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Ich stelle mein lautes Klagelied der jetzigen Männer dem heimlichen Jean Pauls dreist zur Seite; ja, ich behaupte sogar meine Nänie klinge in weit mehr männlichen Herzen wieder, als die des seligen Richter, weil nicht nur Eheleute und Liebende, wie bei ihm, sondern das ganze männliche Geschlecht – Ausnahmen giebt's freilich wohl auch – von der Ägyptischen Plage, über welche ich meine lauten Beschwerden erheben will, heimgesucht und gemartert wird.
Ich rede nämlich von den Barbieren.
Zwei Fälle sind nur denkbar: entweder der Barbier kommt, oder er kommt nicht, und einer ist beinahe so schlimm wie der andere. Wir wollen jedoch bei dem minder preßhaften, beim zweiten, beginnen.
Der satanische Bartputzer erscheint also nicht zur gewohnten Stunde. Schon längst habe ich den Stiefelputzer und das Laufmädchen, den Cadre meines stehenden Heeres, ausrücken heißen, um den Vermißten einfangen und vor mein unbarbiertes Hauptquartier schleppen zu lassen. Ich habe meinem rechten Flügel, dem Invaliden, eine Seitenbewegung rechts, meinem linken, der Magd, eine links aufgetragen, um dergestalt den Feind zu tournieren und in die Flanken zu fallen. – Beide Flügel kehren, die Flügel hängen lassend, außer Atem und unverrichteter Sache zurück. Zwar haben sie meine strategische Disposition genau ausgeführt und das koupierte Terrain der Branntwein- und Bierhäuser auf das sorgsamste abpatrouilliert, ja, sie haben sogar das befestigte Lager des Erbfeindes, die Barbierstube, erstürmt, aber ohne ihn zu finden. Noch blutende, oder mit leichtem Schwamm-Tourniquet gestillte Wunden an mehreren Gesichtern zeugten von den heutigen Streifereien und der unermüdlichen Thätigkeit seiner Spahis; – »aber der Teufel möge seiner habhaft werden« – schließt die Relation.
Mit dieser ersten mißglückten Expedition kann ich mich jedoch unmöglich beruhigen. Fingerlang haben die Haare des Kinnes seit vorgestern aus den Wurzeln getrieben, und die Stunde der Session muß sogleich schlagen.
Ich schaffe deshalb meine beiden dienstbaren Geister in Spür- und Schweißhunde um, und setze sie noch einmal auf die Spur der frischen Blutstropfen, welche mein ritterliches Wild – so nenn! man in der Jägersprache das wilde Schwein, der Fänge oder Gewehre halber – seinen Kunden geschlagen, um es endlich zu stellen. – So wurden in früheren Zeiten in Schottland Übelthäter durch besonders dazu abgerichtete Hunde ( blood hound) aufgespürt, und Bruce täuschte nur mit Mühe, indem er einen Bach durchwatete, seinen scharfnäsigen Verfolger. – Ich richte sie ferner dahin ab, daß wer zuerst auf der richtigen Fährte anschlagen, oder das jagdbare Wild sehen würde, seinen Sekundanten mit lautem, jagdgerechtem Tajaut! herbeilocken solle, wo dann beide den schnellfüßigen Flüchtling packen und das Hallali! anstimmen könnten.
Nach einer in wahrhaft höllischen Erwartungsqualen verbrachten halben Stunde kehren meine beiden Barbierhetzer schweißbedeckt – welches hier nicht im Jägersinne zu nehmen ist – und mit lang heraushängender Zunge, aber zum zweitenmale ohne Beute, zurück. Der Spürhund will seit der Schlacht von Austerlitz nicht so gelaufen sein, die Schweißhündin aber seit dem letzten Reformationsballe nicht so große Ermattung verspürt haben.
Ich hatte mir heute Morgen vorgenommen, die lange aufgeschobene Defension eines Falschmünzers auszuarbeiten. Es hat sich auch anfänglich alles gut genug angelassen. Der Kaffee ist der Anzilla ausnahmsweise gut geraten, das zweite Vehikel aber zur leichten Entbindung meiner Gedanken, die Pfeife, hat den vortrefflichsten Zug. Ich bin in meiner Verteidigungs-Schrift schon so weit gekommen, daß ich erwiesen habe: das größte Vergehen des Inkulpaten sei gewesen, daß er besseres Geld, als der Landesherr gemünzt, ein delictum, welches nur durch die außerordentliche Strafe, durch eine Belohnung nämlich, zu ahnden sei – da schlägt die verhängnisvolle Stunde, wo der Barbier zu kommen pflegt, und das ganze Räderwerk meiner Rede gerät ins Stocken. Erst zerbreche ich mir den Kopf, wo der Scheerengel nur bleiben möge, warum er just heute nicht mit dem Glockenschlage komme. Ich gehe die Reihenfolge der Möglichkeiten, die das Außenbleiben des Bartmähers etwa beschönigen könnten, in Eile durch – dabei geht aber auch meine logische Gedankenfolge zum Henker. Alle in Anwendung kommenden Gesetzstellen sind von meiner Gedächtnistafel rein weggelöscht, und ich weiß nicht einmal mehr die zehn Gebote auswendig. Statt des Vergehens meines Falschmünzers, welches ich zu exkulpieren habe, und seiner Not, denke ich nur an die meinige näher liegende, und kann bloß die eigene Defension, die ich zu halten habe, wenn ich ohne die fremde, als 60jähriger Schweizer maskiert, in den Sessionssaal treten werde, und mich der Räte und meiner Kollegen Spott aussetze, im Geist ausarbeiten. Aber die Not erreicht ihren Gipfel, seitdem ich meine beiden Häscher ausgeschickt habe. Ich berechne nach der vorliegenden Uhr die Minutenzahl, die meine Haltfeste gebrauchen könnten, um den sattsam signalisierten und wohlbekannten Sträfling auf die Fersen zu kommen. Jeder Klingelzug an der Thür meines Wirtes, des Materialhändlers – und es ist heute des Markttages wegen ein wahres Sturmläuten – verursacht mir ein krampfhaftes Zusammenschrecken, denn in jedem sehe ich die Ankündigung des ersehnten Scheermessers. Aber nicht der Barbier, sondern nur die Sessionsstunde rückt näher. Ich kann keine Zeile mehr schreiben, renne wie toll in der Stube auf und ab, und gebe meiner Moralität durch das unchristliche Fluchen, mit dem ich mir Zeit und Zorn zu vertreiben suche, einen unheilbaren Stoß.
Ha! da winkt der hoffnungsgrüne Scheerbeutel aus der Ferne her. Ein ganzer Frühling blüht aus diesem Anblicke mir entgegen. Er ist's! Er nähert sich dem Hause! Habe Dank, gütige Vorsicht, für diesen Menschen! –
Tod und Teufel! Er schlüpft noch einmal ins Nachbarhaus! – Ruhig, ruhig, ungeduldiges Menschenherz, der Nachbar kann doch nicht ewig rasiert werden. – Ja, er ist expediert, der Bartkratzer wird mich gewahr und zieht, schon von der Straße auf grüßend, die rote burschikose Mütze, unter welcher er, nach abgelegtem Streichriemen, als studiosus medicinae zu figurieren beliebt – er tritt ins Haus – ich höre ihn schon auf der Treppe.
Wie aber empfange ich ihn?
Wenn ich die volle Schale des wohlverdienten, langgenährten Zorns über den Schlingel ausschütte, so riskiere ich, daß er mir patzig antworte, worauf ich ihn zur Thür hinauswerfen muß, und dann vollends unrasiert bleibe. Oder die Höllenbrut verbeißt einstweilen ihre Bosheit und versetzt mir heimtückischerweise eins mit dem Messer, so daß ich mit dickbepflastertem Gesicht in die Session gehen muß, vom Präsidenten für einen Raufer und Händelmacher angesehen werde, mich vor Damen mit einem so outrierten Schönpflästerchen vollends nicht sehen lassen kann, und mithin der heutige Ball für mich zum Teufel ist. – Zittern mir doch ohnehin vor Ärger dergestalt alle Glieder, daß ich dem Jungen einen mäßigen Schnitt fast zu gute halten muß. – Am besten ist's, ich bestrafe ihn durch vernichtende Geringschätzung, durch beißenden Spott. Es sei. –- Sardonisch oder vielmehr echt Mephistophelisch lächelnd, rede ich ihn an: Sie kommen ja heute recht früh, mein Lieber, außerordentlich früh! – »Daß ich nicht wüßte,« entgegnete die Bestie seelenvergnügt. »Nun ein andermal komm' ich später!« – O! es ist um rasend zu werden! –
Der Barbier ist also gekommen. Und nun beginnt die zweite Leidensstation der Männer, ihre zweite Kazikenprüfung, der zweite Akt dieses Klageliedes.
Tausendmal habe ich schon den vergeblichen Versuch gemacht, meinen Gesichts-Haar-Befreier dahin zu bringen, daß er erst das Messer abzöge, oder den Schaum schlüge, und nachher erst von mir verlangte, daß ich mich auf das Armesünderstühlchen setze, um meine Kehle seinem Henkersschwerte geduldig Preis zu geben. All' mein Reden war bisher in den Wind, denn ehe ich's mir versehe, hängt mir regelmäßig die Serviette am Halse, und ich habe das Gesicht voller Seifenschaum, und darf nicht einmal aufzublicken wagen, während mein Quälgeist mit größter Bequemlichkeit und Behaglichkeit seine Messer wählt, streicht und am ausgerissenen Haar prüft, oder wohlgemut im Schaumbecken, wie eine Ente am Teiche, plätschert. Dabei gehen mir immer ein halbes Dutzend Minuten gedankenlos zum Henker, und keine Seele hält mich dafür schadlos.
Jean Paul hat schon die Bemerkung gemacht, daß die geistreichsten Männer niemals einfältigere Gesichter schnitten, als während des Rasierens; ich füge hinzu, auch niemals demütigere, resigniertere. Die wildesten Trotz- und Starrköpfe darf der Barbier im eigentlichsten Wortverstande ungestraft an der Nase zupfen – sie werden eben so wenig Muck sagen, wie die unbändigsten Galeerensklaven, wenn ihnen, zur Deportation, der Eisenring, die Kravatte, um den Hals geschmiedet wird. Ich würde den Frauen raten, das Rasieren zu erlernen, um ihre Eheteufel dergestalt zahm und geduldig zu machen, wenn diese sich nur zum Stillsitzen hergäben. Aber sie werden sich wohl hüten.
Die Selbstschüsse des Hustens und Niesens suche ich zwar jederzeit, so viel wie thunlich, durch vorhergegangenes Schnauben und Räuspern auszuziehen und gefahrlos zu machen; wer aber steht mir dafür, daß ich nicht während der Erzählung einer neuerdings eingetroffenen tragischen Katastrophe – denn auch mein Barbier hat die Untugend, sich sein Geschäft durch das Referieren der Tages-Neuigkeiten zu versüßen, und wie die Biene den männlichen Blütenstaub in weibliche Blumenkelche, Novitäten von Haus zu Haus zu verpflanzen – wer steht mir dafür, frage ich, daß ich nicht bei Anhörung einer Mordgeschichte konvulsivisch zusammenfahre und, selbstmörderischerweise in die Schneide rennend, von vorne dekolliert werde, wie in Spanien Edelleute, welche ihren Gegner im Duell erlegten, zum ehrenvollen Unterschiede von Räubern und Mördern? Wer garantiert mir das? Der Barbierjunge am wenigsten. Der Unhold ist wohl noch gar erfreut, einen neuen Beitrag zu den Akten seiner chambre ardente, eine allerneueste Neuigkeit durch meinen unfreiwilligen Selbstmord erwischt zu haben, und trägt sie brühwarm zum Nachbar und in der Stadt herum. – Daß ich mir vor dem Einseifen alle und jede Relationen zu verbitten pflege, verfängt gewöhnlich eben so wenig, als das Schelten deshalb nach überstandener Gefahr. Mir bleibt in der Regel nichts übrig, als meine Ohren hermetisch mit Baumwolle zu versiegeln. Goldene Uhren, Ringe, Geldbeutel legt wohl ohnehin jeder verständige Mann, ehe er den Rotmäntler an sich kommen läßt, um keine verderbliche Lüsternheiten zu erregen, so gut wie bei starkem Gewitter ab. –
Der Barbier klemmt nun die Nase fest zwischen Daumen und Zeigefinger und fängt an, als Graveur seine Kupferplatte – mein Gesicht nämlich – mit dem Schabeeisen zu bearbeiten, indem er die Schattenpartieen, den Backenbart, schwarz läßt, und die Stellen, wohin das Licht fallen soll, glättet und lichtet. Die frisch keimenden Wurzelstöcke hingegen mäht er unbarmherzig nieder – aber nicht ihrem Verluste fließen die Thränen, die sich mit dem Schaum der Seife vermischen, sondern dem grimmigen Schmerze, den mir der stumpfe Rasier-Pallasch verursacht. Ist mein Würgengel bei mitleidiger Laune, so erweicht ihn wohl mitunter »das holde Naß meiner Augen«, und er greift zur schärferen Sense – meistens aber ignoriert er hartherzig meine kaum zurückzudrängenden Seufzer und säbelt frisch darauf los.
Zu dem Gefühle der physischen Leiden gesellt sich aber noch ein geistiges: die Angst nämlich, daß die mordlustige Hand des barbarischen Barbiers die kühnen Schwingungen, welche mein Backenbart vom Ohrzipfelchen zum Munde macht, nicht respektieren, sondern von Thatenlust hingerissen, auch dieses bataillon sacré über den Haufen werfen könne. Und stutzt er auf der rechten Seite auch nur um 1/128 Zoll zu viel, so geht die schöne Symmetrie der Laubengänge meines Bartes verloren. Bemerkt er diese Disharmonie, so sucht er sie zwar auf Kosten der linken Backe wieder herzustellen – und greift in der Angst abermals zu tief ein. Nur ein eben so starkes Abnehmen des rechten Backenbartes kann, seiner Meinung zufolge, das Gleichgewicht wieder herstellen. Und so stutzt er bald links rechts, nimmt bald diesseits, bald jenseits ab, wie der richtende Affe vom Käse, den er verteilen sollte, bis ich im Umsehen um meinen Backenbart, den Neid meiner Kollegen, an dem ich monatelang gezogen und meine Freude gehabt habe, gekommen bin.
Dies sind die Hauptpunkte – Millionen kleinerer nicht zu gedenken – der Anklage-Akte gegen die Barbiere. Vor welchem Richterstuhle sind sie aber anzubringen. Welches Polizeisystem ist kräftig genug, ihren täglich erneuerten stets straflos verübten Freveln, über welche ich und Millionen Männer mit mir erbärmlich klagen, zu steuern?
Nur wenige, streng orthodoxe Juden und die Glücklichen, welche sich selbst zu rasieren verstehen, brauchen nicht in meine Jeremiade mit einzustimmen. Wohl ihnen!