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9. Kapitel. Unser Juwel: – Alwine.

Alwine war sehr groß, sehr häßlich; aber ein famoser Kerl! Es lag etwas Grundtüchtiges über ihr, nebenbei war sie sehr ehrlich und von einer ans Unheimliche grenzenden Sauberkeit. Eigentlich scheuerte Alwine immer. Wenn sie nicht grade ein Zimmer unter Wasser gesetzt hatte, seifte sie sicher ihre Küchenmöbel ab. Vor dieser Scheuerwut hielt nichts stand. Die Ölfarben der Schränke und Tische, der Stühle und des Fußbodens wichen langsam der gediegenen Bearbeitung mit Bürste, Sodawasser, Seife und Sand. – Frau Johns hübsche Sachen wurden nach und nach blaß und blässer!

Außerdem war sie menschen- und tierfreundlich. Was an zwei- und vierbeinigen Wesen ins Haus kam, verfiel Alwine. Sie plauderte mit den Lehrerinnen der Kinder, den Gästen, den Boten, welche Einkäufe abzugeben hatten. Da sie vorzüglich kochte, hielt sie es für eine tödliche Beleidigung, wenn man etwas auf dem Teller ließ oder nicht zum zweiten Male zulangte. Bei solchen Gelegenheiten stand sie wie eine Schildwache neben dem Gaste und nötigte, zum Entsetzen der Wirte. So sagte sie einst zu einem eben durch das Examen gekommenen jungen Theologen:

»Essen Se man, Herr Kandidat! Se sind man spillrig, und bei de Pastors sitzt es nich so dicke! Des Stücksken Schmorbraten giebt Kraft, und die können Se gebrauchen!« – Ein andres Mal entzog sie einer sehr starken Dame den Kartoffelnapf und meinte freundlich lächelnd: »Nee, nee, lassen wir das man sein! Kartoffeln machen dick, und davon haben gnädige Frau genug! Halten Se sich lieber an den Hasen!« – Alle Verweise und Scheltworte halfen nichts. Alwine identifizierte sich mit der Familie und sprach mit. Da sie sonst ein Juwel war, wie man es nur einmal im Leben als Dienstbote beschert bekommt, sah man ihr vieles nach und ließ sie, seufzend zwar, in ihrer gutmütigen, angenehmen Art gewähren. Jede Sonne hatte Flecken, sollte Alwine frei davon sein?

Eine stolze, junge Mutter brachte Frau John die Photographie ihres ältesten, dreijährigen Prachtkerls. Alwine schleppte grade mit seligem Gesicht ein Riesentablett mit frisch geputztem Silberzeug herein. Sie stellte es beiseite, begrüßte die Neuangekommene mit jovialem Kopfnicken und »Guten Abend, Frau Althaus!« Dann stürzte sie an den Tisch, riß das Bildchen an sich und jubelte: »Mein Himmel, unser Hans! Nee, is des Kind reizend!« – Der Gast verklärte sich zusehends. – »Wenn man so bedenkt!« – philosophierte Alwine weiter – »So'ne Photographie is doch ein scheenes Andenken, wenn Hans stirbt!« – »Gott behüte, Mädchen, wie können Sie so 'was nur aussprechen!« – rief Hansens Mama erblassend. – »Des kann passieren!« –tröstete Alwine – »Jrade so'ne sehr gesund aussehenden Kinderchen haben oft 'n Knax weg. Und denn kommt das so mit einem Male, eh' man sich's versieht, is so'n Wurm hin!« – Frau Althaus Lippen zitterten, und in ihren Augen standen Thränen. – »Sprechen Sie keinen Unsinn, Alwine, und gehen Sie an ihre Arbeit!« – rief die Hausfrau scharf.

Ruhig legte das Mädchen die Photographie wieder auf den Tisch: »Ein süßer Junge is der Hans! Zu schön, daß wir das Bild als Erinnerung an ihn haben! – Wie is es, Frau John, draußen is kalt! Woll'n wa unsern Gast 'n Jlas Thee spendieren? Ich hab grade heiß Wasser in Kessel?« – »Gut, bringen Sie Thee!« – entgegnete die Wirtin erleichtert und halb versöhnt mit der formlosen Art durch die große Gutmütigkeit.

Eine ältliche Nichte aus der Provinz war zu Besuch und sollte abends aus der Gesellschaft abgeholt werden. »Na, wissen Se, Frau John, Fräulein Alma könn' wa am Ende allein gehen lassen. De Jahre hat se, und was de Berliner Herren sind? Die beißen bei der doch nich an, dazu sind zuviel Laternen in de Straßen. Aber wenn de Frau es bestimmt, kann ich ja gehen. Mir macht 'n kleiner Spaziergang weiter nix aus!« – fügte sie schnell hinzu. Auf dem Gesicht ihrer Dame erschienen nämlich drohende Wolken.

Eines Abends waren zwei Herren zu Besuch anwesend. Die Eltern und Lottchen, die Älteste, eine hübsche Blondine von achtzehn Jahren, plauderten mit den Gästen. Der eine hatte sich mit Asche bestäubt, und Alwine bürstete ihn im Nebenzimmer inbrünstig ab. »Ach, Herr Gade, Sie sollten unsere Lotte heiraten. Ich sage Ihn', das is ein famoses Mädel, die hat des Herz und den Kopf auf der richtigen Stelle. Und poussieren thut sie mit keinem, das weiß ich!« – »So, nun das ist alles nicht so einfach, wie Sie denken!« – antwortete der Gast lächelnd und wollte davon. – »Stehn Se doch still, ich bin noch nicht fertig!« – sagte Alwine und rückte ihn sich energisch zurecht – »Ich kann mir denken, woher das kommt?« – »Nun?« fragte er neugierig. – »Einfach, weil Ihr Mannsbilder unsolide Knöppe seid! Ihr wollt Euch mit Eure Frauen in ein sorgloses Bummelleben reinheiraten, das kennt man! Anständige Mädchen sind nichts für Euch, die sind auch zu arm in de meiste Fälle. Wenn's bei Euch nich' eine vons Theater oder sonst was oben Huiges, unten Pfuiges ist, jeht des nich!« – »Woher wissen Sie das?« – »Na, mich lehr' einer des Mannsvolk kennen! So, nu sind Se fertig, nu gehen Se in sich, und überlegen Se sich die Sache mit unser Fräulein!«

Ein letzter Bürstenstrich, und Herr Gade war entlassen. »Wo haben Sie denn diese unglaubliche Person aufgetrieben? – So etwas sieht man nicht alle Tage! Meine Herrschaften!« – sagte er nebenan lachend. – »Hat Alwine sich wieder Zutraulichkeiten erlaubt?« – versetzte die Hausfrau ärgerlich.– »Entschuldigen Sie nur, Herr Gade! Wir alle schwanken bei diesem Geschöpf beständig zwischen Zorn und Entzücken. Sie ist in vielen Beziehungen einzig in ihrer Art und unbezahlbar treu und brav. Man hat bei den jetzigen, ewigen Dienstbotenkalamitäten aber nicht den Mut, eine solch vorzügliche Magd gehen zu lassen, weil sie zu viel schwatzt. Ihre guten Eigenschaften wiegen alles auf!« –»Was du dir gefallen läßt, gestattet aber auch sonst kein Mensch in der Welt!« – rief Lotte entrüstet. – »Abgesehen von ihrem ewigen Hineinreden in alles, ist es einfach schrecklich! Ewig sitzt die Küche voll Besuch. Mit allen Dienstboten im Haus lebt sie in dickster Freundschaft und ihre übertriebene Reinlichkeit – –« »Ich möchte die Person sehen, an der ihr nichts auszusetzen habt!« – erwiderte Frau John ärgerlich. – »Ich glaube die wird noch geboren!« – »O nein; aber du hast an Alwine einen Narren gefressen und merkst gar nicht, wie sie dich tyrannisiert, Mama!« – »Ich atme nach jahrelangem Leiden endlich einmal auf. So etwas Braves, Ordentliches, Treues und Ehrliches findet man eben nicht alle Tage! Doch du bist noch zu jung, um das zu beurteilen, Lotte!« – Diese zuckte die Schultern und schwieg. Sie wußte, mit ihrer Mama war in punkto: Alwine nichts anzufangen.

Alwine stand am Herd, quirlte eine Biersuppe an und sang dabei, daß es schallte. Sie kochte so gern! Und zwar machte es ihr besonderen Spaß, mit wenig Mitteln und äußerster Sparsamkeit schmackhaft zu kochen. Sie rannte zehn Straßen weit, wenn sie irgendwo einen Kaufmann erspähte, der die Waren fünf Pfennige billiger hergab. – Zwei kleine Nichten von ihr saßen am Tisch und strickten. Die Mädelchen vergötterten die stets lustige Tante und traten fast täglich zur selben Stunde zu Besuch an. – Frau John kam in die Küche und begrüßte die Kinder freundlich. »Alwine, denken Sie bloß, ich hab total vergessen, für heute Fleisch zu besorgen!« – – »Macht nix, ich hab schon allens besorgt. Wir haben Biersuppe, Karbonaden, Kartoffeln und Milchreis mit Backpflaumenkompot!« – – »Sie sind ein Mordskerl!« – rief die Hausfrau erleichtert und beglückt. – – »Denken Se doch, Frau John, mein jüngster Bruder hat sich verlobt.« – – »Ach, was Sie sagen, gratuliere!« –« »Dank schön! Der Bengel war immer 'n solides Aas. Jetzt heiratet er ein reiches Mädchen!« – – »Na, das ist doch eine große Freude für Sie alle!« – meinte die Herrin teilnehmend – – »Ob nich', tausend Mark Civilversorgungsschein, tausend Mark hat er sich jespart, und nu kriegt er noch dreitausend Mitgift und de Wirtschaft. Kann so 'n Kerl nich wie 'n Fürst leben?« – – »Sicher!« – erwiderte Frau John lächelnd. – »Was ist denn ihre neue Schwägerin?« – »Die is aus guter Familie, nich', Mädels? Ihr Vater is Museumsbeamter!« – – »So so!«

Vierzehn Tage noch hielt Alwines beglückte Stimmung über das neue Familienereignis an und verkündete sich in verdoppelter Arbeits- und Schwatzlust. Das Mädchen hatte unmerklich die ganze Führung der Wirtschaft an sich gerissen und leitete alles. Sie bestimmte die Mahlzeiten, das Menü, die Tage zum Aufräumen und alles weitere! – Dafür wurde ihr auch ein weit über die Verhältnisse des Hauses gehender Weihnachtsgabentisch. Sie war so selig mit den Gegenständen für den zukünftigen Haushalt, daß sie Frau John um den Hals fiel und ihr ein paar feste Küsse verabreichte. – »Dafür, daß Se so nobel waren, verspreche ich Ihn' auch, daß wa sicher erst in August oder Juli, vor de Reisezeit heiraten. Denn haben se so lange ein Mädchen, und sparen dann doch einen Monat Lohn und Unterhalt! – – »Das ist sehr brav! Sie sind ein Prachtkerl!« – rief die Hausfrau erfreut und ergriff noch einen Teller mit Süßigkeiten: »Hier verteilen Sie doch diese Leckerbissen noch unter Ihre kleinen Verwandten!«

Alwine verschwand mit ihren Geschenken. Sie mußte doch alles beim »Portier«, ihrem steten Absteigequartier, zeigen. »So etwas giebt es doch nicht wieder! Zu schade, daß grade alle wirklich guten Mädchen verlobt sind und heiraten müssen. Wenn ich den Bräutigam vergiften könnte, in der That, ich bekäme es fertig!« – rief Frau John. –

Alwine hatte um die Erlaubnis gebeten, einen Maskenball mitmachen zu dürfen, was ihr natürlich freudigst gestattet wurde. Sie zog sich schon am frühen Nachmittag an und half dann auch einer Freundin, die sich um der Überraschung willen bei ihr ankleidete. Friederike, eine dicke, kräftige Person mit blauroten Armen, nahm sich in ihrem kurzen Kostüm als »rote Rose« schon so merkwürdig aus, daß alle Mitglieder der Johnschen Familie das Lachen mühsam unterdrückten, als sie sich vorstellte. Alwine kam eine Viertelstunde später. Lotte und ihre Kollegin aus dem Konservatorium verschwanden im Salon und wimmerten dort vor Lachen. Die lange dürre Alwine mit ihrer Riesennase und ihren hageren verscheuerten Armen stellte eine »Nymphe« dar. Das hellgrüne Tüllkleid war ausgeschnitten und reichte bis zu den Knien. Die Haare waren aufgelöst, und eine Schilfblumen- und Blätterkrone thronte in den gelockten Massen, sich als Guirlande um die Taille ziehend und auf dem Rocke endend. Ihre breiten Füße, durch starke Ballen entstellt, steckten in hellgrünen Schuhen.

Alwine selbst war ungeheuer stolz auf sich und konnte kaum den Moment erwarten, wo ihr Bräutigam sie entzückt und begeistert erkennen würde! Aber weder ihre Unruhe, noch ihr geliehenes Kostüm hinderten sie an der Erfüllung ihrer Pflichten, bei der ihr die Freundin beistand. – »Rose« und »Nymphe« deckten den Tisch, richteten die Schlafzimmer für die Nacht her und wanderten, in der Rechten den Eimer, in der Linken die gefüllten Wasserkrüge, durch die Räume. Beinah hätten beide noch den Abwasch besorgt, aber die Damen des Hauses nahmen ihnen diesmal die Arbeit ab. –

Am Morgen um sieben Uhr kam die »Nymphe« übernächtigt und seelenvergnügt an. Sie räumte, nachdem sie sich umgekleidet, die Wohnung auf, und plättete dann ihr arg zerknittertes, entsetzlich nach Schweiß und Ausdünstungen aller Art, nach Tabak und Bier riechendes Kostüm aus. – »Nee, es war zu schön!« – erzählte sie begeistert. – »Ich war mit die Schönste und habe am meisten geschwoft!« – – »So?« – sagte Frau John. – »Das ist ja nett, was waren denn sonst noch für Kostüme da?« – – »Ach, davon machen Se sich keinen Begriff! Worauf die Menschen nich' allens kommen, es is zu verrickt! Friederike ihrer, aber der feste, der richtige, war als ›Badeengel‹ in Trikot und eine richtige Herrenbadehose. Der hat aber jefroren und nahm sich nachher 'nen wirklichten Bademantel um. Und mein Vetter war als ›Müllkutenkieker‹ mit 'nen langen, jebogenen Draht, mit den er immer versuchte, ein' an die Beine zu kriejen. Nee, haben wa jelacht und jekreischt!« – sie bog sich noch in der Erinnerung. – »Und mein Schwager sein Bruder kam als Wickelkind mit 'ner Flasche Eierkognak, am Arm trug er 'ne zusammengebundene Windel mit Schokoladenpulver und Pralinés drin. Da hat er denn immer beides anjeboten. Und Witze hat er jemacht, zum Schießen! – Nur jejen Morjen is mir etwas koddrig geworden!« – »So, was war Ihnen denn?« – forschte Frau John, durch die bisherigen kurzen Andeutungen sehr belustigt. – »Janz elend war ich, und bei manche war's noch schlimmer; denn der Lump hatte uns Pralinés gegeben, die mit Ricinusöl jefüllt waren. Manche habens jleich jemerkt und ausjespuckt. Andere aber nich, na, da fing denn die Überraschung später los!« – – »Jedenfalls muß es ein sehr heiteres Fest gewesen sein, und die Hauptsache ist, daß Sie sich amüsiert haben, Alwine! Legen Sie sich nur nach Tisch ein paar Stunden hin, und schlafen Sie sich aus. Sie müssen ja todmüde sein!« – – »Ich, keene Spur nich', Frau John, ich könnt' jleich wieder loslegen, wenn es nötig wäre!«

Die Herrin verließ die Küche. Sie hatte genug von den Schilderungen des feinsinnigen Festes! »Rose« und »Nymphe«, sowie die Hauptschlager des Maskenballes gingen jedenfalls noch lange Zeit im Gespräche der Johnschen Kreise um. Die Monate verflogen.

Alwine arbeitete unentwegt weiter und richtete noch manches Komische an. So wurde es ihr unter anderem auch sehr schwer zu lügen. Wenn oft unerwünschte Gäste kamen, die sie abweisen sollte, so wurde sie glutrot und machte die merkwürdigsten Ausreden und Wendungen, bis sie sich zuletzt einen inneren Ruck gab und zu einer energischen Absage aufraffte, in der Furcht durchschaut zu werden! – Nur auf ihr Konto war es zu schieben, daß zwischen Johns und einigen entfernten Bekannten eine Spannung eintrat. – Der Termin von Alwines Hochzeit näherte sich bedenklich. Frau John war innerlich gebrochen. Sie mußte es sich sogar gefallen lassen, daß ihr »Juwel« zwei Wochen früher zog. Die Wohnung des jungen Paares war gemietet. Alwine siedelte mit ihrer Mutter in die neuen Räume über und überwachte die Einrichtung und die Handwerker. Eine gedruckte Einladung lud die Familie zur Trauung in die Kirche und zur Nachfeier in dem eben gegründeten Heim, weit draußen im Norden, ein. – Herr John dankte. Es paßte ihm nicht, neben seinem Portier und dessen Familie zu sitzen. So sandte er seine Gattin und älteste Tochter zu der Kirchenfeier. Lotte sollte sogar eine Tasse Kaffee in der jungen Wirtschaft einnehmen, dann aber aufbrechen, um die Leute nicht in ihrem Vergnügen zu stören. – Das Geschenk der Herrschaft: »vier Shawl Gardinen und ein prachtvoller Regulator« waren vorausgeschickt und prangten bereits an den Wänden.

Frau Alwine hatte auch bei sich schon tagelang »geschuftet«, »gebacken«, »gekocht« und »gebraten«. Ihre Speisekammer konnte die Napfkuchen, die Torten, Gänsebraten und Schweinebraten nicht mehr fassen. – Gemüse und Kompotte sollten erst am Tage der Hochzeit selbst auf dem funkelnagelneuen Herd angerichtet werden, wozu die alte Portiersfrau engagiert war. Ihr war es eine Freude, zu schaffen, während ihre Nichten in schönen hellen Mullkleidern mit farbigen Schärpen nebenan schmausten. Ein Viertel Bier und zehn Flaschen Moselwein waren aufgelegt. Ungeheure Kannen standen für Kaffee bereit. Und der Kümmel war von Gilka!!!

Der Hochzeitszug in die Kirche hatte sich sehr stattlich gemacht. Bei der Zeremonie war genügend geweint worden, um Augen- und Nasenspitzen rot zu färben. Nun ging es nach Haus. Fräulein Lotte John fuhr in einer Droschke mit Bruder und Schwägerin. Sie kam sich in ihrer leichtseidenen Bluse neben der Braut, die Zofe bei einer Gräfin gewesen, äußerst schäbig vor. Diese trug nämlich eine schwere, meergrünseidene Robe, die sie wahrscheinlich wohl geschenkt bekommen hatte. Überhaupt waren alle anwesenden Damen von Friseurinnen frisiert und erstaunlich gut gekleidet. Dies gehörte nun einmal dazu! –

Als Lotte in der vier Etagen hoch gelegenen Wohnung atemlos landete, kniete Frau Alwine in ihrem weißwollenen Hochzeitsstaate vor der kleinen Maschine und schürte ärgerlich Pustend das Feuer: »Grade heute will das verdammte Biest nich brennen, wo es doch die janze Zeit wie jeschmiert sing. Na, jehen Se man rein, Fräulein Lotte, und langen Se tüchtig zu, dafor steht es da! Und Sie lieben doch meinen Kremotartarikuchen!« – – »Ich warte, bis Sie fertig sind, Frau Klein, dann zeigen Sie mir gleich Ihre Wohnung!« – entgegnete die junge Dame und unterhielt sich mit ihrem ehemaligen Mädchen. –

Nachher bekam sie auch richtig die beiden schönen, großen Zimmer und die Kammer, Küche und allen sonstigen Zubehör zu sehen und bewunderte alles nach Gebühr. Alwine bückte sich bei den Betten und untersuchte sie eingehend: »Ich muß immer von Zeit zu Zeit nachsehen, ob sie mir auch nich den Boden rausjehoben und Strippen ranjemacht haben wie bei meine Schwester. Als die nachts janz jemütlich schliefen, haben se an de Strippen jezogen, und krach, lagen beide auf de Erde. Das wär' so 'was, nee, bei mir jiebts sowas nich', ich paß auf!« – Lotte errötete. »Das ist ein fauler Witz; aber ›wer‹ zog denn, war jemand Fremdes dageblieben?« – – »Natürlich die Jeschwister von außerhalb. Die bleiben auch heut nacht bei uns, man kann se doch nich auf de Straße schmeißen, und wozu haben wa zwei Stuben und 'ne Kammer, und 'ne Küche, nich' wa – –?« gegenfragte Alwine. Lotte nickte nur bejahend mit dem Kopfe. Sie verglich und dachte sich heimlich ihr Teil. Wer war nun glücklicher, diese harmlosen, einfachen Leute oder sie – – mit all ihren verfeinerten Ansprüchen? – Bald nach dem Kaffee wollte Lotte aufbrechen zum großen Schmerze des jungen Paares: »Nee, das is aber jarnicht nett von Ihn', daß Se gehen!« – schalt Alwine. – »Für wen habe ich denn nu jeschuftet, etwa für all die dämlichen Knöppe aus unse' popliche Verwandtschaft? Meine Jänse müssen Se doch wenchstens kosten, se sind mit so seine Äppels jefüllt!« – – »Nein, Frau Klein, es geht wirklich nicht! Sie wissen doch, wie streng Papa ist!« erwiderte das Mädchen und schritt zur Thür.

»Na, denn komm' Se aber bestimmt zur Taufe und stehen Pate?« – lächelte die Braut, und der Bräutigam fügte hinzu: »Ja, daderdrum bitte ich auch, ob im' Junge oder Mächen is wurscht!« – – »Natürlich!« sagte Fräulein John tödlich verlegen und rot. Daß ein Brautpaar an seinem Hochzeitstage schon so viel von seiner Nachkommenschaft sprach, war ihr neu. – – »Seh doch, wie das Fräulein rot wird, die kommt das komisch vor, daß hier heute aufs Dach der Storch klappert!« – lachte eine Schwägerin und klopfte ihren Tischherrn auf das Knie, daß es laut schallte. –

Lotte John empfahl sich nun noch beschleunigter. Die letzte Bemerkung hatte einen Hagel von Witzen entfesselt. Sie fühlte, daß sie ihm besser auswich! –

Frau John hatte geglaubt, verzweifeln zu müssen. Ein solches Juwel wie Alwine schien unersetzlich! Der Trost des Gatten: »Lieber Schatz, beruhige dich, der Erdball birgt noch viel Gutes. Nach meinen Erfahrungen wechselt man mit den Dienstboten nur die Fehler!« rief ein Hohngelächter der Gattin hervor. Lottes Einwurf: »Alwines Redseligkeit, die Küche beständig voll Besuch, und die Freundschaft mit dem Portier und den gesamten Hintertreppen war auch kein Vergnügen!« wurde kurz mit dem empörenden Ausruf abgeschnitten: »Fang du nur auch noch an! Das wird immer besser! Jetzt sind die Kücken weiter als die Henne; das ist neueste Mode, aber so weit sind wir bei uns noch nicht! Also – – – schweig!« – –

Auf Alwine folgte eine Josephine. »Sauber und fleißig, kocht gut und ist ehrlich; aber wegen ihres mir nicht zusagenden Charakters entlassen!« lautete ihr letztes Zeugnis. Frau John engagierte sie, empört über die »Frechheit der vorigen Herrschaft, die Charakterstudien an ihren Dienstboten zu machen scheinen!« – Josephine entpuppte sich in der That als würdige Nachfolgerin des »verflossenen Juwels«. Sie arbeitete vorzüglich, kochte ausgezeichnet; aber ihr brummiges, schweigsames Benehmen, ihre mürrischen Launen, die sich oft bis zu gänzlichem Verstummen steigerten, waren ein düsterer Ersatz für die sonnige Alwine. – Wenn die Ostpreußin des Morgens, beim Herunterkommen vom Hängeboden, sehr stampfte, die Thüren warf und ein unheilvolles Gesicht machte, dann erschien die Familie John auf Zehenspitzen und bewegte sich mit großer Vorsicht. Bei normalen Stimmungen der »Hausgenossin« atmete alles auf. Und erglänzte gar auf Josephinens Angesicht ein freundliches Lächeln, so herrschte bei Johns eitel Jubel und Sonnenschein!

Kurz, Josephinens Angesicht wurde Hausbarometer und wurde stets mit vorsichtigen, prüfenden Blicken gemessen, ehe man sich zum Handeln entschloß. – Das ging nun so, solang es ging; allein es kam – – – zum – – Klappen! – –

Josephine hatte einen Bräutigam, dem sie sogar nach Berlin gefolgt war. Daß Liebe zehrend wirkt, konnte man bei ihr nicht behaupten. Im Gegenteil! Eines Tages, nach siebenmonatlichem Dienst, machte erst die Portierfrau warnende, mysteriöse Andeutungen zu Frau John. Wer sie predigte tauben Ohren: »Für das Mädchen lege ich die Hand ins Feuer. Die ist viel zu kalt und zu herb!« – rief die unverbesserliche Optimistin. Oben aber sagte sie heimlich zu ihrem Herrn und Gebieter: »Du kannst mir glauben, die Schmidt ist bloß wütend, daß Josephine nicht so viel bei ihr steckt wie die andere!« – – Herr John machte ein betroffenes Gesicht und drückte seine Zweifel aus indem er seine Beobachtungen, daß das Mädchen stark geworden und sich jetzt so loddrig kleide, zum Besten gab. Auch die Hinweise blieben fruchtlos! –

Da ließ sich am gleichen Nachmittage Frau Geheimrat X. bei Frau John melden und enthüllte dieser den Skandal, über welchen sich bereits das ganze Haus aufhalte. Die Nachbarin wurde nun doch recht kleinlaut und jammerte über die ewige Dienstbotenmisere. »Ja, Sie haben in der That mit Ihren letzten Dienstboten Pech gehabt, gnädige Frau!« – »Ich, o nein, da irren Sie sich doch, verehrte Frau! Josephine ist trotz dieser abscheulichen Geschichte und ihrer Launen doch ein ausgezeichneter Kerl!« – entgegnete die Angegriffene. – »Nun, gnädige Frau, mir würden solche Launen nicht passen, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Geduld! Aber die Verluste, welche Alwinens Durchsteckereien Ihnen gebracht haben« – – »Durchsteckereien?« – unterbrach Frau John. – »Wie – – was – – meinen Sie?« – – »Nun, zum Beispiel, muß doch in den letzten beiden Wintern Ihr Kohlenbedarf ein sehr großer gewesen sein!« – Frau John dachte nach: »Allerdings haben wir uns oft über die enormen Rechnungen gewundert, da nicht mehr als früher geheizt wurde!« – Der Gast lachte herzlich: »Das ist kein Wunder, denn die Portierfamilie rühmte sich stets, nur mit Ihrer Feuerung gewärmt zu haben. Beinah auch gelebt, denn Ihre Alwine schleppte ja das Unglaublichste herunter!« – »Warum haben Sie mich nie gewarnt?« – – rief die arme John, aus den Wolken fallend. »Erstens ist so etwas stets sehr mißlich, um so mehr als Sie immer von dem Mädchen schwärmten. Zweitens habe ich auch die volle Wahrheit erst nach und nach erfahren!«

Die Geheimrätin teilte diese volle Wahrheit erst jetzt tropfenweise der niedergeschmetterten Wirtin im ganzen Umfange mit. – Waschfrau – Ausbesserin und Portiers! Sie alle hatten gleich Blutegeln am Johnschen Haushalte gesogen! Alwines Heiligenschein erblaßte. Frau John geriet in sich langsam steigernde Wut gegen das ehemalige Juwel. Sie erzählte entrüstet das Gehörte ihrer Familie, die ihren geheimen Triumph schweigend unterdrückte. Aber wer jetzt der Hausfrau sagen wollte, daß sie einst für diese »freche Elster« geschwärmt, na, der hätte in ein Wespennest gestochen! Als Josephine gar noch am nächsten Morgen ihren Zustand rückhaltslos zugab und brummig meinte: »Schuld sind Sie, warum jehen Sie immer auf Reisen! Und warum is Fräulein Lotte bei de Verwandten zu Tisch jejangen? Wär'n se nich' fortjewesen, wär nischt passiert! Davor kann ich also doch nich?« – kochte ihre Wut über.

Frau John, die gute Menschenfreundin, verwandelte sich in eine erbitterte Gegnerin der Dienstbotenfrage. Na, und an Fräulein Lotte blieb ewig der Makel kleben, daß sie an Josephinens späterem »Paulchen« schuld gewesen sei!«


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