Friedrich Gerstäcker
Das alte Haus
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 15.

Die Spritzen arbeiteten die ganze Nacht hindurch, des Feuers Herr zu werden. Wenn es sich aber auch in seine Mauern bannen ließ, von dem einmal Erfaßten gab es nichts heraus, und was es an Holzwerk da drinnen hatte, das nagte und leckte es auf, bis zum letzten Splitter hin, bis zum letzten morsch gefaulten Balken selbst.

Wunderbare Gerüchte durchliefen dabei die Stadt. Den alten Herrn Quetzlinberger wollte man gesehen haben, wie er gerade um Mitternacht, mit einer kleinen Flamme auf dem Kopfe und in seinem gelben Schlafrock, oben auf dem Dache getanzt habe. Das Volk war dabei unter sich bald einig, den Brand des Hauses auch nur seinem früheren Herrn und dessen teuflischen Helfershelfern zuzuschreiben. Daß er das Haus nicht gutwillig übergeben würde, das nun so lange der Tummelplatz böser Geister gewesen, hatten Hunderte vorhergesagt. Der »todte Famulus« aber mußte ebenfalls mit im Bündniß gestanden haben, und seine Zeit lief mit dem alten Hause ab. Die Seele hatte der Rabe, der auf dem Dache auf der Lauer gesessen, mit fortgeführt.

Aber was konnte der fremde Erbe des Hauses aus dem brennenden Zimmer heraus getragen haben? – Niemand wußte es – die Einen behaupteten, es sei eine todte Frau gewesen, die Anderen schworen zu einem Gerippe und sagten, sie hätten die weißen gebleichten Knochen unter dem dunklen Tuche vorschauen sehen. Andere wollten wieder wissen, es sei ein Stuhl gewesen, den er aus dem Zimmer gerettet habe, um nur etwas zum Andenken davon zu besitzen – das hatte wenigstens Schierling selber ausgesagt. Selbst die Augenzeugen waren aber in jenem Augenblicke so in Aufregung und Spannung gewesen, irgend etwas Entsetzliches in dem alten Gebäude über sich hereinbrechen zu sehen, daß sie fast gar nicht darauf geachtet, und die verschiedenen Vermuthungen, die sie selber äußerten, dienten nur mit dazu, die Verwirrung zu vergrößern.

Ein anderes Ereigniß schien die ganze Sache noch verwickelter zu machen und gab ebenfalls wieder tausend weiteren Gerüchten Raum. Der Doctor Hetzelhofer war nämlich in der Nacht verschwunden, und während das Volk, das sich selten eine Gelegenheit entgehen läßt, Beweise für seinen Aberglauben zu finden, den Brand dem alten Herrn Quetzlinberger zuschrieb und den Doctor Hetzelhofer, von dem man überhaupt schon munkelte, daß er falsche Papiere vorgezeigt hatte, einfach davon laufen ließ, faßte der übrige, nicht an Geister glaubende Theil des Publicums einen anderen Verdacht. Wenn man den auch nicht gleich gerade aussprach, flüsterte man es sich doch bald heimlich zu: der Doctor Hetzelhofer habe, wie er gesehen, daß es mit seiner Erbschafts-Angelegenheit schlecht stehe, das Haus heimlich angesteckt und sei selber in den Flammen umgekommen. Daß sein Famulus ihm dabei geholfen haben konnte, war mehr als wahrscheinlich, und von Gewissensbissen gequält, suchte der dann selbst den Tod.

Jedenfalls blieb Doctor Hetzelhofer verschwunden, und als die Polizei, nachdem sich die Brandstätte etwas abgekühlt, den Schutt genau untersuchen ließ, wollten einige Aerzte nach den vorgefundenen Ueberbleibseln der daraus hervorgewühlten und verkohlten Gebeine behaupten, daß sie zwei Menschen angehören müßten. Bestimmtes ließ sich aber dabei immer nicht beweisen, und das Volk meinte, in dem alten Nest, hätten wohl noch mehr als zwei Gerippe gelegen, und der alte Quetzlinberger habe es nicht umsonst selber angesteckt.

Daß des Doctors Schwester übrigens dessen sämmtliche Hinterlassenschaft bald darauf verkaufte und aus der Stadt, die der trüben Erinnerungen so viele für sie hatte, fortzog, mehrte, so natürlich es an und für sich war, nur noch den Verdacht.

Das Haus des Regierungs-Rathes Hechner war vielleicht das einzige in der ganzen Stadt, an dem all diese wilden Gerüchte und Vermuthungen spurlos vorübergingen; denn trüb' und schwer hatte die Familie an der Wirklichkeit zu tragen.

Marie erwachte an jenem Abend erst wieder in den Armen ihrer Mutter, die ihr Mann, schon als sie das Zimmer betrat, beschworen hatte, sich zu sammeln und um Gottes Willen Alles zu vermeiden, was jetzt sowohl die Aufmerksamkeit Fremder auf sie lenken, als auch die Tochter selbst vielleicht über ihren vergangenen Zustand aufklären könne. Durfte man ja doch jetzt noch hoffen, daß das Ganze unbewußt an ihr vorüber gegangen sei, wie ihn ja auch ihr Gast beruhigt hatte, daß Niemand weiter als er selbst den wahren Vorgang des Geschehenen ahne.

Der, bei solchen Bränden ungeschickter Weise fast überall gemachte officielle Lärm, der den Theil der Bevölkerung, der nicht wirklich durch das Feuer leidet, wenigstens halbtodt ängstigt, Fieberkranke zum Wahnsinn treibt, und alle Anderen, ohne Ausnahme, unbehaglich macht, verfehlte auch auf sie seine Wirkung nicht. Mitten in dem Toben der noch dazu durch das eigene Haus polternden Feuerleute, im Trommeln und Trompeten, Sturmläuten und Spritzenrasseln fuhr sie empor, umschlang die Mutter, welche sich in Todesangst über sie bog, und fiel in einen Weinkrampf, der selbst auf kurze Zeit ihr Leben bedrohte.

Glücklicher Weise fand sich der Arzt von selber ein, der auf die Kunde vom Brande des alten Hauses rasch herbei geeilt war, der befreundeten Familie vielleicht nützlich sein zu können. Den Zustand der Kranken stellte man jedoch, ihm gegenüber, als nur vom Schrecken herrührend dar, und brachte die Kranke dann, so bald als thunlich, in ihr Bett, von dessen Seite die Mutter nicht mehr wich. Für das Haus selber war, Dank den getroffenen Vorsichtsmaßregeln, keine Gefahr mehr zu fürchten.

Und manche lange, lange Nacht saß die treue Mutter an dem Schmerzenslager des Kindes. Manche bange Stunde lauschte sie mit blutendem Herzen den wilden Phantasien der Kranken, die in ihren Fieberträumen jeden in jener Unglücksnacht gethanen Schritt auf's Neue ging.

Wieder und wieder stieg sie da an Gundelrebe's Hand über den schmalen Steinsims des Daches durch das zusammenbrechende morsche Fenster die staubbedeckte Treppe nieder. Noch einmal schaute sie durch die zerbrochene Thür in das dunkle, schauerliche Gemach hinein; hörte die Leute auf der Straße, sah das Feuer glimmen und wachsen, sah den alten Herrn Quetzlinberger im flammenden, gelbseidenen Schlafrocke in der Stube herum- und an den Wänden hinauftanzen, sah die hundert und hundert fremden Gesichter in das blendend helle Zimmer dringen, hörte das Zusammenbrechen der Thür und erkannte den zweiten Gundelrebe, der mit einem schmetternden Schlage den ganzen Raum mit Nacht und Dunkel füllte. Von da schweiften ihre Phantasien in wirren, unzusammenhängenden Bildern ab, in denen das Feuer, die Frau Bause, der Famulus Schwiebus, wie die Frau Kreis-Räthin Olekamp mit ihrer Sigelinde fast gleichen Antheil hatten.

Wochen lang kämpfte die Kranke solcher Art gegen das Fieber an, das sie aus seiner heißen, sinnzerstörenden Umarmung gar nicht lassen wollte. Endlich aber, in dem knospenden Frühling, der seine Blüthen schon über Berg' und Thäler streute und die Luft mit Balsam füllte, schien sich Mariens Körper auch zu erholen und mit den jungen Säften, die draußen das Mark der Bäume füllten, neue Kraft und neues Leben zu gewinnen.

Die Mutter konnte sich aber der Genesung doch kaum freuen. Wenn sie auch mit zärtlicher Sorge über der Kranken gewacht und, während das Kind im wirren Fieber lag, oft und oft im heißen, brünstigen Gebete zu Gott gefleht hatte, seine Hand über dem theuren Haupte zu halten, fürchtete sie doch jetzt fast eben so viel von dem rückkehrenden Bewußtsein, als früher von der Gefahr der Krankheit selber. Wenn sie sich nun im wachen, bewußten Zustande der Einzelnheiten jener Nacht erinnerte – wenn sie begriff, wo sie gewesen – wie sie dahin gekommen, und welches Unglück ihrer Spur gefolgt – wenn sie dem Gedanken nachhing, dort drüben allein, mitten in der Nacht, in jenen unheimlichen, öden Räumen erwacht zu sein und dann . . . – Der Mutter selber schlug das Herz in fieberhafter Angst, wie sie das Bild vor ihren Geist heraufbeschwor.

Als einen treuen und wackeren Freund des Hechner'schen Hauses bewies sich indessen der junge Schierling. Was den Brand betraf, so hatte er allerdings dadurch einen Theil seines beanspruchten Erbes – denn die Bauplätze blieben ihm ja noch – eingebüßt; er schien sich den Verlust aber wenig oder gar nicht zu Herzen zu nehmen. Die Regulirung des Processes ging indessen, trotz des Doctors Hetzelhofer räthselhaftem Verschwinden, ruhig fort, und Doctor Quetzlinberger, der vielleicht seine Gründe hatte, über des Doctors Abwesenheit selber keine Auskunft zu geben, oder auch in der That nicht wußte, was aus ihm geworden, erklärte, als Hetzelhofer's Advocat dessen Ansprüche fallen zu lassen, während er sich selber, als Verwandter des Testators, zu den übrigen Erben schlug.

Schierling bekümmerte sich um das Alles nicht, überließ die Regulirung der Angelegenheit seinem Notar und betrieb indeß, während er in Hechner's Hause wohnen blieb und innigen Theil an dem Leiden der Eltern nahm, mit frischen Kräften und bedeutenden Mitteln den Neubau des niedergebrannten Erbes, zu dem noch das benachbarte und dazu gehörende Grundstück genommen wurde.

Marie war erwacht! – der Jubelruf lief durch das ganze Haus. Die Krankheit war gewichen, ihre Besinnung zurückgekehrt, und zum ersten Male hatte sie die Eltern, hatte sie ihre Umgebung wieder erkannt.

Mit solcher Angst, wie sie nur ein Mutterherz für das Kind fühlen kann, hing dabei das Auge der armen Frau an den Lippen der Tochter. Fürchtete sie doch in jedem Wort, in jedem Schmerzzucken, das noch von der Krankheit übrig geblieben, das erste Aufblitzen jenes entsetzlichen Verdachtes – den elften furchtbaren Strahl in die wohlthätige Nacht des Vergessens fallen zu sehen, die jetzt noch über ihr ruhte – aber es kam nicht. Mit neugierigem Staunen hörte sie zuerst von dem Brande des alten Hauses, der auch in ihre Fieber-Phantasien seine Gluth geworfen, und lächelte, als sie der wild verworrenen Sachen dachte, die sie die lange Zeit hindurch geträumt, und die jetzt zu einem bunten, aber unentwirrbaren Chaos die Fäden durch ihr Gedächtniß schlangen.

Tage vergingen, und ihr Zustand besserte sich mit jeder Stunde so, daß die Mutter endlich selbst dem jungen Schierling, der sie schon lange dringend darum gebeten – gestattete, sie zu besuchen. Es war die letzte, entscheidende Probe, und Marie bestand sie.

Sie streckte ihm freundlich die abgezehrte Hand entgegen und bat ihn mit einem gar so lieben, wenn auch noch schmerzlichen Lächeln, ihr nicht böse zu sein, daß sie gerade ihm in ihren Träumen sonst so Unrecht gethan.

»Jetzt erst habe ich einsehen gelernt,« sagte sie, »wie wild und toll man in der Krankheit träumen könne, und da das alte Haus daneben an, wie mir die Mutter sagt, ja nicht einmal mehr besteht, und neue, lichte Räume an dessen Statt aufsteigen, so hoff' ich, habe ich auch, mit der eigentlichen Ursache jenes alten bösen Wahns, das alte Grauen, den kindischen Aberglauben bezwungen, und mit dem nur erst gesundeten Körper soll das Alles schon nie mehr wiederkehren.«

Die Erinnerung daran war freilich noch nicht ganz besiegt, und als sie von dem Tode des Famulus Schwiebus in den Flammen des alten Hauses hörte, war es fast, als ob noch einmal die alten trüben Bilder vor ihrer Seele aufsteigen und neuen Raum gewinnen wollten – aber nur auf kurze Zeit. Wie sie zum ersten Male wieder ausging und mit dem neu erwachten Frühling, im warmen Sonnenschein die Straße betrat, als sie selber das alte düstere Gebäude, das solchen furchtbaren Einfluß auf sie ausgeübt, verschwunden und rüstige, lustig arbeitende und thätige Menschen beschäftigt sah, helle Mauern an dessen Stelle aufzuführen, da schwand der letzte düstere Schatten aus ihrer Seele, und ihre Besserung war von Tag zu Tag auffallender.

Der junge Schierling leitete indessen selber die Arbeiten und ordnete an und trieb, und zeigte sich außerordentlich ungeduldig, den Bau, an dem er kein Geld sparte, zu beenden. Er hatte sich zu gleicher Zeit so bei Hechner's eingewohnt, daß er ganz wie mit zur Familie gehörte. Auffällig fast vernachlässigte er aber dabei die Frau Kreis-Räthin mit ihrer Tochter Sigelinde und schien überhaupt nur wirklich Sinn für Maurer und Zimmerleute zu haben.

Nach nicht ganz fünf Vierteljahren endlich stand der Bau vollendet, und das alte Haus war, wie ein Phönix, aus der Asche neu und jugendlich herausgestiegen. Als aber die innere Wohnung nun auch noch einfach, aber höchst geschmackvoll eingerichtet worden und bezogen werden konnte, da endlich löste der junge Mann sein Versprechen, das er an jenem Abend vor dem Brande Marien gegeben, und an seiner Hand zuerst betrat die, wieder in voller Gesundheit und Frische blühende junge Frau, wenn auch nicht mehr das wirklich »alte Haus,« doch das Eigenthum des Gatten und – ihre Heimath, und all jene wilden Träume, die ihre Jugendzeit getrübt, schwanden in dem lichten Sonnenschein, den Gott auf ihres Lebens Pfad gestreut.

 


 


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