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Kinder, ist das bei euch ein Radau im Hause. Hier könnte ich nicht arbeiten!« – rief er und blickte nervös auf seine verheiratete Schwester. Diese lachte: »Weil grade oben bei Brunkhofs Skandal ist? Daran sind wir so gewöhnt wie an das Pfeifen und Vorbeisausen der Stadtbahn in unserer vorigen Wohnung. Sonst ist es hier sehr ruhig und angenehm!« – – »Sonst? Ich danke! Du scheinst also an diesen Lärm völlig gewöhnt!?« – – »Natürlich, ich höre ihn kaum! Die Frau kocht jetzt gerade ihr Mittagessen und befindet sich in der Küche. Sobald sie aber diesen Raum betritt, geht das Keifen und Schelten los!« – – »Angenehmes Weibchen! Das kommt da oben aus dem Seitenflügel, da in der vierten Etage?« – – »Ja, da wohnen Brunkhofs. Er ist Schneidermeister und arbeitet für große Firmen!« – – »Beneidenswerter Gatte! Sag' mal, Fränze, kann der Mann nicht der Friedensliga beitreten und sich von dieser gegen sein Ehegesponst schützen lassen? – – – Liebliches Stimmchen!«
Frau Kränze lachte: »Setz dich doch, Willi! Du brauchst nichts zu fürchten. Wenn sie diese Stimmlage erreicht, schnappt sie bald über und ist für eine Stunde fertig!« – Beide nahmen auf dem weinumsponnenen Balkon Platz. Unwillkürlich horchte er auf. »Mit wem brüllt denn das Weib?« – – »Mit ihrem unglücklichen, fünfzehnjährigen Dienstmädchen. Übrigens sind alle vierzehn Tage andere da!« – – »Man müßte die jungen Dinger vor so einem Drachen schützen. Hör nur die unflätigen Worte, die das Weib gebraucht!« – – Seine Schwester beugte sich über ihre Handarbeit und lächelte.
»Wenn Se denken, Se könn' mir, dann irr'n Se sich, Frau Brunkhof? So'ne Schimpfwörter hab ich noch nie jehört, schäm' Se sich!« – schallte die Stimme des Mädchens. »Du verfluchtes Jöhr! Braun und blau sollte man dir hauen. Aus Niedertracht haste doch de Milch überkochen lassen. Dir – – – infames L – – – kenn ick doch!« – – »Se hatten mir doch in de Werkstatt scheuern lassen, ick kann doch nich da un' hier sein!« – jammerte das Kind. –
»Halt die Schn – – – –, sonst schlag ick dir tot!« – heulte das Weib. – »Mach, det de rauskommst; aber sofort!« – –
»Ick jeh och! So 'ne Behandlung laß ick mir och nich jefallen, wenn ick och bloß 'n armet Mechen bin! Se sind ja schlimmer wie int Zuchthaus! Schämen Se sich doch, Frau Brunkhof, Se sind doch selber mal Dienstmechen jewesen und wissen, wie das Dienen thut! Au, au!« Einige klatschende Streiche, ein lautes Geheul folgte. Herr Doktor Willi Zöllert zuckte nervös zusammen: »Man müßte die Polizei holen!« – rief er. – Misch dich nicht in fremde Sachen. Das Mädchen zieht fort und die Geschichte ist erledigt! – – – Übrigens, Bruderherz, du kennst diese liebenswürdige Frau Brunkhof ganz genau!«
»Ich, da hört die Weltgeschichte auf!« – – »Ja, das ist schade, denn dann hat sie eben aufgehört! – – – Entsinnst du dich noch vielleicht der hübschen blonden Lina, die früher bei den Eltern gedient hat, sogar drei Jahr lang? Du warst noch Student und ich unverheiratet!« – – »Donnerwetter, Fränze, in mir dämmert was!« – rief er. – »Und ich werde dem Dämmer zum Sonnenaufgang verhelfen! Du, Willi, grade du kanntest die Lina sehr – sehr gut. Backenstreicheln, Küsse, sogar heimliche Sonntagsspaziergänge! Zuletzt wurde Lina Engel und lernte fliegen, weil ein gewisser Bruder Studio nachts höchst bezecht auf den Hängeboden klettern wollte und mit großem Lärm die Treppe hinuntersauste!«
Sie schüttelte sich vor Lachen, so betroffen saß er da: »Donner und Doria, die Sache stimmt! Aber, Fränze, jetzt erinnere ich mich ganz genau. Die Lina war ein stilles, bescheidenes Mädel! Das kann nicht dieser Teufel sein!« – – »Gieb mit deine Bruderkralle! So – o, siehst du!« sagte die junge Frau. – »Ich sage dir, sie ist es! Du weißt doch, wenn einer Millionär ist, kann er nicht Sozialdemokrat sein, oder er müßte seine Millionen sofort dem Volkswohl opfern. Das thut aber keiner! Daher sind Großkapitalisten meistens konservativ!«
»Was willst du damit sagen?« – – »Hm, ich meine! Wenn ein Dienstbote durch gnädige Schicksalsfügung – – – Herrschaft wird, dann nimmt er eben Trense und Kandare fest und herrscht. Oft strenger als Fürsten, die an das Herrschen gewöhnt sind!« – – »Aha, ich verstehe!« – –
Oben begann der Lärm von neuem: »Ute, du sei still, un' misch dir nich in meine Anjelejenheiten! Mach, dat de in dein Atliehr kommst, sonst komm ick dir auf'n Kopp! Ick bin hier Herr ins Haus und wer' doch noch so'n dämlichet Balg, so'n armseligtet Stick Dienstmädchen verkloppen könn', wenn se mich despekdierlich kommt?« – Der Gatte, der wieder Frieden stiften wollte, schien auch die Geduld verloren zu haben: »Wenn de schonst brillen mußt, denn mach die Fenstern zu. Det janze Haus is wieder von dir uff de Beene! Du Satan!«
Nach diesem Kosewort erschien die Brunkhof am Fenster und blickte hinaus. Sie wurde dunkelrot, als sie die beiden Mitglieder ihrer früheren Herrschaft erkannte. Erst wollte sie zurückfahren, dann aber besann sie sich: »Entschuldjen Se man, Frau Professor; aber ich kann nichts for den Jeschrei! Die Dienstmädchen werden alle Tage schlechter un' fauler! Man hat sein Kreuz mit die verflixte Bande!« – Das Fenster wurde geschlossen. Frau Fränze und der Doktor blickten sich an und lächelten! Sie hatten sich verstanden. –