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Erinna ließ sich keine Zeit, an seiner Leiche zu trauern, weil ihr die neue fürchterliche Angst jede Fiber durchzuckte; denn jetzt drohte dem Leben ihres Sohnes Gefahr: – er war in einer Höhle in Gemeinschaft mit seinem Vater von Soldaten übermannt worden; – und er war Christ; – vielleicht sollte er schon heute den Tieren vorgeworfen werden – oder – barmherzige Götter – vielleicht war es schon geschehen – war er schon gestern unter ihren Klauen verendet. Oder irrte sie sich? nein; es war doch gestern, daß Eukrates nach dem ersten Tiergefecht zu ihr gekommen war. – Welchen Namen hatte doch der Jüngling gehabt, von dem Eukrates erzählt hatte, daß er selbst den Löwen gereizt habe? Könnte dies nicht ihrem Sohne ähneln? Er müßte schön, stark und mutig, obschon verwildert sein. – Nein, Eukrates hatte ihn Germanicus genannt. Und ihr Sohn hieß Agathos, ein schöner Name! – Eukrates war ja bei den peinlichen Verhören gegenwärtig gewesen. Er mußte ihn kennen und wissen, ob er noch lebte. Ihm wollte sie sich anvertrauen, denn er mußte ihr beistehen, den Sohn zu retten.
Schnell ging sie hinunter, um zu fragen, ob Eukrates anwesend sei. Aber er war nach Hause gegangen. Sie schickte einen Boten zu ihm, jedoch kam dieser mit dem Bescheid zurück, daß ihr Bruder erst kürzlich auf Krankenbesuche gegangen sei. Wenn er heimkäme, würden sie ihn zu ihr schicken.
Ungefähr zwei Stunden lang wartete sie auf ihn in der fürchterlichsten Gemütsbewegung, die es ihr unmöglich machte, sich ruhig zu verhalten. Oft warf sie sich mit schluchzendem Stöhnen über die Leiche Antigonos', ohne Linderung in ihren Tränen finden zu können. Dann wieder ging sie ans Fenster und starrte auf den Marktplatz hinunter. Wiederholt riß sie die Tür auf und rief: »Eukrates!« in dem Wahn, seine Stimme gehört zu haben. Auf dem Platze begann es lebhaft zu werden. Große Gruppen von Bürgern standen sprechend und schreiend umher. Sie hörte die Namen Polykarpos und Theophilos nennen. Ein ununterbrochener Menschenschwarm bewegte sich am Cybeletempel vorüber und in den Homerischen Säulengang hinein. Ein Schrei entrang sich ihr: hinter dem Säulengang über dem Rand einer runden Marmormauer wurden vergoldete Masten mit langen wallenden Wimpeln aufgerichtet. Das war am Amphitheater. Der Pöbel strömte auf die Plätze.
Aber das war ja nicht möglich! Die Zeit konnte nicht so schnell verstrichen sein. Sie eilte ins Atrium hinunter, um an die Sonnenuhr zu sehen. Es war kaum noch eine Stunde Zeit übrig.
»Wo ist mein Mann?« fragte sie einen Sklaven, der an ihr vorüberging.
»Der Prokonsul ist im Triclinium.«
Quartus Haar ward eben gesalbt und gekräuselt, als seine Gemahlin eintrat, und ein Sklave war im Begriff, die Falten seiner Toga zu ordnen, daß die Purpureinfassung sich wie eine Diagonale von der rechten Schulter zum linken Fuß hinuntersenkte. »Guten Tag, Erinna,« rief er aus, und ging ihr entgegen, – »meine geliebte Gemahlin, wie angegriffen du aussiehst!« – und er legte seinen Arm um sie. Das kommt von der schlimmen Nachtwache. Warst du noch bei Antigonos?«
»Ja, er ist tot.«
»Tot! Hm! – Vielleicht war es das Beste ... Starb er als Heide?« »Ja, noch mit seinem letzten Atemzug rief er die Götter an.«
»Eukrates erzählte mir von dieser höchst merkwürdigen Sinnesänderung. Das ist gewissermaßen ein Wunder, das wohl die Gottlosen, bei denen er in so großem Ansehen stand, beeinflussen könnte. Ich will es doch noch einmal versuchen, sie zum Opfern zu bewegen.«
»O ja, tue das, Lieber; es käme deiner menschenfreundlichen Gesinnung gleich,« rief sie aus, indem sie sich einschmeichelnd an ihn schmiegte und seine Stirn liebkoste, – »und dann versprich mir etwas, Titus.«
»Na, und was ist denn das?«
»Schenke mir den einen der Gefangenen.«
»Was ist doch das für ein Einfall? Dir schenken? Du könntest sie alle haben, liebe Erinna, wenn sie mir gehörten. Aber es sind Cäsars Gefangene. Es sind ja Majestätsverbrecher, Aufrührer.«
»Ja, aber die ganz jungen, Titus! die wollen doch keinen Aufruhr machen. Die wissen ja gar nicht, was sie tun – die sind von den anderen verleitet worden. Du könntest mir doch einen der jüngsten freigeben.« »Unsinn, Kind. Keiner der Gefangenen ist so jung, daß er nicht seine Verantwortung kennte. Was fällt dir eigentlich ein? Du pflegst dich doch sonst nie in meine Sachen zu mischen. – Ach so! – ich kann mir denken, daß Antigonos von seinem Sohn gesprochen hat.«
»Ja, dem jungen Agathos, es waren seine letzten Worte, daß wir doch das Leben des Sohnes retten möchten.«
»Ja, das tut mir leid. Ich möchte ja gern seinen Sohn retten, aber ich habe nicht einmal einen Vorwand zur Hand. Dieser Jüngling war einer der hitzigsten: er nannte Cäsar das große Tier und Jupiter einen bösen Dämon. Auch schreckte er andere vom Opfer ab ... Das läßt sich nicht tun ... »Nein, nein, Erinna, es nützt nichts. ... Euch Frauen will es stets schwer fallen, die unbeugsamen Forderungen der Gesetze und des Rechts zu fassen. Aber du mußt doch einsehen können, daß ich nicht gegen seinen eigenen Willen, bloß weil er Antigonos' Sohn ist –«
»Antigonos' Sohn! – er ist mein Sohn,« brach es plötzlich aus ihr hervor, indem sie sich von ihm losriß. »Ja, starre mich nur an, aber verstehe es: es ist unser Sohn – Antigonos' und mein – –« Quartus war einen Schritt rückwärts getreten, so weiß im Gesicht, wie seine Toga.
»Metze!« rief er plötzlich, die Hand ballend.
»Ja, schlage mich, Titus, ich bin ja dein Weib; du hast ja das Recht dazu. Töte mich!«
»Dich, – dich! nein, aber ihn. Vergißt du, daß er in meiner Gewalt ist? ... Ich kann es verlangen, daß er gepeinigt wird. Ich kann ihn ans Kreuz hängen, wie den galiläischen Schwärmer, den er anbetet. ... Ich kann, – ich will, ich –«
»Nein, nein Titus! Das willst du nicht. Er ist ja unschuldig an unserem Vergehen. Strafe mich, aber laß ihn leben. Wenn du mich je geliebt hast, Titus, dann schenke ihm das Leben, um deiner Erinna willen.«
Sie hatte sich auf die Kniee geworfen und streckte ihm flehend und jammernd die Arme entgegen, während er im Zimmer hin- und herging und ab und zu ihr einen finsteren Blick zuwarf.
»Gib ihn frei,« fuhr sie fort. »Was liegt daran, wenn einer davonkommt? Du würdest doch das Gesetz beugen, wäre er dein eigener Sohn!«
»Schweige, freches, wahnsinniges Weib,« rief er, den Boden stampfend, und zerriß mit einem gewaltigen Griff die Toga über der Brust. Durch diese Kraftäußerung und das Opfer, das er soeben seinem Zorne gebracht, war er vorläufig beruhigt. Bei den Versammlungen hatte das kostbare sidonische, mit persischer Seide durchwirkte Byssosgewand einen unvergleichlichen Glanz vom Podium oder Tribunal herabgestrahlt.
Gestärkt durch einen Becher Chierwein, den er noch auf dem Tische vorfand, legte er sich auf die Ruhebank, und den Blick auf ein Wandgemälde richtend, fing er an die Sache durchzudenken. Er kam zu der Erkenntnis, daß es ihm nicht anders ergangen war, als den meisten Römern. Ganz gewiß hatte er die geschmückten Patrizierinnen, die sich in Eselsmilch wuschen und Terpentin tranken, verschmäht und ein einfältiges thessalisches Mädchen geheiratet, das in ländlicher Unschuld aufgewachsen war, wofür er meinte, zum Lohn ein treues Weib beanspruchen zu können.
Dies alles war jedoch nicht mehr zu ändern. Was aber um jeden Preis verhindert werden mußte, war, daß die Schande offenbar würde. In Rom wäre die Gefahr geringer gewesen. In den Bädern, im Theater, in den Ankleidezimmern der Patrizierinnen wäre wohl einige Tage lang darüber geflüstert worden, dann hätte ein anderer Stadtklatsch diesen abgelöst. Hier dagegen, in der abseits gelegenen Provinzstadt, wo er die höchste Obrigkeit vertrat, durfte das nicht hervortreten ... Der Vater war gestern gestorben, heute konnte das Geheimnis mit dem Sohne begraben werden. Es war durchaus keine Redensart, wenn er ständig auf die Gerechtigkeit hinwies. Denn er wollte und konnte hier nicht eine Ausnahme machen, um Erinnas Sohn zu retten; auch konnte er ihn nicht beiseite räumen, ohne sich selbst und sein Amt zu erniedrigen. Was er erfahren hatte, durfte sein Verhalten nicht verändern, und er war fest entschlossen, die Bekehrung des Bekenners zur Rettung dieser verblendeten Toren zu benutzen. Was ihn beruhigte, war die Beharrlichkeit und der Fanatismus, die er bei Agathos bemerkt hatte. Alles in allem würde er sich das Ansehen geben, besonders edelmütig gehandelt zu haben, ohne jedoch sein eigenes Interesse zu stark aufs Spiel zu setzen.
Während er sich mit solchen Gedanken beschäftigte, lag Erinna noch immer am Boden; ihre violette Stola, deren seidene Falten in dem starken Lichte glänzten, schleppte auf den blanken Mosaiksteinen. Sie wagte es nicht, ihn durch ein Wort oder eine Bewegung zu unterbrechen, während sie mit Spannung seine unbeweglichen Züge beobachtete. Die wenigen Minuten, an ihren schnellen Pulsschlägen gemessen, wurden für sie zu Stunden. Indes, was tat es? – Die Vorstellung konnte nicht beginnen, ehe der Prokonsul auf dem Podium saß, und sie gewänne jedenfalls nur Zeit.
Endlich ergriff Quartus den Becher, der neben ihm stand, trank den letzten Schluck aus und stellte ihn so hart auf den Tisch, wie Einer, der sagt: jetzt ist es beschlossen und steht fest.
»Gibt es Mitwisser von dieser Verbindung und eurem verfluchten Sohn?« fragte er, ohne sie anzusehen.
»Niemand außer meiner Sklavin und späteren Freigegebenen Euadne, die jetzt verstorben ist.«
»Eukrates?«
»Er weiß nichts von Agathos.«
»Gut, dann kann es verborgen bleiben. Wenn Gerede darüber entstände, würde ich dich wegjagen. An dem Namen meiner Gemahlin darf kein Flecken haften. Was deinen – was Agathos betrifft, dann bekommst du ihn nie mehr –«
»Ach, dann läßt du ihn also am Leben, Titus? – ja, ja –«
»Ich will tun, was ich tun kann. – Alexandros! .. Eine andre Prachttoga! Laß den Tragsessel, die Liktoren und die Fackelträger sich bereit halten ... – Ich will, wie ich beschlossen hatte, versuchen, welche Wirkung das Beispiel Antigonos' auf die Christen und seinen eigenen Sohn ausübt; ich werde sogar – das verspreche ich dir – Agathos gegenüber alle Mittel versuchen. Opfert er, dann ist er frei – aber aus meiner Provinz verwiesen.«
»Wenn er nun aber nicht opfert?«
»Nichts außerhalb des Gesetzes. So weit – und nicht weiter.«
»Ach, weh' mir! Er opfert nicht. Er fürchtet den Tod nicht.«
»Schon vor ihm haben die Wildesten von ihnen geopfert. Und außerdem, wenn die Götter den Vater bekehrten, werden sie das gleiche mit dem Sohne tun, wenn es ihr Wille ist, daß er lebt. Lebwohl!«
Quartus ging schnell zum Atrium hinaus.
»Nach dem Karzer!« rief er, indem er in den Tragsessel stieg und die Vorhänge zuzog; denn er wollte sich durch die schreienden Bürger, die vor den Beilen der Liktoren ehrerbietig auswichen, in seinen Gedanken nicht stören lassen.
Nach Verlauf weniger Minuten stieg er vor der gewölbten Tür einer hohen, zylindrisch geformten Mauer aus. Die Fackeln wurden angezündet, und die Liktoren schritten in dem dunklen Gang voraus. Im Hintergrunde hörte man ein Schloß rasseln, und eine schwere Tür kreischte in ihren Angeln. Dann traten sie ein.
Die Fackeln erleuchteten eine breite, aber ziemlich niedrige Wölbung, deren Mauern und Pfeiler von Feuchtigkeit grün und schwarz gesprenkelt waren. Zwanzig christliche Gefangene lagen auf einem Haufen Stroh in einer der Ecken; ihnen gegenüber krochen drei andere zusammen. Das waren altgläubige, ebionitische Judenchristen, die es vorzogen, auf den kalten Steinen zu liegen, anstatt sich unter die ketzerischen Pauliner zu mischen.
Alle blickten auf oder kehrten sich dem Lichte zu, die geblendeten Augen mit den Händen beschattend. »Welcher unter euch ist Agathos, des Bekenners Theophilos' Sohn?« fragte Quartus.
Agathos erhob sich in der Mitte der Schar. Der eine der Fackelträger trat herbei und hielt die Fackel, damit ihr roter Schein sein bleiches, jugendliches Gesicht und die kräftige, schlanke Gestalt beleuchte, deren Brust die Narben der Folterbank zeigte. Beim Anblick von Erinnas Sohn überflutete Quartus der Ingrimm, und unter den zusammengezogenen Brauen blitzten seine kalten Augen dem Jüngling so scharf entgegen, daß dieser unwillkürlich einen Schritt zurücktrat.
Quartus faßte sich.
»Nimm die Fackel weg; die schneidet mir in die Augen. – Ich komme zu dir und euch allen,« fuhr er fort, indem er näher hinzutrat, »um an euch die Macht der Überredung und des guten Vorbildes zu prüfen. Bekehrt euch, während es noch an der Zeit ist! Wandert alle, und besonders du, Agathos! in der Spur jenes frommen Theophilos. Denn dieser unter euch so hoch angesehene Mann, – dein Vater, Agathos! – wurde auf seinem Krankenlager von den Göttern erleuchtet und starb, sich zum Glauben seiner Väter bekennend und das Dankopfer an die Götter veranlassend.«
»Du lügst, Heide,« rief Agathos – »verflucht sei er von mir, seinem Sohn, und von euch, seinen Brüdern und von der ganzen christlichen Gemeinde, und von Christus, den er verleugnete und der ihn verleugnen wird am jüngsten Tag!«
»Amen! Amen! verflucht!« murmelten ein paar Stimmen, die nur schwach und ängstlich klangen.
Die Worte des Prokonsuls schienen eine gewisse Wirkung auf die Gefangenen gemacht zu haben, eine besonders eigentümliche aber auf die drei Judenchristen. Der älteste von ihnen, dessen grauer schmutziger Bart über seine Brust herunterfiel, erhob sich, und seine Augen funkelten in einem fanatischen Feuer.
»Hört ihr's« rief er, seinen langen knochigen Arm ausstreckend, »habt ihr's gehört, – ihr Opferfleischfresser, ihr Bilderanbeter – Nikolaiten!« »Bileamiten,« fügten die beiden anderen hinzu. »Folgt ihm nur, eurem frommen Mann, dem feigen Theophilos und verleugnet eure gefälschte Lehre, die lauter Lüge und ohne Erlösung ist. Das Gefängnis steht euch offen, ihr opferfleischschnüffelnden Hunde!«
»Schweig, du Sklave des Gesetzes,« antwortete ein alter Pauliner, »der du, mit Ausnahme am Herzen, beschnitten bist. Suche Schutz im Schatten der alten noch gestatteten Religion. Tut es uns gleich, ihr Ungläubigen, und gießt euer Blut nicht aus für den, dessen Blut eure Sünden nicht abspült.«
»Wehe und Fluch dem, der abfällt unter der Verfolgung,« rief eine gellende Stimme aus der Mitte des Haufens heraus. »Sucht die Bluttaufe, die allein kann euch retten. Darum habe ich den Cybeletempel in Pessinus in Brand gesteckt, Zeus ins Gesicht gespien und Cäsars Büste heruntergestoßen ... Drum sucht die Bluttaufe, sage ich euch. Ich habe sie gesucht, obschon ich doch den Tagen des Parakleten angehöre; ich bin ein Mann, ihr seid nur Kinder und Knaben. Ihr könnt nur des Wortes Milch, aber nicht den Wein des Geistes verdauen.«
Während dieser Rede war Leben in den Haufen gekommen, die jetzt durch viele Stimmen unterbrochen wurde.
»Was ist denn das? ›Ein Häretiker!‹ Pfui mit ihm! Fort mit dem Montanisten!« Mit solchen Rufen zogen alle sich seitwärts von ihm zurück, und er blieb allein zwischen ihnen und den Judenchristen stehen. Es war ein junger Mann; seinen nackten Körper deckte nur ein Fell um die Lenden. Sein Haar stand aufrecht wie bei einem Tier, dessen Borsten sich sträuben, und schien die phrygische Mütze zu lüften. Die Augen starrten ekstatisch; die Zunge lallte wie die eines Betrunkenen, während er immer weiter schrie vom Parakleten, Mannesalter und der Bluttaufe.
Quartus hatte vergebens versucht, zu Worte zu kommen. Unterdessen fuhren die Judenchristen fort zu schelten:
»Wehe denen, die sich Apostel nennen, jedoch Lügenpropheten sind, und Juden, aber zu den Gojims gehören! Vernichte sie, Herr, mit deinem Zorn! vergelte denen aus der Synagoge des Satans ihren Sünden und deiner Gerechtigkeit gemäß; laß sie, die des Tieres Zeichen tragen, den Becher deines Zornes und Rausches leeren.«
Quartus stampfte auf die Erde:
»Bringt mir den Schreihals zum Schweigen.«
Der zurückstehende Liktor trat einen Schritt vorwärts. Ein Blinken durchzuckte die Luft. Der Fluch verlor sich in einem kurzen Schrei, während der Körper schwerfällig zu Boden klatschte.
Eine Stille des Entsetzens trat ein. Selbst der Phrygier schwieg und starrte verwirrt auf seine nackten Füße, die mit Gehirn überspritzt waren.
Quartus winkte, und der Türe gegenüber wurde jetzt ein Vorhang zurückgezogen, der eine durch ein Eisengitter verschlossene Torwölbung verdeckt hatte. Dahinter zeigte sich ein kurzer enger Gang zwischen zwei Mauern, deren oberste Ränder sich mit zwei Zickzacklinien begegneten. Auf diesen Zacken unterschied man: Füße, Ellenbogen und Schultern; einen nach vorn gebeugten Nacken, einen zeigenden Arm, einen flatternden Schleier. Wenige Faden weiter endigten sie in zwei lotrechten, einander gegenüberstehenden Linien, vor denen zwei Büsten auf niedrigen Säulen standen; daneben Schalen mit Mehl und Räucherwerk und Dreifüße mit Feuer. Hinter einem neuen Gitter sah man zwischen den lotrechten Mauerlinien den hellen Streifen einer Sandfläche, auf welcher vor einem Holzstoß eine Flamme auf einem Dreifuß spielte. Im Hintergrunde über einem Stück nach innen gebogener Mauer, den sichtbaren Teil des umgekehrt-pyramidalen Raumes ausfüllend, gewahrte man eine Schar weißgekleideter Menschen, nicht größer als Puppen. Eine Reihe über der anderen und immer kleiner werdend, wurde die Menge durch dunkle Linien in regelmäßige Keile geteilt, die abwärts ins Zentrum verliefen, längs welchen sich dann und wann eine kleine weiße Gestalt bewegte. Die oberste Reihe entlang erhoben sich vergoldete Masten, ein sonnendurchleuchtetes violettes Segel ausspannend, dessen strahlende Farbe den Bogen der Torwölbung füllte. Ihr dunkler Ziegelsteinrahmen, vom roten Fackelschein spärlich beleuchtet, umspannte das ganze tageshelle, von den schwarzen Gitterstangen durchzogene Bild. Bin dumpfes Brausen und Kochen, wie aus einer ungeheuren Muschel, strömte zugleich mit dem Licht durch den Gang in das Gefängnis.
»Dies ist die letzte Frist,« rief Quartus, während die Gefangenen sprachlos hinausstarrten. »Wählet! Cäsar und Jupiter, oder die Tiere und den Scheiterhaufen.«
Ein kurzes Schweigen herrschte. Aber plötzlich erhob sich hinter den Gefangenen ein tiefes grollendes Brummen; ein hohles Gebrüll antwortete, und diese beiden Laute überflügelnd, erklang ein fürchterliches, langgezogenes Heulen. Alle drei Töne nebeneinander ergaben eine Disharmonie von Bosheit, Zorn und Unwillen, die an Heftigkeit zunahm. Auch kam sie nicht mehr nur aus einer bestimmten Richtung; sondern von allen Seiten, von nah und fern, schien sie gleichsam alles füllend, – alles mit ihren fürchterlichen Tönen zu verschlingen. Plötzlich brach das Geheul ab, das Brüllen zog sich zurück, und nur das dumpfe Brummen hielt sich im Hintergrund, nach und nach abschwächend, wie der Lärm eines davonrollenden Wagens. Während alledem wogte eine erdbebenartige Bewegung über dem zusammengepreßten Haufen der Christen dahin; dann, indem sie die Arme vorstreckten, riefen sie mit wilden Stimmen und Mienen, unversöhnlich, wie der heidnische Pöbel diesen Ruf ihnen entgegenzuschleudern pflegte: »Zu den Tieren!«
Quartus kehrte sich mit einem Achselzucken ab und sagte:
»Wem Arzneimittel nichts helfen können –«
»Gnade! Gnade!« rief der Phrygier mit zitternder Stimme, indem er sich vor seine Füße warf und den Saum seiner Toga küßte, »ich will opfern, ich will – ich will – alles –.« Er konnte nichts mehr hervorbringen. Seine Glieder zuckten in Krämpfen, während die Liktoren ihn entfesselten.
»Seht ihr wohl, ihr anderen?« rief Quartus, »und dieser war der Gewaltsamste!«
»Daher kommt es,« antwortete Agathos, »daß wir die nicht loben, die selbst das Martyrium suchen, was keineswegs die Apostel, sondern die Häretiker und Schwärmer befohlen haben. Mögen sie abfallen, wir aber wollen sterben.«
»Ich gebe euch noch eine letzte Frist,« sagte Quartus, indem er sich an der Türöffnung umkehrte, »Demjenigen, welcher beim Durchschreiten des Ganges Räucherwerk auf den Dreifuß wirft, wird das zweite Gitter nicht geöffnet werden.«
Die Tür schlug dröhnend zu. Die Schlüssel rasselten am Schloß. Die widerhallenden Schritte starben hin. Die Gefangenen waren wieder allein. Draußen hielt der brausende Lärm noch immer an. Drinnen herrschte ein drückendes, stumpfes Schweigen, als ob der letzte krampfhafte Ausbruch all ihre Kraft erschöpft habe.
Agathos erhob sich:
»Brüder, die Stunde ist da. Aber laßt uns die nicht fürchten, die wohl unseren Körper vernichten können, über unsere Seele aber keine Macht errungen haben. Seht, die weiße Schar da draußen wartet auf uns; erhebt eure Augen zum Throne der Gnade, an dem eine andere Schar, die ihre Kleider weiß gewaschen hat im Blute des Lammes, unserer befreiten –«
Peitschenknall hatte seine Rede begleitet, die er jetzt plötzlich unterbrach, als ob seine Zunge am Gaumen klebte, während er steif vor sich hinstarrte. Ein großer Bär hatte den von den Mauerlinien begrenzten Raum durchquert. Jetzt fiel eine gelbe Masse, einen Bogen beschreibend, auf den Sand. Die dunkle Mähne des Löwen sträubte sich, sein Schweif wedelte, der blutrote Rachen öffnete sich, und sein Gebrüll durchdröhnte das Gewölbe. Zwei Panther sprangen auf dem Holzhaufen herum; vom Dufte der Räucheraltäre und den Salben der Menge berauscht, sprangen sie herunter und wälzten sich wollüstig im Sande, während ihr Geheul die Luft durchgellte. Der Bär kam zurückgetrabt und blieb brummend und seinen schweren Kopf nach unten hängend, vor dem liegenden Löwen stehen, der jetzt friedlich mit dem Schweife wedelte. Einige der Christen starrten mit aufgerissenen, festgebannten Augen hinaus. Andere schlossen sie oder kehrten sich nach der Mauer. Ein einzelner betete laut, etliche jammerten und schluchzten. Ein paar von ihnen warfen lange, verstohlene Blicke nach den Räucheraltären. Das Schloß rasselte; die Tür im Hintergrunde ging auf. Der öffentliche Ankläger trat ein, eine Tafel in der Hand; ihm folgte eine Abteilung Soldaten mit Stangen und Geißeln. Das Torgitter glitt aufwärts. Liktoren, mit Beilen versehen, stellten sich neben den Altären auf. Draußen im Theater und drinnen im Gefängnis herrschte ein kurzes, atemloses Schweigen. Eine schmetternde Tuba löste es ab.
»Der Majestätsverbrecher und Atheist Agathos, Sohn des Philosophen Antigonos von Larissa, den die Christen Theophilos den Bekenner nennen,« rief der Ankläger.
Auf den Befehl Erinnas war einer der fackeltragenden Sklaven zurückgeeilt und hatte ihr das unheilvolle Ergebnis der Bekehrungsversuche des Prokonsuls mitgeteilt. Als ihr Sohn Smyrnas Arena betrat, lag sie über der Leiche Antigonos' – – steif und kalt – sie hatte Schierlingsaft getrunken. Eukrates aber stand über sie gebeugt, sowohl christlichem als heidnischem Aberglauben fluchend, während er, mit des Arztes Aberglauben an das Leben, alle Mittel der Wissenschaft anwendete, um ein Herz zum Schlagen zu bringen, dem es besser war, auf ewig still zu stehen.