Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6. Kapitel. Unsere Perle: – – Christiane! – –

Wie gesagt: Christiane diente bei dem Fabrikbesitzer Berch, der ein Vetter des Geheimrat Bach war. Die junge Frau Berch hatte das damals fünfunddreißigjährige »Juwel« mit der Aussteuer in die Ehe bekommen. Teils: weil Christiane »wie ein Koch – kochte! wie ein Konditor – backte! wie eine Waschfrau wusch! sauber und bescheiden wie nur eine Ausnahme-Magd war. – – –« Teils: weil Alicechen Maier, später Berch, sehr schüchtern veranlagt war und doch nicht diesem fremden Räuber Felix Berch so schutzlos ausgeliefert werden konnte! So war denn Christiane nicht nur Mädchen für alles, sondern »Stütze« der Hausfrau, Zuflucht der bald folgenden Kinder, Waffe gegen Vater und Gatten und – – Spion in einer Person.

Gewiß kam es nun durch diese Vielseitigkeit öfters zu Ungewittern am ehelich Berchschen Himmel, zu Donner und Blitz in der Küche! Der Hausherr schäumte. Die Frau schluchzte. Nur Christiane schüttelte sich wie ein nasser Pudel, lächelte hold und erklärte schlankweg: »Geben Sie sich keine Mühe! Mich beißt keiner 'raus. Heiraten thu ich nich', so dumm bin ich denn doch nich'! Ich bleibe also!« –

Was war zu thun? Man fügte sich in das Unvermeidliche. Man resignierte. Christiane wuchs sich zu einem eisernen Bestandteil des Haushaltes und demnach auch zu der Bezeichnung: »Unsere Perle« aus. Herr Berch war der Einzige, der sie nicht nach ihrem vollen Werte anerkannte. Wenn er mit sich ganz allein war, murmelte er häufig etwas von: »unverschämter Person« und »alter Hausdrache«. Als später ein niederträchtiges Lied gegen die Mütter der einzelnen Gatten aufkam, variierte es Herr Berch und schmetterte gar oft mit seiner tiefen Stimme:

»Wir brauchen keine Schwiegermama – ma!
Wozu ist denn die Christine da?«

Diese hörte es, zuckte überlegen die Achseln und duldete schweigend. Sie hatte zu gleicher Zeit mit der Berchschen Silberhochzeit – ihr fünfundzwanzigjähriges Dienstjubiläum gefeiert. Sie war von einem Verein prämiiert, vom Pastor mit einer Ehrenbibel beschenkt worden. Sie saß mit an der Festtafel und zwei Tischreden, eine vom strahlenden Herrn Maier, eine vom grimmig lächelnden Silberbräutigam galten ihr. Alles stieß mit ihr an! Sie schwamm in einem neuen schwarzseidenen Kleide, das ihr »ihre Kinder« aufgebaut, in höchster Wonne. Alles was wahr ist! – In schweren Zeiten hatte sich Christiane bewährt. Bei Krankheitsfällen hatte sie Tag und Nacht mit hingebendster Geduld an Bett oder Bettchen gesessen und daneben ihre Wirtschaft in Ordnung gehalten. Bei einer kurzen schweren Übergangszeit in den Geldverhältnissen hatte sie auf den Lohn verzichtet und die Arbeit von Hausmädchen und Kinderfrau willig mit verrichtet. Und die Erinnerung an diese ungewöhnliche Treue bändigte Herrn Berch auch immer in letzter Minute, wenn er drauf und dran war, die »Perle« vor die – – – Thüre zu werfen! –

Frau Berch steht im Morgenrock und Häubchen vor der Küchenthür und bespricht mit Christiane das Tagesprogramm: »Ich denke also: eine gute Brühe mit Hühnerklein, danach Huhn mit Reis, Apfelkompott und Eierkuchen! Da kann unsere Gesellschaft doch zufrieden sein?« – Die Perle scheuert den Aufwaschschrank mit Sand aus, daß die kleinen Atome nur so umherstäuben. Sie dreht sich auch nicht der Herrin zu, sondern grunzt vor sich etwas Unverständliches hin. – »Nun?« fragt Frau Berch, leise besorgt. – »Wenn doch die Frau mir das überließe! Habe ich schon einmal schlecht oder zu wenig gekocht?« – – »Aber, Gott bewahre, Christiane, wieso denn?« – – »Na, also! – – Sie wissen doch, daß sich Eujenchen aus Reisgelabber nischt macht. Und Mäxchen ißt Speise lieber als Eierkuchen. Überhaupt hat sich mein Lenchen Käseschnitten bestellt, und die giebt's, basta! Ich hab mir doch jestern eine Kalbskeule und den weißen Käse schon mitgebracht« – ruft Christiane energisch und öffnet den Wasserhahn zum Nachspülen. –

Frau Berch flüchtet zur Seite, weil es bis zu ihr spritzt! – »Aber was machen wir mit den Hühnern?« – – »Die bleiben zum Sonntag! Und damit basta!« – – Die Hausfrau wendet sich, bleibt aber noch einmal stehen. »Sie wissen doch, liebe Christiane, mein Mann liebt Kalbskeule nicht. Vielleicht braten wir ihm ein Rumsteak?« sagt sie bittend. – »Natürlich!« – lacht Christiane Hohn – »Das ewige Verwöhnen macht ein' 'ne Hundearbeit. Sie thun es ja nicht, nee, ich alte Person muß ran! Hätten Sie 'n man lieber von Anfang an den Brotkorb höher gehangen, 's wäre besser!« – – – »Sie sprechen vom Herrn!« – warnt die liebende Gattin etwas gekränkt. – – »Na, von Lihungtschang nich', des weiß ich!« – brummt die Küchenfee. – »Jehen Sie fort?« – – »Ja, um zwölf!« – – »So, na denn bring' Se man bitte das Rumschtück selbst mit. Ich hab jenug vor!« – –

»Das ist mir sehr fatal, Christiane, ich wollte sofort in die Stadt fahren!« – – »Und ich habe jesagt: ich hätte och zu thun! Nehmen Se doch Idan mit, ob die nu näht oder nich? Das trägt doch die Katze auf'n Schwanz weg. Ida, unser wohllöblichstes Hausmädchen, kann och mal was thun oder bin ich hier Arbeitsstier?« – – »Gut, Ida wird Ihnen das Fleisch zur Zeit bringen. Braten Sie gleich ein paar Kartoffeln, die liebt der Herr sehr!« – – »Jott, ich kann 'n ja gleich einen Hammel und zwei Zentner Salat zumachen, die liebt er am Ende och!« sagt Christiane erregt.

Ihre Herrin ist bereits den Korridor entlang geeilt. Sie hat genug und tritt in das Wohnzimmer, wo Lenchen, ihre achtzehnjährige Älteste, gerade Klavier übt. »Papa hat recht. Mit Christiane wird es wirklich täglich schlimmer. Sie ist uns sehr über den Kopf gewachsen! Weil Else [die zweite Tochter] gestern so grob mit ihr war, ist sie heute absolut nicht zu genießen!« – seufzt die Mutter. – – »Warum läßt du dir auch alles gefallen, Mama, zeige ihr doch einmal deine Autorität!« – – »Leicht gesagt, Kind, einen so brauchbaren, ehrlichen und treuen Dienstboten giebt es auf der Welt nicht wieder!« – antwortet Frau Berch. – »Sie ist nur leider etwas frech!« – – »Na, dann sag ihr einmal ordentlich deine Meinung, und du wirst sehen, wie sie zu Kreuze kriecht!« – »Eigentlich ist es richtig! Nächstens thu ich es auch!«

Lenchen rasselt fingerfertig ihre Tonleiter 'runter. Die Mutter näht die Handschuhknöpfe nach. »Du, Muttchen, ist es heute kalt? Soll ich das Kostümkleid anziehen oder das Winterjackett, wenn ich zur Gesangstunde ins Konservatorium gehe?« – – »Kalt ist es; aber frag Christiane lieber!«

Die Perle ist mit der Küche fertig. Sie schält gleich die Kartoffeln und wäscht sie ab. – Dann wechselt sie ihre Toilette und bindet ne weiße Schürze um. Ein ernster Gedanke scheint sie zu bewegen, denn ihr Gesicht ist sorgenvoll. Vorsichtig nimmt sie aus ihrer Kommode einen Brief, beaugt ihn von allen Seiten, riecht das starke Parfüm, das ihm entströmt, und steckt ihn mit einem »Pfui Deibel« in die Tasche. Langsam klettert sie die Hängebodentreppe hinunter und wendet sich nach der Vorderstube. »Lenchen, verübe dir man nich wieder den Arm wie neulich!« – warnt sie und klopft das junge Mädchen wohlmeinend auf die Schulter. Zu Herrn Berchs Mißvergnügen duzt sie die vier Kinder des Hauses. Der Älteste ist zwar schon vierundzwanzig. Die jüngste sechzehn Jahre alt. Das Quartett hängt sehr an ihr und erwidert das du. Daher meint Lenchen: »Hab nur keine Angst, Alte, ich werd' mich schon in acht nehmen! Du, Alte, soll ich das Kostümkleid anziehen?« – Sie dreht sich auf dem Klaviersessel um, blinzelt Christiane zu und hebt bittend die Hände. Diese blickt rasch auf die Herrin, dann droht sie mit dem Finger und sagt: »Ja, meinswegen, die Straße is ja trocken, und du wirst dich den Stoß nich rujenieren! Das Blau mit den jelben Biber steht dich auch jut. Komm nachher in die Küche, und zeig mir, ob alles in Ordnung is, verstanden?« – – »Bon!« – Lenchen dreht sich um und spielt: »Sie lebe hoch!«

Christiane nickt: »Is Eujenchen vorn, Frau?« – Den Namen spart sie sich grundsätzlich. – »Ja; aber er arbeitet! Stören Sie ihn besser nicht!« – sagt die Mutter. – »Ich?« – Pause – »störe ihn nie, das überlaß ich andere Leute!« – mit diesem Ausruf verschwindet sie in dem vorderen Korridor. Lenchen lacht. Die Mutter schüttelt seufzend den Kopf. – Die Perle öffnet leise die Thür von Eugens Studierzimmer. Er arbeitet sich jetzt für das Referendarexamen ab, der arme Bursche! Wie er wieder über den Büchern hockt, mit gespanntester Aufmerksamkeit lesend, und dann die Paragraphen halblaut wiederholend. Der Bengel war immer ihr Sorgenkind und Abgott! Christiane tritt ganz herein und entdeckt das unberührte Frühstück. Der Wein ist getrunken; aber die Eier, mit denen sie ihn jetzt pflegt, sind kalt geworden. Hastig eilt sie auf ihn zu und legt ihre rote hagere Hand auf das Buch: »Na, nu wird's Tag! Das verfluchte Zeugs! Für heute haste genug Weisheit gelernt, Eujenchen! Erst wirste jefälligst frühstücken. Ich leid nich', daß du mich abfällst und wie ein ausjenommener Häring als Jespenst rumlatschst!« – – Sie setzt sich auf einen Stuhl und legt ihre Arme auf den Tisch, ihn zärtlich musternd.

»Sollten die betreffenden Ehegatten« – murmelte er noch ganz verwirrt im Texte steckend. Dann ermunterte er sich. – »Mußt du mich grade jetzt stören, altes Nilpferd?« – ruft er laut – »In zehn Minuten war ich fertig!« – – »Deine zehn Minuten kenn' ich! Nee, Jungeken, erst wird gefuttert! 'n bischen Dalli! Ich leist' dir Jesellschaft!« – – »Na, weißt du, ich hab mir 'was Schöneres vorgestellt, als dein Visavis! – lachte er – »du bist doch ein mordsmäßiges Ungetüm!« – – »Schadt nischt, wenchstens haben mir die verflixten Männer mein Lebtag in Ruh jelassen, und ich hab meinen Frieden!« – »Das glaube ich, oller Drache! Uns machst du Tyrannenwirtschaft!« – – »Fang man och an wie dein Vater, Eujenchen!« – zürnt sie. – – »Nee, im Ernst, Alte, ich wünschte, es hätt' Einer die Kourage gehabt und angebisse! Aber du warst immer 'ne saure Zitrone! Beim Schein der ersten Laterne haben sie dich stets wieder kaltgestellt!« – Dabei lacht er gutmütig und streichelt mit der Rechten ihr knochiges Gesicht. In der Linken balancierte er die Schinkensemmel. – sie schmunzelt bezwungen. Er ist doch ein zu hübscher Frechdachs! – »Natürlich!« – meint sie schlau – es kann nich' jeder so schön sein, wie deine neue Flamme vom Zentraltheater, die is der reine Moschusochse!« Sie pausiert.

Eugen ist dunkelrot und verlegen geworden. Er zwirbelt seinen Schnurrbart: »Donnerwetter, was weißt denn du, Alte! – – »Ich weiß alles!« – – »So, das ist ja reizend! Man lebt ja rein unter Spionen!« – brüllt er. – – »Nee, aber warum jehste och mit eine, der ihre Zofe bei Kron kauft. Die hat dir nett ausjelacht!« – – »So, weswegen denn, wenn ich fragen darf?« – – »Hier!« – sie zieht den Brief aus der Tasche. – »Hier haste och wieder so'n Liebesjesäusel. Es is jut, daß se ihre Liese hinten 'rum schickt. Vata wär nich' jrade erbaut von deine kostspielige Liebe vors Examen mit Blumenkörben und Bonboncheren, du!«

Eugen springt auf: »Hör' mal, Alte, die Bevormundung geht mir denn doch zu weit. Gleich machst du, daß du 'rauskommst! Und steck deine Nase in deine Kochtöpfe, verstanden?« – Christiane sieht den schönen Jüngling verliebt an und bleibt breitspurig sitzen: »Na, ob euch das so schmecken würde, wenn ich mit mein Schnuppen das Riechorgan in die Kochtöppe steckte?« – fragt sie trocken. – »Überhaupt hat ich dich einen besseren Jeschmack zujetraut, als des ausjedörrte Jerippe mit ihre jeforbene Perrücke. Dies is doch och nur ein zusammenjesetztet Kunstwerk von Schneider, Zahnarzt und sone Leute!«

»Das ist Geschmacksache, meine liebe Christiane!« – –

»Na, denn hab ich dir mehr zugetraut. Sieh dir die doch 'mal in ausjezogenen Zustande an!« – – »Dafür danke ich!« – – »Siehste, du wirst schonst verninftig, Eujenchen!« – – »Meinst du?« – – »Natierlich meine ich!« – trumpfte sie. – »Also du liebst sie?« – – »Ja!« – – »Und sie – dir?« – – »Selbstverständlich!« – – »Mach' mal deinen Brief auf und lies!« – Ihre Autorität ist so groß, daß er unwillkürlich gehorcht. Er wirft das Blatt auf den Tisch und seufzt. –

»Siehste, sie schreibt dich wohl ab?« – – »Woher weißt du das? Hast du den Brief geöffnet?« – Er untersuchte das Couvert. – – »Des hab ich janich' nötig. Ihre Zofe hat mir verraten, daß heut ihr Jutsbesitzer aus Potsdam kommt, der hält ihr aus. Mit den thut se viel schöner wie mit dich, der hat mehr ›Draht‹ und zahlt alle Rechnungen!« – – »Das ist nicht war!« – – »So, dann stell dir nur heute um sechs Uhr vor ihr Haus. Da kommt er! Übrigens wirste wohl noch 'n Leutnant auf 'n Posten finden; der is auch einer von die Vielen, die das Weibsbild liebt! – Kourier dir man aus, laß dir nich' vons Examen abziehen, Eujenchen! Und später verlobste dir mit Lotte Bach oder Lisbeth Henschel oder sonst so 'n solides Mädchen!«

Eugen stand ganz vernichtet da und starrte vor sich hin. Christiane schmunzelte. Ihre Mission schien geglückt. Leise entfernte sie sich. – »Warum hat denn mein Sohn so geschrieen?« – fragte Frau Berch das Mädchen, das jetzt laut vorüberstampfte. – – »Das is seine und meine Sache!« – – Bums! krachte die Thüre zu. –

»Alte, ich bin ja so aufgeregt! Sehe ich gut aus? Himmel, wenn's Mama merkt oder der Papa?« – fragte Lenchen. Sie stand in ihrem eleganten Kostüm bildhübsch vor der »Perle«, die ihr die Schuhsenkel befestigte. – »Na, was is denn dann? Ich bin doch auch noch da, um dir zu helfen, was?« – brummte Christiane. – »Im überjen habe ich mir jenau bei die Dienstmädchen erkundigt. Die wissen so was immer! Er is ein netter anständiger Mensch aus gute Familie und hat schonst 'ne Menge Patienten. Wir wer'n schon empfehlen! Und die Eltern kennen seine Leute ja auch jenau!« – – »Ich bin doch aber noch so jung!« – – »Der Fehler wird täglich besser. Wenn alle Stränge reißen, zieh ich mit in eure junge Wirtschaft!« – – »Nee, Alte!« – Lenchen sprang auf. – »Das kannst du den Eltern nicht anthun!« – rief der Schlauberger. – »Du, was werden die bloß über all die geschwänzten Stunden sagen, wenn's rauskommt?« – »Das is pipe!« – – »Sagst du!« – – »Ja, sag ich, mein Joldkind!« – tröstete Christiane und zupfte an dem jungen Mädchen herum. – – »Wann will er sich denn dem Vater erklären?« – fragte sie zuletzt. Lenchen fiel ihr um den Hals und küßte sie. »Heute, Alte, heute, gleich, wenn er von mir fortgeht, damit er Papa noch vor fünf Uhr in der Fabrik trifft. Darum bin ja so aufgeregt. Ich hab die ganze Nacht kein Auge zugethan!« – – – »Schadt nix, Kind, so dämlich haben sich alle Brautens vorher! Deine Mutter war noch doller! Nu lauf, und grüß den Herrn Doktor Zöller von mir!« – »Ja, sonst lauf ich noch Max und Else in die Arme, und die halten mich auf. Na, adieu, liebe gute Alte, und auf meiner Hochzeit kriegst du was Schönes und sitzt mit an der Tafel!« – – »Bon, mein Goldkind!« – –

Nach einer halben Stunde kam Else aus der Selekta heim. »Du brauchst nich immer so an de Klingel zu reißen!« – schalt Christiane. Else war die einzige, mit der sie auf beständigen Kriegsfuß stand. »Ich mach', was ich will! Du hast mir gar nichts zu sagen!« – entgegnete sie schnippisch und warf ihre langen Zöpfe nach hinten. – »Laß dir von Ida dein Frühstück machen, du Großschnabel, ich verzichte auf die Ehre!« – – wütete die Perle. »Was ich mir davor koofe!« – höhnte Else. – »Bitte, liebe Ida, seien Sie so freundlich, und machen Sie mir mein Frühstück zurecht!« – – Max, der Oberprimaner, trabte hinzu: »Na, keift ihr schon wieder, Weibsvolk?« – rief er. – »Alte, die Eier; aber schnell, ich falle vor Hunger um!« – –

»Haste's Halstuch umjehabt?« – – »Ja, oller Drachen!« – – »Du, Maxeken, du hast sicher wieder vorn auf de Pferdebahn jestanden, leichtsinniger Schlingel! Du sprichst janz rauh!« – meinte Christiane zärtlich. – »Ach, Quatsch! Öde mich nicht an!« – war seine liebenswürdige Antwort, die sie merkwürdigerweise schweigend hinnahm. –

Die Familie Berch speiste nach englischem Muster erst um sechs Uhr zu Mittag. Heute herrschte eine schwüle Atmosphäre. Der Vater sah sehr ernst aus, die Mutter blickte ängstlich bald auf ihn, bald auf ihre älteste Tochter. Eugens Blässe und Appetitlosigkeit fiel keinem weiter auf. Max versenkte sich immer wortlos in die Speisen. Else war ebenfalls zerstreut. – Nach dem Diner entlud sich das drohende Ungewitter im Salon. Herr Berch war außer sich über den unerwarteten Antrag des bekannten jungen Arztes. Er verhörte Lenchen, und da kam denn die ganze Intrigue zwischen ihr, Christiane und »Paul« an den Tag. Helene weinte, bat und flehte. Die Mutter redete gut zu, sprach von den gediegenen Verhältnissen und guten Eigenschaften des jungen Arztes. Eugen aber telefonierte diesen gutmütig, trotz seines dreiviertel gebrochenen Herzens, herbei. So gab es denn noch spät am Abend eine Verlobung und Champagner im engsten Kreise.

Christiane saß selig in ihrer Küche. Sie hatte einen tüchtigen Schwips weg und legte einen Strumpf auf. »Sie nehmen ja zu wenig Maschen!« – warnte Ida. »Jeht Ihnen nix an, das werden doch Kinderstrümpfchen für mein Lenchen ihr erstes Kleines!« – »Jetzt schon?« – – »Natierlich, wenn sonst?« Sparst du bei Zeiten, so hast du in der Not!« – sagte Christiane mit verschwommenen Augen. – Herr Berch kam in die Küche hinaus. Er legte vor der »Perle« ein Goldstück nieder. »Hier! Na, nun ist doch ein Wunder passiert, daß Sie, alter Haustyrann, 'mal etwas Gutes angerichtet haben!« – sagte er lachend. – »Na, jewiß doch, ohne mir jeht's ja janich! Da säße die janze Karre im Dreck, und mein Lenchen würde 'ne alte Jungfer! Sie sorgen doch nich' für sowas Vaninftiges!« – antwortete die Küchenfee spitz zu ihrem Erbfeind. – – »Eigentlich ist es ja eine Frechheit sondergleichen, daß Sie hinter meinem Rücken eine so junge Person wie Helene zu Dummheiten verleiten, Christiane!« – stellte sich Herr Berch zornig. –

»Davon vastehts Mannsvolk nischt, Herr! – – Im übrigen machen Se keine Sperenzchen nich', sonst zieh ich beis junge Paar!« – rief die »Perle«. Herr Berch erschrak: »Nein,« – sagte er – »dazu habe ich mein Kind zu lieb! Eher ertragen wir Sie noch«. – – – Er überlegte. »Aber hören Sie 'mal, Christiane,« meinte er dann eindringlich, »ich kann verstehen, daß Sie nach ihrer langen, treuen Arbeit in meinem Hause, sich nach Ruhe sehnen! Ich werde Sie in ein nettes Stift einkaufen und mit einer anständigen Pension zur Ruhe setzen! Nicht wahr, das ist eine glänzende Idee, und auch Ihr Wunsch?« Er zitterte förmlich vor geheimer Erwartung und unruhiger Freude.

Christiane legte ihre Strickerei nieder und blickte ihn weinselig und doch pfiffig an: »Äh nee, lieber Herr Berch, das ihn ich ›Sie‹ wieder nich' an. Solange ich krauchen kann, schufte ich für Sie und Ihre Kinder! Ich hoffe sicher, daß wir – – – noch unsere ›joldene‹ Hochzeit zusammen feiern! Und damit basta!« – Herr Berch kraute sich betroffen hinter'm Ohre und zog bescheiden, mit langer Nase ab.


 << zurück weiter >>