Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XVIII. In der Halle des Hafners

Als der Pilger Kamanita mit diesen Worten seine Erzählung zu Ende geführt hatte, schwieg er und sah sinnend in die Landschaft hinaus. Und auch der Erhabene schwieg und sah sinnend in die Landschaft hinaus. Große Bäume waren da sichtbar, nähere und fernere, einige sich in schattige Massen sammelnd, andere sich duftig in wolkenartige Gebilde auflösend, um nebelhaft in der Ferne zu zerfließen. Der Mond stand jetzt über dem Dachvorsprung, und sein Licht drang in den vorderen Teil der Halle, wo es wie drei auf die Bleiche gebreitete weiße Tücher auf dem Boden lag, während die linken Seiten der Pfeiler glänzten, als ob sie mit Silber beschlagen wären.

In der tiefen Stille der Nacht hörte man, wie eine Büffelkuh irgendwo in der Nähe mit regelmäßigen kurzen Rucken das Gras abrupfte.

Und der Erhabene überlegte bei sich:

»Sollte ich wohl jetzt diesem Pilger sagen, was ich alles von Vasitthi weiß ? Wie treu sie ihm war, wie sie ohne eigene Schuld, durch schnöden Betrug, dahin gebracht wurde, Satagira zu heiraten ? Wie es ihr Werk war, daß Angulimala in Ujjeni erschien, und daß dadurch auch er, Kamanita, selber sich auf diesem Pilgerwege befindet, anstatt in schmutzigem Wohlleben zu verkümmern. Sollte ich ihm offenbaren, auf welchem Wege sich jetzt Vasitthi befindet?«

Und er entschied sich dahin, daß die Zeit dafür noch nicht gekommen sei, und daß ein solches Wissen dem Streben des Pilgers nicht förderlich sein könne.

Da sprach der Erhabene:

»Von Liebem getrennt sein, ist Leiden, mit Unliebem vereint sein, ist Leiden. Wurde dies gesagt, so wurde es darum gesagt.«

»O wie wahr!« rief Kamanita mit bewegter Stimme – »wie überaus tief und wahr! Wer hat denn, o Fremder, diesen trefflichen Ausspruch getan?«

»Laß es gut sein, Pilger. Gleichviel, wer ihn getan hat, wenn du nur seine Wahrheit fühlst und erkennst.« »Wie sollte ich nicht! Enthält er doch in wenigen Worten den ganzen Jammer meines Lebens. Hätte ich mir nicht schon einen Meister erwählt, ich würde keinen anderen als den Trefflichen, von dem diese Worte stammen, aufsuchen.«

»So hast du also, o Pilger, einen Meister, zu dessen Lehre du dich bekennst, in dessen Namen du ausgezogen bist?«

»Zwar bin ich nicht, Ehrwürdiger, in irgend jemandes Namen ausgezogen, vielmehr dachte ich damals allein das Ziel zu erringen. Und wenn ich tagsüber in der Nähe eines Dorfes, am Fuße eines Baumes oder im tiefen Walde rastete, dann lag ich inbrünstig dem tiefsten Denken ob. Und ich hing, o Ehrwürdiger, Gedanken wie den folgenden nach: ›Was ist die Seele? Was ist die Welt? Ist die Welt ewig? Ist die Seele ewig? Ist die Welt zeitlich? Ist die Seele zeitlich? Ist die Welt ewig und die Seele zeitlich? Ist die Seele ewig und die Welt zeitlich?‹ Oder: ›Warum hat der höchste Brahma diese Welt aus sich hervorgehen lassen? Und wenn der höchste Brahma vollkommen und reine Wonne ist, wie kommt es dann, daß die von ihm erschaffene Welt unvollkommen und mit Leiden behaftet ist?‹

Und indem ich, Ehrwürdiger, solchen Gedanken nachhing, kam ich zu keiner befriedigenden Lösung. Es erhoben sich vielmehr immer neue Zweifel, und dem Ziel, um dessen willen edle Söhne für immer das Haus verlassen und in die Heimatlosigkeit gehen, schien ich mich um keinen Schritt genähert zu haben.«

»Ebenso, o Pilger, wie wenn Einer dem Horizonte nachliefe: ›0, daß ich doch heute oder morgen den Horizont erreichen könnte!‹ – ebenso entflieht das Ziel demjenigen, der solchen Fragen nachgeht.«

Kamanita nickte nachdenklich und fuhr dann fort:

»Da geschah es eines Tages, als die Schatten der Bäume schon länger zu werden begannen, daß ich in der Lichtung eines Waldes auf eine Klause stieß. Und ich sah da junge, weiß gekleidete Männer, von denen einige die Kühe molken, während andere Holz spalteten und wieder andere die Eimer an der Quelle spülten. Auf einer Matte vor der Halle saß ein alter Brahmane, bei dem diese jungen Leute offenbar die Lieder und Sprüche lernten. Er begrüßte mich freundlich, und obwohl es, wie er sagte, nur eine knappe Stunde bis zum nächsten Dorfe sei, bat er mich, ihr Mahl zu teilen und bei ihnen zu übernachten. Das tat ich denn auch dankbar genug, und bevor ich mich zum Schlafen hinlegte, hatte ich manche gute und beherzigenswerte Rede gehört. Als ich nun am folgenden Tage weitergehen wollte, fragte mich der Brahmane: ›Wer ist dein Meister, o Pilger, und in wessen Namen bist du ausgezogen?‹ Und ich antwortete, wie ich dir geantwortet habe.

Da sagte denn der Brahmane: ›Wie wirst du, o Pilger, jenes hohe Ziel erreichen, wenn du allein wanderst wie das Nashorn, anstatt wie der weise Elefant in einer Herde, von einem erfahrenen Führer geleitet?‹

Dabei blickte er beim Worte ›Herde‹ wohlwollend auf die umherstehenden jungen Leute, beim Worte ›Führer‹ schien er selbstgefällig in sich hineinzulächeln. ›Denn,‹ fuhr er dann fort, ›gar zu hoch ist ja dies für eigenes, tiefes Denken, und ohne einen Lehrer gibt es hier gar keinen Zugang. Andererseits aber sagt auch der Veda in der Belehrung Çvetaketus: »Gleichwie, o Teurer, ein Mann, den sie aus dem Lande der Gandharer mit verbundenen Augen hergeführt und dann in die Einöde losgelassen haben, nach Osten oder nach Norden, oder nach Süden verschlagen wird, weil er mit verbundenen Augen hergeführt und mit verbundenen Augen losgelassen worden war; aber nachdem ihm jemand die Binde abgenommen und zu ihm gesprochen: ›Dort hinaus wohnen die Gandharer, dort hinaus gehe,‹ von Dorf zu Dorf sich weiterfragend, belehrt und verständig zu den Gandharern heimgelangt: also auch ist ein Mann, der hienieden einen Lehrer gefunden hat, sich bewußt: diesem Welttreiben werde ich nur so lange angehören, bis ich erlöst sein werde, und dann werde ich heimgehen.‹«

Nun merkte ich wohl, daß dieser Brahmane darauf ausging, mich zum Schüler zu gewinnen. Aber eben diese Begehrlichkeit erweckte bei mir kein Zutrauen. Gar wohl aber gefiel mir jenes Vedawort, das ich im Weitergehen mir immer wiederholte, um es zu behalten. Dabei fiel mir ein Spruch ein, den ich einmal über einen Meister gehört hatte: ›Den Vollendeten verlangt es nicht nach Jüngern, aber die Jünger verlangt es nach dem Vollendeten.‹ Wie muß der, dachte ich mir, ein ganz anderer Mann sein als dieser Waldbrahmane! Und es verlangte mich, Ehrwürdiger, nach jenem nicht verlangenden Meister.« »Wer war wohl aber der Meister, den du also hattest preisen hören, und wie nennt er sich?«

»Es ist, o Bruder, der Asket Gautama, der Sakyersohn, der dem Erbe der Sakyer entsagt hat. Diesen Meister Gautama aber begrüßt man allenthalben mit dem frohen Ruhmesruf: ›Das ist der Erhabene, der Heilige, der Wissens- und Wandelsbewährte, der Meister der Götter und Menschen, der vollkommen Erwachte, der Buddha.‹ Um des Erhabenen willen pilgere ich nun; zu seiner Lehre will ich mich bekennen.«

»Wo aber, Pilger, weilt er jetzt, der Erhabene, vollkommen Erwachte?«

»Es liegt, o Bruder, oben im nördlichen Reiche Kosala, eine Stadt, die Savatthi heißt. Und vor der Stadt ist der Waldpark Jetavana, mit mächtigen, tiefen Schatten spendenden Bäumen, worunter Menschen lärmentrückt sitzen und denken können, mit klaren, Kühlung aushauchenden Teichen, mit smaragdenen Matten, mit zahllosen Blumen in mannigfaltigen Farben. Diesen Hain aber hat der reiche Kaufmann Anathapindika schon vor Jahren vom Prinzen Jeta um so viel Gold erstanden, daß damit der ganze Boden bedeckt werden könnte, und hat ihn dann dem Buddha übergeben. Dort also in Jetavana, dem lieblichen, Weisenscharen durchwandelten, hat er, der Erhabene, der vollkommen Erwachte, gegenwärtig seinen Aufenthalt. Und im Verlaufe von etwa vier Wochen hoffe ich, wenn ich rüstig ausschreite, den Abstand von hier nach Savatthi bewältigt zu haben und zu seinen, des Erhabenen, Füßen zu sitzen.«

»Hast du aber, Pilger, ihn, den Erhabenen, schon einmal gesehen, und würdest du ihn, wenn du ihn sähest, erkennen?«

»Nein, Bruder, ich habe ihn, den Erhabenen, noch nicht gesehen, und sähe ich ihn, so würde ich ihn nicht erkennen.«

Da dachte denn der Erhabene bei sich: »Um meinetwillen pilgert dieser Pilger, zu meinem Namen bekennt er sich; wie, wenn ich ihm nun die Lehre darlegte?« Und der Erhabene wandte sich an Kamanita und sprach:

»Der Mond hat sich erst gerade über den Dachvorsprung erhoben, wir sind noch nicht tief in der Nacht, und langer Schlaf ist dem Geiste nicht gut. Wohlan, wenn es dir recht ist, will ich als Gegengeschenk für deine Erzählung dir die Lehre des Buddha darlegen.«

»Es ist mir recht, Bruder, und ich bitte dich, es zu tun.«

»So höre, Pilger, und achte wohl auf meine Rede.«


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