Salomon Geßner
Neue Idyllen
Salomon Geßner

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Daphnis. Chloe.

Früh am Morgen trat Daphnis aus der Hütte, und fand Chloen, seine kleinere Schwester, beschäftigt aus Blumen Kränze zu winden. Thau glänzte auf allen, und zu dem Thau fielen ihre Thränen.

Daphnis. Liebe Chloe, was sollen diese Kränze? Du weinest, ach!

Chloe. Weinst du doch selbst, mein Lieber! Aber ach! Sollten wir nicht weinen? Sahst du es, wie traurig unsere Mutter bey uns vorübergieng; wie sie uns die Hände drückte und schluchzte, und ihr thränenvolles Aug verbarg.

Daphnis. Ich sah es. Ach unser Vater! Er muß wohl mehr krank seyn als er gestern war.

Chloe. Ach, mein Bruder, mein Bruder! Wenn er stirbt! – – Ach wie er uns lieb hat, wie er uns küßt, wie er uns herzt, wenn wir thun was er gerne hat, und was den Göttern gefällt!

Daphnis. Ach liebe liebe Schwester! Wie traurig alles ist! Umsonst liebkoset mich mein kleines Schaf; fast, ach fast vergeß ichs, ihm seine Speise zu geben. Umsonst flattert meine Taube auf meine Schulter, und schnäbelt mich um meine Lippen und um mein Kinn; nichts, nichts macht mir Freude! Ach unser Vater! Sollt er sterben, ich stürbe auch.

Chloe. Ach, unser Vater! Weissest du noch? Fünf Tage sinds nun, seit er uns beyde auf seinem Schoosse hielt und weinte - - -

Daphnis. Ach Chloe! Wie er uns auf die Erde stellte, wie er erblaßte! Ich kann euch nicht mehr halten, geliebte Kinder! Mir ist übel, sehr übel; und da wankt er zu seinem Bethe: Seitdem ist er krank.

Chloe. Ach immer kränker! Sieh was ich vorhabe, Bruder. Früh gieng ich aus der Hütte, um frische Blumen zu brechen, und diese Kränze zu machen; dann gehe ich zu der Bildsäule des Pan; denn, immer sagen unser Vater und unsre Mutter, die Götter sind gütig, und hören gerne fromme Gebete. Ich will gehn, und diese Kränze ihm opfern; und, sieh du es hier im Kefigt, das liebste was ich habe, mein Vögelgen, will ich ihm auch opfern.

Daphnis. Ach, meine liebe Schwester! Ich will mitgehn; warte, nur zween Augenblicke warte: Ich will mein Körbgen voll der schönsten Früchte holen; und meine Taube, die will ich auch zum Opfer bringen.

Er lief, und kam bald zurücke; und sie giengen zu der Säule des Pan, die nicht weit unter Fichten auf einem Hügel stand. Jezt knieten sie vor ihm hin; und so fleheten sie zu dem Gotte:

Daphnis. Pan, du gütiger Schützer unsrer Triften, höre, höre unser Flehn! Wir sind die Kinder des kranken Menalkas; höre, o höre unser Flehn!

Chloe. Höre, o höre unser Flehn, guter Pan! Nimm an unser kleines Opfer wie Kinder es geben können: Diese Kränze leg' ich vor dir hin; möcht' ichs erreichen, um deine Schläfe und deine Schultern würd' ich sie winden. Rette, o rette, gütiger Pan, unsern Vater, und schenke ihn uns armen Kindern wieder - -

Daphnis. Diese Früchte bring ich dir, die süssesten die ich habe; nimm, ach nimm sie gütig an! Die beste Ziege würd' ich dir geopfert haben, wäre sie nicht stärker als ich Kind bin. Aber bin ich grösser, dann opfre ich dir alle Jahre zwo, daß du unsern Vater uns schenktest. Laß unsern besten Vater gesund werden!

Chloe. Dieses Vögelgen will ich dir opfern, gütiger Pan; es ist unter allem das ich habe das liebste. Sieh, es fliegt auf meine Hand, um Speise zu haben; aber opfern will ichs dir, guter Pan!

Daphne. Und diese Taube würg' ich dir. Sieh, sie will spielen und freundlich thun; aber opfern will ich sie, guter Pan, daß du den Vater uns schenkest: Höre, o höre unser Flehn!

Die Kinder wollten izt würgen mit kleinen zitternden Händen; aber eine freundliche Stimme rief: Gerne hören die Götter die Gebete der Unschuld; würget eure Freude nicht Kindergen, euer Vater ist gesund! Und er war gesund. Entzückt über die Frömmigkeit der Kinder, giengen sie selbiges Tages noch alle, dem Pan zu opfern; und Menalkas erlebte in vollem Segen seine Enkel.


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