Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In der Hermäeutischen Bucht lag eine kleine Flotte mit goldglänzenden Gänsen in den Mastspitzen vor frischer Kühlte. Es waren Handelsschiffe, beladen mit ägyptischen Weizen.
Auf dem Deck eines der vordersten stand Antigonos. Er hatte in Alexandria zehn wirksame, aber einförmige Jahre verbracht. In der großen Stadt, wo die Gegensätze einander weniger scharf berührten, und niemand etwas von dem jungen Manne wußte, der sich Theophilos nannte und der sich durch seinen christlichen Eifer und seine vornehme Bildung auszeichnete, war er, ohne auf Schwierigkeiten zu stoßen, in die christliche Gemeinde aufgenommen worden. Es ereignete sich ganz, wie Valentinos es vorausgesagt hatte. Frühmorgens disputierte er mit den Schülern Platos und Philos in den prachtvollen Sälen des Museums; zur Mittagszeit saß er zwischen den Gnostikern, und abends feierte er die Agapen mit der christlichen Gemeinde. Nach Verlauf einiger Jahre stiftete er eine Katechetenschule, wo er den zukünftigen Diakonen und Presbyterianern Unterricht in christlicher Philosophie und der Erklärung der heiligen Schrift erteilte, ganz gewiß für einen geringen, aber für seine anspruchslosen Bedürfnisse hinreichenden Lohn der Gemeinde. Aus Bescheidenheit schlug er jedes Anerbieten einer kirchlichen Stellung aus.
Als er etliche Jahre hindurch in Alexandria gewesen war, erhielt er die Nachricht vom Tode Valentinos', der auf Cypern verstorben war. Er hatte einen lebhaften Briefwechsel mit ihm und Herakleon unterhalten, der jetzt zur Hauptstadt Ägyptens kommen wollte.
Herakleon wünschte, ganz wie Antigonos, eine Aussöhnung herbeizuführen, und hielt ständig weniger fest an der geschlossenen Richtung des Meisters. Sie sahen einander beinahe täglich, und Antigonos war ihm bei der Auslegung des Johannesevangeliums behilflich.
Dieser hatte vor seiner Abreise von Italien sich nicht dazu entschließen können, Erinna wiederzusehen. Durch, einen Brief versuchte er, sie über die Trennung zu trösten und ermahnte sie nochmals, sich, zur ewigen Wahrheit zu bekehren. Auch bat er sie, den Sohn zu ihm kommen zu lassen, wenn er einige Jahre alt sei. Nach fünf Jahren wurde ihm auch das Kind von seiner Pflegemutter, einer Freigelassenen Erinnas, gebracht. Es war ein hübscher Knabe von der kräftigen und gesunden Körperbildung seiner Mutter. Er zeigte bald Aufgewecktheit und Sinn für das religiöse Leben, in dem er aufwuchs; aber er verfiel nie in krankhafte Extase, und sein Sinn war nicht aufs Mystische und Tiefsinnige gerichtet. Als Kind schon meinte man an ihm, der in Rom geboren war, in seinem praktischen und konkreten Geist das Gepräge des Okzidents zu spüren. Sein Charakter war von größerer Selbständigkeit und Willensstärke als der des Vaters, und er besaß nicht dessen friedliebendes Gemüt. Wenn die anderen christlichen Kinder Psalmen sangen oder eine Liebesmahlzeit nachahmten, veranstaltete er ein Spiel, in dem er selbst, in einen roten Mantel gehüllt, den Bann der Kirche über irgendwelches gaffende Knäblein aussprach. Oder er spielte Verfolgung und ließ seine Kameraden ihn und einen anderen standhaften Christen mit Zangen kneifen oder mit Weidenzweigen peitschen und warf sich schließlich selbst über sie her, kroch auf allen Vieren und brüllte wie ein wildes Tier. Als er zehn Jahre alt war, wurde er getauft und bekam den Namen Agathos.
Zur selbigen Zeit hatte die alexandrinische Gemeinde beschlossen, einen Brief an den Bischof Polykarpos in Smyrna zu schicken. Antigonos, der in hoher Gunst bei ihrem eigenen Bischof stand, erbat sich die Gnadenbezeigung, der Überbringer sein zu dürfen. Obschon er unentbehrlich war, wollte ihm dieser sein erstes Begehren nicht abschlagen.
Jetzt stand Antigonos denn also am Schiffssteven, die Briefrolle in den Brustfalten des Mantels verborgen, während die Segel klapperten, die Flöten ertönten und das Platschen der Ruder den Takt zum Gesang der Ruderer schlug. Sie waren schon dicht am Hafen, und das berühmte Smyrna breitete sich vor ihnen aus, das Innere der Bucht umspannend, indem es zwei lange, weiße Arme längs des Strandes ausstreckte, die auf ihren äußersten Spitzen nur die unterbrochenen Reihen der Marmorvillen zeigten, die gleich angespülten Schaumblasen aus den Oliven- und Lorbeerwäldchen auftauchten. Aber hinter dem Wald von Masten erhob sich die Stadt selbst im leuchtenden Marmor ihrer Häuser, Paläste, Tempel, Säulenhallen, Theater und Basiliken – terrassenförmig, wie ein ungeheures Amphitheater für ein Seegefecht. Eine leichte Wolkenschicht, von der Abendröte bestrahlt, streckte sich wie ein gestreiftes Sonnensegel über den Bergkamm hervor. Antigonos' Herz klopfte, während er die einzelnen Häuser betrachtete und sich vorstellte, daß in einem von ihnen Polykarpos wohnte. Denn es erschien ihm als das höchste Erdenglück, dem Manne zu begegnen, der ein Schüler war desselbigen Schülers, der vom Herrn geliebt, das Abendmahl mit ihm gehalten und an Jesu Brust gelegen hatte.
Das Schiff lief an, und die Zöllner kamen mit ihren Tafeln in der Hand an Bord. Auf dem Kai bildeten römische Soldaten ein Eisengitter um den ungeheuren Pöbelauflauf, der den ganzen Platz zwischen der Stadt und dem Hafen ausfüllte. Es war ein Haufen in Lumpen gekleideter oder nackter Männer und Weiber, – von denen mehrere an den schlaffen Brüsten Säuglinge hielten, – mit abgezehrten Mienen, brennenden, eingesunkenen Augen und knöchernen Armen, die sie drohend erhoben, während von allen Seiten her die Rufe erschollen: »Brot, Brot«!
»Aus Alexandria ist Korn angekommen, wir wollen nicht mehr, wie Hunde, vor Hunger sterben ... Teilt es aus! Die Reichen verbergen das Korn in ihren Kellern ... Schmeißt die Wache ins Wasser! ... Erstürmt die Schiffe! Hängt die Zöllner und die Kornwucherer in die Masten hinauf! ... Verteilt das Korn unter das Volk! Brot, Brot!«
Das Jahr war sehr trocken gewesen. In dem herrlichen Smyrna hatte die Hungersnot die Bevölkerung zu Tausenden hinweggerafft. Auch in Ägypten war die Ernte sehr mager ausgefallen; das Korn wurde mit den höchsten Preisen bezahlt, und trotz alledem hatte man nicht genügend zur Versorgung des Staates beschaffen können. Man mußte vorsichtig zu Werke gehen und die Verteilung langsam und mit genauer Berechnung vornehmen, wenn nicht nach einer kurzen Sättigung von ein paar Tausenden die ganze Bevölkerung am Hungertode dahinsterben sollte.
Indes nun die zusammengelaufenen Massen ihre hochgespannten Erwartungen getäuscht sahen und die Zähne des Todes schon ihr Gedärm erfassen fühlten, stieg die Erbitterung von Minute zu Minute, bis sie hinter der stillen, lächelnden Meeresbucht ein wogendes brüllendes und schäumendes Menschenmeer bildete, dessen Zufluß aus den Pöbel speienden Straßen der Stadt in stetem Zunehmen war.
»Willst du mir vielleicht sagen, mein Freund, wo der Bischof Polykarpos wohnt?« fragte Antigonos einen Mann, als er das dichteste Gedränge durchschnitten hatte.
»Ich dein Freund, Unverschämter? – bin ich der Freund von einem, der nach Polykarpos sucht?« »Polykarpos! das Haupt der Gottlosen? ... Wer fragt nach Polykarpos?«
»Der dort,« – »der Lange, mit dem schwarzen Haar!« rief eine halbnackte Frau, ihren Vogelhals aufwärts streckend. – »Kam er nicht von einem der Kornschiffe?«
»Nein.«
»Ja, ja, doch – wir sahen ihn, als er über die Brücke ging,« wurde geantwortet.
»Dann paßt auf,« rief das Weib. »Paßt auf, sage ich euch! Die Christen haben alles Korn aufgekauft.«
»Ja, ja, die wollen uns aushungern ... Und ihre Gottlosigkeit ist schuld daran, daß die Götter es nicht regnen lassen ... Die haben nicht mitgeopfert ... Das kommt daher, weil wir sie unter uns dulden ... Der Dampf ihres Blutes wird niederschlagen wie Regen,« rief es von allen Seiten.
Antigonos hatte sich beeilt, wegzukommen. Etliche Steine sausten an ihm vorüber. Als er in eine Straße eingebogen war, wurde sein Arm von einer Hand berührt.
»Du fragtest nach Polykarpos,« flüsterte eine Stimme; »folge mir!«
»Wer bist du? warum antwortetest du nicht, als ich fragte – du hast es doch gehört?«
»Weil ich nicht gesteinigt werden wollte. Wer ich bin? Ein Christ. Übrigens bin ich Schuhmacher in Smyrna und habe zurzeit nicht mehr zu essen, als daß ich angefangen habe, mich von meinem Leder zu nähren. Aber ich halte wohl die Not aus, wenn nicht die Männer Belials mich erschlagen.«
»Haben die Heiden etliche von den Christen ermordet? Cäsar hat ja die Verfolgung friedlicher Bürger verboten.«
»Wir sind hier weit von Cäsar entfernt. Übrigens ist noch niemand ermordet worden; aber du hörtest ja soeben, wie man gesonnen ist. Unsere Gemeinde in Smyrna ist weder klein, noch arm, und wir halten zueinander, indem die Reichen für die Bedürftigen sorgen, und noch keiner Hungers gestorben ist. Dies haben die Heiden bemerkt, und das reizt den Pöbel. Gestern wurden mehrere Männer gegeißelt, weil sie einen christlichen Kornhändler durch Steinwürfe verwundet hatten. Wir müssen für unsere Obrigkeit bürgen; wenn sie gleich heidnisch ist, kommt sie doch von Gott. Unser Prokonsul, Statius Quartus –«
»Wen nennst du? Titus Statius Quartus?«
»Jawohl, ihn selbst. Vor einem halben Jahr kam er hierher nach Smyrna. Das ist ein Kerl, der die Zügel straff hält. – Ja, hier wohnt also unser Bischof. Solch ein Haus konnten wir ihm schenken; daran kannst du sehen, daß wir wohlhabend sind. Aber es gibt auch keine Gemeinde wieder in der ganzen Welt, die solch einen Bischof hat – einen Mann, der wie er, das Osterlamm in der Gemeinschaft mit den Aposteln genossen hat. – Leb wohl, Gott sei mit dir!« – –
Die plötzliche Nachricht, daß Quartus Prokonsul hier in Smyrna sei, und der Gedanke, wiederum innerhalb derselben Mauern mit Erinna zu leben, versetzte Antigonos in eine starke Unruhe, deren er sich schämte, die er aber nicht sofort bezähmen konnte. Er stand etliche Minuten an die Mauer gelehnt, um sich zu fassen, ehe er es wagte, anzuklopfen. Ein Sklave öffnete ihm. Stammelnd verlangte er, beim Bischof vorgelassen zu werden. Der Sklave führte ihn durch eine Vorhalle, wo etliche Schreiber und Diakonen arbeiteten, zog im Hintergrund einen Vorhang zur Seite und zeigte hinein. Antigonos trat ein. Der Vorhang schloß sich hinter ihm.
An der gegenüber liegenden großen Fensteröffnung saß eine hohe Gestalt. In Betrachtungen versunken, hatte er den Eintretenden nicht bemerkt. Antigonos stand unbeweglich, aus Furcht, eine apostolische Gedankenreihe oder prophetische Schauung zu unterbrechen, erfreut beim Anblicke des mächtigen Hauptes, das sich dunkel und scharf gegen den Abendhimmel abhob, gleichwie auf dem Goldgrund einer Glorie. Zu oberst lag das wollig weiße Haar noch dick um Stirne und Schläfe und fiel lockig über den Nacken hinunter. Die gefurchte Stirn bildete eine gleichmäßige Linie mit der geraden Nase und der weiße, die Oberlippe verbergende Bart senkte sich in einer Spitze über die Brust hinab. Das Licht glänzte in seinen großen, nach oben blickenden Augen.
Nach einigen Minuten wandte Polykarpos den Kopf, ohne eine Überraschung über die Gegenwart einer fremden, stummen Gestalt zu äußern, Unter den scharf hervorspringenden Augenbrauen, die sich wie ein paar Flügel zu Seiten der breiten Nasenwurzel ausstreckten, hefteten seine tiefliegenden klaren Augen sich streng auf Antigonos, und mit einer klangvollen Stimme fragte er:
»Wer bist du, Fremder? – suchst du mich?« –
»Ich bin ein Christ aus Alexandria, der dir Grüße bringt von deinem Bruder, dem Bischof daselbst. Er und die Gemeinde schicken dir diesen Brief.« Polykarpos nahm die Briefrolle, und während er, am Fenster lehnend, beim hinsterbenden Abendlicht diese durchlas, konnte Antigonos des Anblicks der schönen Gestalt nicht müde werden. Das Gesicht erinnerte ihn an Bilder, die er von Christus gesehen hatte, und bisweilen überkam ihn das Gefühl, des Menschen Sohn in einem höheren Alter vor sich zu sehen. Aber der Ausdruck des Bischofs war strenger und von größerer selbstbewußter Würde geprägt, als er sich diesen beim Erlöser vorstellte.
Polykarpos legte die Pergamentrolle auf den Tisch und ergriff seine Hand.
»Du bist willkommen, Theophilos! und ich danke dir für das Überbrachte. Dieser Gruß von den Alexandrinern und ihre Beständigkeit im Glauben hat mein Herz erfreut ... Mein Bruder auf dem Bischofsstuhl Alexandrias schreibt außerordentlich wohlwollend über dich. Er lobt dein Wissen und deine Kenntnisse in der Philosophie und in den göttlichen Wissenschaften. Aber, mein Sohn! sei auf der Hut! Wahre dich vor leeren Reden und Untersuchungen, die so viele in Irrtümer geführt haben. Denn es gibt Gedanken, die sich nicht ohne weiteres dem Gehorsam des Glaubens unterordnen ... Wie viele haben sich hierdurch nicht verleiten lassen zu leugnen, daß Christus im Fleische war und noch im Fleische ist? – diese bekleiden ihn mit einem Scheinkörper und verachten die fleischliche Gestalt, von welcher Gott der Herr selbst gesagt hat, daß »sie gut sei« ... Ich aber sage dir, daß dieser geistige Hochmut größere Sünde ist als die sinnliche Lust; denn diese hat die Menschen zu Falle gebracht; aber jene hat die höchsten Engel vom Throne Gottes in die Tiefen der Hölle hinuntergestürzt.«
Die Dämmerung des Zimmers verbarg das Erröten Antigonos'. Seine ganze Geistesrichtung und Denkweise ließen ihm dies als harte Worte erscheinen, daß Gott wirklich körperlich gewesen sei und im Fleisch verbleiben sollte. Valentinos hätte wahrlich diesen Menschen »seelisch und fleischlich« genannt, aber »dem Geiste fremd« dachte er, indem er den Aposteljünger betrachtete, der in großer Erregung das Zimmer auf und ab schritt. »Auch hier hat die Lehre sich hereingedrängt,« fuhr er fort, »und einigen die Köpfe verdreht, die ich infolgedessen von der Kirche ausgeschlossen habe. Und das ist es, was ich an Alexandria auszusetzen habe! ganz wie mein Meister nach Pergamum schrieb; aber die Dinge habe ich gegen dich, daß du Etliche dabei hast, die an Bileams Lehre festhalten, so sage ich auch zu euch, ihr Alexandriner: ich habe das gegen euch, daß ihr mit dieser Scheinlehre durch die Finger seht, und daß weltliches und hochmütiges Wissen wie üppiges Unkraut im Nilschlamm unter euch wächst ... Derjenige, der sich nicht zu Christi Fleisch und Blut bekennt, dem nützt Christus gar nichts, Denn es steht geschrieben: das Blut schafft Versöhnung für die Seele. Wenn dann Christus kein Blut hätte, wäre das Opfer und die Versöhnung nicht geschehen, und wir ständen noch immer unter dem Verderben. Außerdem haben wir noch jene Irrlehrer; diese wird Christi Blut nicht loskaufen, sondern wird sie gleichsam zuschanden machen, wie das Blut auch Ägypten in den Tagen Pharaos zuschanden machte, ein Vorbild für sie ... Siehe, diese Scheinlehrer und ihre Meister sollten wie ein Schein vergehn, ja, wie ein Nebel vor der Glorie Christi, wenn er ehestens in seiner Herrlichkeit kommen wird, um das Reich zu gründen.«
Polykarpos stand plötzlich still vor Antigonos. Seine Knöchel schlugen hart auf die Mosaikplatte des Tisches.
Jetzt sprach der Jünger des Apokalyptikers, dachte Antigonos. Und wieder fielen die Worte Valentinos' ihm ein: »Die Offenbarung ist ein Werk des seelischen Johannes, der nur den niedreren Jesus erkannte.«
Polykarpos aber fuhr fort, indem er die Hand vor sich hinschleuderte:
»Nun, diese sind wohl von uns ausgegangen, aber sie waren keine von den unsrigen. Sie sind die Spreu, die von der Schaufel Christi herabfällt, wenn er seine Scheune reinigt. Sie sind die Samaritaner. Was aber vor allem mein Inneres aufbrausen und meine Seufzer wie die eines Weibes in Geburtswehen erklingen läßt, das ist die Uneinigkeit unter denen, die doch Christus im Fleisch bekennen; diese Reibungen, die für immer das Volk des Herrn in ein Juda und ein Israel zersplittern werden ... Sage mir, Theophilos, stehen auch in Alexandria die Judenchristen und die Heidenchristen scharf widereinander?«
»Beinahe die ganze Gemeinde besteht aus Heidenchristen, und diejenigen, die von den Juden hinzukamen, sind meist Schüler von Philos.«
»Ja, ja, Samaritaner, Scheinlehrer, pfui doch! Nun, hier in Smyrna dämpft mein apostolisches Ansehen den Streit herab. Denn ich, der ich der Architrav der jüdischen Apostelsäulen bin, ich richte mich noch mehr nach den heidnischen Übergetretenen als mein Meister das tat, und ich schätze das apostolische Werk Pauli. Möchte es doch eine Herde werden, wie auch ein Hirt ist, auf daß die geteilte Kirche nicht den Heiden als Beute zufalle.«
»Sondern sei, wie das Gewand Christi, ohne Naht, ein Stück von oben bis unten, so daß die römischen Soldaten es nicht teilen könnten –« bemerkte Antigonos.
»Wo hast du das her?« fragte Polykarpos, und betrachtete ihn mit einem der plötzlichen kalten Blicke, die ihm eigen waren.
»Vom Evangelium.«
»Von welchem Evangelium? denn da ist ja das Evangelium der Hebräer; das nach Markus, dem lateinischen Matthäus; das Evangelium des Thomas, das Kindheitsevangelium, die Werke Pilatus' und noch eine Menge andre, von denen nur wenige apostolisch sind.«
»Ich meine das Evangelium nach Johannes.«
»Mein Meister,« antwortete Polykarpos, »hat keines geschrieben, mit Ausnahme seiner herrlichen Offenbarung, die wahrlich ein Evangelium über den zukünftigen Christus ist. Wenn er es auch nicht selbst niedergeschrieben hat, ist es doch sein Geist.«
Hier wurde Antigonos unterbrochen; denn ein Mann in Rüstung und mit einer roten Kappe um die Schultern riß den Vorhang zur Seite und trat schnell in das Zimmer.
»Der Prokonsul grüßt dich, Polykarpos,« sagte er atemlos, »und läßt dir sagen, daß du eiligst die Stadt verlassen mußt. Der hungernde Pöbel macht Aufruhr und fordert dein Leben. Die meisten Soldaten sind am Hafen.«
»Dann ist die Stunde gekommen, in der ich wirklich die Stadt und die Welt verlassen muß, um zu Christus aufzufahren. Denn wie ich vorher dort saß, hatte ich eine Erscheinung, in der mein Vorderhaupt und mein Haar in Flammen standen, und ich fühlte das brennende Feuer an meiner Stirn. Jetzt weiß ich nun, daß dies ein Zeichen von Gott war, und daß ich lebendig verbrannt werden soll.«
»Keineswegs,« rief der Tribun, »aber du mußt dich in deiner Villa verborgen halten, währenddessen zerstreuen wir den Pöbel. Der Wagen steht am Gartenausgang bereit, und eine Bedeckung von zehn Berittenen ist beigegeben. Es ist jedoch keine Zeit zu verlieren.«
»Nun, dann ergebe ich mich, wenn ich doch dem mir bestimmten Los nicht entgehen kann, es geschehe, wie Gott es will. Willst du mich begleiten, Theophilos?«
»Ich bin nicht Polykarpos.«
»Was meinst du hiermit?« fragte Polykarpos, sich plötzlich umkehrend und ihn scharf anblickend. »Ich meine, daß der Pöbel dich sucht und nicht mich.«
»Nein, nein,« rief der Bischof aus, »du meintest, daß du nicht bist wie Polykarpos, der die Brüder in der Stunde der Gefahr verlassen will... Ja, jetzt weiß ich's, es gilt nicht mir allein, sondern uns allen, und ich will bei euch bleiben, mit euch sterben und auffahren zu Christus.«
Die Diakonen und Presbyterianer aber, die ins Zimmer eingedrungen waren, flehten ihn an, sein Leben zu retten und der Kirche zu erhalten. Sie würden alle gern sterben, wenn sie ihn gesichert wüßten.
Polykarpos blieb unerbittlich.
Der Tribun stampfte mit dem Fuße.
»Dumme Bedenken! Wenn du nicht freiwillig gehst, lasse ich dich – bei Herkules! – von den Reitern hinausschleppen. Du bist mein Gefangener, und der Prokonsul verweist dich auf deine Villa,«
»Ich beuge mich dem Willen meiner Obrigkeit,« sagte Polykarpos. »Brüder, lebt wohl! Gott sei mit euch allen und stärke euch für das, was er euch schickt.«
Er konnte ihnen nichts weiteres sagen, weil ihn der Tribun mit sich fortriß. Gleich danach hörte man Peitschenknallen und Hufschläge, die sich bald verloren. Erst jetzt überlegte Antigonos, welche Gefahr ihm drohe, und das um so mehr, als es ihm schien, daß er ein fernes, einförmiges Brausen, Schnurren oder Brummen vernehme. Er sah sich um. Ja, auch die anderen lauschten. Verstohlen blickten sie aufeinander, bleich, sprachlos und spähend, ob die Züge des Nächsten verrieten, daß etwas Ungewohntes sich ereigne. Man konnte jetzt nicht mehr im Zweifel sein. Das war kein Ohrensausen. Mit rasender Eile näherte sich das dumpfe Getöse, löste sich auf in verschiedene Laute, und schon konnte man einzelne Rufe und Schreie unterscheiden. Ein Gedröhne an der Pforte erschütterte das ganze Haus. Noch eines, mehrere hintereinander, schneller und schneller, Schlag auf Schlag. Beim ersten waren alle zusammengefahren, als wären sie davon getroffen worden. Bei dem nächsten sprangen die meisten in die Höhe und stürzten sich aus den Fenstern, um Rettung in der Flucht durch den Garten zu suchen. Nur zwei Presbyterianer und ein Diakonus blieben zurück, vom lähmenden Entsetzen oder standhaften Mut zurückgehalten.
Ein gewaltiges Krachen und ein lautes Gebraus, wie beim Durchbruch einer Schleuse... und dann erscholl der Name Polykarpos! Der Fußboden erdröhnte unter schweren Schritten, der Vorhang wurde wie von Feuersbrunst durchleuchtet. Er wurde zur Seite gerissen; der Schwarm und Fackellicht strömten in das Zimmer.
»Polykarpos!« »Wo ist der Gottlose?« »Ist der feige Kerl nicht hier? Wo ist er?«
»Polykarpos ist nicht hier,« antwortete Antigonos.
»Hades und Tartaros! das sehen wir schon selbst. Aber wo ist er?« »Antwortet, ihr Hunde! seid ihr stumm! Sollen wir euch das Zungenband durchschneiden?... Haut sie nieder!... Schindet sie!... Verbrennt sie?...«
Keulen sausten über ihren Köpfen, Messer blitzten vor ihren Augen, Fackeln versengten ihr Haar. Da warf plötzlich ein riesenhafter Smyrnenser die Nächststehenden zur Seite:
»Nicht hier, sondern vor den Altären der Götter und den Augen des Volkes! Blendet sie! Fort mit euch! sputet euch, ihr faulen Esel. Bringt Fackeln in den Garten! Sucht nach ihnen! Und dann hinaus in die Villa mit euch. Einen dreidoppelten Kornhaufen jedem von euch, der Polykarpos herbeischafft. Und dann brennt dieses verfluchte Haus nieder, und vorwärts mit den Gefangenen zur viereckigen Säulenhalle!«
Die Hände auf den Rücken gebunden, geschleppt und gestoßen, waren Antigonos und die anderen hinausgedrängt worden und wurden jetzt von dem reißenden Menschenstrom die Straßen entlang getragen. Lautes Rufen und wilder Tumult betäubte sie; die dunklen Wogen, der blendende Fackelschein und der wirbelnde Rauch hinderte sie am Sehen. Nur dann und wann drangen scharfe Schreie von einer Seitenstraße heraus von Christen, die ermordet oder, wie sie, zur Schlachtbank geschleppt wurden. Der Schein des brennenden Hauses hinter ihnen fing bereits an, die Luft zu durchglühen.
Plötzlich schien das Fackellicht sich zusammenzuziehen und zu beruhigen, und dunkle regelmäßige Streifen legten sich über die Köpfe der Menge.
»Polykarpos? Habt ihr den Bischof?«
»Er ist entflohen.«
Ein erbittertes Geheul erhob sich von allen Seiten, widerhallend wie in einem Gebäude.
»Gepriesen sei der Herr! – sein Arm ist nicht gekürzt! – er hat seinen Diener nicht den Händen der Heiden überantwortet.« Es waren die christlichen Gefangenen, die diese Worte riefen.
Antigonos sah sie, ein zusammengedrängter Haufe von Männern, Frauen und Kindern, umringt von dem heulenden Pöbel, der sie anspuckte, an den Haaren zog, Messer vor ihren Gesichtern schwang und die Funken der Fackeln über sie herunterfallen ließ. Ihnen zu Seiten erhoben sich starke Säulen, deren Kapitäle im Rauch verschwanden; vor und hinter ihnen standen ebenfalls Säulenreihen, – eine breite Steinallee, die die Basilika in drei Schiffe teilte, und ihre Schatten nach beiden Seiten warf. Dicht daneben und so gefesselt, daß jeder von ihnen eine Säule umschlang, wurden drei nackte Männer gegeißelt, wobei die knallenden Geißelschläge rund herum widerhallten.
»Das Korn! Wo habt ihr's verborgen, ihr gottlosen Hehler! Heraus damit, Wucherer, wenn ihr nicht unter den Geißeln sterben wollt!«
Zwischen den Säulenreihen hindurch strahlte auf einem Altar ein Bronzehaupt von Zeus, vom Feuer beleuchtet. Hier verkündete ein Mann den Christen, daß einem nach dem andern seine Fesseln gelöst werden würden, wenn sie sich bereit zeigten, Räucherwerk ins Feuer zu streuen. Jeder dagegen, der sich sträube, würde geschlachtet und in Stücke zerschnitten werden von einer mit Keulen, Stangen, Messern und rostigen Schwertern bewaffneten Schar, die gegenüber auf sie warte. Der auf diese Weise drohende Tod schien den Mut vieler sinken zu lassen. Zitternd und bleich standen sie da, mehrere jammerten und weinten, einzelne erboten sich schon zu opfern.
Da rief Antigonos mit lauter Stimme:
»Ihr Männer aus Smyrna! ich, der ich von der alexandrinischen Gemeinde gesandt wurde, habe zuletzt mit eurem Bischof gesprochen, und ich kann euch Zeugnis dafür ablegen, daß er uns nur unwillig und auf Befehl des Prokonsuls verlassen hat und daß nur durch die Aufrührer und gegen die Bestimmungen der Obrigkeit diese Leiden über uns kommen. Deswegen steht fest und denkt an das, was der Meister eures Bischofs an euch geschrieben hat, indem er euch vor der ganzen Christenheit hervorhebt: Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst. Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, auf daß ihr versucht würdet, und ihr werdet zehn Tage Drangsal erleiden. Sei getreu bis in den Tod, und ich werde dir die Krone des Lebens geben.« Die Heiden hatten ihn sprechen lassen in der Hoffnung, etwas über Polykarpos zu erfahren.
Jetzt unterbrachen sie ihn durch ihre Rufe. Am lautesten von ihnen war eine durchdringende Weiberstimme:
»Ei, das ist ja der Lange vom Kornschiff, der nach Polykarpos fragte. Peinigt ihn, martert ihn! Er weiß es, daß die Christen das Korn aufgekauft haben.«
»Ja, her mit ihm! Er kennt auch das Versteck von Polykarpos ... Er trotzt uns ... Er unterstützt ihre Gottlosigkeit!«
Der Kittel wurde Antigonos abgerissen. Er wurde der Länge nach vor dem Altar hingestreckt. Die Geißelschläge regneten auf seinen Rücken hernieder und drangen ihm mit brennendem Schmerz bis vor in die Brust. Ein starkes Feuer schnitt ihm in die Augen. Vor sich sah er einen knisternden Scheiterhaufen aus vielen aufeinander gehäuften Fackeln, vor dem sich einige schwarze Gestalten bewegten.
Er gedachte der Worte Polykarpos' und erschauderte bei dem Gedanken, lebendig verbrannt zu werden.
Hände ergriffen ihn, und schon fühlte er sich in die Flammen geworfen; man legte ihn aber nur auf den Rücken. Plötzlich sah er einen Mann sich über ihn beugen.
Ein nackter Arm streckte sich hervor, der eine glühende Eisenstange über ihn herabsenkte und in seinen Schenkel eingrub, was einen zischenden Laut im Fleisch hervorbrachte. Antigonos biß die Zähne zusammen und stöhnte in seinen Schmerzen.
Dies wiederholte sich dreimal, in der Brust und auch im linken Arm.
»Wirf Räucherwerk auf den Altar! ... Sage uns, wo Polykarpos ist,« riefen sie von allen Seiten.
»Ich verrate niemand,« rief Antigonos, »weder den Bischof von Smyrna, noch den Erlöser der Welt.«
Dann wurde ihm der Mund aufgerissen, ein Pfriemen zwischen seine Lippen gesteckt und die Zungenbänder durchgeschnitten. Ein Mann gab ihm Räucherpulver und Mehl in die Hand und sagte: »Wirf dies hier ins Feuer, wenn du nicht mehr leiden magst.«
Über seinem Kopfe aber streckte sich von hinten eine Fackel hervor, von der ein brennender Pechtropfen auf sein Kinn herabfiel und einen Schmerz verursachte, der ihm zehnmal stärker erschien, als der der glühenden Zangen. Antigonos hörte einen lauten Schrei, den er unwillkürlich ausgestoßen hatte, von der Decke widerhallen. Schon wuchs und zitterte ein zweiter Tropfen gerade über seinem Mund und einige andere über seinen Augen; aber die Fackel wurde plötzlich aufwärts geschleudert, und mit einem Gebrüll wie das eines Stiers, der vom Beil schlecht getroffen wurde, brach sein Henker zusammen, während ihm eine Tuba ins Ohr schmetterte und blinkende Waffen unter der heulenden Menge aufleuchteten. Eine Stimme, die Antigonos erst vor kurzem gehört hatte, rief: »Die Türen werden bewacht. – Wer noch eine Hand erhebt, ist des Todes. – Ihr alle seid Cäsars Gefangene.«
Dann hüllte sich alles in tiefe Finsternis und lautloses Schweigen rings um ihn her.