Johann Wolfgang von Goethe
Der Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären
Johann Wolfgang von Goethe

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VI. Bildung der Staubwerkzeuge

§ 46.

Es wird uns dieses noch wahrscheinlicher, wenn wir die nahe Verwandtschaft der Kronenblätter mit den Staubwerkzeugen bedenken. Wäre die Verwandtschaft aller übrigen Theile untereinander ebenso in die Augen fallend, so allgemein bemerkt und außer allen Zweifel gesezt, so würde man gegenwärtigen Vortrag für überflüssig halten können.

§ 47.

Die Natur zeigt uns in einigen Fällen diesen Uebergang regelmäßig, z. B. bey der Canna, und mehreren Pflanzen dieser Familie. Ein wahres, wenig verändertes Kronenblatt zieht sich am obern Rande zusammen, und es zeigt sich ein Staubbeutel, bey welchem das übrige Blatt die Stelle des Staubfadens vertritt.

§ 48.

An Blumen welche öfters gefüllt erscheinen, können wir diesen Uebergang in allen seinen Stufen beobachten. Bey mehreren Rosenarten zeigen sich innerhalb der vollkommen gebildeten und gefärbten Kronenblätter andere, welche theils in der Mitte, theils an der Seite zusammengezogen sind; diese Zusammenziehung wird von einer kleinen Schwiele bewirkt, welche sich mehr oder weniger als ein vollkommener Staubbeutel sehen läßt, und in eben diesem Grade nähert sich das Blatt der einfacheren Gestalt eines Staubwerkzeugs. Bey einigen gefüllten Mohnen ruhen völlig ausgebildete Antheren, auf wenig veränderten Blättern der stark gefüllten Kronen, bey andern ziehen staubbeutelähnliche Schwielen die Blätter mehr oder weniger zusammen.

§ 49.

Verwandeln sich nun alle Staubwerkzeuge in Kronenblätter, so werden die Blumen unfruchtbar; werden aber in einer Blume, indem sie sich füllt, doch noch Staubwerkzeuge entwickelt, so gehet die Befruchtung vor sich.

§ 50.

Und so entstehet ein Staubwerkzeug, wenn die Organe, die wir bisher als Kronenblätter sich ausbreiten gesehen, wieder in einem höchst zusammengezogenen und zugleich in einem höchst verfeinten Zustande erscheinen. Die oben vorgetragene Bemerkung wird dadurch abermals bestätigt und wir werden auf diese abwechselnde Wirkung der Zusammenziehung und Ausdehnung, wodurch die Natur endlich ans Ziel gelangt, immer aufmerksamer gemacht.


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