Friedrich Gerstäcker
Das alte Haus
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 13.

Wir haben Marien verlassen, als sie mit ihrem Begleiter die Dachkammer des Nachbarhauses erreicht hatte.

Ein eigenes Grauen zitterte ihr durch die Glieder, als ihr Fuß den geheimnißvollen, gefürchteten Raum betrat, und doch staunte sie auch wieder über den Muth, mitten in der Nacht dem Führer gefolgt zu sein, dem sie doch noch selbst mißtraute. Einen Ort wollte sie, das schüchterne, furchtsame Mädchen, aufsuchen und erforschen, an den sich vielleicht kein Mann in ganz Hellburg um Mitternacht gewagt hätte, und doch, wenn ihr das Herz auch ängstlich schlug, fühlte sie nicht die mindeste Furcht; ja, eine Art peinlicher Spannung trieb sie sogar rascher und rascher ihrem unheimlichen Ziel entgegen.

Unheimlich war dabei aber selbst die Art, in der sie vorwärts schritten; denn ein dicker, weicher Teppich von Staub und Moder lag auf den Planken und ließ den Fuß ihn völlig lautlos berühren und darüber hin eilen. So still war es in dem weiten, öden Boden, daß sie das Schlagen ihres eigenen Herzens hörte und das leise Rauschen ihres Mantels sie mehrmals rasch und scheu umschauen machte. Wie ein Paar Geister glitten die beiden Gestalten unter dem Dach entlang bis zur Treppe, die ihnen schwarz und hohl entgegen gähnte.

»Wie gut ist es, daß ich das Licht mitgenommen habe!« flüsterte sie hier mit leiser Stimme, denn sie scheute sich, diese Grabesruhe zu stören – »die blinden Scheiben der Fenster lassen keinen Mondenstrahl mehr ein, und dort unten sieht es aus, als ob wir in einen bodenlosen Abgrund hinabstiegen. Was zögern Sie, Herr Schierling – sehen Sie etwas?« setzte sie hastiger und fast ängstlich hinzu.

»Nichts, was Dich beunruhigen könnte, Marie,« sagte da der junge Mann, sich halb nach ihr umdrehend und lächelnd ihre Hand ergreifend, um sie jetzt die Treppe hinab zu führen. »Aber um Eines bitte ich Dich,« setzte er dann ernster, aber fast herzlich hinzu – »nenne mich hier nicht Sie und Herr Schierling, sondern Gundelrebe wie in alter Zeit. Jahre liegen dazwischen, aber wir sind ja wieder an dem alten Orte zusammen, und der kalte Name hier in den alten bekannten Räumen thut mir weh.«

»Gundelrebe?« sagte Marie erschrocken und fühlte, wie ihre Hand in der des Führers zitterte, »so sind Sie doch . . .?«

»Nicht Sie sollst Du mich nennen, Marie,« bat der junge Mann, »nur hier nicht, so lange wir in diesen Mauern zusammen sind. Kommen wir wieder hinaus in die kalte, unfreundliche Welt, zu den steifen, gelenklosen Gliederpuppen der Gesellschaft und ihren Convenienzen und Moden, dann magst Du es wieder machen, wie Du willst, und wenn Du es verlangst, werde ich selber thun, als ob ich Dich gar nicht kennte.«

»Gundelrebe,« flüsterte Marie leise vor sich hin, und ein eigener Schauer rieselte ihr durch Mark und Bein, vom Kopfwirbel bis in die große Zehe nieder. Es war fast, als ob eine fremde Hand, ohne sie zu berühren, ihr hoch über Antlitz und Brust niederstriche. Ehe sie sich aber dieser Empfindung recht klar wurde, nickte ihr auch ihr Führer freundlich und ermuthigend zu, und leitete sie jetzt, ohne weiter ein Wort zu sprechen, die ziemlich steile Stiege nieder. Gleich unten daran erreichten sie jedoch die volle steinerne Treppe, die bis zum dritten Stock des Hauses führte, und jetzt hatten sie hier hinab verhältnißmäßig leichteren und bequemeren Weg.

Neugierige Blicke warf Marie hier umher; denn wie hatte sie sich danach gesehnt, diese lang' verschlossenen Gänge, Treppen und Zimmer zu schauen, und jetzt endlich trat ihr Fuß den geheimnißvollen Boden!

»Und ist es denn nicht, wie ich es mir gedacht?« flüsterte sie dabei leise vor sich hin, »deckt denn nicht dicker Staub wie ein weicher Teppich den Boden, und sieht denn nicht Alles so wild und vermodert aus, als ob es jeden Augenblick über unseren Köpfen zusammenbrechen könnte? – So war das Andere doch zuletzt ein Traum. – Ein Traum?« setzte sie dann rasch und scheu hinzu. – »Aber führt mich denn nicht hier ein Bild gerad' aus jenem Traum, und träume ich denn jetzt etwa auch, wo ich den Staub, den mein Fuß aufstört, zwischen den Zähnen knirschen fühle und feuchter, häßlicher Moderduft mir den Athem fast erstickt? Wenn das auch ein Traum wäre – was wäre da Wachen?«

Ob sie die letzten Worte unwillkürlich so laut gesprochen, daß Gundelrebe sie verstanden, – er drehte sich aber lächelnd und mit dem Kopfe schüttelnd nach ihr um und sagte:

»Ein Traum? – sind die alten steinernen Treppengeländer hier mit den eingeschnittenen Geierklauen und Löwenköpfen auch ein Traum? – dann ist es ein merkwürdig lebendiger, denn die stehen da schon viel Hundert Jahre lang. Oder träumst Du das auch?« – sagte er, und zeigte auf eine Thür, an der sie jetzt vorbeischritten, und aus der ein Getäfel heraus gefallen war, daß man in das düstere Gemach hineinschauen konnte. »Da – wirf einen Blick da hinein, ob man das träumen kann.«

Marie trat mit dem Licht an die Oeffnung und blickte hinein, aber sie schauderte unwillkürlich zurück, als ihr die furchtbare Oede von dort kalt und grabesfeucht entgegenwehte.

»Entsetzlich!« stöhnte sie – »ich glaube – glaube fast – ich fange an, mich zu fürchten.«

»An meiner Seite?« lachte Gundelrebe – »weißt Du noch, wie damals der Zahnarzt hinter Dir drein wollte und wir ihm die Thür vor der Nase zuschlugen? Damals fürchtetest Du Dich auch, aber Du warst auch noch ein Kind. Heute bist Du zur lieblichen Jungfrau herangeschossen, und wer so wie Du, in Unschuld durchs Leben schritt, glaube mir, Marie, der braucht sich vor nichts zu fürchten. Der alte Herr da droben, wie auch sein Name sein mag, schützt Dich schon. – Aber komm,« setzte er dann wieder weniger ernst hinzu – »bleib' nicht hier vor der alten zerbrochenen Thür stehen. Bei Nacht ist's häßlich, am Tage aber, wenn sich das Sonnenlicht nur so eben matt und trübe da hinein stiehlt, habe ich oft schon Stunden lang der öden Wirthschaft in den Stuben hier zugeschaut. Es sieht wunderlich aus, sage ich Dir, wie die alten Canapee's von Motten und Staub zerfressen, in einander gedrückt, wie riesige graue Spinnen auf der Lauer liegen und die großen Lehnstühle dabei faul und schläfrig mit ihren geschnitzten Rücken an den Wänden stehen. Aus dem alten Teppich ist dabei ein neuer, von grauem sammetartigem Staub herauf gewachsen, und wenn ein voller Sonnenstrahl ja einmal durch irgend eine der kleinen zerbrochenen runden Scheiben herein scheint, malt er funkelndes Licht in tausend schillernden Farben auf der glatten Rinde. Früher gab's auch noch Mäuse und Ratten in den Zimmern, und manchen fröhlichen Tanz hatten die mitsammen auf den weiten ungestörten Spielplätzen. Da war Leben und Lust, und Krieg spielten sie und Hochzeit über Tisch und Stühle fort, über Treppe und Vorsaal. – Jetzt freilich haben sie sich ein anderes Quartier gesucht. Was an nagbaren Gegenständen noch zurückgeblieben, hatten sie bald verzehrt, und wie auch der Kleister hinter den Tapeten abgefressen war, zogen sie aus.«

»Wie das raschelt und rauscht da drinnen!« sagte Marie, als sie eine Etage tiefer an den Stubenthüren vorbeiglitten – »und das dumpfe Murmeln – als ob Leute dort mitsammen sprächen.«

»Das ist ein Wagen draußen auf der Straße,« sagte ihr Führer, mit dem Arm da hinüber deutend. »Durch die dicht verhängten Fenster und alten Thüren schallt das nur so sonderbar.«

»Aber da singt Jemand!« rief Marie erschrocken und blieb, den Finger an die Lippen legend, stehen.

»Nicht hier im Hause,« lachte Gundelrebe, »das ist auch unten vor der Thür auf der Gasse. Hier im Hause, Marie, ist der fröhliche Laut singender Menschenstimmen lange, lange nicht gehört worden. – Nicht allein seit des alten Herrn Quetzlinberger Tode, nein, auch lange vorher schlug kein frohes Herz in diesen Räumen, und schwere Sorge drückte die einsamen Bewohner zu Boden nieder. Jetzt wird das vielleicht anders, wenn Gottes Sonne wieder herein auf junges Leben schaut. Der alte Schmerz ist gebüßt und begraben, oder wird es noch diese Nacht, und wenn Du nur wolltest, könnte bald wieder Lust und Freude diese Mauern mit Blumen schmücken, an denen jetzt nur Nachtgewürm und Moder klebt.«

»Ich?« sagte Marie erstaunt, »was kann ich wollen?«

»Ich sage es Dir nachher, Marie,« erwiderte ihr Führer herzlich, und nahm wieder die Hand, die sie ihm vorher entzogen. »Jetzt sind wir gleich unten, und wir möchten den alten Herrn sonst stören.«

»Den Herrn Quetzlinberger?« rief Marie erschrocken, – »aber – wie ist mir denn – da wäre ja doch der tolle Spuk mit jeder Sylbe wahr gewesen, und wir . . .«

»Gehen jetzt blos hinunter, dem alten Herrn unsere Abschieds-Visite zu machen,« sagte Gundelrebe, ihr dabei freundlich zunickend. »Lieber Gott, er hat jetzt die ganze Zeit recht einsam und allein sitzen und horchen müssen, und wird sich danach sehnen, einmal auszuschlafen von der langen Wacht.«

Marien schnürte es das Herz zusammen. Traum und Wachen schmolz ihr hier in einander, und sie schaute nach Hülfe umher, sich aus diesem Labyrinthe hinauszufinden. Aber es blieb ihr keine Zeit mehr, länger zu überlegen. Sie hatten ihr Ziel erreicht – die Thür des Wohnzimmers in der ersten Etage –, und doch sah hier jetzt Alles anders aus als früher.

»Du kennst den Platz hier nicht mehr?« lächelte Gundelrebe Marien an, »ja, das glaub' ich wohl. Das vorige Mal kamen wir durch den kleinen, engen Gang herauf, der von Eurem Hause herüberführt, und fort warst Du wieder, uns auf einmal unter den Händen weg, und hast Dich auch selber damals nicht umgesehen. Weißt Du noch, wie der Onkel so bös über den Spaß war, den die Margareth mit Dir machte? Aber jetzt still – öffne nur die Thür hier, sie führt uns durch die Küche in das große Zimmer.«

»Aber ich glaubte, alle Stuben hier im Hause wären fest verschlossen!« sagte Marie erstaunt.

»Alle, die von unten herauf führen,« lautete die Antwort. »Wir selber sind aber jetzt die kleine Seitentreppe niedergekommen und dadurch gleich von oben im Innern der Wohnung gewesen. Siehst Du, Marie, hier ist die Küche – nimm Dich in Acht, daß Du da nicht in die Scherben trittst. Es sieht wild hier aus, nicht wahr?«

Marie leuchtete erstaunt mit dem Lichte umher. Der Raum hatte jedenfalls einmal früher zur Küche gedient, denn der Heerd mit dem Kamine zeigte das deutlich genug. Auch befanden sich da noch heute einige Fächer dort, auf denen leichtes, aber ebenfalls dicht mit Staub und Spinngeweben überzogenes Geschirr stand. Viele von den Regalen waren indessen heruntergebrochen – zerbrochenes Geschirr lag überall umher gestreut und krachte unter dem darauf tretenden Fuß noch mehr zusammen.

»Nicht wahr, das sieht hier bös aus?« sagte Gundelrebe; »ja, seit die Margareth in die Stadt gezogen ist und hier nicht mehr gewirthschaftet hat, seit der Zeit ist Alles eigentlich ein Bißchen drunter und drüber gegangen. Aber komm – falle nicht über das tolle Zeug – das wird eine Arbeit geben, das Alles wieder rein zu machen und zu säubern! Was meinst Du, Marie, wenn Deine Mutter die Räume hier zu einem Fremdenstübchen einrichten sollte?«

Marie hätte fast bei dem Gedanken gelächelt, aber ihr Führer glitt in dem Augenblicke durch die halb offen stehende Küchenthür in ein kleines, enges Zimmer hinein, in dem drei große, riesige Nußbaum-Kleiderschränke standen. Die Schnitzereien waren ebenfalls überall mit Staub bedeckt; an der glatt polirten, dunklen Fläche der Thüren hatte er aber nicht haften können, und diese stachen mit ihren braunen Backen, in denen sich das Licht matt spiegelte, wunderlich ab gegen den grauen Rahmen, der sie überall umgab.

Aber auch dies konnte sie nur flüchtig, im Vorbeistreifen erkennen; denn Gundelrebe, der noch immer ihre Hand festhielt, zog sie rasch hinter sich her, der nächsten Thür zu.

»Tritt hinein!« flüsterte er dabei; mit den Worten war er ihr aber auch unter den Händen weg verschwunden, und während sie im Augenblicke noch geglaubt hatte, seine Hand zu fassen, fühlte sie jetzt, daß die ihre auf der Thürklinke des fremden Zimmers ruhte. Unschlüssig schaute sie einen Moment umher, aber zu unheimlich wurde es ihr, hier allein zu stehen, – drinnen im Zimmer glaubte sie dabei Stimmen zu vernehmen – oder war das auch wieder auf der Straße? Nein! da hinein war ja Gundelrebe verschwunden, wohin er sie wohl auch hätte mitnehmen können, und dort mußte sie ihn wiederfinden.

Fest entschlossen drückte sie auf die Klinke, preßte gegen die Thür, die unten durch irgend etwas, vielleicht durch den Teppich, gehalten wurde, öffnete sie mit Mühe und betrat das große, düstere Gemach.

Es war vollkommen dunkel darin – sie starrte rings umher, und es kam ihr vor, als ob das Licht selbst nur einen ganz kleinen Theil der es umgebenden Luft beleuchtete, so, daß diese wie eine matt flimmernde Kugel in dem öden, grenzenlosen Raume frei und unabhängig schaukelte. Erst nach und nach vermochte ihr Blick die einzelnen Theile zu unterscheiden und von einander zu trennen. – Und auch hier Staub und Moder? – Nein, das war nicht möglich – ein silbergrauer Teppich deckte den Boden, so weich, daß sich der Fuß fast darein vergrub; von den Wänden hingen breite Festons in einander geschlungener seidener Stoffe nieder, mit dazwischen geflochtenen Quasten und Troddeln und künstlichen Zierathen nachgeahmter Blumen und Federn – oder waren das nur zerrissene, niederhangende Tapeten?– Nein! – Wie voll und schwer hingen die gelben Gardinen noch vor den Fenstern nieder – gerade wie damals, als Margareth mit dem Lichte herein kam und sie enger zusammen zog, damit der Nachtwächter unten nicht den Schein der Kerze erkennen sollte! – Wie still das jetzt war. – Drunten auf der Straße konnte sie einzelne harte Schritte auf dem Pflaster hören – jetzt war es still – der dort unten gegangen, mußte stehen geblieben sein. – Ob der alte Herr Quetzlinberger wohl auf ihn hinunter sah? – Und daß die Margareth gar nicht kam, sie zu begrüßen! Die Margareth? – ja, die wohnte ja doch eigentlich in der Stadt drinnen und gar nicht mehr im Hause! Und weßhalb war sie selber denn eigentlich hier herüber gekommen, mitten in der Nacht? Hatte sie denn nicht Gundelrebe . . .

»An was denkst Du, Marie?« sagte die leise, freundliche Stimme ihres Führers dicht neben ihr – »Du siehst Dich so scheu hier um. Fürchte nichts; Alles, was uns schmerzen und ängstigen könnte, liegt nun hinter uns, und frei und rosig scheint von nun an die Sonne auf unseren Pfad.«

»Und haben sie Dich freigegeben?« fragte Marie, ihm erstaunt in's Auge sehend.

»Der Zauber ist gelöst, der uns hier band,« flüsterte Gundelrebe, »wir sind jetzt frei und dürfen uns draußen im Leben das Glück nun selber suchen, das uns ein hartes Geschick so lange, lange Jahre vorenthielt. O, Marie,« fuhr er dann leidenschaftlicher fort, indem er ihre Hand ergriff und auf ein Knie zu ihren Füßen niedersank, – »stoße Du mich jetzt nicht freundlos und allein zurück in mein altes Elend, in meine alte Einsamkeit. Ich werde von jetzt an dieses alte Haus bewohnen, in diesen Zimmern leben und schaffen, und das Sonnenlicht wieder herein lassen in die alten, lieben Räume.– Wird Deiner Augen Licht dann diese neue Heimath mit Glück und Glanz erfüllen, Deine holde Nähe sie segnen, Deiner leichten Schritte Klang mit lieblicher Musik die Räume füllen? – O, wende Dich nicht ab von mir! – Seit jener Zeit, wo Du Dich zum ersten Male in meinen Schutz begabst, seit jener Stunde gehörte mein Herz ja Dir, und zurückdrängen und bändigen mußte ich es mit Gewalt, als ich Dich draußen unter den fremden Menschen wiedersah. – Du schweigst, Marie – Hast Du mich gar nicht lieb? – Du hast den armen Knaben wohl ganz vergessen, den es seit jener Stunde mit seines Herzens feinsten Fasern zu Dir hinüber zog, bis er der Sehnsucht nicht länger widerstehen konnte

»Vergessen?« sagte Marie, traurig mit dem Kopfe schüttelnd, – »nur zu viel hab' ich an Dich gedacht, und weh genug hat es mir gethan, als Du an jenem Morgen zuerst unser Haus betratest und mich gar nicht wieder kennen wolltest. Ich hatte Dich den Augenblick erkannt.«

»Du holder Engel!« flüsterte Gundelrebe leise und herzlich, und drückte einen leichten Kuß auf die Hand, die er noch immer in der seinen hielt, »und darf ich den Onkel da rufen, daß er unseren Bund vor seinem Scheiden segne?«

»Ist er denn hier?«

»Gewiß, Marie – und die Margareth ebenfalls – drüben im anderen Zimmer stehen sie und warten schon so lange auf uns.«

»Drüben im anderen Zimmer – und die vielen Menschenstimmen, die ich da unten höre?«

»Das sind die Gäste, die ich zu unserer Verlobung geladen habe. Bist Du mir bös darüber, Herz?«

»Die Gäste?«

»Hörst Du nicht die Wagen unten rollen? – wir wollen ihnen entgegen gehen, sie zu empfangen.«

Rasch schritt er ihr voraus durch die nächste Thür, welche nur mit einem nach rechts und links zurückgeschlagenen Vorhange verhängt war. Auf der einen Seite hatte sich derselbe aber aus dem Haken, der ihn gehalten, herausgeschoben und hing tief über die Thür hinüber. Marie mußte ihn mit der Hand aus dem Wege heben, um hindurch zu können, und streifte mit dem Lichte daran.

»Wie dunkel und dumpf das hier überall in den Stuben ist!« sagte Marie, unwillkürlich zusammenschaudernd.

»Nicht wahr? – Das macht die so lange hier eingeschlossene dumpfe Luft – das wird schon besser werden. Aber die Margareth soll Lichter bringen und die Fenster öffnen. Komm wieder zurück in's Zimmer – dort liegt auch allerlei Geräth, und Du könntest Dich stoßen. – Siehst Du, Du wärst beinahe gefallen.«

Marie trat zurück und horchte wieder hinunter nach der Straße. Da fiel ihr Blick auf die Mittelthür.

»Hab' ich da nicht den Vorhang angebrannt?« sagte sie leise – »ich dächte, ich sähe es glimmen.«

»Das ist das neue kupferne Geschirr, das die Margareth uns in unsere junge Wirthschaft bringt,« flüsterte ihr Gundelrebe zu, – »siehst Du, wie das funkelt und blitzt?«

»Aber das putzt sie wohl mit brennendem Spiritus,« sagte Marie – »sieh nur, wie die glühenden Tropfen daran niederfallen!«

»Es ist ein närrisches Frauenzimmer,« lachte Gundelrebe. – »Aber jetzt wird's hell – jetzt bringen sie die Lichter, und da kommt auch die Gesellschaft. Sieh nur, wie der Onkel seinen Staats-Frack angezogen hat, von gelber, flammender Seide. Sieht das nicht aus wie helles, loderndes Feuer? und wie sein Gesicht strahlt von innerer Seligkeit! Jetzt zünden sie auch die Kronleuchter an – nun wird's hier lustig. Wie trüb' und öde sah es vorhin aus!«

»Wie dicht unter der Decke sie mit den Fackeln hinfahren,« sagte Marie – »die Mutter würde sich ängstigen, wenn sie das sähe! Hörst Du den Lärm da unten, und das Knistern und Rascheln?«

»Ah, da kommt auch die Frau Kreis-Räthin mit ihrer schönen Tochter – die wird uns den ganzen Abend nun Clavier vorspielen, und der alte Herr Quetzlinberger mag dann dazu tanzen.«

Wie sich das jetzt drängte und schob in das Zimmer herein, Kopf drückte an Kopf; und eine Menge bekannter Gesichter waren darunter.

»Aber was wird da draußen geklopft und gehämmert? was ist das für ein Lärm?«

»Die Kisten werden aufgeschlagen,« sagte Gundelrebe, »in denen mein neues Theegeschirr ist. Was hier im Hause war, ist ja Alles verdorben die langen Jahre hindurch, und ich habe Neues anschaffen müssen.«

»Wie warm das hier im Zimmer wird!«

»Sieh, wie der alte Herr Quetzlinberger noch so frisch tanzen kann in seinem gelben, flammenden Frack – halloh – jetzt klettert er wie der Blitz so rasch an der Gardine hinauf – hei, wie das zuckt und glüht!«

»FeuerFeuer!« tönte von unten herauf der Schrei, und wie ein Donnerschlag prasselte es in dem Augenblicke gegen die Thür.

»Das waren die Kisten mit dem neuen Porzellan und Geschirr, die draußen aufgeschlagen werden.«

Wie das zuckte und zischte um sie her, und tausend Funken knisterten!

»Herr Gott!« rief Marie fast unwillkürlich, denn ein zweiter Schlag schmetterte auf die ihr nächste Thür, und wie das morsche Holz zusammenbrach, stand, mit einem Beil in der Rechten, die Haare wild um die bleiche Stirn flatternd, die Augen stier und entsetzt auf sie, und nur auf sie allein geheftet – Gundelrebe – ein zweiter, – und wo war der andere?

»Marie!« schrie die Stimme in Angst und Entsetzen.

Das Mädchen stand regungslos einen Moment – sie hob die Arme, als ob sie sich stützen wollte. – Der Leuchter, den sie noch immer bis dahin festgehalten, entfiel ihrer Hand, und während die Flammen im Zimmer mit dem durch die gesprengte Thür hereindringenden Luftzuge wild und hoch emporloderten, stürzte sie lautlos zu Boden nieder.

Schierling stand allerdings einen Moment auf die Schwelle gebannt, als hätte er einen Geist gesehen; es war aber auch nur ein Moment. Das Beil, das er noch in der Hand trug, warf er mit der Laterne von sich, sprang mitten in das glutherfüllte Zimmer hinein, griff das Mädchen vom Boden auf, warf ihr die Capuze ihres eigenen Mantels über den Kopf, ihr Antlitz zu verbergen, und floh mit ihr in's Freie, die Treppe hinunter.

Erschrocken und staunend sahen ihn die in dem noch halb dunklen Vorsaale stehenden Männer an, aber während die jetzt aus dem Zimmer mit furchtbarer Kraft herausschlagende Flamme ihre Aufmerksamkeit dorthin lenkte, und ehe sie nur irgend eine feste Vermuthung fassen konnten, war der junge Fremde mit seiner geheimnißvollen Last auch schon ihren Augen entschwunden, und unten im dunklen Hause auf der Straße.

Ein Theil von ihnen drängte allerdings noch langsam vorwärts, aber es fehlte ihnen ein Führer, und Keiner mochte auch so recht gern zuerst in die unheimlichen Zimmer hinein.

»Rettet Euch! – es ist Pulver im Hause!« rief da plötzlich eine Stimme – Niemand wußte, woher – Niemand sah sich aber auch danach um, und froh vielleicht, einen solchen Vorwand gefunden zu haben, drängte die Schaar, weit rascher, als sie herauf gekommen war, wieder treppab. Die Spritzen rasselten indeß schon von den nächsten Spritzenhäusern herbei, aber das Gerücht von dem Pulver lief auch zu gleicher Zeit wie ein Lauffeuer durch die unten versammelte Menge, die scheu und ängstlich von dem Hause fortpreßte, der neu heraufbeschworenen Gefahr so viel als möglich auszuweichen.

Nur zwei Männer blieben oben in dem Zimmer zurück – der Eine von ihnen, der Doctor Hetzelhofer, der die List mit dem Pulver gebraucht hatte, um lästige Zeugen zu entfernen. Der Andere war der Famulus Schwiebus, der, als die Anderen in wilder Flucht an ihm vorbei rasten, unbekümmert stehen blieb, und jetzt, von dem Doctor gar nicht bemerkt, ruhig in die Thür hinein und diesem etwas erstaunt zuschaute.

Der Doctor nämlich hatte das am Boden liegende Beil aufgegriffen und rasch damit einen Secretair geöffnet, der an der Wand des vom Feuer kaum ergriffenen Zimmers stand. Jetzt wühlte er, bei dem Schein der Flammen, in den vor ihm liegenden Papieren – riß die Fächer heraus und suchte jedenfalls nach irgend einer vielleicht versteckten Schublade.

Eine Hand lag auf seiner Schulter, und mit einem nur halb unterdrückten Aufschrei fuhr er empor.

»So fleißig, Doctor?«

»Ha – ah – Sie, Schwiebus – wo zum Teufel kommen Sie her?«

»Gerade daher, Doctor.«

»Das feige Gesindel ist fortgelaufen!« rief dieser, der sich rasch gesammelt hatte. »Wir müssen wenigstens retten, was wir können.«

Schwiebus hörte ihn nicht mehr – sein Auge haftete an einem großen Bilde, das über dem Secretair an der Wand hing. Es stellte einen jungen Mann in dunkler Kleidung dar, und das bleiche, helle Gesicht schaute, von den herein züngelnden Flammen wunderbar beleuchtet, wie lebendig aus dem vollkommen dunklen, fast schwarzen Hintergrunde heraus.

»Hier, Schwiebus – nehmen Sie die Papiere – und hier – wahrhaftig, ich glaube, dahinter ist noch ein heimliches Fach – geben Sie mir noch einmal das Beil her!«

Der Famulus, der unter dem linken Arme noch die Geige trug, hörte den Befehl wohl kaum. Nur den rechten Arm hob er langsam empor, bis der ausgestreckte Finger auf das Antlitz an der Wand deutete.

»Das ist er!« flüsterte er leise.

»Das Beil, Schwiebus – geben Sie mir das Beil!«

»Das Beil? – ja – das den Schädel des Kindes traf, nicht wahr?« rief da der Famulus plötzlich, und seine Augen, die fast aus ihren Höhlen zu dringen schienen, sprühten Feuer. – »Der Mörder kommt, er hebt schon den Arm empor!«

»Gehen Sie zum Teufel!« knurrte der Doctor zwischen den Zähnen durch, indem er sich selber nach dem, nicht weit von ihm am Boden liegenden Beile bückte und es aufhob. Schwiebus sah sich bei der Bewegung rasch und fast unwillkürlich nach ihm um, erblickte aber kaum die Waffe in seiner Hand, als er emporzuckte, die Violine fallen ließ, und mit dem mehr durch die Zähne als laut ausgestoßenem Schrei: »Mörder!« auf den Doctor zusprang. So plötzlich war der Angriff gewesen, daß sich der Ueberraschte kaum halb nach ihm umdrehen konnte, als er auch schon die dürren, knochigen Finger seine Kehle mit furchtbarer Gewalt umspannen fühlte.

»Lassen Sie mich los – Wahnsinniger!« schrie der Doctor mit schon halb erstickter Stimme, indem er sich dem Griffe des Famulus zu entwinden suchte. – »Teufel – Sie – er–würgen mich!«

»Mörder!« tönte aber die gellende Stimme des seiner Sinne nicht mehr Mächtigen durch den gluthgefüllten lodernden Raum.

»So nimm denn, was Du haben willst!« knirschte der Doctor, dem die geschwellten Adern das Antlitz schon dunkelroth färbten – »da!« und mit dem Rufe hob er das Beil und führte von der Seite mit voller Kraft einen Schlag gegen des Famulus Schlaf. Dieser aber begegnete der nach ihm gerichteten Waffe mit der linken Hand, wand sie im Nu aus dem krampfhaften Griffe des Gegners, und mit der rechten die Kehle des Unglücklichen nur noch fester umkrallend, schrie er mit wilder, fast dämonisch klingender Stimme:

»Hab' ich Dich! Hab' ich Dich endlich, Doctor Hetzelhofer? Hast Du mir meinen Kopf herausgegeben? – He? hast Du mich nicht gepeinigt und gequält fast ein Jahrhundert lang, und fass ich Dich nun endlich in meines Vaters Hause?«

»Hülfe! – Hü–l–fe – ich – er–sti–cke!« ächzte der Doctor.

»Hülfe? erst meinen Kopf heraus! – Mörder, – meinen Kopf will ich – hast Du mich gehört?«

Der Doctor vermochte schon nicht mehr zu antworten, die Sehnen erschlafften ihm, und er brach in die Kniee.

»Beten hilft Dir nichts!« jauchzte aber der Famulus im wilden Triumphe, – »meinen Kopf heraus – hörst Du – meinen Kopf will ich – Seelen-Vertauscher – meinen Kopf!«

Der Doctor knickte unter dem verzweifelten Griffe seines Mörders bewußtlos zusammen. In diesem Augenblicke leckte aber die Flamme mit voller, gieriger Zunge in das Zimmer herein, und im Nu stand das ganze Getäfel, das schon vorher bis zum Zunder erhitzt war, in voller Gluth.

Schwiebus fühlte, wie es ihm die Haare sengte. Er ließ den Doctor los, der auf den Boden sank, und griff seine Geige wieder auf.

»Hehe!« lachte er dabei, »wie hell es in dem alten dunklen Hause wird – das ist recht, Cameraden, zündet die Fackeln an, dem neuen Herrn zu seinem Einzuge zu leuchten. Mehr Licht – immer mehr – ja, da muß ich ja hinauf und die Rede halten!« Und mit raschen Sätzen das Zimmer verlassend, aus dem die Flamme wie eine gierige Schlange hinter ihm drein schoß, floh er die hell erleuchtete Treppe hinauf, an deren Geländer die Gluth schon fraß, und war bald in dem Dunkel, das noch oben lagerte, verschwunden.



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