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Zu Schiras war ein Maler namens Mirza-Hassan, und man setzte hinzu Khan, nicht als wäre er im entferntesten mit einem Adelsdiplom ausgezeichnet gewesen, nur hatte es seine Familie für gut befunden, ihm von Geburt an das Khanat zu verleihen; es ist dies eine vielfach gebräuchliche Vorsichtsmaßregel, denn es ist angenehm, für einen vornehmen Mann zu gelten; und wenn zufällig der König sein Leben lang vergäße, Euch einen allermindestens geschmackvollen Titel zu bewilligen, was schadet's dann, wenn man ihn sich aneignete? Mirza-Hassan nannte sich also Mirza-Hassan-Khan, recht als ein großer Herr, und wenn man mit ihm sprach, so redete man ihn immer so an: wie steht's Befinden, Khan? Was er geschehen ließ, ohne eine Miene zu verziehen.
Unglücklicherweise war seine Vermögenslage nicht geeignet, seinen Rang zu stützen. Er bewohnte ein bescheidenes, um nicht zu sagen elendes Haus in einem der Gäßchen nahe dem Bazar des Emirs, welcher damals, wo die Erdbeben ihn nicht gerüttelt hatten, noch stand. Diese Wohnung, in die man durch eine niedrige, in eine Mauer ohne Fenster und Luken gebohrte Tür eintrat, bestand in einem Hofraum von acht Metern ins Geviert mit einem Wasserbassin in der Mitte und einem armen Schlucker von Palmbaum in einer Ecke. Der Palmbaum glich einem Federbesen in Nöten, und das Wasser des Bassins faulte. Zwei verfallene Gemächer hatten keine Bedachung mehr; ein drittes war zur Hälfte bedeckt geblieben; das vierte hielt sich brav. Der Maler hatte darin sein Enderun, das heißt die Wohnung seiner Frau, Bibi-Dschanem (Frau Herzblatt), eingerichtet, und er empfing seine Freunde in dem anderen Zimmer, wo man den Vorteil genoß, halb im Schatten und halb in der Sonne zu sein, weil nur noch ein Bruchstück von Decke übrig war. Übrigens lebte Mirza-Hassan-Khan in vollkommener Eintracht mit Bibi-Dschanem allemal dann, wenn diese keinen Verdruß gehabt hatte. Aber wenn sie zufällig über eine Nachbarin Klage zu führen, wenn man ihr im Bade, wo sie Mittwochs sechs bis acht Stunden zubrachte, eine zweideutige Rede in betreff des Lebenswandels oder der Schliche ihres Gatten gehalten hatte, dann regnete es – ich muß es gestehen – Schläge auf die Ohren des Schuldigen. Keine Frau in Schiras, ja in der ganzen Provinz Fars konnte Anspruch darauf machen, die gefährliche Waffe des Pantoffels so geschickt zu handhaben wie Bibi-Dschanem, welche diese Art von Fechtkunst aus dem Grunde verstand. Sie nahm Euch das furchtbare Werkzeug bei der Spitze und ließ mit wunderbarer Geschicklichkeit den beschlagenen Absatz ihrem unglücklichen Ehegatten links und rechts auf Kopf, Gesicht und Hände herabfallen! Nur daran zu denken, macht einen schaudern: aber noch einmal, es war eine glückliche Ehe; derartige Katastrophen wieberholten sich nicht öfter als zweimal wöchentlich, und die übrige Zeit rauchte man zusammen den Kalian, trank gehörig gezuckerten Tee aus englischem Porzellan und sang die Lieder des Bazars, indem man sich mit der Fiedel dazu begleitete.
Mirza-Hassan-Khan beklagte sich nicht ohne Grund über die schweren Zelten, welche ihn meistens nötigten, den größeren Teil seiner Habseligkeiten und zuweilen die seiner Frau zu versetzen. Aber wenn man sich in diesen Verdruß nicht gefügt hätte, so hätte man auf den Gedanken verzichten müssen, sich an Eingemachtem, an Backwerk, an Schiraser Wein und an Raki zu delektieren – was doch ausgeschlossen war. So fügte man sich denn. Man machte Anleihen, bei seinen Freunden, bei den Kaufleuten, bei den Juden, und da dies eine immerhin schwierige Operation war, indem der Khan nur einen schwachen Kredit genoß, so gab man Kleider, Teppiche, Koffer, was man nur hatte, preis. Wenn das Glück gerade lächelte und der Familie irgendein Stück Geld in die Hände fallen ließ, dann wurde ein sehr weises Finanzsystem in Anwendung gebracht: mit einem Drittel des Geldes belustigte man sich; mit dem zweiten spekulierte man; mit dem dritten löste man irgendeinen vermißten Gegenstand ein, oder auch man amortisierte die Staatsschuld. Dieses letztere Auskunftsmittel war selten.
Die Ursachen einer so traurigen Lage brauchen nicht weit gesucht zu werden: grämliche und ungemütliche Leute wollten sie in der chronischen Unordnung und Unvorsichtigkeit der Ehegatten finden. Die reine Verleumdung! der einzige Grund war die sträfliche Gleichgültigkeit der Zeitgenossen gegen die Leute von Geburt und Talent. Die Kunst litt, mit einem Worte, an Auszehrung, und diese Auszehrung traf Mirza-Hassan-Khan und seine Frau Bibi-Dschanem unmittelbar. Die Kalemdans oder gemalten Tintenfässer verkauften sich schlecht; nach den Arbeitskästchen war die Nachfrage gering; unredliche Konkurrenten ohne das mindeste Verdienst fabrizierten Spiegelunterteile, über die sie hätten erröten müssen, und schämten sich ebensowenig, sie zu niedrigem Preise loszuschlagen; die Büchereinbände endlich kamen aus der Mode. Wenn der Maler über dieses trübselige Thema nachdachte, floß er über von bitteren Worten. Er betrachtete sich als die letzte und reinste Zierde der Schiraser Schule, deren kühn farbenprächtiges Wesen ihm höher stand als die zierlichen Künsteleien der Ispahaner Künstler, und er wurde nicht müde, das zu verkünden. Niemand kam ihm nach seiner Meinung gleich – wie! kam ihm gleich, kam ihm nahe – in der lebendigen Darstellung der Vögel; man hätte seine Schwertlilien und seine Rosen pflücken, seine Haselnüsse essen können, und wenn er sich damit abgab, Gestalten darzustellen, so übertraf er sich selbst! Ohne allen Zweifel, wenn der berühmte Europäer, der einstmals ein Bildnis von Hezret-e-Merlem (Ihrer Hoheit der Jungfrau Maria) verfertigt hat, mit dem Propheten Issa, in frühester Kindheit, auf dem Schoße (Gottes Segen und Heil über ihn!), wenn der die Weise, wie er ihn nachbildete, aufmerksam hätte betrachten können, wie er die Nase Hezret-e-Merlems und das Bein des Kleinchens, und vor allem, vor allem die Rücklehne des Stuhles wiedergab, dann würde dieser berühmte Europäer, sage ich, sich Mirza-Hassan-Khan zu Füßen geworfen und zu ihm gesagt haben: was für ein Hund bin ich doch, daß ich dir den Staub von den Schuhen küssen dürfte?
Diese ohne Zweifel richtige Meinung, welche Mirza-Hassan-Khan von seinem persönlichen Werte hatte, gehörte ihm nicht ausschließlich an – ein sehr schmeichelhafter und von ihm gern hervorgehobener Umstand. Wenn die ungebildeten Leute, die Händler, die Handwerker, die Gelegenheitskäufer ihm seine Werke schlecht bezahlten und ihn bei der Erörterung von deren Wert gröblich beleidigten, so wurde er durch den Beifall der aufgeklärten und achtungswerten Menschen dafür entschädigt. Seine königliche Hoheit der Prinz-Statthalter beehrte ihn von Zeit zu Zeit mit einem Auftrage; das geistliche Oberhaupt selbst, der Imam-Dschume von Schiras, dieser ehrwürdige Prälat, dieser fromme, hohe, erlauchte Mann, und der Vezier des Prinzen, und dazu der Befehlshaber der Läufer, brachten es nicht über sich, in ihren noblen Taschen einem Tintenfasse Aufnahme zu gewähren, das nicht von ihm gearbeitet gewesen wäre. Ließe sich etwas denken, das geeigneter wäre, eine rechte Vorstellung von der Geschicklichkeit, ja von dem Genie des unvergleichlichen Malers zu geben, der das Glück hatte, Mirza-Hassan-Khan zu heißen! Und doch, es war schade; so viele glänzende Beschützer der Kunst glaubten genug für ihren großen Mann zu tun, indem sie seine Werke annahmen, und vergaßen immer, ihn zu bezahlen, und er war einfältig genug, sie nicht daran zu erinnern. Er begnügte sich damit, darüber zu seufzen und, so gut er konnte, die Pantoffelschläge zu parieren, welche es bei jedem Mißgeschick dieser Art setzte, denn Bibi-Dschanem unterließ nicht, alles, was sich Leidiges in der Welt zutrug, der Dummheit, der Albernheit oder dem Leichtsinn ihres teuren Gatten zuzuschreiben.
Dieses Paar hatte einen schon ziemlich großen Sohn, welcher ein sehr hübscher Junge zu werden versprach. Seine Mutter war in ihn vernarrt; sie hatte ihn Gamber-Ali genannt. Mirza-Hassan-Khan hatte vorgeschlagen, ihn mit seinem Titel, der so erblich geworden wäre, auszustatten, aber Bibi-Dschanem sich dem nachdrücklich widersetzt und, in gewohnter Weise mit ihrem Gatten redend, zu ihm gesagt: Tropf! laß mich in Ruhe und schwatze mir nicht die Ohren voll mit deinen Dummheiten! Bist du nicht der Sohn, der eigene Sohn Dschafers, des Küchenjungen, und lebt da jemand, der das nicht wüßte? Zudem, was hat es dir geholfen, dich zu betiteln, wie du's tust? Man macht sich über dich lustig, und du verdienst darum doch nicht mehr Geld! Nein! mein Sohn hat die Albernheiten nicht nötig! Er besitzt bessere Mittel, sein Glück zu machen. Als ich mit ihm schwanger ging, habe ich zu seinem Besten eine Wallfahrt zum Imam-Zadeh-Kassem vollführt, und diese fromme Handlung verfehlt niemals ihre Wirkung; als er geboren worden, hatte ich mich zum voraus mit einem Astrologen versorgt . . . ich, verstehst du, und nicht du, böser Vater! denn du denkst niemals an irgend etwas Nützliches! Ich hatte mich, sage ich, mit einem ausgezeichneten Astrologen vorgesehen; ich habe ihm zwei Sahabgrans gegeben. Er hat mir ausdrücklich versprochen, daß Gamber-Ali, so Gott will, Premierminister werden solle! Er wird es werden, dessen bin ich gewiß, denn alsobald habe ich ihm ein Beutelchen um den Hals genäht mit blauen Kügelchen, um ihm Glück zu bringen, und roten Kügelchen, um ihm Mut zu verleihen, ich habe ihm an beiden Armen Talismanbüchsen angebracht, worin Verse aus dem Buche Gottes eingeschlossen sind, die ihn vor allen Unglücksfällen beschützen werden. Inschallah! Inschallah! Inschallah!
Inschallah! hatte Mirza-Hassan, mit tiefer Stimme, folgsam erwidert.
Und so wurde dem Gamber-Ali durch die Sorgfalt einer klugen Mutter zu einer Rolle im Leben verholfen. Mit allen notwendigen Schutzwehren im Leben versehen, wie er war, gebot die Vernunft, daß man ihm eine anständige Freiheit gewähre. So konnte er denn bis zum Alter von sieben Jahren nach seinem Gefallen splitternackt mit seinen jungen Gespielen und Gespielinnen in seinem Stadtviertel herumlaufen. Er wurde beizeiten der Schrecken der Krämer und Delikatessenhändler, deren Datteln, Gurken und zuweilen sogar geröstete Fleischstücke er wunderbar geschickt auf die Seite zu schaffen wußte. Wurde er gefangen, so setzte es Schimpfreden, was ihm vollkommen gleichgültig war, und manchmal Schläge, aber nicht oft, weil man seine Mutter fürchtete. Sie war bei solchen Gelegenheiten wie eine Löwin, ja noch furchtbarer. Kaum, daß der kleine Gamber-Ali sich zu ihr flüchtete, in Tränen gebadet, mit einer Hand sich die Körperteile reibend, wo der jähzornige Kaufmann ihm zu nahe gekommen war, mit der andern sich Augen und Nase abwischend, kaum war es der Matrone geglückt, durch Schluchzen und Geschrei hindurch den Namen des Schuldigen zu verstehen, so verlor sie keinen Augenblick; sie brachte ihren Schleier in Ordnung und stürzte zur Türe hinaus wie eine Windhose, die Arme in der Luft schüttelnd und den Ruf ausstoßend: Muselmänner! sie erwürgen unsere Kinder!
Auf dieses Signal eilten fünf oder sechs Gevatterinnen, welche, von kriegerischem Geiste beseelt, gewohnt waren, ihr in den Feldzügen dieser Art als Hilfstruppen zu dienen, hinten aus ihren Wohnungen herbei und folgten ihr, heulend und gestikulierend wie sie; unterwegs zog man Verstärkungen an sich und langte mit gewaltiger Streitmacht vor dem Laden des Schuldigen an. Der Bösewicht wollte sich erklären, man hörte ihn nicht, man fiel über alles her. Die Müßiggänger des Bazars beeilten sich, in die Aktion einzugreifen, die Polizisten stürzten sich in das Getümmel und suchten vergeblich mit Fußtritten und Stockschlägen die Ordnung wiederherzustellen. Was dem Kaufmann im günstigsten Falle begegnen konnte, war, daß er nicht eingesperrt wurde; denn eine Geldbuße mußte er am Ende immer erlegen, weil er sich erlaubt hatte, die öffentliche Ruhe zu stören.
Unvermerkt erreichte Gamber-Ali den feierlichen Tag, wo seine Mutter, seine Jugendlust unterbrechend, ihm einen Schalwar oder Beinkleid überreichte, ihm einen Kulidscheh oder Rock, einen Gürtel und eine Mütze anlegte und ihn zur Schule schickte. Alle Welt muß das ja wohl durchmachen: Gamber-Ali wußte es und ergab sich darin. Zuerst besuchte er die Unterrichtsanstalt des Mulla Saleh, dessen Bude zwischen der eines Fleischers und der eines Schneiders lag. Einige fünfzehn Zöglinge, Mädchen und Jungen, weilten dort, mitsamt dem Lehrer wie Orangen in einen Korb gepreßt, denn Raum gab's kaum einige Fuß breit. Man lernte lesen und Gebete hersagen und von morgens bis abends wurde die Nachbarschaft durch das Geleier der Schülerbande in Schrecken gehalten. Gamber-Ali blieb nicht lange bei Mullah Saleh, weil dieser berühmte Professor, welcher, ehe er sich dem öffentlichen Unterricht widmete, Karawanen-Maultiertreiber gewesen war, die schlechte Gewohnheit hatte, auf seine Zöglinge recht tüchtig dreinzuhauen, wenn sie sich dazu hinreißen ließen, den Vorübergehenden mutwillige Streiche zu spielen, anstatt ihre ganze Aufmerksamkeit seinen weisen Lehren zuzuwenden. Gamber-Ali beklagte sich bei seiner Mutter, welche einen Einfall bei dem Professor machte, ihm die drei Groschen, die sie ihm für den fälligen Monat schuldete, an den Kopf warf und ihm kurz und bündig erklärte, daß er ihren Sohn nicht wiedersehen würde.
Nachdem er diese Schule verlassen, kam der kleine Kerl an den geistigen Werktisch Mulla Jusefs, wo er ein halbes Jahr den Studien oblag; nach dieser Zeit wurde die Schule geschlossen, weil der Schulmeister Drogist wurde und den weißen Turban der Wissenschaft für die Lammfellmütze des bürgerlichen Lebens darangab. Der dritte Lehrer Gamber-Alis war ein ehemaliger Musketier eines ehemaligen Statthalters, von welchem die Überlieferung nur noch einen Zug kannte, nämlich, daß ihm der Hals abgeschnitten worden war. Wenn Mulla Jusef von diesem Gönner sprach, versicherte er mit überzeugter Miene, daß der Richter nicht gegen seine Pflicht gehandelt hätte. Was ihn selbst anlangte, so war er sanft, liebte die Kinder, schlug sie nicht, rühmte ihre Fortschritte, und empfing, außer seiner regelmäßigen Besoldung, viele kleine Geschenke von den Müttern, die von seinem Benehmen entzückt waren; sein Haus sah Honigkuchen und Backwerk von frischem Mehl und Hammelfett, mit Zucker bestreut, in Fülle hereinströmen, ohne die eingemachten Früchte und den Raki zu rechnen.
Mit sechzehn Jahren war Gamber-Alis Erziehung beendet. Er las, schrieb und rechnete; er wußte alle vorgeschriebenen Gebete auswendig, konnte sogar die Menadschats singen, verstand ein wenig Arabisch, trug mit sehr angenehmer Stimme einige lyrische Poesien und Bruchstücke und Heldengedichte vor und liebte seine Eltern aufrichtig. Er verspürte eine tolle Lust, auf Abenteuer auszuziehen und sich um jeden Preis zu unterhalten, ausgenommen um den Preis seiner Haut, denn er war ein gewaltiger Hasenfuß.
Diese Eigenschaft hinderte ihn so wenig, wie die meisten seiner Mitschüler, die mit ihm zugleich in die Welt eingetreten waren, das Wesen, das Benehmen, die lockere Haltung anzunehmen, welche in Persien das charakteristische Merkmal dessen bilden, was man in Andalusien die Majos nennt, das heißt die feinen jungen Leute der niederen Klasse. Er hatte weite, sehr schmutzige Beinkleider von blauer Baumwolle, einen Rock von grauem Filz mit herabhängenden Doppelärmeln, das Hemd offen, so daß es seine Brust frei ließ, die Mütze auf dem Ohr; der Gama oder breite, zweischneidige Säbel fiel über die Vorderseite seines Gürtels herab und diente seiner rechten Hand zur Stütze, während er in der linken eine Blume hielt, die zuzeiten auch in seinem Munde untergebracht war. Dieser prahlerische Anstrich stand ihm ausgezeichnet. Er hatte wundervoll schwarzgeringeltes Haar, Augen, so schön wie die eines Weibes, schwarzgeschminkte Brauen, den Wuchs einer Zypresse und in allen seinen Bewegungen Anstand, mehr als er brauchte.
In solch jugendlichem Alter und solchem Aufzuge besuchte er die armenischen Kneipwirte; er fand dort zwar wenig strenggläubige Muselmänner, dafür aber viele Windbeutel seiner Art, gefährliche Vagabunden, von denen, die man Lutis oder Taugenichtse nennt, und die es ebensowenig genau damit nehmen, einen Messerstich zu versetzen, um ihr Mütchen zu kühlen als sich ein Glas Wein einzuschenken; mit einem Wort, er sah sehr schlechte Gesellschaft; was für viele Leute von lustiger Gemütsart soviel bedeutet wie, sich perfekt die Zeit zu vertreiben.
Wo verschaffte er sich das für dies köstliche Leben unerläßliche Geld? Man würde aus vielen Gründen unrecht tun, hierüber genaue Untersuchungen anzustellen, und diese Manier, sich Renten zu stiften, hätte ihn dahin führen können, wohin er keine Lust hatte zu gehen, wenn nicht sein durch die Kunst des Astrologen geleitetes oder vorhergesehenes Geschick ziemlich schnell die Bahn vorgezeichnet hätte, die er verfolgen sollte, und dieses Ereignis trat an einem der ersten Tage des vollen Mondes im Schaban ein. Gegen vier Uhr nach dem Abendgebete hatte er sich in eine saubere kleine Schenke begeben, ziemlich nahe dem Grabmal, in welchem der Poet Hafis ruht. Es war dort eine schöne Versammlung: zwei Kurden von unheimlichem Aussehen, ein Mulla von der Sorte, die Heiratsverträge auf Zeit von zwei Tagen, vierundzwanzig Stunden und noch darunter verkaufen – eine Art von Moral, welche von dem pedantischen Teile des Klerus nicht sonderlich gutgeheißen wurde –; vier Maultiertreiber, sehr lustige Patrone, welche der Anblick der Hürden in keiner Weise einschüchterte, zwei kleine junge Leute vom Schlage Gamber-Alis, ein ungeheurer Toptjn oder Artillerist, aus Khorassan gebürtig, so lang, daß er gar kein Ende nahm, aber entsprechend breit, was das Gleichgewicht wieder herstellte; sodann ein Pischkedmet oder Kammerdiener des Prinzen-Statthalters, der verbotenerweise dorthin gekommen war. Der Armenier, der Wirt des Hauses, breitete eine Ochsenhaut über den Teppich und brachte nacheinander geröstete Mandeln, was den Durst reizt, weißen Käse, Brot und Stücke Kebab oder Hammelfilet, zwischen Fettresten und Lorbeerblättern, das Non plus ultra von Wohlgeschmack. Inmitten dieser Kleinigkeiten wurden feierlich ein Dutzend der Baggalis oder abgeplatteten Fläschchen aufgestellt, welche die verschämten Trinker leicht unter ihren Armen verbergen und nach Hause tragen können, ohne daß irgend jemand es gewahr wird, und welche nichts Geringeres enthalten als Wein oder Branntwein. Man trank während zweier Stunden ziemlich in Frieden. Die Gespräche waren angenehm, so wie man sie von so distinguierten Leuten erwarten durfte. Es waren eben Lichter gebracht und mit einer neuen Ladung Flaschen auf das Tischtuch gesetzt worden, als der Mulla einen der beiden Kurden, der aus Leibeskräften und tiefster Nase eine klägliche Weise sang, unterbrach und folgenden Vorschlag machte: Euere Exzellenzen, da der Spiegel meiner Augen das ausgezeichnete Glück hat, heute so viele einnehmende Gesichter zurückzustrahlen, so kommt mir der Gedanke, ein Anerbieten darzubringen, das ohne Zweifel von irgendeinem der erlauchten Mitglieder der Gesellschaft mit Nachsicht aufgenommen werden wird.
– Das Übermaß von Eurer Exzellenz Güte versetzt mich in Entzücken, antwortete einer der Maultiertreiber, welcher noch eine gewisse Kaltblütigkeit besaß, aber den Kopf in einer Weise hin und her wiegte, daß man hätte Schwindel bekommen mögen; was Ihr uns auch befehlen werdet, gerade das wollen wir tun.
– Gar zu nachsichtig! erwiderte der Mulla. Ich kenne eine junge Frauensperson; sie wünscht sich mit einem angesehenen Manne zu verheiraten, und ich habe ihr versprochen, ihr einen ihrer würdigen Gatten ausfindig zu machen. Um ohne Scheu zu euch zu reden, wie man es zu erprobten Freunden darf, und euch nichts von der strengsten Wahrheit zu verhehlen, die bewußte Dame ist von einer Schönheit, um die Sonnenstrahlen erbleichen zu machen und den Mond selbst in Verzweiflung zu setzen! Die funkelndsten Sterne sind glanzlose Kiesel neben dem Diamant ihrer Augen! Ihr Leib ist wie ein Weidenzweig, und wenn sie ihren Fuß auf die Erde setzt, so sagt die Erde: »Schön Dank!« und kommt von Sinnen vor Liebe!
Diese Beschreibung, welche doch ziemlich vorteilhaft über die Freundin des Mulla berichtete, brachte nur geringe Wirkung hervor, ja so gering, daß einer der Lutis mit einem Tremolo, das einem Gurgeln glich, an zu singen fing:
»Der Premier, der ist ein Esel,
Und der König taugt nicht mehr!«
Dies war der Anfang eines jüngst von Teheran eingeführten Liedes. Der Mulla ließ sich von seinem Gedanken nicht abbringen und fuhr mit weinerlicher Stimme, welche gegen das nasale Gemecker seines Kumpans mit überlegenen Kräften ankämpfte, fort: Euere Exzellenzen! diese himmlische Vollkommenheit besitzt hinter dem Bazar der Kupferschmiede ein Haus von drei Zimmern, acht beinahe neue Teppiche und fünf mit Kleidern gefüllte Truhen. Sie hat außerdem Kabbalehs oder Beschreibungen für ziemlich viel Geld; ich kenne die Summe nicht; aber sie kann nicht geringer als achtzig Tomans sein!
Dieser zweite Abschnitt der Eigenschaften der Braut weckte alle Welt auf, und einer der Lutis rief aus: da bin ich! Sie will einen Mann? sie soll mich nehmen! Wo träfe sie es so gut? Ihr kennt mich, Mulla? Wenn ich sie nicht bekomme, liebe und gräme ich mich zu Tode!
Damit gab er sich ans Weinen, und um einen Begriff von der Stärke seines Gefühls zu geben, zog er seinen Gama und wollte sich damit einen tüchtigen Schlag auf den Kopf versetzen; aber der Kanonier hielt ihn zurück, und da ein jeder, aufmerksam geworden, gewahrte, daß der Mulla nicht alles gesagt hatte, so beschwor man diesen, seinen Panegyrikus zu Ende zu bringen, um zu erfahren, ob sich nicht irgendein Schatten auf dem köstlichen Gemälde fände, das er gezeichnet hatte.
– Ein Schatten, Exzellenz! Aber, Allergütigster! Möge jederlei Segen wie ein Regen auf eure edeln Häupter herabfallen! Welch ein Schatten könnte sich da finden? Eine unvergleichliche Schönheit, ist das ein Makel? Ein Vermögen, wie das, welches ich euch hergerechnet habe, ist das ein Fehler? Eine unbefleckte Tugend, vergleichbar einzig der der Gattinnen des Propheten, soll sie für euch ein Grund des Tadels sein? Diese Tugend nun aber, hochgemute Herren, ist keine von denen, die man versichert, ohne sie beweisen zu können! Sie ist unbestreitbar, auf unwiderlegliche Beweise begründet, und diese Beweise, hier sind sie! Es ist ein Tobeh-Erlaß, von heute morgen datiert.
Bei diesen Worten kannte der Enthusiasmus keine Grenzen mehr; der Luti, welchen man soeben abgehalten hatte, sich selbst totzuschlagen, benutzte den Augenblick, wo ein jeder, in seine eigenen Gedanken versunken, Augen und Hände zum Himmel erhob, Beh! Beh! Beh! murmelnd, und brachte sich eine Schmarre auf dem Schädel bei, die anfing zu bluten.
Während dieser Zeit hatte der Mulla das kostbare Dokument entfaltet und begann, es seinem Publiko unter die Augen haltend, mit ehrfurchtgebietender Stimme zu lesen. Ehe er sich aber den so lebhaft gefesselten Zuhörern beigesellt, muß der Leser erfahren, was ein Tobeh-Erlaß ist.
Wenn eine Frau Anlaß zum Ärgernis gegeben hat und allzu leichtfertig hierin rückfällig geworden ist, so kehrt die öffentliche Meinung sich unglücklicherweise gegen sie, und es entsteht daraus lästiges Gerede. Alsdann nimmt der Richter den Leichtfuß unter seine Aufsicht; er geht sie wiederholt um Geschenke an, er hält sich auf dem Laufenden über ihr Tun und Lassen, und nach einigem Mißgeschick verspürt die Dame ziemlich durchgehends das Bedürfnis, ihren Lebenswandel zu ändern. Das kann ihr nur gelingen, wenn sie sich verheiratet. Aber wie sich verheiraten in einer so schwierigen Lage wie die ihrige? Auf eine ganz einfache Art. Sie sucht einen frommen Mann auf, setzt ihm ihren Fall auseinander, schildert ihm die Verzweiflung, und der fromme Mann zieht sein Schreibzeug hervor. Er händigt ihr ein Stück Papier ein, welches der Büßerin bezeugt, daß sie von Reue über das Vergangene verzehrt wird, und da Gott in hohem Grade barmherzig ist, wenn man den festen Vorsatz hat, nicht in sein Unrecht zurückzuverfallen, so findet sich die ehemalige Sünderin von Kopf bis zu Fuße weiß gewaschen; niemand hat mehr das mindeste Recht, die Solidität ihrer Grundsätze zu verdächtigen, und sie ist ebenso heiratsfähig als das erste beste andere Mädchen, vorausgesetzt, daß sie nur einen Mann findet. Man kann nichts Wunderbareres sehen als diese plötzliche Umwandlung, und sie ist nicht teuer, geht wohl auch einmal vor sich, nachdem man sich über den Preis erst hat einigen müssen.
Der Mulla las also mit deutlicher und eindringlicher Stimme das Dokument, dessen Wortlaut hier folgt:
»Die p. p. Bülbül (Nachtigall), welche das Unglück gehabt hat, während mehrerer Jahre einen unbesonnenen Lebenswandel zu führen, versichert uns, daß sie dies tief beklagt und es bedauert, die Herzen der tugendhaften Leute betrübt zu haben. Wir bezeugen ihre Reue, die uns bekannt ist, und wir erklären ihren Fehler für getilgt.«
Unter der Schrift war das Datum, welches sich in der Tat als das vom selben Morgen erwies, und das Siegel eines der ersten Geistlichen der Stadt.
Das Vorlesen war noch nicht zu Ende, als der am meisten betrunkene der beiden Kurden erklärte, daß er entschlossen sei, jedermann zu töten, der unbesonnen genug wäre, ihm die Hand des Schützlings des Mulla streitig zu machen. Aber der Kanonier ließ sich nicht einschüchtern und langte dem Herausforderer einen Faustschlag mitten ins Gesicht; worauf einer der Kameraden Gamber-Alis einem der Maultiertreiber eine der Flaschen an den Kopf schleuderte, während der andere beinahe gleichzeitig ihm den Mulla auf den Leib warf; hier wurde das Handgemenge allgemein.
Der Pischkedmet des Prinzen, eine amtliche Persönlichkeit, hatte Grenzen zu beobachten; er begriff instinktiv, daß seine Würde auf dem Spiele stand, und daß, wenn es schon an sich unangenehm ist, Prügel zu bekommen, es kompromittierend sein kann, deren Spuren auf der Nase oder an irgendeiner anderen Stelle des Gesichtes zu tragen: denn wie sollte man hoffen, daß rohe Menschen mit den nötigsten Rücksichten rechnen würden? Der würdige Diener erhob sich also, so gut er konnte, und stellte sich fest auf die Beine, und während er sich den Kopf mit den Händen schützte, machte er eine Bewegung, um sich zurückzuziehen, aber sein Gebärdenspiel wurde übel ausgelegt.
Einige der Kämpfenden bildeten sich ein, er gehe mit dem Gedanken um, die Wache zu holen. Sie vereinigten sich daher in einer gemeinsamen Kraftanstrengung gegen ihn, aber sie waren nicht alle ihm zur Seite, und Gamber-Ali befand sich wie ein Schutzpolster zwischen dem armen Pischkedmet und seinen Angreifern, unter denen sich zwei der Maultiertreiber auszeichneten, welche noch mehr betrunken und folglich noch grimmiger waren als die andern. Der unglückliche Malerssohn war im Delirium der Angst; er stieß durchdringende Schreie aus und rief seine Mutter zu Hilfe. Sicherlich würde die tapfere Bibi-Dschanem sich nicht vergeblich von dem Liebling, den sie unterm Herzen getragen, haben beschwören lassen; aber ach! sie war fern und hörte nicht. Indessen hatte Gamber-Ali den Pischkedmet mit seinen Armen umschlungen, drückte ihn kräftig, und je mehr Schläge er bekam, die dem armen Menschen zugedacht waren, desto mehr flehte er ihn bei allem, was er Heiligstes in der Welt hätte, an, ihn zu retten, und doch diente er selbst, ohne es zu ahnen, dem, den er anrief, zum Schilde, auf welchen gewaltig losgehauen wurde. Wahrscheinlich würde der Kampf zum großen Schaden des Würdenträgers aus dem Palaste und des kleinen jungen Mannes ausgelaufen sein, wenn nicht der armenische Wirt, ein großer, strammer Patron, von langer Hand an dergleichen Szenen, welche ihm weder Erstaunen noch Aufregung verursachten, gewöhnt, plötzlich im Zimmer erschienen wäre. Ohne sich damit aufzuhalten, zu erfahren, wer recht oder unrecht hätte, packte er mit der einen Hand den Pischkedmet beim Kragen, mit der andern Gamber-Ali hinten am Rock und warf mit einem kräftigen Schub die beiden Unglücklichen durch die offene Tür, welche er wieder hinter ihnen schloß. Sie rollten, ein jeder nach seiner Seite, über den Sand hin und blieben eine gute Weile betäubt von dem Ruck, verspürten auch einige Schwierigkeit, sich wieder aufzurichten. Inzwischen beunruhigte ihnen ein und derselbe Gedanke den Sinn; ohne einander irgend etwas zu sagen, waren sie in der gleichen Angst, die Garnison möchte einen Ausfall machen, und da sie es für sehr geraten erachteten, das Weite zu suchen, so stellten sie sich mit einer gewaltsamen Anstrengung wieder auf die Beine. Der Pischkedmet sagte zu Gamber-Ali: Sohn meines Herzens, verteidige mich weiter! Verlaß mich nicht! Die heiligen Imans werden dich segnen!
Gamber-Ali dachte gar nicht daran, die Einsamkeit aufzusuchen. Er näherte sich seinem Schützling, und alle beide verließen, einander an der Hand haltend, mit schlotternden Beinen, die Sackgasse, in welcher die Kneipe lag; als sie sich dann auf der Straße befanden, kehrte ihnen Mut und Stimme wieder: Gamber-Ali, sagte der Bediente aus dem Palaste, die Löwen haben nicht so viel Unerschrockenheit wie du! Du hast mir das Leben gerettet, und bei Gott, ich will es nimmermehr vergessen! Du sollst keinen Undankbaren verpflichtet haben. Ich werde dein Glück machen! Suche mich morgen im Palaste auf, und wenn ich nicht am Tore bin, so laß mich holen, ich werde dir gewiß etwas zu verkündigen haben. Aber vor allem schwöre mir, daß du zu niemand von dem sprechen wirst, was uns heut abend begegnet ist, und daß du deinem Vater, deiner Mutter, ja deinem Kopfkissen kein Sterbenswörtchen davon sagen willst! Ich bin ein gottesfürchtiger Mann, von aller Welt geachtet wegen der Strenge meiner Sitten, von der ich nie abgehe; du begreifst, Licht meiner Augen, daß ich viel Kummer leiden würde, wenn man mich etwa verleumdete!
Gamber-Ali verpflichtete sich durch die schrecklichsten Eide, selbst einer Ameise, dem schweigsamsten und verständigsten aller Wesen, das Geheimnis seines neuen Freundes nicht anzuvertrauen. Er schwur bei dem Haupte dieses Freundes, bei dem seiner Mutter, seines Vaters und seiner Großväter väterlicher- und mütterlicherseits und wollte Hundesohn und Höllensohn geheißen sein, wenn er jemals über ihr gemeinsames Abenteuer den Mund auftäte. Nachdem er sodann diese furchtbaren Eide eine gute Viertelstunde lang vervielfacht hatte, nahm er Abschied von dem Pischkedmet, der sich ein wenig beruhigt hatte, ihn auf die Augen küßte und zu dem für den nächsten Morgen angesetzten Stelldichein sich treulich einzufinden versprach.
Gamber-Ali hatte ausgestanden, da er geprügelt wurde, und er hatte Angst gehabt, er möchte totgeschlagen werden. Als die Gefahr vorüber und der Schmerz der blauen Male ein wenig gelinder geworden war, fühlte er sich äußerst frei; es war nicht sein erster Handel, und er hatte keine Veranlassung, wie der Pischkedmet, sich um seinen Ruf zu beunruhigen. So konnte er denn seine Einbildungskraft uneingeschränkt an den Versprechungen sich entzünden lassen, die er soeben erhalten hatte, und, den Kopf voll blendenden Feuerwerks, gesättigt von dem Glanze, der da aufgehen sollte, kam er in der besten Laune von der Welt beim Vaterhause an. Alle herrenlosen Hunde des Stadtviertels kannten ihn und machten keinerlei feindliche Demonstration gegen seine Beine. Die Nachtwächter, unter den Schutzdächern der Läden ausgestreckt, hoben den Kopf bei seinem Nahen und ließen ihn vorüber, ohne ihn auszufragen. So schlüpfte er in seine Wohnung.
Dort fand er, wiewohl die Nacht vorgerückt war, seine würdigen Eltern vor einer Flasche Branntwein und einem Lammsbraten, an welchem eine tüchtige Portion Fleisch fehlte, die bereits verzehrt war. Bibi-Dschanem spielte die Mandoline, und Mirza-Hassan-Khan, der seinen Rock und seinen Hut abgelegt hatte, den Kopf geschoren, als wäre er acht Tage alt, den Bart halb schwarz gemalt, mit einem Zollbreit weiß an der Wurzel, schlug voll Enthusiasmus auf ein Tamburin los. Die beiden Ehegatten sangen, mit vor Verzückung verdrehten Augen, aus voller Kopfstimme:
»Zypresse mein, Tulpe mein,
Laß uns schlürfen die himmlische Liebe ein!«
Gamber-Ali blieb ehrerbietig vor der Schwelle des Zimmers stehen und begrüßte die Urheber seiner Tage. Er hatte mehr denn je die rechte Hand auf dem Knopfe seines Gamas; seine Mütze war eingetrieben, sein Hemde zerrissen, sein lockiges Haar sehr in Unordnung.
Er sah aus – dachte Bibi-Dschanem, welche sich darauf verstand, insgeheim – wie der reizendste Strauchdieb, den der Schönheitssinn einer Frau sich träumen lassen könnte.
– Setz dich, mein Herzblatt, sagte die Dame, indem sie ihre Mandoline hinlegte, während Mirza-Hassan-Khan einem kühnen Triller und einem kunstvollen Laufe ein jähes Ende bereitete. Von wo kommst du? Hast du dich gut amüsiert heute abend?
Gamber-Ali hockte sich nieder, wie seine Mutter es ihm erlaubt hatte, aber bescheidentlich, und indem er gegen die Türbekleidung gelehnt verharrte, erwiderte er: ich habe dem Leutnant des Prinzen-Statthalters das Leben gerettet. Er wurde auf dem Felde von zwanzig Kriegsleuten, Tigern an Kühnheit und Wildheit, angefallen, lauter Mamacenys oder Bakhtyarys, glaube ich; denn nur diese beiden Stämme können solche Riesenmänner stellen! Ich habe sie angegriffen und sie mit Gottes Hilfe in die Flucht geschlagen!
Damit nahm Gamber-Ali eine bescheidene Stellung ein.
– Da hast du doch den Sohn, den ich zur Welt gebracht habe, ich allein! rief Bibi-Dschanem, indem sie ihren Gatten mit triumphierender Miene betrachtete. Küsse mich, mein Herz! küsse deine Mutter, mein Leben!
Der junge Held brauchte sich nicht sehr zu bemühen, um die Zärtlichkeit seiner Anbeterin zu befriedigen; das Zimmer war klein; er bog den Leib ein wenig vor und brachte seine Stirn unter die ihm hingehaltenen Lippen. Was Mirza-Hassan-Khan anlangt, so begnügte er sich mit wahrhaft praktischem Sinne zu sagen: da ist etwas zu machen!
– Was hat dir der Herr Leutnant gegeben? fuhr Bibi-Dschanem fort.
– Er hat mich auf morgen zum Frühstück in den Palast eingeladen und wird mich Seiner Hoheit selbst vorstellen.
– Du wirst zum General ernannt werden! verkündete die Mutter voller Überzeugung.
– Oder zum Staatsrat! sagte der Vater.
– Ich würde nicht unglücklich darüber sein, für den Anfang Zolldirektor zu werden, murmelte Gamber-Ali mit nachdenklichem Tone.
Er glaubte mehr als die Hälfte von dem, was er eben zur Minute erfunden hatte, und das kam von den besonderen Gesetzen, welche für die geistige Sehweite der Orientalen obwalten. Ein Pischkedmet des Prinzen, welcher dem armen und interessanten Gamber-Ali wohlwollte, war notgedrungen ein Mann vom seltensten Verdienste, und wie hätte er folglich nicht der Günstling seines Herrn sein sollen? Da er der Günstling seines Herrn war, so war er sein wahrer Stellvertreter, jede Angelegenheit mußte ihm durchaus anvertraut werden, und war bei einer solchen Machtstellung die Annahme möglich, daß er bei den auf das Haupt seines Retters zu häufenden Belohnungen knausern würde? Zwar hatte Gamber-Ali nicht eine Schar wilder und furchtbarer Räuber zersprengt, aber warum sollte er sagen, daß er aus der Kneipe kam? Wem frommte solches Ausplaudern? War es nicht besser, seine ganze Geschichte mit einem ehrbaren Anstrich zu überziehen, da sie ja für ihn auf die außerordentlichste Weise endigen sollte? Übrigens war es offenbar, und der Pischkedmet hatte ihm kein Hehl daraus gemacht, daß er einen über alles Lob erhabenen Mut an den Tag gelegt hatte.
Was Vater, Mutter und Sohn in dieser Glücksnacht an Träumen ausarbeiteten, läßt sich nicht verzeichnen. Bibi-Dschanem sah ihren Abgott schon im Brokatgewande eines Premierministers, und sie tat sich eine Bene in dem Gedanken, der Frau des Garkochs, die gestern abend übles von ihr geredet hatte, die Bastonnade verabreichen zu lassen. Doch aber mußte man ein wenig schlafen. Die drei Menschenkinder streckten sich gegen Morgen auf den Teppich und genossen während dreier Stunden, wie man so sagt, die Wonne der Ruhe; aber mit der Dämmerung sprang Gamber-Ali auf; er machte seine Waschungen, sagte, so gut es eben gehen wollte, und ziemlich summarisch, sein Gebet her, und trat auf die Straße, indem er sich in den Hüften wiegte, wie es einem Manne seines Standes zukam.
Vor dem Palaste angekommen, sah er, wie gewöhnlich, vor dem Haupteingang eine Anzahl Soldaten, Bediente aller Grade, Bittsteller, Derwische, kurz Leute sitzen oder stehen, welche durch ihre Geschäfte oder ihre besonderen Verbindungen mit den zum Hause gehörenden Personen dorthin geführt worden waren. Er brach sich Bahn durch die Menge, wobei er die jungen, hübschen Burschen eigene Unverschämtheit zeigte, die man bei ihnen ziemlich leicht erträgt, und frug den Pförtner mit anmaßendem, durch ein artiges Lächeln gemildertem Tone, ob sein Freund Assadullah-Beg nicht zu Hause wäre?
– Da ist er gerade, antwortete der Pförtner.
– Möchte Ew. Exzellenz mir immer wohlgesinnt bleiben! versetzte Gamber-Ali und trat vor seinen Beschützer, welcher seinen Gruß in freundschaftlichster Weise aufnahm.
– Euer Glück ist gemacht, sagte Assadullah (der Löwe Gottes).
– Das verdanke ich Eurer Gnade!
– Ihr verdient alles erdenkliche Gute. Nun hört, worum sich's handelt. Ich habe mit dem Ferrasch-Bachi, dem Obersten der Teppichleger Seiner Hoheit, von Euch gesprochen. Er ist mein Freund und einer der tugendsamsten und ehrenwertesten Menschen. Es wäre unrecht von mir, seine Rechtschaffenheit zu preisen; alle Welt kennt sie. Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Uneigennützigkeit leuchten in seinem Benehmen hervor. Er ist damit einverstanden, Euch unter die Zahl seiner Untergebenen aufzunehmen, und von heute ab gehört Ihr dazu. Natürlich müßt Ihr ihm ein kleines Geschenk darbringen; aber er hängt so wenig an den Gütern dieser Welt, daß dies einzig und allein den Sinn haben soll, ihm Eure Ehrerbietung zu bezeigen. Ihr händigt ihm fünf Tomans Gold und vier Zuckerhüte ein.
– Möge der Segen des Propheten auf ihm ruhen! erwiderte Gamber-Ali, ein wenig aus der Fassung gebracht. Darf ich Euch fragen, welches mein Lohn sein wird in dem hervorragenden Amte, das ich ausfüllen soll?
– Euer Lohn! sagte der Löwe Gottes halblaut, in vertraulichem Tone und um sich blickend, um sich zu vergewissern, daß niemand ihn höre. Euer Lohn beträgt acht Sahabgrans monatlich, aber der Haushofmeister Seiner Hoheit bezahlt durchgehends nur sechs. Ihr laßt ihm zwei für seine Mühe; so bleiben Euch also vier. Ihr werdet Eurem würdigen Vorgesetzten keine Undankbarkelt bezeigen wollen, indem Ihr ihm nicht zum mindesten die Hälfte anbietet? Ich kenne Euch, Ihr seid dazu nicht imstande; es wäre das unschicklichste Benehmen! Wir sagten also, daß Euch zwei Sahabgrans bleiben. Was könnt Ihr damit anderes anfangen, als den Naybéferrasch, den Anführer Eurer Rotte, damit traktieren, um Euch einen sicheren und ergebenen Freund in ihm zu gewinnen, denn, täuscht Euch nicht über ihn! unter ein wenig schroffen Formen ist er ein goldenes Gemüt!
– Möchte der Himmel ihn mit seinen Segnungen überschütten! versetzte Gamber-Ali, der sehr niedergeschlagen geworden war; aber was bleibt denn mir?
– Ich will es Euch sagen, mein Sohn, erwiderte der Löwe Gottes mit der ernsten und gesetzten Miene, welche seiner hohen Erfahrung und seinem ungeheuren Barte so wohl anstand. Jedesmal, wenn Ihr irgend jemand ein Geschenk im Auftrage des Prinzen oder Eurer Oberen überbringt, bekommt Ihr natürlich eine Belohnung von den mit dergleichen Gunstbezeigungen beehrten Persönlichkeiten, und um so mehr, da Ihr sehr hübsch seid, mein Sohn! Ihr müßt freilich mit Euren Kameraden teilen, was Ihr in Empfang genommen habt; aber Ihr seid nicht verpflichtet, ihnen genau zu sagen, was man Euch in die Tasche gesteckt hat; es lassen sich diesbezüglich kleine Vorbehalte machen, die Ihr sehr bald lernen werdet. Wenn Ihr sodann damit beauftragt seid, irgend jemand die Bastonnade zu geben, so ist es gebräuchlich, daß der Missetäter den Strafvollstreckern eine Kleinigkeit anbietet, damit sie weniger stark, oder auch wohl ganz vorbeischlagen. Da müßt Ihr wiederum ein wenig Übung gewinnen. Diese Art unschuldiger Geschicklichkeit kommt bald, zumal einem geistreichen Burschen wie Ihr. Da ich nicht zweifle, daß Eure Vorgesetzten bald dahin kommen werden, Euch zu schätzen, so werden sie Euch einen Auftrag geben, die Abgaben in den Dörfern einzutreiben. Dann ist's an Euch, Eure Interessen mit denen der Bauern, die nie zahlen wollen, mit denen des Staates, der immer einnehmen will, und denen des Fürsten, der böse werden würde, wenn er mit leeren Händen ausginge, in Einklang zu bringen. Glaubt mir, dies ist eine Goldgrube! Kurz, tausend Gelegenheiten, tausend Umstände, tausend Begegnungen werden sich darbieten, wo Ihr, wie ich nicht einen Augenblick zweifle, Wunder tun werdet; und was mich anlangt, so werde ich wahrhaft glücklich sein, wenn ich dazu habe beitragen können, Euch auf dieser Welt in eine gute Stellung zu bringen.
Gamber-Ali begriff die verführerische Seite des ihm in seinen Einzelheiten so gefällig vor Augen geführten Bildes, und er war entzückt von so vielen glänzenden Vorzügen. Ein einziger Punkt beunruhigte ihn: Exzellenz, sagte er mit bewegter Stimme, möge der Inbegriff der Seligkeit Euch lohnen für das Gute, das Ihr an einer armen, hilflosen Waise tut! Aber da ich nichts auf der Welt besitze, als meine Hochachtung für Euch, wie könnte ich da dem ehrwürdigen Ferrasch-Bachi fünf Tomans und vier Zuckerhüte geben?
– Ganz einfach, erwiderte der Löwe Gottes. Er ist so gut, daß er zu warten weiß. Ihr bringt ihm die kleine Opfergabe von Euren ersten Nebenverdiensten.
– In diesem Falle nehme ich beglückt Euren Vorschlag an, rief Gamber-Ali, außer sich vor Freude.
– Ich will Euch augenblicklich vorstellen, und Ihr tretet noch heute Euer Amt an.
Hierauf drehte sich der Pischkedmet auf seinem Absatze herum, nahm seinen jungen Genossen mit sich durch die Menge und ließ ihn in den Hof eintreten. Dies war ein großer, leerer Raum, umgeben von niedrigen Gebäuden, welche aus graufarbigen, in der Sonne getrockneten Ziegeln aufgeführt waren. Letztere wurden an den Ecken durch Einfassungen von gebrannten Ziegeln, deren roter Schimmer den Gesamteindruck zu einem ziemlich glänzenden machte, wirkungsvoll unterbrochen. Hier und da hoben noch Mosaiken von blauer Fayence, mit Blumen und Arabesken verziert, das Ganze. Unglücklicherweise war ein Teil der Arkaden eingestürzt, andere schadhaft; aber die Ruinen sind einmal die Hauptsache bei jeder Ordnung der Dinge in Asien. Inmitten des Hofes spreizten sich ein Dutzend Kanonen mit oder ohne Laffetten, und Artilleristen saßen oder lagen ringsherum; Dschelodars oder Bereiter hielten Pferde, deren sammetweicher Rücken zum Teil mit karmesinroten, buntbestickten Schabracken bedeckt war; hier promenierte eine Gruppe Ferraschs, das Stäbchen in der Hand, um eine Ordnung aufrecht zu erhalten, die nicht vorhanden war; weiter ab ließen Soldaten ihr Mahl in Kesseln kochen; Offiziere durchschritten den Hof mit unverschämter, freundlicher oder höflicher Miene, je nachdem sie sich um die auf sie gerichteten Blicke kümmerten. Man begrüßte diesen; jener wiederum verneigte sich ehrerbietig vor einem mächtigeren; es war der Lauf der Welt, wie er in aller Herren Länder herrscht, nur mit einer vollkommeneren Natürlichkeit.
Von dem großen Hofe aus drang Assadullah, gefolgt von seinem durch so viel Pracht geblendeten Rekruten, in eine andere, etwas weniger umfangreiche Einfriedigung ein, deren Mitte ein mit Wasser gefülltes viereckiges Bassin einnahm; die Wellen färbten sich lieblich in dem azurnen Widerschein der Bekleidung, welche große, mit einem herrlichen Blau emaillierte Ziegel bildeten. Auf den Rändern dieses Bassins erhoben sich ungeheure Platanen, deren Stämme unter dem dichten und reichen Geflecht riesenhafter, mit frischen gefüllten Blumen bedeckter Rosensträucher verschwanden. Gegenüber dem niedrigen und engen Eingang, durch welchen die Freunde eingetreten waren, zeigte ein sehr hoher Saal, den ein Europäer für den Bühnenraum eines Theaters gehalten haben würde – denn er war nach vorne vollständig offen und ruhte auf zwei kleinen bemalten, vergoldeten Säulen –, gleich einem Hintergrundsgemälde und Kulissen, das anziehendste, bezauberndste Gemisch von Malereien, Vergoldungen und Spiegeln. Reiche Teppiche bedeckten den ungefähr sechs Fuß über die Fläche des Hofes erhöhten Fußboden und dort, auf Polster gelehnt, umgeben von mehreren Herren von vornehmem Aussehen und von seinen hauptsächlichsten Dienern, geruhte Seine Hoheit der Prinz-Statthalter höchstselbst von einer ungeheuren Reisschüssel und einem Dutzend Gerichten in Porzellangeschirr zu frühstücken.
Von den drei Seiten des Hofes, welche der Saal nicht einnahm, lagen zwei in Schutt, die dritte bot eine Reihe leidlich bewohnbarer Gemächer.
Gamber-Ali fühlte sich sehr eingeschüchtert, da er sich in eigener Person an einem so ehrwürdigen Orte fand, und zu gleicher Zeit kam er sich doch ganz über alle Maßen wichtig vor, bloß weil ihm das glückliche Los geworden war, dort einzudringen. Fortan schien es ihm, als habe er nicht mehr seinesgleichen auf dieser Erde, da er einem Muster von Machthaber untergeben war, welcher, ohne daß jemand etwas dawider haben durfte, ihn in ganz kleine Stücke schlagen lassen konnte. Bevor er in diese königliche Wohnung eingetreten, war er für seine Person vollkommen unabhängig, und nie hätte der Prinz-Statthalter, der von seinem Dasein nichts wußte, ihn holen können. Fortan, nachdem er Nouker, Dienstbote, geworden, gehörte er der glücklichsten Menschenklasse an, welche den untersten Küchenjungen und den obersten Minister umfaßt, und er konnte die Freude haben, den Prinzen, bevor eine Viertelstunde um war, rufen zu hören: »Nehmt Gamber-Ali mit dem Stocke vor!« Was offenbar bedeuten würde, daß Gamber-Ali nicht der erste beste war, wie sein armseliger Vater, da der Prinz sich gnädigst herabließ, sich mit ihm zu befassen.
Während er sich diesen dünkelhaften Betrachtungen hingab, sagte Assadullah zu ihm, indem er ihn mit dem Ellenbogen anstieß: da ist der Ferrasch-Bachi! Habt keine Angst, mein Sohn!
Die Anempfehlung war nicht überflüssig. Der Oberste der Teppichleger des Prinzen-Statthalters von Schiras besaß ein ziemlich abstoßendes Äußere; die Hälfte seiner Nase war von der Krankheit, die man Blattern nennt, verzehrt; sein schwarzer, spitzer Schnurrbart erstreckte sich nach rechts und nach links einen halben Fuß weit von dieser Nase in Trümmern, seine Augen funkelten düster unter dichten Augenbrauen, und sein Gang erschien imposant. Er hüllte sich in ein prächtiges Gewand von Kermanischer Wolle, trug einen Dschubbeh oder Mantel von reich betreßtem russischem Tuch, und das Lammfell seiner Mütze war so fein, daß man beim bloßen Anblick seinen Preis auf mindestens acht Tomans veranschlagen konnte, was nach den Berechnungen des Abendlandes nicht viel weniger als hundert Franken machte.
Dieser majestätische Würdenträger trat in abgemessener Haltung auf den Pischkedmet zu, welcher ihn grüßte, indem er die Hand aufs Herz legte; aber Gamber-Ali erlaubte sich eine derartige Vertraulichkeit nicht; er ließ seine Hände oben von der Lende herab bis unter die Kniee an den Beinen hinuntergleiten, und nachdem er sich so verbeugt hatte, soweit das möglich war, ohne mit der Nase auf die Erde zu stoßen, richtete er sich wieder auf, barg seine Finger im Gürtel, und wartete bescheiden und mit gesenkten Augen, bis man ihm die Ehre erweisen würde, ihn anzureden.
Der Ferrasch-Bachi strich sich mit beifälliger Miene den Bart und setzte Assadullah durch einen gnädigen Blick von seiner Zufriedenheit in Kenntnis. Dieser beeilte sich zu sagen: der junge Mann hat Verdienst, er ist voller Ehrbarkeit und Bescheidenheit; ich kann es auf Eurer Exzellenz Haupt beschwören. Ich weiß, daß er anständige Leute aufsucht und schlechte Gesellschaft meidet! Eure Exzellenz wird ihn gewiß mit Ihrer unerschöpflichen Güte überschütten. Er wird alles in der Welt tun, um Sie zufriedenzustellen, und wir haben das ausdrücklich verabredet.
– Das ist vortrefflich, antwortete der Ferrasch-Bachi, aber bevor wir abschließen, habe ich eine Frage unter vier Augen an diesen würdigen jungen Mann zu richten.
Er nahm Gamber-Ali auf die Seite und sagte zu ihm: Herr Assadullah benimmt sich gegen Euch wie ein Vater. Aber gesteht mir, wieviel habt Ihr ihm verehrt?
– Mit gütigstem Verlaube, sagte Gamber-Ali treuherzig, ich würde mir nicht erlauben, irgendwem ein Geschenk zu verehren, solange meine schlechten Glücksumstände mich zwingen, zu warten und die Tage zu zählen, bis ich Eurer Exzellenz meine Ehrerbietung bezeigen kann.
– Aber zum mindesten hast du ihm etwas versprochen? erwiderte der Ferrasch-Bachi lächelnd. Wieviel hast du ihm versprochen?
– Bei Eurem Haupte, bei dem Eurer Kinder! rief Gamber-Ali, ich habe mich auf nichts eingelassen, indem ich mir vorbehielt, über diesen Punkt Eure Befehle einzuholen.
– Du hast wohl getan. Handle immer so besonnen, und es wird dein Schade nicht sein. Diesen uneigennützigen Rat gebe ich dir. Was mich anbelangt, so tue dir keinen Zwang an. Ich bin über die Maßen glücklich, dir dienen zu können. Aber da du ein Anfänger in der Welt bist, so mußt du lernen, jedem nach seinem Range dasjenige zukommen zu lassen, ohne das die Sterne am Himmel selbst ihren Dienst nicht verrichten können und das ganze Weltall der Zerrüttung zur Beute fallen würde. Du weißt, daß ein Pischkedmet kein Ferrasch-Bachi ist; daher kannst du dem ersteren billigerweise nur gerade die Hälfte von dem geben, was du dem letzteren bestimmst, und um dir dies noch etwas näher anzugeben, händige Assadullah, sobald du kannst, fünf Tomans und vier Zuckerhüte ein, nicht mehr! Du siehst, daß mir daran gelegen ist, dein Profitchen wahrzunehmen!
Damit gab der Ferrasch-Bachi Gamber-Ali einen leichten freundschaftlichen Klaps auf die Wange, und nachdem er ihm angezeigt hatte, daß er hinfüro zu den Leuten des Prinzen gehöre, zog er sich zurück und begab sich dahin, wohin die Pflicht ihn rief. Der neue Diener der Großen konnte nicht umhin, einige Sorge wegen seiner Lage zu hegen. Der Löwe Gottes hatte ihm nur ein Drittel von dem angegeben, was er zu zahlen haben würde; anstatt fünf Tomans und vier Zuckerhüte betrugen seine Verbindlichkeiten fünfzehn Tomans und zwölf Zuckerhüte. Das war nicht einerlei. Aber er schlug sich diese Lappalien aus dem Sinn, dankte seinem Beschützer aus vollstem Herzen, küßte den Saum seines Gewandes und begab sich daran, wie das hinfort sein gutes Recht war, sich in den Höfen des Palastes bald hier, bald dort herumzutreiben, indem er sich zu seinen Kameraden gesellte, deren er einige bereits kannte, weil er ihnen bei den soliden Leuten begegnet war, die er gemeiniglich besuchte, und mit den übrigen Gespräche anknüpfte. Er wurde alsobald geschätzt, und man bezeigte ihm erstaunliche Aufmerksamkeiten. Der Tee des Prinzen schien ihm gut, und er konnte sogar, ohne daß man sonderlich acht darauf hatte, eine gewisse Anzahl Stücke Zucker in seine Taschen gleiten lassen. Sodann spielte man alle Arten harmloser Spiele, und da Gamber-Ali darin kein Neuling war, so gewann er bei dieser kunstvoll betriebenen Tätigkeit ein Dutzend Sahabgrans und die allgemeine Achtung. Kurz, er erschien jedem als das, was er in Wirklichkeit war, ein an Leib und Seele höchst artiger Bursche.
Als er abends nach Hause kam, beeilte sich seine Mutter, ihn auszufragen.
– Ich bin ganz alle vor Müdigkeit, antwortete er nachlässig. Der Prinz hat absolut darauf bestanden, daß ich mit ihm zu Mittag essen sollte. Wir haben den ganzen Tag die Karten vorgehabt, und ich habe ihm vorsichtigerweise nur das bißchen Geld hier abgewinnen wollen. Ein anderes Mal, wenn ich erst ganz fest in seiner Gunst eingenistet bin, behandle ich ihn nicht so gut. Wir sind übereingekommen, daß ich, um die Eifersüchtlinge nicht zu beunruhigen, einige Zeit lang so tun solle, als gehörte ich zu seinen Ferraschs, dann werde ich Vezier. Inzwischen habe ich nichts zu tun, als mich den ganzen Tag zu amüsieren. Wir reisen binnen kurzem nach Teheran, und seine Hoheit hat die Absicht, mich dem Könige zu empfehlen.
Bibl-Dschanem schloß ihren himmlischen Sohn in ihre Arme. Da sie ein wenig Aufregung an ihm bemerkte, versprach sie ihm zum nächsten Morgen eine tüchtige Schale Weidenblättertee – ein wunderbares Schutzmittel gegen das Fieber –, und da Mirza-Hassan-Khan zehn Sahabgrans als Ertrag zweier verkaufter Tintenfässer nach Hause gebracht hatte, so bereitete sie Blätterteigkuchen und ein Gericht Kuftehs, Fleischklößchen von Gehacktem, in Weinblättern gebacken, deren Vortrefflichkeit ihr stets einen unbestrittenen Ruhm eingebracht hatte. Man aß und trank, und die halbe Nacht verging inmitten einer vollkommenen Fröhlichkeit.
Am Morgen ging Gamber-Ali, nachdem er sein Elixier eingenommen und von der Mutter die Ermahnung bekommen hatte, sich von niemand erwischen zu lassen, um seinen Dienst im Palaste wieder aufzunehmen.
Es ist ein wunderbares Ding um die Wahrheit! Sie schleicht sich durch die Lüge hindurch allerwärts ein, ohne daß die Menschen wissen können, wie. Die demnächstige Abreise des Prinzen-Statthalters nach der Hauptstadt erwies sich, wiewohl der junge Ferrasch, der sie gemeldet, nur die durch das Feuer seiner Einbildungskraft ihm gelieferten Anzeichen dafür besaß, als vollkommen richtig, und Gamber-Ali war ganz erstaunt, als seine Kameraden ihm meldeten, daß es innerhalb acht Tagen fortginge, indem der Prinz abberufen sei, ja sogar einen Amtsnachfolger erhalten habe – ein neuer Beweis für die wohlbekannte Weisheit der Regierung.
Man hält sich in diesen Landen nicht damit auf, mit den Mandataren der Regierungsgewalt allzu genau abzurechnen. Man ernennt sie und schickt sie aus; sie nehmen den Ertrag der Steuern ein; sie behalten den größten Teil davon für sich, unter dem Vorwande, daß die Ernten schlecht gewesen sind, daß der Handel nicht geht, daß die öffentlichen Arbeiten die Mittel aufzehren. Man geht nicht auf unnütze Zänkereien mit ihnen aus und läßt gelten, was sie sagen. Dann, nach Verlauf von vier oder fünf Jahren, setzt man sie ab, läßt sie kommen und fragt sie, was sie vorziehen, Rechnung abzulegen oder eine bestimmte Summe Geldes zu bezahlen. Sie wählen stets den zweiten Modus dieses Vorschlags, weil es ihnen schwer fallen würde, vorschriftsmäßige Akten vorzulegen. So nimmt man ihnen denn die Hälfte oder zwei Drittel von dem, was sie gesammelt haben, wieder ab, und mit dem, was ihnen bleibt, machen sie dem Könige, den Ministern, den Damen des Harems, den einflußreichen Leuten Geschenke, und man überträgt ihnen dann um billigen Preis eine andere Statthalterei, welche sie verwalten, ohne das System zu ändern, um wieder am selben Ende anzukommen. Es ist dies eine Methode, deren Vorzüge nicht erst hervorgehoben zu werden brauchen; ihr Vorteil springt in die Augen. Die Bevölkerung ist hoch erfreut, wenn sie sieht, wie ihre Statthalter wieder herausgeben müssen; die Statthalter bringen ihr Leben damit zu, sich zu bereichern, und sterben schließlich arm, ohne sich doch je gedacht zu haben, daß dies ihr unvermeidliches Ende sein müsse. Die oberste Gewalt aber erspart sich die Sorgen der Überwachung und eine taktlose Hänselei ihrer Beamten.
Nachdem Seine Hoheit der Prinz die Provinz, deren Hauptstadt Schiras ist, eine genügende Zeit lang ausgebeutet hatte, bat man ihn, zu kommen und den Säulen des Reiches, d. h. den Staatsoberhäuptern, zu erzählen, wie es gegangen; alles verlief so nach der Regel; aber, wie gewöhnlich, und weil nichts auf dieser Welt vollkommen ist, war es ein harter Augenblick, welchen der in Ungnade Gefallene durchzumachen hatte. Er wußte nicht genau, in welchem Maße man ihn ranzionieren würde.
Frühmorgens, sogar noch vor Tagesanbruch, hatte sein Haushofmeister die Flucht ergriffen, wobei er einige kleine Andenken von Wert mitnahm. Der Ferrasch-Bachi war in trüber Stimmung. Er traute seiner Lage nicht, welche schwerlich fernerhin so gewinnbringend bleiben konnte wie bisher. Die Pischkedmets tauschten ganz leise allerlei Betrachtungen aus; die Stalldienerschaft, die Ferraschs, die Soldaten, die Kavedschys, welche nichts zu verlieren hatten, waren außer sich vor Freude, daß es woanders hin gehen sollte. Jeden Augenblick verschwand dieser oder jener Gegenstand und würde sich nach einem Monat in irgendeinem Laden der Bazars wiedergefunden haben. Was das Volk von Schiras anlangt, so überließ es sich, als es die Neuigkeit erfuhr, einem Jubel, der dem Wahnsinn glich. Überall erhob man die Gerechtigkeit, den Edelmut und die Güte des Königs in den Himmel; man verglich ihn mit Nuschirwan, einem alten Monarchen, welchem man Tugenden zuschreibt, die man zu seiner Zeit ohne Zweifel irgendeinem andern zuschrieb, und es war ein wahrer Ausbruch von Liedern, eines immer noch boshafter und keckverleumderischer als das andere im Gesamtbereiche der Bazare der Stadt. Nichts gleicht der Undankbarkeit des Volkes.
Der Ferrasch-Bachi nahm Gamber-Ali auf die Seite: mein Sohn, sagte er zu ihm, du siehst, daß ich sehr beschäftigt bin; ich muß die Zelte für die Reise gut instand setzen, Sorge tragen, daß die Maultiere beschlagen werden und kurz, daß es an nichts fehle. So habe ich denn keine Zeit, an meine eigenen Interessen zu denken. Hier hast du eine Anweisung auf acht Tomans, die mir einer der Schreiber des Arsenals, Mirza-Gaffar, unterschrieben hat, er wohnt auf dem grünen Platze links, neben der Pfütze. Suche meinen Schuldner auf; sage ihm, daß ich nicht länger warten kann, weil ich nicht weiß, wann ich wiederkomme, und daß ich nächste Woche abreise. Erledige diese kleine Angelegenheit zu meiner Zufriedenheit, und du sollst keinen Grund haben, es zu bedauern.
Damit blinzelte er auf eine äußerst bedeutungsvolle Weise mit den Augen. Gamber-Ali versprach ihm voller Freude, es glücklich auszuführen, und machte sich rasch dahin auf den Weg, wohin sein Vorgesetzter ihn sandte. Er hatte keine Mühe, das Haus Mirza-Gaffars zu entdecken, und, nachdem er sich genähert, klopfte er heftig an die Tür. Er hatte seine Mütze schief aufgesetzt und sich mit seiner entschlossensten Miene bewaffnet.
Nach Verlauf einer Minute wurde ihm geöffnet; er befand sich einem kleinen Alten gegenüber, welcher auf einer Hakennase eine ungeheure Brille trug.
– Heil sei Euch! sagte Gamber-Ali barsch.
– Und Euch desgleichen, mein liebenswürdiges Kind! erwiderte der Alte mit honigsüßer Stimme.
– Habe ich den hochedlen Herrn Mirza-Gaffar vor mir?
– Euren Diener.
– Ich komme im Auftrage des Ferrasch-Bachi, und ich habe da eine Anweisung auf acht Tomans, welche Eure Exzellenz mir alsbald auszahlen wird.
– Gewiß. Aber wollt Ihr mich nicht am Anblick Eurer Schönheit weiden lassen? Die Engel des Himmels sind nichts im Vergleich mit Euch. Beehrt mein Haus, indem Ihr eine Tasse Tee darin nehmt. Es ist warm, und Ihr habt Euch allzu sehr bemüht, indem Ihr die Gewogenheit hattet, Euer Edlen hierher zu verfügen.
– Allzu gütig! antwortete Gamber-Ali, der noch hochnäsiger wurde, da er die große Höflichkeit des kleinen Alten bemerkte. Indessen willigte er darein, näher zu treten, und setzte sich im Saale.
Im Handumdrehen brachte Mirza-Gaffar eine Kohlenpfanne herbei, machte Feuer darin an, setzte einen kupfernen Teekessel auf die Kohlen, stellte Zucker in Bereitschaft, holte die Teebüchse, zündete den Kalian an, bot ihn seinem Gaste dar und leitete, nachdem er sich erkundigt, wie es mit seiner hochwerten Gesundheit stände und dem Himmel gedankt, daß nach dieser Seite alles gut ginge, die Unterhaltung folgendermaßen ein: Ihr seid ein so ganz ausgezeichneter, mit des Himmels Gaben gezierter junger Mann, daß ich nicht zaudere, Euch die volle Wahrheit zu sagen, und mögen Fluch und Verdammnis über mich hereinbrechen, wenn ich mich nach rechts oder links um eine Linie von der vollkommensten Wahrheit entferne. Ich will Euch im Augenblicke bezahlen, nur weiß ich nicht, wie es anfangen, weil ich keinen Heller habe.
– Bleibt mir immer gewogen! erwiderte Gamber-Ali kalt, indem er ihm den Kalian reichte; aber ich bin von meinem verehrungswürdigen Gebieter nicht ermächtigt, dergleichen Reden anzuhören, ich muß Geld haben. Wenn Ihr mir das nicht gebt, so wißt Ihr, was eintritt: ins Feuer mit Eurem Großvater und selbst dem Großvater Eures Großvaters!
Diese Drohung schien starken Eindruck auf den alten Schreiber zu machen, der zwar wahrscheinlich sich um eine solche Verheerung unter seinen Ahnen nicht sorgte. Er rief jetzt mit kläglicher Stimme: es gibt keinen Islam mehr! es gibt keine Religion mehr! Wo finde ich einen Beschützer, da dieses Hurisantlitz, dieser Vollmond aller Güte, mich ohne Huld ansieht? Wenn ich Euch gehorsamst zwei Sahabgrans anböte, würdet Ihr zu meinen Gunsten sprechen?
– Ihr seid ganz außerordentlich gütig! erwiderte Gamber-Ali. Wo hat man je einen Ferrasch des Prinzen sich durch Annahme einer derartigen Summe entehren sehen?
– Ich würde alle Schätze der Erde und des Meeres zu Euren Füßen niederlegen, wenn ich sie besäße, und wollte nichts davon für mich behalten; aber ich besitze sie nicht! Bei Eurem Haupte, bei Euren Augen, nehmt aus Erbarmen mit einem unglücklichen Greise die fünf Sahabgrans an, welche ich Euch herzlich gern biete, und habt die Güte, Seiner Exzellenz dem hochedlen Ferrasch-Bachi zu sagen, daß Ihr selbst mein tiefes Elend gesehen habet.
– Ich will Euch eine bescheidene Bitte vorlegen, unterbrach ihn der Ferrasch. Ich bin sehr zufrieden, wenn ich Euch helfen und die erbetene Wohltat erwirken kann; aber Eure Exzellenz muß auch vernünftig sein. Ich will, um Euch Freude zu machen, das Geschenk eines Tomans, womit Ihr mich beehrt, annehmen; es war überflüssig, aber es würde mich unaussprechlich beschämen, wenn ich Euch vor den Kopf stieße. Also einen Toman, und – reden wir nicht mehr davon. Ihr händigt mir zwei Tomans für meinen Herrn ein und laßt es dann meine Sorge sein, die Sache in Ordnung zu bringen. Nur empfiehlt es sich, da unser Mann ein wenig reizbar und heftig ist, daß Eure Exzellenz binnen acht Tagen nicht in dero edlem Hause zum Vorschein kommt. Es könnte sonst Unannehmlichkeiten geben.
Man stritt sich eine Stunde lang, trank mehrere Tassen Tee, nahm sich kräftig in den Arm, dann aber, als Gamber-Ali unerschütterlich blieb, biß der Arsenalschreiber in den sauren Apfel, gab ihm einen Toman für sich und zwei Tomans für seinen Vorgesetzten, und man trennte sich mit der gegenseitigen Versicherung vollkommenster Zuneigung.
– Heil sei Euch! sagte Gamber-Ali zum Haupte der Ferraschs.
– Schon gut! Was hast du erhalten?
– Exzellenz, ich habe diesen elenden Kerl auf der Straße angetroffen, er wollte entfliehen; ich habe ihn beim Kragen gefaßt, ihm seine Missetat vorgeworfen und trotz der Vorübergehenden, die sich zwischen uns ins Mittel legen wollten, seine Taschen umgekehrt, hier bringe ich Euch den Toman, den ich darin gefunden habe, es war nichts welter da!
– Du lügst!
– Bei Eurem Haupte! bei meinem Haupte! bei meinen Augen! bei denen meiner Mutter, meines Vaters und meines Großvaters! Beim Buche Gottes, bei dem Propheten und allen seinen Vorläufern (Heil und Segen über sie!), ich sage Euch nichts als die reine Wahrheit!
Der Ferrasch-Bachi schoß davon wie ein Pfeil und eilte, kochend vor Zorn, zum Hause des Schreibers, klopfte an – keine Antwort. Er erkundigte sich bei einem Seiler, welcher nicht weit davon wohnte. Der Seiler versicherte ihm, daß Mirza-Gaffar seit zwei Tagen verreist sei, und stützte seine Aussage durch eine Flut von Eidgeschwüren. Es war unbestreitbar, daß der Ferrasch-Bachi angeführt war. Er kehrte sehr betrübt in den Palast zurück. Gamber-Ali hatte offenbar keine Schuld.
– Mein Sohn, sagte ihm sein Oberer, du hast dein Möglichstes getan, aber das Schicksal war gegen uns!
Nach diesem Handel nahm Gamber-Alis Ansehen noch zu, und er wurde als die Perle des prinzlichen Hauses angesehen. Man gab ihm alle möglichen Aufträge; er fand seinen Vorteil dabei, und wenn es ihm auch gemeiniglich nicht so ganz nach dem Wunsche derer, welche ihn anstellten, glücken wollte, so war doch seine Ehrlichkeit so groß und sein Gesichtsausdruck so echt, daß man ihm nicht die Schuld für die Widerwärtigkeit der Umstände zuschreiben konnte. Mittlerweile waren die Vorbereitungen zur Abreise beendet, der Prinz gab den Befehl, sich auf den Weg zu machen.
An der Spitze des Zuges bewegten sich Reisige, mit langen Lanzen bewaffnet, Soldaten, Stallknechte, welche Handpferde führten, sodann folgte Gepäck, die Bereiter des Prinzen, die vornehmsten Beamten seines Hauses, endlich der Prinz selbst, auf einem prächtigen Rosse, und alle Behörden der Stadt mit ihrem Gefolge, welche ihm anderthalb Meilen weit von Schiras das Geleit geben sollten, dann abermals Gepäck und andere Soldaten und andere Ferraschs und Maultiertreiber die Menge. Auf einer Parallelstraße folgte der Harem, die Frauen in Takht-e-Rewans oder Sänften eingeschlossen, welche vorn und hinten von einem Maultiere getragen wurden – nebenbei bemerkt, eine wundervolle Erfindung, um von der Seekrankheit, wie sie im Buche steht, sich einen genauen Begriff zu verschaffen –; die Dienerinnen waren in Kedschavehs, einer Art von Körben, die links und rechts an irgendeinem Reittiere angebracht waren. Man hörte aus sehr weiter Ferne die Unterhaltung, das Geschrei, das Gestöhn dieser erlauchten Persönlichkeiten und die Schimpfreden, mit denen sie die armen Maultiertreiber überschütteten. Dieser Triumphauszug hatte wohl oder übel auch seine weniger glänzenden Seiten. Das schöne Geschlecht der Stadt war in Menge herbeigeeilt, die Derwische begleiteten es; auch waren da eine Menge von Gamber-Alis alten Bekannten, deren zerrissene Kleider, Gamas, lange Schnurrbärte und Raufboldengesichter nicht viel Erbauliches versprachen. Sobald der Zug erschien, gab es ein Schreikonzert, und geheult wurde um so vollkommener, als Bibi-Dschanem sich mit einem Trupp ihrer Freundinnen, welche seit langem auf aller Art Angriffe geeicht und den größten Helden furchtbar waren, im Vordertreffen hielt. Die edelsten Bezeichnungen wurden von diesen Veteraninnen mit Leichtigkeit gefunden: Hund, Hundesohn, Hundeurenkel, Bandit, Dieb, Mörder, Räuber und viele andere Betitelungen, die unsere Sprache sich nicht gefallen lassen würde, und diese letzteren ganz besonders kamen brühwarm aus dem Munde dieser Kriegerinnen hervor. Mitten zwischen diesen Stoßgebeten sang ein Reservetrupp von Gassenjungen, hinter ihren Müttern gedeckt, mit volltönender Stimme Bruchstücke wie dieses hier:
»Der Prinz von Schiras,
Der Prinz von Schiras,
Der ist ein Tropf,
Der ist ein Tropf;
Seine Mutter, die ist 'ne Metze,
Und dito sein Schwesterlein!«
Während einiger Minuten schien Seine Hoheit, ohne Zweifel lebhaft angezogen von der Unterhaltung der Herren in seiner Umgebung, nicht zu sehen, was vorging, noch zu hören, was vor seinen Ohren gesagt, oder vielmehr geschrieen wurde. Mit der Zeit indessen verlor er die Geduld und gab dem Ferrasch-Bachi ein Zeichen. Dieser erteilte seinen Leuten den Befehl, den Auflauf mit Peitschenhieben zu zerstreuen. Ein jeder gab sich bereitwilligst daran, und Gamber-Ali, gleich den anderen zuschlagend, vernahm eine wohlbekannte Stimme, welche ihm ins Ohr schrie: verschone deine Mutter, mein Schatz! Und laß uns, deinen Vater und mich, so schnell du kannst, nach Teheran kommen, um deine Herrlichkeit zu teilen!
– So Gott will, soll das bald sein! rief Gamber-Ali mit Begeisterung. Darauf fiel er mit aller Gewalt über eine andere alte Unruhstifterin her, packte einen Derwisch beim Barte und schüttelte ihn tüchtig. Diese tapfere Tat brachte die Menge zum Weichen. Die Ferraschs betrachteten mehr denn je ihren Kameraden wie einen Löwen, und da sie den Aufruhr sich legen sahen, so begaben sie sich wieder zu ihrer Nachhut, wobei sie lachten wie toll.
Die Reise ging ohne Unfall vor sich. Nach zwei Monaten Weges kam man in Teheran, dem »Wohnsitze der höchsten Gewalt« nach dem amtlichen Ausdrucke, an, und die Unterhandlungen zwischen dem Prinzen und den Säulen des Reiches begannen. Von hüben und von drüben wurden viele Listen aufgeboten, es setzte Drohungen und Versprechungen ohne Zahl, man suchte nach Mittelwegen. Bald ging es vorwärts, bald wieder rückwärts mit der Streitfrage. Der Großvezier war für Strenge; die Mutter des Königs neigte zur Milde, nachdem sie einen schönen, gut gefaßten, von Brillanten entsprechenden Wertes umgebenen Türkis bekommen hatte. Die Schwester des Königs zeigte sich übelwollend; aber der oberste der Kammerdiener war ein ergebener Freund; freilich widersprach diesem der geheime Rendant des Palastes, immerhin! aber was den ständigen Pfeifenträger anging, so konnte man nicht an seinem Wunsche zweifeln, alles sich zum Besten kehren zu sehen. Gamber-Ali kümmerte sich wenig um die Interessen der Großen. Seine Angelegenheiten fingen an, eine ziemlich schlechte Wendung zu nehmen, und häufig kamen ihm Besorgnisse über sein Los. Er war selbst mit schuld daran.
Da er sich ein wenig verwöhnt sah, so hatte er bei sich selbst beschlossen, weder dem Ferrasch-Bachi noch dem Pischkedmet Assadullah irgend etwas zu geben. Obwohl er, wie allgemein bekannt war, schon häufig Gelegenheit zu Nebenverdiensten gehabt, hatte er doch immer, gegen den augenscheinlichen Tatbestand, behauptet, daß er gänzlich von Mitteln entblößt sei, was ihn nicht hinderte, einen Teil des Tages dem Spiel obzuliegen und ziemlich großtuerisch Gold vorzuzeigen. Seine beiden Beschützer hatten schließlich die Augen aufgetan. Es waren ernste Leute; sie sagten kein Wort. Indessen bemerkte Gamber-Ali bald, daß er nicht mehr mit der gleichen Auszeichnung, und vor allem nicht mehr mit der gleichen Leutseligkeit behandelt wurde. Die einträglichen Besorgungen wurden ihm nicht mehr übertragen; sie fielen an andere; die Fron- und Zwangsarbeiten, Pfähle einrammen, Zelte ausbessern, Teppiche schütteln, beschäftigten ihn einen guten Teil des Tages. Wenn er sich, wie ehedem, erlaubte, in der Gegend der Küchen herumzustreichen, so schickte ihn der Küchenmeister, ein großer Freund Assadullah Begs, mit unfreundlichen Worten nach Hause, kurz, alles hatte sich geändert, und der arme Junge merkte, daß die Widersacher, die er sich durch seine Finessen und Kunststücke geschaffen hatte, nur auf eine Gelegenheit warteten, um das ganze Gewicht ihrer Rache auf ihn herabfallen zu lassen. Es war, was die Pariser Zeitungen eine gespannte Situation nennen.
Eines Morgens, als die Ferraschs sich vor dem Tore die Zeit vertrieben, rang Gamber-Ali, immer guter Laune, trotz seiner Sorgen, immer flink und munter, mit zweien oder dreien seiner Kameraden, und, abwechselnd sie verfolgend und von ihnen verfolgt, fand er sich gegen die Bude eines Fleischers gedrängt. Einer der Mitspielenden, namens Kerim, ein schwacher, brustkranker Bursche, nahm zum Spaß eines der auf der Fleischbank liegenden Messer und bedrohte damit lachend Gamber-Ali; dieser riß ihm ohne Arg das Gerät aus der Hand, aber wie er sich so mit ihm herumschlug, traf er ihn durch ein fast unerklärliches Verhängnis in die Seite. Kerim sank blutüberströmt zu Boden. Einige Minuten später verschied er.
Der unschuldige Mörder verlor in seiner Verzweiflung völlig den Kopf; die übrigen Ferraschs, welche Zeugen der Tat und von dem Unfreiwilligen derselben überzeugt waren, beeilten sich, ihn vor den Gefahren des ersten Augenblickes zu schützen. Sie drängten ihn in den Stall, und in höchster Hast sank Gamber-Ali gegen das rechte Bein des Lieblingsrosses Seiner Hoheit, fest entschlossen, diesen unverletzlichen Zufluchtsort während des Restes seiner Tage nicht mehr zu verlassen.
Nach Verlauf von zwei Stunden indessen war er ein wenig beruhigt. Der Küchengehilfe hatte ihm unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses anvertraut, daß der Bruder des Verstorbenen mit zwei Vettern in den Palast gekommen wäre. Sie hatten mit dem Ferrasch-Bachi gesprochen, und dieser hatte sie vor aller Welt gefragt, wie sie ihre Rechte geltend zu machen gedächten. Sie hatten geantwortet, man solle ihnen den Mörder geben, damit sie nach ihrer Weise mit ihm verführen, oder aber fünfzig Tomans.
– Fünfzig Tomans! hatte der Ferrasch-Bachi mit verächtlichem Tone geantwortet, fünfzig Tomans für den schlechtesten meiner Leute, der vor Ablauf eines Monats von selbst gestorben sein würde! Bleibt mir gewogen. Ihr treibt euer Gespötte mit den Leuten! Wenn ihr zehn Tomans wollt, so will ich sie selbst geben, damit meinem Gamber-Ali keine Plackereien erwachsen.
Solches erzählte Kassem, der Küchenjunge, und Gamber-Ali freute sich aus vollstem Herzen über die günstige Wendung, welche seine Angelegenheit nahm. Er wunderte sich über die Verblendung seines Vorgesetzten in betreff seiner. Aber er kannte sich als so liebenswürdig, daß er im Grunde doch alles begriff. Er plauderte lange mit seinem Freunde; dann, gegen Mitternacht, legte er sich auf der Streu neben dem geweihten Rosse zur Ruhe und schlief fest ein. Mit einem Male rüttelte ihn eine kräftige Hand bei der Schulter: er schlug die Augen auf; vor ihm stand der Mirakhor, der Krippenmeister, eine gefürchtete Persönlichkeit, die in jedem großen Hause den Bereich der Pferde und der Stallungen unter sich hat, und der sogar die Dschelodars oder Bereiter gehorchen.
– Bursche, sagte er zu Gamber-Ali, du wirst dich aus dem Staube machen und Fersengeld geben, es sei denn, du habest fünfzig Tomans, um sie deinem Herrn, dem Ferrasch-Bachi, ebensoviel, um sie dem Pischkedmet Assadullah, und genau ebensoviel deinem Knechte zu geben. Wenn du nicht willst oder nicht kannst – ab mit dir!
– Aber sie werden mich töten! schrie der arme Teufel.
– Was verschlägt mir das? Zahle oder ziehe ab!
Indem er so sprach, hob der Mirakhor, der eine Art Riese war, ein Mafi-Kurde, ein wahrer Teufelssohn, wie sich dessen seine Landsleute rühmen, Gamber-Ali beim Halse in die Höhe, mit derselben Leichtigkeit, wie er's einem Hühnchen getan haben würde, schleppte ihn trotz seines Geschreies und seiner Kraftanstrengungen bis zur Stalltüre, und dort blickte er ihm mit Tigeraugen ins Gesicht und rief ihm zu: zahle oder packe dich!
– Ich habe nichts mehr! heulte Gamber-Ali, und durch einen Zufall, der sich nicht oft wiederholt hat, sprach er wahr. Seine letzten Groschen waren am Morgen im Spiele draufgegangen.
– Wohlan, erwiderte sein furchtbarer Bezwinger, dann laß dich von Kerims Verwandten abstechen wie einen Hammel!
Er schüttelte sein Opfer kräftig und warf es auf den Hof; dann kehrte er in den Stall zurück und schloß die Tür. Gamber-Ali, im höchsten Entsetzen, wähnte sich zuerst inmitten seiner Feinde; der Mond schien glänzend; der Himmel war von herrlicher Klarheit, die Terrassen der Stadt fingen seinen Schimmer auf, die Bäume wiegten sich wonnig, die Sterne schwebten gleich Lampen in einer Atmosphäre, deren Unendlichkeit über sie hinaus sich verlor. Aber Gamber-Ali war keineswegs in der Stimmung, an den Schönheiten der Natur sich zu begeistern. Er gewahrte nur, daß tiefes Schweigen herrschte; die Stallknechte schliefen hier und dort in ihren Decken; das Übermaß des Schreckens brachte dem Sohne Bibi-Dschanems eine plötzliche Eingebung und eine Art Mut. Ohne länger zu überlegen, lief er zum Eingang des Hofes und sprang hinüber, er durchlief eilends die Straßen, wandte sich links und befand sich vor der Stadtmauer. Es fiel ihm nicht schwer, eine Öffnung darin zu entdecken; er ließ sich in den Graben hinab, kletterte die Außenböschung wieder hinauf und nahm dann im Galopp seinen Weg durch die Wüste. Die Schakale heulten, aber er kümmerte sich nicht darum. Eine oder zwei Hyänen zeigten ihm ihre durch das Dunkel leuchtenden Augen und suchten vor ihm das Weite. Die Leute von starker Einbildungskraft haben immer nur eine einzige Empfindung auf einmal. Gamber-Ali hatte zu große Angst vor Kerims Verwandten, um etwas anderes zu fürchten. So lief er denn, ohne anzuhalten, ohne Atem zu schöpfen, drei Stunden lang, und der Tag kam heran, als er in den Flecken Schah-Abdulazim eintrat. Er hielt sich nicht damit auf, dessen Häuser zu betrachten; vielmehr beschleunigte er abermals seine Flucht und langte in dem Augenblicke vor der Moschee an, wo der Tag anbrach; er öffnete ungestüm die Tür, stürzte sich auf das Grabmal des Heiligen, und als er sich gerettet fühlte, wurde er ruhig ohnmächtig.
Abdulazim war zu seiner Zeit eine sehr gottselige Persönlichkeit, ein Agnat oder Cognat Ihrer Hoheiten Hassan und Hussein, der Söhne Seiner Hoheit des Vetters des Propheten, Heil und Segen über ihn! Die Verdienste Abdulazims sind unermeßlich; aber in diesem Augenblicke schätzte Gamber-Ali von diesen nur ein einziges, nämlich, daß die Moschee mit der vergoldeten Kuppel, welche über dem Grabe des Heiligen gebaut ist, von allen Asylen das unverletzlichste ist; so daß Gamber-Ali, einmal dort angekommen, sich ebenso sicher sah, als er es vor achtzehn Jahren in Bibi-Dschanems teurem Mutterschoße gewesen war. Als er sich im Zustande der Ohnmacht genugsam erholt hatte, kam er wieder zu sich und setzte sich am Fuße des Grabmals. Er war nicht allein; ein Mensch mit schmutzigem, fahlem Gesicht weilte neben ihm.
– Beruhigt Euch, mein Junge, sprach der Biedermann zu ihm. Wer auch Eure Verfolger sein mögen, Ihr seid hier in vollkommener Sicherheit, ebenso sicher wie ich selbst.
– Mit gütigstem Verlaub, erwiderte Gamber-Ali. Dürfte ich Euch um Euren edlen Namen fragen?
– Ich heiße Mussa-Riza, versetzte der Fremde mit dreister Miene; ich bin Europäer, sogar Franzose, und unter meinen Landsleuten nennen sie mich Brichard. Aber ich habe durch Gottes Gnade den Islam angenommen, um mit einigen kleinen Händeln, die gegen mich schwebten, ins reine zu kommen, und der Gesandte meines Volkes hat die Niederträchtigkeit, daß er mich aus Persien ausweisen lassen will. So bleibe ich denn hier, um nicht in seine Hände zu fallen, und tue Wunder, um die Herrlichkeit unserer erhabenen Religion zu beweisen.
– Segen über Euch! sagte Gamber-Ali andächtig; aber er bekam etwas wie Angst vor diesem zerlumpten Europäer und beschloß bei sich, ihn sorgfältig zu überwachen. Der Besuch des Aufsehers in der Moschee, welcher am Vormittage stattfand, war ihm angenehmer; man gab ihm zu essen, versprach ihm auf Grund der dem Orte gewordenen Schenkungen für täglich eine gute Kost und verbürgte ihm, daß niemand sich einfallen lassen würbe, in dem ehrwürdigen Heiligtume, in das er zu flüchten das Glück gehabt habe, ihn zu belästigen. Man wollte ihn sogar überreden, sich nicht auf das Innere der Moschee zu beschränken; er konnte ohne Scheu sich nach Belieben in den Höfen herumtreiben, wäre es auch dem Polizeioberhaupte zum Trotze; aber er wollte hiervon nichts wissen. Vergeblich suchten ihn die Flüchtlinge, die in ziemlicher Anzahl dieses weitere Gebiet des geweihten Territoriums bewohnten und in allen Ecken haushielten, zu einer liebenswürdigen und lustigen Unterhaltung zu verlocken, und boten ihm tausend Gelegenheiten, um ein wenig Verkehr zu pflegen; er hatte zu große Angst, er wollte sich niemals von dem heiligen Grabmal entfernen. Den andern war es ein Leichtes, sich einem mäßigen Schutze anzuvertrauen! Was hatten sie denn schließlich getan? Irgendeinen Kaufmann bestohlen? Ihren Herrn geprellt? Einen Subalternbeamten erzürnt? Es war klar, daß man um solch kleiner Vergehen willen nicht die Privilegien der Moschee verletzen und sich die Empörung der Geistlichkeit und des gemeinen Volkes zuziehen würde! aber er! das war allerdings ein anderer Fall! Er hatte das Unglück gehabt, über den Schwachkopf von Kerim herzufallen, der dummerweise gestorben war. Blutschuld lastete auf ihm, mehr noch, die Feindschaft des Schurken von Ferrasch-Bachi verfolgte ihn. Das Grabmal, die Asche des heiligen Imam genügten kaum, um ihn zu schützen; der Imam hätte noch dazu auferstehen und selbst herbeikommen müssen. So beharrte er denn fest dabei, Mussa-Riza Gesellschaft zu leisten. Die beiden Helden lebten in beständigem Alarmzustande. Jedes neue Gesicht, das in der Moschee auftauchte, bedeutete ihnen ein Spion; Gamber-Ali glaubte in jedem einen geheimen Abgesandten aus dem Hause des Prinzen zu erkennen und sein Gefährte einen der Leute seines Gesandten. Zwei jammervolle Existenzen! Die Unglücklichen magerten zusehends ab, als eines Morgens eine große Bewegung entstand und sie sich verloren glaubten; die Wächter teilten ihnen mit, daß der König seine Absicht kundgetan habe, am selben Tage zu Schah-Abdulazim seine Andacht zu verrichten. Demzufolge putzte man denn ein wenig, stäubte oberflächlich ab und breitete Teppiche aus. Die Bevölkerung des Fleckens war auf den Beinen. Mussa-Riza teilte seinem Kameraden einen überaus zutreffenden Gedanken mit, den nämlich, daß sie auf der Hut sein möchten, um nicht mittels des Auflaufes, der sicherlich den Eintritt, den Aufenthalt und den Auszug Seiner allerhöchsten Majestät des Königs der Könige begleiten würde, von ihren Verfolgern entführt zu werden. Der Sohn Bibi-Dschanems fand diese Bemerkung verständig, und von dem Augenblicke an, wo sie sich seines Geistes bemächtigte, lehnte er sich heftig gegen die Steine des Grabmals und wandte die Schultern nur davon ab, um die Brust dafür nahe zu bringen. Indessen wurde der Lärm draußen entsetzlich. Das Gedröhn der Böller auf Kamelsrücken hallte von allen Seiten wieder. Man hörte die Hoboen und Handtrommeln, welche die Musik dieser Artillerie, Zamburek genannt, bildeten, in der Ferne auftauchen, dann zunehmen, dann hell losbrechen; eine Menge königlicher Ferraschs und Läufer in roten Uniformen und großen, hohen, mit Flitterkram verzierten Hüten stürzte sich in die Moschee. Nach ihnen traten weniger eiligen Schrittes ein die Ghulams oder adeligen Junker, die Flinte über der Schulter, und die höheren Diener und die Adjutanten und die Herren Geheimen, die Mogerrebs-ul-Hezret, diejenigen, welche der allerhöchsten Gegenwart, und die Mogerrebs-ul-Khaghan, diejenigen, welche dem Landesherrn selbst sich nahen, und endlich erschien der Landesherr selbst, Nasr-Eddin-Schah, der Kadschare, Sultanssohn, Sultansenkel, und näherte sich dem Reliquienkästchen. Man breitete einen Betteppich unter seinen erhabenen Füßen aus, und der Herr des Staates begann eine gewisse Anzahl Rikaats, Verneigungen und Kniebeugungen begleitet von Stoßgebeten auszuführen, so wie seine Frömmigkeit, der Stand seiner Privatangelegenheiten und die Stimmung des Augenblicks sie ihm eingaben.
Aber, inmitten des Lärms, der nicht nachließ, und so sehr auch der Fürst in seine Andachtsübungen versenkt war, konnte es doch nicht fehlen, daß er die beiden leichenblassen Gesichter bemerkte, welche sich unter dem Schutze des Heiligen, zu dessen Vermittlung er selbst seine Zuflucht nahm, verschanzt hatten. Den ersten, Mussa-Riza, kannte er und kümmerte sich nicht um seine Angelegenheit; der zweite war ihm gänzlich neu; sein hübsches Gesicht, seine Blässe, seine augenscheinliche Not, seine Jugend zogen ihn an, und als er seine Gebete nach Wunsch beendigt hatte, frug er den Hüter der Moschee, wer dieser Mensch wäre und aus welchem Grunde er sich so am Grabmale des Imams hielte.
Der Hüter der Moschee, von Natur sehr teilnehmend, setzte dem Könige Gamber-Alis Abenteuer in einer Weise auseinander, die höchst geeignet war, sein Mitleid zu erregen. Es gelang ihm dies denn auch ohne Mühe, und die allerhöchste Gegenwart sprach zu dem armen Teufel: auf, im Namen Gottes! Erhebe dich und zieh von dannen! Es soll dir nichts zuleide geschehen!
Das war ohne Zweifel genügend, und Gamber-Ali hätte begreifen sollen, daß er unter den Fittichen des landesherrlichen Schutzes, die sich so wunderbar über ihm ausgebreitet hatten, hinfort keine Furcht mehr zu behalten brauche. Aber er sah das Licht nicht, wo es war. Sein Geist war derart gestört, daß er die ungereimtesten Dinge annahm. Er bildete sich ein, der König spräche nur so zu ihm, um ihn zum Verlassen des Asyls zu bringen, und die Ghulams hätten den Befehl, ihn an der Pforte der Moschee umzubringen. Warum, wie konnte er sich einreden, daß er selbst, sein Gebieter, sich dazu verstehen würde, der Mitschuldige von Kerims Verwandten zu werden? Es war eine von jenen Narreteien, welche in einem kranken Hirne entstehen. Anstatt sich seinem Retter zu Füßen zu werfen, ihm zu danken, ihn mit Segenswünschen zu überschütten, was ihm obendrein noch ein reichliches Almosen eingebracht haben würde, fing er an, entsetzliche Schreie auszustoßen, den Propheten und alle Heiligen anzurufen und zu erklären, man könne ihn morden, wo man wolle, und sogar auf der Stelle, aber entfernen werde er sich nicht.
Der König hatte die Güte, mit ihm vernünftig zu überlegen. Er suchte ihn zu beruhigen, wiederholte ihm mehrere Male, daß er in Wahrheit von niemand irgend etwas zu fürchten habe, und daß hinfort sein Leben gesichert sei; es gelang ihm nicht, ihn zu überzeugen, und da natürlich verlor die allerhöchste Gegenwart die Geduld, warf Gamber-Ali einen furchtbaren Blick zu und sagte barsch zu ihm: stirb denn, Hundesohn, wenn du es so willst!
Damit ging die allerhöchste Gegenwart von dannen, und sein Gefolge verließ die Kirche. Alsobald, ohne Zeit zu verlieren, nahm Gamber-Ali, überzeugt, daß sein letztes Stündlein herannahe und seiner äußersten Hilfsmittel sich bedienend, das Stück Zeug, das er als Gürtel trug, ab, zerriß es in mehrere Streifen, machte einen Strick daraus, befestigte ein Ende dieses Strickes um seinen Leib und das andere um das Grabmal, um den Widerstand verlängern zu können, wenn die Scharfrichter kämen. Er fürchtete auch, denn was fürchtete er nicht? man möchte, um ihn leichter und ohne Ärgernis fortzuschaffen, ein Betäubungsmittel in die Nahrung mischen, welche die Hüter der Moschee ihm reichten. Er entschloß sich, überhaupt nicht mehr zu essen. An jenem Tage wies er denn also die Speisen zurück. Die liebreichsten Bitten seitens der Priester, die Aufmunterungen der Frommen, der regelmäßigen Besucher der Moschee, welche sich der Reihe nach seine Geschichte erzählen ließen, nichts vermochte ihn wankend zu machen. Er blieb fest.
Die Nacht schlief er nicht; er achtete auf alles. Jedes Geräusch, das Zittern des Laubwerkes der Bäume, durch welche der Wind fuhr, das Geringste brachte ihn außer sich.
Während des folgenden Tages blieb er auf dem steinernen Fußboden ausgestreckt, nur von Zeit zu Zeit den Kopf hebend, um zu sehen, ob man seinen Strick nicht losgebunden habe; dann ließ er seine Stirn auf die Hände herabsinken und verfiel wieder in einen Halbschlummer voll drohender Halluzinationen.
Inzwischen war in allen Häusern von Teheran, auf den Plätzen, in den Bazaren, in den Badeanstalten von nichts anderem die Rede als von seinem Abenteuer. Die Berichte von seinem Gespräche mit dem König, unter die Leute gebracht, vergrößert, abgeändert, umgewandelt, auf alle Weise verschönert, dienten endlosen Kommentaren als Text. Die einen wollten, er habe Kerim mit Vorbedacht getötet; die anderen behaupteten im Gegenteil, Kerim habe ihn töten wollen und er sich nur verteidigt. Ein dritter, weiserer, war überzeugt, daß Kerim niemals existiert habe und Gamber-Ali das Opfer einer vom Ferrasch-Bachi seines Prinzen und Assadullah, dem Pischkedmet, ersonnenen Verleumdung sei; die Frauen waren auf das Gerücht von der außerordentlichen Schönheit des Flüchtlings von Schah-Abdulazim diesem alle gewogen und wollten ihn auch alle sehen, so daß am dritten Tage mit der Morgenröte schon Scharen berittener Frauen, auf Eseln, andere auf Maultieren, einige zu Pferde, mit Zofen und Mägden, kurz die weibliche Bevölkerung in Masse sich auf den Weg nach der heiligen Moschee machte, und so groß war die Menge, daß von dem Stadttore bis zu dem Flecken keine Unterbrechung in der unendlich langen Reihe der Pilgerinnen stattfand. Dies Völkchen hatte die Moschee bald gefüllt, man trat sich, man drängte sich, man kletterte aufeinander, um wenigstens das Glück zu haben, Gamber-Ali zu betrachten; Rufe wurden laut: wie schön er ist! Gebenedeit sei seine Mutter! Iß doch, mein Sohn: Trinke doch, mein Sohn! Stirb doch nicht, herziges Onkelchen! Ach, Himmelsbruder! willst du mein Herz zerreißen? Herzens-Gamber-Ali! da hast du Eingemachtes! da Zucker! da Milch! da Kuchen! Sprich zu mir! Sieh mich nur an! Höre mich! Niemand soll dich anrühren! Bei meinen Augen, beim Leben meiner Kinder! Wer es wagen sollte, dich scheel anzusehen, den würden wir in Stücken reißen!
Aber auf diese beruhigenden Reden erwiderte Gamber-Ali nicht ein Wort. Er war von Aufregung und Hunger erschöpft und wandelte in der Tat langsam der Brücke von Girat zu, über welche die Toten ihren Weg nehmen.
Und während nun die Frauen, alte und junge, vermählte und jungfräuliche, sich so nach Schah-Abdulazim begaben, und die blauen Schleier und Rubends oder weißen Kopftürme am heiligen Orte abwechselnd ein- und ausfluteten, wobei es Seufzer, Geschrei und Händeringen setzte vor Kummer über den drohenden Verlust des schönsten jungen Mannes, der je gewesen, sah man plötzlich am Stadttore die Soldaten der Wache aufspringen, ihre Kalians im Stiche lassen und ehrerbietig salutieren. Ein, zwei, drei Kavaliere setzten flink über die Brücke, die über den Stadtgraben geschlagen war; hinter ihnen her zog in nicht geringerer Eile ein Haufe wohl berittener Dienerschaft, und hinter diesem wieder erschien, Wolken von Staub aufwirbelnd, ein hochfeiner, europäischer Wagen, mit sechs großen Turkmenern bespannt, welche mit roten und blauen Federbüschen geschmückt waren, gefahren, wie man so sagt, à la DaumontD. h. mit Stangenreitern. Anm. d. Übers., und in dem Wagen saßen vier Damen, ganz verborgen in ihren blauen Schleiern und ihren Rubends. Diese artige Erscheinung bahnte sich ohne Umstände einen Weg durch die Kavalkaden von Eseln und Maultieren, so daß sie bald zu Schah-Abbulazim ankam; die Kaleskadjys oder Vorreiter hielten vor dem Haupttore der Moschee; die Kavaliere waren den vier Damen beim Aussteigen behilflich, und diese traten unverzüglich in den heiligen Raum ein; ihre Dienstboten brachen ihnen auch dort höchst ungeniert Bahn, so daß die Neuankömmlinge trotz des Geschreies und der Schimpfreden der unsanft zur Seite geworfenen Weiber sich, wie sie es wünschten, just Gamber-Ali gegenüber befanden.
Die eine derselben kauerte sich neben dem jungen Burschen auf die Erde nieder und sagte mit sanfter Stimme zu ihm: du hast nichts mehr zu fürchten, mein Herz! Kerims Verwandten haben um dreißig Tomans einen Vergleich geschlossen; hier dein Begnadigungsschreiben; niemand hat mehr ein Recht auf dein Leben. Komm und folge mir! ich habe die dreißig Tomans erlegt.
Aber Gamber-Ali war nicht mehr imstande, irgend etwas zu begreifen. Er betrachtete düstern Blickes das Papier, welches die Dame ihm hinreichte, und machte keine Bewegung. Da erhob die Wohltäterin des Flüchtlings, die sich eben dadurch als eine Person von Entschlossenheit bekundete, ihre Stimme und sprach zu ihren Leuten: ruft sofort den Hüter der Moschee!
Dieser Würdenträger war nicht fern; er eilte herbei, und da einer der Kavaliere ihm einige Worte ins Ohr gesagt hatte, so vollführte er eine nicht weniger demütige Verbeugung als die Torwächter der Stadt und erklärte, daß sein Leben für seinen Gehorsam bürge.
– Hier ist die Lossprechung dieses Menschen, sagte die Dame; da er in diesem Augenblicke außerstande ist, irgend etwas zu begreifen, so will ich ihn in meinem Wagen fortschaffen. Ich hoffe, das heißt nicht die heilige Freistätte verletzen, denn da er nicht mehr schuldig ist, noch verfolgt wird, so kann er auch kein Flüchtling mehr sein. Was meint Ihr dazu?
– Alles, was Eure Exzellenz zu befehlen geruhen, ist unfehlbar gut, antwortete der alte Priester.
– So willigt Ihr in meine Bitte?
Die Dame gab ein Zeichen, und ihre Kavaliere schickten sich an, den Strick zu lösen und Gamber-Ali, der alsbald ein klägliches Geschrei ausstieß, in ihren Armen wegzutragen. Bei diesen Schmerzenslauten wurden die Frauen, welche die Moschee anfüllten, erschüttert; mehrere unter ihnen waren gegen die ein wenig hitzigen Manieren der die Unbekannte begleitenden Ghulams eingenommen worden, und es erhob sich ein allgemeines Gemurmel, inmitten dessen man Ausfälle wie diese unterschied: welche Niederträchtigkeit! Es gibt keinen Islam mehr! zu Hilfe, Muselmänner! Sie schänden die Freistatt! Was ist das für ein alter ausgehungerter Vampyr, der junge Leute verzehren will? Hundetochter! Tochter eines Vaters, der in der Hölle brennt! Wir wollen deinen Ahn braten! Laß den Jungen! Wenn du dir herausnimmst, ihn anzurühren oder nur anzusehen, so zerreißen wir dich mit Nägeln und Zähnen!
Die Wut wuchs, und die Dienerschaft der Dame war bereits dabei, sie und ihre Kammermädchen zu umstellen, um sie von den Angreifenden zu trennen. Man muß dieser Dame Gerechtigkeit widerfahren lassen, ihr Mut war auf der Höhe der Lage. Sie erwiderte Schimpfreden mit Schimpfreden und zeigte sich auf diesem Gebiete nicht weniger erfinderisch als die Angreiferinnen. Man nannte sie alt, sie nannte ihre Feindinnen klapperig; man verdächtigte die Reinheit ihrer Absichten; sie erwiderte mit den unerhörtesten Anschuldigungen. In diesem leidenschaftlichen Gespräche zwischen Personen des schwachen und schüchternen Geschlechtes verschwendete man gegenseitig wahre Schätze von Schimpfreden, und es darf ohne Übertreibung versichert werden, daß die respektabelsten und gelehrtesten unter den Fischweibern, welche eine der Hauptzierden von Paris und London bilden, an diesem schönen Tage etwas hätten lernen können. Nichts ist so ausgefeilt, abgemessen und bilderreich als die Sprache des Orientalen; aber einer Orientalin kommt es nur darauf an, so energisch wie möglich auszudrücken, was sie sagen will.
Um diesem Auftritt ein Ende zu machen, nahm der Hüter der Moschee den Begnadigungsbrief, bestieg den Member, das heißt die Kanzel, machte eine kleine Einleitung, las die Urkunde vor, feierte in hochtrabenden Wendungen die Nächstenliebe, die Sittsamkeit, die Güte und alle die Kardinal- und Prinzipal-, Unbeflecktheits- und sonstigen Tugenden, womit die verschleierten reinen Wesen geziert sind, welche die Sprache nicht nennen, ja selbst die Phantasie nicht im Traume schauen darf, und schloß mit einer beredten Beschwörung, besagten Tugenden und besagter Nächstenliebe freien Lauf zu lassen, indem Gamber-Alis Leben, wenn man nicht, und zwar sofort, für ihn sorgte, die nächsten Stunden nicht überdauern würde.
Bei einem so traurigen Schlusse ging von allen Seiten das Schluchzen los. Mehrere Frauen begannen sich erschreckliche Faustschläge auf die Brust zu geben und riefen dazu: Hassan! Hussein! Ya Hassan! Ya Hussein! (Die Anrufung der heiligen Märtyrer.) Andere verfielen in Krämpfe; die der unbekannten Dame am nächsten stehenden, gerade die, welche derselben ihre ganz bestimmte Absicht erklärt hatten, sie mit Nägeln und Zähnen zu zerreißen, fingen an, den Saum ihres Schleiers zu küssen und erklärten sie für einen Engel, der vom Himmel herabgekommen und sicherlich ebenso ausgezeichnet durch seine Jugend und Schönheit wie durch die Vollkommenheit seines Gemütes sei, und sie waren ihr behilflich, Gamber-Ali zu halten, welcher sich sträubte, aber doch in den Wagen geschafft wurde, dessen Vorhänge man herunterließ. Dies getan, saßen die Kavaliere wieder auf, die Kaleskadjys gaben ihrem Gespann eins mit der Peitsche, drehten um, fuhren nach Teheran zurück und verschwanden.
Der Sohn Bibi-Dschanems war gänzlich ohnmächtig geworden in der Überzeugung, daß es um ihn geschehen, daß er gefangen sei und umgebracht werden würde. Über die Maßen geschwächt, wie er war, durch seinen Geisteszustand und durch das Fasten, bemächtigten sich seiner das Fieber und die Wahnphantasien, und er wurde schwer krank. In den Augenblicken, wo das Bewußtsein ihm wiederkehrte, glaubte er sich in einem Gefängnisse. Und doch hatte der Anblick des Zimmers, in das man ihn gebracht hatte, nichts, das ihn in dieser traurigen Meinung hätte bestärken können. Es war ein allerliebstes Zimmer. Seine Wände waren weiß angestrichen, und die regelrechten, viereckigen Vertiefungen, in welche wohl Kästchen und Blumenvasen gestellt werden, waren von rosa und goldenen, auf Hellgrün noch besser sich abhebenden Malereien eingerahmt. Das Bett war mit ungeheuren rotseidenen Steppdecken ausgestattet; Kopfkissen und Pfühle, große und kleine, mit feiner Leinwand überzogen und gestickt, waren ihm zahlreich unter Kopf und Arme gelegt. Er wurde von einer Negerin bewacht, die zwar alt und häßlich, aber sehr wohlwollend war, jeder seiner Bitten willfahrte, ihn hätschelte, ihn Herzensonkelchen nannte und in keiner Weise einem Henker glich. Zwei- oder dreimal täglich empfing er den Besuch eines Hakim-Bachi oder Oberarztes, welcher Jude und ihm als der praktische Arzt à la mode der feinen Welt wohl bekannt war, und er konnte nicht umhin, sich bei sich zu gestehen, daß allein schon die Tatsache, von Hakim-Massi behandelt zu werden, eine wahrhafte Ehre ausmache, auf die man stolz sein könne. Hakim-Massi hatte ihm mit seiner gewöhnlichen Güte gesagt, daß alles aufs beste ginge, daß er binnen wenigen Tagen wieder auf sein und daß seine Genesung um so schneller vonstatten gehen würde, als ihm die Überzeugung kommen würde, daß er weder von Kerims Verwandten noch vom Könige noch von irgendwem mehr etwas zu fürchten habe. Da diese Versicherungen von einer so ausgezeichneten Persönlichkeit wie Hakim-Massi kamen, so mußten sie wohl Eindruck auf den jungen Mann machen; und da die Negerin es den ganzen Tag bestätigte, so ließ die Verwirrung seiner Einbildungskraft allmählich nach. Als der Kranke so weit war, daß er Sinn für Zerstreuungen hatte, besuchten ihn ein höchst liebenswürdiger Mulla, welcher ihm zu seinem glücklichen Geschicke gratulierte; ein im Bazar sehr bekannter Handelsherr, welcher ihm einen hübschen Türkisenring überreichte; ein Vetter im siebenten Grade des Häuptlings des Sylsupurstammes, welcher ihn zur Falkenjagd zu sich einlud, sobald er sich ganz erholt fühlen würde. Als er anfing aufzustehen, erfuhr er von seiner Negerin, daß er vier Bedienten zu seiner Aufwartung habe und ohne Zagen begehren könne, was ihm gefällig wäre.
– Aber Herzenstante, rief endlich Gamber-Ali, wer bin ich denn? Wer seid Ihr? Sollte man mir von ungefähr den Hals abgeschnitten haben, ohne daß ich es bemerkte? Bin ich schon im Paradiese?
– Es kommt absolut nur auf dich an, mein Sohn, erwiderte die Negerin, es so einzurichten, daß dem so sei, und zwar, ohne dich irgendwie zu härmen. Jedenfalls bist du für den Augenblick sicher ein Mann von Stande, denn du bist Nazyr, bist Generalverwalter des Vermögens und der Güter Ihrer Hoheit Perwareh-Khanum (Madame Schmetterling), welche seit acht Tagen durch des Königs Güte den amtlichen Titel Lezzet-Edduleh (die Wonne der Macht) erhalten hat.
Bei diesen Worten versank Gamber-Ali in den Fluten eines solchen Entzückens, daß ihm Pulsschlag, Atem und Sprache völlig versagten.
Das erstemal, wo er auf dem Hofe des Palastes erschien, fand er die Bedienten vor sich aufgestellt, versteht sich, nach ihren Graden in der Rangordnung. Alle begrüßten ihn mit tiefer Ehrerbietung, und er ließ sie Revue passieren, wie das die Pflichten seines Amtes mit sich brachten. Er war gekleidet in einen ungeheuren Dschubbeh oder Havelock von weißem Tuch, besetzt mit bunter Seide; darunter trug er ein Kaschmirgewand und zog von Zeit zu Zeit höchst ungezwungen ein kleines perlengesticktes Atlastäschchen aus der Brust, nahm eine niedliche Uhr daraus hervor und sah nach, welche Zeit es sei. Er hatte rotseidene Beinkleider. Kurz, sein Anzug war zu seiner vollsten Zufriedenheit.
Als er zum Bazar spazierengehen wollte, führte man ihm ein allerliebstes Pferd, angeschirrt nach der Weise der Hofherren, vor. Einer der Dschelodars stützte ihn unterm Arm, damit er aufsäße, und vier Ferraschs marschierten vor ihm her, während sein Kaliandjy seine Pfeife ihm zur Seite trug. Er wurde auf den Galerien erkannt, und einstimmige Segenswünsche wurden laut, wo er vorüberkam. Die Frauen zumal überschütteten ihn mit Artigkeiten. Zwar legten sie ihm mehrere ziemlich indiskrete Fragen vor, welche ihn zum Erröten brachten, und richteten Empfehlungen und Ratschläge an ihn, deren er nicht zu bedürfen glaubte. Aber alles in allem war er entzückt über seine Popularität. Er hatte Grund, es zu sein, was doch wohl – beiläufig gesagt, um den Leuten, welche bei jeder Geschichte eine Moral wünschen, eine Freude zu machen – beweist, daß das wahre Verdienst am Ende immer seine Belohnung erhält.
Alles muß uns zu der Annahme bestimmen, daß Gamber-Ali in seinem Berufe als Verwalter hervorragende Eigenschaften entwickelte, denn man sah ihn allmählich aus einem Zustande verhältnismäßigen Reichtums zu offenbarem Überfluß gelangen. Ein Jahr war noch nicht verstrichen, da ritt er nur noch kostbare Pferde; er hatte Rubinen, Saphire, Diamanten vom schönsten Glanze an den Fingern. Kam den ersten Juwelieren irgendeine Perle von ungewöhnlichem Werte vor, so beeilte man sich, ihn davon zu benachrichtigen, und selten einmal, daß er nicht der glückliche Käufer des Schatzes wurde. Da die Angelegenheiten des ehemaligen Statthalters von Schiras eine schlimme Wendung genommen hatten, so befanden sich der Ferrasch-Bachi und Assadullah-Beg ohne Stelle. Es war nicht auf lange; Gamber-Ali, jetzt Gamber-Ali-Khan, nahm sie in seinen Dienst und erklärte sich sehr zufrieden mit ihrem Eifer.
Sobald er sich in einer glücklichen Lage gesehen, hatte er nicht gesäumt, seine Eltern kommen zu lassen. Unglücklicherweise starb sein Vater in dem Augenblicke, da sie sich auf den Weg machen wollten. Bibi-Dschanem brach in eine Verzweiflung aus, welche alle Schranken niederriß; sie zerfetzte sich das Gesicht mit solchem Ungestüm und stieß auf dem Grabe des Toten so durchdringende Klagerufe aus, daß man nach dem Zeugnis ihrer Freunde niemals in der Welt eine so treue, so ihren Pflichten hingegebene Frau gekannt hatte. Indessen kam sie wieder zu ihrem Sohne und war entzückt, da sie ihn schön und gut im Stande wiedersah. Aber sie blieb nicht im Palaste, weil, ohne daß man sich den Grund davon erklären konnte, eine so ausgezeichnete Persönlichkeit der Prinzessin nicht gefiel. So bekam sie denn ein Haus für sich allein und wählte es in der Umgegend der großen Moschee, wo sie bald den bestverdienten Ruf einer außerordentlich frommen und über alles, was im Stadtviertel vorging, sehr genau unterrichteten Frau gewann.
Sie hat, man muß das zu ihrem Ruhme sagen, nie gelitten, daß ein Unrecht des Nächsten im Verborgenen blieb, und was das anlangte, dem Tun und Lassen ihrer Nachbarn und Nachbarinnen die weiteste Öffentlichkeit zu geben, so blieb sie eine unvergleichliche große Glocke.
Nach Verlauf von zwei Jahren verspürte die Prinzessin, welche nicht weniger gottselig als Bibi-Dschanem war, die Sehnsucht, die heilige Wallfahrt nach Mekka zu machen, und nachdem sie sich dazu entschlossen, erklärte sie, daß der ehrliche Gamber-Ali-Khan ihr Reisegemahl sein solle. Der Reisegemahl ist unstreitig eine der sinnvollsten Einrichtungen in Persien. Eine Frau von Stande, welche eine lange Fahrt machen und von Stadt zu Stadt ziehen will, kann um ihres Seelenheiles willen wohl ihre Ruhe opfern und Mühsal auf sich nehmen. Indessen ist sie doch an die Anstandsrücksichten gebunden und würde den Gedanken nicht ertragen können, mit Maultiertreibern, Krämern, Zollbeamten oder den Behörden der Orte, die sie passiert, in direkten Verkehr zu treten. Aus diesem Grunde nimmt sie, wenn sie keinen Gemahl besitzt, eigens für diese Gelegenheit einen. Es versteht sich, daß der glückliche Sterbliche nichts weiter vorstellt als einen Haushofmeister mit erweiterter Befugnis. Wer möchte mehr darin sehen? Gamber-Ali-Khan war ein bedeutender Mann; kurz, er ging mit der Wonne der Macht auf die Reise, und diese, in Bagdad angekommen, war so zufrieden mit seiner Rechtschaffenheit und seiner Art, die Rechnung zu führen, daß sie ihn allen Ernstes heiratete, und es ist Nächstenpflicht, anzunehmen, daß sie nie Grund hatte, es zu bereuen. Übrigens versicherte das auch Bibi-Dschanem.
Hier ist die Geschichte zu Ende: der bewundernswürdige, grundgelehrte Astrolog, von welchem eingangs die Rede war, hat sie oft mit Varianten erzählt. Er führte sie als einen unwiderleglichen Beweis für die Zuverlässigkeit seiner Kunst an. Hatte er nicht am Tage der Geburt Gamber-Alis vorhergesagt, daß dieser Säugling Premierminister werden würde? Zwar ist er's noch nicht; aber warum sollte er's nicht werden?