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Ungefähr einen Monat nach der Ankunft in Rom ging Antigonos ins Colosseum, um sich einen Gladiatorenkampf anzusehen.
Er kam erst spät und erreichte seinen Platz auf der ersten Reihe, als die Versammlung sich vor Cäsar Antonius erhob, der mit seinem Adoptivsohn Marcus Aurelius Antonius und dem Knaben Verus unter das Purpurzelt ins Podium trat. Die Prozession der Gladiatoren trat ein, und der Kampf mit den Holzschwertern begann. Mit Aufmerksamkeit folgte Antigonos der bewunderungswürdigen Behendigkeit und den schönen Bewegungen, durch die er an Larissas Palästra erinnert wurde, während das Publikum um ihn her leise lachte und scherzte. Ein junger Ritter neben ihm machte einen andern auf die hübsche Libertine aufmerksam, die ihm verliebte Blicke zuwarf. Andere, hinter ihm, fingen bereits an, sich in ihre Wetten auf die Fechter einzulassen. Die Tuba schmetterte, die blanken Waffen begannen zu blitzen und zu klirren. Sonst tiefes Schweigen überall. Vorgestreckte Köpfe mit gespannten Zügen, glühenden Wangen und starrenden Augen die Reihen entlang. Auch Antigonos folgte dem Kampfe mit steigender Spannung; er fühlte seinen Atem stocken, alle Pulse hämmern und alle Nerven zittern, ganz wie ihm zumute gewesen war, wenn er in Tempe seine Geliebte erwartete und meinte, ihre Schritte zu hören – und später nie mehr.
Das erste jubelnde »Habet« durchschauerte ihn mit einer Mischung von Entsetzen und Lust. Die Waffen wurden gesenkt, die Leichen hinausgezogen, der Tumult im Zuschauerraum begann; – und er war matt und niedergeschlagen, erfüllt von Ekel vor sich selbst, – denn er hatte sich mitreißen lassen, – aus Abscheu gegen die Römer, die Barbaren mit den etruskischen Traditionen – und aus Sehnsucht nach dem schönen Hellas mit seinen edlen isthmischen und olympischen Spielen. Ihm war, als müßte er in der drückenden Hitze ersticken, die das Sonnensegel dieses großen erhitzten, mit Blut gedüngten Treibhauses eher einzuschließen als abzuhalten schien, – in dem alle Giftpflanzen böser Leidenschaften wollüstig aufschossen, während ein feiner duftender Regen über die Zuschauerplätze herniedersprühte.
Seine Aufmerksamkeit wurde durch eine klare, tiefe Männerstimme hinter ihm gefesselt, die gedämpft sagte: »Jetzt ist's genug, Titus. Hat die gute Saat des Evangeliums den Teufel aus deinem Herzen getrieben, oder hat der Anblick des Blutes auch bei dir das Raubtier geweckt, wie bei deinen Heiden?« »Nein, ich bin nur krank und entsetzt,« antwortete eine jugendliche Stimme. »Warum gingen wir hierher?«
»Um uns selbst zu prüfen, wie weit wir in der Heiligung vorgeschritten sein möchten, und um den Ort kennen zu lernen. Vielleicht ist es der Wille Gottes, daß wir das nächste Mal da unten sind.« Antigonos kehrte sich um; er sah den Sprecher nur flüchtig, der eben, von einem jungen Mann begleitet, den Platz verließ. Es war eine ziemlich kleine Gestalt mit einem stark gefurchten und etwas leidenden, aber milden und ehrwürdigen Gesicht. Er war ihm unter dem Namen Pius bezeichnet worden, als der Bischof der Christen, einer Sekte, gegen die er übrigens eine große Geringschätzung hegte. Aber in diesem Augenblick freute es ihn, einen Geistesverwandten gefunden zu haben, ja Pius hatte sogar Eindruck auf ihn gemacht.
Er war fest entschlossen ihrem Beispiel zu folgen, doch mußte er die nächste Pause abwarten, denn der Kampf hatte bereits von neuem begonnen. Es war ein gut gepaartes Gefecht zwischen einem berühmten Secutor und Retiarius, deren wechselvolles Glück sich die atemlose Spannung des ganzen Publikums zuzog. Zuletzt kehrte der Retiarius sich um und machte während des Ausweichens eine ungeschickte Bewegung: der Netzzipfel glitt ab vom Helm des Secutors, und dessen Schwert durchbohrte seinen Rücken, weil er einen Sprung vorwärts getan hatte. Und noch während der Habet-Ruf durch das Colosseum scholl und es durchschütterte, wie der Donner ein kesselförmiges Tal, hatte der Secutor sein eisengepanzertes Bein hart auf die stöhnende Brust des Gefallenen gepflanzt. Sein kurzes, bluttriefendes Schwert senkend, zeigte er seine kräftige, vom Gürtel bis zur eisernen Helmmaske entblößte Brust über dem halberhobenen Schild, – eine breite, gewölbte und narbige Brust, eine Augenweide der Libertinen, Matronen, Jungfrauen und Vestalinnen – verdoppelt durch die Zwillingsflamme der Grausamkeit und der Wollust. Sich brüstend, wandte er den Kopf mit dem unförmlichen Helm nach dem Podium hin, während die Hand des Gefallenen, die die Forke verloren hatte, sich matt erhob, um Gnade flehend.
In diesem Augenblick stürzte gleichsam eine schäumende Kaskade über das Innere des Colosseums hernieder, vom obersten weit gespannten Oval bis herab zum niedrigsten und engsten, und aus den wogenden weißen Gewändern, die wie die Flügel einer Schar Geier klapperten, wenn sie auf ein Aas herabstoßen, streckten sich Tausende von braunen Armen, deren geballte Fäuste mit den abwärtsgestreckten Daumen den Besiegten zum Tode verurteilten.
Auch Antigonos streckte sich vorwärts, sein Arm war erhoben, sein Daumen zeigte hinauf zum Sonnenzelt; sein Blick, nach Lebenszeichen spähend, glitt den Balkon entlang. Nahe bei, in der Biegung des Ovals, beugte eine Frau sich vorwärts; ihre rechte Hand mit dem emporgehobenen Daumen streckte sich der seinigen entgegen, ihre Linke schwang einen weißen Schleier, die Fahne der Gnade, ihr Blick suchte den seinigen. Die begegneten sich und standen still.
Er hatte dieses Weib schon gesehen, eingehüllt in denselben Schleier, den sie jetzt eben von sich losgerissen hatte, im Sitze zurückgelehnt, ganz so wie er und oft den Sonnenschirm auf den Rand des Balkons sinken lassend, um sich alle Aussicht auf die Arena abzuschneiden. Jetzt strahlte ihm ihr Antlitz, in einer Mischung von Entsetzen und Freundlichkeit, voll entgegen. Die milden Lippen schienen ihm einen schwesterlichen Kuß zu schicken, die großen blauen Augen däuchten ihm ein fernes heimatliches Land, in das er hinausstarrte. Er sah und hörte nichts mehr vom Lärm und der Bewegung der Menge um ihn her, die unaufhörlich stieg und fiel und wieder sich erhob, wie das Getöse einer schäumenden Brandung. Da glitt ein Lächeln, ein plötzlicher Erinnerungsstrahl über beider Antlitz. Sie beugten sich noch weiter vor, die Arme ausstreckend, als ob sie sich umarmen wollten. Sie waren nicht mehr allein in dem blutdürstigen, brüllenden Colosseum, – sie waren allein an einem kühlen, rieselnden Fluß, unter schattigen, säuselnden Platanen, über denen sich der klare griechische Himmel wölbte – und ihre bebenden Lippen flüsterten »Antigonos« und die seinigen antworteten »Erinna«. Plötzlich warf sie sich mit einem Schrei nach rückwärts. Er sah hinunter, und es schien ihm ihre Liebe zu sein, die dort unter dem Todesstoß zusammenbrach, in die ein Römer seinen Haken stieß und hinausschleppte, wie eine Leiche.
Ihm schwindelte. Das Colosseum drehte seine weiße lärmende Masse im Kreise um ihn herum, gleich wirbelndem, brausendem Schaum, in dem der Strom seiner Erinnerungen sich auflöste. Er erhob sich und ging schwankend die Reihen entlang; lärmende Senatoren und Ritter triumphierten über die Wetten, die sie auf den Secutor gewonnen hatten.
Auf dem Gange hinter dem Balkon waren mehrere Frauen um die ohnmächtige Erinna versammelt, während nebenan eine Schar Clienten sich um einen großen Mann im Consulalter versammelt hatte, der mit seiner rotverbrämten Senatorentoga über sie hervorragte.
»Meine Gattin ist Griechin, ihre zarte Natur verträgt solche Dinge nicht,« hörte Antigonos ihn gleichsam, sie entschuldigend, bemerken.
Da wußte Antigonos, daß er diese Stimme schon einmal gehört hatte.