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Titelblatt

XIII. Heft.
Komische Scenen und Gespräche

Mit einem colorirten Titelkupfer von
Th. Hosemann.

Zweite Auflage.

Leipzig, 1846.

Verlag von Ignaz Zackowitz.

Die beiden Zeitungsleser

Die beiden Zeitungsleser


Motto:

I.

Vernunft, Wahrheit und Recht sind die drei herrlichsten Töchter des Himmels. Je mehr sich die geistigen Werke der Menschen von ihnen entfernen, je sicherer und schneller veralten und sterben diese Werke ab. Ein einziger Schritt näher zu ihnen, macht ganze Büchersammlungen zu Makulatur.

»Welt und Zeit.«

II.

Ein offner Helm adelt nicht allein, auch eine wurmstichige Nuß hat einen. Hochgeboren sein, adelt nicht, auch ein Storch ist hochgeboren; auch ist er nicht deshalb heilig, weil er sein Nest auf dem Kirchdache baut. Wollgeboren ist das Schaf. Von einem guten Hause sein, adelt nicht allein, denn eine Schildkröte hat auch ein gutes Haus. Hohe Ahnen hat der Elephant, und von hohem Stamme sein, adelt nicht allein, denn manch saurer Holzapfel ist von hohem Stamme. Ein edles Gemüth adelt allein.

Abraham a Sancta Clara.

III.

In Deutschland verlohnt es sich nicht der Mühe, mehr als ein Schneider zu sein.

Ludwig Börne.

 

1.
Die beiden Zeitungsleser.

(Sie sitzen an einem Tische in der Gaststube. Beide haben ein Glas Weißbier neben sich, die Pfeife im Munde, die Zeitung in der Hand.)

Spitzig (den Kopf zu Duse umdrehend). Na?

Duse (verwundert). Na? Wie so Na?

Spitzig. Na ich frage Dir man blos, ob Du Deine Spener'sche schon ausjelesen hast?

Duse (nachdem er langsam Weißbier getrunken). Ne.

Spitzig. Biste noch bei de deutsche Polletik, oder contraire im Jejentheil: bei de bewegliche Jejenstände?

Duse. Wat sind det vor Jejenstände, bewegliche?

Spitzig. Wat det vor welche sind? Des weeßte nich? Na per Exempel zum Beispiel: Bielefelder Leinewand un westphälscher jeräucherter Schinken.

Duse. Ne. Nich möglich! Leinwand un Schinken, det sind keene bewegliche Jejenstände. Die Bielefelder Leinewand kann sich höchstens bewegen, wenn ihr ein Mensch anhat, un der westphälsche Schinken, wenn ihn ein Schwein noch anhat. Aber denn is er noch nich jeräuchert!

Spitzig (ihn verwundert anschauend). Ne, Duse, da haste recht; det muß Dir Eener gesagt haben. Jenug de Leinewand un der Schinken stehen hier unter den Artikel »Verkauf beweglicher Jejenstände« in de Zeitungen, weil se fortgenommen werden können.

Duse. Na, Spitzig, sage mal – Du weeßt, ick habe mir lange nich um Allens bekümmert, weil ick mit meinen Bau zu dhun hatte – verkooft denn nu een Koofmann die beeden Artikel zusammen?

Spitzig. Zusammen un aparte, da läßt er Jeden seinen freien Willen. Denn natürlich, denn wenn Eener meinswejen Leinewand zu 'n Dutzend Hemden braucht, denn nützt ihm der Schinken nischt, un wenn dajejen Eener Hunger hat, denn eßt er keene Leinewand. (Trinkt.)

Duse (mit zweifelndem Seitenblick). Ne, det is richtig. Des scheint Dir nu wieder Eener verrathen zu haben. (Klopft seine Pfeife aus.) Na nu sage mir aber mal: wie kommt nu .....

Spitzig. Was sagste?

Duse. Was denn?

Spitzig. Was de jesagt hast?! Ick habe Dir nich verstanden, weil De während det De klopptest sprachst.

Duse (stopft die Pfeife wieder). Ach als soo! Ich fragte Dir: wie kommt nu een Koofmann zu zwee so 'ne verschiedne Jejenstände?

Spitzig. Det will ick Dir demonschtriren. Seh 'mal, die Leinewand jeht jetzt nich mehr so jut wie dunnemals bei de solide Zeiten, wie noch Jroschen Jroschen war, un de Armuth de Leute noch nich zwang, uf lauter Schwindel zu existiren. Denn jetzt jibt et 'ne Masse Linnen-Handlungen, die Zeitlebens ausverkoofen. Na un da hat der Koofmann jedacht: bei de Leinewand kannste nicht fett werden! un da hat er sich Schinken kommen lassen.

Duse. Du hör 'mal, Spitzig: des Ausverkoofen von die Handlungen mag noch so vortheilhaft vor den Koofmann, wollt' ick sagen: vor't Publikum sind, so billig wie bei Hanffen jibt et nischt mehr! Daa – Du weeßt ja! eene Treppe hoch, wenn De ruf kommst, jleich linker Hand schräg rin! Wo et heeßt: Unverschämt billig! Noch niemals dajewesen! Man kann nich ohne zu kaufen fortjehen! Man muß et sehen, um't zu jlooben, un wenn man't sieht, jloobt man't noch nich! Klosterstraße No. 104!

Spitzig. Herrjees, ja, ick weeß ja! Klosterstraße Nummer Hundert un Vier, bei Wagener un Kasemir! Pfefferkuchen, zu Weihnachten! Unten werden die schönen Jedichte gemacht, und oben Fabeln.

Duse. Ja, da haste Recht! Denn des is doch eejentlich 'ne Fabel: Zwölf Stück Schnuppdücher vor Neun Silberjroschen, wie ick hier eben lese! Herrjees, des muß ja reener Zunder sind! Det Dutzend Neun Silberjroschen, da kommen ja jrade Neun Pfennje uf't Schnuppduch! Na un herrjees: vor Neun Pfennje, da bück' ick mir ja noch nich mal, um 'ne Staude Flachs zu plicken, jeschweije det ick ihm spinnte un webte!

Spitzig. Ick will Dir sagen, Duse: et is allerdings Zunder, aber des is jrade der moralische Zweck von die Dücher. Denn seh 'mal, Duse, die Dücher werden jar nich weiter benutzt, als zum Stehlenlassen. Nämlich weil einen jetzt so ville Schnuppdücher jestohlen werden, so drägt man ganz ruhig sein seidenes Schnuppduch in de andere Tasche, un läßt sich blos des vor Neun Pfennje von Hauffen stehlen. Na un seh 'mal, Duse, dieses is nu eben der moralische Zweck von des Schnuppduch, weil solches für den Spitzbuben keinen Reiz nich hat. Wenn der Mann nachher Wunder denkt, wat er hat, un er sicht des Schnuppduch vor Neun Pfennje: des bessert ja so 'nen Menschen!

Duse (durch Spitzig's gute Laune angesteckt, lächelnd). Ja so, ja, des kann so 'nen Mann bessern, der uf würdigere Jejenstände ausjejangen is. Un villeicht blos deshalb, damit die neue crimelnanistische Zeitung Stoff hat un existiren kann.

Spitzig. Nu wat willste denn, Duse! Von Verbrechen un von de Laster un Leidenschaften un von dumme Anjewohnheiten leben ja die mehrsten Menschen! Von de Tugend lebt ja jar keen Mensch! Jar Keener!

Duse. Wie so: jar Keener?

Spitzig. Na wenn wir Alle tugendhaft wären, denn brauchten wir Menschen keen Jesetz, also ooch keenen Staat, also ooch keenen Herrscher, also ooch keen Jeld.

Duse. Ach, Du meenst, wir sollen wieder wild werden?

Spitzig. Wui! Das heeßt: janz wild nich, aber en kleen bisken wilder als anjetzt, des könnte allerdings nischt schaden. Meenste nicht, Duse, deß wir etwas zu zahm jeworden sind?

Duse. Aeußerst sehre zahm! Wir machen ja sojar schon Kunststücke, pfeifen »Jett seeft det Kind« un fressen aus de Hand. (Wieder in die Zeitung blickend.) Hör' mal, Spitzig, ich werde mir doch ooch so'n Dutzend moralische Schnuppbücher koofen, denn heut zu Dage muß man de janze Tasche voll Moral haben, wenn man weiter kommen will. Bei so 'ne fromme Zeiten, wie alleweile, wo einen alle Augenblicke so 'n langweilijer Kerrel, so 'n Pietiste, mit seine schwärmerisch-dämliche Oogen, un seinen breitkrämplijen Filz un de Haare à la Schafskopp bejejent, un .......

Spitzig (ihn unterbrechend). Ja, un wo Mittwochs im Theater zwee Parquetbänke besetzt sind, im Parterre noch drei Freibillets wegen Unpäßlichkeit der Besitzer fehlen, urt in 'n ersten Rang ein sich jraulender diplomatischer Corpser sitzt – un wo doch Donnerstags Brochüren »jejen die Theaterlust« anjekündigt werden! Un wo man irjendwo die Jesuiten un andere schädliche Hausthiere wieder einführen will!

Duse. Ich will Dir sagen, Spitzig, jewisse mächtige Leute in Deutschland, die denken: es is nu doch mal 'ne verdrehte Zeit, un darum machen se aus 1841: 1481. (Nachdem er gelesen.) Du, Spitzig, was is' denn des vor'n Claudius, der des Sprichwort »des fünfte Rad am Wagen« zu Schanden jebracht hat? der jetzt vor drei Silberjroschen mit Sechs Räder nach Charlottenburg fährt, so deß uf jedes Rad en Silbersechser kommt? (Mit lächelnder Miene.) Der römische Kaiser Claudius kann des doch nich sind?

Spitzig (immer in den Scherz eingehend, aber mit ernstem Gesicht). Ein röm'scher Kaiser vor Drei Silberjroschen nach Charlottenburg fahren! Na hör' mal! (Zu den andern Gästen.) Was der Kerle sich von Rom denkt, deß da so 'ne Billigkeit herrscht! Duse, Du scheinst mir einen sehr bemerkenswerthen Ueberfluß an Jehirnmangel zu besitzen. Du solltest Dir nach 'n Amt umsehen.

Duse. Nach 'n Amt?

Spitzig. Na ja! Wem Jott en Amt jibt, dem jibt er ooch den Verstand. Aus diesen Jrunde kommt man Manchen zu Hilfe, der von Natur keenen Verstand hat: man jibt ihm ein Amt. (Trinkt.) Schade, Duse, daß Du Lesen un Schreiben kannst! Des dhut mir wirklich sehr leid.

Duse. Wie so?

Spitzig. Nu, wenn De nich Lesen un Schreiben könntest, da wüßt' ich en schönen Posten vor Dir.

Duse. Ach was, ich brauche keenen Posten! Mancher Posten is so besetzt, deß es einer janzen Stadt Schande macht, un besonders Denen, die so 'nen Schurken und dummen Esel leiden. Ich bin Bürjer wie Du; wir nähren uns redlich, wir haben des Unsrige jelernt, verstehen unser Jeschäft aus den Jrunde, un brauchen unsre Stellung weder durch Kriechen noch durch Kuppeln zu erhalten.

Spitzig. Na na, werde man nich böse!

Duse (halb lächelnd, halb mürrisch). Na ja: manchmal fällt mir wat in, denn werd' ick eeklich.

Spitzig. Des is recht von Dir, da biste ja fast immer anjenehm.

Düse. Hehehe, ja! (Wieder scherzend.) Du, jetzt fällt es mir in, wer der Claudius is! Des is jewiß der Volksdichter, von den des schöne Rheinlied is!

Spitzig (nach ihm schielend). Sie sollen ihn nich haben?

Duse. Ne doch, des nich, des is ja von Niklas Beckern, un 's is auch sehr schön. Des heißt ja:

Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Ob sie wie gier'ge Raben
Sich heiser ...

Spitzig (auffahrend). Na hör' mal, Duse, ich will nich hoffen, daß Du mir das janze Lied wieder hersagen willst! Das fehlte mir jerade! Ich bin froh, deß die Zeit vorüber is, wo man den freien Rhein bei't Frühstück, Mittag- un Abendbrod mitrunterschlucken mußte.

Duse. Deshalb hast Du ooch woll des Lied im Magen?

Spitzig. Na eben! (Auf den Tisch schlagend.) Ne, ick kann mir den Rhein denken, wie der mit een Mal in janz Deutschland singen hört, deß er frei is, wie der sich jewundert hat! – Er war ooch jleich nachher janz versteinert.

Duse. Na, des schad't Allens nischt; Ehre, dem Ehre jebührt: Niklas Becker hat en recht niedliches Jedicht jemacht, un Er is nich daran schuld, deß die Deutschen so viel Wesens daraus machten, un so hitzig daruf sind, ihren Landesherren den Rhein zu erhalten. (Pause; sie lesen.) Du, sag' mal, – des annijiert mir zu sehr, die langen orientalschen Anjelejenheiten, un denn kann ich mir ooch in'n Orient nich so jut orientiren wie bei Occidentens – was is denn jetzt mit Nehmet Alli'n, wie steht 'eten mit den? Der hat woll einen Jesandten nach Frankreich jeschickt, um sich zu erkundijen, worum zu 'ne Quadrupel-Allianz nich Fünfe jehören? Ueberjens soll sich de Türkei nich zu früh dicke dhun. Der Nehmet Alli kann sich besser orientiren wie ich. Des kann immer noch stuckern mit de Türkei. Des passirt sehr ofte, deß man eine Quadrupel vorhat, und doch den Robber verliert! –

Spitzig. Nehmet Alli liegt zu Bette.

Duse. Zu Bette?

Spitzig. Ja, er kann seinen rechten Arm nich jebrauchen, un des stört ihn sehr.

Duse. Was hat er'n mit den Arm jemacht?

Spitzig. Er wollte des europäsche Jleichjewicht ufheben, un da hat er sich mehrere Sehnen verrenkt.

Duse. Ach jeh' mir doch mit des europäsche Jleichjewichl! Des is 'n Jewicht, was sich immer jleich bleibt, – un wenn Rußland zum Beispiel mal janz Deutschland, de Türkei un Italien unterjuchte oder jochte, so würde sicher in de Staatszeitung stehen: Düses is des eijentliche europäsche Jleichjewicht. (Lesend.) Ne, des versteh' nich nich. Hier steht 'ne Anzeije: Die Redaction der Leipzijer Alljemeinen Zeitung hat ein D verloren; der ehrliche Finder wird jebeten, dasselbe in einem jewissen Ministerium des Innern wieder abzuliefern.

Spitzig. Des bejreifste nidh?

Duse. Ne.

Spitzig. Na wenn die Redaction der Leipzijer Zeitung ein D verliert, denn is sie blos noch Reaction!

Duse. Was is 'den des: Reaction! (Gesticulirend.) Des jehört woll zu 's Komödiespielen?

Spitzig. Re oder ooch Ja! Reaction is: wenn ein Jreis un ein Zustand un Verhältnisse un Rechte kindisch jeworben sind, un se wollen noch immer die Jugend zurückhalten. (In die Zeitung blickend.) Aber warte mal! Hier sehe ich eben eine neue Brochüre anjekündigt: die bedüngte Preßfreiheit.

Duse. Bedüngte?

Spitzig. Ne, bedingte, richtig: bedingte! Was soll'n des heeßen? Wer bedingt sich'n die? Doch wir! Ueberjens is des sehr hübsch, daß wir Preßfreiheit schon aussprechen dürfen. Nu haben wir doch vor's Erste das Wort.

Duse. Du kannst Dir druf verlassen, daß nach und nach ooch die Sache kommen wird. Denn die Natur bedingt Preßfreiheit. Denn wenn Jott jewollt hätte, daß wir Manches nich reden sollen, was wir denken, denn hätt' er uns ja einen Pollzeicomzarjus uf de Zunge wachsen lassen. (Lesend.) »Heinrich Heine auf öffentlicher, Straße Ohrfeijen bekommen.« Weeßte des schon, Spitzig?

Spitzig. Ja woll! Heinrich Heine hatte sich durch sein nichtswürdijes Buch über den edlen Börne schon selbst eene Ohrfeije jejeben, un da leistete ihm Herr Strauß in Paris noch eene uf die andre Backe, damit er künftig nich so schiefe Urtheile fällt.

Duse. Nu wird er sich wohl mit Straußen duelliren?

Spitzig. Ne, Duse, des Duelliren is ja verboten, und darum is der jehorsame Unterthan Heine janz jeschwinde nach de Pyrenäen-Bäder abjereist.

Duse. Nach de Pyrenäen-Bäder? Also reisen die Franzosen ooch so viel in de Bäder? Na, Spitzig, was die Krankheit, jesund in's Bad zu reisen, alleweile in Deutschland um sich jejriffen hat, des is was Merkwürdijes. Denk Dir: neulich bestell' ich mir bei meinen Schuster en Paar Stiebeln, un wie ich nach acht Dagen hinkomme un will se mir abholen, sagt mir die Frau: entschuldigen Se, Herr Duse, mein Mann is nach Pyrmont jereist; er kränkelte in de letzte Zeit so mit seine Nerfen, un da will er 's Bad jebrauchen; Sie können Ihre Stiebeln erst jejen Michäle kriejen, denn Mitte September kommt mein Mann erst zurück. Nu bitt' ick Dir, Spitzig: en Schuster nach Pyrmont! En Schuster, der Nerfenzufälle hat! Ne wat jetzt Allens passirt! Früher hatte en Schuster gar keene Nerfen; das sind lauter Neuerungen, die durch die Volksdichter jekommen sind.

Spitzig (mit feurigen Augen). Du, Duse, die zweite Kammer, stehste, des laß' ich mir jefalleni Des sind Stände! Das sind nich die bescheidensten Leute des Vaterlandes, das sind die edelsten!

Duse. Ja, ich weiß, des Volk ehrt sie jetzt, aber...

Spitzig. Na was wollen sie denn mehr? Jibt es einen jrößern Ruhm, als die Liebe des Volkes? Wenn se nich vom Volk, sondern nur anderswo Ehre jenießen, denn sind sie auch vor Jott niemals viel jewesen.

Duse. Darüber können wir jar nich urtheilen.

Spitzig. Warum nich?

Duse. I wir sind ja Leute, die nich mal hochdeutsch reden, die in ihrem Berliner Dialekt sprechen.

Spitzig. Aber, Duse, Duuse! Darum kann man doch mehr Verstand un Geist haben, als so Mancher, dem des Alles einjetrichtert is! Un was is denn des Hochdeutsche anders als ein Dialekt, den sich die sojenannten jebildeten Leute jemacht haben? – Die Lutherschen Wecke un des Nibelungen-Lied, das ich neulich jelesen, sind ooch nich in unserm Hochdeutsch jeschrieben, un doch is da mehr poetisch Kraft un Jesundheit drinn, als in alle die jetzigen Romane, wo eenen vor lauter Vornehmheit so zu Muthe wird, als hatte man vierzehn Dage hinternander nischt als Thee jesoffen. Wahrheit is de Hauptsache, un was sich nich schickt, das bleibt. (Hat inzwischen nach der Uhr gesehen.) Herrjees, schon halb Zwee vorbei! (Nimmt seinen Hut.) Markör, was hab' ich heute verdient?

Duse. Ueber halb Zwee? Ach Herrjeh! (Sucht seinen Hut.) Markör, hier sind zwee Jroschen!

Spitzig. Na, meine Frau, wenn ich zu Hause komme!

Duse. Na aber meine erst! Wir essen Punkte Eens, un des Sonnabends jibt es so immer des Lieblingsjerichte vor meine Jören: Quetschertoffeln un Bratwurst, un daraus mach' ich mir nischt, un nu denkt meine Frau immer, ick um jehe die Quetschertoffeln, wenn ick so spät komme. (Flink ab.) Na atje, Spitzig!

Spitzig. Adje, Duse!

 

II.
Das Pferderennen.


Am Kreuzberge.

Pulke. Siehste, Blauling, hier sind wir in des eenzige Thal, was Berlin hat; wir sind in diesen Augenblicke zwee Thaler, und ick wünschte, ick könnte Dir wechseln. Wenn ich Deine beeden Beene det Stück zwee Jroschen Courant anschlage, denn mehr sind die Spazierstöcker nich werth, Deinen Bauch zu vier Jroschen un Deine Kehle zu fufzehn Jroschen, denn kann ick jerade noch vor Deinen Kopp en orndtlichen Kümmel drinken.

Blauling. Wenn Du vor jeden Koppjroschen en Kümmel kriegtest, ick jloobe, Du könntest schon um Neune Morjens keene Hand mehr rühren.

Pulke (einem Kutscher zurufend). Ju'n Moorjen Zweespänner mit fufzehn Personen! Ju'n Morrjen, meine Herren un Damen à zwee un en halben Silberjroschen! Amesiren Se sich jut bei't Pferderennen! Wir kommen ooch raus; wir Beede rennen ooch heute Pferde, aber zu Fuße!

Scherbelack. Sie werden verzeihen: ich sehe, daß Sie rauchen; kennten Sie mich villeicht Feuer jeben; meine is ausjejangen.

Blauling. Mit Wonne.

Scherbelack. Schön, ich danke Ihnen. Is Ihnen villeicht eine Prise jefällig? Bitte zuzujreifen. So! Sie auch, bitte! So!

Pulke. (Niest.)

Scherbelack. Prost!

Pulke. Hat nischt zu sagen.

Scherbelack. Sie jehen wohl auch nach des Pferderennen, ich vermuthe. Wenn ich villeicht die Jüte haben könnte, und Ihnen bejleiten nach des Pferderennen, so würde mich dieses seht anjenehm seind, weil ich aus Potsdam bin.

Pulke. So, Sie sind ein zweiter preuß'scher Residenzer?

Scherbelack. Nein, ich bitte, ich bin Stuben-Maler.

Pulke. Ach, richtig, Sie sprechen ooch janz durch de Schablone. (Leise zu Blauling.) Du, der Kerrel is mit den Dämelsack jeschlagen; der hat eine Anzahl Bretter vor'n Kopp, dir nich unbedeutend is; der kann uns amisiren. (Laut zu Scherbelack.) Sagen Se mal, Herr Stubenmalör aus Potsdam, was ich sagen wollte, wie befindt'n sich Ihre Frau Jemahlin?

Scherbelack. Nein, ich bin Wittwer. Meine Frau, eine jeborne Pellebrettken aus Klein Werder, starb mich in vorvorjen Herbst in's Kindbette an eenen kleenen Jungen männlichen Geschlechts, welcher sojleich dodt war. Sie verzeihen, meine Pfeife is mich ausjejangen; könnten Sie mir villeicht noch mal Feuer jeben?

Blauling. Jeben Se mal Ihren Schwamm her! So! – Wenn Se überjens Ihre werthe Pfeife wollen immer in Jang erhalten, so müssen Se vermittelst Ihrer Luftpumpe immer Rooch rausblasen. Oder roocht man villeicht in Potsdam anders? Ick kenne die Verhältnisse in de zweete Residenz nich so jenau.

Pulke. Wie ist'n Ihr werther Name?

Scherbelack. Scherbelack is mein werther Name, mein Vatername, mit Vornamen heiß' ich Andreas.

Pulke. Sie entschuldigen: haben Sie villeicht den rothen Adlerorden vierter Klasse?

Scherbelack. Nein!

Pulke. Dritter ooch nich?

Scherbelack. Nein, damit kann ich Ihnen nich dienen, aber mein Bruder is bei de Jarde-Dragoner Unteroffizier. Wie heißen Sie'n werthestens?

Pulke. Ne, Werthestens nich, sondern vielmehr: Pulke! Besonders mit meinen Familiennamen heiß' ich Pulke; mit meinen Vornamen nennt man mir mehr: Ernestinus.

Blauling (zu Scherbelack, mit wichtiger Miene auf Pulke deutend.) Von Pulke!

Scherbelack. I was Dausend: adlig?

Pulke. Ja, aber geniren Sie sich deshalb nich, Herr Scherbelack aus Potsdam! Ich bin sehr herablassend.

Scherbelack. Aber werther Herr von Pulke, man sieht es Ihnen jar nich an, daß Sie von Adel sind; Sie sehen so jewöhnlich aus.

Pulke. Ja, die Pulkens sind immer so schlicht jewesen. Die ersten Pulkens waren um das Jahr 1371 Straßenräuber, un das reine Vollblut hat sich bis auf mir erhalten, der ick der letzte Sprosser dieses Hauses bin, und villeicht ohne männliche Erben sterbe.

Blauling. Wenigstens, Herr Scherbelack, kann ick Ihnen versichern, deß sich bis jetzt Keener zu seinen Erben jemeldt hat, und wahrscheinlich ooch nich melden wird. Des is um so mehr schade, als Herr von Pulke Majorater is.

Scherbelack. Wirklich: Majorater, so deß der jrößte Theil von Ihr Jeld auf die Erstjeburt kommt?

Pulke. Is schon! Schon Allens abjemacht! Ueberhaupt Adel ohne Majorat is reine Dummheit! Da verkriemelt sich des Jeld unter die Nachkommen immer mehr un mehr, un wenn se nachher keen Jeld mehr haben, denn können se ihren Adel jar nich mehr behaupten; denn jibt keene Seele mehr en Sechser uf des Von. Sollte ich mir daher verehelichen un dieses eine Knabenfolge haben, so fällt janz Pulkenburg an meine ältste Jöre.

Scherbelack. Sagen Sie, um Entschuldigung, worum rennen die Pferde eijentlich?

Pulke. Sie wetten unternander.

Scherbelack. Das heißt, die Besitzer wahrscheinlich! Entschuldigen Se, daß ich mir noch mal den Schwamm ein Bischen ansteche, mich ist die Pfeife wieder etwas ausjejangen.

Pulke. Natürlich, die Besitzer. Nebenbei haben Sie den Zweck, die Pferde im Rennen zu üben, im Fall mal Krieg werden sollte.

Scherbelack. Sagen Sie, wie is das, wie ich immer manchmal lese, wenn die Pferde voll Blut sind?

Pulke. Sie werden sich jefälligst villeicht irren, lieber Herr Stubenmalör Scherbelack aus Potsdam, verwittweter Eigenthümer der verstorbenen Scherbelacken, jeborne Pellebrettken aus Klein Werder. Vollblut is nämlich unter de Pferde des, was unter de Menschen Adel is. So'n wildes Beest, was blos frißt un zum Staat is, un ausschlägt, des is en adliges Pferd. Bei de Pferde is eine Raçe eben so edel, wie unter de Menschen.

Blauling. Ne, Pulke, des sagst Du blos, weil Du adlig bist. Bei de Pferde is 'ne edle Raçe möglich, weil die schon von de Jeburt an unter Aufsicht sind, un Zeitlebens jepflegt un dressirt werden. De Menschen aber vermischen sich ohne Aufsicht, un da kommt es blos druf an, wer en bessern Kopp un en bessers Herz hat, un da hat der Adel ooch nich die blasse Idee von einer neun Mal jetödteten Flieje vor de Bürjerlichen voraus.

Scherbelack. Sagen Sie mich mal, Herr von Pulke, was sind nu die Hindernisse bei die Adligen bei's Pferderennen?

Pulke. Das erste Hinderniß vor einem Adligen is dabei, wenn er keen Pferd hat. – Ueberjens brauch' ick Ihnen nu nischt weiter zu erklären, denn da is es! da! Nu können Se Allens selbst mitansehen, un wat Sie nich verstehen, will ick Ihnen aus den Pferdebericht von jestern erklären.

Während des Pferderennens.

Blauling. Sehen Se, Herr Scherbelack, jetzt jeht wieder eine Pferdelotterie los. Jedes Pferd setzt zwee Friedrichsd'or, un denn kratzen se aus, un wer zuerst hinkommt, den jehört der janze Schwamm.

Pulke. Wenn mal die Pferde klüger werden, als die Menschen, un die adlijen Rosse stellen Menschenrennen an, det müßte sich putzig machen, wenn so'n Schimmel uf'n alten adlijen Jutsbesitzer ritte, oder en schwarzer Hengst uf'n Jardeleichnamt, oder ein brauner Wallach uf'n vertrockenten Kammerherrn!

Scherbelack. Da jehen se ab! Was sind dieses nun für Pferde?

Pulke. Alle zum Wenigsten Hochwohljeboren, wie Sie se da sehen. Wenn Sie jlooben, deß da ein jemeenes bürgerliches wohljebornes Pferd drunter is, denn reiten Sie auf einen sehr dicken Irrthum, Herr Stubenmalör Scherbelack aus Casernopel! Un wat die vornehmen Pferde vor Vaters un Mütters haben, da werden Sie staunen, juter Potsdammer. Sehen Se mal – wo is'n der Bericht von jestern? – des eene Pferd is en Kind von Shakspearen und der Reise auf jemeinschaftliche Kosten; der Fuchshengst heeßt: von Fijaro und der keuschen Susanne; der Schimmelhengst is ein Sohn von Casanova und der Jungfrau von Orleans; die braune Stute eine Tochter vom Napoleon und der Harmonie; die schwarze Stute is die Zuckererbse von der Knallschoote, un der Appelschimmel rechts is ein Majoratserbe vom Posamentier Feseler und der Hebamme Kützemeier aus Perleberg. Sämmtlich Vollblut! So wie eens von die Edelleute mit vier Beene en Droppen bürjerliches Blut hat, wird er jleich zur Ader jelassen.

Scherbelack (sich vergessend, schreit). Der Hengst jewinnt, der Hengst jewinnt! (Gelächter.)

Blauling. Hören Se, juter Potsdammer, machen Se hier keene Komödie nich! Die Leute lachen Ihnen ja aus, Stubenraphael! Ihre Frau hatte Ihnen jewiß unter'n Pantoffel und war ooch en jroßer Maler, denn sie hat den Pinsel sehr jeschickt rejiert.

Scherbelack. Brennt villeicht Ihre Pfeife noch, denn möcht' ich mich meinen Schwamm dran anstechen, denn meine is mich ausjejangen. (Schreit wieder.) Da, richtig, der Hengst mit die blau un weiße Jacke hat jewonnen! (Gelächter.)

Pulke. Na hörn Se mal aber, zweiter Residenzer, Sie machen sich hier wirklich natürlich. Un des, was die blau un weiße Jacke anhat, des is ja der Reiter, der Hengstens reit't!

Scherbelack. Na ja!

Pulke. Na aber, Sie verursachten eine alljemeine Jedankenverwirrung, indem Sie sich damit schmeichelten, dass der Hengst anjezogen wäre.

Scherbelack (zu Blauling). Sagen Se mal, der Herr, der des jewonn'ne Pferd streichelt, des is der Besitzer von des Pferd?

Blauling. Ja: des heeßt, er besitzt es blos, wenn er reit't, sonst hat er so viel Schulden wie Bretter vor'n Kopp. Es is nämlich der Baron Duselfritze von Achherrje-Wieso-Dickedhun auf Hypothekenburg.

Pulke. Ja: sein Ahnherr war Pferdeknecht bei einen deutschen Kaiser von's vierzehnte Jahrhundert. Eenes Dages hatte er was versehen, un da gab ihm der Kaiser Allerhöchstselbsthändig 'ne Maulschelle. Un theils, weil ihm des nachher leid that, un auf Anrathen seiner Minister, damit er sein Allerhöchstes Fleesch nich mit bürjerliches Fleesch in Berührung jebracht haben sollte, so wurde der Pferdeknecht jeadelt.

Scherbelack. Also er wurde aus Versehen adlig?

Pulke. Janz recht: aus Versehen, oder eejentlich durch 'ne Maulschelle. Des war blos en Ritterschlag uf 'ne andre Manier.

Scherbelack. Merkwürdig!

Pulke. O des is noch nich so merkwürdig wie nachher! Denn sehn Se, Herr Scherbelack, so wie er nu durch die Maulschelle den Adel weg hatte, so hatte er augenblicklich edles Blut un Vorrechte, un war mehr wie der jrößte Schriftjelehrte un Künstler, der damals lebte. Des is des Merkwürdije!

Scherbelack. Denn hat er ja wohl auch einen Wappen jekriegt?

Pulke. Na ob! Ohne Wappen is keen Mensch adlig; je mehr Wappen, je adlijer. Nu war man aber in Verlejenheit, wie man die Maulschelle als Ursprung des Stammhauses in's Wappen bringen sollte, un da half man sich un machte blos 'ne Hand, die de fünf Fingern ausstreckt. Des is jut; wie aber nu der Ahnherr dodt war, so wußte sein Nachkomme nich, wat die Hand in sein Wappen zu bedeuten hätte un nahm des als en Privilejum an uf fünf Fingern un en Jriff. Un nu nahm der Spitzbube den Koofleuten, die von de Messe kamen, Allens weg un nährte seinen edlen, hochwohljebornen Körper davon, un war alle Dage wie 'n Schwein besoffen. Un Allens dieses zusammenjenommen nennt man Wappenkunde.

Scherbelack (verwundert). Des jesteh' ich! Mein Urjroßvater war ein ehrlicher Schuhmacher in Magdeburg.

Pulke. Des dhut mir leid, daß Sie nich adlig sind. Aber sein Se ruhig: so wie ick mal Kaiser werde, so sollen Sie eine Maulschelle haben. Ick würde Ihnen mit Verjnüjen schon jetzt 'ne Maulschelle jeben, aber alleweile kann se Ihnen noch nischt nützen.

Blauling. Von mir ooch nich, sonst recht jern.

Scherbelack (lächelnd). Sie spaßen. Sagen Sie mal, meine Herren, wär' es Ihnen villeicht jefällig, wenn wir zusammen Jeder einen kleinen Kümmel tinkten? Ich sehe, da sitzt eine Frau.

Pulke. Ne, liebster Herr Scherbelack! Wie Se uns hier sehen, wir Beede haben uns vorjenommen, den janzen Dag man een eenziges Jlas Kümmel zu drinken, un des jeschieht des Abends.

Scherbelack. I was Dausend! Nu seh! Na aber wovon nähren Sie'n sich, wenn ich fragen darf?

Pulke. Drinkweise meenen Sie? Von Bier. Ich will Ihnen sagen, juter Potsdammer, man bleibt frischer un jesünder nach.

Scherbelack. So? Na ich will Ihnen sagen, ich werde doch dahin jehen und Einen drinken, denn Sie sind noch jünger, aber weil ich älter bin, und ich habe mir daran jewöhnt.

Blauling. Dhun Sie des, braver Mann!

Scherbelack (sehr laut). Jeeses, da jeht's wieder ab! Da rennen die Pferde wieder!

Blauling. Hörn Se mal, Herr Stubenmaler, haben Sie nich en Bisken Salz bei sich?

Scherbelack (verwundert). Salz? Ne!

Blauling. Ick wollte Ihnen sonst rathen, den Wallach da nachzuloofen, und ihm etwas Salz uf'n Schwanz zu streuen. Denn fangen S'en.

Herr von X (zum Baron Y). Auf Ehre, Baron, ein jöttliches Thier der – rr Wallach von – vomm – dem – Dings da – dem Bürgerlichen, wie heißt er, den Krüger! Herrl'ches Thier!

Baron Y. Ja, auf meiner Ehre, das Thier – ist – ein herrliches Thier! (Seinen Schnauzbart streichend.) Kenn'n Sie den Krüger?

Herr von X. O soo, soo! Paar Mal mit ihm im Café national zusammen jewesen. Setzt, der Mann! Sehr gentil! Eine Pulle Sekt nach de andre, auf Ehre! Läßt Keinen bezahlen!

Baron Y. Merkwürdig!

Herr von X. Ja!

Baron Y. Sagen Sie mal, jehen Sie heute in dir Lortzing'sche Oper?

Herr von X. Ne, ah! Diese deutsche Musik is mir scheußlich, auf Ehre! Soo – soo – so trocken!

Mein Gout sind die Italiener. Die Kerrels, diee – Literaten loben den Lortzing ungeheuer! Na des kennt man! Villeicht jeh' ich aber doch 'rein, weil die kleine Tänzerin, die Segefeldten, drinn zu thun hat. Hübscher Kerl, die kleine Segefeldten! Kennen Sie se nich, Baron?

Baron Y. Ja wohl, ja wohl! Blond? Kleine Nase? Hübsche runde Wade? Haben Sie se jetzt?

Herr von X. Nein! Haben noch nicht! S'Mädchen is merkwürdig! Ungeheuer viel Umstände, auf Ehre!

Pulke. Na, Herr Scherbelack, wat sagen Sie zu die Jungens? Nu frag' ick Ihnen ehrlich, ob man sich nich jejen solche Schafsköppe fühlen soll? Det is Ritterlichkeit! Jo nich sehen! Vorbei, vorbei! Hörn Se mal, Herr Stubenmalör Scherbelack aus Potsdam: heute muß ick 'ne Ausnahme machen, un en Kümmelken mit Ihnen drinken. Mir is nach die Jungens schlimm jeworden. (Geht fort.)

Scherbelack (ihm nach). Schön!

Pulke (ebenso). Doch schön!

Scherbelack. Hören Se mal, Herr Pulke!

Blauling (ihn bedeutend). Herr von Pulke!

Pulke (sich umdrehend). Ne, ne, um Jottswillen nich! Ich bin Kunstjärtner un bin viel zu stolz, mir...

Scherbelack (ihn unterbrechend). Was ich Ihnen fragen wollte: in wiefern wird denn nu die Collur von die Pferde dadurch ver – ver – ver fördert, wie ich immer jehört habe, deß die Rennen einjeführt sind?

Pulke. Ick will Ihnen sagen, Herr Scherbelack, des is en Jeheimniß vor uns. Ich besitze nich so viel Pferdeverstand, um Ihnen des ausenanderzusetzen. So viel is jewiß, deß es viel besser wäre, de Menschen erst zu veredeln. Aber sehn Se mal, Herr Scherbelack, en edler Mensch is ooch en stolzer Mensch, un des stört!

 

III
Herr Duffey in der italienischen Oper.


An der Königsbrücke.

Herr Buffey (einem Bekannten begegnend). I sehn Se mal, Herr Jermer! Wo kommen Sie'n her, wenn ich fragen darf? (Zu seinem eilfjährigen Sohne.) Willem, nimm mal de Mütze ab! (Zu Jermer.) Herr Jermer, Sie entschuldijen, des is mein Sohn! (Zu Wilhelm.) Dieses is der Rentier Herr Jermer, den Herrn, den Du auch schon auf Hulda's Hochzeit jesehen hast.

Jermer. Wo sind denn Ihre Kinder jetzt, Herr Buffey?

Herr Buffey (bei Seite springend). Herr Jeses, da is so'n!

Jermer. Worüber erschrecken Sie?

Herr Buffey. I da, über das Beest; über so'n verfluchten Bulldog! Sie können ihm nich mehr sehen; wie ich so schrie, da kratzte er aus, die Theele. So'n Bulldog, nennt man das, so 'ne Kreete mit so'n scheußliches Jesichte, des immer so aussieht, als ob es eben niesen wollte!

Wilhelm. Vater, niesen denn die Thiere ooch, wie Du?

Herr Buffey. Thiere wie ich? Halt Dein Maul, dummer Junge! Ob die Thiere niesen können oder nich, des is mir janz einjal: Du jloobst woll, dummer Junge, ick werde so'n Kameel wie so'n deutscher Jelehrter sind, un zwee Bände über janz wat Jleichgiltijes schreiben, während ....

Jermer. Während so viel Wichtiges zu thun! Aber wie Sie sich vor Hunden fürchten können, die nicht contrasigniren, begreife ich nicht!

Herr Buffey. Ich war frappirt, heißt das, war ich! Denn diese Theelen beißen; man hat die Fälle in des Jroßherzogthum Mecklenburg-Schwerin jehabt – ich habe es jelesen, – deß sie Kinder dodtjebissen haben, und darum bin ich ängstlich, penibel!

Jermer. Sie wollten mir sagen, wo Flitter ist?

Herr Buffey. Mein Schwiegersohn, mein Eidam, is mit Hulda'n nach Heljoland jereist. Sie haben Beide die See noch nich jesehen, das Meer, das heißt: aus Lecture kannte es Flitter sowohl wie meine Tochter, aber persönlich nicht. Ich sollte mit, aber als Hauseijenthümer konnte ich nich, wejen die Miethe, und weil ich mir einen Seitenflügel anjesetzt habe.

Jermer. Gehen Sie auch in die italienische Oper?

Herr Buffey. Allerdings, Herr Jermer, ich jehe in die italjensche Oper, und ich nehme meinen Sohn mit, weil der Maler werden soll. Ne was des vor'n Jedränge jetzt hier vor das Jebäude, vor des Königsstädter Theater is, des is merkwürdig! Sonst ist es immer so leer, daß mehr Jensd'armen vor de Dhüre stehen, als Menschen drinn sind, un jetzt! Des macht aber des Italjensche; Jeder muß es jesehen haben. Un besonders, weil de Pasta singt.

   

An der Kasse.

Herr Buffey (zum Kassirer). Es sind hohe Preise, so viel ich jelesen habe? (Geld hinlegend.) Hier sind zwei Thaler Courant: jeben Sie mir mal zwei Parquet's, Sperrsitze vor mir und meinem Sohn. Herr Jermer, wünschen Sie villeicht ...

Kassirer. Es ist nur noch zweiter Rang da!

Herr Buffey. Wie so? Wenn ich einen Thaler vor den Sperrsitz jeben will, und vor solchen dummen Jungen auch einen Thaler, der keine Ahnung von Italien hat, denn sind nich mal Billets da? Na, des muß ich jestehen! Wollen wir denn zweiten Rang jehen, Herr Jermer, is es Ihnen jenehm?

Jermer. Ja wohl, ja wohl, Herr Buffey! Hier ist mein Geld.

Herr Buffey. Zu ordinär is es also nicht, rote? So, daß ich mir nichts verjebe, was?

Jermer. Herr Buffey: ich denke immer, wo ich sitze, da ist der erste Rang.

Wilhelm. Vater, wir woll'n da uf den Platz, dichte an die Musikanten jehen, da is es so hübsch, da hör' ich die Pauke so recht! Ja?

Herr Buffey (roth vor Zorn, schiebt seinen Sohn von sich). Na warte! Na, ich sage, des fangt jut an! (Zu Jermer.) Nu sehn Se, Herr Jermer, was nützt mir nu alle meine Erziehung? Wenn die Natur ein Kind dumm jemacht hat, un man is Vater von des Kind, so is man in die unanjenehmste Lage! (Mit dem Kopf schüttelnd.) Will der Junge blos de Pauke hören! Ich bezahle des schwere Jeld, und will eine janze Oper italjensch mitanhören, blos um es jehört zu haben und weil es Ton is, und weil ich den dummen Jungen durch Alles bilden will, un nu will der Bengel ufn Platz, wo kein – kein Platz mehr zu haben is, kein Entrée, nennt man des, weil ihm nischt Anderes als die Pauke intressirt! Na warte, Bengel, Dir wer' ich pauken, komm' mir man noch mal! (Nachdem er die Billets bezahlt.) Herrjees, beinah' härt' ich verjessen, mir einen Operntext zu kaufen! Des wär' ne schöne Jeschichte! Jeben Se mir mal Einen! So! Is auch die Uebersetzung dabei? (Nachblätternd..) Ja, schön! Nu wollen wir, 'raufjehen. Willem! weene nich noch, Junge, oder es setzt wat! (Auf der Treppe.) Jetzt biste ruhig, und versetzt Dir janz in Italien, hörste! Ich habe den Text; wenn De was nich verstehst, denn wer' ich nachschlajen.


Im Theater.

Herr Buffey (über seinen Sohn weg, zu Jermer). Wer ist'n des, Herr Jermer, der Italiener mit des dumme süße Jesichte?

Jermer. Das ist Arsir, der König von Syrakus.

Herr Buffey. Von Syrakus, so? Von den steht nichts in de Voßische. (Zu Wilhelm.) Willem, der mit den schwarzen Mantel, des is Asur, der König von Syrakus! Merke Dir des, sonst verstehste die Handlung nich, die Intrieje! (Im Texte lesend.) Argirio, padre di ..... (Zu Jermer.) Sie entschuldjen, Herr Jermer, des is also der padre di, nich wahr?

Jermer. Ja, der Vater der Amenaide!

Herr Buffey. Aber sagen Se mal, der Kerrel hat ja keinen Ton mehr in seiner Kehle? Jehört de« zu's Italjensche, daß man keine Stimme hat?

Jermer. Wenn ein Deutscher hier gastirte, der eine so vertrocknete Kehle und solch unbehilfliches, dummes Spiel hätte, er wäre schon jetzt ausjelacht.

Klinger (Buffey's Nachbar zur Linken, zu seinem Freunde.) Du, mein Nebenmann ist der bekannte Herr Buffey. Mit dem muß ich mir einen Spaß machen. (Zu Buffey, achtungsvoll grüßend.) Signore, permette, italiano lazzaroni cherfi parmesano dolchio bettela flöhino papsti?

Herr Buffey. Herrjeses! (Sich fassend.) Oui! Ach ne! Des is Französ'sch! (Gibt ihm durch Zeichen zu verstehen, daß ihm die Sprache nicht geläufig.) Non parlando!

Klinger (als ob er nicht verstanden.) Cantore di mia patria excelenti, vero?

Herr Buffey (lauter). Non parlando! Hören Se denn nich? (Sich umdrehend.) Deß des hier im zweiten Rang von einen preuß'schen Bürjer vorausjesetzt wird, deß er italjensch kann, des jcht in's Weite! (Das Publikum empfängt Mad. Pasta als Tancred.) Ach, da is se! Sie wird empfangen! (Er applaudirt; zu Wilhelm.) Junge, empfange doch! (Wilhelm applaudirt.) So, so! Siehste, des is jescheidt! Des freut mich von Dir, daß Du Dir findst in die Sache. (Der Empfang ist vorüber, Wilhelm klatscht noch immer.) Herrjeses, Willem! (Man lacht; er versetzt seinem Sohn einen Puff.) Siehste, nu lochen se; des hab' ich nu davon, dummer Junge! Worum kannste denn keen Ende im Empfangen finden, wat? Na, wirste jleich antworten?

Wilhelm (weinerlich). Ich jlaubte, weil...

Herr Buffey. Stille, halt's Maul, raisonnire nich noch! Hör' zu, de Pasta singt!

Klinger (zu seinem Freunde). Schöne Reste! (zu Buffey.) Signora Pasta iste Basta! Nichtwahro, Signore?

Herr Buffey. Sie entschuldjen: ich kann nich italjensch! (Nachdem die Arie und der tobende Beifall zu Ende.) Na, was sagen Sie dazu, Herr Jermer? Sie verstehen ja doch nu Musik un Allens? Mir war des scheußlich! Die tiefen Töne von die Frau, des sind ja keene Töne mehr, des is ja wie aus'n Topp! Des is nich mal mehr Kopp-Stimme, des is reene Topp-Stimme. (Jermer nickt.) Nich wahr? Also hab' ich doch Recht?

Jermer (nach dem ersten Acte zu seiner Umgebung). Für uns ist das noch genug; wir sind blos Deutsche. Wenn die Frau es jetzt noch in einem andern Lande wagte aufzutreten, man würde sie verhöhnen. Aber in Deutschland sucht man nur nach den kleinsten Fehlern vaterländischer Berühmtheiten, um sie auswärtigen unter die Füße zu legen. Ist es nur weit her, ist es schon gut; was nicht weit her ist, ist uns lächerlich. Wie würde Frankreich, England, Italien eine so abgelebte, stimmlose, falschsingende Sängerin, die sich vor Fett kaum noch bewegen kann, nach Deutschland zurücktrommeln, wäre eine Deutsche so über alles Maaß arrogant gewesen, den Schutt eines einst stolzen Gebäudes hinüber zu karren. Nur wir Dummköpfe rasen noch vor Wonne über die uns erwiesene Ehre, daß man uns zufriedenen Tabaks-Philosophie- und Wein-Leuten gnädigst die alte Person zeigt, welche vor langen Jahren eine berühmte Sängerin war! Für diese plumpe Fettfigur von 55 Jahren, für diese Sängerin mit 2 halbguten Tönen, die wie ein sterbender Rabe ächzt, und wie ein pensionirter Charlottenburger krächzt, geben wir doppelte Preise, drängen wir uns, gerathen wir in Entzücken! Und warum: weil sie eine berühmte Italienerin ist! Wehe ihr, wenn sie nur eine Deutsche wäre! Ihr Vaterland würde sie todtspotten!

Klinger. Sie haben Recht, mein Herr, nur in Einem nicht, daß Sie dem eigentlichen Volke, dem Mittelstande, die Schuld beimessen. Die Leute vom ersten Range sind so vornehme Schwachköpfe, ihren Enthusiasmus für fremde Autoritäten aufzusparen, einheimische mit Indifferentismus, Kleinigkeitskrämerei und philiströsen Rücksichten fortwährend zu verfolgen. Das Volk ist nicht mehr so deutsch; das ist zu klug geworden.

Jermer. Fühlt denn aber dieser erste bornirte Rang, der doch fast weiter Nichts als Singen und Tanzen zu beurtheilen versteht; dem der eigentliche gesunde Menschenverstand und der kräftige Geist in dem Dampfkessel der Hyperbildung und Förmlichkeit verdampft ist: daß die Pasta selbst niemals das gewesen ist, was er belorbeert? Abgesehen davon, daß sie immer falsch gesungen, merkt man nur zu deutlich, wie ihre Darstellung von je mehr italienisch-französischer Kitzel und Knalleffekt, als ein großes, tiefes Ganze war. Sie schlägt den schönsten Triller, sie colorirt mit Geschmack; sie spielte und sang Einzelnes mit sogenanntem genialen Feuer, das heißt: mit übertriebenem Aufwand aller Kräfte; aber sie spielte dennoch immer Komödie, sie sang dennoch immer nur mit der Kehle, nicht mit der Seele. Jede Arie war ihr ein Concertstück, das bis in die kleinsten Nuancen zum brillantesten Erfolg ausgearbeitet wurde, kein dem Charakter des Ganzen und der Seelenstimmung entsprechender Gesang, oder keine dem entsingende Sprache.

Herr Buffey. Hörste, Willem? Da kannste was lernen. (Zu Klinger.) Hör'n Se mal, Sie können ja Deutsch; warum unterhielten Sie'n sich mit mir italjensch?

Klinger. Ich hielt Sie für einen Italiener, entschuldjen Sie! (Zu Jermer.) Sie sind mein Mann, daß Sie heiß werden können, wo es sich um ein so wichtiges Interesse, wie dieser Krebsschaden Deutschlands, handelt: das eigene Bedeutende verkümmern zu lassen, und schon jeden fremden Quark mit aufmerksamen Augen zu betrachten. So lange der Deutsche nicht stolzer wird, werden die Unterdrücker immer triumphiren.

Jermer. Und überhaupt diese italienische Oper! Wir würden hinauslaufen, wenn die deutsche so miserabel beschaffen wäre. Dieser Gamberini mit seinem vertrockneten Rosinengesicht und seinem den Freuden des Lebens entsagenden Tenor; diese Signora Feriotti mit ihrer Lutschbeutel-Visage, die mitten im größten Schmerz so rührend-indifferent mit ihrer hübschen Stimme singt, als ob sie mit dem Löffel im Thee rühre. Diese Mamsell Angiora Villa, di« eigentlich nur für sich singt, und sich nur von Zeit zu Zeit herabläßt, mit theilnahmlosen Zügen einen leisen Ton in die hohen Ohren der Deutschen zu säuseln, – und endlich neben ihr, als reizender Gegensatz, Signor Zucconi, der in der Plumpheit dem plumpsten Brauerknechte 47 und ein Doublé vorgeben kann, einen erschrecklichen Bierbaß und ein Spiel besitzt, als habe er nur Tonnenreifen abzuschlagen und Zapfen zu lösen! Und zu allen diesen die Basta-Pasta!

Klinger. Ja, es ist ein schöner Genuß! Herr Cerf verdient allen Dank der Gebildeten, daß er uns durch die Herbeiführung solcher italienischen Oper an die seinige gewöhnen will. Ob indessen sein Haß gegen Italien, der sich auch in der Scenirung bekundet, nicht etwas zu weit getrieben, möchte ich nicht behaupten. Denn offenbar ist es doch Absicht, ist es doch Tendenz, daß neulich in der Norma die alten Gallier mit englischen Helmen und altdeutschen Waffenröcken erschienen, die Priesterinnen fast alle Locken trugen, und Norma ihr Schlafgemach im modernsten Geschmacke meublirt hatte, wenn man auch den Gegenständen ansah, daß die beiden natürlichen Kinder der Priesterin und des Herrn Römers Severus nicht eben die reinlichsten sind. Sollte es nicht auch Satyre gegen des Deutschen Weither sein, daß der heilige Hain eine anmuthige Felsengegend mit einem chinesischen Lusthäuschen war? Und auch heute empfand ich lebhaft, daß die Direction durch die Aufstellung des Nürnberger Rathhauses mit Brunnen und Schilderhaus auf dem Syracuser Marktplatze, dessen hohe Säulengänge und Tempel des Jupiter Olympius verachtend, und durch Verwandlung der Trophäen in den russischen Doppeladler, in den braunschweiger Löwen und den mecklenburgischen Stier nur einen tiefen Haß gegen Italien aussprechen wollte.

Jermer (nach der dritten Scene des zweiten Actes). Nein, nun halt' ich's nicht länger aus! (Aufstehend.) Schlafen Sie wohl, Herr Buffey!

Herr Buffey (Wilhelm bei der Hand nehmend). J hör'n Se mal, Herr Jermer, entschuld'jen Sie, Sie jlauben wohl, Sie könnten man alleine zu Hause jehen? Ne, ich danke nu ooch nachjrade vor diese italjensche Wirthschaft! Ich drücke mir, nennt man Des. Stolpere nidh, Willem! Nimm Dir'n Acht! Wenn hier so'n Ton von de Basta'n herjefallen iS, da kannste Dir en Loch in Kopp schlajen.

Klinger. Ich geh' auch mit! (Unten wird eben sehr applaudirt und Bravo gestöhnt; Klinger zischt so laut er kann und geht hinaus.) Damit die Italiener doch wissen, daß nicht alle Deutsche Narren sind.

Jermer (singt auf der Treppe). Di tanti palpiti, di tante pene, da te, mio bene, spero mercè.

Herr Buffey. Tanti baldpippi, Tantens Beene, miau, sperr mersche? Was is'n des?

Klinger. Das heißt auf Deutsch: Nach so vielen Leiden, fahr' ich jetzt zu Meinhard ten!

Herr Buffey (zu Wilhelm). Un wir fahren zu Hause. Des is so schon nich zu verzeihen, für en Endeken Musik von halb Sieben bis Achte en Dhaler un Acht Jroschen!

Wilhelm. Vater, die andern Sachen fangen doch immer schon um Sechse an, worum denn die italienische so späte?

Herr Buffey. Die italjen'sche Oper fängt halb Sieben an, weil man besoffen sein muß, um Des zu joutiren.


Druck von Bernh. Tauchnitz jun.


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