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Es war in den Jugend- und Heldentagen des Christentums. Die Religion der Intoleranz war mit Intoleranz empfangen worden. Die heidnische Frömmigkeit brach hin und wieder mit tierischen Überfällen auf die galiläischen Atheisten herein. Und während diese im stillen ihren leidvollen Kampf führten, hatte ein neuer Messias, der Sternensohn Bar-Kochba, die Juden gegen die römische Weltmacht aufständig gemacht.
Die Sonne hatte noch ein Stück ihres Weges zurückzulegen; aber im Tempepaß, der langen Steinschneppe des thessalischen Bergkessels, durch die sich der Peneus ergießt, fing es an finster zu werden. Die Schatten waren vom Boden der Kluft aus schon hoch an dem steilen, lotrechten Marmorfelsen in die Höhe gekrochen, von dem sie nur in der Mittagszeit unter das dichte Laub der Platanen und Myrten flüchteten, wenn die Wellen Peneus' sonnenbeglänzt und durchsichtig über den Tausenden von Steinchen glitzerten, die sich in der grünlichen Tiefe wie Smaragde und Malachit ausnahmen. Die westliche Felswand zeichnete ihre zackige Kante hoch oben an der östlichen scharf ab, deren Spitze mit ihrem Moos, ihren Ritzen und den kletternden Epheuranken im Sonnenlichte glänzte. Die Platanenwälder des Grundes neigten ihre runden, blaugrauen Laubmassen über das weiße Wasser hinab, wie eine Reihe verhüllter Köpfe, die dem Gesang der Wellen lauschen, einem von Vogelgezwitscher begleiteten Lied zum Preise des lieblichen Tempe, ewiger als alle diejenigen, die Hellas' und Latiums Dichter von ihm gesungen haben.
Auf einem Felsblock mit breiter moosbewachsener Fläche, der über den Flußrand hervorsprang, saß einer dieser Sänger. Sein kleiner Kopf, den er in die linke Hand stützte, hatte eine hohe Stirn – blank und bleich wie Wachs; Augen, dunkel und klar wie geschliffene Steinkohle, eine gerade, spitze Nase mit gebogenen, beweglichen Nasenflügeln, schmale Lippen, ein flaumiges, gespaltenes Kinn, feine, aber nervöse Züge. Das entblößte rabenschwarze Haar wiegte seine Büschel im Winde, während der breitrandige thessalische Filzhut an einem Riemen auf dem Rücken des dunkelbraunen Chitons von ungefärbter Wolle hing, dessen langes Armloch auf der Schulter von einer Kupferschnalle zusammengehalten wurde. Der nackte rechte Arm, der mit dem Ellbogen auf dem in die Höhe gezogenen Knie ruhte, war wenig muskelstark, die schlaff herabhängende Hand war schmal und aderig, mit langen Fingern, deren Geschmeidigkeit sich zeigte, als er jetzt eine kleine, aus einer Schildkrötenschale und zwei Bockhörnern gebildete Lyra in die Höhe nahm und über ihre Saiten strich, Er hielt inne – lauschte – vergebens; – und mit einem ungeduldigen Zucken in den Zügen, deren zartes Mienenspiel jede Erregung widerspiegelte, griff er rasch in die Saiten und sang mit lauter, klarer Stimme:
In Tempes Felsengrotte,
Wo Wald den Fluß verbrämt,
Wo die Nymphe Echo schlummert –
Dort sah ich dich, Erinne!
Für Peneus' Arm enthüllen
Die marmorweißen Glieder,
Und lilienhaft erglänzen
Auf mondesblanken Wellen.
Im Becher dieser Lilie
Gleich Tau, Giftperlen lächeln,
Drin härtete wohl Eros
Den Pfeil, der kluge Jäger,
Einst lacht' ich seiner Pfeile!
Doch süß der letzte schmerzte –
Weit flog ich, ihn im Herzen
Hin nach Elysiums Ruhe!
Die Töne verloren sich in der Ferne, und wieder saß er schweigsam und lächelnd da. Aber plötzlich warf er seinen Kopf zurück, denn sein feines Ohr hörte die letzten Töne zurückkehren, später und heller, als ein Echo sie singen könnte. Leicht wie ein Hirsch sprang er auf und verschwand da, wo sich der Pfad in das Walddunkel hineinbohrt. Ein paar Minuten vergingen, dann tauchte er wieder daraus hervor, ein junges Mädchen mit sich führend, um dessen Hüfte er seinen Arm geschlungen hatte.
Das weiche Moos wiegte sich elastisch unter ihren bunten lydischen Schuhen. Ein langer Schleier umhüllte sie so dicht, daß das jugendliche, lächelnde Gesicht nur bis an die Augen sichtbar war. Sie warf ihn ab, als sie an das Felsenstück kamen, wo sein Mantel ausgebreitet lag. Das braune Nackenhaar wogte ihr über den Rücken hinab, das Vorderhaar wurde von einem schlingenförmigen Lederriemen, der mit Silberschuppen übersät war, in die Höhe gehalten. Eine Goldschlange ringelte sich um ihren kräftig gerundeten Arm. Der safrangelbe amorginische Doppelchiton lag glatt und durchsichtig wie Spinngewebe auf der schwellenden Büste und senkte sich in reichen Falten über den Gürtel hinab. Er zog das zitternde Mädchen zu sich herab und drückte es an seine Brust.
»Das ist das letzte Mal, Erinna,« flüsterte er.
»Jetzt. Aber du kommst zurück, Antigonos,« antwortete sie mit unsicherer Stimme.
»Vielleicht.«
»Nein, nein, nein!« erwiderte sie lebhaft, »sicher! Die Götter sind nicht böse. Ich habe gebetet und geopfert, und ich will das auch – –«
»Aber doch nicht blutig, Erinna?« fragte er mit pythagoräischem Abscheu.
»Nein, Honig und Tauben aus Weihrauch für Ares und Aphrodite. Glaube mir, sie verschmähen mein Opfer nicht! – haben sie nicht selbst geliebt? Ihr werdet die Aufrührer geschlagen oder gekreuzigt haben, ehe der Sommer vorüber ist. Und du wirst dich auszeichnen – ich weiß ja, wie edel du bist. Außerdem wird Ares dir Kraft verleihen und Aphrodite wird Speere und Pfeile von dir abwenden, wie eine Sklavin die Mücken und Fliegen von ihrem Herrn wegfächelt. Gehörst du nicht selbst zu einem Geschlecht, das die hohen Mächte gezwungen hat, ihm und seinem Lande zu dienen?«
»Du hast Recht,« rief er mit einem stolzen Wurf des Kopfes. »Meine Vorväter haben in Delphi geherrscht, dem Nabel der Welt, und Hellas hat an dem Wort ihrer Lippen gehangen. – Wahrlich, du kannst zu mir sagen wie das spartanische Mädchen zu Alkman sagte: Du bist kein ungeschickter Bauernklotz aus dem Geschlechte der Thessaler –«
»Spotte nicht über meine Landsleute,« unterbrach sie ihn schelmisch und kniff ihn ins Ohr.
Aber in einem verstimmten Tone fuhr er fort: »Heute ist nur noch wenig übrig vom Glanze des Geschlechts – nicht mehr als der Duft, der an einem veralteten Opfergefäß hängt. Ich bin ja nur der Sohn eines armen larissischen Opferpriesters, und dein reicher Vater wird von meiner Werbung nichts wissen wollen.«
»Nein, aber wenn du heimkehrst, Antigonos! Wer könnte wohl einem römischen Helden etwas abschlagen? Du wirst als Tribun – oder mit einem goldenen Kranz oder einer Mauerkrone um die Stirne zurückkommen – –«
Sie ließ nicht ab, sich seinen Ruhm auszumalen. Ihre Vorstellungen über den Krieg stammten aus den homerischen Gesängen; sie dachte sich die Helden im Kampfe Mann gegen Mann oder ganze Scharen von Feinden vor sich hertreibend. Sie war nahe daran, eifersüchtig auf die jüdischen Frauen zu werden, die ihm als Kriegsbeute zufallen könnten. Obschon weniger naiv, ließ er sich doch gern von ihren Erwartungen mitfortreißen. Aber er war nicht kriegerisch veranlagt, und als sie wiederholt auf den Ruhmeskranz zurückkam, rief er aus: »Und doch habe ich mir schon Kränze erworben und könnte mir wohl den olympischen durch meine Leier erringen. – Was hat wohl das zu bedeuten? Klagte nicht schon Xenophanes darüber, daß Faust- und Ringkämpfer weit mehr als Dichter und Gelehrte geehrt würden ... Und das war in den edlen Zeiten von Hellas. Dürfte man sich dann jetzt wundern, wenn die Römer – diese Barbaren des Westens – diese Eisenmänner –«
»Ja, du mußt selbst das Eisen anlegen. Ich habe den Plan schon gefaßt, du wirst ihn ausführen und wir werden beide siegen!«
»Aber es liegen viele Gefahren zwischen jetzt und dem Siege! Pfeile und Speere – wasserlose Wüsteneien, voll von Dämonen – und ihrem Gott! Man erzählt sich große Taten von ihm – Feuerregen und Todesengel, die ganze Heere niedermähen. – Wenn dieser Aufrührer nun wirklich sein Sohn wäre! ... Und dann hier zu Hause ..... Viele reiche thessalische Jünglinge – Erinna! Wirst du mir treu bleiben? Wirst du fest sein?« Erinna beugte sich vor und pflückte ein kleines Farnkraut, das seinen hellgrünen Wedel neben ihren Füßen erhob. »Sieh dir dieses Polypodion an, Antigonos! Plinius erzählt, wie mir der Pädagog meines Bruders, der alle Pflanzen und Steine kennt, berichtet, daß es in Tempe wächst und die geheime Kraft besitze, einen vor Galle und Schwermut zu schützen. Es ist ein Abbild unserer Liebe, die in diesem Tal aufgewachsen ist. Ohne dasselbe würden wir in Verzweiflung dahinkränkeln, und unser Blut würde schwarz werden wie der Styx. Wie könnte ich es wegwerfen?«
Die Finsternis wuchs in der Kluft. Der oberste helle Felsenrand wurde schmäler und glühend. Die sich rötende, lockere Wolkenschicht des Himmels schien sich zu senken, bis sie, ihre Farbe über Peneus' langen Wasserstreifen ausbreitend, auf den Felsen ruhte. Tempe ähnelte einem ungeheuren Sarkophag mit dunklen Marmorseiten, in dem die Liebenden ruhten, von der Welt abgeschieden, Lippen an Lippen, Brust an Brust. Und sie lagen wie einbalsamiert in einen würzigen, süßen Duft, der sich mit dem säuerlichen Geruch der Bäume und Farnkräuter mischte, es war der Weihrauch von den Altären auf den ringsum liegenden Anhöhen, auf denen man Helios opferte. Grabesstille herrschte freilich nicht, denn unzählige Laute erhoben sich überall die Kluft entlang: es war der kleinen Nachteule trauriges Pfeifen oben in den Steinritzen, der Rohrdommel hohler Klang und des Schilfsängers Zwitschern aus dem Röhricht, und vor allen die sehnsuchtatmenden Flötentöne und jubelnden Triller der Nachtigallen, die einander von Ufer zu Ufer antworteten. Alle diese einander abwechselnden Stimmen hoben sich ab von dem einförmigen Hintergrund des gurgelnden und rieselnden Wassers, des säuselnden Blätternraschelns und des ununterbrochenen metallischen Schwirrens der Heimchen, das im Vergleich zu der verschmelzenden Dämmerung, die im Klange des Stromes und des Laubes lag, wie ein scharfes zitterndes Licht erschien.
Gleich einem Golddiskus, der am Felsenrande dahinrollt, strahlte jetzt der Vollmond, als sie sich endlich von ihrem Lieblingsplatz erhoben und noch einen Abschiedsblick über den Peneus warfen, der dunkel, mit aus Goldtropfen gebildeten Fächern, Ringen und Kurven, zwischen den hellverschleierten Wäldern und den hohen Felswänden dahinströmte, an denen alle Unregelmäßigkeiten mit dem betauten Netz der Schlingpflanzen wie marmorne, von Silberfiligran umrahmte Basreliefs hervortraten.
»Und wenn nicht der Tod uns trennt, soll dann Eros uns vereinen, wenn ich heimkehre, Erinna, – mit oder gegen den Willen deines Vaters?«
»Bei Endymion!« – –
Er legte seinen Mantel um ihre Schultern, und so darein gehüllt und mit den Armen einander umschlingend, betraten sie den Waldpfad, auf dem nur vereinzelte, durch das dichte Laub fallende Strahlen die Finsternis unterbrachen.
Gleich außerhalb des schmalen Waldes lag auf der Hochebene Thrasykles' – Erinnas Vaters – großes Gut. Eine lange, niedrige Mauer, leuchtend wie Kreide im Lichte des Mondes, zog sich den Weg entlang. Über den glänzenden Blättern der Olivenbäume, der Pappeln und Obstbäume erhob sich gegen den klaren, sternenübersäten Himmel ein blauweißer, gleichmäßig schräg ansteigender Kegel, ähnlich einer scharfgeschnittenen Wolke. Das war der Olympos. Ihre Lippen begegneten sich noch einmal – lange. Er löste seinen Arm und Mantel von ihr los. Erinna verschwand in der Toröffnung, aus welcher ihr Schleier ihm noch lange nachwinkte, während er, noch oft sich umwendend, den vier Meilen langen Weg nach Larissa antrat.
Antigonos, der Sohn Lagos', entstammte einer Priesterfamilie, deren Vorfahren infolge religiöser Familientradition schon seit langen Zeiten in Delphi ansässig gewesen waren. Später war des Geschlechtes Macht und Ansehen zurückgegangen. Antigonos' Mutter war eine hübsche Buhlerin gewesen, sein Vater ein einfacher Wahrsager und Opferpriester am Apollotempel in Larissa. Aber er gab es schließlich auf, an den blutigen Opfern teilzunehmen, weil sein Sohn, für den er eine beinahe abergläubische Bewunderung hegte, durch einen Pythagoräer belehrt, ihm vorhielt, wie töricht es sei, die Götter durch Vergießen lebenden Blutes zu verehren. Nur seinen Wahrsagergeist behielt er, und wenn dieser sich stark regte, verfiel er – wie sein Vater und dessen Brüder – in epileptische Krämpfe, die noch überzeugender für das Volk waren, als seine doppelsinnigen Orakel und ihm sogar bisweilen die Besuche der Reichen einbrachten.
Die Sonne ging eben auf, als Antigonos dicht vor den Toren Larissas stand. Hinter der Stadt erhob sich das Land mit welligen Hügeln, aus denen der Peneus sich als breiter Fluß hervorwand. Reiher wateten in seinem Schilf und standen auf den Sandbänken an seinen Ufern. Mächtige weißstämmige Silberpappeln und Platanen mit graugesprenkelten, abgeschälten Stämmen tauchten ihre Zweige in sein Wasser; die Bienenvögel flogen schreiend durch ihre Wipfel, und ungeheure Scharen brauner Schafe ruhten in ihrem Schatten. Große Schwärme von Dohlen und Elstern erfüllten die Luft mit ihrem Gekreische. Die Störche wanderten in Scharen und die Kraniche paarweise auf den üppigen Wiesen umher. Ein einzelner Karren, auf gigantischen Rädern und mit Ochsen bespannt, schlich sich den Weg entlang.
So streckte sich die Landschaft mit saftiggrünen Farben gegen Osten hin, bis sich Olympos und Ossa mit den wogenden Nachtnebeln um ihren Fuß, die sie wie ein abgeworfenes weißes Gewand umlagerten, violett gegen den glühenden Himmel erhoben. Es war, als ob zwei Riesen zu beiden Seiten seines geliebten Tempe Wache hielten. Durch schnarrende Töne und dumpfes Gepolter wurde Antigonos schroff aus seiner wehmütigen Abschiedsstimmung herausgerissen. In scharfem Trab jagten zwei Reiter an ihm vorbei. Leopardenfelle, deren Köpfe über ihren Stirnen gähnten, flatterten rückwärts. Nach vorn streckten sich lange, leicht aufwärts gebogene Messinghörner, die ihre erregenden Töne herauswirbelten. Ein dritter hielt eine Fahne. Antigonos kehrte sich um. Der ganze Weg war von römischer Reiterei angefüllt, der Vortrab des Heeres, das in zwei Reihen aus der Torwölbung hervorwimmelte. Ihre verschiedenen Gesichtszüge, aus den entlegensten Weltgegenden stammend, gebräunt und gehärtet von derselben Sonne und denselben Strapazen, zeigten sich unter den zusammengedrückten Blenden der blanken Helme, deren große Pferdehaarbüschel sie noch größer erscheinen ließen. Rank in der Haltung, in schwere Wämser aus Stahlschuppen gekleidet und mit frei herabhängenden nackten Beinen, deren viele ebenso behaart waren, wie die der Pferde, schienen sie mit den Tierhäuten verwachsen zu sein, deren gekreuzte Pfoten die Pferdebrust umfaßten.
Die starken Hengste und Stuten wieherten, hieben die Zähne in die Zügel, bäumten sich, sprangen und schienen in ihrem ganzen Gebaren eine Entladung für alle die Nervenkraft zu empfinden, mit der ihre Glieder überladen waren. Ihre Hufe hämmerten, die Gebisse und Ketten klirrten; die kurzen breiten Schwerter, die dicht unter dem rechten Arme hingen, und die runden, in Lederhüllen geborgenen Schilde auf ihrem Rücken klapperten. Schwere Stahlpanzer rasselten um Schultern und Schenkel.
Rufe, Gelächter und Flüche schwirrten durcheinander und füllten die Reihen. Einige sangen eine Weise in ihrer barbarischen Sprache – eine liederliche, nach dem rohen Lachen zu urteilen, das jeden Vers belohnte; und der eine der Singenden warf sich mit hervorgestreckter Hand zur Seite und riß Antigonos die Leier aus dem Arm, indem er an ihm vorbeiritt. Ein dröhnendes Gelächter erscholl, während die klirrenden Saiten unter den hornharten Fingern der Reiterfaust zersprangen.
Aber Antigonos war von dem kriegerischen Anblick so stark hingerissen, daß er kaum Schmerz empfand bei dem Verlust; die Hörner, der Lärm und die in der Morgendämmerung blinkenden Waffen berauschten ihn. Sein patriotischer und ästhetischer Unwille gegen die Römer vermochte es nicht, sich in ihm zu erheben. Er jubelte mit jugendlicher Kampflust beim Anblick des wilden Gebarens dieser stahlhäutigen Zentauren und der Adlerflügel der Legionen – die das Schreckbild aller aufrührerischen Männer und unartigen Kinder der ganzen Welt waren. Er selbst sollte sich ja diesen Zügen anschließen, und ferne strahlende Träume von Schlachtenruhm, Glück und Macht wurden durch die Töne geboren und von dem tobenden Lärm genährt.
Die letzten Reiter waren schon längst an ihm vorbeigetrabt, und noch immer starrte er der Reiterschar nach, die sich ostwärts weiterbewegte, während ihre Speerspitzen, Helme und Panzer mit scharfem Leuchten durch die dichten Staubwirbel glänzten, die sie einhüllten – gleich einer weißen, mit Blitzstrahlen geschwängerten Wolke.
Lagos' Haus stand dicht bei der Wegmauer. Als Antigonos in den Vorraum trat, begegnete ihm der Vater. Er war eine alte dickbäuchige und dünnbeinige Person, kahlköpfig, mit Säcken unter den Augen und großer herabhängender Unterlippe.
In einen weißleinenen Chiton gekleidet und eine Leinwandbinde um den Kopf, kam er aus dem Hinterhof, und an einigen Blutflecken an der rechten Hand und am Saume des Gewandes entdeckte Antigonos sofort mit Abscheu, daß Lagos der alten Gewohnheit gemäß geopfert hatte. Aber der Priester berichtete nicht, was er in den Eingeweiden des schwarzen Opferstieres gesehen hatte. In der Dämmerung war ein großer Schwarm Raben schreiend nach Osten geflogen; dieses Wahrzeichen vom Blutbad in Judäa war jedoch von zweifelhaftem Wert. Dagegen war gleichzeitig mit den ersten Sonnenstrahlen ein Adler von Osten her gekommen und westwärts hinübergekreist; – was er nicht nur für ein Siegeszeichen der Römer, sondern auch, weil er über seinem Haus hingeflogen war, als gute Vorbedeutung für des Sohnes glückliche Heimkehr auslegte. Besonders beruhigte ihn außerdem – der Geburtsstern Antigonos' hatte gegen Mitternacht die Linie zwischen dem siebenten und achten Haus überschritten. Damit war er der Gefahr entflohen und zum Ruhm gelangt, während die Venus am Himmelsscheitel strahlte und der böse Saturn in dem unteren Tore stand – was für keinen Planeten erfreulich ist –, und wo Mars sich noch gar nicht gezeigt hatte.
Trotz dieser unverbrüchlichen Himmelszeichen rollten die Tränen über die gefurchten Wangen des braven Mannes, als er gegen Abend seinen eisengekleideten Sohn zum Abschied umarmte; denn auf ihm, der jetzt auf die blutige, von seinem Vater nie betretene Bahn hinauszog, ruhten ja die Zukunftshoffnungen des Geschlechts.
Der Sternensohn war besiegt. – Verwundet durch den Pfeil eines Zeloten bei dem Sturme auf Biththér hatte Antigonos in Cäsarea lange krank gelegen. Zwei und ein halbes Jahr waren vergangen, als er vom Bord eines Schiffes, das auf dem Wege nach Thessalonika war, an der Mündung des Peneus in Stenä ans Land ging. Die Abenddämmerung sank schon herab, als er die Enge des Tempepasses erreichte und sich dem Orte ihres letzten Stelldicheins näherte. Er ging schnell, – an die Last der Rüstung gewöhnt – voll froher Erwartungen, diese jedoch oft von Schreckbildern unruhiger Ahnungen und ängstender Spannung unterbrochen. Aber er schüttelte diese Kümmernisse wiederholt von sich ab; Erinna war jung und gesund – sie war ihm treu. Vielleicht würde er sie – in Träumereien über ihn versunken – an dem alten Felsenstück sitzend finden, das über den Fluß hinaushing. Und indem dieser Gedanke ihn festhielt, beschleunigte er seine Schritte, bezwang sich wieder, ruhiger zu gehen und fing zuletzt doch zu laufen an. Jetzt machte der Pfad die letzte Biegung – und – ja, dort saß sie auf dem Felsen in dem gelben Chiton, das braune Haar über dem Rücken herabwallend. – –
»Erinna, Erinna!« rief er und sprang hervor. Aber mit einem Schrei hielt er inne. Sie war verschwunden, während die Felsen noch ihren Namen wiederholten. Einen Augenblick später stand er an der Stelle und starrte hinab. Er sah nichts anderes als Peneus, der, vom Herbstregen angeschwollen, – in dunklen Wirbeln und weißverbrämt, – mit gurgelnden Klängen unten vorüberschoß, während rund umher die Wälder schwerfällig rauschten. Der Wind strich rauhkalt die Kluft hinauf; weiße faserige Wolken jagten schräg darüber hin. Beklemmten Herzens betrat er den Waldpfad. Bei der Gartenmauer Thrasykles' schlich eine weiße Gestalt an ihm vorüber. Er erkannte sofort die Lieblingssklavin Erinnas, die sie immer bei ihren Zusammenkünften begleitet hatte. Er ergriff sie am Arme. »Myrtis! wie geht's deiner Gebieterin?« »Ah, Antigonos! bist du es? ... Meine Gebieterin? Ich nehme an, daß es ihr gut geht.«
»Du nimmst es an?«
»Ja, sie ist ja nicht mehr hier.«
»Nicht hier? aber um der Götter willen!«
»Wie? Weißt du denn nicht, daß sie vor einem halben Jahr mit dem römischen Tribun vermählt wurde?«