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Es war ein kühler, heiterer Wintertag in der letzten Hälfte des Monats Dezember, an dem der alte Slowtrap und ich mit unseren drei fröhlich nebenher springenden Hunden ausrückten.
Der Alte saß auf seinem Klepper, auf dem er einen Sack mit Lebensmitteln, unsere Decken und meine Felle aufgeladen hatte, während ich ohne Ladung, mit Mokassins, Leggins und Jagdhemd bekleidet, ein ungegerbtes Waschbärenfell als Mütze auf dem Kopfe, rüstig voranschritt. Mein Alter, wie er so auf dem Pferde kauerte, sah übrigens aus, als ob er wenigstens 300 Pfund wiegen müßte, so hatte ihn seine Frau mit Ober- und Unterkleidern herausstaffiert, während ich nichts als Sommerzeug trug – beiläufig gesagt, hatte ich keine Winterkleider –. Doch fühlte ich beim Marschieren die Kälte nicht, und lustig wanderten wir einen schmalen Fahrweg entlang durch den dichten Wald.
Unsere Straße zog sich im Anfange etliche Meilen durch sumpfiges Land hin; wir erreichten aber bald die Hügel, die den kleinen Fluß Petite-Jeanne vom Fourche la fave trennen, und mit ihnen trockenen Weg.
Dicht am Petite-Jeanne hatte die County Yell (nach dem Gouverneur von Arkansas so benannt) einen neuen Gerichtssitz oder sogenannten »county seat«, ausgesucht, was dann natürlich sogleich den Anfang einer kleinen Stadt bezweckte, die genau denselben Umfang wie Perryville hatte, d. h. zwei Häuser und einen Stall.
Eigentümlich ist der Anfang einer Stadt in Amerika. Die Straßen werden abgesteckt und oft eine halbe Meile lang angedeutet, was dadurch geschieht, daß in der Richtung, in der sie laufen, kleine Stückchen Rinde von den Bäumen abgeschlagen und an die verschiedenen Straßenecken Brettchen angenagelt werden, auf die mit schwarzer Farbe geschrieben ist: »mainstreet - secondstreet - walnutstreet - elmstreet«. Mitten im Walde entdeckt man oft diese Zeichen beabsichtigter Kultur und erfährt dann erst, daß man sich in der Hauptstraße einer Stadt befindet.
Ist die Lage des neugeborenen und zugleich getauften Städtchens gut, so wächst es unglaublich schnell, denn der Amerikaner spekuliert ungeheuer. Liegt es aber nicht besonders, vielleicht noch dazu in einer Ecke des Gebietes, daß ein Teil der zum County Gehörenden zu weit zu den Gerichtssitzungen zu gehen hat, und daß daher aus diesem Grunde der county seat von dem nur wenige Jahre alten, noch unmündigen Städtchen verlegt wird, dann sieht es freilich betrübend aus. Die Handelsleute ziehen sich hinweg, angefangene Bauten werden vernachlässigt, die verlassenen Blockhäuser, vom Sturme abgedeckt, verfallen, und das Gerichtshaus wird, wie ich das unfern des Whiteriver sah, in eine »corncrip« verwandelt.
In »Danville«, wie der Ort genannt wurde, war ein kleiner Laden, der sich anfing zu etablieren, d. h. ein spekulierender Geist hatte vom Arkansasfluß (etwa 20 Meilen von dort entfernt) ein Faß Whisky hinzuschaffen gewußt und kaufte nun für bar Geld oder Whisky, natürlich bedeutend unter dem Preise, alle Felle und Pelze, die er bekommen konnte. Er hatte übrigens auch Pulver, Blei, amerikanische Zündhütchen (beiläufig gesagt, sehr schlechtes Zeug), Kaffee und Zucker, und ich vertauschte, was ich an Fellen hatte, für Pulver, Blei und Kaffee.
Auf diese Art etwas leichter geworden, zogen wir an dem dicht angesiedelten Bache »spring creek«, wo wirklich eine hübsche Farm an der andern lag, hinauf, bis an einer Wassermühle vorbei, wo die letzten Ansiedelungen aufhörten. Erst als es zu dunkeln anfing, und der Himmel sich ebenfalls umzog, sahen wir uns nach einem Lagerplatz um.
An einer umgestürzten Fichte hielten wir, nahmen die Last vom Pferde, gaben ihm etwas vom mitgenommenen Mais und gingen dann rasch an die Arbeit, um erstens Holz genug zur Feuerung für die ganze Nacht zusammenzutragen und dann auch eine Art Wetterschutz gegen den etwa heranziehenden Regen zu bauen. Fichtenrinde lag im Überfluß um uns herum, und obgleich sie zu diesem Zwecke der vielen Löcher wegen, die der Holzwurm hineinbohrt, nicht sehr vorzüglich ist, benutzten wir sie in Ermangelung einer besseren Art dennoch, legten sie doppelt und dreifach aufeinander und brachten so ein ziemlich wetterfestes Dach zustande.
Bald war es fertig, und ermüdet warf ich mich neben das Feuer hin; aber mein Gefährte war noch lange nicht zufriedengestellt. Immer mehr große Stücken Rinde schleppte er zusammen, um sie an der Seite und am Rückteil aufzustellen, wie auch ebenso einen Teil derselben auf die bloße Erde zu breiten, damit die ersteren den Wind abhalten, die anderen aber dazu dienen sollten, unsere Körper von dem feuchten Boden entfernt zu halten.
Wohl oder übel, ich mußte wieder auf und Rinde tragen helfen, bis er endlich selber erklärte: »That'll do« (das tut's). Unser einfaches Abendbrot war bald beendet.
Er zog jetzt seinen alten, abgeschabten Rock aus und faltete ihn bedächtig zusammen, um ihn neben seinem Sattel als Kopfkissen zu gebrauchen, legte seine wollene Decke der Länge nach auf die Fichtenrinde, und zwar den einen Rand gegen das Feuer, daß er, sich auf denselben legend, die Decke über sich herüber, gegen die Glut zu schlagen konnte, schürte den Holzstoß noch einmal tüchtig auf, zog dann seine Schuhe aus und stellte sie, die Sohlen nach oben, neben sich, damit, im Fall es regnen sollte, ihm das Wasser nicht hineinlaufe, hängte die Strümpfe über sich, gerade unter das Rindendach, daß sie ordentlich trocken und warm blieben, legte sich dann sacht und behutsam nieder, deckte sich zu und war bald eingeschlafen.
Ich hatte noch keine Ruhe und warf mich dicht am Feuer hin, die Glut mit einem abgehauenen Stecken aufstörend, daß die Funken knisternd und wirbelnd emporfuhren und von dem sich etwas erhebenden Winde oft weit, weit in die dunkle Nacht hinausgejagt wurden. Einzeln fallende Tropfen mahnten mich endlich ebenfalls, das trockene Lager zu suchen.
Die aufgehende Sonne fand uns schon wieder auf dem Marsche, und weiter nichts Bemerkenswertes sahen wir den ganzen Tag, als gegen Abend nicht weit vom Ufer des Arkansas einen alten Pflaumengarten der Cherokesen.
Es war ein offener Platz, wohl mehrere Meilen im Umfange, dicht mit kleinen, 2–6 Fuß hohen Pflaumenbüschen bedeckt, die noch von den Cherokesen herrührten und auch »Cherokee-plums« genannt werden. Die Büsche tragen kleine, runde, außerordentlich süße Früchte, die etwa im August reifen. Ähnliche Pflaumenanlagen sind an mehreren Stellen am Arkansas und Mississippi. Noch vor Dunkelwerden erreichten wir den Arkansas, der kleinen Stadt Pittsburg gerade gegenüber, und ließen uns übersetzen.
Da unser Kassenbestand sehr schwach war, gingen wir gar nicht in die Stadt hinauf, sondern blieben gleich unten am Ufer, zündeten ein Feuer an, richteten einige Bretter, die der Fluß dort, wahrscheinlich von einem versunkenen Boote, angespült hatte, auf, daß sie ein ziemlich gutes Dach bildeten, und waren sehr bald wieder häuslich eingerichtet.
Da wir scharf marschieret waren und unsere Hunde, aus Furcht, sie zu verlieren, vom Jagen stets zurückgehalten hatten, übrigens auch nicht einmal einen Truthahn auf unserem Marsch gesehen hatten, so ging unsere Zehrung jetzt ziemlich auf die Neige, und das Pferd hatte von nun an weiter nichts als meines Reisegefährten wohleingepackte Person oder auch mich wohl einmal abwechselnd zu tragen. Doch richteten wir unsere Lebensmittel so ein, daß wir noch Abendessen und Frühstück für uns und die Hunde behielten, und legten uns dann ruhig aufs Ohr.
Den nächsten Tag zogen wir ein großes Stück Weges dieselbe Strecke entlang, auf welcher vor vielen Jahren die östlichen Indianer nach dem Westen transportiert wurden, und noch überall zeigen viereckige, ausgehauene Löcher in den umgestürzten Bäumen die Stellen an, wo die indianische squaw ihren Mais stieß, um für den Krieger das Brot zu backen. Aber viel traurigere Zeichen sind die Pferde- und selbst noch dann und wann Menschenknochen, die wenige hundert Schritt von der Straße ab zerstreut liegen.
Mancher tapfere Häuptling, manche junge squaw fand dort auf der Straße durch Krankheiten, die unter den armen Vertriebenen herrschten, ihren Tod. Selbst die nächsten Verwandten und Freunde konnten nichts weiter für sie tun, als sie in ihre Decken wickeln, mit Pfählen und Reisern bedecken, um die Aasgeier abzuhalten, die, wie mir alle Amerikaner erzählten, zu Tausenden fortwährend über dem Zuge hinschwebten und demselben folgten, und sie dann ihrem Schicksale überlassen. Ihre weißen Treiber ließen ihnen ja nicht einmal Zeit, sie zu begraben. Die Wölfe, die, fortwährend dem Zuge in mäßiger Ferne folgten, rissen dann natürlich schon denselben Abend die schwache Schutzwehr ein und zerrten die Gebeine der aus ihrem Vaterland Verjagten im Walde umher. Traurige Folgen der Zivilisation! Hierbei aber zeigte sich auch ganz wieder der schändliche Schachergeist, mit dem alles in Amerika rein kaufmännisch betrieben wird, in seinem grellsten Lichte.
Die Regierung hatte sich verpflichtet, die Indianer, nachdem diese ihr Land an die Vereinigten Staaten abgetreten hatten, auf den ihnen bewilligten Boden, Hunderte von Meilen entfernt, frei hinzuschaffen, und akkordierte nun, um weniger Umstände zu haben, mit Privatleuten den Transport, welche dann für eine gewisse Summe, die ihnen ausgezahlt wurde, und die auch hinlänglich gewesen sein würde, alle auf die bequemste Art fortzuschaffen, das Geschäft übernahmen. Die armen Indianer aber verhungerten und verkümmerten fast unterwegs, und die, die den Akkord gemacht hatten, wurden reiche Leute. Man transportierte sie allerdings, aber mehr wie eine Sendung Waren als lebende Wesen, und was unterwegs zugrunde ging, brauchte eben nicht länger verköstigt zu werden.
Und nicht einmal satt zu essen bekamen die Unglücklichen dabei, denn Farmer, die sowohl in den Sümpfen als in den Gebirgen an der Straße wohnten, auf der die Indianer fortgeschafft wurden, haben mir mehrmals versichert, daß diese das letzte verkauft hätten, um nur Brot anzuschaffen. Pferde verhandelten sie für 2–3 Dollars, Büchsen und Tomahawks für Brot; und Medizin war gar nicht für sie angeschafft, so daß, besonders auf der Straße, auf welcher wir jetzt gingen und wo die Kolik auf eine fürchterliche Weise unter ihnen ausbrach, Unmassen starben. Selbst von denen, die nicht unterwegs den Anstrengungen unterlagen, starben Tausende, sobald sie ihre neuen Wohnorte erreichten.
Ungefähr drei Uhr nachmittags kamen wir an die Ozarkgebirge und zogen, dort angelangt, dicht vor den Gebäuden einer Farm vorüber. Mehrere zahme, ganz weiße Truthühner gingen im Wege herum, und mein Hund, der ganz vorzüglich auf der Truthahnjagd war, bis jetzt aber nur wilde, und folglich schwarze, gesehen hatte, betrachtete sie wohl ein paarmal von der Seite, nahm jedoch weiter keine Notiz von ihnen, bis ihm einer gerade über den Weg lief und er so auf die ganz frische Fährte kam. Blitzschnell folgte er und war augenblicklich dicht hinter dem weißen Vogel, bald die Fährte, bald diesen beriechend, als wenn er sagen wollte: »Wie paßt ihr beide denn eigentlich zusammen?« Doch der Truthahn schritt mit großen Schritten weiter, sich nur fortwährend von beiden Seiten nach seinem, ihm stets auf die Hacken tretenden, neugewonnenen Freunde umsehend, dem er doch nicht so recht trauen mochte. Slowtrap, den noch niemand hatte lachen sehen, lächelte.
Ich pfiff ihm endlich, und scharf weiter wandernd, zogen wir, dem Laufe eines kleinen Baches entgegen, zwischen steilen Bergwänden ein in die so langersehnten Gebirge.
Das Tal, durch welches das kleine Wasser sich ergoß, war sehr schmal; dennoch fanden wir Häuser an Stellen, wo niemand, keine vernünftige Seele wenigstens, eine menschliche Wohnung vermutet haben würde, da oft kaum fünf bis sechs Acker nutzbares Land in der Nähe lagen.
Ein Platz amüsierte mich besonders, wo wir weiter nichts als ein kleines Rübenfeld sahen, etwa 60 Schritt lang und ebenso viele breit, an dessen einer Ecke Rauch in die Höhe stieg.
Da auch nicht die Idee von irgendeinem Gebäude, also auch von keinem menschlichen Wesen zu sehen war, so wollte ich gern wissen, wo der Rauch herkam, und ging darauf zu, erstaunte aber, an der Ecke des Feldes angelangt, nicht wenig, als ich gerade in den Schornstein hinuntersah. Das Haus war unten in eine Schlucht hineingebaut, wahrscheinlich um das kleine Stückchen fruchtbares Land, das oben lag, nicht noch mehr zu beschränken.
Was Leute veranlaßt haben kann, sich in solchen Winkeln niederzulassen, da doch ungeheure Strecken herrlichen Landes in Arkansas noch zu haben sind und unbenutzt liegen, weiß ich wahrlich nicht. Wir hielten uns jetzt links und erstiegen den »spur« oder die erste auslaufende Spitze, um auf den »teilenden Bergrücken« zu kommen, der die Wasser des »Mulberry« von denen des Arkansas trennt.
Der Abhang, an dem wir hinauf mußten, war sehr steil, doch erreichten wir ihn glücklich und hatten nun zur Belohnung eine recht freundliche Aussicht über die durchwanderte Strecke. Doch war es etwas zu trübe, um weit sehen zu können, auch fing der Himmel in Nordwesten an, sich wieder bedeutend zu umziehen.
Slowtrap hatte in der Zeit, in der ich mich dem Genuß der Fernsicht überlassen, ruhig und ohne ein Wort zu sagen, einen großen Stein an einen Abhang gewälzt, stieß ihn jetzt plötzlich hinab und hetzte die Hunde, die, bloß das Geräusch hörend, toll und blind in wilder Eile den steilen Abhang hinunter folgten. Der Stein rollte im Anfange langsam bergab, aber nur etwas in Schuß gekommen, machte er, von Absatz zu Absatz springend, auch Sätze von 20–30 Fuß, hier und da einen kleinen Baum losreißend und mit sich fortnehmend, und langte erst nach langem Poltern und furchtbarem Lärm unten im Tale an, unsere Hunde wie die wilde Jagd hinter ihm her. Mir war übrigens gar nicht wohl bei der Sache, denn ich fürchtete nicht mit Unrecht, daß sie Hals und Beine brechen könnten. Doch war Beargrease gescheiter als die übrigen gewesen und kam, sich duckend und mit dem Schwanze wedelnd, als wenn er wüßte, daß er eine Dummheit begangen habe, bei mir wieder an. Nach einiger Zeit folgten auch die anderen, keuchend und schnaufend.
Slowtrap schien sich übrigens sehr gut bei der ganzen Sache amüsiert zu haben, denn den Zügel um den linken Arm geschlungen, hatte er sich behaglich auf ein Felsstück gesetzt und der Hetze zugeschaut, ohne jedoch eine Miene zu verziehen.
Wir gedachten noch an diesem Abend einen langen Marsch, wohl an 10 Meilen, zu machen, um das erste etwa in dieser Entfernung liegende Haus zu erreichen, denn wir hatten weder etwas für uns selbst, noch für unser Pferd zu essen. Die Dämmerung brach aber immer merklicher herein, und mit langen Schritten zogen wir auf dem Hügel hin, dem wir, wie mir Slowtrap sagte, 6–7 Meilen folgen mußten, ehe wir an den »Mulberry« hinuntersteigen und erwarten konnten, ein Haus zu finden.
Immer dunkler wurde es, und nur ein schmaler, seit langer Zeit nicht betretener und mit gelbem Laub bedeckter Fußweg war unser einziger Führer; auf dem hielt ich mich aber aufmerksam, während Slowtrap langsam hinter mir herritt.
Es wurde jetzt ganz Nacht, und ein feiner, aber durchdringender Regen fiel aus den drohend zusammengeballten Wolken; doch unermüdlich und fast mit dem Gesicht auf dem Boden folgte ich der beinah' unsichtbaren Wegspur bis ungefähr zehn Uhr. Plötzlich aber jede Fährte verlierend, blieb ich stehen und erklärte meinem Alten, daß der Weg hier entweder aufhöre oder ich ihn übersehen habe; ich könne nichts mehr erkennen.
Der Alte, der bis jetzt geduldig und ohne nur ein Wort zu sagen mir gefolgt war, fragte mich, ob ich, wenn ich ein Stück zurückginge, wohl den verlorenen Pfad wiederfinden könne. Das Wetter war nicht sehr passend zu Unterhaltung, und ich schulterte schweigend meine Büchse, ging eine kurze Strecke zurück, beschrieb einen Zirkel und fand bald wieder den etwas dunkleren Streifen im Laube. Ich rief, und der Alte, der abgestiegen war, kam, sein Pferd führend, heran und sagte mir, ich möchte hinaufsteigen; er wolle den Weg verfolgen, da seine Augen doch besser mit dem Walde vertraut seien als die meinigen.
Mir war es ganz recht. Ich war müde vom vielen Laufen und kletterte schnell aufs Pferd, während Slowtrap mit vorgebeugtem Leibe etwa 200 Schritt vor mir herzog. Doch ungefähr auf derselben Stelle, wo wir früher gehalten hatten, blieb er auch jetzt stehen und schwur, er wolle verdammt sein, wenn der Weg da nicht aufhöre.
Weit konnten wir übrigens nicht mehr von dem Abhange des Berges sein, wo er sich nach den Wassern des Mulberry hinunterzog, denn der Wald wurde lichter vor uns, und Slowtrap sagte mir, daß er glaube, wenn es hell wäre, könnten wir das ganze Mulberrytal übersehen. Jetzt aber war es dunkel, und wir sahen nichts als unser eigenes Elend, in dem wir wohl eine halbe Stunde umhersuchten, einen Pfad zu finden. Es hat nämlich in diesen Bergen nicht geringe Gefahr, im Stockfinstern umherzuwandern, indem oft senkrechte Abhänge häufig an solchen Stellen gähnen, wo man sie am wenigsten vermutet, und wir in der Dunkelheit mit dem Pferde irgendwo einzustürzen fürchteten. Dabei goß der Regen jetzt in Strömen herunter, und wir waren naß wie die Katzen.
Endlich, da wir auch gar nichts mehr erkennen konnten, beschlossen wir, gerade hinabzusteigen; mochten wir nun hinkommen, wohin wir wollten; nässer konnten wir auf keinen Fall werden.
Steil und schlüpfrig ging's hinunter, und obgleich wir das Pferd führten, waren wir doch oft in Gefahr, in eine der steilen Klüfte zu stürzen, von denen wir an einer so dicht vorbeikamen, daß wir die Steine, die von dem Huftritt unseres Pferdes abgestoßen wurden, in die Tiefe rollen hörten. Es mochte elf Uhr sein, als unsere Hunde die ersten Lebenszeichen mit Knurren und dumpfem Bellen von sich gaben und der älteste, ein alter, gedienter Bursche mit mancher breiten ehrenvollen Narbe auf dem Leibe, stehen blieb, die Nase in die Höhe streckte und ein kurzes, klagendes Geheul ausstieß. Es wurde aus der Ferne durch ein scharfes Gebell beantwortet, das uns neue Lebenskräfte gab, und mit erneuter Anstrengung und frischem Mute klommen wir herab, immer dem Gebell der Hunde zu, das wir leicht, im Fall es einmal nachließ, durch das nachgeahmte Heulen eines Wolfes wieder anreizen konnten.
Endlich, am Fuße des Berges und zugleich an einem Waldstrom angekommen, erreichten wir ein kleines Haus, von welchem aus wir die Hunde gehört hatten. Wir traten natürlich ein und erhielten Obdach, bekamen aber keine besonders freundlichen Gesichter zu sehen.
Slowtrap und ich waren am nächsten Morgen eines Sinnes. Teils mit unserem Wirte nicht zufrieden, dem sehr wenig an uns gelegen zu sein schien, teils nach dem nächtlichen Regen die Anschwellung des Mulberry fürchtend, was in den Gebirgen außerordentlich schnell erfolgt, brachen wir mit Tageslicht wieder auf, durchkreuzten den etwa knietiefen Fluß und gingen zu einem Farmer namens Davis, der uns herzlich und gastfreundlich empfing.
Mr. Davis, der, wie ich später erfuhr, nicht allein Farmer, sondern auch zuzeiten Prediger war, wollte uns auf keinen Fall sofort wieder fortlassen. Es hatte nämlich die ganze Nacht in Strömen gegossen, und alle Bäche und Flüsse in den Gebirgen glichen mehr Wasserstürzen als gewöhnlichen Bergströmen.
Die Leute behandelten uns wirklich auf das Freundlichste; aber selbst am nächsten Tage wurde es uns nicht so leicht, durch die immer noch angeschwollenen Wasser zu kommen, besonders da wir nur ein Pferd hatten. Mein Alter war in der dortigen Gegend jedoch zu gut bekannt, als daß wir von jetzt an die Nächte hätten im Walde zu bleiben brauchen, und so erreichten wir denn auch an diesem Abend, naß und müde, mit auf den Leib angefrorenen Kleidern, das Haus eines alten squatters.
An diesem Tage hatten wir auch den Haupt-Bergrücken, die sogenannte »boston divide«, überstiegen, der die Wasser des Whiteriver von denen des Mulberry trennt, und befanden uns jetzt an jenem Strome, der freilich hier so klein war, daß man hinüberspringen konnte, obgleich ihn weiter unten, nach der Mündung zu, Dampfboote befahren.
Die Gegend und der Wald sahen hier auch ganz anders aus als weiter südlich an der andern Seite des Arkansasflusses. Von dem grünen Nadelholze war keine Spur mehr zu sehen; nur dürr und kahl bedeckten Eichen, Buchen und Hickory die grauen Gebirge und gaben, wenigstens für das an die grünen Schluchten gewöhnte Auge, der Landschaft einen traurigen, eintönigen Anblick.
Besonders auffallend war es mir übrigens, daß das fruchtbarste, schönste Land gerade auf dem höchsten Gipfel der Berge lag, und dort oben, wo, besonders am Fourche la fave, immer nur der schlechteste Boden ist, gediehen der schwarze Walnußbaum, die wilde Kirsche – und zwar von 18–20 Zoll im Durchmesser –, der »black locust«, die amerikanische Akazie, und der Zucker-Ahorn, lauter Bäume, die nur auf dem fettesten Boden gut fortkommen. Der »black locust« war besonders häufig zu finden, und seine langen, spitzen Dornen machten keineswegs eine Annehmlichkeit unseres Marsches aus.
Am 24. Dezember näherten wir uns endlich unserem Ziele, dem Wohnorte von Slowtraps Schwiegervater. Gegen Nachmittag kamen wir an einem kleinen Häuschen vorbei, in dessen Tür ein dicker, rotköpfiger Mann stand. Slowtrap, nachdem wir ein Stückchen an der Tür vorbei waren, sah mich an und erzählte mir, bedeutsam dazu mit dem linken Augenwinkel blinzelnd, daß der Mann vor vier Jahren eine Wanduhr gekauft habe, wegen der, als sie ein paar Tage gegangen, Zweifel in ihm aufstiegen, ob sie auch inwendig überhaupt in Ordnung sei. Er nahm sie daher herunter, schraubte sie ganz auseinander, überzeugte sich selbst, setzte sie, nachdem er alles genau darin gesehen hatte, wieder zusammen, und soll nachher behauptet haben, »er hätte noch Räder genug übrig behalten, um eine neue Uhr damit in Gang zu bringen«.
Es fing jetzt an zu dunkeln. – Es war Weihnachtsabend, und mir ward es wieder für eine kurze Zeit gar weh ums Herz. Alle die alten fröhlichen Bilder der lieben Weihnachtszeit tauchten auf in meiner Seele und zeigten mir um so greller die leere Einsamkeit, in der ich mich befand. Daß Erinnerung so süß und doch dabei so bitter sein kann!
Noch zur rechten Zeit kamen wir zu Slowtraps Schwiegereltern, zu den alten Konwells. Sie lebten in einer kleinen Blockhütte, rings von waldigen, steilen Gebirgen umgeben und dicht am Ufer des Whiteriver, der hier jedoch noch so schmal ist, daß darüber hinweggestürzte Bäume zu Brücken dienen. Um ein flackerndes Feuer war Konwells Familie versammelt; er selbst war nicht da.
Eine freundliche Matrone stand von ihrem Sitz auf. Ihren Schwiegersohn erkennend, bot sie ihm herzlich die Hand, und zwei rüstige Knaben von acht und elf Jahren sprangen ebenfalls auf, ihn zu begrüßen. Noch war eine andere Person im Zimmer, ein junges schlankes Mädchen, das sich bescheiden zurückhielt, doch kam auch sie endlich hervor, ihrem Schwager, der sie Sophie anredete, die Hand zu bieten.
Auch der Fremdling wurde nicht vergessen und von allen herzlich begrüßt. Mir aber, dem es noch vor einem Augenblicke so weh gewesen war, der ich mich so unendlich verlassen und elend gefühlt hatte, kam auf einmal, wie ich das freundliche, ehrliche Gesicht der alten Frau, die sanften Züge des jungen Mädchens und die offenen Gesichter der Knaben sah, ein stiller Frieden ins Herz. Mir war es, als ob ich wieder einmal eine Heimat gefunden hätte und endlich wieder zu Hause angelangt sei. Noch nie in meinem Leben habe ich mich bei fremden Leuten, und zwar gleich vom ersten Augenblicke an, so wohl, so heimisch gefühlt.
Eine halbe Stunde mochten wir ungefähr gesessen haben, als der alte Konwell eintrat. Habe ich je die Biederkeit einem Gesichte eingeprägt gesehen, so war es das seinige. Ein alter Mann mit schneeweißen Haaren, aber rüstig, als wenn er zwanzig Jahre alt wäre, in Jagdhemd und Mokassins und bloßem Halse. Nachdem wir einander die Hand geschüttelt und eine Stunde beisammen gesessen hatten, schien es mir, als ob ich ihn von Kindesbeinen an gekannt hätte, und der Abend verflog mir mit unglaublicher Schnelle.
Am ersten Weihnachtstage war es bitter kalt, und wir hatten eben ein herrliches Feuer im Kamin angemacht, als John, der jüngste der Knaben, hereingesprungen kam und uns sagte, daß wieder ein ganzer Gang Truthühner im Kornfelde sei. Ich nahm schnell meine Büchse, pfiff Beargrease und war im Augenblick im Felde. Beargrease hatte aber kaum die Truthühner gewindet und das Losungswort gehört, als er wie ein Pfeil unter sie hineinbrach, und schnell flatterten sie in die das Feld umgebenden Bäume. Ich schoß einen herunter, lud wieder und versuchte den jetzt Entflohenen zu folgen, um noch einen zweiten zu erlegen, ließ aber Beargrease bei dem geschossenen zurück, da viele Schweine in der Nachbarschaft umherliefen. Nicht wieder zum Schuß gekommen, kehrte ich zu meiner Beute zurück und fand dort, daß Beargrease alle Hände voll zu tun hatte, einen andern, weit größeren Hund, der ihm den anvertrauten Truthahn wahrscheinlich streitig machen wollte, zu beweisen, daß er gar nichts bei der Sache zu tun habe. Er hatte ihn über einen daneben liegenden, umgefallenen Baumstamm geworfen und hielt ihn dort mit dem grimmigsten Gesichte von der Welt fest. Nur als er mich kommen sah, wedelte er mit dem Schwanze: vorn bös und hinten freundlich, wie Janus.
Ich befreite den armen Teufel aus seiner bösartigen Lage, und Beargrease, der, noch fortwährend knurrend, dem andern die grimmigsten Blicke zuwarf, streichelnd und zusprechend, bezeigte ich ihm meine ganze Zufriedenheit und Dankbarkeit für sein gutes Betragen.
Ein paar Tage lang vergnügte ich mich mit Truthahnschießen, meinem alten Slowtrap erst Zeit lassend, dort zu besorgen, was er zu besorgen hatte, als dieser mir auf einmal kundtat, daß er seine Geschäfte schneller, als er im Anfange geglaubt, beendigt habe und gleich nach seinem Hause zurückkehren wolle. Seine Abreise war mir aber aus zwei Ursachen sehr unangenehm: erstens, weil er ein höchst angenehmer Gesellschafter war, zweitens aber, weil er alle die Gebirge dort genau kannte. Er wollte sich jedoch nicht zurückhalten lassen, und sein Abmarsch wurde auf den nächsten Morgen festgesetzt.
Am Nachmittag, da die Sonne recht warm und freundlich auf die kalte Erde herabschien, hatten wir uns vor das Haus begeben und erzählten uns etwas. Slowtrap aber, dem das Liegen auf der feuchten Erde nicht gefallen wollte, war auf die ungefähr 5 Fuß hohe Fenz gestiegen, die das Feld einschloß, und gab uns eben eine seiner launigen Geschichten zum besten, ohne dabei auch nur eine Miene zu verziehen. Mehrere Kühe hatten sich unter der Zeit gerade hinter ihm eingefunden. Nun trug er, wie ich schon erwähnt habe, einen alten, abgetragenen Frack, dessen Schöße an der andern Seite der Fenz weit hinunter hingen, während in der einen Tasche sein von Schweiß feuchtes Taschentuch steckte. Er hatte an demselben Morgen schon mehrere Berge erstiegen und sich erhitzt. Die Kühe aber sind stets hinter Salz oder salzigen Gegenständen her und hatten wahrscheinlich gewittert, daß sich etwas Salziges in der Tasche befand. Kurz, eine von ihnen, etwas dreister als die übrigen, war leise herangekommen, hatte seinen Frackzipfel in das Maul genommen und kaute daran.
Ich hatte erst dem ganzen Vorgange mit Vergnügen zugesehen, bis ich zuletzt glaubte, daß doch wohl sein Rock in Gefahr kommen könnte, zerkaut zu werden. Ich rief ihm zu, hinter sich zu sehen. Er sah sich um, und die Kuh bemerkend, die ihn mit ungemeiner Gemütsruhe hinten am Rockschoße hatte, warf er einen seiner langen Arme herum, sie fortzujagen. Armer Slowtrap!
Die Kuh, durch den langen Arm scheu gemacht, fuhr zurück, hatte aber unglücklicherweise beim Kauen einen der unteren Frackknöpfe zwischen die Zähne bekommen und dadurch meinem armen Slowtrap, der so schon bloß in der Schwebe saß, einen plötzlichen Ruck gebend, standen seine Beine für einen Augenblick wie die Schornsteine eines Dampfbootes in die Höhe und folgten dann, dem Gleichgewicht des Körpers nachgebend, dem langen Leibe in die innere Einfriedigung.
Was weiter geschah, kann ich nicht genau sagen, denn wir anderen alle, die wir unten waren, wälzten uns augenblicklich vor Lachen auf dem Boden.
Am 27. Dezember morgens bestieg mein alter Gefährte sein Pferd, und mir und seinen Verwandten die Hand schüttelnd, war er bald im dichten Wald verschwunden.
Ich fing jetzt an, meine Siebensachen zusammenzupacken, um in die Gebirge zu ziehen und eine Jagd allein zu beginnen. Da sagte mir der alte Konwell, daß er gern mit mir jagen wolle, nur hätte er noch etwas zu Hause und in der Nachbarschaft zu tun, was ihn wenigstens auf ein paar Tage abhalten würde. Ich erwiderte ihm denn, daß ich vorausgehen wolle, weil ich ihm nicht so lange zur Last liegen möchte. Da wurde er aber ordentlich böse, versicherte mir, daß ich nicht ohne ihn fort dürfe, und schloß seine freundliche Einladung, in seinem Hause zu bleiben, mit den herzlichen Worten: »You are as welcome as the flowers in May« (so willkommen wie die Blumen im Mai). Solch liebevoller Einladung konnte ich nicht widerstehen und blieb gern.
Am 28. Dezember ritt er fort und kam erst gegen Abend des nächsten Tages wieder. Den Nachmittag fing es an zu schneien und schneite bis spät in die Nacht hinein, so daß wir schon glaubten, herrliches Jagdwetter zu bekommen. Die Freude währte aber nicht lange; es war zu warm. Denselben Abend bereiteten wir jedoch noch alles vor, was wir zur nächsten Jagd brauchten, besserten unsere Mokassins aus, gossen Kugeln, schliffen die Messer usw., und am 30. Dezember morgens zogen wir dem »pilotrock« (Lotsenfelsen) an den Quellen des Hurrikaneflusses zu.
Nachdem wir wieder über die sogenannte »boston divide« hinüber waren, hielten wir uns im Niedersteigen am Abhange des Berges hin, schlugen, als wir eine Quelle mit köstlichem Wasser gefunden, Feuer, und, um ein Jägerwort zu gebrauchen, »struck camp«, d. h. bereiteten uns vor, dort zu lagern.
Die Nacht war klar und kalt, doch hatte das warme Wetter den Tag über all den schönen Schnee verdorben, und wir waren daher bloß auf Birschen angewiesen. An einem prasselnden Feuer hingestreckt, ruhten wir unsere Glieder von den Anstrengungen des Tages aus und schliefen bald, unsere Hunde neben uns, gar sanft und süß.
Da wir noch nicht am rechten Jagdgrunde angelangt waren, brachen wir sehr früh auf, stiegen den Berg hinunter, gingen über den Hurrikane, und an der andern Seite desselben unsern Lagerplatz für die nächste Nacht bestimmend und dort Konwells Pferd, unsere Decken und Lebensmittel zurücklassend, fingen wir an, von verschiedenen Seiten den Berg zu ersteigen, um irgend etwas zum Schuß zu bekommen.
Der Hurrikane ist ein kleiner Bergstrom, der seinen Namen eigentlich von einem alten »hurricane« hat, der an seiner Mündung in früheren Zeiten einmal wütete, von dem aber noch jetzt die Spuren sehr deutlich zu sehen sind. Er ergießt sich in den Mulberry und strömt dann mit diesem in den Arkansas. Konwell hielt sich links, ich rechts, und steile Felsen hinaufklimmend, wo ich oft meinen Hund vor mir her heben mußte, erreichte ich endlich eine Art flacher Terrasse.
Es ist eine Eigentümlichkeit dieser Gebirge, daß sie terrassenförmig gebildet sind und, von unten betrachtet, gar nicht hoch aussehen, weil man immer nur höchstens den Gipfel der zweiten Abdachung zu sehen bekommt. Erklettert man aber eine, so hat man wieder eine andere, ebenso hohe vor sich, und die Jäger haben ein Sprichwort, daß, wenn man auch auf die oberste käme, doch immer noch eine darüber wäre.
Ich hatte von unserem Lagerplatze aus kaum die dritte Terrasse erstiegen, als ich mich in Schußnähe von einem feisten Schmaltier fand. Natürlich war ich nicht blöde, denn für unser Lagerfeuer bedurften wir Wildbret. Ich hängte es auf, zog weiter und fand bald darauf am Ende der Terrasse, wo sich eine Quelle steil den Berg hinunterstürzte, die ersten Bärenzeichen. Der alte Bursche hatte dort viele Steine umgedreht, um Würmer zu finden, und auch einige Sassafrasbüsche abgebissen. Da ich aber weiter keine Merkmale entdecken konnte, beschloß ich, zum Lager zurückzukehren, um morgen mit Hilfe meines Alten die Untersuchung fortzusetzen.
Ich ging an der Stelle vorüber, wo mein Schmaltier hing, lud mir die Hälfte auf und stieg zum Lager hinunter, wo ich Konwell schon beschäftigt fand, einen merkwürdig feisten Truthahn zurechtzumachen.
Ermüdet vom vielen Klettern, warfen wir uns jetzt auf unsere Decken, ein wenig zu verschnaufen, aber die sinkende Sonne und die immer schärfer und schneidender werdende Kälte ließ uns nicht lange ruhen und ermahnte uns, an Feuerung für die Nacht zu denken. Holz war übrigens in Unmasse in der Nähe, und wir brauchten es nur eine kleine Strecke zum Lager zu schleppen, wo denn auch in wenigen Minuten ein prasselndes Feuer gegen den gestirnten Nachthimmel emporschlug. Kaum hatte die Sonne die Baumwipfel der höchsten Kuppen verlassen, als es auch schon in der Schlucht, wo wir lagen, rabenschwarze Nacht war. Die Dämmerung dauerte keine zehn Minuten.
Es war Silvesterabend. In der Heimat flogen jetzt bei rauschender Musik fröhliche Paare Arm in Arm durch die erleuchteten Säle und vergaßen im Taumel der Freude vergangenes Leid, vergangenen Schmerz. Wie anders war es mir. Neben dem knisternden Feuer hingestreckt, nach dem blauen Sternenhimmel hinaufschauend, links neben mir den treuen Hund, rechts die Büchse, am Schlusse eines wieder traurig dahingeschwundenen Jahres, war es mir nicht wie tanzen und springen.
Seit sieben Monaten hatte ich keine Nachricht aus der Heimat und kam mir, hineingeklemmt zwischen die steilen, wilden Berge, vor wie einer, hinter dem die Welt abgeschlossen sei, und der nur vorwärts, nie mehr zurück könne.
Auch die Zukunft zeigte mir keine lockenden Bilder. Von allem, was mir lieb und teuer war, entfernt, allein – allein in der endlosen Wildnis, sah ich mich schon mit weißen Haaren, auf meine Büchse gelehnt, in den Bergen stehen, ein einsamer, freundloser Jäger. Dem alten Hawkeye muß es doch manchmal recht weh ums Herz gewesen sein.
Mein Alter hatte unter der Zeit, auf seinen linken Ellbogen gestützt, in die Flammen und die sich verzehrenden Kohlen geschaut und sich auch wohl wie ich der Erinnerung, an die Vergangenheit hingegeben. Die seinige mußte aber freundlicherer Art sein, denn er lächelte oft still in sich hinein. – Er hatte ein tätiges, bewegtes Leben hinter sich und ein freundliches Greisenalter vor sich, lebte im Kreise seiner kleinen, lieben Familie, in der Nachbarschaft mehrerer verheirateter Kinder und war selbst noch stark und rüstig genug; warum sollte er traurig sein?
Ich war aufgestanden, um mich ein wenig zu zerstreuen, schürte das Feuer an, warf die durchgebrannten Stücke zusammen und hatte mich eben wieder auf meine Decke zurückgelehnt, als Konwell das Gespräch aufnahm und mir sagte, daß er heut Abend gerade zweiundsechzig Jahre alt sei. Er war am Silvesterabend 1779 geboren, und noch so munter und kräftig, daß ich tüchtig zuschreiten mußte, wenn ich in den Bergen mit ihm Schritt halten wollte.
Er erzählte mir jetzt von seinem vergangenen Leben, wie er fortwährend als Pionier der Zivilisation vorausgezogen sei; erst in Karolina, dann in Kentucky, dann in Tennessee, dann in Missouri gelebt habe und nun in die Ozarkgebirge gezogen sei; daß ihm aber auch hier die Leute schon wieder zu sehr auf den Leib rückten und er nicht übel Lust habe, einen stilleren Ort auszusuchen. Er erzählte mir, wie glücklich und vergnügt er mit seiner Familie lebe, er erzählte von seinen Kindern; – und wie ich ihm zuhörte, kam auch wieder stiller Frieden in meine eigene Brust; es war mir, als ob ich von meiner eigenen Familie reden hörte.
So lagen wir, bis uns beiden endlich der Schlaf die Augenlider zu schwer machte, und uns in die Decken einhüllend, war bald Vergangenheit und Zukunft vergessen.
Am nächsten Morgen, als die Bäume auf dem Gipfel der westlichen Gebirge den ersten Sonnenstrahl zeigten, erhoben wir uns erst von unserem Lager, und den Reif von den Decken schüttelnd, atmeten wir mit froher Brust die frische, klare Morgenluft ein. Es war übrigens bitter kalt; das Wasser, welches wir in unseren Blechbechern neben uns stehen hatten, war hart gefroren, ebenso das Wildbret; doch bald dampfte vor uns ein schmackhaftes Frühstück, wie es sich kein Fürst hätte besser wünschen können. Saftiger Hirschbraten, fetter Truthahn, ein Becher heißen, starken Kaffees und geröstetes Maisbrot – wo war das Hotel, mit dessen Kost wir hätten tauschen mögen? – Der Mensch ist aber unersättlich, und mein Alter seufzte nach Bärenfleisch.
Ehe das Frühstück ganz fertig war, ging ich an den creek, der wenige Schritte von unserem Lager vorbeifloß, um mich zu waschen, fand aber ein ziemlich tiefes Loch mit kristallhellem Wasser, das an dem kalten Morgen ordentlich dampfte, warf meine Kleider ab und tauchte unter in dem klaren Element. Es war ein herrlicher Genuß, und ich empfand erst die Kälte, als ich wieder herauskam. Doch im Nu war ich bei der hoch auflodernden Flamme, und kaum hatte ich wieder meine trockenen Kleider an, als eine belebende Wärme mir durch den ganzen Körper strömte, daß ich mich so kräftig und stark fühlte, als ob ich Eichen hätte aus der Erde reißen können.
Der alte Konwell hatte mir lächelnd zugesehen, doch meinte er, es sei diesen Morgen für ihn ein wenig zu kalt, ganz hinein zu gehen, und begnügte sich damit, Gesicht, Brust, Hände und Füße darin zu baden.
Nachdem wir uns auf diese Art im kalten Element tüchtig gekräftigt, setzten wir uns zum Frühstück nieder, und Truthahn, Hirschbraten, Kaffee und Maisbrot verschwanden mit einer Entsetzen erregenden Schnelle. Selbst mein Hund schien sich darob zu verwundern, und vor uns sitzend, sah er mit offenem Maule zu, was ich eben seinem Erstaunen zuschrieb; Konwell aber behauptete, er hätte das Maul bloß der Bequemlichkeit wegen offen, damit er die Bissen, die ich ihm von Zeit zu Zeit zuwarf, leichter auffangen könnte; – er mochte vielleicht recht haben.
Nachdem die Kleinigkeit – ein halber Truthahn und der größte Teil einer Hirschkeule – zur allseitigen Zufriedenheit in Sicherheit gebracht war, machten wir uns auf den Weg, um den Bären aufzuspüren, dessen Zeichen ich am vorigen Tage gefunden hatte.
An Ort und Stelle angelangt, fingen unsere Hunde sogleich an unruhig zu werden, und den steilen Absatz der Terrasse hinunterjagend, hörten wir sie kurze Zeit darauf unten bellen. So schnell uns unsere Füße tragen konnten, folgten wir ihnen und kamen bald bei dem Flecke an, wo unter einem ungeheuren Felsblocke hin eine Höhle in den Berg hineinlief. Der Bär war darin; denn die abgebissenen Zweige bewiesen es zur Genüge, hätte ihn auch nicht seine Losung verraten, die an mehreren Orten unfern des Einganges lag.
Die Hunde vollführten einen wütenden Lärm, und um zu sehen, wo der Bär eigentlich stecke, legte ich meine Büchse hin, meine Kugeltasche daneben, und wollte eben mit dem Messer in der Hand ein wenig das Innere untersuchen, als Braun Unrat merkte. Er mußte dicht vor der Öffnung gelegen haben, die Höhle war nämlich nur 8 Fuß tief, und bloß eine kleine Krümmung hatte ihn unseren Augen verborgen. Das Bellen der Hunde würde ihn übrigens schwerlich aus seinem Gleichmut gebracht haben, als ich mich ihm aber näherte, hatte ich den Wind gerade im Rücken, und kaum spürte er mich, als er blasend und schnaubend heraus- und fortsprang, wobei er mich beinahe über den Haufen rannte.
Der Seitensprung, den ich machte, hätte einem Plänkler zur Ehre gereicht; mein Alter aber, der dergleichen Jagden schon mehr gesehen, war ruhig am Eingange des Schlupfwinkels stehen geblieben, meine Zurüstungen allerdings beobachtend, aber auch die Büchse gespannt in der Hand, und ehe ich und die Hunde uns von unserem Erstaunen erholen konnten, hörten wir auch schon den scharfen Knall seiner Büchse.
Der Bär schien übrigens fest entschlossen zu sein, sich durch nichts aufhalten zu lassen, und war bald in den Klüften verschwunden. Doch mit ihm auch unsere beiden Hunde, die erst durch den Schuß wieder zu sich selbst gekommen waren. Der alte Mann lachte aber herzlich, als er mich mit dem Messer in der Hand ganz verdutzt vor der leeren Höhle stehen sah, und bedauerte nur, daß er meinem Luftsprunge nicht seine ganze Aufmerksamkeit hatte widmen können, da ihn die fliehende Bestie zu sehr beschäftigte.
Wir folgten nun den Hunden, und auf den Felsen, über die wir den Bär hatten springen sehen, genau nachsuchend, fanden wir dunkeln Schweiß mit Äsung vermischt. Er war waidwund geschossen. Vor Blutverlust ermattet, konnte er auch nicht weit laufen, ehe ihn die Hunde einholten. Da sie aber beide jung und ungeübt waren, kostete es ihm nicht viel Mühe, sie sich vom Leibe zu halten; doch stellten sie ihn wenigstens.
Wir kamen gerade auf dem Kampfplatz an, als der Bär die Hunde zurückgeschlagen hatte und eben einen steilen bluff (Abhang) hinaufkletterte. Ich zielte nach dem Kopfe und zerschmetterte seine rechte Vordertatze. Überstürzend kam er zurück, wo ihn die Hunde wieder in Empfang nahmen.
Mein alter Gefährte war jetzt auch herangekommen, und ruhig zielend, sandte er dem sich nur noch matt Verteidigenden eine Kugel durch das Herz. Es war ein zweijähriger Bär, ziemlich feist, und versprach einen delikaten Braten; daher beschlossen wir, ihn nach Konells Wohnung zu schaffen.
Während sich also nun mein Alter darüber hermachte, ihn auszuweiden, ging ich zurück zum Lager, um unsere Decken zusammenzupacken und das Pferd zu unserem Wildbret zu holen. Ich ritt auch dort vorbei, wo der Rest meines Schmaltiers hing. Es war zu schönes Wildbret, es zurückzulassen. Unser Pferd hatte so rund 200 Pfund zu tragen, und da der Tag schon ziemlich weit vorgerückt war, beschlossen wir, an der nächsten Quelle, die wir erreichen würden, zu übernachten.
Auf einer ebenen Fläche über den Gipfel des Berges hingehend, hörten wir plötzlich einen ganzen Gang Truthühner einen greulichen Lärm vollführen, ein sicheres Zeichen von herannahendem schlechten Wetter.
Der Alte war wie ein Blitz vom Pferde herunter, und wir beide liefen dem Jelpen und Rufen zu. Nahe genug hinangekommen, hetzte ich aber meinen Hund, und in dem Augenblicke war es auch, als ob der ganze Wald von Truthühnern lebendig wäre, denn im Nu schwärmten die Bäume ordentlich von den dicken, dunkeln, unbeholfenen Gestalten.
Den mir nächsten schoß ich herunter, aber noch im Wiederladen begriffen, sah ich, wie mein Alter mit aufgehobener Büchse bedächtig zwischen den lange Hälse machenden Burschen herumging und alle aufmerksam betrachtete. Plötzlich hielt er, zielte, und der Truthahn schwankte auf dem Aste, erholte sich jedoch und blieb stehen.
Ich hatte jetzt auch wieder geladen, und einen andern alten Kerl aufs Korn nehmend, brachte ich den zweiten nieder.
Der größte Teil des Ganges hatte sich jetzt fortgemacht, doch der, nach dem mein alter Gefährte geschossen hatte, saß noch – er war schwer verwundet. Obgleich jedoch der Schweiß an ihm heruntertröpfelte, hielt er stand.
Konwell hatte nun auch wieder geladen und schoß ihn durch den Kopf. Auf meine Frage, warum er nicht lieber einen andern geholt habe, da ihm dieser doch ziemlich gewiß blieb, gab er mir zur Antwort, daß es der fetteste und schwerste im ganzen Gange gewesen sei und wir doch genug Vorrat hätten. Sein Truthahn wog auch in der Tat wohl 3 Pfund mehr als irgendeiner von denen, die ich geschossen hatte, und er behauptete lachend, sich nicht umsonst den besten herausgesucht zu haben. »Seht,« sagte er, »wenn die Truthühner, plötzlich von den Hunden aufgescheucht, so auf den Bäumen sitzen, wie sie eben saßen, dann ist es nicht nötig, in aller Eile den ersten besten herunterzuschießen. Ein guter Jäger nimmt erst den fettesten, und den zu finden ist eine Kleinigkeit. Ein kurzer, dicker Hals ist das untrüglichste Zeichen. Je magerer der Truthahn, desto dünner und länger ist der Hals, und desto größer erscheint der Vogel; aber nur nach dem kurzhalsigen geschossen, und ich wette darauf, »er ist nicht so bös zu verzehren« (he ain't so bad to take).
Durch lange Erfahrung habe ich seine Behauptung wohl bestätigt gefunden, doch gehörte einige Zeit dazu, ehe ich mir die herumsitzenden Truthühner kaltblütig genug ansehen konnte, um meine Wahl zu treffen.
Wir »zogen sie aus«; denn merkwürdig ist es, wie schnell sie, selbst bei kaltem Wetter, verderben, wenn nicht auf der Stelle die Eingeweide herausgenommen werden. Dann warfen wir zwei über das Pferd, während ich den dritten schulterte, und marschierten an diesem Abende nur noch eine ganz kurze Strecke, wo wir zu sehr gutem Wasser kamen und uns dort bald wieder für die Nacht behaglich einrichteten.
Am nächsten Tag erreichten wir bei guter Zeit das Haus meines alten Jagdgefährten; da uns aber Regen verhinderte, augenblicklich wieder an einen neuen Aufbruch zu denken, so machten wir es uns so bequem als möglich, schafften Holz genug zum Hause und postierten uns im Halbkreis um die knisternde Flamme, als Konwell sagte, er wolle eine Geschichte aus seinem früheren Leben zum besten geben, und, folgendermaßen begann:
»Es sind nun ungefähr vierzig Jahre her, als meine Eltern in die Kumberland-Gebirge zogen, und da das Land fruchtbar und gesund und die Berge mit Wild gefüllt waren, hatte sich dort bald eine kleine Ansiedelung gesammelt. Wir befanden uns recht wohl, zogen so viel Mais, als wir brauchten, hatten Hirsch- und Bärenfleisch, sowie wilden Honig in Menge, und aus den niederen Ansiedelungen konnten wir immer für unser Bärenfett und die Felle Kaffee, Pulver, und was wir sonst brauchen mochten, bekommen. Jeder wird eingestehen müssen, daß wir dort ein ganz gutes Leben hätten führen können, wäre nicht ein Umstand gewesen, der uns das Dasein verbitterte und oft unzähligen Gefahren aussetzte.
Es war ein Stamm der Tuskarore-Indianer, die sich aus dem Norden, wahrscheinlich von den Franzosen vertrieben, zu uns herunter gemacht hatten und plünderten und mordeten, wo sich ihnen nur irgendeine Gelegenheit dazu darbot. Besonders hatten sie eine Menge Pferde, und zwar auf so listige Weise gestohlen, daß sie lange unseren scharfen Nachspürungen entgingen. Die Gebirge liefen nämlich dort, wo wir wohnten, nach einer Stelle zu in einen mehrere Meilen langen und an 30–50 Fuß hohen Abhang aus, der so steil war, daß kein Bär, viel weniger ein Pferd, dort hinunter gekonnt hätte. Sobald also nun Pferde vermißt wurden, so suchten die, welche nach jener Seite des bluffs geschickt wurden, bloß an den beiden Enden desselben und konnten nie eine Spur der gestohlenen Pferde finden.
Ich war damals etwa zweiundzwanzig Jahre alt und eines Tages mit meinem Hunde – ich habe seit der Zeit keinen solchen Hund wieder gesehen, obgleich »old beff« hier auch seine guten Tage gehabt hat – einem feisten, fetten Bären auf die Spur gekommen. Feist mußte er sein, dafür hatte ich zwei untrügliche Beweise: erstlich war er durch das sandige Bett einer Quelle gegangen, wo sich seine Fußstapfen deutlich abdrückten und die Ballen tief und voll in den Sand einpreßten, er wog also schwer, und zweitens hatte er, wo ich seine Losung fand, die Eichelschalen nicht mit verschluckt, sondern die Eicheln geschält – allemal ein untrügliches, Zeichen. Ich war, wie ich glaubte, dicht hinter ihm und folgte schnell auf seiner Fährte.
»Der Bär hatte seinen Weg gerade nach dem bluff zu genommen und war, nicht mehr 200 Schritt von dem steilen Abhang entfernt, durch ein schmales, aber ungeheuer steiniges Flußbett gegangen und demselben gefolgt. Leise und schnell hinter meinem Hunde hergehend und die Augen nur dann von der Fährte abwendend, wenn ein etwas erhöhter Standpunkt oder eine plötzliche Biegung mich hoffen lassen konnte, etwas von der Bestie zu sehen, erstaunte ich nicht wenig, auf einmal Pferdespuren in diesen Klippen zu finden, die gerade nach dem bluff zuliefen.
»Erst vor wenigen Nächten waren uns wieder zwei herrliche Pferde weggekommen, und umsonst hatten wir überall nach ihren Spuren geforscht; zum bluff zu gehen, hatte natürlich jeder für nutzlos gehalten. Wie groß aber war mein Erstaunen, als ich an die Stelle kam, wo sich nach heftigem Regen der Bach hinunterstürzte, der aber bei trockenem Wetter keinen Tropfen Wasser enthielt, und dort, wo der Abhang wenig über 20 Fuß betragen mochte, zwei Fichten umgehauen fand, die schräg gegen die Felsen lehnten, und zwar ungefähr so weit voneinander, daß ein Pferd auf ihnen hinunterrutschen, nicht aber hindurchfallen konnte. Daß sie übrigens zu diesem Zwecke benutzt waren, unterlag gar keinem Zweifel mehr; denn hätte auch nicht der Boden vor der Rutschbahn es deutlich verraten, wie hier die Pferde ungeheuer gestampft, um sich dem Verfahren zu widersetzen, so zeugten eine Masse Pferdehaare, die an beiden Stämmen hingen, hinlänglich für meinen gleich gefaßten Verdacht.
Hier zeigte sich's auch, wo mein Bär hingekommen war, denn dieser hatte die Gelegenheit ebenfalls benutzt und eine der Fichten als Leiter gebraucht. Seine Spuren waren deutlich im weichen Holze zu sehen.
Meinen Hund hätte ich doch nicht dort hinunterschaffen können; die Nachricht war auch zu wichtig, um lange verschwiegen gehalten zu werden, und ich machte mich deshalb so schnell ich konnte auf den Rückweg, um den Meinigen die Entdeckung mitzuteilen. Wir hatten nicht nötig, lange zu warten, um davon Gebrauch zu machen.
Die Indianer, die erst vor wenigen Nächten ein paar Pferde gestohlen hatten, glaubten die Beute wahrscheinlich zu klein und kamen an demselben Abende wieder. Glücklicherweise gaben unsere Wachen frühzeitig genug Alarm, und kaum waren die roten Schurken mit ihrer Beute fort, als wir auf einem näheren Wege, den sie nicht wagen durften zu nehmen, ihnen vorauseilten. Um so wenig als möglich Spuren zurückzulassen, mußten sie nämlich den steinigsten und weitesten Pfad einschlagen.
Morgens neun Uhr ungefähr erreichten wir die gefällten Fichten und erwarteten, uns in Bäume und hinter Felsen verbergend, ihre Ankunft. Fast fingen wir an zu glauben, daß sie durch Zufall auf unsere Spur gekommen und verscheucht wären, weil die Sonne schon hoch im Mittag stand und sich immer noch nichts blicken ließ; doch beschlossen wir, zu warten, bis es vollkommen dunkel sein würde.
Unser Haufen bestand aus fünfzehn Mann, und wir hatten fest beschlossen, nicht zu schießen, bis wir alle zugleich einen sichern Schuß haben könnten. So horchten wir denn mit Herzklopfen auf das kleinste Geräusch, und als wir kaum noch die Ankunft der roten Diebe erwarteten, kam plötzlich ein einzelner Krieger, in seine weiße wollene Decke gehüllt, die er sich um den Leib geschnallt hatte, die Anhöhe heruntergelaufen. Er war zum Auskundschaften vorangeschickt, doch hatte er nicht die mindeste Ahnung von Gefahr, bis er plötzlich am Rande des Abhanges gerade an meinem Onkel Ben vorbeilief. Der Alte nun – ob er glaubte, daß er doch gesehen sei, oder ob er der Versuchung, der roten Canaille eins auf den Pelz zu brennen, nicht widerstehen konnte, – ich weiß es nicht, kurz, so bedächtig er sonst auch war, seine Büchse knallte. Der Wilde sprang hoch in die Höhe und stürzte, ohne einen Laut von sich zu geben, auf das Gesicht. Das hielt aber die übrigen roten Halunken nicht etwa ab. Ob sie nun glaubten, ihr Kundschafter habe etwas geschossen, oder sich selbst für stark genug hielten, einem einzelnen Jäger, den der Zufall etwa dahin geführt, die Spitze bieten zu können; aber es dauerte keine fünf Minuten, so zeigte sich der ganze Trupp auf dem Gipfel der Anhöhe, ungefähr 80 Schritt von da, wo wir versteckt lagen. Pferde hatten sie nicht, die vier ausgenommen, die sie uns in der letzten Nacht gestohlen, und da wir recht gut wußten, daß wir den einmal aufmerksam gemachten Indianern vergebens in den steilen Schluchten nachgespürt wären, nahm jeder stillschweigend sein Ziel. Die ganze Bande bestand aus neun Mann, vier zu Pferde und fünf zu Fuß, und leicht hätten wir sie alle niederschießen können, wären wir nicht zu hitzig gewesen, die vier Pferde wieder zu erhalten. So bekamen die vier Berittenen die Ladung aus sämtlichen Büchsen.
Ich hatte nicht so schnell wie die übrigen geschossen, und als ich die vier von den Pferden stürzen und die anderen Fersengeld geben sah, nahm ich einen der Fliehenden aufs Korn, gerade als er im Dickicht verschwinden wollte. Beim Schuß sprang er in die Höhe und warf die wollene Decke, die er, wie alle anderen, um den Leib befestigt hatte, zurück, und ich sah das rote Blut darauf hinunterfließen. Aber augenblicklich war er im Gebüsch, und ich glaube wohl, daß er davongekommen ist, wenigstens konnte ich seinen Leichnam nirgends finden.
Wir nahmen die Waffen und Decken der Getöteten, banden sie auf die Pferde und hielten, die Leichen den Aasgeiern überlassend, noch an demselben Abend unsern Triumpheinzug in der Ansiedelung. Es dauerte aber eine lange Zeit, ehe wir aufs neue einen Tuskarore zu sehen bekamen, denn durch den Hinterhalt schüchtern gemacht, zogen sie sich wieder nördlich gegen den Ontariosee.«
Das Mittagessen war jetzt fertig, und nach dem Essen hielten wir eine kleine Siesta, dann wurde ein wenig gelesen und erzählt, und so schnell entschwand die Zeit, daß der Abend fast unbemerkt wieder einbrach.
Den Abend mußte ich nun besonders viel erzählen, und genau wollten sie wissen, wie es denn eigentlich in der alten Welt hergehe, ob der König die Leute könne köpfen lassen, wann er wollte, und wie sie dort die Häuser bauten, wenn so wenig Holz da wäre, und was sie im Winter machten. Am meisten setzte sie aber in Erstaunen, daß wir in Deutschland keine Fenzen um die Felder brauchen, sondern all' unser Vieh eingesperrt halten, daß wir Holz pflanzen – die Kinder schüttelten ungläubig die Köpfe, und der Älteste meinte, ich wollte ihnen etwas aufbinden – und keinen Mais bauen. Dann wollten sie auch noch wissen, ob der König und die Königin immer mit der Krone und dem Zepter einhergingen, und wie die Adligen aussähen.
Die Zeit flog uns schnell vorüber, und erst spät suchten wir das Lager. Der nächste Morgen jedoch fand uns geschäftiger, und als die Sonne die höchsten Gipfel der Bäume mit einem matten gelben Schein vergoldete, wanderten wir schon bergauf, diesmal eine andere Richtung einschlagend, nach den Wassern des Richland und Wareagle zu, beides kleine Flüsse, die sich in den Whiteriver ergießen.
Wir hatten diesmal aber gar nichts von Lebensmitteln mitgenommen, sondern bloß jeder eine Decke auf eins der Pferde gelegt, und waren an den Ort geritten, wo mein Alter meinte, daß wir Wild genug finden würden. Dort angekommen, ließen wir die Pferde frei, die auch alsbald zu weiden anfingen und ihren Kurs wieder nach Hause zu nahmen. Wir begannen indes unsere Jagd, jeder dabei seine eigene Richtung verfolgend. Vorher hatten wir jedoch verabredet, am Abend dort, wo unsere Decken hingen, wieder zusammenzutreffen.
Ich marschierte wohl an die Meilen in die Runde und jagte sorgfältig und langsam, konnte aber weder Hirsch noch Truthahn zum Schuß bekommen; doch hatte ich Konwell einmal schießen hören. Als ich zu unserem Versammlungsplatz zurückkam, machte ich ein gutes Feuer an, breitete meine Decke aus, legte meine Büchse darauf und streckte mich neben sie hin, ein wenig auszuruhen.
Die Schatten fingen schon an sehr lang zu werden, als ich einen leisen Schritt nahen hörte. Erst glaubte ich, es sei ein Stück Wild, doch war es mein Alter, und zwar ohne Wildbret und Hund. Er setzte sich neben mich auf die Decke, und wohl bemerkend, daß ich bedeutenden Appetit habe, lachte er mich aus, indem er behauptete, er könne mit größter Bequemlichkeit bis morgen Abend fasten. Er hatte gut lachen!
Sein Hund war, wie er mir sagte, hinter einem angeschossenen Hirsch hergejagt, dem Schweiß nach zu urteilen sei aber die Kugel durch den Schenkel gegangen – eine lange und wahrscheinlich vergebliche Hetze, denn ein so leicht verwundeter Hirsch läßt sich nicht so schnell von einem Hund einholen. Wir machten uns auch schon ganz darauf gefaßt, die Nacht hungrig zu Bett zu gehen, als mein Beargrease die Nase hoch emporhob und windete. Konwell meinte, sein eigener Hund käme wahrscheinlich auf seiner Fährte, und der meinige wittere ihn.
Da ich dasselbe glaubte, nahm ich weiter keine Notiz davon; plötzlich aber war es mir, als ob ich ein kurzes Anschlagen hörte, und Beargrease knurrte leise und sah mich bedeutsam an. Ich sprang wieder auf und nahm meine Büchse zur Hand, als ich ganz in der Nähe das Laub rascheln hörte. Keine Minute später kam ein herrlicher Hirsch, das Geweih zurückgelegt, in vollen Sprüngen die Schlucht herunter und lief, kaum 20 Schritt vom Lager, an uns vorbei.
Ich sandte ihm, als er in gerader Richtung mit mir war, meine Kugel zu, und mein Hund, der noch frisch und unermüdet war, folgte ihm dicht auf den Fersen; doch kam der Angeschossene nicht mehr weit. Meine Kugel hatte ihm den linken Hinterlauf zerschmettert und war ihm durch den rechten gegangen. So rannte er ungefähr noch 200 Schritt, und dann in den Richland, an dessen Ufer wir lagerten, hineinspringend, schien er entschlossen, sein Leben wenigstens so teuer wie möglich zu verkaufen.
Die Hunde waren zwar herangekommen; da sie aber schwimmen mußten, wo er noch festen Grund und Boden hatte, trieb er sie mit leichter Mühe zurück; ich ergriff daher Konwells Büchse, der bis jetzt ruhig liegen geblieben war, als ob ihn die Sache auch nicht das mindeste anginge, sprang an das Ufer und zerschmetterte dem gequälten Tiere das Hirn. Ohne Klagelaut brach er zusammen, und ich mußte selbst ins Wasser hinein, ihn herauszuholen. Jetzt war Wildbret im Überfluß da, und ehe es noch vollständig dunkelte, hatten wir ihn schon zurechtgemacht, abgestreift, die Keulen aufgehauen, die Rippen am Feuer geröstet und die Hunde gefüttert.
Wir schliefen die Nacht kostbar und waren früh wieder auf, unsere Jagd fortzusetzen. Das Laub war aber so trocken, daß wir nichts zum Schusse bekommen konnten, und ein Truthahn, den Konwell mit zum Feuer brachte, war unsere ganze Beute; übrigens fing der Himmel an sich zu überziehen, und da wir noch Vorrat genug hatten, verließ uns auch die Hoffnung nicht.
Der Wind fing an scharf von Norden her zu blasen, doch war unser Lager von dieser Seite durch einen etwa 10 Fuß hohen, steilen Abhang geschützt, und obgleich wir der scharfen Steine wegen nicht dicht darunter liegen konnten, hielt er doch den kalten Wind sehr ab, so daß uns ein tüchtiges Feuer an der Wandseite Wind und Kälte bald vergessen ließ.
Wir waren mit unserem Abendessen fertig, und Konwell hatte eben einen seiner Mokassins ausgezogen, einen kleinen Stein herauszunehmen, der ihm beim Gehen hineingekommen war, als er sich lächelnd zu mir wandte und mir sagte, daß ihn das an einen Spaß erinnere, der ihm begegnet sei, als er noch ein Kind war, »long time ago« (vor langer Zeit).
Schon hatte ich mich in meine Decke gehüllt; als ich aber bemerkte, daß er Lust zum Erzählen habe, sprang ich wieder auf, schürte das Feuer tüchtig, daß die Funken knisternd umherstoben, und mich dann zurücklehnend und mir Beargrease unter den Kopf schiebend, dem das sehr zu gefallen schien, erwartete ich den Anfang.
Als ich aufgestanden war, hatte Konwell geschwiegen; doch jetzt fuhr er sich mit der Fläche der Hand über das Gesicht und begann:
»Ich war ungefähr fünf bis sechs Jahre alt, als mein Vater mir die ersten Mokassins machte. Wir Kinder hatten bis dahin nur Schuhe getragen, während der Vater dagegen die leichteren Mokassins vorzog. Natürlich ging unser ganzer Ehrgeiz dahin, das Gleiche mit ihm zu tragen. Als ich sie erhielt, wurde mir aber ganz besonders eingeprägt, sie nicht zu verlieren. Denselben Tag war ein wandernder Krämer in unserem Hause gewesen und hatte meinem Vater ein Paar große Stiefel aufgeschwatzt, bei »außerordentlich schmutzigem Wetter« zu tragen. Da es gerade viel geregnet hatte, zog er sie an, nahm seine Büchse und ging in den Wald.
»Er war kaum fort, als ich meine neuen Mokassins anziehen wollte und zu meinem Entsetzen fand, daß einer fehlte. Umsonst suchte ich das ganze Haus von oben bis unten ab, Umsonst kroch ich unter dasselbe und darum herum, einer war und blieb verschwunden, und der andere schien nur ruhig geblieben zu sein, um mich daran zu erinnern, wie er die Ursache einer derben Tracht Schläge werden würde.
»Mit Herzklopfen sah ich meinen Vater früher, als ich ihn erwartet hatte, zurückkehren, und durch das nasse Wetter und eine mißlungene Jagd überdies ärgerlich geworden, fragte er mich barsch, warum ich barfuß liefe. Weinend erzählte ich ihm, daß ich den einen Mokassin nicht finden könne, und daß ich glaube, die Katze habe ihn fortgeschleppt.
»Er wollte mich bekatzen, sagte er und machte mir mit kurzen Worten bemerklich, daß, wenn ich gegen Abend nicht den andern herbeigeschafft habe, mein Rücken die Zeche bezahlen müßte. Mit tränenden Augen fing ich wieder an zu suchen, und alle meine Brüder halfen mir. Unter der Zeit hatte sich mein Vater ans Feuer gesetzt, fluchte, daß ihn den ganzen Tag etwas in dem verdammten Stiefel gedrückt habe, und brachte, als er ihn auszog, – meinen verloren geglaubten Mokassin mit zu Tage.«
Noch lachend in der Erinnerung, wickelte sich der Alte in seine Decke, sank zurück und war bald eingeschlafen.
Mir war noch nicht wie ruhen; durch seine kleine, launige Erzählung waren andere Bilder in mir wach geworden, und sinnend schaute ich in die tausend abenteuerliche Figuren bildende Glut. Mein Hund hatte, dicht an mich geschmiegt und seine Schnauze auf meine linke Schulter gelegt, schon mehrere Male den Kopf in die Höhe gehoben und gewindet, sich jedoch immer wieder beruhigt; jetzt wurde er aber aufs neue aufmerksam und knurrte leise vor sich hin. Nun war es mir selbst so, als ob ich etwas höre, und hinter mich auf den Abhang blickend, sah ich zu meinem größten Erstaunen ein Paar glühende Augen auf mich geheftet.
Da mein Kopf nämlich zwischen den Augen des Tieres und dem Feuer war, konnte ich sie deutlich sehen, und wie zwei rotglühende Feuerbälle lagen sie dicht auf dem Felsen. – Es mußte ein Panther sein, und nach der Stellung zu urteilen, die er angenommen hatte, war er zum Sprunge fertig oder betrachtete sich nur unser Lager.
Die Büchse lag wie jede Nacht dicht neben mir, und mich halb aufrichtend, daß das Feuer hinter mir gerade auf Korn und Visier fiel, zielte ich zwischen die beiden Augen, und der Krach der Büchse hallte donnernd zwischen den Felsen wider.
Der alte Konwell fuhr, sein Gewehr aufgreifend, wie der Blitz in die Höhe, und die Hunde schlugen an und suchten in wilder Hast umher, doch alles war still wie im Grabe, und lachend begann ich wieder zu laden.
Der Alte schüttelte mit dem Kopfe und fragte, wonach ich denn um Gottes willen geschossen hätte. Ich lud aber, ohne ihm zu antworten, erst fertig, nahm dann einen Feuerbrand und stieg die etwa 20 Schritt vom Lager entfernte, ziemlich steile und an manchen Stellen schroff niederfallende Felswand auf, wo ich denn auch richtig einen sehr starken alten Panther verendet fand.
Ich warf ihn den Abhang hinunter, und mein Alter schleppte ihn zum Feuer. Die Kugel war ihm durch das rechte Auge ins Gehirn gegangen. Es war ein starkes Tier, hatte derbe Fänge, und wir fanden, als wir ihn aufschnitten, auch nicht das mindeste in seinem Magen. Hunger hatte ihn auf jeden Fall so nahe zum Feuer getrieben, doch meinte Konwell, er hätte nur das frische Wildbret gewittert. Sei dem, wie ihm wolle, wer weiß, ob er nicht den Sprung gewagt hätte, sobald das Feuer niedergebrannt war; übrigens konnten die Hunde den Wind nicht gut von ihm bekommen, da er gerade über uns lag.
Wir streiften ihn ab und warfen den Kadaver in den Richland, unterhalb unseres Lagers. Die Hunde mochten das Fleisch nicht fressen, obgleich es zart und gut aussah.
Der amerikanische Panther, der über den ganzen ungeheuern nördlichen Kontinent ziemlich gleich verbreitet ist, wird nicht größer wie etwa ein starker Bullenbeißer und mißt von der Nasenspitze bis zum Schwanzende 6–7 Fuß. Er hat ziemlich die Farbe des Wildes und nimmt ebenfalls im Winter, während er im Sommer rötlich aussieht, eine blauere Schattierung an. Sein glattes Fell zeigt kaum bemerkbare kleine dunklere Ringe, die an manchen Tieren sogar gänzlich fehlen. Er ist dem Menschen nur dann gefährlich, wenn er gereizt oder angeschossen wurde, und die Beispiele, wo er lagernde Jäger angesprungen habe, sind ungemein selten, wenn es überhaupt je vorgekommen ist. Nur der äußerste Hunger könnte ihn dazu treiben. Merkwürdigerweise haben indes die Backwoodsmen Amerikas die Sage, daß er schwangere Frauen anfiele. Inwieweit sich das bestätigt, weiß ich nicht. Gefährlich ist er jedenfalls den jungen Rindern und Pferden und tut denen oft beträchtlichen Schaden.
Am nächsten Tage schoß ich, was sehr selten zu geschehen pflegt, zwei Stück Wild mit einer Kugel, ein Alttier mit einem Schmaltier, der Decken wegen. Beide waren ausnehmend feist, und ich trug sie zusammen und hängte sie auf. Beim Aufhängen des Hirsches sind übrigens eine Menge Sachen zu beobachten, ohne die der Jäger wenig Nutzen von dem erlegten Wild haben würde.
Ist ein Schütze lange im Walde, so merken sich die Aasgeier schon seinen Aufenthalt, und kaum hat er geschossen, so sind sie da, um an der Beute teilzunehmen. Die einzige Art, um die lästigen Tiere von dem Hirsche abzuhalten, dessen Fell sie mit ihren scharfen Schnäbeln beschädigen würden, ist, ihn beim Kopfe aufzuhängen, wo sie dann keinen Haltpunkt haben, auf dem sie sitzen können, und sich begnügen müssen, am Schädel des erlegten Wildes herumzuhacken.
Aber auch eine große Art Raben, die jedoch der Haut keinen Schaden tun, kommen herbei und stehlen den Talg aus dem aufgebrochenen Tiere, das man, damit es kalt wird, aufstehen lassen muß. Ein paar weiße Hölzchen, oben querüber befestigt, halten jedoch auch diese Burschen ab, die sich nicht getrauen, ihren Kopf zwischen die kleinen weißen Querstücken hineinzuschieben.
Meinen Weg weiter fortsetzend, ging ich an der einen Seite eines Baches, der sich in den Richland ergießt, hinauf, als plötzlich, etwa 80 Schritt von mir entfernt, und zwar auf der andern Seite der Schlucht, die das Wasser bildete, ein Wolf aus einem kleinen Dickicht aufsprang. Er lief etwa 50 Schritt, hielt einen Augenblick, war aber, ehe ich Zeit zum Zielen nehmen konnte, zwischen den Felsen verschwunden.
Ich ging über den Bach und stieg an der andern Seite in die Höhe auf das Dickicht zu, aus dem er gekommen war, um zu sehen, wie sich Beargrease auf der frischen Wolfsfährte benehmen würde.
In dem Augenblicke, wo er an das noch warme Lager kam, sträubten sich alle Haare an ihm empor, dann ging er zweimal im Kreise um den Platz herum, krümmte den Rücken und – merkte sich die Stelle.
Es war schon spät am Nachmittag und ich auf meinem Rückwege zum Lager, als ich eine, wie es mir schien, frische Bärenfährte fand. Mein Hund nahm sie augenblicklich an, und obgleich sie sich wieder nach einer entgegengesetzten Richtung als die, welche ich zu gehen beabsichtigte, hinzog, besann ich mich doch nicht lange, ihr zu folgen.
Der Regen fing unter der Zeit an, stärker zu fallen, und als wir an einen breiten Bach kamen, durch den der Bär gegangen war, verlor mein Hund die Fährte und konnte sie trotz all meines Zuredens nicht wieder finden. Nutzlos wäre es gewesen, noch weitere Versuche zu machen, ihn aufzufinden, auch war ich zu weit vom Lager, um es noch erreichen zu können, denn schon fing es an zu dämmern, und ich hatte wenigstens noch 4 Meilen bis dorthin. Da war es mir denn sehr lieb, daß ich eine Höhle fand, in die der Wind wohl ein zwei Fuß hohes Lager von dürren Blättern hineingeweht hatte. Natürlich durfte ich kein Feuer davor anmachen, was auf jeden Fall gefährlich gewesen wäre. Ich kroch daher rasch hinein, nahm Beargrease, der es sich gern gefallen ließ, zum Kopfkissen und war bald, überall von den Blättern bedeckt, trotz meiner nassen Kleider sanft eingeschlafen.
Gegen Morgen schüttelte mich zwar der Frost ein wenig, doch kauerte ich mich zusammen und schlief bis zum hellen Tage. Am nächsten Morgen suchte ich das Lager wieder auf; Konwell hatte es aber schon verlassen, und ich zog gleichfalls noch einmal aus.
Ich erlegte an diesem Morgen auch wieder einen jungen Bock, aber auf eine Weise, die mir selbst heute noch, wenn ich daran denke, eine unangenehme Erinnerung zurückgelassen hat. Der Mensch ist aber jedenfalls das grausamste Geschöpf der Erde.
Am Abhang einer kleinen Schlucht hin birschend, war ich nämlich in Schußnähe eines sich dort ruhig äsenden jungen Bocks gekommen, hatte meine Büchse auf einen Stein gelegt, sorgfältig gezielt und abgedrückt. Beim Schuß brach das Wild auch wie vom Blitz gerührt zusammen, wie ich aber eben wieder im Laden bin, sah ich, daß er sich plötzlich wieder auf die Vorderläufe aufzurichten suchte, und wußte jetzt, daß hier keine Zeit zu verlieren war. Die Kugel hatte ihn jedenfalls nur oben am Nacken gestreift und für den Augenblick betäubt, und wenige Sekunden später wäre er frisch und gesund wieder aufgesprungen und entflohen. Rasch warf ich mich jetzt auf ihn, mein Hund hatte ihn ebenfalls gepackt, und eben wollte ich ihm das Messer durch die Kehle stoßen, als er sich mit einem raschen Ruck wandte und wir alle drei den etwa 9 bis 10 Fuß hohen Abhang hinunterstürzten.
Im Fallen hatte ich mein Messer losgelassen, das zwischen die Steine rollte, und es tat mir empfindlich am Kopfe und der linken Seite weh, doch ließ weder ich noch Beargrease unsere Beute fahren.
Ich hatte aber nun kein Messer und durfte auch nicht loslassen, denn das zum Tode geängstigte Tier arbeitete mit solcher furchtbaren Kraftanstrengung, sich zu befreien, daß ich es selbst mit Hilfe des Hundes kaum niederzuhalten vermochte.
Das einzige Mittel, das mir übrig blieb, war ein grausames, es war aber das einzige, denn den Hirsch hätte ich nicht wieder losgelassen, und wenn ich ihm mit den Zähnen, hätte die Halsadern durchbeißen sollen. Ich warf ihn auf die Seite und zerschmetterte ihm beide Vorderläufe mit einem scharfen Steine.
So verkrüppelt, ließ ihn mein Hund schon nicht mehr fort, und ich sprang auf, suchte und fand mein Messer und fing das arme, gequälte Tier ab. Mit unendlicher Mühe hängte ich es auf, denn meine linke Seite schmerzte mich ungemein, doch kletterte ich den Abhang wieder hinan, um meine Büchse zu holen, lud und hinkte dem Lager zu, nicht gesonnen, den Tag noch weiter zu marschieren. Dort angekommen, fand ich meinen Alten, der mich erwartete. Er hatte vier Hirsche geschossen und die Keulen mitgebracht. Es waren lauter Böcke, von denen das Fleisch in dieser Jahreszeit, die Keulen ausgenommen, nicht besonders ist. Wir wollten den nächsten Tag nach seinem Hause zu jagen, dort Pferde nehmen und das erlegte Wild hineinholen, machten uns daher früh auf und zogen südwestlich, der Wohnung des alten Konwell zu.
Unterwegs schoß ich einen und mein Alter zwei Truthühner. Wir nahmen sie mit, suchten den Abend noch, bei seinem Hause angelangt, die Pferde und ruhten unsere ermüdeten Glieder einmal wieder in dem lieben Familienkreise des Alten aus.
Um zwölf Uhr nachts fing es an zu regnen und goß gegen Morgen in Strömen. An das Hereinholen des Wildes war bei dem Wetter nicht zu denken, und um das Feuer herumsitzend, erzählten wir uns alte Geschichten und Anekdoten. Das Gespräch kam dabei auch auf die Prärien, und Konwell erzählte mir von diesen aus dem Schatz seiner Jagderinnerungen folgende Abenteuer:
»Vor nicht langen Jahren,« hub er an, »als ich noch an der Kickapoo-Prärie in Missouri wohnte, machten wir unserer vier uns einst eines Morgens auf, einen Büffel zu schießen. Es war bitter kalt, und schnell ritten wir über die gefrorene Steppe.
»Auf einer kleinen Anhöhe angelangt, sahen wir in der Ferne eine Herde Büffel und machten Jagd auf sie. Bis auf eine halbe Meile etwa herangekommen, bekamen sie Wind von uns, und fort ging's; wir aber hinterher wie Gottes Zorn.
»Der letzte von den Büffeln, eine Kuh, war so feist, daß sie nicht mit den übrigen fort konnte, und auf sie hatten wir es jetzt alle abgesehen. Es war ein herrliches Rennen, und eine Weile neben ihr her galoppierend, bekam sie alle unsere Kugeln; sie brach zusammen, und wir fingen sie ab. Der Wind blies jetzt von Nordwest über die Prärie, daß uns das Mark in den Knochen fror, und kaum konnten wir von trockenem Büffeldünger ein Feuer zustande bringen, so waren uns die Hände gefroren.
»Das nächste Holz war etwa eine Meile von dem Platze, wo wir die Kuh erlegt hatten, entfernt, und es blieb nun die Frage, ob wir das Holz zum Büffel, oder den Büffel zum Holz schleppen sollten.
»Wir hielten das letztere für das Leichteste, und einer namens Turner machte sich darüber her, ihn abzustreifen; wir wollten ihm helfen, er litt es aber nicht, und, ihm gern das kalte Geschäft überlassend, unterhielten wir das kleine Feuer, damit er sich dabei die Hände wärmen konnte. Nachdem die Kuh abgestreift war, schnitten wir die besten Fleischstücken herunter, lösten die Markknochen heraus, und alles ins Fell packend und über ein Pferd werfend, brachten wir es zum nächsten Gebüsch, wo wir glücklicherweise auch Wasser fanden. Mit unseren vier Tomahawks hackten wir bald Holz genug zusammen, und nicht lange dauerte es, so flammte ein tüchtiges Feuer empor.
»Nachdem wir hinlänglich Kohlen hatten, legten wir die Markknochen erst mit einem Ende in die Glut, und als sie halb gar waren, mit dem andern, und delikateres Essen gibt es sicher nicht für den westlichen Jäger als Büffelmark – fette Bärenrippen und Honig ausgenommen. Das Fleisch selbst war übrigens etwas zäh und nicht besonders.
»Es fing jetzt an dunkel zu werden, wir schickten uns an, unser Lager aufzurichten, und einer schlug vor, anstatt sich einzeln in die Decken zu wickeln, das Büffelfell auszubreiten und uns darauf hinzulegen. Es sei groß genug, uns allen zur Unterlage zu dienen, und wir könnten uns ja dann gemeinschaftlich unter die mitgebrachten Decken legen.
»Turner widersprach jedoch und meinte, umsonst habe er die alte Kuh nicht allein abgestreift, er wolle nun auch allein die Nacht darin schlafen und trete uns seinen Platz am Feuer ab, beanspruche aber die Büffelhaut, für diese Nacht wenigstens, für sich allein.
»Uns war es einerlei; wir hatten jeder eine gute Decke, und bei einem hellen Feuer konnten wir's schon aushalten, lagerten uns daher dicht um die Glut herum, und Turner, sich in die schwere Haut, die Haare nach innen, einschlagend, war bald, ebenso wie wir, fest eingeschlafen.
»Es wurde die Nacht grimmig kalt, und wir waren mehreremale genötigt, aufzustehen und frisches Holz aufzuwerfen, um die wahrhaft schneidende Kälte abzuhalten; Turner jedoch rührte und regte sich nicht in seinem warmen Felle.
»Gegen Morgen drehte sich der Wind nach Nordost herum, und dichte Schneewolken zogen herauf; wir beschlossen daher, so schnell wie nur irgend möglich aufzubrechen, um unsere Häuser noch vor dem nahenden Sturme zu erreichen oder doch wenigstens nicht in der Steppe erwischt zu werden. Wir bereiteten deshalb unser Frühstück und sattelten unsere Pferde, die am Abend vorher das trockene Gras abgeweidet hatten, gegen Morgen aber doch zu uns und so nahe wie möglich zum Feuer gekommen waren. Mehreremale riefen wir indessen Turner beim Namen, um ihn zum Aufstehen zu bewegen; eine leichte Bewegung des ganzen Felles war die einzige Antwort, die wir für eine gute Weile bekamen. Endlich rief eine dumpfe Stimme aus dem Felle heraus um Hilfe.
»Erschrocken sprangen wir auf, weil wir glaubten, daß ihm etwas zugestoßen sei, doch wie wurde der arme Teufel ausgelacht, als wir fanden, daß er eingefroren war.
»Die blutige Seite war nämlich auswendig steif und hart gefroren und dem darin Steckenden auch nicht die geringste Bewegung erlaubt. Überall hatte sich das nasse Fell an ihn angeschmiegt und war durch den Frost in Stein verwandelt worden, am Kopfe ausgenommen, wo der warme Atem es weich erhalten hatte.
»Unter ungeheuerm Gelächter wurde er nun zum Feuer und um dasselbe herumgewälzt, bis die Haut etwas auftaute und wir ihn endlich herausschälen konnten. Durch das Rollen, und die Hitze inwendig war er ganz schwindlig geworden, doch brachte ihn ein heißer Markknochen bald wieder zu sich, und mit dem jetzt aufgetauten Felle und dem übrigen Fleische uns auf die Pferde werfend, erreichten wir die Heimat gerade vor dem Unwetter, das mit ungeheurer Gewalt noch an demselben Abend hereinbrach.«
Eine Erzählung jagte nun die andere bis zum späten Abend.
Noch regnete es am nächsten Morgen, und gar betrübt schaute es draußen im Freien aus; der Himmel hing wie ein alter, geflickter Salzsack über den vom Regen triefenden Bäumen, und tiefer und tiefer sanken die schweren Wolken auf die Gebirge, als wollten sie in der Nähe der Erde Schutz gegen den wilden Nordwest suchen, der sie aus den Felsengebirgen herabjagte. Alles zahme Vieh kam in die Nähe des Hauses, und das Rindvieh stand, die Kehrseite dem Wetter preisgebend, mit herunterhängenden Ohren da und sah sehr kleinmütig aus.
Glücklicherweise hatte mein Alter noch ein paar Bücher, unter anderen Dialogue of Devils, Life of Marion, Life of Washington, Pilgrims progress, United States readerDialog der Teufel, Mariotts Leben, Washingtons Leben, Pilgrims Fahrten, Leseübungen der Vereinigten Staaten. und einige der Art (hierbei erinnere ich mich auch, daß ich in den Cashsümpfen einst eine englische Übersetzung des Abällino fand), und mit dem Durchblättern derselben tötete ich einen Teil der Zeit.
Der Regen dauerte bis zum 12. Januar abends fort, die Bäche und Flüßchen hatten ebenso viele Wasserfälle und Ströme gebildet, und wir waren genötigt, bis zum 14. Januar morgens im Hause zu bleiben. Unser Fleischvorrat war unter der Zeit ziemlich aufgezehrt, und wir hatten wenig Hoffnung, auch nur das geringste von dem noch gebrauchen zu können, was wir im Walde gelassen. Doch machten wir uns so schnell als möglich auf, um wenigstens die Häute zu retten.
Die Wasser waren noch ungeheuer geschwollen, und ohne die Pferde wären wir schwerlich durchgekommen; gegen Mittag langten wir jedoch an Ort und Stelle an und fanden, wie erwartet, das Wildbret schon angegangen und Tausende von Aasgeiern darum versammelt, die auch den größten Teil schon verzehrt hatten.
Die aufgespannten Felle glaubten wir noch retten zu können, obgleich sie auch schon rochen, und spannten sie straffer aus. Der Wind und die ein klein wenig hervorschauende Sonne mußten dann das übrige tun.
Da es sich schon stark gegen Abend neigte und wir weiter keine Zehrung als etwas Brot und Salz mitgenommen hatten, machten wir uns mit den Hunden auf, um noch einen Truthahn zu schießen, fanden auch einen Gang derselben, gerade als sie in ihr Nachtquartier, in die Wipfel der Bäume, hinaufflogen, und schossen zwei von ihnen. Leicht hätten wir noch mehrere herunterholen können, wir hatten aber gerade genug verdorbenes Fleisch in der Nähe.
Ungefähr eine halbe Meile von unserem alten Lager entfernt, und zwar so, daß wir das Wildbret, das bösartig zu duften anfing, nicht mehr riechen konnten, schlugen wir unser Lager auf und spannten die Decken aus, denn ein feiner, durchdringender Regen fiel, und wir hatten gerade nicht im Sinne, wieder naß zu werden, hobbelten unsere Pferde aus und fütterten sie mit dem mitgenommenen Mais; die ganze Nacht aber heulten die Wölfe auf eine greuliche Weise um unser früheres Lager herum und schienen sich um die Hirschkeulen zu beißen, vor denen sie sich, da sie aufgehangen waren, bis jetzt noch immer gescheut hatten.
Gegen Morgen hörte es auf zu regnen, die Wolken begannen sich zu zerteilen, und ich machte mich auf, zu versuchen, ob ich nicht vor Tag an einen der Wölfe anschleichen könnte, um ihm ein klein wenig das Heulen zu vertreiben.
Das Laub war naß, und das Lager umgehend, damit sie nicht den Wind von mir bekommen sollten, schlich ich mich wohl 200 Schritt, auf den Knien rutschend, bis hinter einen dicken Baum, wo ich acht Wölfe zählen konnte, die sich eben zum Aufbruch rüsteten, um wieder in ihre Schlupfwinkel zurückzukehren.
Obgleich ich ihnen vollkommen den Wind abgewonnen hatte, hob doch einer die Nase in die Höhe, und plötzlich sich scharf herumdrehend, sprang er mit dem diesen Tieren eigenen langen Galopp dem Dickicht zu.
Ich wußte wohl, daß jetzt zum Schießen die höchste Zeit war, und hielt auf einen der größten, der mit seinem eigenen Körper noch einen andern deckte.
Nach dem Krach der Büchse, als sich der Rauch verzog, war auch kein Wolf mehr zu sehen, sie schienen wie durch Zauberei verschwunden; doch näher herangehend, fand ich den, nach dem ich geschossen hatte, in seiner Fährte verendet. Der andere, der hinter dem ersten gestanden hatte, war, nach dem Schweiß zu urteilen, schwer verwundet, doch bekam ich ihn nicht wieder zu sehen; auf jeden Fall haben ihn die anderen Wölfe zerrissen, denn nie lassen sie einen einmal angeschossenen Kameraden leben. Ich skalpierte den erlegten (der Skalp galt 3 Dollars) und ging zurück zum Lager.
Mein Alter hatte unter der Zeit um das ganze Feuer herum Truthahnfleisch stecken, und wir hielten ein delikates Frühstück. Nach dem Essen gingen wir wieder jagen, und ich kam auch an der Stelle vorbei, wo ich meinen Bock, um deswillen ich bald den Hals gebrochen, aufgehangen hatte; von diesem war aber nicht viel übrig geblieben; die Wölfe hatten ihn herabgezerrt und wenig mehr als die Knochen zurückgelassen. Ich schoß übrigens einen andern, nebst einer wilden Katze, und kam nachmittags zum Lager zurück, wo mein Alter eben auch eingetroffen war. Er hatte zwei Hirsche erlegt, und wir beschlossen, das Wild zum Lager zu schaffen, da zu viel Wölfe in der Gegend umherstreiften und wir diesmal doch das erlegte erhalten wollten.
Da aber auch nicht eine einzige Bärenfährte zu finden war, beschlossen wir, den Richland zu verlassen und wieder an die Wasser des Mulberry zurückzukehren. Am nächsten Morgen bepackten wir unsere Pferde und zogen heimwärts.
Plötzlich, gerade am Fuße einer starken Eiche, am Abhange eines Hügels, hielt mein Alter, betrachtete aufmerksam die Rinde des Baumes und beteuerte nach einer Weile, daß ein Bär entweder in dem Baume sei oder ihn ganz kürzlich verlassen habe, denn die Zeichen seien unverkennbar.
Das Wetter hatte sich wieder verändert und war ziemlich kalt geworden, ließ daher das Beste hoffen; doch zum Umhauen des Baumes blieb uns nichts als unsere Tomahawks. Übrigens zeigte sich die Eiche glücklicherweise hohl, was sich nach einigem Hauen ergab, und wir gingen hart an die Arbeit. Nach etwa dreistündigem Hacken, denn Hauen konnte man das eigentlich nicht gut nennen, fing der Baum an zu krachen.
Mit Blitzesschnelle sprangen wir nach unseren Büchsen, riefen den Hunden und eilten nach der Gegend hin, nach der er stürzen mußte, um, sollte wirklich ein Bär darin stecken, ihn sogleich in Empfang zu nehmen.
Erst krachten ein paar kleine Späne, dann ein stärkerer, dann fing sich der Gipfel an langsam den Hügel hinunter zu neigen, und nun stürzte er prasselnd und alle Zweige zerschmetternd den Abhang hinab.
Vergebens warteten wir auf einen Bären, der Vogel war ausgeflogen und das Nest leer, denn, daß früher einmal, und noch sogar vor sehr kurzer Zeit, ein solcher die Höhlung der Eiche bewohnt hatte, unterlag gar keinem Zweifel mehr. Sie war inwendig ganz schön, glatt ausgearbeitet und sauber gereinigt.
Ungefähr 5 Fuß unter dem Loche, wo der Bär seinen Ein- und Ausgang hatte, war ein Ast herausgewachsen, und hier mußte vor Jahren einmal ein Indianer gestanden haben, denn er hatte versucht, mit dem Tomahawk eine Öffnung in die Höhlung, wo der Bär lag, zu hauen, aber nicht das Innere erreicht, da der alte Bursche, durch das Klopfen böse gemacht, wahrscheinlich früher herausgekommen war. Der Rinde nach mußte das vor etwa vier oder fünf Jahren geschehen sein.
Indem wir noch die Höhlung betrachteten, fragte mich mein Alter, was die Hunde da unten hätten? Diese waren nämlich sehr eifrig beschäftigt, etwas von der Erde aufzulecken, und wir sahen augenblicklich, daß wir zufälligerweise einen Bienenbaum umgehauen hatten. Das kalte Wetter hatte die Bienen erstarrt, und die Hunde ließen sich den Honig, der durch das Zerschmettern des Astes zum Vorschein gekommen war, trefflich schmecken. Unser Plan war bald gemacht.
Mein Alter ging aus, um einen Hirsch zu schießen und dessen auf besondere Weise abgestreifte Haut dann zum Schlauch zu gebrauchen. In diesem konnten wir den Honig dann fortschaffen, und ich nahm indessen meinen Tomahawk, um eine Art Trog auszuhauen. Da es übrigens zu frieren anfing, war es nicht nötig, den Trog tief zu machen, indem der Honig in der kalten Luft nicht auslief, und damit fertig geworden, häufte ich die delikatesten Scheiben, die sich nur ein Mensch denken kann, darin auf.
Dies vollendet, machte ich ein gutes Feuer an und begann schon Holz zusammenzuschleppen, weil ich nichts anderes erwartete, als daß wir die Nacht würden dort lagern müssen; plötzlich hörte ich meines Alten Büchse ganz in der Nähe und gleich darauf seinen Ruf. Ich antwortete und war bald an seiner Seite. Er hatte eine ziemlich große doe geschossen, die auch außerordentlich feist war, und wir hängten sie an den Hinterläufen an, um einen Sack aus der Haut zu fertigen.
Oben zwischen den Keulen wurde ein Einschnitt gemacht und nun das ganze Fell über den Körper des Tieres gestreift, ohne das Messer wieder anzusetzen, es sei denn, die vier Läufe an den Knien und den Kopf abzuschneiden.
Das beendigt, wurden alle Öffnungen, wie das Kugelloch, fest verstopft, durch welches erst ein kleines zugespitztes Hölzchen hindurchgesteckt wurde, damit der Riemen, mit dem die Öffnungen umwunden wurden, nicht rutschen könne; dann drehten wir es um, die Haarseite nach außen, und steckten den Honig hinein, der Alte reichte mir den Sack vorn aufs Pferd, und fort ging's nach Hause, wobei wir fast das ganze zuletzt erlegte Tier zurücklassen mußten.
Wir waren nicht schlecht beladen und sehr froh, als wir Dach und Fach erreichten, hatten aber kaum die Füße aus den Steigbügeln, als sie uns auch schon mit einer Neuigkeit entgegenkamen. Einige dort in den Bergen jagende Cherokesen sollten nämlich eine Höhle entdeckt haben, in der sicherlich ein Bär stecke, hätten aber nicht gewagt, weit darin vorzudringen, weil sie so eng und lang sei.
Das war Wasser auf unsere Mühle. Die Felle und das Fleisch wurden in Sicherheit gebracht, die Gewehre losgeschossen und gereinigt, die Pferde gefüttert, und wir bereiteten uns jetzt zu einer ordentlichen Jagd vor.
Den Abend brachten wir damit zu, uns Anekdoten über Bären zu erzählen, wo besonders der alte Konwell mir eine interessante Beschreibung von dem Winterschlafe derselben zum besten gab:
»In diesem schon etwas südlichen Klima geht der Bär gewöhnlich erst um Weihnachten oder Anfang Januar, wenn das kalte Wetter beginnt, in seine Höhle und bleibt bis Ende Februar darin. Ist das Wetter sehr milde, so kommt er dann und wann heraus, bleibt auch wohl ganz und gar draußen und bereitet sich in einem dichten Gebüsch von Zweigen, die er abbeißt und zusammenträgt, ein Lager; dann sucht er aber jedesmal die rauhesten und wildesten Plätze auf, die selten ein menschlicher Fuß betritt.
»Geht er nun in seine Höhle, so liegt er, ohne Nahrung zu sich zu nehmen, da und saugt, wenn er nicht schläft, an seinen Tatzen, wobei er einen winselnden Laut von sich gibt. Das Saugen geschieht aber jedenfalls nur aus Langerweile und keineswegs, um davon zu zehren, denn verwünscht wenig Fett würde er da herausziehen. Kinder lutschen ja auch am Daumen.
»Fällt er endlich in seinen Winterschlaf, so liegt er mit dem Bauche und der Stirn auf der Erde, so daß die Nase gegen die Brust gedrückt ist, und hat die beiden Vorderpfoten über oder um den Kopf zusammengelegt.«
Mein Alter versicherte mir, daß er in die Höhlen an sie hinangekrochen sei und sie erst mit dem Laufe der Büchse gestoßen habe, um sie zu bewegen, den Kopf in die Höhe zu heben, damit er sie bequem ins Gehirn schießen konnte.
Der Bär soll in der Höhle, ausgenommen dann, wenn er Junge hat, sehr feig sein. In diesem Falle kämpft er wohl manchmal, doch muß ihm auch gar keine andere Wahl gelassen sein. Bei recht warmen Tagen verläßt er dieselbe, um zu trinken, geht aber immer nur zum nächsten Wasser, und es ist sonderbar, wie genau er dann stets wieder in seine alte Fährte tritt. Wenn ein Bär eine Höhle bewohnt und schon mehreremale heraus an den Bach gegangen ist, kann der Jäger deshalb leicht seine Spur finden, da seine Fährte, durch das immer wieder Hineintreten in dieselben Spuren, tief und deutlich wird. Diese Fährte nennen die Jäger »stepping path«.
Da es spät wurde, legten wir uns nieder, um bis zum nächsten Tage tüchtig auszuruhen. In der Nacht wunde es bitter kalt, und wir bekamen den herrlichsten Jagdtag, den man sich nur wünschen konnte.
Mit uns ging der Sohn meines Alten, der in der Nachbarschaft verheiratet war, dann ein junger Mann namens Smith und, als wir an der Schule vorbeiritten, auch der Schulmeister, der sogleich alle seine Jungen und Mädchen fortjagte und auf jeden Fall mit von der Partie sein wollte. Wir hatten gespaltenes Kienholz, um Fackeln daraus zu machen, mitgenommen, und der junge Smith, der einer von denen war, die den Bären verfolgt hatten, sich aber auch nicht weiter als die Indianer hineingetraute, machte den Führer.
Nachmittags zwei Uhr kamen wir an Ort und Stelle und bereiteten eine gute Mahlzeit, um uns im voraus etwas zu unseren Anstrengungen zu stärken. Während nun das Fleisch am Feuer briet, besah ich mir die Außenseite der Höhle ein wenig. Es war eine steile Felswand, wohl 30 Fuß hoch und vielleicht 300 Fuß lang, aus Kalksteinfelsen bestehend, und hatte vier verschiedene Höhlen oder Eingänge, die eine der größten Naturmerkwürdigkeiten ausmachen, welche ich wenigstens je gesehen habe.
Nachdem wir uns gehörig erquickt, machten wir uns fertig, in die Höhle einzutreten. Wir nahmen nur eine Büchse mit, da wir einer hinter dem andern herkriechen mußten und durch das Losgehen einer Büchse in der rauhen Höhle leicht jemand verwundet werden konnte. Jedoch gürtete jeder sein großes Jagdmesser um, während ich mir noch mein Pulverhorn fest an den Leib schnallte. Die Büchse in der Rechten, eine Fackel aus gespaltenen Kienspänen von wenigstens 20 Zoll Länge in der Linken, betrat ich dann den dunklen Gang, der sich etwa 4 Fuß hoch und 2 breit in den Berg hineinzog. Hinter mir kam der junge Konwell und dann der alte, jener noch mit einer andern Fackel, dieser ein Bündel feingespaltenen Kien tragend, um unsere Fackeln wieder zu erneuern, im Falle sie herunterbrennen sollten.
Die Höhle bestand aus festem Felsen, und 70 bis 80 Schritt gingen wir ganz bequem vorwärts, dann aber machte sie einen starken Bogen zur Rechten, und hier mußten wir, um fortzukommen, auf die Knie nieder. Der Boden, der bis jetzt felsig hart gewesen war, wurde nun auch weicher, bestand aus steifer Tonerde und zeigte sehr deutlich Bärenfährten, von denen eine besonders ganz frisch war und, wie es schien, erst vor wenigen Stunden gemacht sein konnte. Je weiter wir aber eindrangen, desto enger wurde die Höhle, und bald mußten wir auf dem Bauche fortkriechen. Bis dahin waren auch die Indianer gekommen, denn wir fanden mehrere Stücke Kien, die sie dort hatten liegen lassen, sowie die Eindrücke ihrer Knie und Ellenbogen in der weichen Erde, weiterhin jedoch keine Spur mehr von ihnen.
Der Gang wurde jetzt so enge, daß ich, auf dem linken Ellbogen mich hinziehend, mit den Füßen nachschiebend und flach auf dem Boden liegend, mit der Fackel in der linken, die Büchse in der rechten Hand, mich durch die engsten Spalten pressen mußte.
Merkwürdig genug war die Höhle an dieser Stelle fast ganz rund und die Wände derselben an beiden Seiten glatt und schwarz gerieben, daß sie ordentlich fettig aussahen. Es konnte das nur durch das Ein- und Auskriechen von wilden Tieren geschehen sein, die dieselbe seit Jahrhunderten schon zu Schlaf- und Winterquartieren benutzt haben mochten.
Tropfstein hing überall von der Deck herab, was auch das Fortbewegen hinderte, da der freie Raum an wenigen Stellen über 2 Fuß hoch war und mehrere Plätze vorkamen, wo ich wirklich nur mit genauer Not hindurch konnte.
Es war augenscheinlich, daß wir die ersten Weißen, ja die ersten Menschen waren, die in diesem engen Schreckensorte vordrangen, denn der weiche Boden gab getreu jede Spur wieder, die seit langen Jahren in ihn eingedrückt war, an manchen Stellen fanden wir sogar versteinerte Bärenfährten, die vielleicht vor Jahrhunderten der damals weichen Erde eingeprägt wurden. Einmal wohl kam mir ein Gedanke an den Rückweg, wenn wir ihn nicht wieder finden sollten und vielleicht in diesem Grabe verschmachten müßten; doch ich hatte ja die Büchse und kroch weiter, alle meine Sinneswerkzeuge nur darauf gerichtet, den schlafenden Bären zu erspähen.
Interessant waren die Unmassen von Fledermäusen, die überall mit den Hinterbeinen an der Decke hingen und, durch das dicht unter ihnen hingehende Feuer aufgestört, einen schrillen Ton, fast wie das Rasseln einer Klapperschlange, von sich gaben. Heimchen fanden wir ebenfalls in Menge, sogar einige Schmeißfliegen.
Meine Fackel war ziemlich ausgebrannt, da ich von Anfang an, um Kien zu sparen, nur wenige Stücke gehabt hatte, und ich hielt jetzt an, um mir von meinem Nachfolger einige Späne geben zu lassen. Indem ich mich einen Augenblick ruhig verhielt, war es mir, als höre ich, nicht sehr entfernt, ein leises Wimmern, – »husch« – alles war totenstill, und deutlich vernahm ich jetzt in geringer Entfernung den Laut, welchen junge Bären beim Saugen von sich geben. Dabei ließ sich ein leises Brummen hören, und es war keinem Zweifel mehr unterworfen, daß wir uns dem Lager einer säugenden Bärin näherten.
Ich befand mich gerade an einer etwas geräumigeren Stelle, wo ich mich halb aufrichten konnte, und die ich gewählt hatte, einen Augenblick auszuruhen, wandte mich daher zu den beiden Konwells zurück und fragte sie, ob sie ebenfalls den Laut vernommen. Sie gaben ein ziemlich kleinlautes Ja von sich, und wir hielten jetzt eine kurze Beratung, wie wir uns nun verhalten sollten.
Erstlich fing die Höhle an so enge und unbequem zu werden, daß wir uns nur mit der äußersten Anstrengung fortbewegen konnten, und dann hatten wir darauf gerechnet, einen schlafenden Bären, nicht aber eine wachende Bärin mit Jungen zu finden. Es war auch in der Tat noch fast zu früh in der Jahreszeit dafür, doch versicherte mir später mein Alter, daß er in Arkansas schon um Neujahr herum junge Bären getroffen habe.
Die Sache blieb aber jetzt an und für sich dieselbe. Wer schon je eine Bärin mit zurückgelegten Ohren und aufgerissenem Rachen ihre Jungen hat verteidigen sehen kann sich ungefähr von dem, was wir fühlten, einen schwachen Begriff machen. Wir waren auch schon alle drei auf Bärenjagden gewesen und wußten genau, welchen Gefahren wir in dem jede Bewegung versagenden Raum entgegengingen. Wir waren aber einmal da, der Bär ebenfalls, und keiner war feige genug, auf einen Rückzug auch nur hinzudeuten.
Ich untersuchte nun meine Büchse, ob auch alles in gutem Stande sei, und uns langsam wieder fortbewegend, gab mir noch der Alte die Warnung, ja einen sichern Schuß zu tun, und fügte dann ganz trocken den Trost hinzu, daß es ja eigentlich zu meinem eigenen Besten wäre, indem ich, wenn ich fehlte, als der erste von der gereizten Bestie auch zuerst abgefertigt werden würde.
Näher und näher kamen wir der brummenden Bärin, die uns lange gehört haben mußte und jetzt gewiß mit gespannter Aufmerksamkeit horchte. Endlich war ich so nahe gekommen, daß das Gewinsel der Jungen und das drohende Brummen der Alten dicht vor mir schien, und die Fackel hinter meinen Kopf haltend, sah ich deutlich ihre beiden glühenden Augen.
Ich hielt jetzt, reinigte das Visier meiner Büchse, in das sich etwas von der tonartigen Erde eingesetzt hatte, frischte meine Fackel auf und kroch, ohne weiter einen Laut zu wagen, gegen den schwarzen Klumpen vor, den ich nun deutlich erkennen konnte.
Der Augenblick der Entscheidung schien gekommen, und als ich den Kopf der Bestie aus dem ihn umgebenden Dunkel hervorschimmern sah, begann ich meine Vorbereitungen, in eine schußrechte Lage zu kommen.
Die Bärin hatte sich im Lager aufgerichtet, saß mit ihrer gewöhnlichen, schwankenden Bewegung auf den Hintertatzen, und ich versuchte eben, eins ihrer Augen aufs Korn zu nehmen, als sie plötzlich aufstand und augenblicklich in der fast handgreiflichen Finsternis hinter ihr verschwand.
Am Lager angekommen, fanden wir drei Junge, prächtige kleine Dinger, die lustig aufschrien, als sie das ungewohnte, niegesehene Licht erblickten. Nicht ohne Grund befürchteten wir allerdings, daß das Wehklagen der Jungen die Mutter zur Wut reizen möchte, wollten aber doch gern die Kleinen lebendig erhalten, und baten den alten Konwell, bei ihnen zu bleiben, sie zu beschwichtigen und dabei ein Feuer zu unterhalten, während wir andern beiden vordringen und versuchen wollten, die Bärin zu erlegen.
Konwell war es zufrieden, kauerte sich bei ihnen nieder, und ihnen die Finger in das Maul steckend, an denen sie emsig zu saugen begannen, brachte er sie bald zur Ruhe.
Nicht 10 Fuß vom Lager teilte sich übrigens die Höhle und zwei gleichgroße Öffnungen liefen dahin, die eine rechts, die andere links. Hier verriet aber der weiche Boden die erst vor wenigen Minuten eingedrückte Spur in der rechten Höhle, und dieser folgten wir.
Das Geschrei der Jungen, das in kurzer Zeit wieder mit erneuter Kraft begann, fing aber an uns bedenklich zu werden, denn in einer gar bösen Lage wären wir gewesen, hätte die Bärin ihren Jungen zu Hilfe eilen wollen und den Weg dann durch unsere Körper versperrt gefunden. Freilich wäre ihr dann, an der Stelle wenigstens, wo wir uns gerade befanden, auch nichts weiter übrig geblieben, als uns umzubringen und sich, im wahren Sinne des Wortes, durchzufressen, denn über oder neben uns hinweg hätte sie mit dem besten Willen nicht gekonnt. Indem wir uns noch leise darüber beratschlagten, hörte das Geschrei plötzlich auf, und wir zogen wieder lautlos, mit frischem Mut in der Brust, weiter. Nach allem, was wir bis jetzt von der Bärin gesehen hatten, mußte sie außerordentlich feige sein, und das war ein Trost. Die Höhle schien aber kein Ende zu haben, und weiter und weiter krochen wir und schoben uns durch die rauhen Steine, unseren Ellbogen und Rippen keineswegs zum Vorteil.
Eine Eigentümlichkeit hatte diese Höhle, die ich später auch nicht in einer einzigen weiter gefunden habe. Es waren dies flache Steine, die von ungefähr 1–2 Zoll Dicke im Innern derselben wie Gefache oder Regale hinliefen und, wenn man leise mit dem Finger daranschlug, einen Klang wie Stahl von sich gaben. Eine Stelle, ungefähr 50–60 Fuß lang, war ganz besonders eigentümlich gebaut, in welcher solch' flache Steine an beiden Seiten der Höhle hinliefen und in der Mitte bis auf nicht ganz 6 Zoll zusammenkamen, so daß man fast in sitzender Stellung durchkriechen konnte, wenn man den Hals zwischen die beiden Regale hineinschob und den Kopf in der obern Höhle hielt. Dann gehörten aber, für die kurze Strecke wenigstens, Kopf und Körper jeder in ein anderes Gefach hinein, welches, das wenigste zu sagen, eine höchst unbequeme Stellung war, besonders wenn die Bärin unter solchen Verhältnissen den Angriff versucht hätte.
Nachdem wir endlich durch diesen doppelten Engpaß hindurch waren, kamen wir zu einer Quelle, die hier eine Strecke lang durch die Höhle lief und dann nach rechts verschwand. Auf jeden Fall war sie hier vom lieben Gott nur zur Bequemlichkeit der Bären so eingerichtet worden. Die Quelle hatte eine ungefähr 18 Zoll tiefe und etwa 8–9 Zoll breite Rinne ausgewaschen, und mit einem Fuß in derselben stehend, erleichterten wir uns unser Fortkommen bedeutend.
Nachdem ich mich gerade wieder durch einen etwas mehr als unbequemen Platz durchgearbeitet hatte und eben, so gut es die Höhle erlaubte, aus tiefer Brust Atem holen wollte, hörte ich plötzlich, und wie es mir schien dicht vor mir, das tiefe Brummen der Bestie.
Obgleich ich nun seit mehreren Stunden jeden Fußbreit auf eben dieses Brummen gehorcht und gewartet hatte, überraschte mich der plötzliche Ton desselben, und zwar dicht vor der Nase, so daß ich beinahe den Kien hätte fallen lassen. Jedoch erholte ich mich bald von meiner Überraschung, und die Fackel, zur Qual und zum Entsetzen einiger unschuldigen Fledermäuse, so hoch, wie nur irgend möglich, haltend, sah ich die Bärin deutlich, nicht 10 Schritt von mir entfernt, aufrecht sitzend, mit den Fängen schnappend, die Erde vor sich mit den scharfen Krallen zerwühlend und, wie es schien, in der übelsten Laune von der Welt.
Der junge Konwell, der dicht hinter mir war, legte jetzt die Hand auf meinen Fuß und wisperte mir zu, daß er die Bärin höre. Da ich dieselbe Bemerkung schon selbst gemacht hatte, bedeutete ich ihn, stille zu sein, und noch leise ein paar Schritte vorkriechend, kam ich an einen Platz, von dem aus ich schießen zu können glaubte.
Ich ließ den rechten Fuß in die von der Quelle gebildete Höhlung hinunter, richtete mich, soviel es mir möglich war, auf dem linken Knie in die Höhe und hob die Büchse.
Mein Hintermann, der jede meiner Bewegungen ängstlich beobachtet hatte, ermahnte mich jetzt, um Gottes willen bedächtig zu zielen, denn wenn ich einen schlechten Schuß tue, sei es um uns beide geschehen. Obgleich ich nun aber der Gefahr näher war als er, hätte ich doch nicht mit ihm tauschen mögen, denn da er von dem, was vorging, auch nicht das Mindeste sehen konnte, mußte er natürlich immer das Schlimmste befürchten, und ich will in solchen Fällen lieber stets der nächsten Gefahr ausgesetzt sein, als in fortwährender Ungewißheit schweben.
Die Bärin, der mein Näherkommen gar nicht behagen wollte, schnappte grimmig um sich herum, dabei glühten ihre Augen wie Feuer, und die kurzen Ohren zurückgelegt, bewegte sie sich mit dem ganzen Körper in fortwährender Unruhe hin und her. Mir war, da sie etwas gebückt saß, keine andere Wahl gelassen, als nach dem Kopfe zu schießen, wo mir dann immer noch die Hoffnung blieb, daß, wenn ich diesen wirklich verfehlen sollte, die Kugel auf jeden Fall die Brust des Tieres durchbohren mußte.
Als ich aber so zielend dalag, fuhr mir, warum soll ich es leugnen, einen Augenblick der Gedanke durchs Hirn, wie hilflos ich nun da eingeklemmt sei, im Fall der Schuß mißglücke, und die Erinnerung an meine Lieben in der Heimat zog mit Gedankenschnelle an mir vorüber. Es war aber auch nur ein Augenblick, und in der Aufregung der Gegenwart vergaß ich Vergangenheit und Zukunft. Ich zielte, da der Bär keine Sekunde ruhig blieb, lange, dennoch berührte der Finger den Stecher zu schnell. Dichter Rauch füllte augenblicklich die Höhle, und ein banges Stöhnen verkündete, daß die Bestie verwundet sei. Wir nahmen uns aber keine Zeit, den Stand der Dinge genauer zu untersuchen, sondern krochen, so schnell es uns der schmale Raum erlaubte, rückwärts, um einen höheren Platz zu erreichen, die Büchse wieder zu laden und dann zum Kampfplatze zurückzukehren.
Aber noch keine 100 Schritt waren wir krebsartig gekrochen, und eben hatte ich an einem dazu passenden Orte gehalten, als ich das verwundete Tier, schnaubend und mit den Zähnen zusammenschlagend, daß es weit in der Höhle hinschallte, kommen hörte.
Mein erster Gedanke war: »Ade, Tageslicht!« Doch blieb mir zum Überlegen nicht viel Zeit, und nur schnell rief ich dem jungen Konwell zu, wenn ihm sein und mein Leben lieb sei, zu eilen, denn die Alte käme. Es wäre unnötig gewesen, ihn weiter anzutreiben, und nie habe ich Krebse schneller rückwärts kriechen sehen, als wir jetzt versuchten, vom Platze zu kommen. Wie groß aber auch unsere Eile und wie nahe die Gefahr sein mochte, nur langsam ging die Rückfahrt, und näher und näher kam das Schnauben.
Schon hatte ich meine leere Büchse, die mich am Fortkommen sehr hinderte, zurücklassen müssen, und fortwährend vor mich hinschauend, wo ich stets die Bärin zu sehen erwartete, erblickte ich plötzlich, nur wenige Schritte von mir entfernt, die glühenden Augen derselben. In demselben Moment stieß ich auch meinen linken Ellbogen gegen einen spitzen Vorsprung der Höhle. Die Fackel entfiel meiner Hand und rabenschwarze Nacht umgab mich. Der junge Konwell hatte noch eine zweite brennende Fackel, mein Körper füllte aber den Raum so vollkommen aus, daß auch kein Strahl derselben zu mir drang.
Unwillkürlich fast, und wie in einer Art Instinkt, denn zum Überlegen blieb wahrhaftig keine Zeit, schleuderte ich da die noch glimmenden Späne der Bärin entgegen. Das mußte sie stutzig gemacht haben, denn sie hielt plötzlich an; aber lange dauerte das nicht, denn nur zu bald hörte ich sie wieder folgen.
Plötzlich hielt der junge Konwell an und schwur, er wolle verdammt sein, wenn das nicht das Ende der Höhle wäre, denn er könne nicht weiter. Zugleich rutschte er mit seiner rechten Hand, in der er die Fackel hielt, in die Quelle, und ägyptische Finsternis war das augenblickliche Ergebnis.
Ich hatte keine Zeit, ihm zu antworten, denn die Bärin, die langsam unserem Fortbewegen gefolgt war, als ob sie gewußt hätte, daß wir unser Bestes taten, ihr aus dem Wege zu gehen, war jetzt dicht vor mir, und ich bin überzeugt, daß ich mit ausgestrecktem Arme meine Hand hätte auf sie legen können. Deutlich fühlte ich den heißen Atem der Bestie in meinem Gesicht und erwartete, in der Rechten das breite Jagdmesser, mit jedem Pulsschlag den Angriff des verwundeten Tieres. Die Gefahr war zu nahe, um nicht ihr Schreckliches zu verlieren, und ich dachte im Augenblick an nichts anderes, als mein Leben so teuer als möglich zu verkaufen. Hoffnung, aus dieser Klemme je wieder hinauszukommen, blieb mir nicht.
Der junge Konwell war jedoch unter der Zeit nicht müßig gewesen und hatte, wohl einsehend, daß wir nicht ohne Licht bleiben konnten, schnell nach Stein und Schwamm gegriffen. Das Anschlagen seines Messers an den Feuerstein war jetzt der einzige Laut, der die Totenstille unterbrach, denn beim ersten Schlage hatte die Bärin aufgehört zu schnauben, wahrscheinlich um den fremden Lauten zu horchen.
Nach einer peinigend ängstlichen Pause rief Jim, der junge Konwell, endlich: »Ich habe Feuer, gib mir das Pulverhorn und einen Lappen!« Ich schnitt das erstere von den Schnüren ab, riß ein Stück von meinem Jagdhemd herunter, reichte beides zurück, und in wenig Augenblicken hatte der Kien gefangen.
Neue Hoffnung kehrte in unser beider Brust zurück, oder vielmehr nur in die meinige, denn Jim hatte wenig oder gar keine Gefahr gefürchtet. Erstlich wußte er gar nicht, wie nahe die Bärin sei, und war dann auch so beschäftigt mit Feueranschlagen gewesen, daß er, wie er mir nachher versicherte, an gar nichts weiter gedacht habe, als nur eben Feuer zu bekommen. Es war ihm übrigens gelungen, sich herumzudrehen, und wie Engelsharmonie ertönte mir der Ruf, daß er die rechte Öffnung gefunden habe.
Er hatte jetzt den Vorteil, daß er vorwärts kriechen konnte, während ich noch immer gegen die Bärin Front machen mußte; doch reichte er mir ein paar Stücke brennenden Kien, und wir bewegten uns wieder langsam dem Eingange der Höhle zu.
Wie ich die Fackel vorhielt, brummte die Alte und hielt sich, die Zähne aneinanderschlagend, ein paar Schritte rückwärts; jedoch folgte sie aufs neue, als sie sah, daß wir ebenfalls zurückgingen. Not macht erfinderisch! Ich legte ein paar Stücken brennenden Kien auf den Boden der Höhle und sah sie zu meinem unaussprechlichen Vergnügen bei der Flamme halten, über die sie nicht wegzuschreiten wagte. Mit womöglich noch größerer Eile rutschten wir jetzt dem Orte zu, wo wir den alten Konwell bei den jungen Bären gelassen hatten. Jim erreichte den Platz vor mir, und ich hörte, wie er seinem Vater zurief, zurückzukriechen, weil die Bärin käme.
Weiter wurde kein Wort gewechselt. In der Tat kam auch ihr Schnauben wieder näher. Die Flamme war wahrscheinlich auf dem feuchten Boden ausgegangen, und sie hatte weiter kein Hindernis gefunden, uns zu folgen.
Ich kroch jetzt, den beiden Konwells folgend, über den Platz, wo sie ihr Lager gehabt. Hier sah ich auch, weshalb die Jungen so plötzlich mit Schreien aufgehört, als wir einen Augenblick, unschlüssig, was wir tun sollten, in der Höhle hielten. Mein Alter hatten ihnen die Schädel an der Felsenwand eingeschlagen und dadurch wahrscheinlich unser Leben gerettet. Ein einziger Schrei der Jungen, als uns die Fackeln ausgegangen waren, und das verwundete Tier wäre jedenfalls zur Wut gereizt worden.
Ungefähr 500 Schritt hinter dem Lager hielt ich, um zu horchen, hörte aber nicht das mindeste. Ich rief jetzt den beiden anderen zu, mich zu erwarten, und nachdem wir an eine ziemlich geräumige Stelle gekommen waren, wo auch früher ein alter Bär sein Lager gehabt hatte, hielten wir, eng zusammengehockt, eine kleine Beratung.
Der alte Konwell meinte, daß die Bärin zu ihren Jungen zurückgekehrt sei und sich zu den verendeten Tieren gelegt habe, daß einer von uns also zu unserem Lager vor der Höhle werde kriechen müssen, um eine andere Büchse zu holen, denn an der Bestie vorbeizukommen, gereizt und verwundet, wie sie war, um die meinige wieder zu erhalten, wäre ganz unmöglich gewesen. Ehe ich aber den langen, unbequemen Weg nach dem Lager zurückkriechen sollte, beschloß ich doch, erst noch einmal zum Bärenbett hinzuschleichen und zu sehen, ob die Alte nicht vielleicht verendet wäre. Ich konnte mir gar nicht denken, daß meine Kugel so schlechten Erfolg gehabt haben sollte. Dort angekommen, sah ich aber auch nicht das kleinste Zeichen von der Verwundeten.
Mein Ruf brachte die anderen herbei; wir untersuchten, etwas weiter vorrückend, den Platz genauer, und dem Schweiß folgend, der dick und dunkelrot aussah, fanden wir, daß sie, anstatt in ihr altes Lager zurückzukehren, der linken Höhle gefolgt war.
Mein Gewehr lag über 300 Schritt weit in dem rechten Gange, und ich war genötigt, wieder dahin zu kriechen. Es war mit Schlamm und Blut bedeckt, jedoch kehrte ich so schnell ich konnte um und reinigte und lud es wieder. An Ausruhen war übrigens nicht zu denken, wir waren alle zu aufgeregt und zogen aufs neue vorwärts, unsern einmal begonnenen Kampf zu beenden.
Die linke Höhle war ebenso schlecht zu betreten oder vielmehr zu bekriechen, als die rechte, jedoch hatte sich die Bärin glücklicherweise nicht so weit zurückgezogen, und bald erreichten wir den Ort, wo sie sich festgesetzt und uns, wütend um sich beißend, erwartete.
Fast ganz an sie herangekommen – ich konnte kaum mehr als 8–9 Fuß von ihr entfernt sein –, hielt ich, hob mich, soviel ich konnte, in die Höhe, legte die Büchse auf das Gelenk der linken Hand, in der ich die Fackel hielt, und drückte in dem Augenblick ab, als sie den Kopf nur eine Sekunde lang ruhig hielt. Wieder gab die Höhle den dumpfen Krach der Büchse zurück, und alles war in dichten Rauch gehüllt.
Wohl hörte ich die Bärin sich bewegen und stöhnen, hielt aber stand, weil ich wußte, daß meine Kugel diesmal auf dem richtigen Flecke sitzen mußte, und als sich der Rauch verzog, lag sie nicht 3 Schritt vor mir verendet. Der junge Konwell und ich waren aber fast selbst tot, und das Tier jetzt hinauszuschaffen, wäre unmöglich gewesen. Das Umherkriechen in der dumpfen Höhlenluft und in dem Kienrauch, sowie der furchtbar aufgeregte Zustand immerwährender Gefahr so viele Stunden lang war doch selbst für unsere kräftigen Naturen zuviel gewesen und hatte uns so abgespannt, daß wir beschlossen, so rasch wir könnten, die frische Luft aufzusuchen und uns dort erst zu erholen.
Nach einer halben Stunde ungefähr erreichten wir den Ausgang. In meinem Leben werde ich aber den Eindruck nicht vergessen, den die kalte, herrliche Nachtluft auf mich machte, als ich in langen, durstigen Zügen den balsamischen Duft des freien Waldes einsog und wieder einmal über mir den blauen, gestirnten Himmel erschaute.
Unser Schulmeister und der junge Smith schliefen fest, die Hunde schlugen jedoch an, und beide sprangen auf, wären aber auch beinahe wieder vor Schreck umgefallen, denn sie schwuren, daß sie nie in ihrem Leben scheußlichere Gestalten gesehen hätten, als wir drei waren, da wir in der roten Beleuchtung unserer Kienfackeln, über und über mit Schlamm bedeckt und von dem Kienrauch bis zur Unkenntlichkeit geschwärzt, vor ihnen standen.
Nach den Sternen mochte es aber ungefähr zwei Uhr morgens sein, so lange hatten wir uns in dem Loche herumgeschlagen, und obgleich wir alle hungrig wie die Löwen waren, fühlten wir uns doch zu sehr erschöpft, etwas zu genießen.
Mit Tagesanbruch weckten uns die beiden. Wir nahmen dann ein ziemlich gutes Frühstück ein, und den Alten diesmal zurücklassend, der sich für seine Jahre eigentlich schon zu viel angestrengt hatte, zogen wir anderen vier jetzt wieder mit Stricken in die Höhle ein, um unsere Beute ans Tageslicht zu fördern. Wir befestigten den Strick um den Hals des Tieres, und ich zwängte mich hinter die Bestie und schob, während die beiden anderen zogen. Jim hielt die Fackel. Auf diese Art bewegten wir uns Zoll für Zoll weiter, und Mittag war es, als wir unter einem allgemeinen Hurra die Bärin den Abhang hinunter an unser Lagerfeuer warfen, wo Beargrease sogleich Besitz von ihr nahm und sich knurrend neben sie legte.
Da wir eine ziemliche Strecke zu des Alten Hause hatten, brachen wir sie bloß auf und banden sie, nachdem wir ihr erst das Rückgrat eingeknickt hatten, damit sie sicherer im Sattel liegen sollte, auf eins der Pferde.
Erst gegen Abend erreichten wir das Haus, wo ich mich im Flusse badete und dann gleich zum Schlafen hinlegte. Ich war mehr tot als lebendig; die übermäßige Anstrengung hatte mich zu sehr angegriffen.
Am andern Morgen, den 19. Januar, waren wir frischgestärkt zu neuen Anstrengungen und beschlossen, wieder in die Gegend hinauszuziehen, wo der alte Konwell noch mehr Höhlen wußte. Wir versahen uns mit Stricken und Lebensmitteln, machten aber diesmal zwei ziemlich starke Wachslichte, die nicht solch unangenehmen Qualm von sich geben, weniger der Gefahr ausgesetzt sind, zu verlöschen, und wohl ein eben solch helles Licht verbreiten wie eine Fackel.
Den Nachmittag erreichten wir den Ort, fanden auch die Höhlen – es waren deren acht oder neun, die alle 40–80 Fuß in die Erde gingen, aber keinen Bären. Wir verteilten uns jetzt, um neue Gänge aufzusuchen, und verabredeten, daß, sobald einer von uns etwas finden würde, er sogleich das Zeichen geben solle, damit alle den Spaß der Jagd haben möchten.
Ich hatte eben wieder eine kleine Höhle untersucht und frische Zeichen gefunden; der Bär mußte aber nach Wasser gegangen sein oder den Platz für einen besseren vertauscht haben, ich konnte nichts von ihm entdecken. Ich trat jetzt vor den Eingang, einen Ruf zu vernehmen, als ich deutlich unsere Hunde laut werden hörte, die, wie ich nach wenigen Augenblicken angestrengten Lauschens fand, gerade auf mich zukamen. Lauter und vernehmlicher wurde das Krachen der dürren Äste, und plötzlich sah ich einen Bär hervorbrechen.
Einen kleinen Abhang, ungefähr 10 Fuß hoch, sich ohne Umstände herunterwälzend, kam er, so schnell ihn seine Beine nur trugen, gerade auf mich zu. Ich stand ganz ruhig, um zu sehen, wie nahe er wohl zu mir herankommen würde, als er, noch etwa 50 Schritt entfernt, den Wind von mir bekam und im schnellsten Laufe hielt, einen Augenblick die Luft einzog und dann wie ein Pfeil wieder von mir wegflog. Der Augenblick hatte aber genügt, ihm meine Kugel zuzuschicken, doch war ich zu sehr aufgeregt, auch wohl zu hitzig, und mein Blei fuhr ihm nur in den Schenkel und brach seinen Hüftknochen.
Die Hunde waren unter der Zeit durch den Abhang, den sich Petz heruntergestürzt hatte, aufgehalten worden, und er gewann dadurch einen guten Vorsprung, doch hinderte ihn der Verlust des einen Hinterlaufes sehr am Rennen, und bald hörte ich, wie er die Hunde, die ihn eingeholt hatten, zurückschlug.
Ein junger Mann namens Erkswine, der nicht weit von uns entfernt gejagt hatte und durch das Gebell der Hunde und den Krach meiner Büchse herbeigelockt war, kam noch gerade zur rechten Zeit, ihm einen tödlichen Schuß beizubringen, und bald verendete er.
Die beiden Konwells fanden sich jetzt auch ein, und wir machten uns gemeinschaftlich daran, ihn aufzubrechen.
Erkswine erzählte uns auch jetzt, daß er selbst eine Höhle gefunden habe, von der er fest überzeugt sei, daß ein Bär darin stecke, und wenn einer von uns mit ihm gehen wolle, wollte er den Versuch machen, den Bär zu bekommen. Wie er hinzusetzte, war er eben auf seinem Weg nach der nächsten Kienwaldung gewesen, da er nichts bei sich hatte, um eine Fackel davon herzustellen.
Ich war sogleich bereit dazu und nahm eins der Lichter. Nachdem wir den beiden anderen genau beschrieben hatten, wie sie uns wiederfinden könnten, begaben wir uns auf den Weg und erreichten gerade mit Sonnenuntergang den nicht sehr weit entfernten Platz. Dort machten wir ein tüchtiges Feuer vor dem Eingang an und krochen dann, Erkswine voran, hinein. Die Öffnung war sehr eng; die Höhle erweiterte sich aber bedeutend, so daß wir bald aufrecht nebeneinander hergehen konnten. Nachdem wir ein Stück darin vorgedrungen waren, hörten wir den Bären leise winseln, und Erkswine, auch ein alter Bärenjäger, der sich schon lange in den Bergen herumgetrieben, behauptete, daß er fest schliefe.
An einer Biegung der Höhle angelangt, sahen wir ihn plötzlich zu unseren Füßen, und zwar den Kopf zwischen den Füßen haltend und einen leisen, klagenden Laut von sich gebend.
Erkswine, der die Büchse trug, hielt sich nicht lange bei der Vorrede auf, setzte dem Braunen den Lauf an den Hinterkopf und drückte ab.
Das Zucken und der Todeskampf war kurz, und bald lag er ruhig ausgestreckt da.
Konwells hatten in der Zeit mehrere Höhlen untersucht, aber keine Spur weiter gefunden. Sonderbar war es, daß wir während unserer ganzen Jagd auch nicht einen einzigen Hirsch gesehen hatten. Der Wald schien wie ausgestorben zu sein, die einzelnen Bären ausgenommen, die hier und da in den Höhlen zerstreut lagen. Selbst wenig Truthühner fanden wir.
Vor allen Dingen mußten wir aber jetzt unsere Beute in Sicherheit bringen, beluden deshalb die Pferde mit unserem Anteil und zogen in gerader Richtung, soweit diese nämlich anzunehmen möglich war, Konwells Wohnung zu. Eine gerade Richtung aber in den Gebirgen beizubehalten, ist meistenteils unmöglich oder doch sehr schwierig, da häufig steile, abschüssige Felsmassen jedem weiteren Vordringen ein Ziel setzen. Diese nötigen dann den Jäger, meilenlange Umwege zu machen, um nicht allein für sein Pferd, nein selbst für sich und seinen Hund einen gang- oder kletterbaren Pfad zu finden, wieder auf den nächsten Bergrücken zu gelangen. Der scheint allerdings dicht vor ihm zu liegen, aber nur erst nach unsäglicher Mühe und Anstrengung kann er ihn oft erreichen. Unterwegs hielten wir uns übrigens nicht mehr mit Jagen auf, denn wir hatten Wildbret genug und waren müde, müde an Leib und Seele.
Herzlich wurden wir von Konwells Familie empfangen und konnten nun wieder einmal nach harter Arbeit die matten Glieder erquicken.
Solche Mühseligkeiten und Beschwerden müssen aber selbst ertragen, selbst erduldet sein, um dann erst häusliche Ruhe und das stille wohltätige Walten der Frauen würdigen zu können. Es ist wahr, der Jäger existiert draußen im Walde; er hat, wenn er glücklich auf der Jagd ist, seine Lebensmittel, wenn er geschickt und fleißig ist, sein Obdach, das, in kurzer Zeit aufgerichtet, ihn gegen Sturm und Wetter schützt, hat seinen treuen Hund als Wächter und braucht sich nicht, wie der reiche Prasser oder der verwöhnte Städter, stundenlang auf seinem Lager umherzuwerfen, ehe er einschläft. Wer aber kümmert sich darum, ob er sanft ruht, oder ob ihm das Essen schmeckt, ob er glücklich gejagt hat, oder ob er sich mißmutig dem Schlafe in die Arme wirft? Niemand! – Ist er wirklich mit Jagdgefährten im Walde, so hat jeder seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und achtet die der anderen wenig oder gar nicht.
Anders ist es im Hause, wo mit freundlicher Geschäftigkeit die Frau dem ermüdeten, erschöpften Manne jede Bequemlichkeit, die nur in ihren Kräften steht, zu bieten sucht, wo alles wetteifert, den geliebten Gatten und Vater die bestandenen Mühseligkeiten und Gefahren vergessen zu machen und ihn an ihren kleinen Kreis zu fesseln. Bleibt auch der Mann kalt und ruhig dabei und scheint die freundliche Teilnahme fast nicht zu bemerken, so fühlt er es doch im Herzen und liegt er dann wieder in Sturm und Regen draußen, so denkt er mit so viel mehr Liebe und Sehnsucht an das schützende Dach seiner zwar kleinen, aber doch eigenen Hütte zurück.
Ich hatte leider keine Hütte, und wenn auch alles freundlich und liebevoll gegen den Fremden war, fühlte ich doch eben, daß ich ein Fremder sei, und so viel heftigere Sehnsucht erfaßte mich nach einer Heimat, nach einem Flecke, den ich mein nennen konnte. Lieber Gott, es blieb mein Sehnen! Im Traume mich auf grimmige Weise mit Bären und Fledermäusen herumschlagend, erwachte ich am nächsten Morgen neugestärkt, und nicht schlecht mundete das zubereitete Frühstück mit Milch und Maisbrot. Mag es sein, daß nach dem wilden Außenleben dieser stille Kreis so unendlich viel mehr Reiz für mich hatte, als es vielleicht unter anderen Umständen der Fall gewesen wäre, gewiß ist es aber, daß jene liebe Familie mir ewig unvergeßlich sein wird.
Mein Alter und ich saßen den ganzen Tag am Kamin und besserten unsere Leggins und Mokassins aus, und die Zeit verflog uns dabei mit Zauberschnelle, denn der alte Konwell hatte viel erlebt und wußte es vortrefflich zu erzählen.
Ungefähr eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang kam ein Nachbar vorbei und wollte wissen, ob wir mit zu den »Debatten« gehen wollten.
»Debatten?« Ich fragte ihn ganz verwundert, was er damit meine? Er wunderte sich aber noch viel mehr, daß ich das nicht wisse, und gab mir nun eine weitläufige Erklärung über die Sache; daß nämlich alle Freitag Abend im Schulhause, etwa 2 Meilen entfernt, die Nachbarn zusammenkämen und dort im Beisein und mit Hilfe der Schulkinder über irgendeine beliebige Frage, die aufgeworfen würde, debattierten.
Ich hatte nun zwar eine Erklärung, meine Neugierde war aber nur noch mehr gereizt, und ich beschloß, auf keinen Fall die Gelegenheit zu versäumen, dort neue Erfahrungen zu sammeln. Mein Alter hatte die Sache schon zu oft mitgemacht und war zu bequem, den Abend noch dorthin zu reiten, ich aber sattelte eins der Pferde und fand mich bald am Schulhause.
Wer sich nun hier ein großes, räucheriges Gebäude mit dunkeln, verstaubten Fenstern, einer breiten, steinernen, ausgetretenen Türschwelle, mit schwerer, eisenbeschlagener Tür und auswendig angeklebten Gesetzesformeln denkt, ist sehr auf dem Holzwege; aber wiederum ist es nur ein Holzweg, auf dem man zu einer Schule in Arkansas gelangen kann.
Dies Schulhaus glich dem, welches ich schon früher einmal erwähnt habe, wie ein Ei dem andern. Das kleine, aus rauhen Stämmen roh aufgeführte Häuschen lag mitten im Walde, und eine Menge Pferde, die rund umher in den Büschen angebunden waren, zeigten, daß sich schon eine ziemliche Anzahl Debattierender versammelt habe.
Ein helles Feuer flammte im Kamin, und das Innere war mit einer Menge von Leuten aus der Umgegend gefüllt. Jeder sprach übrigens, und es war eine wahrhaft babylonische Verwirrung; endlich jedoch legte sich der größte Spektakel, und es wurde zum Debattieren geschritten. Um dies aber alles in Ordnung vorzunehmen, mußten zwei Richter und zwei Kapitäne gewählt werden, welche letzteren die beiden streitenden Parteien anführen sollten. Die Richter setzten sich in die Mitte, und jeder der Kapitäne, die sich erst wechselweise ihre Mannschaft heraussuchten, nahm eine Seite ein.
Die Frage, worüber debattiert werden sollte, war folgende:
»In einem dicht bewohnten Landstriche, wo sich die Einwohner viel mit der Viehzucht abgaben, war bloß ein Gemeinde-Bulle.
Derselbe Platz lag an einem breiten Strom, und die Einwohner waren genötigt, wegen Mühlen, Gerbereien usw., die an der andern Seite lagen, oft hinüber und herüber zu fahren, hatten aber nur eine Fähre, die an einem Seil angebunden lag.
»Selbiger Bulle geht jetzt an die einzige Fähre, steigt hinein, kaut am Stricke, der Strick reißt, das Boot schwimmt mit dem einzigen Trost der Kühe den reißenden Strom hinunter und – wird nicht wieder gesehen.«
Das war die Tatsache.
Nun war die Frage, wer der Gemeinde für den unersetzlichen Verlust Schadenersatz bezahlen sollte? Der Mann, dem das Boot gehöre, weil es den Bullen entführt habe, oder der Mann, dem der Bulle war, weil dieser unter irgendeiner bösartigen, unbekannten Absicht das Boot gestohlen habe?
Interessant war es nun zu sehen, wie einer der Debattierenden nach dem andern auftrat und mit ernsthaftester Miene bald den Bullen, bald das Boot verteidigte, mancher auch wohl eine Viertelstunde lang baren Unsinn herschwatzte, dann kurz abbrach und versicherte, daß es für ihn gar nicht nötig sei, noch weiter etwas zu bemerken, die Sache läge zu klar am Tage, und die Richter würden auf jeden Fall seiner Seite den Sieg zuerkennen. Nach unendlichem Räsonnieren sämtlicher Mitglieder, mich keineswegs ausgenommen, berieten sich die Richter, und der Eigentümer des Bullen wurde verurteilt, die Zeche zu bezahlen. Wie mir gesagt wurde, war den Freitag vorher schon dieselbe Frage einmal verhandelt worden, wo der Eigentümer des Bootes verloren haben sollte.
Nachher kam die Frage: »Welcher Stand der bessere sei, der ledige oder der verheiratete?« Die Debattierenden waren größtenteils Schulkinder.
Die Richter wurden unparteiisch gewählt. Des einen Frau war vor drei Jahren mit einem jungen Manne nach Texas entlaufen, und des andern Ehegattin hatte dreimal Zwillinge gehabt.
Ich war auf der Seite der Verheirateten, mit mir der Schulmeister, drei oder vier andere junge Leute und sechs oder sieben Schulkinder, und mit glühender Begeisterung verteidigten wir unsern aufgegebenen Stand; aber der eine Richter dachte an Texas, der andere an die Zwillinge, und hochauf schnellte die Wage des Ehejoches.
So kamen nacheinander noch einige Fragen, unter denen wohl die interessanteste die war: »was schlimmer sei, ein rauchender Kamin oder eine zänkische Frau«, die nicht entschieden werden konnte.
Auch ich wurde zuletzt aufgefordert, eine Frage aufzuwerfen, doch ließ ich mich erst dann dazu bewegen, als ich das feste Versprechen erhalten, daß die Frage auch debattiert werden sollte, und schlug folgendes vor:
»Wer wohl das Leben am meisten genösse und die wenigsten Sorgen und den leichtesten Kummer habe, ein kurz- oder langgeschwänzter Hund?« Die Versammlung hielt übrigens ihr Wort nicht. Es war überdies auch spät geworden und Zeit zum Aufbruch. In kurzer Zeit stand daher das Schulhaus öde und verlassen im dunkeln Walde, und nach allen Richtungen trabten wir unseren verschiedenen Schlafstellen zu.
Es war am 22. Januar morgens, als mein Alter und ich wieder unsere Büchsen schulterten und jeder, mit einem Stück Fleisch und Brot versehen, nach den Wassern des Richland wanderten. Gut war es aber, daß wir Zehrung mitgenommen hatten, denn nicht ein einziges Stück Wild bekamen wir zum Schuß. Am andern Tage ebenso, und hätte Konwell nicht noch einen Truthahn geschossen, so hätten wir Sassafras kauen können.
Endlich am dritten Tag schoß er einen Hirsch und ich einen Truthahn, was unseren Hunden wieder neues Leben gab, jedoch fing uns die schlechte Jagd an zu langweilen, und wir beschlossen, den nächsten Morgen wieder nach Hause zu gehen, noch dazu, da das Wetter recht bösartig und drohend auszusehen begann. Zu unserer unaussprechlichen Freude fing es die Nacht an zu schneien, und jetzt war an Fortgehen nicht mehr zu denken. Am andern Tage schlug nun jeder von uns seine eigene Richtung ein, und wie verabredet, wollten wir uns am Abend wieder im Lager treffen.
Noch nicht weit gegangen, spürte ich in dem etwa 4 Zoll hohen Schnee einen jungen Bock auf, folgte ihm und schoß ihn nieder. Fast zu gleicher Zeit hörte ich auch Konwells Büchse. Ich hängte meinen Hirsch auf und wanderte weiter. Wohl über eine Stunde war ich so langsam fortgeschlendert, ohne noch etwas gesehen zu haben, als ich meines Alten Fährte kreuzte, der mit seinem Hunde auf der blutigen Spur eines Panthers war.
Er hatte ihm den linken Hinterlauf zerschmettert, denn nur drei Spuren konnte ich bei jedem Sprunge erkennen, und dunkelrote Tropfen bezeichneten seinen Lauf. Ich folgte natürlich, so schnell mich meine Füße tragen wollten, und holte ihn nach etwa einer Stunde starken Marschierens am Eingang einer Höhle ein, wo er auf mich gewartet hatte. Er wußte, daß ich über seine Fährte kommen mußte und ihr dann, sobald ich die Pantherspur mit dem frischen Schweiß sah, sicher folgen würde.
Das verwundete Tier hatte in der Höhle seine Zuflucht gesucht und uns überlassen, zu tun, was wir für gut finden würden. Es glaubte wahrscheinlich, es wäre sicher. Wir hielten einen kurzen Kriegsrat, und Konwell sagte mir, daß er etwa zwei Meilen von dort ein Bündel Kien in einer Schlucht versteckt habe und, im Fall ich hier am Eingange Wache hielte, hingehen und es holen wolle. Mir war's recht, und mit gespanntem Hahn und gezogenem Messer lagerte ich mich vor der Höhle.
Das Liegen im Schnee war aber nichts weniger als angenehm, obgleich ich mir im Anfang, da ich vom starken Laufen erhitzt war, nichts daraus machte. Nach und nach kühlte ich mich jedoch ab, und zuletzt schlugen mir die Zähne zusammen, und die Glieder flogen wie im Fieberfrost.
Durch Hin- und Herlaufen und Herumspringen mußte ich mich zuletzt noch erwärmen und war sehr froh, als mein Alter endlich zurückkam und ein gutes Feuer anzündete. Ich hatte natürlich nicht gewagt, die Büchse aus der Hand zu legen aus Furcht, den Panther entwischen zu lassen.
Nachdem wir uns gewärmt hatten, machten wir Fackeln und betraten höchst vorsichtig die Höhle, jeder in der Linken den brennenden Kien, in der Rechten die Büchse haltend. Ich kroch im Anfang voran, doch wurde die Höhle bald so hoch und geräumig, daß wir recht gut nebeneinander hergehen konnten.
Sie zog sich, links einbiegend, den Berg hinein, und ungefähr 200 Schritt darin vorgerückt, sahen wir die glühenden Augen der verwundeten Bestie, sich von Zeit zu Zeit schließend, und dann wieder wie zwei feurige Kugeln zu uns herüberleuchtend.
Der Alte nahm meine Fackel, trat hinter mich, und ich zielte und drückte ab. Zwar hörten wir nach dem Schusse Geräusch, konnten aber nicht deutlich wahrnehmen, was eigentlich das Ergebnis war. Schnell lud ich jedoch meine Büchse wieder, und der Alte trat vor; die Bestie wollte aber die Augen nicht mehr zeigen, und wir sahen uns genötigt, weiter vorwärts zu gehen; die Büchsen lagen jedoch gespannt auf unserem linken Handgelenke, und wir waren auf alles gefaßt.
Leise vorschreitend, tauchte plötzlich der Panther, der in einer kleinen Vertiefung gelegen hatte, dicht vor unseren Füßen auf, ein schrecklich schöner Anblick: die Ohren so zurückgelegt, daß sie gar nicht mehr zu sehen waren, die Zähne, weiß wie Elfenbein, in wilder Wut zusammenschlagend und die Augen weit geöffnet, glühend, als ob sie durch die furchtbare Wutanstrengung aus ihren Höhlen springen sollten.
Im Nu flogen unsere Büchsen in die Höhe, und das Echo der Höhle donnerte den Schall nach. Aber wie in einer Art Instinkt ließen wir auch beide zu gleicher Zeit die abgeschossenen Gewehre fallen und rissen unsere Messer aus der Scheide. Ich fühlte zu gleicher Zeit etwas gegen mich anprallen – denn sehen konnte ich wegen des Pulverdampfes nichts – und stieß mit dem Messer danach. Unsere Fackeln verlöschten dabei zu gleicher Zeit, und alles ging so zauberschnell, daß ich erst wieder zur Besinnung kam, als ich mich neben meinem Alten in der frischen Luft vor der Höhle fand.
Mechanisch hatten wir beide unsere Messer in der rechten und die ausgelöschten Fackeln in der linken Hand behalten. Ans Tageslicht gekommen, zeigte es sich nun aber eigentlich erst, wie wir aussahen, mit Schweiß und Blut bedeckt, und die Kleider zerrissen.
Mein Alter klagte über Schmerzen auf der Brust, und das Hemd aufreißend, fanden wir zwei tiefe Risse vom linken Schulterblatt herunter bis auf die Herzgrube. Auch ich hatte ein paar leichte Schrammen bekommen, und unsere Jagdhemden waren gänzlich zerfetzt. Keiner von uns hatte gefühlt, wie er verwundet war, ehe wir uns aber nur um irgend etwas anderes bekümmerten, entzündeten wir ein großes Feuer in dem Eingang der Höhle, um den Panther zu verhindern, herauszukommen, wuschen und verbanden dann unsere Risse und setzten uns ans Feuer, um zu beratschlagen, was jetzt eigentlich getan werden sollte.
Der Panther mußte in der Höhle sein, ob aber tot oder lebendig, wußten wir nicht, auf jeden Fall war er schwer verwundet, denn unsere beiden Jagdmesser, in der Klinge 9 Zoll lang, waren bis ans Heft blutig. Übrigens hatten wir eigentlich keine Wahl, denn unsere Büchsen nebst Konwells Kugeltasche, die ihm die Bestie abgerissen hatte, lagen in der Höhle.
Den Panther durch Rauch zu töten, wäre vielleicht gegangen, jedoch wußten wir auch nicht, ob der Rauch nicht einen anderen Abzug haben könne, und dann hätten wir damit ganz nutzlos die Zeit versäumt. Wir entschlossen uns also kurz und betraten mit frischen Fackeln und bloßen Messern aufs neue, wenn auch nicht ganz ohne Herzklopfen, die Höhle.
Leise und vorsichtig schlichen wir mit vorgehaltener Kienflamme entlang, um nicht wieder so angenehm überrascht zu werden, erreichten aber, ohne auf den Feind gestoßen zu sein, ungehindert unsere Büchsen.
Ich hielt jetzt beide Fackeln, damit mein Alter laden konnte, dann gab ich sie ihm und lud die meinige, und erst wieder mit unseren treuen Waffen bewehrt, schritten wir leichten Herzens, aber immer noch sehr vorsichtig, weiter.
»Dort!« hauchte mein Alter, mit hochgehaltenem Licht vor sich hinstarrend. Es war das erste Wort, das gesprochen wurde, seit wir die Höhle zum zweiten Male betreten hatten. Auch ich hatte jetzt die helle Gestalt des Panthers entdeckt; er war aber nicht mehr gefährlich. Ausgestreckt lag er da, selbst die letzten Zuckungen waren vorüber.
Wir streiften ihn ab und schnitten ihn auf. Alle drei Kugeln hatten ihn getroffen, und beide Messer waren ihm durch den Leib gegangen, so daß er nur noch im letzten Todeskampfe an uns gesprungen sein konnte. Wir nahmen nur das freilich ganz durchlöcherte Fell mit und gingen zu unserem Feuer zurück.
Es war Nacht, als wir aus der Höhle traten, und mit hungrigem Magen legten wir uns nieder. Konwell aber hatte keine Ruhe, der Riß, den er bekommen, tat ihm sehr weh, jedoch fiel er gegen Morgen in einen ziemlich gesunden Schlaf.
Wir brachen mit erster Dämmerung auf, gingen dem Platze zu, wo ich meinen erlegten Hirsch aufgehangen hatte, und frühstückten dort. Ich machte jetzt den Vorschlag, nach Hause zurückzukehren, da die Wunde meinen Jagdgefährten doch jedenfalls schmerzen würde und sich vielleicht gar entzünden könne. Der alte Mann lachte mich aber aus, behauptete, sich an einen solchen Hautriß nicht kehren zu wollen, und wir jagten weiter.
Es war indes wärmer geworden, und die dünne, weiße Schneedecke hatte sich empfohlen. Zugleich war es aber, als ob alles Wild auf der Wanderschaft sei, und obgleich wir Fährten genug sahen, konnten wir nicht das mindeste zum Schuß bekommen.
Die Nacht wurden wir durch einen feinen, dünnen Regen, der ganz naßkalt auf uns herabträufelte, geweckt und gezwungen, unsere Decken aufzuspannen. Der nächste Morgen brachte wieder neue Mühseligkeiten, aber keine Beute, und verdrießlich zogen wir den ganzen langen Tag durch den nassen Wald, ohne auch nur einem Truthahn zu begegnen.
Unser Wildbret, mit dem wir nicht haushälterisch umgegangen waren, ging auch auf die Neige, und nachdem wir gefrühstückt hatten, blieb jedem noch ein nicht gar großes Stück, das er zum Abendessen mit seinem Hunde teilen konnte. Immer noch hielt uns neue Hoffnung aufrecht, und aufmerksamer und bedächtiger jagten wir, ohne zu ermüden, bis spät in die Nacht; die Büchsen aber hatten Ruhe; nicht einmal ein Aasgeier war zu sehen.
Am 29. Januar morgens saßen wir mit leerem Magen am Feuer und schauten melancholisch in die knisternde Flamme. Da brach endlich mein Alter in ein lautes Lachen aus und fragte, ob wir denn gezwungen wären, hier in dieser von allem Wild verlassenen Gegend wohnen zu bleiben, wir wollten nach Hause gehen. Das war mir aber nicht recht. So ganz ohne Beute, mit nichts als einem durchlöcherten Pantherfell heimzukommen, war doch zu unangenehm, und ich bat ihn, den Tag noch zuzugeben. Fänden wir bis zum Nachmittage nichts, dann wollten wir uns wieder am Lager finden und den Heimzug antreten.
Lautlos und auf das geringste achtend, durchschlich ich nun mit Beargrease noch einmal alle die Plätze, wo ich sonst fast jedesmal Wild getroffen hatte, alles schien wie ausgestorben, und nagender Hunger peinigte mich noch obendrein. O, wie ganz anders kam mir da die Erinnerung an die deutsche Jagd! Alle halbe Stunden weit ein Wirtshaus, wo Bier und Butterbrot den ermatteten Jäger erfrischen, oder auch wohl ein Glas Wein ihm neues Feuer durch die Adern jagte. Hier dagegen gab es nur dichten Wald, wo ein naßkalter, langweiliger Baum gerade wie der andere aussah, gab es nur gelbes Laub und umgestürzte Bäume und, damit der Sache doch auch etwas Unterhaltung nicht fehle, eine Masse schwarzer locusts, so daß der arme müde Jäger alle Augenblicke in den verwünschten Dornen hängen bleibt. Und rutscht er einmal auf dem schlüpfrigen Boden mit den glatten Mokassins aus, so kann er auch sicher darauf rechnen, sich in einen derselben hineinzusetzen, der wie zu seiner Bequemlichkeit gerade da angebracht zu sein scheint.
Matt und zum Tode erschöpft, erreichte ich endlich am Nachmittag das Lager, wo ich meinen Alten schon vorfand. Ruhig lag er am Feuer hingestreckt und sagte, daß er mich schon ein paar Stunden erwartet habe.
»'s ist nichts hier mit der Jagd,« meinte er, und ich stimmte von Herzen bei. Des nutzlosen Umherlaufens daher herzlich müde, schulterten wir unsere Decken und das eine Fell und zogen, leicht an Gepäck, aber wie mit bleischweren Gliedern von dannen. Lange nach Dunkelwerden erreichten wir auch erst Konwells Wohnung und wurden herzlich dort empfangen, aber auch tüchtig ausgelacht, als wir, anstatt zu essen mitzubringen, über alles, was nur irgend wie ein eßbarer Gegenstand aussah, Werwölfen gleich herfielen. Besonders mundete mir die frische Milch ausnehmend.
Gern hätte ich jetzt einen Tag geruht, aber mein Alter, der trotz seiner tiefen Schramme, die noch nicht ganz geheilt war, sich schon nach der ersten Mahlzeit wieder frisch und stark auf den Beinen fühlte, hatte keine Ruhe und versicherte mir, daß wir die Scharte auswetzen müßten; die Leute glaubten sonst, wir könnten keinen Hirsch mehr schießen.
Am nächsten Vormittag waren wir wieder auf dem Marsche und erreichten die Quellen des Hurrikane, ritten über des »devils stepping path«(Teufelsfährte, ein schmaler Felssteig, wo ein Abgrund an jeder Seite gähnt), ließen den Pilotrock zu unserer Linken und kamen gegen Abend an die Grenze der Fichtenwaldungen, wo wir Kien bekommen konnten.
Eine steile Berghöhe hinuntersteigend, gewahrten wir am Laufe des Baches eine dünne, blaue Rauchsäule, die uns zeigte, daß dort Jäger lagerten. Wir gingen darauf zu und erreichten bald ein indianisches Lager, bei dem wir auch einen alten Bekannten, den jungen Erkswine, trafen. Es waren Cherokesen mit drei jungen Chocktaw-Kriegern, deren beide Stämme befreundet sind.
Sie waren, wie wir, auf der Bärenjagd, hatten aber mehr Glück gehabt, denn ihr ganzes Lager strotzte von Bärenfleisch. Selbst die Hunde waren übersättigt.
Wir warfen uns sogleich am Feuer nieder, und eine der squaws, denn die Indianer hatten mehrere Frauen mit sich, steckte ein paar delikate Stücken Bärenfleisch ans Feuer, und wir erlabten uns gehörig daran.
Die Nacht brach herein, und alles lag in tiefer Ruhe. Ich hatte mich auch niedergelegt, konnte aber noch nicht einschlafen, nur mein Hund, der sich gegen Abend hinter einem Gange Truthühner her müde gelaufen hatte, die ihm aber doch zuletzt entgingen, da sie über eine tiefe Schlucht an einen andern Berg flogen, lag dicht neben mir, mit seinem Kopf auf meinem linken Arme, und fing an zu träumen. Dabei strampelte er, wie es die Hunde gewöhnlich tun, mit den Füßen, als ob er liefe, und bellte leise dazu.
Ihm so zusehend, fiel mir eine alte Geschichte ein, die mir früher einmal, ich konnte mich nicht mehr besinnen, wo, ein alter Bärenjäger erzählt hatte, nämlich, daß, wenn man einem schlafenden und träumenden Hunde das Taschentuch über den Kopf lege, bis er ausgeträumt habe, und sich nachher dasselbe unter den eigenen Kopf schiebe und einschlafe, man denselben Traum haben würde, den der Hund gehabt. Ein Schnupftuch hatte ich nun zwar nicht, legte ihm aber meine blaue schottische Mütze auf den Kopf, unter der er ruhig fortträumte, nahm dann dieselbe, als er endlich erwachte, unter meinen Kopf und war bald eingeschlafen.
Mochte es nun der Gedanke sein, mit dem ich schlafen gegangen, obgleich ich sonst nie von dem träumen kann, was ich wünsche, ich fand mich aber bald im Traume auf eine merkwürdige Art hinter Truthühnern herlaufen, was gar nicht Jägersitte ist, da man das immer dem Hunde überläßt, und ruhte nicht eher, bis ich sie in die Baume gejagt hatte, wo ich dann, unten stehend, zu ihnen hinaufschaute, aber nicht ans Schießen dachte. – In dem Augenblicke schlug mein Hund, der dicht an meinem Ohre lag, so furchtbar an, daß ich erschrocken auffuhr.
Einer der Indianer war aufgestanden, um sein Feuer zu schüren, und Beargrease hatte das verdächtig gefunden. Mein schöner Traum war vorbei, und ich kann mich jetzt nicht mehr darauf besinnen, ob ich gebellt habe oder nicht. Zwar schlief ich nachher aufs neue ein, aber der Traum wollte sich nicht fortsetzen, und früh am Morgen brachen wir wieder auf.
Wir teilten uns, um eher Bärenzeichen zu finden, jetzt in zwei Parteien, wo mein Alter mit einem Teil der Indianer, unter denen er einen alten Bekannten gefunden hatte, um den Pilotrock herumjagen wollte, während ich mit Erkswine und drei Cherokesen an die Quellen der Frogbayou ging.
Gegen 10 Uhr morgens fanden wir eine Höhle, die uns der Mühe wert schien, sie zu untersuchen; wir machten daher Fackeln – Kien war im Überfluß da –, und einer der Indianer und ich beschlossen hineinzugehen. Erkswine blieb mit den beiden anderen am Feuer. Er meinte, er sei die letzten vier Tage in so viel Höhlen herumgekrochen, ohne etwas zu finden, daß er es überdrüssig wäre.
Die Höhle war anfangs ziemlich eng, doch wurde sie nach und nach geräumiger, und wir gingen darin ein langes Stück hin; übrigens mußte sie allem Anschein nach schon früher einmal besucht worden sein, denn wir fanden Mokassinspuren und kleine Stückchen Kohle. Plötzlich aber setzte ein unerwarteter Anblick unserem beiderseitigen Vorschreiten Grenzen.
Es war ein menschliches Gerippe, sowie auch die Knochen eines Bären, die, ungefähr 3 Fuß von einander getrennt, friedlich nebeneinander lagen. Eine mit Rost dick überzogene Büchse und ein durch die feuchte Luft fast zerfressenes Messer lagen an der Seite des Gerippes, und Glaskorallen, die wir fanden, überzeugten uns, daß es ein Indianer gewesen sei, der hier einsam und brav im tödlichen Gefecht geblieben war; denn daß er sein Leben teuer genug verkauft habe, bewiesen die Bärenknochen an seiner Seite.
Das Gerippe war vollständig, es fehlten nur viele der kleinen Knochen, die wohl Ratten oder vielleicht gar Schlangen fortgeschleppt hatten. Der Indianer wies jetzt stillschweigend auf den Knochen des rechten Oberarmes, der, wahrscheinlich im Kampfe mit dem Bären, zerschmettert war; das Messer lag auf der linken Seite.
Es war ein erschütternder Anblick, die Überreste eines menschlichen Wesens zu sehen, das schon seit Jahren verfault, hier moderte, und dicht daneben die Fußspuren ebendesselben Körpers, noch frisch in dem feuchten Boden, als ob sie eben erst eingedrückt wären. Ich wollte stillschweigend an dem Gerippe vorübergehen, als der Indianer mir die Hand auf den Arm legte und mit dem Kopfe schüttelte.
»Der Geist der roten Mannes ist in der Höhle, und Wachiga geht nicht weiter,« sagte er in gebrochenem Englisch.
Keine Macht der Erde hätte ihn weiter vorwärts gebracht, alle meine Überredung war fruchtlos, – auf die Knochen zeigend, bemerkte er ruhig: »Die Gebeine des roten Mannes gehören einem großen Häuptling; der Bär sucht nicht sein Bett, wo der Jäger schläft.«
Da mir die letzte Behauptung selbst wahrscheinlich schien, und mich der Anblick in der Tat zu sehr erschüttert hatte, um meine Wanderung allein fortzusetzen, so kehrten wir zurück, ohne die Überreste der Gebliebenen auch nur berührt zu haben.
Wir fanden Erkswine allein, da die zwei anderen Cherokesen ihre Jagd fortgesetzt hatten, und erzählten ihm, was wir gefunden; er bezeigte aber nicht die mindeste Lust, es selbst zu sehen. Noch drei Höhlen fanden wir an diesem Tage, aber in keiner einen Bären. In zwei von ihnen ging Erkswine und der Indianer, in die dritte ich und E. Die dritte teilte sich, und eine ging rechts, eine andere links in den Berg. Erkswine nahm die rechte, ich die linke, und ich fand, ein kleines Stück vorgedrungen, eine Masse Zeichen. Die Höhle wurde aber so eng, daß ich alles, Messer und Fackel ausgenommen, zurücklassen mußte und mich nicht einmal von der linken auf die rechte Seite drehen konnte, um mit meiner Lage etwas zu wechseln.
Ich hatte mein Jagdhemd am Eingange ausgezogen und weiter nichts als ein altes baumwollenes Hemd und meine Leggins an, und rutschte so Zoll für Zoll immer weiter vor, denn fast außer allem Zweifel schien es mir, daß ein Bär darin sein mußte.
Die Höhle war ganz rund, und die Seiten an manchen Stellen, durch das Anreiben wilder Bestien, glatt wie Glas geworden, auch fand ich ein Schlangenfell, das eine Klapperschlange abgeworfen haben mußte.
Mich eben in einen recht engen Fleck hineinklemmend, saß ich plötzlich fest und konnte weder vor- noch rückwärts. In demselben Augenblick aber, in dem ich mich gefangen fühlte, brach mir mit Blitzesschnelle der kalte Angstschweiß aus allen Poren, und ich lag gewiß eine Minute bewegungslos; dann aber versuchte ich alles, was in meinen Kräften stand, mich rückwärts zu arbeiten, und endlich, zu meiner unbeschreiblichen Beruhigung, gelang es; den größten Teil meines Hemdes aber ließ ich an den kleinen rauhen Vorsprüngen der Höhle zurück und war seelenvergnügt, als ich nur wieder einmal frische Luft einatmen konnte. Ich hatte jetzt allen Respekt vor den Höhlen bekommen, denn der Gedanke sträubte mir ordentlich das Haar zu Berge, wie fürchterlich es sein müßte, in einem solchen Loche stecken zu bleiben und nun, gewissermaßen bei lebendigem Leibe eingemauert, elendiglich zu verschmachten.
Als die Nacht einbrach, waren wir zu weit vom Lager der anderen Indianer entfernt, dasselbe noch zu erreichen, und schlugen unser eigenes auf; Wachiga war aber sehr nachdenklich geworden, rauchte und sah starr in die Flamme. Trotzdem daß er ein Christ geworden war, mochte der alte Aberglaube noch zu tiefe Wurzeln in seinem Innern behalten haben, oder war wohl gar durch die vielen neuen Histörchen, die ihm die Missionäre aufgebunden, noch mehr befestigt worden. Erkswine schien desto munterer und erzählte eine Schnurre nach der andern.
Am nächsten Morgen, am 1. Februar, waren wir kaum aufgebrochen, als wir schon Hunde jagen hörten. Wachiga erklärte augenblicklich, daß es die Hunde seiner Brüder wären, und verschwand, ohne weiter ein Wort zu sagen, hinter den Felsen. Wir horchten noch eine Weile, da schien es uns, als ob die Jagd eine andere Richtung nähme, und so schnell uns unsere Füße tragen wollten, liefen wir auf dem Bergrücken hin, um ihnen den Weg abzuschneiden; wir mußten uns aber wohl geirrt haben, denn in wenigen Minuten war alles totenstill. Einmal glaubten wir zwar einen Schuß zu hören, aber auch das war nicht deutlich.
Wir stiegen jetzt auf die höchste Terasse des Gebirgsrückens und wanderten langsam darauf hin, teils um frische Fährten zu entdecken, teils noch immer in der Hoffnung, die Jagd wieder zu hören, da man in den steilen, abgebrochenen Felsmassen im Tal unten oft das Gebell der Hunde in sehr geringer Entfernung nicht vernimmt, während es oben auf dem Berge, wo das Ohr nach allen Seiten hin freien Spielraum hat, weit schallt.
Es mochte zwei Uhr nachmittags sein, und noch immer hatten wir nichts gefunden, als mein Hund die Nase hoch in die Höhe hob, einen Augenblick in der Stellung verharrte, dann ein kurzes, dumpfes Geheul ausstieß und den Berg hinuntersprang.
Wir horchten und vernahmen deutlich das Bellen der Meute, die den Hurrikanefluß herunterkam. Erkswine rief triumphierend: »Jetzt haben wir Bärenfleisch auf heut Abend!« Beiläufig gesagt, waren wir beide sehr hungrig. Er folgte dem Hunde, um der Jagd, die jetzt immer näher kam, den Weg abzuschneiden. Ich hatte ihn bald eingeholt, und nicht lange dauerte es, so brach der gehetzte Bär durch die Büsche. Ein kleiner Felsenvorsprung hielt ihn einen Augenblick auf, und Erkswins Kugel begrüßte ihn; dicht an mir stürzte er jetzt vorbei und nahm auch meine Kugel mit, verschwand jedoch augenblicklich aus unserem Gesichtskreise.
Die Hunde aber, durch unsere Nähe und das Schießen, wie den frischen Schweiß auf der Fährte, zu neuen Anstrengungen angetrieben, folgten mit verdoppelter Wut und hatten ihn, Beargrease voran, der noch frisch und unermüdet war, in wenigen hundert Schritten eingeholt und gestellt.
Uns blieb keine Zeit wieder zu laden, sondern wir stürzten dem Kampfplatze zu, wo wir gerade zur rechten Zeit ankamen, zu sehen, wie die Bestie mit unseren Hunden umging. Mit ebenso vielen Schlägen seiner Tatzen tötete das zur grimmigsten Wut gereizte Tier vier der besten. Aber nur desto wütender warfen sich die anderen auf ihn, und wären auch unsere Büchsen geladen gewesen, wir hätten nicht schießen können. Eben flog wieder ein großer brauner Rüde, der mit furchtbarer Wut den Bären gepackt hatte, blutend und heulend, von der gewaltigen Tatze getroffen, zur Seite, als Erkswine schrie: »Rette die Hunde!« seine Büchse hinwarf und mit dem Messer auf den blutigen Knäuel zusprang.
Ich war an seiner Seite, doch wie der Bär uns gewahrte, schleuderte er mit einer furchtbaren Kraftanstrengung die Hunde von sich. Den Augenblick benutzend, rannte ihm mein kühner Gefährte den Stahl in die Seite. Wie der Blitz aber wandte sich die Bestie nach ihm um, ergriff ihn, und ich hörte nur, wie er einen einzigen, furchtbaren Schrei ausstieß.
Dadurch fast zur Verzweiflung getrieben, stieß ich dem Untier dreimal mit aller Kraft meines Armes die breite Klinge in den Leib, ohne auch nur daran zu denken, zurückzuspringen. Beim dritten Stoß hatte sich der Bär gewandt, und ich sah nur, wie er nach mir schlug, wollte dem Schlage ausweichen, sank aber, von einem stechenden Schmerz durchzuckt, bewußtlos nieder.
Als ich wieder zu mir kam, leckte mir mein Hund das Blut, von dem ich bedeckt war, aus dem Gesichte. Ich wollte aufstehen, doch konnte ich nicht, so schmerzte mich die linke Seite; den linken Arm konnte ich gar nicht bewegen.
Endlich ermannte ich mich und richtete mich halb auf.
Allmächtiger Gott, wie sah der Platz aus! Der Bär lag dicht neben mir und nicht 3 Fuß von ihm entfernt Erkswine starr und kalt.
Mit einem Angstschrei sprang ich auf die Füße und stürzte zu ihm hin. Es war nur zu wahr, dort lag er in seinem Blute, das ganze Gesicht zerfetzt und die rechte Schulter fast vom Körper getrennt, um ihn herum fünf der tapfersten Hunde mit aufgerissenen Bäuchen und zerschmetterten Knochen und der Bär von geronnenem Blute so bedeckt, daß man kaum noch die Farbe an ihm erkennen konnte.
Ich selbst war zum Umsinken matt und konnte meinen linken Arm nicht bewegen, der jedoch bloß verrenkt schien, denn das fühlte ich wohl, gebrochen konnte nichts sein.
Der arme Erkswine war tot; der Bär hatte ihm fast das Schulterblatt ausgerissen, und im Gesicht und an der Brust war er schrecklich zerfleischt. Selbst sein Bein, das jener im Stürzen mußte ergriffen haben, war fürchterlich zerrissen.
Die Sonne war untergegangen, und ich hatte gehofft, daß die anderen Jäger unsere Schüsse und das Gebell der Hunde gehört haben müßten; es wurde aber Nacht, und niemand kam. Ich rief, ich schrie – niemand hörte mich.
Ich versuchte jetzt Feuer anzuschlagen, mein linker Arm war aber so geschwollen, daß es mir unmöglich wurde.
Unter diesen Umständen ohne Feuer die kalte Nacht hinzubringen, hätte mir den Tod zuziehen können; ich riß daher aus dem Rückteil meines Jagdhemdes, denn vorn war alles von Blut durchnäßt, ein Stück heraus, streute Pulver darauf und rieb es hinein, und zwar alles mit der rechten Hand, schüttete dann ein wenig Pulver in meine Büchse, setzte einen Pfropfen darauf und schoß es auf den Lappen ab, der sich sogleich entzündete. Durch Blasen brachte ich jetzt das trockene Laub zum Brennen, warf dürre Reiser darauf und erhielt endlich unter fürchterlichen Schmerzen und unglaublicher Anstrengung ein Feuer.
Es war unter der Zeit dunkel geworden, und ich ging wieder zu meinem toten Kameraden, der etwa 5 Schritt vom Feuer lag. Er fing schon an steif zu werden, und mit Mühe versuchte ich, seine Arme herunterzuziehen und ihn ein wenig auszustrecken, auch die Augen wollten ihm nicht zubleiben, obgleich ich ihm kleine Steinchen auf die Augenlider legte.
Die Hunde waren hungrig geworden, doch war es mir unmöglich, den Bär zu zerlegen; ich riß ihm jedoch mit meinem Messer den Wanst auf, zog die Eingeweide heraus und warf ihnen diese hin. Beargrease hatte sich neben die Leiche gesetzt und sah ihr starr ins Gesicht; er rührte den Bär nicht mehr an.
Um Hilfe herbeizurufen, lud ich mein Gewehr jetzt zweimal und schoß es ab. Nichts antwortete, und der Wald war wie ein weites, ungeheures Grab. Mir selbst wurde jetzt recht unwohl zu Mute; ich mußte mich mehrere Male erbrechen, und meine Schulter schmerzte sehr. Mich, so gut es gehen wollte, in meine Decke einschlagend, legte ich mich endlich zum Feuer hin und verlor doch wenigstens das Bewußtsein meiner traurigen Lage. Ob ich schlief, ob ich in Ohnmacht lag, weiß ich nicht, wohl aber weiß ich, daß mir träumte, ich wäre zu Hause, läge im Bett, und die Mutter brächte mir Tee und legte ihre Hand auf meine Brust; ich hörte die Kinder draußen auf der Straße lärmen und sah Schnee auf den Dächern; mir kam es vor, als ob es sehr kalt draußen sei. – Meinem ärgsten Feinde will ich ein solches Erwachen nicht wünschen.
Mein Hund hatte sich an mich geschmiegt und mir seine Nase auf die Brust gelegt, das Feuer war fast niedergebrannt, Fieberfrost schüttelte mich, und die Wölfe heulten furchtbar um die Leichen herum, durch den Geruch der Lebendigen zwar eingeschüchtert, aber doch nicht willens, die Beute wieder zu verlassen.
Kaum konnte ich mich selbst bewegen und raffte mich, so gut es gehen wollte, auf, um mehr Holz auf die zusammengeschürten Kohlen zu werfen. Als das Feuer wieder aufflackerte, schienen sich die bleichen, blutbefleckten Gesichtszüge der Leiche zu beleben; ich starrte gespannt darauf hin, es war aber nur Augentäuschung.
Lauter und wilder heulten die Wölfe, und meine Hunde, deren ich, ohne Beargrease, noch fünf lebende bei mir hatte, antworteten. Ihr Geheul war aber kein wildes, herausforderndes Heulen, es schien mehr eine Totenklage über die Gebliebenen.
Teils um die Wölfe zu verscheuchen, teils noch einmal in der stillen Nacht mein Glück mit Signalen zu versuchen, lud ich wieder mit unsäglicher Mühe meine Büchse mit Pulver und feuerte dreimal; wer aber beschreibt mein Entzücken, als ich drei Schüsse als Antwort hörte. Wieder lud ich und schoß, bis ich auch das letzte Korn Pulver verbraucht hatte.
Der Morgen fing schon an zu dämmern, als ich nicht weit von mir entfernt einen Schuß und gleich darauf einen zweiten fallen hörte. Ein Schiffbrüchiger, der, an einer einzigen Planke hängend, auf der See schwimmt, strengt seine Stimme nicht stärker an, ein vorbeisegelndes Schiff anzurufen, als ich es tat, und Wonne über Wonne, eine menschliche Stimme antwortete mir. Bald darauf knurrten die Hunde, und Wachiga trat aus dem Gebüsch.
»Wah!« schrie er, vor dem Anblicke zurückprallend, der sich seinen entsetzten Blicken darbot. Aber sein Zaudern dauerte nicht lange – vor allem andern untersuchte er den armen Erkswine und schüttelte traurig den Kopf. Hierauf wandte er sich zu mir, und ich hielt ihm meinen geschwollenen Arm entgegen, den er genau befühlte, doch keine Silbe sagte, sondern nur seine Hände trichterförmig zusammenhielt und nach der Gegend hin, von welcher er hergekommen war, einen lauten, gellenden Schrei ausstieß. Er wurde aus nicht großer Entfernung beantwortet, und in wenigen Minuten war mein alter Konwell und der größte Teil der Indianer an unserer Seite.
Ich schüttelte ihm traurig die Hand und erzählte mit wenig Worten, wie alles gekommen sei. Der Alte schalt und meinte, es geschehe uns schon recht. »Wohl ist nicht viel Gefahr dabei,« sagte er, »dem Bären das Messer in den Wanst zu stoßen, wenn er eben fällt und ihn die Hunde bedeckt haben, liegt er aber erst eine Weile und bekommt dann den Menschen, seinen ärgsten Feind, zu sehen, dann wirft er sich mit allem Grimm, dessen er fähig ist, auf ihn, und wehe dem Armen, wenn er ihn erreicht.«
Er hatte gut predigen, er war nicht dabei gewesen, als ein Hund nach dem andern stürzte, um nie wieder aufzustehen. Noch fünf Minuten länger, und keiner wäre übrig geblieben, und wer weiß, ob dann das aufs äußerste gereizte Tier uns nicht doch angegriffen hätte.
Die Indianer hatten unter der Zeit mit ihren Tomahawks ein Grab ausgeworfen, wickelten den Leichnam in seine Decke, legten ihn hinein und bedeckten alles wieder mit Erde und schweren Steinen, die sie darauf wälzten. Mein Alter schlug nun einige junge Stämme ab und machte damit eine rohe Einfriedigung um den kleinen Grabhügel.
Ich sah der ganzen Verhandlung ruhig zu, aber unwillkürlich überlief's mich doch, wenn ich daran dachte, daß dieselben Menschen mir, unter denselben Verhältnissen, wenn mich anstatt des jungen Erkswine das Schicksal betroffen hätte, ebenso kaltblütig die Grube gegraben und die Steine dann daraufgewälzt haben würden. Wen hätte es denn dort interessiert, ob ich oder er darunter lag? Wie ich, war der junge Erkswine allein und freundlos in dem fremden Weltteile; er war vor längeren Jahren von England herübergekommen, und nie wohl werden seine Verwandten und Freunde erfahren, auf welche Art er dort umgekommen ist.
Wie viele Tausende gehen auf diese Art in Amerika zugrunde, von denen niemals wieder jemand etwas hört.
Erst nachdem der Tote in stiller Erde ruhte, kam Wachiga mit einem der älteren Indianer auf mich zu und besah meinen Arm. Wachiga bewegte ihn, während der andere mir fest in das Gesicht sah. Nun war der Schmerz wirklich zum Tollwerden, doch gab ich keinen Laut von mir. Nach einer Weile ergriff der alte Indianer meinen Arm und legte seine linke Hand an meine Schulter, und während mich Wachiga plötzlich von hinten um den Leib faßte, zog jener aus Leibeskräften.
Ich fühlte einen fürchterlich stechenden Schmerz in der Schulter, daß ich fast ohnmächtig geworden wäre, doch das ließ sehr bald nach; aber trotz meines festen Vorsatzes, kein Gefühl des Schmerzes zu verraten, entfuhr mir dennoch ein lauter Schrei. Konwell fragte mich jetzt, ob ich reiten könne, und da ich es bejahte, halfen sie mir auf ein Pferd, und nachdem mein Alter noch das Fell des Bären nebst einigen Stücken Fleisch auf das seinige geworfen hatte, machten wir uns langsam auf den Heimweg, den Platz den Geiern und Wölfen überlassend.
Schreckliche Qualen hielt ich unterwegs aus, ich murrte aber nicht; ich sehnte mich nur nach Ruhe.
Als es dunkel wurde, hatten wir bloß noch 4 Meilen nach meines Alten Hause. Er fragte mich, ob ich mich noch getraue, sie machen zu können, oder ob wir übernachten wollten, wo wir wären, da dort gerade Holz und Wasser im Überfluß war. Ich wäre aber statt der 4 noch 40 geritten, um nur zu seinem Hause, nur endlich einmal zur Ruhe zu kommen. Etwa eine Stunde nach Dunkelwerden erreichten wir es, und ich war so steif geworden, daß ich kaum vom Pferde konnte.
In der Stube angelangt, warf ich mich todesmatt auf ein Lager und hatte während der Nacht ein heftiges Fieber. Gegen Morgen befand ich mich übrigens besser, schlief etwas ein und erwachte gegen Mittag neugestärkt.
Mein Alter hatte unterdessen den Seinigen alles haarklein erzählt, und sie pflegten mich wie ihren Sohn. Zwei Tage mußte ich das Bett hüten und litt sehr viel, doch siegte meine gesunde Natur gar bald.
Kaum war ich jedoch soweit wieder hergestellt, um ordentlich umherstreifen zu können, als der Alte darauf bestand, wieder eine Jagd zu versuchen, und obgleich es mir das letzte Mal fast verleidet worden war, mochte ich doch nicht Nein sagen. Schon am 6. Februar ritten wir wieder hinaus, aber der linke Arm war mir noch ziemlich steif, und ich konnte ihn kaum bewegen. Es war auch seit dem letzten traurigen Vorfall kein rechtes Leben mehr in der Sache.
Zwar fanden wir dieselben Indianer wieder und jagten ein paar Tage mit ihnen, schossen auch einige Hirsche und Truthühner, wie einen jungen Bären, aber schon am 12. Februar kehrten wir, mein Alter mit zwei Hirschfellen und ein paar Hirschkeulen und ich mit einem Truthahne, wieder zurück.
Mein Arm war jetzt ganz geheilt, unterwegs aber hatte ich den Entschluß gefaßt, die Gebirge zu verlassen und wieder mehr nach Süden zu ziehen. Teils ergriff mich aufs neue meine ewige Wanderlust, teils wollte ich einmal etwas aus der Heimat hören, denn seit langen Monden hatte ich keine Nachricht bekommen. Dann wurde das Wild auch wirklich durch die vielen Jäger so rar, daß man sich kaum noch im Walde ernähren konnte.
Am Richland waren, wie wir hörten, zwölf Mann gewesen und hatten alles zusammengeschossen oder verjagt, daß sie in den letzten drei Tagen keinen Truthahn mehr zum Schuß bekamen, und von anderen Plätzen her lauteten die Jagdberichte nicht besser; kurz, mich trieb es fort, fort – –.
Als ich zwar in meines Alten freundliche Familie eintrat und wieder einen Abend bei den lieben Leuten zubrachte, begann mein Entschluß wankend zu werden; doch überlegte ich mir während der Nacht die Sache reiflich und machte ihnen am nächsten Morgen bekannt, daß ich noch denselben Tag fort wolle.
Das wurde jedoch geradezu abgestritten, und mein Alter fragte jetzt in vollem Ernst, ob ich nicht für immer bei ihnen bleiben und dort – Schule halten wollte. Der Schulmeister, den sie hatten, gefiel ihnen nicht, er trank viel und wußte wenig. Einen Augenblick, es ist wahr, einen Augenblick fuhr mir der Gedanke wie ein lichter Strahl durch die Seele: – ein häusliches Stilleben in den Gebirgen – eine neue Heimat! – Wie ich aber über das Bild hinwegschaute, stand unser alter Dorfschulmeister auf D. mit dem alten, abgetragenen, schwarzen Frack, den gestickten Vatermördern und Vorhemdchen dahinter und sah sehr mager aus. Ich schüttelte leise verneinend den Kopf. Mir graute es!
Der Alte meinte nun zwar, daß ich ja auch nicht Schule zu halten brauche, sondern Ackerbau treiben könne; das hatte ich mir aber alles schon viel zu oft selbst überlegt. Ich war arm, blutarm, und wenn auch schon die guten Leute alles getan hätten, was in ihren Kräften stand, mich im Anfange zu unterstützen, so wäre ich doch dadurch viel zu abhängig geworden. Obgleich gerade nicht viel dazu gehört, in Amerika einen Anfang auf dem Lande zu haben, so muß doch wenigstens etwas da sein, womit man beginnen kann. Wo aber auch das selbst fehlt, da sieht es nachher bös aus, und das Unangenehme wiegt den Vorteil tausendfältig auf. Wenn der Anfänger von seinen Nachbarn fortwährend Pferd, Pflug, Axt, Hacke, Säge, kurz alles borgen muß, was er zum Ackerbau und überhaupt zum häuslichen Leben braucht, so werden das doch auch zuletzt die langmütigsten Menschen überdrüssig und fürchten sich endlich, wenn sie ihn nur von weitem kommen sehen.
Ich habe einige solche Anfänge selbst beobachtet. Die Leute, die so mit nichts in den Wald zogen, wurden, es ist wahr, von ihren Nachbarn auf das tätigste unterstützt. Diese halfen ihnen Fenzriegel reißen, das Haus ausrichten, sogar Land urbar machen und ackern; borgten ihnen alles nur mögliche Handwerksgerät, sowie Mehl und Schweinefleisch; was hatte aber der arme Teufel, der auf solche Art beginnen wollte, um selbständig zu werden? – Jahrelang war er von seinen Nachbarn der abhängigste Mensch, Jahre brauchte er dann später, ehe er sich nur die allernotwendigsten Sachen selbst anschaffen konnte, und ein langes Leben voll Entbehrungen und Mühseligkeiten gehört dazu, ehe der arme Farmer sagen kann: »Ich habe, was ich brauche«, und Gott weiß, das ist dann immer noch sehr wenig. Mein Alter sah das recht gut ein, und auf den nächsten Tag wurde die Abreise festgesetzt.
Was ich an Fellen und Bärenfett hatte, war nicht so sehr viel, ich konnte das alles bequem mit auf ein Pferd nehmen, denn der größte Teil jener Felle, die wir in dem Regenwetter draußen gelassen, war uns noch verdorben. Die Häute hatte ich übrigens an den Seiten des Pferdes in zwei Packen hängen und etwa acht Gallonen Bärenfett vor mir in einem aus einem Hirschfell gemachten Schlauche. So zog ich mit einem von Konwells Söhnen, der auch meines Alten Beute verkaufen wollte, am nächsten Morgen der kleinen Stadt Ozark am Arkansas zu. Das Pferd sollte der junge Mann dann wieder mit zurücknehmen.
Gar weh tat es mir, den Platz zu verlassen, den ich durch die freundliche Behandlung der guten Leute so liebgewonnen hatte, und ich mußte recht schnellen Abschied nehmen, um meine Bewegung zu unterdrücken. Noch etwas anderes machte mir aber das Herz schwer: ich ließ meinen treuen Hund zurück, denn ich hatte im Sinne, die Jagd ganz aufzugeben und nach New-Orleans hinunterzugehen. Das letzte Unglück hatte mir die Lust am Walde verleidet. Da wußte ich denn freilich nicht, in welche Verhältnisse ich kommen könnte, und wollte auch nicht gern den Hund, der ausgezeichnet zu werden versprach, aus der Jagd herausreißen und zu einem gewöhnlichen Straßenköter machen. Überdies hatte mein Alter ihn liebgewonnen und mich darum gebeten, ihn dazulassen, wobei die Frauen ihn gut zu pflegen versprachen. Als ich fortritt, banden sie ihn an, und wie er nicht mitdurfte und mich so treu und bittend mit den klugen Augen ansah, da mußte ich mich schnell wegwenden, und ich glaube, ich habe geweint – es war der letzte Freund, den ich verließ.
Gar trüben Gedanken hing ich nach, als ich mit meinem Gefährten durch den dunkeln Wald ritt; der brachte mich aber durch allerlei Schnurren und Geschichten, die er mir erzählte, bald wieder in das alte Gleis, und ich bemühte mich, wenigstens heiter zu scheinen.
Gegen Abend erreichten wir, unfern des kleinen Städtchens, ein Wirtshaus, das zugleich zum Handels- und Warenhause diente. Wir hatten bald mit dem Yankee unsern Handel abgeschlossen, wobei wir denn natürlich wie alle Jäger, die Felle oder Fett an die Händler verkaufen, tüchtig übervorteilt wurden. Mir war es jedoch gleichgültig, ich hatte für den Augenblick wieder ein paar Taler Geld und dachte wahrlich an andere Sachen, als meine Waren ein paar Cents teurer an den Mann zu bringen. Dem Handwerksgebrauch zu entsprechen, forderten wir, da kein Whisky in einzelnen Gläsern verkauft werden durfte, ein Quart und setzten uns miteinander in eine Ecke, ein paar Schluck davon zu trinken.
Außer uns war niemand da als zwei Männer, ihrem Anzuge nach ebenfalls Jäger, die vor der Tür auf einem umgehauenen Baume saßen und Karten spielten; ein dritter, der am Hause angelehnt saß, schlief. Dessen Gesicht kam mir übrigens ungemein bekannt vor, und ich besann mich eben, wo ich ihm schon einmal begegnet sein könnte. Da sah sich einer der Kartenspielenden nach uns um, betrachtete mich einen Augenblick aufmerksam und streckte mir dann die Hand zum Gruß entgegen, indem er mich fragte, ob ich mich noch der verdammten Stahlmühle erinnere, an der wir zusammen gemahlen hätten. Leicht besann ich mich jetzt und erkannte die Leute wieder, auch den Schlafenden. Schlafend hatte ich ihn verlassen, und – er schlief noch. Es waren dieselben Männer, mit denen ich einst in Begleitung Slowtraps eine Nacht am Fourche la fave zugebracht hatte.
Der junge Konwell hatte indessen seine Geschäfte abgemacht, und da er sich nicht länger aufhalten konnte, nahmen wir herzlichen Abschied voneinander. Die beiden Pferde treibend – er hatte noch ein Packpferd mitgehabt – war er bald im Wald verschwunden.
Die beiden Jäger hatten ihr Spiel beendigt, und wir saßen, uns von vergangenen Zeiten wie den verschiedenen Jagdgründen unterhaltend, um den noch nicht beendeten Whisky, als sechs junge Leute, wie wir mit Leggins und Mokassins bekleidet, die Büchse auf der Schulter, die Messer an der Seite, zum Hause kamen. Sie hatten mehrere leere Flaschen mit, die sie wieder füllen ließen, und schienen überhaupt schon halb berauscht.
Im Herumtaumeln trat einer von ihnen dem Schlafenden auf den Fuß, der aber bloß einige unverständliche Worte murmelte und dann weiter schlief. Das schien die jungen Kerle zu amüsieren, und sie fingen an, ihn mit Grashalmen unter der Nase zu kitzeln, wobei sie sich über die Gesichter, die er schnitt, totlachen wollten.
Die beiden anderen jungen Amerikaner, die Gefährten des Schlafenden, sagten ihnen übrigens jetzt ganz ordentlich, sie möchten damit aufhören; der Schlafende sei ihr Freund, seine Schlafsucht eine Krankheit, für die er nichts könne, und sie ersuchten jene, ihn zufrieden zu lassen. Ein lautes Gelächter war die Antwort, und sie schrien, daß sie tun könnten, was sie wollten. Einer war sogar so gütig vorzutreten und zu bemerken, daß er im Notfall uns alle zusammenschmeißen könne.
Mir war das Blut schon lange heiß geworden, doch hatte ich bis jetzt gedacht, die Sache ginge mich doch eigentlich nichts an. Durch einen etwas zu rohen Spaß aber wurde der Schlafende, ein baumstarker Mann, endlich aufgeweckt.
Sich streckend und dehnend, diente er den anderen noch eine kurze Zeit zur Zielscheibe ihres Witzes; plötzlich aber, uns alle im Kreise ansehend, schien eine Ahnung des Vorgefallenen in ihm aufzudämmern. Er hörte mit Gähnen auf, und aufmerksam umherblickend, lauschte er den einzelnen Bemerkungen. Da trat einer der Fremden, der, welcher am meisten geprahlt hatte, vor, und ihm ins Gesicht lachend, bot er ihm einen guten Morgen. In demselben Augenblick lag er, durch einen Faustschlag hingestreckt, blutend zu unseres schläfrigen Freundes Füßen. Das war das Zeichen zum Alarm, und im Nu fuhren die gefährlichen breiten Jagdmesser aus ihren Scheiden.
Obgleich ich nun eigentlich nichts dabei zu tun hatte, zog ich doch ebenfalls meine Waffe, und ein Handgemenge entstand jetzt, wie ich sehr zufrieden sein will, wenn ich es nie wieder erlebe. Alles kam aber so schnell, daß ich mich nur erinnere, wie ich mich einmal gegen zwei lange Kerle verteidigte, meine linke Hand, mit der ich einen Stich parierte, mir sehr weh tat, und einer der Burschen laut aufschrie. In dem Augenblicke fiel ein Schuß, und einer unserer Gegner taumelte und fiel. Wie ein elektrischer Schlag wirkte das auf die ganze Versammlung, alle Klingen sanken, und jeder schien sich nur mit dem Gestürzten zu beschäftigen. Unser schläfriger Freund war aber nicht mehr faul. Ohne sich auch nur weiter nach einem von uns umzusehen, warf er sich auf sein Pferd, das angebunden am Tore stand, und verschwand gleich darauf im Walde.
Die ganze Gesellschaft war plötzlich nüchtern geworden, doch dachte keiner an Nachsetzen, sondern nur daran, den Verwundeten zu retten; alle Mühe aber war vergebens. Als die Sonne in ihrem roten Glutenmeer untersank, hauchte er seinen Geist aus.
Die beiden anderen Amerikaner winkten mir jetzt, ihnen zu folgen, und nicht wissend, wie die Freunde des Erschossenen sich vielleicht heimtückisch rächen könnten, stiegen sie auf, ich nahm hinter einem derselben Platz, und in gestrecktem Galopp folgten wir auf dem schmalen Wege, der in das Innere des Landes führte, den Fährten des Entflohenen.
Als es zu dunkel wurde, um weiter zu reiten, hielten wir, machten ein Feuer an und lagerten, brachen jedoch schon vor Tagesanbruch wieder auf und kamen richtig nach gar kurzer Zeit an das niedergebrannte Feuer unseres Kameraden, der sanft und ruhig, jeder möglichen Verfolgung ungeachtet, schlief. Unstreitig hatte er ein Nachsetzen gefürchtet, denn eine Pistole lag gespannt an seiner Seite, die Schlafsucht mußte aber wohl den Sieg davongetragen haben.
Ich nahm leise die Pistole fort, um Unglück zu verhüten, hatte aber kaum seine Schulter berührt, als er wild nach dem Platze griff, wo die Waffe gelegen. Doch schnell erkannte er uns, und wir machten ihm bald begreiflich, daß das gerade der Platz nicht sei, um ungestört schlafen zu können, mit dem breiten Fußwege und tief eingedrückten Hufspuren in der weichen Erde hinter uns.
Er sah das auch ein; ein flüchtiges Frühstück wurde verzehrt, und jetzt erst nahmen wir uns Zeit, unsere Hände zu waschen, an denen noch Menschenblut, teils unser eigenes, teils fremdes, klebte. Meine linke Hand, die ich den Abend vorher bloß flüchtig zugebunden hatte, fing auch an, mich sehr zu schmerzen. Ich hatte einen Stich gerade in das Innere derselben bekommen, und die Sehnen lagen alle bloß. Ich füllte die Wunde jedoch nach dem Rate des einen Amerikaners mit Asche aus und band sie ordentlich zu. An der linken Seite, hatte ich auch noch einen Schnitt; doch dieser war unbedeutend, da er nur durch die Haut gegangen war. Fast alle waren übrigens mehr oder weniger verwundet, und ich schien noch am besten weggekommen zu sein.
Nach dem Essen verließen wir den Pfad und zogen uns in den Wald. Die Richtung, die jene einschlugen, war aber nicht dieselbe, der ich zu folgen wünschte. Mein Ziel lag nach Südwesten, und freundlichen Abschied von den drei jungen Leuten nehmend, verlor ich sie bald aus den Augen, habe sie auch nie wieder gesehen, ja wußte nicht einmal ihre Namen, so wenig wie sie den meinigen – und doch hatten wir zusammen gekämpft und waren zusammen geflüchtet. Der Zufall hatte uns zusammengeführt, gemeinsames Interesse einen Augenblick verbunden, und nun kehrte jeder wieder, sich wenig darum kümmernd, wer der andere sei, oder was er treibe, zu seinen eigenen Geschäften zurück: ein wahres Bild des amerikanischen Lebens.
Ich war jetzt wieder allein und zu Fuß, und konnte nur kleine Tagereisen machen, da teils meine Hand, teils die Wunde an meiner Seite, die zwar leicht war, doch aber zu eitern anfing, mir sehr wehe tat. An dem Morgen schoß ich einen jungen Bock; als ich ihn aber aufbrechen wollte und mein Jagdmesser zum ersten Male wieder aus der Scheide zog, konnte ich mich eines innern Schauders nicht erwehren, da ich die dunkeln Blutspuren daran bemerkte. Es war Menschenblut. Ich wusch es sorgfältig ab, denn ich konnte den Anblick nicht ertragen.
Den Bock abzustreifen, nahm ich mir nicht die Mühe, hätte es auch mit der einen Hand nicht gekonnt, sondern brach ihn bloß auf, nahm Leber und Niere heraus, schnitt einen Teil des Rückens herunter, machte ein gutes Feuer an und lag bald am prasselnden Feuer hingestreckt, in meine Decke gewickelt, körperlich in Ruhe, – geistig nicht.
Lange starrte ich in die Glut, indem mein vergangenes Leben an mir vorüberzog, und trübe Bilder der Zukunft mir aus den zerfallenen Kohlen entgegenschauten. Es waren keine heiteren Gefühle, die mir ein paar Tropfen in die Augen trieben. Vor Ermüdung schlief ich endlich ein. Ein kaltes, mich mit eisigen Schauern durchrieselndes Gefühl erweckte mich.
Es regnete, was vom Himmel herunter wollte, das Feuer war ausgegangen, und tiefe Finsternis umgab mich. Die Gegenwart war nicht geeignet, mir die Vergangenheit zu versüßen, und mit bitteren Gefühlen hüllte ich mich fester in meine nasse Decke, Wind und Regen, Schlammboden und ausgegangenes Feuer verwünschend.
Endlich brach der Tag an. Der Städter, wenn er sich morgens aus seinem warmen Bett erhebt und den Regen gegen das Fenster schlagen hört, schaut wohl ein paar Minuten nieder auf die wenigen vorbeieilenden Menschen, welche Geschäfte oder Not in solch »unfreundlichem« Wetter, wie er es nennt, auf die Straße treiben, wendet sich dann langsam, schlürft seinen Kaffee, wohl gar darüber unzufrieden, daß er nicht heiß genug sei, und wirft sich dehnend wieder aufs Sofa.
Wie anders dagegen ist es dem armen Streifschützen zu Mute, der sich morgens aus seiner nassen Decke herauswickelt, den Regen aus den Haaren schüttelt und dann, vor Frost zitternd, ein kaltes, nasses, von Kohlen und Asche beschmutztes Stück Hirschfleisch verzehrt, und zwar nicht des Wohlgeschmacks wegen, sondern nur, den nagenden Hunger zu befriedigen. Der dann seine Decke ausringt, sie zusammenbindet, auf den Rücken hängt und aufs neue seinen Marsch durch den kalten, unfreundlichen Wald antritt, das Schloß seiner Büchse und das Pulverhorn das einzige Trockene am ganzen Menschen. Wie verschieden sind die Lose in der Welt verteilt!
Meine Hand war durch die Nässe und Kälte entzündet und geschwollen und schmerzte sehr, ich schnitt mir daher einen langen Streifen von dem Rückenfell meines Hirsches herunter, machte eine Schlinge daraus und hängte den Arm hinein, warf meine anderen Sachen dann um, schulterte die Büchse und wanderte still unter den triefenden Bäumen hinweg, dem kalten Sturmwind den Rücken zukehrend.
Ich war weder mit dem Wetter noch mit meinem Schicksal mehr zufrieden, ich war gegen beides gleichgültig geworden, und als ein Busch mir die Mütze vom Kopfe riß, sie in eine Pfütze schleuderte, und die naßkalten Zweige mir dann ins Gesicht schlugen, konnte ich sogar lachen.
Der Regen hörte endlich auf, und ein scharfer Wind, der zu wehen anfing, trocknete mich bald, wenigstens oben herum, doch schlugen mir die nassen Leggins immer noch auf eine höchst unfreundliche Art um die Füße.
Mein Kurs war jetzt gegen Little Rock gerichtet; was ich aber eigentlich wollte, wußte ich selbst nicht. Ich hatte wohl Lust, New-Orleans wieder zu sehen, mochte aber auch nicht gern die Wälder verlassen und wanderte denn auf gut Glück weiter, dem Zufalle das übrige vertrauend. Glücklicherweise erreichte ich jedoch denselben Abend ein Haus, kurz vorher, ehe es wieder zu regnen anfing, und bekam dort wenigstens einen guten Verband und trockenes Lager.
Am 27. Februar erreichte ich Slowtraps Wohnung, der mich herzlich empfing; ich blieb aber nur die Nacht bei ihm und ging den Fluß hinunter nach Klingelhöffers Hause, der mich mit der alten Herzlichkeit wieder, aufnahm. Doch auch hier hatte ich keine Ruhe und zog nach wenigen Tagen weiter südlich gen Little Rock.
Little Rock ist jedenfalls eins der langweiligsten Nester in den Vereinigten Staaten, und nicht zwei Stunden hätte ich darin ausgehalten wäre ich nicht mit einigen lieben Menschen dort zusammengekommen und bekannt geworden, die mich den Ort selbst vergessen machten. In Little Rock wohnen jetzt eine Menge Deutsche, von denen es einigen sehr gut geht, doch haben sich auch sehr viele in der Umgegend der Stadt angesiedelt und recht hübsche, einträgliche Farmen angelegt.
Das Land oberhalb der Stadt ist so dürr und unfruchtbar, wie es nur sein kann, doch ist auf der gegenüberliegenden Seite des Arkansas und auch eine Strecke von Little Rock selbst entfernt herrlicher Boden. Nördlich von der Stadt sind, das Flußtal des Arkansas ausgenommen, wenig mehr als steinige Fichtenwaldungen.
Von Little Rock aus machte ich einige Ausflüge in die Nachbarschaft, wo ich besonders einen jungen, an eine Deutsche verheirateten Amerikaner kennen lernte, in dessen Hause ich einige Zeit blieb und in der Gegend herum, da gerade Balzzeit der Truthühner war, jagte. Doch war die Jagd schlecht, und die Moskitos an den verschiedenen Lagunen zahlreich genug, die im Freien Rastenden fast rasend zu machen. Trotzdem hielt ich mich einige Wochen dort auf, hätte aber beinahe, wäre ich noch länger in dem Revier geblieben, das Jagen für immer verschworen.
Mein Jagdhemd war ganz in Fetzen, nur der Gürtel hielt es noch zusammen. Da beschloß ich denn, da die Felle der Hirsche wieder zum Gerben tauglich wurden, an den Fourche la fave zurückzukehren und an den Salzlecken dort genug Hirsche zu schießen, um mir aus den Häuten derselben, die ich selbst zu gerben beabsichtigte, ein gutes Jagdhemd zu machen. Die Idee, nach New-Orleans zu gehen, hatte ich, da ich keine Briefe gefunden, aufgegeben und zog in den letzten Tagen des April Nord-Nordwest von Little Rock fort, wieder dem Fourche la fave zu.
Schon am zweiten Tage erreichte ich meinen alten Jagdgrund, und den gebahnten Weg verlassend, schlug ich mich durch den Wald nach einer lick hin, an der ich vergangenes Jahr schon viele Hirsche geschossen, und wo ich das Gerüst, das ich mir damals gebaut hatte, noch vorzufinden hoffte.
Gerade vor Sonnenuntergang erreichte ich den Platz und machte mich eifrig darüber her, Kien zusammenzutragen und zu spalten, da auch nicht ein einziger Span mehr am Gerüste lag. Mit harter Arbeit schleppte ich noch genug vor einbrechender Dunkelheit hin und machte mich nun eifrig daran, das Gestell, das auf einer Seite eingestürzt war, wieder aufzurichten. Die Erde lag noch meistenteils oben darauf, und meine Schulter unter die niedergestürzte Ecke desselben bringend, unter der die Stütze nur weggerutscht war, hob ich es, mit Anwendung meiner ganzen Kraft, in die Höhe und wieder in die alte Lage.
Die Anstrengung war aber zu groß für mich gewesen, denn seit dem letzten Abend hatte ich keinen Bissen über meine Zunge gebracht, dazu der angestrengte Marsch, die harte Arbeit des Herbeischleppens und Spaltens von Kien, die Mühe, die es mich kostete, das schwere Gerüst allein zu heben, alles wirkte zusammen, und ohnmächtig oder wenigstens besinnungslos fiel ich zu Boden.
Wie lange ich dort gelegen haben mag, weiß ich nicht genau; als ich wieder zu mir kam, war es stockfinster. Ich richtete mich auf, um mich zu besinnen, wo ich eigentlich sei, da hörte ich einen Hirsch, der mich gewittert hatte, schreckend aus der lick springen, und noch lange vernahm ich, wie er in großen Sätzen durch das dürre Laub hinwegfloh.
Ich ging jetzt an die Quelle, die dicht vorbeifloß, nahm einen herzhaften Trunk und fühlte mich bedeutend erfrischt, schlug dann Feuer an, legte die Erde auf meinem Gestell wieder zurecht, zündete eine gute Flamme auf demselben an und setzte mich nun, in meine Decke eingehüllt, ruhig darunter, um die Ankunft des Wildes zu erwarten.
Keine Stunde hatte ich geharrt, als leisen, bedächtigen Schrittes ein junger Bock angegangen kam; ich hörte ihn wohl zehn Minuten in dem dürren, raschelnden Laube, ehe er in dem Lichtkreis trat, daß ich ihn sehen konnte.
Auf etwa 40 Schritt herangekommen, wo ich gerade die Umrisse seiner Gestalt unterschied, blieb er stehen und schaute ruhig in die Flamme, so daß seine beiden Lichter wie zwei Sterne aus dem dunklen Hintergrunde hervorleuchteten. Dann trat er behutsam weiter vor, in dem hellen Schein der Flamme fast weiß aussehend, und näherte sich mehr und mehr der lick. Ich pfiff, er stand, den Kopf in die Höhe werfend, und meine Kugel fuhr ihm durch beide Schulterblätter. Ohne einen Laut brach er zusammen.
Ganz gegen die Jagdregel aber lud ich nicht gleich wieder und blieb ebenso wenig ruhig sitzen, einen zweiten zu erwarten, sondern sprang hinaus, zog ihn bei den ganz neuen, noch nicht 5 Zoll langen Kolben zum Feuer, brach ihn auf, und in wenigen Minuten stak die Leber und ein bedeutendes Stück Wildbret an der Glut der Kohlen. Ich lud, während dies briet, meine Büchse und paßte wieder auf; wahrscheinlich aber hielt der Geruch des Fleisches das Wild ab, und ich hörte mehrere schrecken, stampfen und fortspringen, ohne daß ich sie zu sehen bekam. Mein Magen ging aber vor und wollte nicht länger warten.
Bald hatte ich das Fleisch beseitigt, schürte mein Feuer nun, neu gestärkt und gekräftigt, wieder zu einer hellen Flamme an und saß, mit mir und der ganzen Welt zufrieden, aufs neue wachsam unter den hoch auflodernden Kienbränden.
Bis ein Uhr ungefähr wachte ich vergebens, dann aber hörte ich wieder leise, abgemessene Schritte, und ein Alttier kam hinter mir in gerader Richtung auf mich zugegangen. Es hatte keine Ahnung von Gefahr, sondern blieb in kaum mehr als 6 Schritt von meinem Gestell und dem Lauf meiner Büchse stehen und sah mit den klaren, leuchtenden Augen ruhig in die helle Flamme.
Es war beschlagen, aber ich mußte ein Jagdhemd haben, und wenn ich auch eine solche Aasjägerei haßte, hob sich doch schon der todbringende Lauf, als zu ihrer Rettung drei andere Stücke auf dem Schauplatze erschienen, und zwar ein stattlicher Bock voran, der schon recht deutlich das kurze Geweih zeigte. Sie gingen um die lick herum und traten dann 10–11 Schritt gerade hinter das Alttier, das ruhig in seiner Stellung verharrte.
Leise wandte ich die Büchse ein wenig zur Seite, zielte, drückte ab, und hoch sprang der zum Tode getroffene Hirsch. Mit Windeseile entfloh das Alttier von meiner Seite, an dem ich so dicht vorbeigeschossen hatte, daß das Pulver es unfehlbar gebrannt haben mußte.
Eine Zeit lang herrschte wieder Totenstille, und ich war ein wenig eingenickt, als ich plötzlich erwachend, gerade vor mich hinsehend, zwei glühende Augen aus dem Dunkel hervorblitzen sah; gleich darauf erschien der helle Körper des Hirsches. Er kam gerade auf mich zu, blieb stehen, wandte sich etwas zur Seite und war nach dem Krach der Büchse verschwunden.
Ich kümmerte mich weiter nicht um ihn, sondern lud wieder und wartete auf mehr Wild; aber schon fing der whip poor willDer whip poor will ist eine Nachtschwalbe, zum Geschlecht der Ziegenmelker gehörig, der in mondhellen Nächten fortwährend, in dunkeln nur nach der Dämmerung und vor Tagesanbruch seinen eintönigen Gesang hören läßt, der den englischen Lauten »whip poor will« ähnlich ist, und wovon das Tier auch seinen Namen hat. Es ist von derselben Größe wie unsere Nachtschwalben, und auch nur sehr wenig in der Farbe von ihnen unterschieden. an, sein eintöniges Morgenlied zu singen, der regelmäßig ein wenig vor der Tagesdämmerung beginnt, ehe ich auch nur wieder den Tritt eines Hirsches hörte. Als jedoch der Tag zu grauen begann, vernahm ich abgemessene Schritte im dürren Laube, und bald darauf kam mir der vierte Hirsch, den ich in seinen Fährten wiederbrachte.
Der dritte, nach welchem ich geschossen, hatte indes, als ich mit Tagesanbruch nachsah, weder Schweiß noch Haare in seiner Fährte hinterlassen, und nicht anders glaubend, als daß ich ihn gefehlt habe, gab ich mir weiter keine Mühe, ihn aufzufinden, sondern machte mich daran, die drei abzustreifen, was gar bald geschehen war, und hing sie dann auf. Hierauf wanderte ich zu einem etwa zwei Meilen davon entfernt wohnenden Farmer, mit dem ich gut bekannt war, damit dieser das Wildbret wegholen möchte, und als dieser seinen Hund mitbrachte, fanden wir sogar auch noch den vierten Hirsch, der, ganz kurz waidwund geschossen, krank in einem Dickicht saß.
An demselben Tage wanderte ich dem nicht sehr weit davon entfernten Hause Klingelhöffers zu, der mich, wie immer, herzlich empfing, und in dessen Wohnung ich einmal wieder ein paar Tage ausruhte. Nach dieser Zeit hörte ich jedoch von einer andern lick, die vorzüglich sein sollte, und war noch denselben Abend dort bei einem schnell aufgeschlagenen Gestell gelagert.
Einen herrlichen Anblick gewährt in dieser Jahreszeit der Wald, in Arkansas, wie die sogenannten »dogwood-« (Hundeholz-) Bäume in Blüten stehen. Es sind kleine, niedere Bäume, die selten stärker als 7 Zoll im Durchmesser werden, und deren Blüten weiß, etwa von der Größe einer wilden Rose sind, den ganzen Baum aber völlig bedecken. Diese Bäume wachsen dort überall in sehr großer Anzahl und geben dem Walde das Ansehen eines Gartens: dabei die milden Frühlingsnächte, der klagende Ruf des Whip-poor-will, das eintönige Geheul der Eule dazwischen, man könnte es wirklich wahrhaft romantisch dort finden, wären die verwünschten Holzböcke nicht das Prosaischste, was es auf der ganzen Welt gibt.
In dieser Nacht schoß ich zwei Hirsche und nahm ihnen das Gehirn heraus, das ich auf einen flachen Stein, etwa einen halben Zoll dick strich und langsam am Feuer backen ließ, um es zu erhalten. Ich wollte es später zum Gerben der Hirschfelle gebrauchen.
Der amerikanische oder sogenannte virginische Hirsch, wie ich aber hier gleich zum Verständnis des deutschen Jägers hersetzen will, gehört eigentlich weniger dem Rot- als dem Damwild an. Er trägt allerdings keine Schaufeln, sondern ein vom Kopf etwas zurück und dann nach vorn gebogenes Geweih, wird aber lange nicht so stark wie unser Edelhirsch. Die stärksten Böcke, die ich geschossen habe, wogen aufgebrochen kaum mehr als höchstens 180, selten vielleicht einmal 200 Pfund. Das Geweih wiegt etwa 3 Pfund und weniger. Der virginische Hirsch hat dabei den langen Wedel wie das Damwild, zeigt sich aber nie gefleckt (mit einzelnen sehr seltenen Ausnahmen), sondern von der Farbe des Rotwildes. Er schreit nicht in der Brunst. In seiner Lebensart hat er sonst alle Ähnlichkeit mit unserem Rotwild, und die Brunst selber wie das Abwerfen des Geweihes richtet sich in den in ihrem Klima so verschiedenen Staaten natürlich je nach der mehr nördlichen oder südlichen Lage.
Rehwild gibt es in Nordamerika gar nicht. Manche Reisenden erzählen allerdings, sie hätten Rehe gesehen, das waren aber jedenfalls Schmaltiere des virginischen Hirsches.
Der Elk oder Riesenhirsch kommt nicht mehr in den Vereinigten Staaten, nur noch westlich in den Prärien und Felsengebirgen vor.
Da ich jetzt genug Felle zu haben glaubte, beschloß ich, sobald dieselben etwas getrocknet waren, meinen alten Slowtrap wieder aufzusuchen und sie dort zuzubereiten, da er berühmt war, die Sache aus dem Grunde zu verstehen. Wenige Tage darauf saß ich auch schon wieder am alten, wohlbekannten Kamin, meinem gemütlichen, alten Freunde gegenüber. Er war noch ganz derselbe, hatte noch denselben schwarzen Frack an, mit den verhängnisvollen Knöpfen unten daran, und briet wie gewöhnlich süße Kartoffeln in der heißen Asche.
Ich hielt mich übrigens nicht lange bei der Vorrede auf, denn schon der nächste Morgen fand mich hart an der Arbeit, mit einem zu diesem Zweck selbstgemachten Messer die Narben an den Fellen abzustoßen. Noch fehlte mir aber zum Gerben das Gehirn mehrerer Hirsche, da ich nur das der zuletzt erlegten mitgenommen hatte. Ich mußte deshalb vorerst wieder jagen gehen.
Hogan, der nicht weit von dort wohnte, war jedoch gern bereit, ein paar Tage mitzuziehen, und schon am nächsten Morgen wollten wir hinaus, als fünf Reiter am Tore hielten. Sie stiegen ab und wurden von Hogan freundlich zum Frühstück eingeladen, das wir eben beendigt hatten. Erst nachdem sie gegessen hatten und nun sahen, daß wir zum Aufbruch fertig waren, bat uns einer von ihnen, heute nicht zu jagen, sondern mit ihnen zu kommen, da sie einen Akt der Gerechtigkeit, wie sie es nannten, ausüben wollten.
Die Sache war die: An dem kleinen Flusse hatte sich schon seit längerer Zeit eine Klasse Menschen angesiedelt, die Pferdefleisch ein wenig gar zu sehr liebte, sich dabei nicht sehr genau erkundigte, wem dasselbe eigentlich gehörte, und die Freund Curtis unstreitig »heretics« genannt haben würde.
Sie wohnten alle miteinander dort oben herum, etwa 20 Meilen im Umkreise, und fast unumstößliche Beweise wegen Pferdediebstahls waren gegen zwei dieser Leute vorhanden, immer aber nicht genügend, sie vor Gericht zu stellen, wo sie ein Advokat leicht wieder herausgesprochen hätte – und vor den Advokaten haben alle Backwoodsmen eine heilsame Furcht. Um also die Sache kurz abzumachen, hatten sie beschlossen, die Ausübung der Gesetze selbst zu übernehmen. Ein Mann namens Brogan und mein armer Curly waren die Schlachtopfer.
Hogan war sogleich bereit, mitzugehen, und auch ich beabsichtigte dabei zu sein; fest entschlossen übrigens, keinen Teil daran zu nehmen. Wir machten uns auf den Weg und überholten bald die armen Teufel, gebunden und zwischen zwei Pferden geführt. Curly war sehr niedergeschlagen, Brogan sah wild und bösartig darein.
Am Platze angelangt, fanden wir eine viel zahlreichere Versammlung, als wir erwartet hatten, denn es mochten wohl im ganzen fünfzig bis sechzig Personen anwesend sein.
Eine Jury wurde erwählt, Zeugen vorgerufen, geschworen, befragt, und alles ganz nach Art des gewöhnlichen Gerichtsverfahrens vorgenommen. Aus allem diesen ging nun hervor, daß Brogan im vergangenen Jahre eine Zeitlang abwesend gewesen war. Nachdem er zurückgekehrt, seien die beiden fraglichen Pferde in der Nachbarschaft gesehen worden, und zwar an einem gewissen Platze, wo viel dichter Wald war, und er sollte sich damals viel dort in der Gegend herum zu schaffen, gemacht haben. Curly hatte später eins von den Pferden eine kurze Zeit gebraucht und dann verkauft; kurz, der Beweis war überzeugend genug; Brogan jedoch leugnete hartnäckig, ebenso Curly.
Zwei Männer entkleideten nun den Oberkörper Curlys, banden ihn an einen jungen Baum und begannen, seinen Rücken mit Hickoryruten zu bearbeiten. Curly hatte Verstand genug einzusehen, daß, wenn sein Kopf hartnäckig bliebe, sein Rücken die Zeche bezahlen müsse, und beichtete. Er wurde augenblicklich losgebunden, und sein Sündenregister war bald hererzählt.
Er hatte seiner Aussage nach nie ein Pferd gestohlen, wohl aber den Hehler gemacht und sich gegen die Pferdediebe selber, wie er sagte, »gefällig« bewiesen. Als die letzten Pferde gestohlen werden sollten, waren es ihrer vier gewesen, die sich verabredet hatten, die Pferde zu entwenden und zu verkaufen. Einer von ihnen aber sollte sie erst stehlen, und um den zu bestimmen, wurde es dem Glück der Jagd überlassen. Der nämlich, der an einem bestimmten Tage die wenigsten Hirsche schieße, wurde bestimmt, die Gefahr des Erwischtwerdens zu übernehmen, und sollte die Pferde »abholen«.
Curly schoß an diesem Tage vier Hirsche, die andern beiden jeder zwei, und Brogan einen. Zum Schluß gab er noch ein Register der Pferdeliebhaber, sechsundzwanzig wohlbekannte Namen, war aber doch bescheiden genug, sich nicht selbst mit auf den Zettel zu setzen.
Brogan, der mit einem verächtlichen Lächeln zugehört hatte, wurde jetzt befragt; doch umsonst waren alle Versuche, ihn zu einem freiwilligen Geständnis zu bringen. Er blieb bei seinem Leugnen und fand sich bald ebenfalls an einen Baum gebunden und von zwei Männern schrecklich zerhauen.
Es war ein trauriges Schauspiel. Erst fluchte und schimpfte er, dann war er eine Zeitlang ganz ruhig und ertrug mit einer wahren Seelenstärke die schmerzhaften Hiebe, endlich aber entfuhr ihm doch ein Klagelaut, indem, er rief: »My poor wife and children!« (meine arme Frau und Kinder!) In dem Augenblick kamen zwei Neger mit Schaufeln und Spaten und fingen an ein Grab zu graben; ihnen auf dem Fuße folgte ein Weißer, der, in der linken Hand einen Strick, in der rechten ein Stück Talg haltend, mit der kaltblütigsten Miene von der Welt das Seil einschmierte, um den armen, mißhandelten Mann daran aufzuhängen.
Das war übrigens zu arg, und mehrere von uns traten jetzt auf und machten denen, die noch am mildesten gesinnt schienen begreiflich, daß, wenn sie den Mann hätten hängen wollen, sie ihn nicht erst so greulich hätten zerfleischen dürfen. Das schien ihnen auch einzuleuchten; es wurde abgestimmt und ihm diesmal das Leben geschenkt, doch nur unter der Bedingung, die County innerhalb der nächsten vier Wochen zu verlassen und nie dahin zurückzukehren.
Er versprach nichts, sank aber, als man ihn losband, ohnmächtig ins Gras.
Ich hatte genug gesehen, und Hogan und ich trabten den Gebirgen zu, jetzt ernstlich an unsere Jagd zu denken. Mein Kamerad war aber sehr nachdenkend geworden, vielleicht mit gutem Grunde, denn später hörte ich, daß auf ihm selber kein kleiner Verdacht ruhe.
Da das Wetter warm und angenehm war, beschlossen wir, nicht allein nach Hirschen zu jagen, sondern uns auch des Honigs wegen nach Bienen umzusehen. In einer aufgefundenen Landschildkrötenschale stellten wir unsere Lockspeise auf und trennten uns dann, um einen Hirsch zu schießen.
Hogan hatte seine Lockpfeife mit und versuchte, den Ton des Hirschkalbes nachahmend, die Mutter herbeizulocken: ein schändlicher, aber leider nur zu häufiger Gebrauch, der von der Lockpfeife gemacht wird. In doppelter Hinsicht ist aber diese Art zu jagen schändlich, da es erstlich niederträchtig ist, die Mutter durch eine Nachahmung des Hilferufs ihres Jungen herbeizulocken und dann zu töten, und zweitens auch, die Jagd auf eine rasend schnelle Art zerstört. Nicht nur, daß dadurch fast einzig und allein das weibliche Wild erlegt wird, so geschieht es auch meistens in einer Jahreszeit, wo die jungen Hirschkälber noch zu jung sind, sich selber zu ernähren, und dann elendiglich verschmachten müssen.
Trotzdem aber, daß ich kein solches Mittel anwandte, schoß ich den Abend einen jungen zweijährigen Bock, Hogan aber nichts.
Bei unserer Lockspeise hatten die Bienen zu arbeiten angefangen, und wir trugen dieselbe ein paar hundert Schritt weiter auf der gefundenen Richtung hin. Die Nacht brach jetzt an, und nach Dunkelwerden schienen sämtliche Winde der zweiunddreißig Himmelsgegenden losgelassen zu sein, alle alten Fichten, die im Walde standen, umzustürzen; doch legte sich der Sturm gegen Mitternacht und artete in einen fürchterlichen Regen aus. Unsere aufgespannten Decken hielten ihn allerdings ab, doch mußten wir mit unseren Jagdmessern eine kleine Rinne um das Lager herum ausgraben, um die niederströmenden Wasser abzuleiten
Am nächsten Tage stieß Slowtrap mit seinen und Hogans Hunden zu uns, die er alle aufgetrieben hatte, einen Bär zu erlegen. Allerdings hatte es Braun auch ein wenig arg mit ihm getrieben und ihm in den letzten Tagen drei oder vier Schweine weggeholt, Slowtrap wäre auch sonst nie so böse über ihn geworden, übrigens erlegte er ihn nach einer ordentlichen Hetze wirklich. An demselben Abend fanden wir auch noch unsern Bienenbaum.
Noch vor Sonnenuntergang bekam ich einen starken Hirsch zum Schuß, seit langer Zeit aber auch zum erstenmal wieder das Bockfieber und fehlte ihn. Hogan und Slowtrap waren übrigens glücklicher gewesen und hatten ein paar Hirsche geschossen, von denen sie mir das Gehirn aufhoben, so daß ich jetzt zum Gerben genug zu haben glaubte.
Den nächsten Tag suchten wir noch nach Bienen und fanden zwei Bäume, von denen wir einen umhieben, wobei ich jedoch furchtbar zerstochen wurde.
Nun aber hatte ich mich auch lange genug von meiner Arbeit aufhalten lassen und war es müde, in Hemdsärmeln umherzulaufen. Ich nahm die Gehirne, die ich mir von den erlegten Hirschen gesammelt, ging nach Slowtraps Hause und begann mit Ernst, an meinen Fellen zu arbeiten. Die indianische Art, Felle zu gerben, ist recht interessant. Zuerst werden die Häute, welche zubereitet werden sollen, eine Nacht eingeweicht, am andern Morgen dann aus dem Wasser genommen, auf ein glattes und rundes Stück Holz, einen sogenannten »Bum«, gelegt und der grain oder Narben abgestoßen, wie das bei jeder andern Art von Gerberei auch geschieht, nur daß hier das Handwerkszeug viel einfacher ist.
Ist das geschehen, so wird das Gehirn das Hirsches – sind mehrere Felle da, so ist für jedes ein Gehirn nötig – in einen eisernen Topf und in etwa so viel Wasser getan, als nötig sein möchte, dieselben gehörig darin durchzuarbeiten. Das Gehirn nun, das man vorher in einen kleinen, aus grober Leinwand gemachten und starkgenähten Sack gefüllt hat, kocht etwa eine Stunde lang in dem Wasser und wird dann mit den Händen, wenn sich dasselbe etwas abgekühlt, durch das Linnen gerieben und gewaschen, daß es sich dem Wasser, welches dadurch eine milchige Farbe annimmt, mitteilt und nur die faserigen Teile im Sacke zurückbleiben.
In diesem Wasser werden nun die Felle gehörig geknetet und durchgearbeitet, bis das Gehirn überall in sie eingedrungen ist, dann herausgenommen, so gut wie möglich ausgerungen und zum Trocknen aufgehängt. Das Zeichen, daß sie vollkommen durchgegerbt sind, ist dabei, daß man überall, besonders an den Stellen, unter denen der Hüftknochen gesessen, die Luft in das nasse Fell einfassen und durch die Poren pressen kann. Wo das noch nicht angeht, ist das Hirn noch nicht ordentlich hineingearbeitet. Jetzt geht aber erst die harte Arbeit an, denn sie dürfen nicht ganz an der Luft trocknen, sondern müssen vom Gerber auf einem eigens dazu geschärften Brette so lange gerieben und gezogen werden, bis sie ganz trocken, schneeweiß und so weich wie Samt werden.
Nun sind sie freilich gegerbt, dürften aber doch, im Fall sie naß würden, auch sicher wieder steinhart werden. Um das nun zu vermelden und alles leimartige in ihnen zu vernichten, räuchert man sie. Zu diesem Zwecke werden immer zwei und zwei aneinander genäht, daß sie, nach den Köpfen zu, einen Sack bilden und nur noch unten offen sind; dann wird ein etwa 14–16 Zoll tiefes und 6–8 Zoll breite Loch in die Erde gegraben und in demselben ein Feuer angezündet, welches man, sobald es in Glut kommt, mit faulem Holze bedeckt, so daß ein dicker Qualm emporsteigt. Über diesen Rauch werden nun die Felle gehängt, bis der Rauch sie so durchdringt, daß sie sich an der Außenseite zu bräunen anfangen. Dann wird der Sack umgedreht und dasselbe auf der andern Seite wiederholt. Nun erst sind sie gegerbt, und weder Wasser noch Sonne kann ihnen je wieder etwas anhaben. Sie bekommen aber dadurch eine braungelbe Farbe.
Nachdem ich meine Felle auf diese Weise zubereitet hatte, ging ich zu einem nur wenige Meilen entfernten alter Jäger namens Wells hinüber, dessen Frau mir ein Jagdhemd, zu dem ich die besten Stücke aus fünf Fellen gebrauchte, ausschnitt und mir etwas Anweisung gab, wie ich es nähen müßte. Sodann drei Tage emsig schneidernd, brachte ich endlich ein vorzügliches Stück Arbeit zustande. Auch neue Mokassins schnitt ich mir aus einem der stärksten Felle, nahm dann Rinde vom schwarzen Walnußbaum mit etwas blauem Vitriol, färbte meine neue Kleidung dunkel, daß sie die richtige Waldfarbe bekam, und war nun wieder ordentlich jagdmäßig ausstaffiert.
Wells, zwischen den Indianern aufgewachsen, hatte sehr viel von ihren Sitten und Gebräuchen beibehalten, war auch der beste weiße Jäger, den ich noch in meinem Leben gesehen habe; besonders aber zeichnete er sich im Auffinden von wilden Bienen aus, die er jedesmal, sobald er nur auf die Spur kam entdeckte. Er hatte sich auch lange Zeit in Texas aufgehalten, und sonderbare Geschichten wurden während seiner Abwesenheit von ihm erzählt. Er war und blieb aber fort, und zuletzt kam die Nachricht, daß er gestorben sei. Seine Frau, die ihn eine Zeitlang betrauerte, lernte nach einiger Zeit einen andern Mann kennen, der ihr gefiel, und ich weiß nicht, nach wie viel Monden, nachdem sie die Nachricht von ihres Gatten Tode empfangen hatte, heiratete sie jenen.
Ein Jahr fast lebte sie mit ihrem zweiten Mann glücklich und zufrieden, als eines Abends plötzlich ein Reiter, ganz nach Art der Indianer gekleidet, vor dem Hause hielt, abstieg und sein Pferd befestigte. Er trat in die Stube, und die Frau erkannte mit Entsetzen und Freude ihren verloren geglaubten Mann. In dem Augenblicke kehrte auch der andere mit den Hunden, die freudig an ihrem alten Herrn heraufsprangen, von der Jagd zurück und erstaunte nicht wenig, den rechtmäßigen Besitzer der Wohnung vorzufinden. Doch Wells war ein vernünftiger Mann und erklärte seiner Frau ganz ruhig, daß sie es halten könne, wie sie wolle, ihn oder ihren zweiten Mann zu behalten. Die Kinder aber, zwei tüchtige Knaben, bäte er sich aus, und sie möchte ihn bis morgen früh wissen lassen, was sie zu tun beabsichtige. Damit schulterte er seine Büchse wieder, setzte sich auf seinen Pony und trabte ruhig dem Walde zu, wo er ein Feuer anmachte und, etwa eine Meile vom Hause entfernt, die Nacht lagerte.
Am nächsten Morgen, als er sein Frühstück gekocht und verzehrt hatte, sattelte er sein Pferd wieder und ritt zum Hause zurück, zu hören was seine Frau beschlossen habe. Dort fand er aber seinen Nebenbuhler schon zum Abmarsch gerüstet, der ihm auch offen sagte, er sähe ein, daß seine Rechte die älteren wären. Er wolle keinen Unfrieden zwischen ihnen stiften, entschuldigte sich wegen des Zufalls, bat ihn, nichts übel zu nehmen, und ritt, nachdem er ihm und ihr herzlich die Hand geschüttelt hatte, gen Westen, sich irgendwo anders mit mehr Glück eine andere Frau zu suchen.
Die beiden so lange getrennten Eheleute lebten aber von dieser Zeit an wieder so vergnügt und zufrieden zusammen, als ob gar nichts vorgefallen wäre. Er brauchte sich auch nicht einmal zu entschuldigen, daß er nicht geschrieben habe, da er gar nicht schreiben konnte. Hätte er aber auch wirklich einen Brief an sie geschickt, so würde es bei ihr des Lesens wegen dieselben Schwierigkeiten gehabt haben.
Ich unterhielt mich viel mit ihm über Jagd, und gar sehr beklagte er den Mangel an Wild, der, wie er sich ausdrückte, seit einigen Jahren recht fühlbar am Fourche la fave wurde. Und früher war hier der beste Jagdgrund von ganz Arkansas gewesen. Unter anderem kam auch die Rede auf Hunde und auf das Träumen derselben, wobei ich ihm erzählte, was mir gesagt wäre, und was ich dann selbst erlebt hätte. Er pflichtete mir da ganz bei und versicherte sogar, daß er es einst selbst, und zwar mit dem Hunde, der bei ihm war, versucht habe.
»Ich lag eines Abends am Feuer hingestreckt,« erzählte er, »und konnte nicht einschlafen. Mein, Hund lag neben mir, und ermüdet vom vielen Laufen – er war den ganzen Tag im Wald umhergejagt –, hatte er schon lange leise geschnarcht und fing jetzt an mit den Füßen zu strampeln, zu winseln und leise zu bellen, ein sicheres Zeichen, daß er von irgend etwas träume. Schon in meinen Kinderjahren hatte ich von meinem Vater gehört, daß man den Traum des Hundes haben könne, sobald man ihn im Tuche fange; ich breitete daher mein Halstuch über den Kopf meines Hundes und erwartete ruhig sein Erwachen. Als er endlich zu bellen aufhörte und den Kopf hob, um die ungewohnte Hülle abzuschütteln, nahm ich das Tuch, faltete es zusammen und war, es mir unter den Kopf schiebend, bald eingeschlafen. Augenblicklich träumte ich da, daß ich mit einer mir unerklärlichen Wut hinter einem Kaninchen herrannte und es durch die dicksten Dornengebüsche verfolgte, ja endlich, als es, mir zu entgehen, in eins seiner Erdlöcher schlüpfte, meinen Kopf, ganz wie es die Hunde tun, hinterherschob, hineinbellte oder schrie und es herauszuscharren versuchte. Ich habe es später noch mehrere Male versucht und stets solche sonderbare, hundeartige Träume gehabt.«
Er glaubte steif und fest an das, was er sagte, und ich selbst, gerade nicht so sehr abergläubisch, beschloß doch, bei nächster Gelegenheit einen zweiten Versuch zu machen; ich habe es bis auf den heutigen Tag noch nicht wieder versucht.
Nachdem ich mein Jagdhemd fertig hatte, nahm ich herzlichen Abschied von dem alten Jäger und seiner Familie und wanderte wieder dem Hause meines Slowtrap zu, bei dem ich noch einige Tage verweilte. Aber auch hier, trotz dessen freundlicher Einladung, den Sommer über bei ihm zu bleiben, litt es mich nicht lange, und ich zog zurück zu Klingelhöffers.
In dortiger Gegend besuchte ich nun wieder meine alten Salzlecken und erneuerte die Gerüste, schleppte Kien in Massen herbei, lag wohl zwölf Nächte fortwährend draußen, daß mich die Moskitos fast aussogen und die Holzböcke fortschleppten, und bekam auch nicht in einer Nacht mehr einen Hirsch zum Schuß.
Weiß der liebe Gott, was sie verscheucht hatte, ob sie tot waren, oder ob es zu spät in der Jahreszeit sein mochte, ich konnte es mir nicht erklären; nur das weiß ich, daß ich unermüdet auf der Lauer lag und manche lange, lange Nacht den ersehnten Tritten eines Hirsches horchte, den Mond aufgehen und seine Bahn am Himmel verfolgen sah, bis er wieder hinter den Baumwipfeln verschwand, unermüdlich den Tönen der Eule und des Whip-poor-will lauschte und jeden Morgen wieder ohne Beute den Ort verließ, um irgendwo auf einem kühlen Platz auszuschlafen und den Anbruch einer neuen Nacht zu erwarten.
Endlich aber war meine Zehrung ausgegangen, und ich mußte wieder zu Klingelhöffers, mich mit neuer zu versorgen. Da beschloß ich, die Feuerjagden an den Nagel zu hängen und wieder am Tage jagen zu gehen, wo ich denn auch einige sehr starke Hirsche erlegte. Ich hätte es früher tun sollen.
Einer besonders war der größte, den ich je schoß. An einem kleinen Abhange hingehend, hatte ich eben mein Gewehr auf einen jungen Bock abgedrückt und, da er hinter einem umgestürzten Baume stand und ich bloß nach dem Kopfe zielen konnte, gefehlt, als dieser mächtige Hirsch, gerade da ich wieder fertig mit Laden war, oben auf den Abhang, nicht 15 Schritt von mir entfernt, hinaustrat und auf mich herabschaute; meine Kugel warf ihn in seiner Fährte nieder, und nie sah ich ein feisteres Stück Wildbret.
Endlich bekam ich Nachricht von Little Rock, daß dort Briefe für mich angekommen wären; ich entschloß mich daher kurz und rüstete mein Gepäck, um hinunterzugehen, die Briefe in Empfang zu nehmen und mich, wenn die Nachrichten günstig lauteten, nach dem Süden einzuschiffen.
Meine wenigen Sachen waren leicht zusammengepackt, und herzlichen Abschied nahm ich jetzt von Klingelhöffer, von dessen lieber Familie es mir wirklich wehe tat, mich zu trennen. Ich war in seinem Hause stets wie zur Familie gehörig, nie wie ein Fremder behandelt worden, und habe ich je in Amerika eine Heimat gehabt, so war es bei ihm. In einer Sache nur stimmten wir nicht recht miteinander überein: ich war ein leidenschaftlicher Jäger, und er tadelte oft stark mein zweckloses Umhertreiben in den Wäldern und stellte mir wohl oft ernsthaft vor, wie ich das doch nicht für immer treiben könne und einmal gezwungen sein würde, mich irgendwo niederzulassen und ein nützlicher, vernünftiger Mensch zu werden.
Wohl sah ich bei solchen Gelegenheiten ein, daß er recht hatte, und war schon mehrmals im Begriff, die wirklich brüderlichen Vorschläge, die er mir machte, anzunehmen und die Büchse an den Haken zu hängen und die Axt in die Hand zu nehmen; aber die Gewohnheit eines unsteten, wilden Lebens, die mir durch mein langes Umherwandern lieb geworden war, wie die noch immer starke Sehnsucht, die deutsche Heimat einmal wieder zu sehen, hielt mich immer ab, und auch jetzt war die Wanderlust mächtiger als irgend etwas anderes. Ich schulterte meine Büchse, warf meine Habseligkeiten über die Schulter, drückte allen die Hand und zog am Fourche la fave hinunter nach Little Rock.
An der Mündung des kleinen Flusses angelangt, wußte ich selbst noch nicht recht, ob ich zu Wasser oder zu Lande den Arkansas hinunter gehen sollte, fand aber dort unglücklicherweise ziemlich gute Jagd, warf mein Bündel unter einen Baum, errichtete ein Rindendach und begann aufs neue zu jagen.
Ende Juni war so herangekommen, und meine Lebensmittel hatten in der letzten Zeit bedeutend abgenommen, da ich mehrere Tage gar nichts zum Schuß bekam und das Wildbret infolge des heißen Wetters, wenn es nicht sehr gut getrocknet wurde, augenblicklich verdarb; da kam ich eines Morgens wieder an das Ufer des Fourche la fave und sah, zwischen Treibholz eingeklemmt, ein altes Kanoe, das sich irgendwo losgerissen und dort festgesetzt hatte. Gelegener hätte mir nichts kommen können; das einsamen Herumtreibens im Walde war ich doch müde geworden; ich sehnte mich auch, die für mich in Little Rock bestimmten Briefe in Empfang zu nehmen, und ohne mich lange zu besinnen, schwamm ich hin und holte es, fuhr damit zu meinem Lager, warf alles, was mein war und ich mein nennen konnte, hinein und war schon denselben Nachmittag im Arkansasfluß.
Nahe am Ufer desselben hingleitend, bemerkte ich hier an mehreren, Stellen eine Unmasse Hirschfährten. Natürlich landete ich augenblicklich und fand den Boden nicht allein von zahllosen Fährten ganz zertreten, sondern auch, daß nur ein kleiner, schmaler Felssteig gerade an dieser Stelle von den Bergen niederführte, den sie herabgekommen waren, um das salzige Wasser des Flusses – der Arkansas enthält nämlich sehr viele Salzteile – einzuschlürfen.
Mein Plan war bald gemacht; ich hatte einige Freunde in Little Rock, denen ich gern ein Stück Wildbret mitbringen wollte, nahm also meinen Tomahawk und befestigte in kurzer Zeit ein kleines Gestell im Kanoe. Das ging um so leichter, da dasselbe schon früher einmal zu solchem Zwecke gedient hatte und einige große Löcher in den breiten Rand eingebohrt waren, um die Holzgabeln zu halten. Dies Gestell bedeckte ich mit Zweigen und einigen Zoll Erde, holte mir vom Berge, an dem ich gelandet war, Kien herunter und erwartete ruhig die einbrechende Nacht.
Endlich wurde es dunkel, und ich zündete mein Feuer an. Das geschehen, lehnte ich mich zurück und betrachtete, meinen Gedanken nachhängend, den schön gestirnten Nachthimmel.
Nach einer Weile mich leise wieder aufrichtend, schaute ich nach dem Platze hin, wo ich die Hirsche ungefähr erwartete, und sah ein glühendes Auge dicht über der Wasserfläche, das sich in derselben abspiegelte.
Es war ein Hirsche der geräuschlos herabgekommen war und, kaum 20 Schritt von mir entfernt, begierig das salzige Wasser einsog.
Leise hob ich die Büchse, und bedächtig zielend, drückte ich ab. Laut schallte der Krach des Gewehres auf dem ruhigen Wasserspiegel hin und brach sich in weiter Ferne an den Uferbergen; alles war dann ruhig und still wie im Grabe, ich nahm aber einige Kienspäne und stieg aus, wo ich wenige Schritte von dem Platze entfernt, an dem er getrunken hatte, einen jährigen Bock verendet fand. Ich brach ihn auf, briet mir die frische Leber, das delikateste vom Wildbret, warf meine Beute dann ins Kanoe, band meinen Kahn los, wickelte mich in meine Decke, und sanft in der stillen Nacht den Fluß hinuntertreibend, erreichte ich Little Rock wohlbehalten am andern Morgen.
Nur wenige Tage hielt ich mich dort auf und fand einen Brief von Deutschland, wie auch einen von Louisiana. In diesem schrieb mir Korn, von dem ich so lange nichts gehört hatte, ich möchte nur zu ihm hinunter kommen; ich könnte dort leicht Beschäftigung finden und etwas verdienen. Am nächsten Tag kam das Dampfboot Arkansas von Fort Smith und zeigte an, daß es am 5. Juli morgens um zehn Uhr nach New-Orleans abginge. Da war denn mein Entschluß gefaßt, und da ich weiter keine Umstände mit dem Packen hatte, benutzte ich noch die wenigen Tage, die mir übrig blieben, recht viel mit meinen neugewonnenen Bekannten zusammen zu sein, zu denen besonders neben Seckendorfs auch eine kleine, liebe Familie aus Hamburg gehörte.
Der 4. Juli, der Tag der amerikanischen Unabhängigkeits-Erklärung, sollte, wie alle Jahre, in Little Rock gefeiert werden, und es war dazu auf öffentliche Kosten ein großes »barbecue« veranstaltet worden, ein öffentliches, auf gemeinschaftliche Kosten im Freien begangenes Mahl, wozu das Fleisch über Kohlen geröstet wird. Die Bewohner der Stadt hatten in etwas großartiger Ankündigung den ganzen Staat dazu eingeladen.
Der Sonderbarkeit wegen ging ich auch einmal hinaus und fand ungefähr ein Dutzend schwarzer Köche mit der Zubereitung eines großartigen Mittagessens beschäftigt. Zwei Gruben von etwa 100 Ellen Länge und 4 Fuß Weite waren vor der Stadt in einem Garten gegraben, der Boden dieser Gruben aber mit glühenden Kohlen bedeckt, die von einigen ungeheuern, in der Nähe angezündeten Feuern immer wieder aufgefrischt wurden. Über diese aber, die etwa 2 Fuß tief sein mochten, lagen Querhölzer und auf diesen eine solche Masse von Fleisch, daß man wirklich glauben konnte, ganz Arkansas hätte eine Mahlzeit davon halten können. Die beiden Hälften eines ungeheuren Ochsen, eine Menge Schweine, Kälber, Hirsche, Bären, Schöpse usw. lagen dort bratend und schmorend, und Leute mit Flaschen und Krügen voll Whisky gingen herum und schenkten den Neuankommenden ein.
Das Essen selbst aber war übrigens nicht so sehr appetitlich, weil sich jeder ein Stück abschnitt und es in der Hand haltend, stehend oder spazieren gehend, verzehren mußte. – Am Lagerfeuer läßt man sich das wohl gefallen, wo aber eine solche Masse Menschen mit fettigen Händen und Mäulern umherlaufen, sieht's denn doch etwas zu unappetitlich aus.
Ich hielt mich nicht lange dort auf, sondern ging in die Stadt zurück, blieb die Nacht bei Herrn v. Seckendorf und begab mich am andern Morgen um zehn Uhr auf mein Boot, das auch, ganz gegen die sonstige Gewohnheit dieser Art Fahrzeuge, pünktlich zur bestimmten Zeit die Stadt verließ und den Arkansas hinunterbrauste.
Am zweiten Tage kamen wir in den Mississippi und ließen Arkansas, den Staat, den ich wirklich von allen in Amerika gesehenen Plätzen am liebsten gewonnen hatte, weit zurück. Vielleicht sehe ich es nicht wieder, aber nie werde ich die Freuden vergessen, die ich dort genoß, so wie die Freunde, die ich dort fand, denn gar manches treue Herz schlägt in dem wilden Lande unter einem groben Kittel oder einem alten ledernen Jagdhemd.
Unser Boot flog an den grünen Ufern vorbei, und schon in der dritten Nacht setzte mich der Arkansas am Ufer von Louisiana, in Bayou Sara, an Land.