Man hat bemerkt, daß alle bildende Kunst zur Malerei, alle Poesie zum Drama strebe, und es kann uns diese Erfahrung künftig zu wichtigen Betrachtungen Anlaß geben.

Der echte gesetzgebende Künstler strebt nach Kunstwahrheit, der Gesetzlose, der einem blinden Trieb folgt, nach Naturwirklichkeit, durch jenen wird die Kunst zum höchsten Gipfel, durch diesen auf ihre niedrigste Stufe gebracht.

So wie mit dem Allgemeinen der Kunst, eben so verhält es sich auch mit den Arten derselben. Der Bildhauer muß anders denken und empfinden, als der Maler, ja er muß anders zu Werke gehen, wenn er ein halb erhobenes Werk, als wenn er ein rundes hervorbringen will. Indem man die flach erhobenen Werke immer höher und höher machte, dann Teile, dann Figuren ablöste, zuletzt Gebäude und Landschaften anbrachte, und so halb Malerei, halb Puppenspiel darstellte, ging man immer abwärts in der wahren Kunst, und leider! haben treffliche Künstler der neuern Zeit ihren Weg auf diese Weise genommen.

Wenn wir nun künftig solche Maximen, die wir für die rechten halten, aussprechen werden, wünschten wir, daß sie, wie sie aus den Kunstwerken gezogen sind, von dem Künstler praktisch geprüft werden. Wie selten kann man mit dem andern über einen Grundsatz theoretisch einig werden! Hingegen was anwendbar, was brauchbar sei, ist viel geschwinder entschieden. Wie oft sieht man Künstler bei der Wahl ihrer Gegenstände, bei der für ihre Kunst passenden Zusammensetzung im Allgemeinen, bei der Anordnung im Besondern, so wie den Maler bei der Wahl der Farben in Verlegenheit. Dann ist es Zeit einen Grundsatz zu prüfen, dann wird die Frage leichter zu entscheiden sein: ob wir durch ihn den großen Mustern und allem, was wir an ihnen schätzen und lieben, näher kommen, oder ob er uns in der empirischen Verwirrung einer nicht genug durchdachten Erfahrung stecken läßt.

Gelten nun dergleichen Maximen zur Bildung des Künstlers, zur Leitung desselben in mancher Verlegenheit, so werden sie auch bei Entwicklung, Schätzung und Beurteilung alter und neuer Kunstwerke dienen, und wieder wechselsweise aus der Betrachtung derselben entstehen. Ja, es ist um so nötiger, sich auch hier daran zu halten, weil, ohnerachtet der allgemein gepriesnen Vorzüge des Altertums dennoch, unter den Neuern, sowohl einzelne Menschen, als ganze Nationen, oft eben das verkennen, worin der höchste Vorzug jener Werke liegt.

Eine genaue Prüfung derselben wird uns am meisten für diesem Übel bewahren. Deshalb sei hier nur ein Beispiel aufgestellt, wie es dem Liebhaber in der plastischen Kunst zu gehen pflegt, damit etwa deutlich werde, wie notwendig eine genaue Kritik der altern sowohl als der neuern Kunstwerke sei, wenn sie einigermaßen Nutzen bringen soll.

Auf jeden, der ein zwar ungeübtes, aber für das Schöne empfängliches Auge hat, wird ein stumpfer, unvollkommner Gipsabguß eines trefflichen alten Werks, noch immer eine große Wirkung tun, denn in einer solchen Nachbildung bleibt doch immer die Idee, die Einfalt und Größe der Form, genug das Allgemeinste noch übrig; so viel als man mit schlechten Augen allenfalls in der Ferne gewahr werden könnte.

Man kann bemerken, daß oft eine lebhafte Neigung zur Kunst durch solche ganz unvollkommene Nachbildungen entzündet wird. Allein die Wirkung ist dem Gegenstande gleich, es wird mehr, ein dunkles unbestimmtes Gefühl erregt, als daß eigentlich der Gegenstand, in seinem Wert und in seiner Würde, solchen angehenden Kunstfreunden erscheinen sollte. Solche sind es, die gewöhnlich den Grundsatz äußern: daß eine allzugenaue kritische Untersuchung den Genuß zerstöre, solche sind es, die sich gegen eine Würdigung des Einzelnen zu sträuben und zu wehren pflegen.

Wenn ihnen aber nach und nach, bei weiterer Erfahrung und Übung, ein scharfer Abguß statt eines stumpfen, ein Original statt eines Abgusses vorgelegt wird, dann wächst mit der Einsicht auch das Vergnügen, und so steigt es, wenn Originale selbst, wenn vollkommene Originale ihnen endlich bekannt werden.

Gern läßt man sich in die Labyrinthe genauer Betrachtungen ein, wenn das Einzelne so wie das Ganze vollkommen ist, ja man lernt einsehen, daß man das Vortreffliche nur in dem Maße kennen lernt, in so fern man das Mangelhafte einzusehen im Stande ist. Die Restauration von den ursprünglichen Teilen, die Kopie von dem Original zu unterscheiden, in dem kleinsten Fragmente noch die zerstörte Herrlichkeit des Ganzen zu schauen, wird der Genuß des vollendeten Kenners, und es ist ein großer Unterschied, ein stumpfes Ganze mit dunklem Sinne, oder ein vollendetes mit hellem Sinne zu beschauen, und zu fassen.

Wer sich mit irgend einer Kenntnis abgibt, soll nach dem Höchsten streben! Es ist mit der Einsicht viel anders als mit der Ausübung, denn im Praktischen muß sich jeder bald bescheiden, daß ihm nur ein gewisses Maß von Kräften zugeteilt sei; zur Kenntnis, zur Einsicht aber sind weit mehrere Menschen fähig, ja man kann wohl sagen, ein jeder, der sich selbst verleugnen, sich den Gegenständen unterordnen kann, der nicht, mit einem starren, beschränkten Eigensinn, sich und seine kleinliche Einseitigkeit in die höchsten Werke der Natur und Kunst überzutragen strebt.

Um von Kunstwerken, eigentlich und mit wahrem Nutzen für sich und andere, zu sprechen, sollte es freilich nur in Gegenwart derselben geschehen. Alles kommt aufs Anschauen an, es kommt darauf an, daß bei dem Wort, wodurch man ein Kunstwerk zu erläutern hofft, das bestimmteste gedacht werde, weil sonst gar nichts gedacht wird.

Daher geschieht es so oft, daß derjenige, der über Kunstwerke schreibt, bloß im Allgemeinen verweilt, wodurch wohl Ideen und Empfindungen erregt werden, ja allen Lesern, nur demjenigen nicht genug getan wird, der, mit dem Buche in der Hand, vor das Kunstwerk hintritt.

Aber eben deswegen werden wir in mehrern Abhandlungen, vielleicht in dem Falle sein, das Verlangen der Leser mehr zu reizen, als zu befriedigen; denn es ist nichts natürlicher, als daß sie ein vortreffliches Kunstwerk, das genau zergliedert wird, sogleich vor Augen zu haben wünschen, um das Ganze, von dem die Rede ist, zu genießen, und, was die Teile betrifft, die Meinung, die sie vernehmen, ihrem Urteil zu unterwerfen.

Indem nun aber die Verfasser für diejenigen zu arbeiten denken, welche die Werke teils gesehen haben, teils künftig sehen werden; so hoffen sie für solche, die sich in keinem der beiden Fälle befinden, dennoch das mögliche zu tun. Wir werden der Nachbildungen erwähnen, anzeigen, wo Abgüsse von alten Kunstwerken, alte Kunstwerke selbst, besonders den Deutschen, sich näher befinden, und so echter Liebhaberei und Kunstkenntnis, so viel an uns liegt, zu begegnen suchen.

Denn nur auf dem höchsten und genausten Begriff von Kunst kann eine Kunstgeschichte beruhen, nur wenn man das vortrefflichste kennt, was der Mensch hervorzubringen im Stande war, kann der psychologisch-chronologische Gang dargestellt werden, den man in der Kunst, so wie in andern Fächern nahm, wo erst eine beschränkte Tätigkeit, in einer trocknen ja traurigen Nachahmung des Unbedeutenden so wie des Bedeutenden verweilte, sich darauf ein lieblicheres, gemütlicheres Gefühl gegen die Natur entwickelte, dann begleitet von Kenntnis, Regelmäßigkeit, Ernst und Strenge, unter günstigen Umständen, die Kunst bis zum höchsten hinaufstieg, wo es denn zuletzt dem glücklichen Genie, das sich von allen diesen Hülfsmitteln umgeben fand, möglich ward, das Reizende, Vollendete hervorzubringen.

Leider aber erregen Kunstwerke, die mit solcher Leichtigkeit aussprechen, die dem Menschen ein bequemes Gefühl seiner selbst, die ihm Heiterkeit und Freiheit einflößen, bei dem nachstrebenden Künstler, den Begriff daß auch das Hervorbringen bequem sei. Da der Gipfel dessen, was Kunst und Genie darstellen, eine leichte Erscheinung ist, so werden die Nachkommenden gereizt, sich's leicht zu machen, und auf den Schein zu arbeiten.

So verliert die Kunst sich nach und nach von ihrer Höhe herunter, im Ganzen so wie im Einzelnen. Wenn wir nun aber hievon einen anschaulichen Begriff bilden wollen, so müssen wir ins Einzelne des Einzelnen hinabsteigen, welches nicht immer eine angenehme und reizende Beschäftigung ist, wofür aber der sichere Blick über das Ganze nach und nach reichlich entschädigt.

Wenn uns nun die Erfahrung bei Betrachtung der alten und mittlern Kunstwerke gewisse Maximen bewährt hat, so bedürfen wir ihrer am meisten bei Beurteilung der neuen und neusten Arbeiten, denn da, bei Würdigung lebender oder kurz verstorbener Künstler, so leicht persönliche Verhältnisse, Liebe und Haß der Einzelnen, Neigung und Abneigung der Menge sich einmischen, so brauchen wir Grundsätze um so nötiger, um über unsere Zeitgenossen ein Urteil zu äußern. Die Untersuchung kann alsdann sogleich auf doppelte Weise angestellt werden. Der Einfluß der Willkür wird vermindert, die Frage vor einen höhern Gerichtshof gebracht. Man kann den Grundsatz selbst so wie dessen Anwendung prüfen, und wenn man sich auch nicht vereinigen sollte, so kann der streitige Punkt doch sicher und deutlich bezeichnet werden.

Besonders wünschten wir, daß der lebende Künstler, bei dessen Arbeiten wir vielleicht einiges zu erinnern fänden, unsere Urteile auf diese Weise bedächtig prüfte. Denn jeder, der diesen Namen verdient, ist zu unserer Zeit genötigt, sich, aus Arbeit und eignem Nachdenken, wo nicht eine Theorie, doch einen gewissen Inbegriff theoretischer Hausmittel zu bilden, bei deren Gebrauch er sich in mancherlei Fällen ganz leidlich befindet; man wird aber oft bemerken, daß er, auf diesem Wege, sich solche Maximen als Gesetze aufstellt, die seinem Talent, seiner Neigung und Bequemlichkeit gemäß sind. Er unterliegt einem allgemeinen menschlichen Schicksal. Wie viele handeln nicht in andern Fächern auf eben diese Weise! Aber wir bilden uns nicht, wenn wir das, was in uns liegt, nur mit Leichtigkeit und Bequemlichkeit in Bewegung setzen. Jeder Künstler, wie jeder Mensch, ist nur ein einzelnes Wesen, und wird nur immer auf Eine Seite hängen. Deswegen hat der Mensch auch das, was seiner Natur entgegengesetzt ist, theoretisch und praktisch, in so fern es ihm möglich wird, in sich aufzunehmen. Der Leichte sehe nach Ernst und Strenge sich um, der Strenge habe ein leichtes und bequemes Wesen vor Augen, der Starke die Lieblichkeit, der Liebliche die Stärke, und jeder wird seine eigne Natur nur desto mehr ausbilden, je mehr er sich von ihr zu entfernen scheint. Jede Kunst verlangt den ganzen Menschen, der höchstmögliche Grad derselben die ganze Menschheit.

Die Ausübung der bildenden Kunst ist mechanisch, und die Bildung des Künstlers fängt in seiner frühsten Jugend, mit Recht, vom Mechanischen an, seine übrige Erziehung hingegen ist oft vernachlässigt, da sie doch weit sorgfältiger sein sollte, als die Bildung anderer, welche Gelegenheit haben aus dem Leben selbst Vorteil zu ziehen. Die Gesellschaft macht einen rohen Menschen bald höflich, ein geschäftiges Leben den offensten vorsichtig, literarische Arbeiten, welche, durch den Druck, vor ein großes Publikum kommen, finden überall Widerstand und Zurechtweisung; nur der bildende Künstler allein ist meist auf eine einsame Werkstatt beschränkt, er hat fast nur mit dem zu tun, der seine Arbeit bestellt und bezahlt, mit einem Publikum, das oft nur gewissen krankhaften Eindrücken folgt, mit Kennern, die ihn unruhig machen, und mit Marktrufern, welche jedes Neue mit solchen Lob und Preisformeln empfangen, durch die das Vortrefflichste schon hinlänglich geehrt wäre.

Doch es wird Zeit diese Einleitung zu schließen, damit sie nicht, an statt dem Werke bloß voranzugehen, ihm vorlaufe und vorgreife. Wir haben bisher wenigstens den Punkt bezeichnet, von welchem wir auszugehen gedenken, wie weit wir uns verbreiten können und werden, muß sich erst nach und nach entwickeln. Theorie und Kritik der Dichtkunst wird uns hoffentlich bald beschäftigen, was uns das Leben überhaupt, was uns Reisen, ja was uns die Begebenheiten des Tags anbieten, soll nicht ausgeschlossen sein, und so sei denn noch zuletzt von einer wichtigen Angelegenheit des Augenblicks gesprochen.

Für die Bildung des Künstlers, für den Genuß des Kunstfreundes, war es von jeher von der größten Bedeutung, an welchem Orte sich Kunstwerke befanden; es war eine Zeit in der sie, geringere Dislokationen abgerechnet, meistens an Ort und Stelle blieben; nun aber hat sich eine große Veränderung zugetragen, welche für die Kunst, im Ganzen sowohl, als im Besondern, wichtige Folgen haben wird.

Man hat vielleicht jetzo mehr Ursache als jemals, Italien als einen großen Kunstkörper zu betrachten, wie er vor kurzem noch bestand. Ist es möglich davon eine Übersicht zu geben, so wird sich alsdann erst zeigen, was die Welt in diesem Augenblicke verliert, da so viele Teile von diesem großen und alten Ganzen abgerissen wurden.

Was in dem Akt des Abreißens selbst zu Grunde gegangen, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben; allein eine Darstellung jenes neuen Kunstkörpers, der sich in Paris bildet, wird in einigen Jahren möglich werden; die Methode, wie ein Künstler und Kunstliebhaber Frankreich und Italien zu nutzen hat, wird sich angeben lassen, so wie dabei noch eine wichtige und schöne Frage zu erörtern ist: was andere Nationen, besonders Deutschland und England, tun sollten, um, in dieser Zeit der Zerstreuung und des Verlustes, mit einem wahren, weltbürgerlichen Sinne, der vielleicht nirgends reiner als bei Künsten und Wissenschaften statt finden kann, die mannigfaltigen Kunstschätze, die bei ihnen zerstreut niedergelegt sind, allgemein brauchbar zu machen, und einen idealen Kunstkörper bilden zu helfen, der uns mit der Zeit, für das was uns der gegenwärtige Augenblick zerreißt, wo nicht entreißt, vielleicht glücklich zu entschädigen vermöchte.

So viel im Allgemeinen von der Absicht eines Werkes, dem wir recht viel ernsthafte und wohlwollende Teilnehmer wünschen.

 

Über die beigefügten Kupfer

Die Kupfer, welche wir dem gegenwärtigen Stücke beifügen, so wie diejenigen, die allenfalls in den künftigen folgen möchten, können nur den Zweck haben, dem Leser eine schnelle, allgemeine, sinnliche Anschauung von Gegenständen zu geben, die eben zur Sprache kommen.

Die erste Tafel stellt einen Umriß der Gruppe des Laokoons vor, weil nicht leicht jemand sich der sehr verwickelten Anordnung derselben, worauf doch so viel, bei jedem Worte das man darüber äußert, ankommt, deutlich erinnern möchte.

Auf der zweiten Tafel befinden sich drei landschaftliche Aussichten, deren in dem zweiten Brief über Etrurische Kunstreste gedacht ist. Das übergebliebene, verschüttete Tor von Fiesole, die Terrassenartige Widerlagen der Stadtmauer und die Hupfbrücke bei Florenz.


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