Adolf Gelber
Negermärchen
Adolf Gelber

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wundenvoll und Weißbaum

Mädchen gingen einst aus, um Krabben zu fischen. Da begegnete ihnen der Wundenvoll und sie riefen: »Hu, was deine Wunden so rot sind; wir wollen dich nicht, wir wollen dich nicht.« Er folgte ihnen aber trotzdem.

Nun kamen sie zum Wasser und sahen einen Stein, unter dem sich eine Menge Krabben versteckten. Sie versuchten ihn zu heben, doch war er zu schwer und sie fragten, wer ihnen da helfen wolle. Der Wundenvoll sagte: »Ich!« und sie lachten wieder; wir wollen dich nicht, wir wollen dich nicht, weil deine Wunden so rot sind. Er kehrte aber doch den Stein um, so daß sie die Krabben fingen; und wiederum sangen sie:

»Wir wollen dich nicht, wir wollen dich nicht.
Was sind deine Wunden so rot!«

Unterdessen war es Nacht geworden, und es war so finster, daß sie nicht sehen konnten. Da sagte Wundenvoll: »Faßt euch gegenseitig an der Lendenschnur und eine hinter der anderen werdet ihr vorwärts schreiten.« »Gut,« sagten sie, »aber geh du voran, du wirst uns mit deinen Wunden leuchten.« So stellte er sich an die Spitze, und sie gingen lachend, eine hinter der anderen und sangen:

»Dse, dse, dse,
Hinten ist's ganz finster
Und vorne leuchten –
Vorne leuchten
Gleich dem Tage deine Wunden.
Wir wollen dich nicht, wir wollen dich nicht,
Lieber Wundenvoll!«

Nun kamen sie aus dem Walde heraus zu einer Hütte, in der der Weißbaum wohnte. Sie klopften, aber er machte ihnen nicht auf. Da sprach Wundenvoll: »Öffne Weißbaum, Mädchen sind's, und sie sind müde.« Und alle riefen: »Weißbaum, Weißbaum, mach auf!« Da öffnete er und brummte; aber als er die Mädchen sah, sprach er: »Gut, so bleibet,« und sie traten ein. Dann brachte er Matten, die er ausstreckte, da konnten sich die Mädchen zum Schlafen hinlegen, und auch dem Wundenvoll legte er eine hin. Aber es war eine zu wenig, und was ist da zu tun? fragten die Mädchen. Doch Wundenvoll sagte: »Das schadet gar nichts, ich kann auf der Erde schlafen,« worauf die Mädchen wieder sangen:

»Wundenvoll, wir wollen dich nicht,
Deine Wunden sind so rot!«

Darauf sagte der Weißbaum: »Also wollet ihr mich, Mädchen?« Aber sie lachten:

»Weiß bist du, Weißbaum.
Hast keine Wunden –
Wir wollen dich nicht,
Wir wollen dich nicht.«

Sie schliefen ein. Da nahm der Weißbaum, weil er darüber erzürnt war einen Speer und steckte ihn ins Feuer. Dann blies er hinein.

»Tuu, tuu, glühe schnell,
Tuu, tuu, glühe schnell.
Diese Mädchen muß du fressen.
Tuu, tuu, glühe schnell.«

Wundenvoll hörte es und begann sich zu räuspern, worauf der Weißbaum flüsterte: »Schläfst du nicht?« Wundenvoll antwortete: »Nein, mich beißen meine Wunden.« »So kratze dich,« knirschte Weißbaum, »und laß die andern schlafen.« »Gut,« sagte Wundenvoll, und tat, als läge er wieder im Schlaf. Da begann Weißbaum wieder zum Speer zu sprechen: »Glühe schnell, glühe schnell,« und Wundenvoll schrie wieder: »Uj, uj!«

So öffnete Weißbaum leise die Türe und ging hinaus. Und Wundenvoll sah, da er ihm nachschlich, wie Weißbaum zum nahen Wald ging. Dort weckte er die Löwen, die Leoparden, sowie die anderen Tiere und sprach: »Kommt Tiere, Mädchen sind in meinem Hause, die haben gesungen:

»Weiß bist du, Weißbaum,
Hast keine Wunden –
Wir wollen dich nicht,
Wir wollen dich nicht.«

»Kommt sie zu fressen,« sagte er darum den Leoparden und Löwen, »die Mädchen und auch Wundenvoll sind in meinem Hause.« »Was,« antworteten die Tiere, »auch er ist dort? Von ihm haben wir Wunden! Wir kommen gleich, wir kommen gleich. Geh nur voran.«

Aber Wundenvoll hörte es und lief gleich zurück zu den Mädchen. »Auf,« sagte er, indem er sie weckte, »der Weißbaum ist gegangen, um alle Löwen und Tiere zusammenzuholen, auf daß sie uns auffressen.« Und gleich erhoben sich alle und eilten leise davon.

Indes sie nun dahinliefen, kehrte Weißbaum zurück, und als er die Hütte leer fand, erschrak er und rannte wieder hinaus. Da sah er in der Ferne Menschen, die den Berg hinaufstiegen und rief zu ihnen:

»Ihr, die ihr dort gehet, woher kommt ihr?
Ihr, die ihr dort gehet, woher kommt ihr?
Seid ihr die Mädchen, die hier gewesen sind?«

Die Mädchen erschraken. Doch Wundenvoll stand still und rief hinunter:

»Nicht von dort, Vetter,
Nicht von dort, Vetter,
Wir kommen von unten.
Vom Waschen der Fräulein
Und nicht von den Krabben!
Wir haben nicht Haken und ihre Hauen.«

Und weiter jagten die Mädchen. Doch Weißbaum sagte: »So sterbe ich heute selber, denn das werden die Löwen und Leoparden mir nicht verzeihen.« Und er sprach zum Hahn: »Hilf mir, daß ich mich verstecke; willst du mir ein Loch graben, damit ich mich darin verberge?« Da nahm der Hahn eine Scherbe und grub ihm ein Versteck; wonach Weißbaum hineinschlüpfte, und der Hahn deckte es wieder zu mit einem Stein. Da kamen aber auch schon die Löwen, die Eber, das Krokodil und die Leoparden, und die Löwen brüllten:

»Den Weißbaum, den fressen wir,
Den Weißbaum, den fressen wir,
Wenn er uns betrogen
Und die Mädchen davongelaufen sind.«

Und immerfort brüllten sie:

»Weißbaum, dir wird's nicht gut gehn;
Weißbaum, dir wird's nicht gut gehn,
Wenn du uns betrogen
Und auch der Wundenvoll davongelaufen ist.«

Richtig, als sie kamen, war niemand in der Hütte zu finden und sie fragten den Hahn, wo der Weißbaum sei. Er breitete seine Flügel aus und machte Ch, ch, um davonzufliegen, aber sie jagten ihn ringsherum, und da krähte er: »Kokoliko, schaut auf dem Dache, wo.« Sie schauten, aber kein Weißbaum war da, da jagten sie den Hahn wieder und brüllten: »Dich selbst fressen wir, wenn du uns anlügst;« und da krähte er: »Kokoliko, schaut nochmals in der Stube, wo.« Wieder war kein Weißbaum da, und da kamen sie wieder und einer faßte ihn und schrie: »Kerl, jetzt sprich!« Da krähte der Hahn:

»Kokoliko,
Schaut auf dem Hofe,
Dort liegt ein Stein auf der Grube,
Schaut dort nach, wo.«

Da deckten sie die Grube auf und heraus kroch der Weißbaum und sie brüllten: »Betrogen hast du uns.« »Es ist nicht wahr,« schrie er. »Der Wundenvoll war da und die Mädchen auch, er hat ihnen gesagt, sie sollen davonlaufen. Allein es sangen die Löwen:

»Der Wundenvoll, den kennen wir,
Von uns sind seine Wunden.
Doch haben wir dich, doch haben wir dich,
Und du sollst's uns entgelten –«

und fraßen den Weißbaum auf. Der Eber nahm ein Stück, die Antilope nahm ein Stück und das Krokodil auch, und der Löwe und Leopard, die fraßen das meiste; und so war's mit Weißbaum aus. Doch die Mädchen auf dem Berge sangen:

»Der Wundenvoll, der Wundenvoll,
Woher hat er seine Wunden?
Wir wollen ihn nicht, wir wollen ihn nicht,
Von den Löwen sind seine Wunden.«


 << zurück weiter >>