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Das fünfzigjährige Jubiläum.

Die Kreisstadt Speckweiler, der Sitz eines Regierungs-Kollegik, ist wohl Jedermann aus seinen Schuljahren her so wohl bekannt, daß die Bemerkung, sie liege in der gefürsteten Grafschaft Knoblauchzehen, welche seit dem Wiener Kongreß dem Großherzogtum Tuckmäusern einverleibt wurde, genau genommen, völlig überflüssig sein dürfte, wenn nicht die in unsern Zeiten so häufigen Grenzsteinverrückungen – die damit verbundenen Ohrfeigen bleiben nie aus – für Geographen und deren Schüler eine Lernäische Hyder würden, und von Zeit zu Zeit in dem Gedächtnis aufgefrischt zu werden verlangten.

Weniger bekannt dürfte es jedoch sein, daß und auf welche Art der Rektor Kühlwort sein fünfzigjähriges Dienst-Jubiläum in derselben gefeiert. Leser des Tuckmäuser Moniteur nehme ich aus; sie haben schon Alles in diesem offiziellen Blatte, auf dessen Autorität ich mich bei diesem Berichte für das Ausland stütze, gefunden und können daher diese Seiten dreist überschlagen.

Es war am ersten März dieses Jahres – das Faktum ist also kaum wochenalt – wo der Rektor Kühlwort des Morgens um sieben eine letzte Achsschwenkung im Bette machte, nämlich von der Wand dem Fenster zu, um sich als sein eigner Schlammpeizger das Wetter anzusagen. Der Himmel war klar. »Das ist schon immer etwas,« murmelte Kühlwort. »Welcher Christenmensch stapft denn wohl gern, wenn er seine einsame Morgenpromenade in der Mittagsstunde macht, bis an die Knorren im Kote, wie ein ungarischer Weinbauer im Moste, und quält sich erbärmlich ab, bis zum Wegweiser den gewohnten Dauerlauf oder vielmehr Trauerlauf machend, im Treibjagen nach Appetit, auf die Gefahr hin, daß der errungene mit dem Küchenzettel der Haushälterin in keinem Verhältnisse stehe? Welches zweibeinige Vernunftprinzip stürzte sich denn wohl gern in ein himmlisches Duschbad bei einem Wetter, von welchem Lichtenberg sagt, daß alle Menschen dreckig und alle Schweine rein wurden, oder zappelt an seinem Regenschirm, mit Stürmen kämpfend, wie Demoiselle Garnerin am Fallschirm? Wer thut dies wohl gern, frage ich? Niemand. Am wenigsten aber ich an meinem heutigen Jubeltage, der hoffentlich kein Trubeltag werden soll, denn kein Teufel weiß ihn.«

Man male doch den Bösen niemals an die Wand! – »Mord- Element! was ist das für ein Heidenlärm? Christiane! Christiane! Hört Sie denn nicht? – Ja, wer den Spektakel überschreien könnte.«

»Goldner Herr Rektor,« stürzt die Beschworene herbei, »und da gratuliere ich denn erstens zum goldnen Jubilirium, und wünsche Ihnen noch viel tausend solche, und das von Herzen. Und dann sind alle die Herren vom Gymnasium draußen, und die ganze Schule mit Musik und Blumen und Alles mit einander. Mit einem Worte es ist heute Ihr goldnes Jubilirium.«

»Hol' Sie der Hen – Hendekasyllab!« brummt der Rektor. »Lass' Sie das verdammte Handküssen sein. Ich wollte, Sie und Ihr Jubilirium säßen bei Don Miguel, der wohl schwerlich das seinige erleben wird.«

»Ach, Du mein wonniger Herr Jesus, das ist mal wieder recht heidnisch und absolutistisch gedacht. So mag's denn für heute genug sein, Sie goldner Herr Rektor, denn das bleiben Sie einmal, darauf lasse ich mich totschlagen und Alles mit einander.«

Kühlwort erbost sich innerlich über den ganzen verhunzten Tag, der ihm bevorsteht, und wie er nun gleich von vorn herein statt des Kaffees schuhsohlenzähe Redensarten einschlucken müsse, und müffigen Weihrauch statt des Tabakrauchs der Morgenpfeife; wie er in die Kleider statt in den Schlafpelz zu fahren gezwungen sei, vor allem aber über die in ihrer Abendmahl-Krebsschale steckende Christiane.

Die Halstuchschleife sitzt ihm im Nacken, der linke Stiefel am rechten Fuße und umgekehrt, beide drücken aber über die Gebühr. Der peinigende Hausdrache hat jedoch schon die Flügelthüren aufgerissen »und herein mit bedächtigem Schritt der Konrektor tritt« und zwar mit dem ganzen Lehrerpersonale. Profanum vulgus der Schüler muß wegen Mangel an Raum außerhalb verharren, macht lange Hälse und rasaunt gleich einer Schar Besessener.

Der Konrektor und Zuchthausprediger – Schnitzkloben ist sein Name – welcher sich zu den Stillen im Lande hält, tritt würdevoll, mit festgeschlossenen Augen, auf unsern Rektor zu.

«Würdigster Mitbruder in Christo, wertgeschätzter Herr Rektor und Kollege!« beginnt er mit weicher Stimme. »Gar tröstlich sagt unser lieber Heiland im Augenblick des Scheidens zu seinen Jüngern: »Wer nicht in mir bleibet, der wird weggeworfen wie eine Rebe, und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie in's Feuer, und muß verbrennen.« Johannes am 15., Vers 6. Gar hold und tröstlich klingen diese Worte dem Ohr des einfältig sich hingebenden Lämmleins, welches inbrünstiglich dem Stündlein entgegen harrt, da sein Leichnam preisgegeben werde den Würmern der Erde –«

»Verzeihen Sie gütigst, teuerster Herr Kollege,« fällt der Rektor ein, »daß ich Ihre Rede unterbreche, aber ich habe in der Eil, Sie zu bewillkommnen, mein Wasser abzuschlagen vergessen, und das kann einem Mann in meinem Alter leicht gefährlich werden – ich erinnere bloß an Tycho de Brahe, welcher dergestalt ein klägliches Opfer seiner falschen Diskretion wurde – tausendmal bitte ich um Entschuldigung. Oder wissen Sie was? ich lasse die Kammerthür halb offen und höre Alles. Wir waren bei den Insekten stehen geblieben.«

Mit einem Gesicht, in welches 29 Grad Reaumur eingekerbt sind, überreicht der Konrektor dem Jubilar im Namen der sämtlichen Lehrer einen silbergetriebenen Pokal, welchen bisher der Famulus unter der Florkappe, wie ein verschleiertes Saisbild oder eine Fahne beim simpeln Bataillons-Exerzieren, getragen hatte. Die Rede aber schnappt Schnitzkloben kurz ab mit den in den Bart gemurmelten, wenig nur verständlichen Worten: »denn sie waren nicht verständiger worden und ihr Herz war erstarrt.« Markus am 6,. Vers 52. –

Überhaupt macht sich der Berichterstatter schon Vorwürfe, auch nur so viel von dem Eingang der Konrektoralrede seiner Relation einverleibt zu haben, was nicht viel besser als ein Plagiat ist, da die vollständige Festrede in der Hayfischischen Buchhandlung zum Besten der Missionäre in Grönland in Druck erschien. Ref. hat aber ein ausnehmend zartes Gewissen, will seine Geschichtserzählung nicht mit fremden Federn schmücken und dankt mit dem Rektor seinem Gott, daß er des mündlichen Vortrages überhoben sei. Nur einige schwache Konjekturen über Ehrenbecher erlaubt er sich parenthetisch.

Weshalb werden denn wohl Jubilarii mit silbernen Ehrenbechern begabt?

Napoleon stiftete Ehrenflinten und Säbel und Enter-Äxte als ruhmvolle Anerkennung der Thaten, welche die Tapfern mit den Kommiß-Utensilien vollbrachten. Der General-Postmeister von Nagler verleiht Postillion-Veteranen ein silbernes Horn; Moreau gab (nicht Herrn von Nagler, sondern Bonaparte persiflierend) seinem Koch eine Ehrenbratpfanne. Sollten nun wohl diese Ehrenpokale auf die beim Becher verübten Heldenthaten der Empfänger anspielen? Kaum glaublich. Meistens sind die Beschenkten sogar mäßige, nüchterne Männer – wenigstens kennt Referent zwei bis drei dergleichen. Die Gründe müssen deshalb wohl tiefer liegen. Folgende glaubt er zu erraten.

Wenn ein Postillion seine Station gut oder schlecht gefahren hat, so verlangt und bekommt er sein Trinkgeld; und dies mit Recht, denn sei es, wie es sei, er hat doch den Passagier lebendig auf der nächsten Station abgeladen, und mehr kann dieser nicht verlangen – ja, er ist sogar von jenem Leibzoll dispensiert, so wie er den Hals gebrochen. Wenn also gleicherweise ein Staatsdiener eine so lange, sandsteppen- und kieselreiche Station zurückgelegt hat – ein paarmal Umwerfen kommt nicht in Anschlag, so lange er nur seine fünf Sinne leidlich behält – hat er da nicht Anspruch auf ein verhältnismäßiges Trinkgeld? Den gegründetsten, scheint mir. Und er empfängt es auch, nur mit der Verwandlung des Trinkgeldes in ein Trinkgeschirr. – Ein zweiter Grund dürfte vielleicht folgender sein: Nach Blumenbach verwandelt sich der physische Mensch alle drei Jahre, wenn gleich dem Auge unbemerkbar, dergestalt, daß von dem alten Adam auch nicht ein Neidnagel mehr übrig bleibt – freilich treibt der geistige Mensch dieses Entpuppen noch häufiger. Wenn nun aber ein Jubilar vierundzwanzigmal diesen tour de passe-passe getrieben hat, könnte er da nicht das fünfundzwanzigstemal – denn der Teufel hat gar oft sein Spiel –- sich gerade als dezidierter Söffling regenerieren? Die 25. Zunge und Gaumen brauchen nur einmal zum Weinschmecken, der Magen und der Kopf hingegen nicht zum Vertragen zu inklinieren, so schlägt der alte würdige Mann, eh' man die Hand umdreht, über die Stränge und geht, wie in seinen Erlanger Studentenjahren, gassaten. Hier wird es nun Christen- und Menschenpflicht, einem solchen 72 jährigen Wechselbalge einen silbernen Schlagbaum und garde-fou vorzuziehen, damit er auf seine alten Tage nicht in den Abgrund taumele. Man schenke ihm also einen Becher, um ihn täglich daran zu erinnern, wie Alexander der Große nach dem Leeren eines ähnlichen elendiglich umgekommen; und um ganz sicher zu gehen, daß er mit dem geschenkten keinen Mißbrauch treibe, ist dieser inwendig nur schwach vergoldet, so daß die Platte bei dem geringsten Gebrauch verschwindet und den Jubelgreis prostituiert.

Andere Gründe für den Gebrauch des Becherschenkens weiß aber Ref. wahrhaftig nicht, und nimmt deshalb den Faden der Erzählung wieder auf.

Daß vor dem Eintritt des Redners und seiner Genossen das: »Herr Gott, Dich loben wir!« mit Musikbegleitung abgesungen worden, hat der Historiograph zu berichten vergessen, und bittet von vorn herein, ihm solche Nachlässigkeiten nicht aufzumutzen. Bei Kolorierung eines so vielköpfigen Gemäldes ist er ohnehin in einer Art künstlerischer Ekstase und wie nicht recht bei Sinnen. Um sich einigermaßen zu ernüchtern, hält er sich an die fetierte Salzsäule, an den Jubelgreis – der bleibt kalt. Nichts desto weniger beginnt Letzterer ein mutiges Ringen mit dem ganzen Lehrerpersonale von dem eiszapfigen Redner abwärts. Mit jedem Einzelnen verschlingt er die Arme – sein Studienzimmer ist die arena – und preßt oder läßt sich die Brust pressen, bis ihm der Atem vergeht. Man nennt dies Kampfspiel gewöhnlich »abküssen«; trivialer ist der Ausdruck »abschmatzen«. – Nach beendigtem Gefecht tritt der siegreich aus ihm hervorgehende Jubel-Rektor in die Thür und spricht ein paar herzliche Worte des Dankes zum lärmenden Coetus. Seine Erscheinung ist aber das Quos ego – denn sie sind ihm Alle kindgut. Die Scharen ziehen ab, von drei zierlichen Kreuzen des Beglückwünschten begleitet.

»Christiane, nun wäre es Zeit, den Kaffee –«

»O mein goldigster Herr Rektor, draußen da steht ein ganzer Tanzsaal voll schneeweißer Fröhlen und Mamsellchen und Engelchen. Knapp hab' ich sie in meiner Kammer unterbringen können, so lange die Schülerpakage und Alles mit einander bei Ihnen war – nun aber halt' ich sie nicht länger.«

Sie spricht Wahrheit. Zwanzig junge, liebe, schöne, blumengeschmückte Mädchen, – ein Referendarius, welcher gegenüber beim Konditor ein petit verre d'extrait d'absynthe trank, wollte gar einundzwanzig gezählt haben, ich folge aber dem Moniteur – also zwanzig Jungfrauen traten verschämt errötend ein. Der Rektor giebt nämlich geographischen und historischen Unterricht in den Häusern einiger Honoratioren des Ortes, in den Treibhäusern, wo diese Lilien – wenigstens der Kleidfarbe zufolge sind sie es – aufgesprossen sind.

Die Älteste – dieses Prädikat verdient sie kaum, indem sie ins siebzehnte Jahr tritt und nur anderthalb Wochen älter als drei ihrer Gefährtinnen ist – tritt vor und will den zu überreichenden Blumenkranz mit einigen Worten begleiten – vermag es aber nicht, denn plötzlich fängt sie an zu weinen, als wenn das Böcklein sie stieße, und auf dieses Signal fangen die Wasserkünste der ganzen Kass'ler Wilhelmshöhe, des Mädchenchors meine ich, an zu spielen und spritzen, so daß der arme Rektor Gefahr läuft, sein Museum in einen Karpfenteich umgewandelt zu sehen. Vergeblich wagt er tröstende Worte, rennt von der einen zur anderen, schwört hoch und teuer, hier sei im Grunde gar kein Grund zum Weinen – eben so viel hilft eine Verwerfung des Budget, d.h. gar nichts. Dem fruchtlosen Tröster ist bei dieser (weniger satirischen als elegischen) lecture upon heads in Steevens'scher Manier das Weinen selber nahe – endlich kommt er auf den glücklichen Einfall, die Seniorin beim Kopf zu kriegen und den früher schon und unter ungünstigen Umständen begonnenen Kampf von neuem zu eröffnen. Das hilft. Die Thränenschleusen fallen zu und Phöbus glänzt um eins so herrlich und rosenrot aus den Wolken hervor, denn junge Mädchen wollen sich gar zu gern küssen lassen, wäre es auch von beiden Lebensstufen, dem Kinde und dem Greise. Freilich meinen sie: die Mittelstraße sei die beste. – Nun endlich nach abgeschüttelten Tautropfen hat sich die Flora ermutigt, dem Festpreise die Arbeit ihrer kunstreichen Hände, einen Riesenteppich, auf welchem ein ganzer botanischer Garten blüht, oder in den, um mich prosaischer auszudrücken, eine ganze Wollzieche vermauert ist, zu überreichen.

»Traute Kinder,« ruft Kühlwort, »was haben Sie da gemacht! Das habe ich nimmer verdient« –

»Ach, bester Herr Rektor!« entgegnet Antistrophe, »viel, viel mehr noch als dies. Sie sind ja so gut, so seelensgut!« tönt es von allen Seiten.

»I so wollt' ich doch – Mesdames, brisons là-dessus, wenn ich bitten darf. Jetzt aber muß ich mich, so wehe es mir thut, beurlauben und in meine Klasse. Sie können unmöglich verlangen, daß ich an meinem Jubeltage zum erstenmale hinter die Schule gehe. Noch einmal tausend, tausend Dank.«

»Was fange ich nun mit dem unseligen Teppich an,« brummt Kühlwort, nachdem die Lilien sich empfohlen; »keine Stube ist groß genug, ihn zu fassen. Hätten die Engelskinder mir ein halbes Dutzend Nachtmützen gestrickt – 's wär' doch etwas.« –

»Wunderherrlich! Nein himmlisch ist Kaff dagegen,« apostrophiert Anzilla die Festgabe. »Ach, Herr Rektor, warum können wir nicht alle Tage Jubilirium haben?« –

»Das fehlte noch,« entgegnet dieser, und fügt, um das dreimalgestrichene F. der Haushälterin herabzustimmen, hinzu: Sehe Sie nur die zertretnen Blumen auf der Diele; das wird schöne Flecke setzen.« –

»O morgen lasse ich das Haus vom Dachgiebel bis auf das Spundloch unsrer Biertonne scheuern.« –

»Auch das noch,« seufzte der Rektor. »Doch nun rasch den Kaffee – es ist gleich 9 Uhr. Wenn Jemand kommt – ich bin nicht zu Hause. Der Teppich – die kleinen Penelopen quälen mich damit so gut, als die große ihre Freier – wird viermal, achtmal zusammengelegt, weggeschlossen, Selah!« –

Der Rektor zieht jetzt, wie ein böser Schuldner, durch die entlegensten Winkelgassen in das Gymnasium und windet sich glücklich und unbemerkt in sein Auditorium, wie wohl nächtlicherweile ein Wiesel in den Taubenschlag. – Der Hörsaal strahlt aber vom Glanze fünfzig um eine Riesentorte gepflanzter Wachskerzen, neben welcher eine lateinische, auf goldumrändeltes Velinpapier gedruckte Ode sich brüstet. Prima bringt ihrem vielgeliebten Lehrer im speziellen diese Huldigung. Primus omnium vertritt ihm den Weg mit dem gefällten Bajonett einer lateinischen Rede – recht brav so weit. Auch das Carmen ist von ihm.

»Gott, Gott! da steht ja ein Tribrachys statt eines Amphimacer! Nehmen Sie mir's nicht übel, liebster Grauleder, das ist Ihnen so entschlüpft. Meine Herren, ich bin tief gerührt – mehr als ich aussprechen kann. Wollen Sie aber zu der Güte, mit welcher Sie mich überhäufen, noch einen Gefallen hinzufügen, so ist es der, daß Sie dies überaus köstliche Angebinde mit Gesundheit verzehren, zu welchem Zwecke ich die heutige Stunde, die ohnehin mir eine halbe wäre, aussetze und Sie (Alle mit einander würde meine Christiane sagen) beurlaube.«

»O Herr Rektor, Sie werden doch nicht verschmähen! Herr Rektor! Wir bitten« –

»Meine Herren! Torte ist der größte Tort, den ich meinem Magen anthun kann; sie zu accipieren, wäre ein accipe ferrum! Und das werden Sie doch nicht wollen. Damit Sie aber sehen, daß ich Ihre Gabe zu ehren weiß, so will ich aus dieser mit eingemachten Früchten eingelegten Lapidar-Inschrift des Semper felix! das Schlußschwänzchen, das x halb finden und verspeisen. Und nun bitte ich Sie mit dem Semper felis! und dem Rest abzuziehen. Carmen und Wachslichte behalte ich mit Dank.«

Nach Hause wagte sich der Jubilarius nicht, denn er traut dem Frieden nicht mehr; deshalb bettet er sich so weich wie möglich auf sein Katheder, zieht die 24° Ausgabe seines vielgeliebten Luzians, den er überall mit sich führt, aus der Tasche und speist mit innigem Wohlbehagen das déjeuner caustique eines der Göttergespräche. Plötzlich fährt er auf, reibt sich die Augen, blickt wieder ins Buch, reibt die Augen zum zweiten Male – aber nein, er sah richtig – einen Druckfehler. »Ein Druckfehler in meinem Elzevir! Ist so etwas erhört? Ein v statt eines u! Und das bemerkte ich erst heute, erst nach vollen sechzig Jahren täglichen Gebrauchs. Ein Druckfehler in meinem Elzevir! ruft er noch einmal aus. Das ist fürwahr die seltenste Feier meines Jubiläums! Nun mag Alles über mich ergehen, ich halte still und sage nicht Muck. Ein Druckfehler in einem Elzevir von 1630.«

Nur zu schnell ist die schöne Stunde verflossen, und er muß nach Hause. Dort harrt seiner schon Senatus Populusque Lardovicinus – wie sich die Speckweiler latinisieren –das Regierungs-Kollegium, das Offizier-Korps des dort garnisonierenden Regiments, die Handels-, ja Handwerks-Innungen sogar – der Maulaffen, welche dort nichts zu suchen haben, aber den größten Lärm verführen, nicht einmal zu gedenken.

En échelon rücken die Deputationen vor und geben ihre poetischen Adressen – denn vernünftige Prosa reden nur die abwesenden Vernünftigen – mit mehr oder weniger Redensarten ab. Der Regierungs-Präsident ladet Kühlwort zum Festmahle, ein Schuhmacher drückt ihm mit den Worten: »Weniges, aber mit Liebe!« die Rechnung für ein Paar Halbstiefel in die Hand, ein poetisches Lieutenantsgemüt gar ein dickleibiges Volumen Gedichte, mit der Bitte, sie gelegentlich durchzusehen. Im übrigen sehen sich alle diese Thron- und Huldigungsreden so ähnlich, wie ein Silbergroschen dem andern, obgleich sie nicht halb so viel wert sind. – Die Gedichtsammlung der Musa galeata, ist in Heine'scher Manier, verhält sich aber zum Original wie die Päonie zur Rose, wie der Esel zum Pferde, der Leierkasten zur Leier. Erfreuliche Aussicht! –

Ein Hinblick auf die Uhr, mehr aber noch die Unruhe des innerlichen gastrischen Chronometers erinnert ihn, als die Flut sich verlaufen, daß es eins und die gewohnte Eßstunde geschlagen. Die ungewöhnlichen Lungenübungen haben seinen Hunger ohnehin geschärft. »Christiane, es ist Ein Uhr. Bringe Sie das Essen.«

»Und das Essen soll ich bringen? Heute, wo Sie ausgebeten sind und sich bis Johanni satt essen können? Herr Du meine Güte, was das wieder für Ideologen sind! Überhaupt habe ich gar kein Feuer auf dem Herde, nicht einmal für mich, und bin bloß von der Freude und einem Häppchen Kuchen satt geworden.«

Kühlwort blickt seufzend gen Himmel. »Nun, liebe Christiane, bis drei Uhr halte ich's nimmermehr mit nüchternem Magen aus. Bringe Sie mir für sechs Pfennig Semmel, und wenn beim Restaurateur für Geld und gute Worte eine Tasse Bouillon zu haben ist, auch die. Aber sag' Sie nicht, daß es für mich sei – der Leute wegen.«

»Schon gut, Herr Rektor, lassen Sie mich nur machen. Ich sag', es wäre für den Hund.«

Der Jubilarius verurteilt jetzt sich selber zur Strafe des Mittelarrestes, bei Brot und Wasser – man kann die Fleischbrühe des Traiteurs immerhin für ziemlich kräftiges Wasser gelten lassen – und dreht, um die Täuschung zu vollenden, den Stubenschlüssel ein-, zweimal herum, schiebt ihn in die Tasche, zum Überfluß noch den Nachtriegel vor und ein Papierkügelchen ins Schlüsselloch. Jetzt sitzt er wie Kyau auf dem Königstein in seinem Himmel und schaut in's Weltgetümmel, lieber aber noch in sein Osterprogramm, dessen Inhalt Referent jedoch nicht kennt, sintemal es noch erscheinen soll.

Der unter dem lauten Ruf: es sei die allerhöchste Zeit zum Diner, gegen die Thür gerichtete aries der Christianischen Fäuste droht die Schutzwand in Grund und Boden zu rennen.

»Gleich, gleich, liebe Einzige. Gedulde Sie sich nur eine Minute, erwidert der pädagogische Chassé. Die weiße Fahne soll sogleich aufgesteckt werden. Nur eine Sekunde noch, eh' ich den verwetterten Papiermaché-Globus, diese Belidorsche Druckkugel aus der Bresche habe. So – nun ist sie heraus. Sie hat mächtig gestürmt, Gute, und kann mit Fug und Recht auf eine corona obsidionalis Ansprüche machen.«

»Ob ich eine Krone verdient habe oder nicht, das weiß unser treuer Herr Gott am besten, denn auf Johanni sind es dreizehn Jahr, daß ich Ihnen die Wirtschaft führe, und mir soll einer kommen und sagen, daß ich Schwänzelpfennige gemacht habe und alles mit einander. Und die weiße Fahne bringe ich Ihnen hier, denn die alte ist wieder so voll Schnupftabak – man graut sich ordentlich, sie in die Wäsche zu schicken.«

Kühlwort hat während dieser scharfen Merkuriale in seinem Pulte gekramt und aus dem Wurzelgeflecht der auf einzelne Blätter verstreuten Notizen zu seinem syrischen Lexikon, zwischen noch nicht aufgeklebten Wappen, Federstummeln und dergl., einen mit Tintenklexen wie ein Heliotrop besprengten Doppel-Mard'or gekrebst. – »Da, Sie treues Pferd, wasche Sie ihn rein. Da ist was für den heutigen Ehrentag. Nicht wahr, und das Scheuern unterbleibt morgen, liebe Seele?«

»Ach Du mein Jesulein! Nur ein bischen aufnehmen. Und das ist viel zu viel, u.s.w. u.s.w.«

»Lasse Sie das verdammte Handküssen sein, ich hab's Ihr schon 'mal gesagt.«

Über das doppelt genommene Beinfutteral der wollenen Strümpfe wird noch der Glanzeinband der seidenen gestreift. Dessenungeachtet kann der gute Rektor seine Waden nur mit mitleidigem Achselzucken betrachten und vergleicht sie mit denen irgend eines Strandläufers. Den Linnéschen Namen desselben hat die faselnde Christiane, welche Referent abhörte, leider vergessen. Mögen diese Beinmuskelwölbungen aber auch noch so dürftig ausfallen, so bleibt doch noch hinreichender Raum für eine Gänsehaut auf ihnen, denn er friert mehr als erlaubt an den Füßen. Zum Glück hält der Wagen schon vor der Thür, die Kuhhaut, die ihn zum Henkersmahle schleifen soll, und ein Fußsack ist auf alle Fälle gut.

» Lasciate ogni speranza, voi ch'intrate!« seufzt Kühlwort, als er in den mit Blumenguirlanden dekorierten Saal des Hôtel de Louis Philippe, früher zur goldnen Birne genannt, eintritt. Es geht aber noch über Erwarten gut, denn alle Anwesenden sind hungrig, lassen sich nicht erst auf viele Redensarten ein, um so mehr, da die meisten ihre Gratulations-Kartuschen schon des Morgens verschossen haben und jetzt nur noch mit Blicken blind feuern. Alle sputen sich demnach, hinter die Suppenteller zu kommen.

Der Ehrengreis wird zwischen den Regierungs-Chef-Präsidenten Grafen von Stolpenberg und den Obersten und Regiments- Kommandeur Herrn von Mastaux eingeschachtelt, und verhehlt thätlich keinesweges, daß die Restauration ihm ebenso wenig, als wie den Franzosen die von 1814, genügt habe.

Kaum ist jedoch die rudis indigestaque moles des Rostbeefs erstürmt worden, kaum haben sich die Zähne des Jubilarii in einen hartnäckigen Kampf mit einem Pfeffergürkchen eingelassen, als der schräg gegenübersitzende Steuerrat Helfmayer durch häufiges Räuspern und Scharren mit den Füßen die Aufmerksamkeit auf die seinem Haupte entsprungene Pallas zu lenken sucht. Er eilt mit dem Akkouchement, um seinem Kinde das Recht der Primogenitur zu sichern, denn das scharfblickende Steuerauge hat mehrere Taschen verdächtigerweise bauschen sehen; und wie sonst schwangere Holländerinnen zu ihrer Entbindung nach Brügge reisten, um dem Kinde die Privilegien dieser Stadt zu sichern, so segelt die Finanzseele in den Meridian unseres Rektors. »Sei es mir vergönnt, Verehrungswürdigster, zu Ihrer und der Anwesenden Kenntnis ein dem heutigen feierlichen Tage gewidmetes Sonett zu bringen.« Ohne die Antwort abzuwarten, bricht der Sturm los:

»Verehrter Greis, zu dieses Festes Jubel
Sind Alles anzufahren wir erbötig.
Das feine Lob, das Preisen grob, vierschrötig,
Vermehre, wenn's Dir recht ist, heut'gen Trubel.

Wohl leuchtet Dein Verdienst gleich einem Rubel
Von Paul dem Ersten ausgeprägt, volllötig –
Wärst Du gestorben, wär' Dein Lob unnötig,
Doch da Du lebst, so gilt es quitte ou double.

Du scheele Schmähsucht packe Dich zum Henker
Und treibe dort Dein giftiges Gestänker:
Der Rektor Kühlwort ist so groß wie Lichtwer.

Was sag' ich, Lichtwer? Wie der weise Nathan.
Und wer's nicht glauben will, den hol' der Satan.
Hier schweige Jeder mäuschenstille. – Spricht wer? –«

Keine Seele wagt es, da der etwaige Leumund so energisch zu Boden gedonnert worden ist. Nur der Apostrophierte wagt einige ungewisse Worte des Lobes über die metrische Vollendung des, offenbar im heftigsten Kartätschenfeuer der Weihe empfangenen und gebornen Sonettes zu äußern. – »Bitte, bitte, Herr Rektor,« entgegnet der geschmeichelte Maischbottichbeschauer. »Sehen Sie, unser eins hat zwar immer den Kopf voll Zahlen und Kontrollen, aber das hindert einen nicht, seinen Vers zu machen. Dies Sonettchen mag nicht ganz übel sein – nun um so besser, wenn's nur gefallen hat,«

Jubelreferent hat wider seinen Willen das im Exordio abgelegte Gelübde, sich nicht mit fremden Federn schmücken zu wollen, verletzt – will es aber fortan um desto gewissenhafter halten; denn obgleich die Schar der poetischen Teufel, deren Namen Legio, jetzt in die Herde fährt und diese in das Wasser der eigenen Verse stürzt, so wird doch der Berichterstatter sich an die Schlußzeile des steuerkatastrischen Sonetts halten und den Vertrieb der poetischen Produktionen den eigenen Fabrikanten überlassen. Ebenso wenig kann man es dem Historiographen zumuten, die Debatten dieser langen Session zu referieren. Dies würde Schreibers und Lesers Kräfte übersteigen. Sei es genug, wenn er erwähnt, daß der Regierungs-Chef-Präsident Graf Stolpenberg sehr morne und steif dagesessen habe, und Kühlworts Nachbar zur Linken, der Oberst von Mastaux, wo möglich noch taciturner. Beide hohe Häupter leben nämlich seit dem letzten Thee dausant auf gespanntem Fuße, indem der Colonel Grünberger Wein auf demselben gereicht, ersterer hingegen gar keinen. Da es nun aber noch nicht entschieden ist, welchem der beiden Löwen sich die nachahmende high life in künftiger season anschließen werde, und bis diese Streitfrage zwischen York und Lancaster, Hüten und Mützen, Holland und Belgien, Drei- Männer-Weinern und Kein-Männer-Weinern gelöset – die Diplomaten arbeiten daran mit Eifer – so lange herrscht Kälte und Frost zwischen dem Linken und Rechten. Denn in den vornehmen Ständen wandelt sich das griechische Feuer des Zorns in den Eisklumpen der retenue um, obgleich dessenungeachtet solche Eisgänge häufig zu norwegischen Holmgängen oder Spaziergängen in das bois de Boulogne führen.

Gar zu gern holte der Rektor aus dem Bergwerkskuxe seiner Rocktasche das gediegene Gold der Götter- und Totengespräche hervor; kann er aber wohl die Freßscharen so gut wie des Morgens beurlauben? Um doch einigen Trost zu haben, läßt er die Hand in die Scylla des Taschenfutters tauchen, um den Becher einstweilen mit den Fingerspitzen zu berühren – er steckt aber im Morgenkleide, und zum erstenmale seit sechzig Jahren ist Kühlwort ohne das Amulett seines Luzians ausgegangen. Höchst fatal! –

Der Rehziemer wird abgelöst von der Torte. – Schon wieder eine? Ja Torten, Gedichte und Kränze nehmen bei unsern Festen kein Ende. –

Durch lautes Anschlagen an das Glas wirft sich der Präsident-Graf (so wie Olivarez unter Philipp III. der Minister-Graf genannt wurde) zum Sprecher des im Oberstübchen nicht mehr ganz richtigen Oberhauses auf.

»Meine Herren,« beginnt das Portefeuille in spe, »lassen Sie uns Alle mit aufrichtigem Herzen an diesem für jeden Tuckmäuser so heiligen Tage dem Erzfeind deutscher Einheit, dem verruchten Korsen-Parvenü eine Pereat bringen!« – Das Parlament gleicht den Gruppen der Adersbacher Felsen, und nur der Oberst erkühnt sich ein höchst sonores Räuspern aus seinem Brustkasten hervorzupumpen.

»Das heißt,« fährt der Präsident gewandt einlenkend fort, »wenn ich dem fränkischen Despoten den Tod wünsche – ein patriotischer Wunsch, welcher, dem Himmel sei es gedankt, ja schon vor mehr als einem Jahrzehnt in Erfüllung ging, – so verstehe ich darunter, daß unser allgemein verehrter Rektor Kühlwort hoch leben solle. Und abermals – und zum dritten Male!« Denn Toaste repetieren sich wie Schlagflüsse und Ediktalzitationen dreimal, eh' sie volle Kraft erlangen.

Da der Graf in den – χατ' εξοχην so genannten – verhängnisvollen Jahren von 1813-15 den Feldzug als Etappen-Kommandant mitmachte, und stets mit Entzücken dieses Silberblickes seines Lebens gedenkt, so wird man dem ewig Zerstreuten obigen Mißgriff wohl zu gute halten. Er ist übrigens ein höchst respektabler Staatsdiener. »Sei es mir ferner vergönnt,« fährt er fort, die allgemeine Anerkennung langjähriger Verdienste durch die unsers allergnädigsten

Landesherrn zu krönen.«

Er greift in die Rocktasche und zieht – jetzt wird es dem guten Kühlwort wirklich blau vor den Augen – einen blau couvertierten Brief hervor. »Hier lesen Sie selber, Herr Rektor, das allerhuldreichste Handschreiben unsers Großherzogs und Herrn.« –

So weit es das Flimmern vor den Augen gestattet, gehorcht der Jubilarius und dechiffriert:

»Wir genehmigen hiermit, daß dem zu fünfjähriger Zuchthausstrafe kondemnierten Sträfling Balthasar Fegebeutel die Hälfte seiner Strafzeit erlassen werde. Ambrosius XVII.«

Kühlwort beneidet in der Tiefe seines Herzens den überseligen Fegebeutel, muß aber doch die Kabinettsordre dem, auf vulkanische Eruptionen des Entzückens harrenden Präsidenten mit dem Bemerken: hier scheine ein kleiner Irrtum obzuwalten, zurückerstatten. Diesmal wird der Präsident-Graf nach flüchtigem Überblick wirklich rot – Abendröte der Beschämung auf Präsidentenwangen, welche seltene Verherrlichung dieses Tages! – Er macht aber seinen Mißgriff eiligst wieder gut und überreicht das Schreiben, vermöge dessen dem Jubilario der Orden des braunen Stieglitz dritter Klasse verliehen wird. Zugleich entfaltet er die Schwingen des am poncaufarbenen Schneuß zappelnden Vogels und heftet ihn höchsteigenhändig an die Brust des Greises. »Sie sehen, Trefflicher, wie der Staat Verdienste zu würdigen weiß!«

»Ach ja,« seufzt der Rektor mit satirischem Hinblick auf die Milchstraße der Präsidenten-Uniform, »es ist ganz erstaunlich. – Geduld! Geduld! auch dieser Tag muß ja doch einmal enden!« ächzt er heimlich. – Dies ist ein schöner Trost und ihm um so mehr zu gönnen, als ihn der neue Orden so schwer wie das Papierherz auf der Brust eines zu Arkebusierenden drückt und und auch alle Anwesenden scharf auf ihn zielen, wenigstens mit neidischen Blicken.

Kühlwort ist nun ebenso gut gekreuzigt, als die beiden Schächer zur Seite; da er aber keinen Joseph von Arimathia finden kann, welcher ihm das Kreuz abnehme, und auch nicht die mindeste Lust spürt, mit dem Schacher zur Rechten in dessen Paradiese zur Nacht zu speisen, so lehnt er die Einladung desselben höflich, aber bestimmt, ab.

»O, mein bester Herr Rektor, Entschuldigungen werden nicht angenommen. Sie müssen. Eine kleine Gesellschaft lauter geprüfter Freunde – ein Ehrentänzchen –«

»Dürfte nur zum Totentänzchen werden, Ew. Exzellenz. Ein alter Mann bedarf der Ruhe, und ich erliege schon unter der Last der auf mich gehäuften Ehrenbezeugungen.«

Wirkliches Mitleid fühlt der Berichterstatter mit dem Ärmsten, und so hüpft er, als könne er des Greises Leiden verkürzen, wenn er deren Aufzählung halbiert, flüchtig über die Knüppeldämme der Festgesänge, über die zu Völkerschlachten werdenden Umhalsungen hinweg, packt den Jubilar schnell in seine Karosse und den warmen Fußsack, erlaubt ihm den Orden mit leisem Schwur in die Hosentasche zu praktizieren und setzt ihn halbtot in seinem Museum ab.

Der Rest von Lebenskraft reicht Kühlworten gerade noch hin, um bei Christianen eine Tasse guten Thees zu bestellen, um in Schlafrock, Pantoffeln und Großvaterstuhl zu plumpen und seinem Schöpfer zu danken, daß all' dieses Elend nun überstanden sei und solch' ein Tag doch nimmer wiederkehren könne.

Um acht Uhr liegt er schon in den Federn und genießt der höchst bedürftigen Ruhe.

Mordspektakel, Fensterklirren, ein Erdbeben in Sebez erwecken ihn nach einer kleinen halben Stunde.

»Christiane! Christiane! Wo brennt es denn? Um Gottes willen! Es muß hier ganz in der Nähe sein.«

»I, lassen Sie sich doch nicht auslachen, Herr Rektor. Der Herr Obrister billigen Ihnen ja nur ein Ständchen mit der Regimentsmusik und Fackeln.«

Paganini's Variationen für die G-Saite sind von dem geschickten Kapellmeister auf die große Trommel gesetzt worden und werden jetzt abgedonnert; denn der Oberst, welcher die abgelehnte Einladung des Präsidenten vernommen, gedenkt den Jubilarius seinerseits nach Herzenslust zu honorieren.

»Nun, Herr Rektor, stehen Sie hurtig auf!« treibt die Haushälterin.

Der Schlaftrunkene murmelt einige Danksagungen, welche Referent nur durch Gedankenstriche anzudeuten wagt, ( ecce: – – – – – – – –) und dreht sich auf die andere Seite. »Christiane, sage Sie den Herren, ich läge im Bette und hätte zu transpirieren eingenommen. Ich ließe mich schönstens bedanken u.s.w. Mach' Sie's ordentlich.«

»Daß mich was bisse! Als ob ich nicht einen gescheuten Konkurs zu führen verstände! Unser eine ist nicht auf den Schnabel gefallen!« erwidert die Schaffnerin und reißt die Fensterflügel auf.

»Gnädigster Herr Obrister und alle Herren Hoboisten mit einander – Guten Abend auch, Herr Klempziger – eine schöne Empfehlung von meinem Herrn Rektor, und Sie schwitzten durch das dritte Unterbett, Und nun wär's gut und Sie könnten schönstens gehen!«

Endlich schließen Tag und Relation.


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