Emanuel Geibel
Vermischte Gedichte
Emanuel Geibel

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Nach V. Hugo.

Weil mir dein voller Kelch die heißen Lippen kühlte,
Weil meine bleiche Stirn in deiner Hand geruht,
Weil ich den süßen Hauch von deiner Seele fühlte,
Der wie ein Weihrauch ist in dunkler Lüfte Flut;

Weil mir's gegeben ward, von dir die süßen Laute
Zu hören, drin das Herz sich aufschließt bis zum Grund,
Weil deine Thräne sanft auf meine Wimper thaute,
Weil ich dein Lächeln sah erblühn auf meinem Mund;

Weil auf mein Haupt ein Stral in wundervollem Glanze
Von deinem Sterne fiel, der sein Gewölk durchbrach;
Weil ich ein Rosenblatt aus deiner Tage Kranze
Entrissen sinken sah in meiner Tage Bach:

So sprech' ich unverzagt zu den entflieh'nden Lenzen:
Zieht hin, zieht immer hin, nicht altert dies Gemüt;
Wie Schatten schwindet fort mit euren welken Kränzen,
In mir ist eine Kraft, die unvergänglich blüht.

Die Schale, die mich labt, ist stets zum Rand gefüllet,
Und nie zertrümmert sie der Flügelschlag der Zeit,
Mein Geist hat mehr der Glut, als ihr in Aschen hüllet,
Mehr Liebe hat mein Herz, als ihr Vergessenheit.


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