Gustaf af Geijerstam
Das Buch vom Brüderchen
Gustaf af Geijerstam

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Elftes Kapitel

Hier draußen sang der kleine Sven, wie er es den ganzen Winter getan, und gewiß hatte Elsa hauptsächlich um seinetwillen darauf bestanden, daß unser Klavier einmal mit hinaus in die Schären kam.

Denn seit Mama entdeckt hatte, daß Sven singen konnte, war es doch nur ganz natürlich, daß sie anfing, seine Anlagen auszubilden, und daß sie stolz auf seine Stimme war wie auf alles, was er sagte, tat und vornahm. Sie schaffte ihm kleine Liederbücher an und lernte die Worte mit ihm auswendig. Denn Sven war erst fünfeinhalb Jahre alt und zu klein, um lesen zu können. Auch hatte seine Mama heilig und teuer gelobt, daß es lange dauern würde, bevor er sich mit etwas so Schrecklichem plagen müßte. Aber singen, das konnte er, und er konnte viele Lieder. Sehr selten entschlüpfte ihm ein falscher Ton, und war das einmal der Fall, so sah er ganz verdrießlich aus und begann wieder ganz von vorne.

Er hatte auch nie Angst zu singen, wenn Fremde zuhörten. So viele, als wollten, durften kommen. Sven sang und lachte, und die großen, blauen Augen leuchteten. Warum sollte er Angst haben, zu singen, wenn er es selbst so lustig fand, und er im übrigen so schön sang? Das hatte Mama gesagt und wenn sie es fand, mußten ja alle dasselbe finden.

Von allen schönen Liedern, die Sven konnte, war doch keines niedlicher anzuhören als dieses:

Bäh, büäh, weißes Lamm, hast du denn auch Woll?
Ja, ja, kleiner Mann, hab die Taschen voll.
Sonntagsrock für Vater und Feierkleid fürs Mütterchen
Und zwei Paar Strümpfe fürs kleine, kleine Brüderchen.

Der Schluß dieses Liedes war Svens Glanznummer. Denn so wie er zu dem letzten Vers kam, ging es über Stock und Stein, so rasch, so rasch, als wollte er das Schlußwort aufessen und für sich selbst behalten. »Das kleine, kleine Brüderchen« eilte lange vor der Klavierbegleitung daher, und das kam nur daher, daß er die zwei Paar Strümpfe für eigene Rechnung nahm und den ganzen Vers als eine Anspielung. Warum sollte auch nicht das ganze Lied eigens für ihn geschrieben sein, wenn er es singen konnte und sich so darüber freute?

Dieses Lied durfte kein anderer als Sven singen, und es konnte es auch niemand so wie er, der das kleine Brüderchen im Leben war, das kleine Brüderchen im Tode, der niemals etwas anderes wurde und immer unter diesem Namen leben wird.


Die Fenster im Speisesaal stehen offen, der Duft des Flieders strömt mit der Abendluft herein, die Sonne ist im Untergehen, und auf der Wand über dem geöffneten Klavier zittern ihre Strahlen. Am Klavier sitzt seine Mama im weißen Sommerkleid, ringsherum stehen wir anderen, und mitten unter uns singt der kleine Sven.

Sonntagsrock für Vater und Feierkleid fürs Mütterchen
Und zwei Paar Strümpfe fürs kleine, kleine Brüderchen.

Es ist Johannisabend, und Sven ist glücklich. Denn er hat Mamas Versprechen, daß er sich an diesem Abend nicht früher niederzulegen braucht, als bis er selbst will. Das will er natürlich nie, und mit Mamas Hand in der seinen geht er mit den Brüdern und den Großen über die Gartenwege, bis ihm die Augen zufallen und er schlafend in sein Bett getragen wird, nichts von seinem Unglück ahnend, nicht länger wach sein zu dürfen.

Da schläft er mit seinem Freund auf dem Arm, dem weißen kleinen Hund aus Holz, der Wolle hat wie ein Lämmchen und Augen aus schwarzen Stecknadelknöpfen und den Sven »Flocki« getauft hat. Flocki ist ein friedlicher Schlafkamerad. Er stört niemanden.

Draußen in den Kronen der Bäume ertönt das erste schwache Vogelgezwitscher, das die Morgenröte kündet.

 


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