Ludwig Ganghofer
Der laufende Berg
Ludwig Ganghofer

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11

Auf der Straße begann das Leben des Morgens. Die Ochsengespanne zogen mit schwerem Schritt, die Leiterwagen rasselten, und die Leute gingen ihrer Arbeit nach. Der erst halb zerflossene Rauch der beiden Brandstätten lag wie ein Schleier über dem ganzen Tal, und der widerliche Geruch des verbrannten Mehls erfüllte die Luft. Das war kein Morgen, um die Menschen fröhlich zu stimmen. Dennoch gingen die Leute auf der Straße mit vergnügten Gesichtern aneinander vorüber. Jeder freute sich, daß das Unglück dieser Nacht an seinem Haus vorbeigeschritten war.

Von Purtscheller wurde wenig geredet, nur von Karlin und von der armen Bäckin. Der Toni würde den Stadel im Frühjahr wieder aufbauen und könnte den Schaden verschmerzen. Aber die Bäckin, die zur Bettlerin geworden? Dazu wäre sie so elend, daß man für ihre ›dicke‹ Gesundheit, vielleicht sogar ihr Leben fürchten müßte. Wenigstens hätte der Doktor, den Schorschl noch in der Nacht gerufen, ein bedenkliches Gesicht gemacht.

Der Hof der Daxen-Schmiede wurde nicht leer von Leuten, die aus Neugier oder Mitgefühl nach dem Befinden der Bäckin fragen wollten. Mit leisem Schwatzen standen sie um das Tor gedrängt, das Schorschl in der Nacht eingedrückt hatte, und lugten durch die Spalten der Bretter, um einen Blick in das Innere der Werkstätte zu erhaschen.

Vor dem Fenster, das gegen den Obstgarten der Schmiede ging, hatte sich Vroni einen Platz erobert; hier stand sie, spähte bald durch die halb erblindete Scheibe, bald wieder fuhr sie erschrocken zurück, als hätte sich in der Werkstätte ein schreckhaftes Ungeheuer dem Fenster genähert.

Der Morgen wurde heller und heller. »Jesses, na! Ich muß heim!« murmelte Vroni. Aber das ›Mitleid mit der Bäckin‹ war so stark in ihr, daß sie das Fenster nicht verlassen konnte. Die anderen Neugierigen verzogen sich, nur Vroni zögerte noch immer.

Hinter ihr im Garten klangen die Beilschläge der beiden Zimmerleute, die im Morgengrau begonnen hatten, die neuen Türen zu zimmern, die man in die Stubenwände der Daxen-Schmiede einsetzen mußte, um die Bäckenmahm aus der Werkstatt in einen wohnlicheren Aufenthalt bringen zu können. Vorne im Haus waren auch schon die Maurer bei der Arbeit, um die alten Türstöcke auszubrechen und die Lichtung in der Mauer zu erweitern.

Vroni hörte die Zimmerleute im Garten von dem ›Gfrett‹ reden, das der Daxen-Schorschl haben würde, um in dem der Gant zulaufenden Hause sich selbst, die Bäckin und dazu noch die Magd zu erhalten, die ihm zur Pflege der kranken Frau unentbehrlich war. »Man müßte ihm eigentlich a bißl beispringen«, meinte der Zimmermeister, »und schauen, daß ihm d' Leut wieder Arbeit zutragen.« Vroni atmete so erleichtert auf, als hätte man ihr selbst eine Wohltat versprochen. Freilich, mit dem ›Wildling‹ hatte sie ausgeredet, ein für allemal! Aber wenn die Leute dem Daxen-Schorschl auf die Beine halfen, das kam doch auch der armen Bäckin zugute. »Jetzt muß ich aber heim!« Seufzend über das ›harte Los der Bäckin‹, warf sie noch einen letzten Blick durch die trübe Scheibe und fuhr mit purpurrotem Gesicht zurück.

Schorschl war aus der Werkstätte getreten und ging zum Brunnen. In den Händen hielt er eine irdene Schüssel mit einer Wasserflasche und zwei Gläsern; ein paar nasse Handtücher hingen ihm über die Schulter. Er trug noch die von Brandlöchern durchsiebte Joppe; das Gesicht hatte er gewaschen; dabei hatte er freilich nur den Ruß und Mörtelstaub weggebracht, die roten Schrunden, die ihm die scharfkantigen Mauerbrocken in Stirne, Nase und Wangen gerissen hatten, waren geblieben; und auf der einen Seite des Kopfes hatten ihm die Feuerfunken das Haar bis auf die Haut versengt; das war anzusehen, als hätte der Daxen-Schorschl Türke werden wollen, sich aber mit halb rasiertem Kopf noch eines Besseren besonnen.

Beim Brunnen pumpte er so energisch, daß das Wasser mit dickem Strahl aus der Röhre schoß. Freilich, aufs ›pumpen‹ verstand sich Schorschl wie kein anderer. Dann begann er, die Handtücher auszuwaschen und die Gläser zu spülen. Er stellte sich durchaus nicht ungeschickt. Aber Vroni, die hinter der Hausecke hervorguckte, meinte doch, daß ihm diese Frauenzimmerarbeit nicht recht von der Hand ginge. Wär's ein anderer gewesen als der Daxen-Schorschl, sie wäre flink zum Brunnen gesprungen. Aber ›dem da‹ helfen? Nicht um die Welt!

Während Schorschl wusch und plätscherte, sah er einen Buben mit dem Schulränzl kommen und rief ihm zu: »Du, lauf zum Wirt ummi und sag, er soll mir an Zuber voll Eis ummischicken.«

»Ich kann net, ich muß in d' Schul.«

Schon wollte Schorschl dem Buben ein paar gesunde Grobheiten mit auf den Weg geben, als er hinter sich eine scheue Mädchenstimme fragen hörte: »Schorschl? Soll ich ummispringen zum Wirt?«

Der Daxen-Schorschl fuhr auf, als hätte der Blitz vor ihm eingeschlagen. Während er die Finger spreizte, von denen das Wasser niedertropfte, betrachtete er zuerst das Mädel von Kopf bis zu den Füßen, dann die Kratzwunden auf seiner Hand. »Was willst denn?«

Die Antwort klang nicht freundlich. »Ob ich net a bißl helfen muß, hab ich gmeint?«

»So, so?« Schorschl streifte mit schiefem Blick die blaue Schürze, die sich im kalten Morgenwind bewegte. »Helfen? Wie gestern vielleicht? Und mir willst helfen?«

»Na! Dir net! Der armen Bäckin aber gern!«

»Ich dank schön. Der Bäckin hilf ich selber. Pfüe Gott!« Mit diesem Gruß ließ Schorschl das Mädel stehen und sprang zum Wirtshaus hinüber, um das Eis zu holen.

Verblüfft und geärgert sah ihm Vroni nach. »Was kann denn dö arme Bäckin dafür, daß ihr so einer helfen muß!« Sie ging zum Brunnen, spülte das Geschirr, wusch die Handtücher, daß kein Fleck mehr an ihnen war, und trug die Sachen in die Schmiede. »O du mein lieber Herrgott!« stammelte sie, als sie bei dem Zwielicht, das die Morgenhelle und ein in der Esse flackerndes Holzfeuer in dem großen, rußgeschwärzten Raum verbreiteten, die schwer geprüfte Frau in den von Schorschl aus dem ganzen Haus zusammengeschleppten Decken und Kissen auf der Erde liegen sah; weil man ein für ihren Umfang passendes Gewand zum Austausch für die durchnäßten Kleider nicht hatte auftreiben können, hatte man die Bäckin in zwei zusammengeheftete Leintücher und in den weiten Wintermantel gehüllt, der noch von Schorschls Vater und Großvater stammte. Ein nasser Umschlag bedeckte das halbe Gesicht; kraftlos lagen die rund gepolsterten Hände auf der Decke und glühten von heißem Fieber.

»Schorschl?« lispelte die Kranke, als sie den Schritt auf der Schwelle hörte.

»Ich bin's, die Simmerauer-Vroni!«

»So? Wo is denn mein Schorscherl?«

»Ins Wirtshaus is er um a bißl Eis.«

»Kommt er bald wieder?«

»Ja, Bäckin!« Vroni hatte sich auf die Knie niedergelassen und streichelte die heißen Hände der Kranken. »Gleich wird er wieder da sein.«

Da atmete die Bäckenmahm auf. »Mein Schorscherl! Gott sei Dank, daß ich den noch hab! Und so viel ungut bin ich gwesen, wie er mich braucht hätt!« Sie hörte einen Schritt. »Kommt er schon?«

Es war die Magd, die eine Schale mit Fleischsuppe brachte.

Hätte die Bäckin eine lange Stunde das Lob des Daxen-Schorschl gesungen, es hätte bei Vroni nicht so tief gewirkt wie dieses erleichternde Aufatmen der Kranken und der dankbar zärtliche Klang dieses Namens: »Mein Schorscherl!«

Fürsorglich war Vroni der Magd behilflich, um der Kranken die Suppe einzuflößen. Dann erhob sie sich und versprach, bald wieder nachzuschauen, wie es der ›lieben Bäckin‹ ginge. Als sie in den Hof hinaustrat, kam Schorschl mit dem Eis. Sie nickte: »Pfüet dich Gott, Schorschl! D' Handtücher hab ich ausgwaschen.«

Er machte große Augen. Und während er kopfschüttelnd in die Schmiede trat, brummte er: »Pfüet dich Gott, Katzerl!«

Unwillig blieb Vroni stehen. »Katzerl! Allweil Katzerl! Ich möcht nur wissen, was er meint mit dem unsinnigen Gred!« Sie machte Miene, wieder umzukehren. Da sah sie, daß es durch die Lüfte weiß und gaukelnd herunterfiel. Erst waren es nur vereinzelte Flocken; doch in der Höhe verwandelten sich alle Wolken schon in wirbelnde Schleier. Mit warmer Freude dachte Vroni an die Ihrigen. »Gott sei Lob und Dank! Der Winter is da!« Sie begann zu laufen. Als sie an dem noch rauchenden Brandschutt des Bäckenhauses vorüberkam, fielen die Flocken schon in dichter Menge.

Straß auf und ab tönte das lustige Geschrei der Schulkinder, die ihre Ränzlein zu Boden warfen, um den ersten Schnee von den Bretterplanken zu streifen und die nassen Ballen mit sicher gezieltem Wurf hinter ein ahnungsloses Ohr zu pflanzen. Das kreischende Spiel setzte sich von der Straße in alle Gärten fort, sogar auf die Brandstätte, deren qualmende Ruine den Humor der Kinder nicht zu beeinträchtigen vermochte. Auch gab es hier ein wundersames Ereignis. Ein Junge, der im Garten der Bäckin den Schnee zu einem Ballen zusammenraffte, hatte einen Apfel gefunden. Das wäre für die Kinder nichts Neues und Erstaunliches gewesen. Aber der Apfel war gebraten! Freilich kalt, aber wunderschön gebraten, recht wie ein gebratener Apfel sein soll, auf der einen Seite weich, auf der anderen noch etwas fester, damit man Abwechslung im Genusse hat.

Zuerst betrachtete der Junge seinen merkwürdigen Fund mit verblüfften Augen; dann dachte er: ›Probieren geht über studieren‹, und grub die Zähne in den Apfel. Das schmeckte so gut, daß der Junge schmatzte vor Vergnügen. Er rief seine Schwester und ließ sie am Apfel beißen. Die anderen Kinder sammelten sich neidisch um das Paar, und plötzlich machte jenes Bürschl, das für den Daxen-Schorschl nicht zum Wirt hatte gehen wollen, weil es ›in die Schule mußte‹, die aufregende Entdeckung, daß die vom Feuer versengten Bäume im Garten der Bäckin noch voll von gebratenen Äpfeln hingen. Da gab es, während die Flocken tanzten, bis in die höchsten Äste hinauf ein Klettern um die Wette. Der Lehrer in der Schule konnte lang auf seine Schüler warten. Wie ein lärmender Spatzenschwarm hockte die Kinderschar im Gezweig, speiste die gebratenen Äpfel vom Baum und ergötzte sich an der wundersamen Schlaraffiade, in die sich das Unglück der Bäckin verwandelt hatte.

Man konnte das vergnügte Kreischen der Kinder bis hinüber zur Daxenschmiede hören. Weil die Flocken in die Werkstätte wirbelten, mußte Schorschl das Tor schließen und die Lücken der eingedrückten Bretter vernageln. Das wärmende Feuer in der Esse hatte er löschen müssen, weil der flackernde Schein in der Fieberphantasie der Kranken schreckende Bilder erzeugte. Jetzt war sie wieder bei Bewußtsein. Als Schorschl den Eisumschlag auf ihrer Stirn wechselte, tastete sie nach seiner Hand: »So viel Plag muß ich dir aufhalsen!«

»Macht nix, Mahmerl! Tu dich net aufregen! Schön langsam wird alles gehn. Und geht's net auf zwei Füß, so mach ich noch zwei dazu. Da geht's gschwinder.«

Die Bäckenmahm mußte lachen, und das brachte den Daxen-Schorschl noch lustiger ins Plaudern.

»Was d' heut in der Nacht verloren hast, Mahmerl, dös kann ich dir aus der Aschen nimmer aussikratzen! Viel is net dran an der irdischen Nichtigkeit. So predigt der Pfarr an jedem Sonntag. Und hin is hin, sagt der Teufel, wann die arme Seel in Himmel fahrt. Schlecht sollst es net haben bei mir! Die feinsten Bröckerln sollst kriegen! Und wann ich Zeit hab, fang ich dir die schönsten Forellen. Oft hab ich freilich net Zeit. Jetzt muß ich arbeiten. Wie drei Rösser! Aber Arbeit is gsund, sagen die faulen Leut zum Taglöhner. Und paß auf, Mahmerl: Jetzt will ich's bei der Arbeit grad so halten, wie's im Lumpenliedl heißt –« Mit den Fingern schnalzend, begann er lustig zu singen:

»Und a richtiger Loder,
Kreuzteufel juheh!
Der draht im Tag 's Unterste
Zwanzgmal in d' Höh!«

»Hör auf, Schorschl!« stöhnte die Bäckenmahm. »'s Lachen tut mir so viel weh!«

»Was? 's Lachen tut dir weh? Da wird's dir aber schlecht gehn bei mir! Da wirst lachen müssen den ganzen Tag! Paß auf, wie schnackerfidel dös zum anschauen is, wann ich dem Lüftigkeitsteufel in mir schön langsam die Stockzähn ausreiß, ein' nach'm andern! Und geben mir d' Leut im Dorf net Arbeit? Meintwegen! Sollen s' mich buckelkraxen tragen! In der Stadt drin weiß ich an Fabriksherrn. Der gibt mir Arbeit gnug, wann ich's gut und billig mach. Heut noch fahr ich in d' Stadt eini und bring auf'n Abend an Wagen voll Arbeit mit! Und für dich a Bettstattl, wo schön drin Platz hast, a zwieschläfrigs, weißt! Da bett ich dir auf, aber nobel! So is kein Christkindl noch net glegen!« Schorschl erhob sich vom Lager der unter Schmerzen lachenden Bäckenmahm, betrachtete sinnend das sauber gewaschene Handtuch und tat einen brunnentiefen Seufzer.

»Schorschl?« lispelte die Kranke. »Was hast denn?«

»Nix hab ich als an Kratzer auf der Hand. Der beißt mich.«

Zwei Stunden später, als der Schnee schon einen Schuh tief auf der Straße lag, fuhr der Daxen-Schorschl mit dem Wagen, den er sich vom Wirt gepumpt hatte, in die Stadt. Am Abend kehrte er zurück, mit hundert Mark Vorschuß in der Tasche und mit reichlich Arbeit für ein Vierteljahr. Quer über den Eisenstangen, die auf dem Wagen rasselten, schwankte die ›Zwieschläfrige‹, die er für die Bäckenmahm mitgebracht hatte.

Es war an der Zeit, daß die Kranke in ruhigen Aufenthalt kam. Die Befürchtung des Doktors, daß die Bäckenmahm den Schreck der Brandnacht mit einem Nervenfieber bezahlen müßte, hatte sich bewahrheitet. Ein Glück, daß auch der Maurer und die Zimmerleute tagsüber ihre Schuldigkeit getan hatten! Die neuen Türen waren fertig und hatten eine so geräumige Breite, daß Schorschl bei ihrem Anblick meinte: »Sakra! Da kann ich amal mit meiner ganzen Familli am Arm durchmarschieren!« Dieses Wort machte ihn nachdenklich. »Mit der Familli hapert's a bißl! Schier glaub ich, daß ich mit der Bäckenmahm z'frieden sein muß.«

Die Türen bekamen noch Doppelwände aus dickem Strohgeflecht, damit der Hammerlärm die Kranke nicht belästigen möchte. Und so konnte Schorschl mit dem Morgengrau des folgenden Tages die Arbeit beginnen. Vom ersten Licht bis zur sinkenden Dämmerung stand er am Amboß. Er hatte es nicht nötig, dem ›Lüftigkeitsteufel‹ einen Stockzahn auszureißen; dieser ›Teufel‹ erwies sich als so gutmütig wie ein dressierter Pudel; die zwingende Not und die Fülle der Arbeit legten ihn an eine dauerhafte Leine. Auch die Dorfleute brachten Arbeit in die Daxenschmiede. Schorschl hatte ›wie ein Roß‹ zu schaffen und mußte daran denken, sich nach einem Gesellen umzusehen. Trotz alledem waren seine Finanzsorgen nicht leichter geworden. Seine Kunden im Dorf sagten: »Schreib's auf d' Rechnung!« Und die hundert Mark Vorschuß waren für die Pflege der Kranken aufgegangen. Schorschl dachte ratlos an die kommenden Tage, und bei jedem Hammerschlag, der lustig durch das Dorf hinaustönte, redete eine drückende Sorge mit.

Eines Abends, als Schorschl verdrießlich seinen Kummer in das glühende Eisen hineinhämmerte, kam die Magd und sagte: »Bsuch is drüben bei der Mahm.«

Schorschl hämmerte weiter. »Wer denn?«

»D' Simmerauer-Vroni.«

Da schwiegen die Hammerschläge, und heiß fuhr es über das rußfleckige Gesicht des Schmiedes. »Hat dich 's Madl gschickt, daß d' mir's sagen sollst?«

»Ah na! Sie is bloß zur Bäckin kommen.«

»So, so?« Wütend drosch er auf das Eisen los. »Ich laß gute Unterhaltung wünschen!« Er hämmerte, daß die glühenden Funken bis in die äußersten Winkel der Werkstätte flogen. Nach einer Weile zog es ihn aber doch hinüber. Als er in die Krankenstube trat, sah er nur die Magd am Bett sitzen. »Wo is denn die ander?« fragte er enttäuscht.

»Ich weiß net, was 's Madl ghabt hat! Jetzt grad, wie drüben die Hammerschläg ausgsetzt haben, springt s' auf und rennt davon wie narrisch!«

Schorschl machte auf der Schwelle kehrt und stapfte wieder in die Werkstätte zurück.

Der folgende Tag war ein Sonntag. Vor Beginn des Hochamtes stand Schorschl, mit seinem besten Feiertagsstaat angetan, im verschneiten Kirchhof und musterte die Leute, die zur Messe kamen. Die Purtschellerin, die allein den Kirchhof betrat, redete ein paar freundliche Worte mit dem Schorschl. Dafür schien der Purtscheller-Toni, der eine Weile später in lustigem Geplauder mit Zäzil kam, den Schorschl für Luft anzusehen. Der Daxenschmied zuckte die Achseln und lachte. Dann wurde er unruhig. Der alte Simmerauer mit seinen Kindern und Enkeln hatte den Kirchhof betreten. »Grüß Gott!« sagte Schorschl, wobei seine Stimme so heiser klang, daß er sich räuspern mußte. »Jetzt heißt's Schnee stapfen! Gelt?«

»Ja!« Der Alte lächelte. »Jetzt haben wir a bißl Ruh, da droben.« Michel und Mathes reichten dem Daxen-Schorschl die Hand und fragten, wie es der Bäckin ginge. Vroni, welche die beiden Kinder führte, drehte das Gesicht auf die Seite und wanderte stumm vorüber.

»No also! Jetzt hab ich die Quittung drauf!« Dem Daxenschmied war die Lust vergangen, seiner Christenpflicht zu genügen. Er surrte nach Hause, und weil er die Sonntagsruhe durch Hammerschlag nicht stören durfte, stellte er sich mit der Feile an den Schraubstock.

Während der nächsten Tage war Schorschl in schrecklicher Laune. Die Bäckenmahm lag bewußtlos im Fieber, und dem Schmied wuchsen die Sorgen über den Kopf. Um alles herzuschaffen, was die Kranke brauchte, mußte er die Kreide reichlich in Anspruch nehmen. Sein ganzer Barbestand waren Vronis dreißig Pfennige, die er sorgsam eingewickelt in seinem Kleiderkasten versteckt hielt. Und da trat noch eines Morgens der alte Rufel mit dem Zwerchsack in die Schmiede. »Mar' und Josef!« stotterte Schorschl. »Jetzt kommt der auch noch!«

Rufel legte neben der Tür seinen Binkel nieder, zog die Schlappmütze und machte eine devote Verbeugung. »Erlauben Se gefälligst, Herr Dax, daß ich Ihnen untertänigst wünsch en recht guten Morgen!«

Schorschl trat den Blasbalg und schielte über die Schulter. »Was wollen S' denn?«

»Weil ich grad vorübergeh, hab ich bei Gelegenheit nachfragen wollen, ob der Herr Dax nix brauchen? Sagen wir, e bißl Eisen, oder en feinen Stahl, oder e Werkzeug? Oder sagen wir meintwegen auch e Geld?«

Schorschl riß Maul und Augen auf.

Schmunzelnd nahm Rufel die langen Flügel seines Rockes auseinander und setzte sich auf den Amboßblock. »Nu? So reden Se doch, Herr Dax! Wollen Se haben e Geld?«

Schorschl ließ den Blasbalg ruhen und kraute sich hinter den Ohren. »Geben S' mir denn eins?«

»Hätt ich sonst gefragt? Sagen Se mir, wie viel Se brauchen, und der Rufel wird Ihnen schaffen das Geld bis morgen. Ich weiß doch, Se brauchen Geld ins Geschäft und brauchen Geld für die kranke Frau, was Se haben im Haus. Gott soll Ihnen lohnen, was Se haben getan an der armen Bäckin! Aber nu reden Se doch emal! Wie viel brauchen Se? Durch vierzehn Tag hab ich gesehen, wie Se stehen bei der Arbeit von Früh bis Nacht. Ich kann Ihnen sagen, Herr Dax: alle Achtung! Ich hab wieder Vertrauen zu Ihnen, Se können haben vom alten Rufel, was Se wollen!«

»Rufel!« stammelte Schorschl. Mit beiden Fäusten packte er die dürre Hand. »Geh her, alter Jud! Dich hat mir unser Herrgott geschickt!«

Rufel krümmte sich vor Schmerz bei diesem Händedruck. »Waih geschrien! Lassen Se aus, Herr Dax!« Vorsichtig rieb er die gequetschte Hand. »Und machen Se mir nix solche Sprüch mit dem Herrgott! Mich hat nix geschickt der Ihrig, mich hat nix geschickt der meinig. Ich bin selber gekommen, weil ich weiß, beim Herrn Dax is e Geschäft zu machen! Aber nu sagen Se doch emal, wieviel Se brauchen!«

»Viel, Rufel!«

»Viel? Was heißt viel? Für en Menschen, der nix bezahlt, is e Mark viel Geld. Für en Mann, wie der Herr Dax, wo ich weiß, ich krieg mein Geld mit Zinsen wieder, sennen tausend Mark e Kleinigkeit! Wollen Se haben tausend? Ich geb's!«

»Meiner Seel, so viel wird's bald ausmachen!«

»Glauben Se, der Rufel kann nix rechnen?«

»Vierhundert brauch ich auf meine Schulden. An die hundert hab ich Gott sei Dank schon abzahlt.«

»Dreiezwanzig haben Se abgezahlt bei der Kramerin«, unterbrach ihn Rufel, »sechsedreißig beim Schneider, macht neunefunfzig, Sennen noch lang keine hundert. Nix übertreiben, Herr Dax! Ich bin schon zufrieden, daß Se haben abgezahlt neunefunfzig.«

Schorschl lachte zu dieser genauen Rechnung. »No ja, und zweihundert brauch ich auf d' Hand, daß ich d' Mahm ohne Sorgen über'n Winter bring und einkaufen kann, was ich in d' Werkstatt brauch! Dazu die vierhundert, die an Neujahr bei Ihnen fällig sind.«

»Die können Se lassen stehen. Und die anderen sechshundert sollen Se haben bis morgen. Se zahlen mir sieben Perzent. Fünfe muß ich selber geben, und verdienen möcht der Rufel auch e bißl was. Zeit will ich Ihnen lassen zwei volle Jahr. Geben Se mir die Hand, Herr Dax, und das Geschäft is gemacht.«

»Vergelts Gott, Rufel!« sagte Schorschl und drückte dem Alten die Hand, diesmal gelinder. »Da haben S' mir mit christlicher Nächstenlieb aus'm Wasser g'holfen.«

»Nächstenlieb!« Rufel schnitt eine Grimasse. »Lassen Se mich in Ruh mit so en großen Wort. Nächstenlieb is e schöne Sach, aber haben muß man was davon. Ich geb Ihnen das Geld, weil ich bei Ihnen verdien mit Sicherheit. Und daß wir das auch noch bereden: Ich will nix herumgehen im Dorf, Ihre Schulden bezahlen, sondern geb Ihnen das Geld auf die Hand. Ich weiß, Se werden machen glatte Ordnung. Und de Leut sollen nix herumtratschen, daß der Herr Dax is aufgekauft worden vom Juden.«

»Fragen werden d' Leut aber doch, wo 's Geld her is?«

»Sagen Se, daß Se gemacht haben en Treffer. Da kriegen de Leut Respekt. Und nu machen Se so fort, wie Se haben angefangen. In zwei Jahr können Se sagen, der Rufel hat's gesagt: ›Ihr Haus wird sein wie e schöner grüner Berg, was steigt in die Höh und nix lauft herunter, so, wie herunterlauft en anderes großes, schönes Haus im Dorf.‹ Aber ich will nix gesagt haben!« Rufel hob seinen Zwerchsack auf die Schulter.

»Den Purtscheller meinen S'?«

»Ich will nix gesagt haben. Aber stecken möcht ich nix in der Haut, in was steckt der vornehme, feine Herr Purtscheller! Unter uns gesagt: Helfen hab ich ihm wollen! Seiner guten Frau zulieb. Aber was sag ich Ihnen! Mit dem Schießgewehr is er auf mich losgegangen. Als wär der alte Rufel e Gamsbock. Nu? Jetzt hat er sich eingelassen mit einem, vor dem soll Gott ihn bewahren bis zu hundert Jahr! Und da legen se jetzt e Hypothek von achtzigtausend Mark auf den Hof! Achtzigtausend Mark! E schwer Geld, Herr Dax! Hat e Gewicht, daß es wird eindrücken an dem schönen Haus das Dach und alle Mauern!«

»Um Gotts willen«, stammelte Schorschl, »hat denn der Purtscheller sein' Verstand verloren?«

»Mein lieber Herr Dax! Man kann nix verlieren, was man sein Leben lang nix gehabt hat. Noch e Jahr, und dem feinen Herrn Purtscheller wird nix mehr viel übrig bleiben! Mich erbarmt nur de arme Frau!« Rufel rückte den Zwerchsack höher auf die Schulter. »Und nu bitt ich, erlauben Se gefälligst, Herr Dax, daß ich auf Ihrem Herd mir koch mein bißl Essen! Ich werd Ihren Herd schön sauber wieder fegen, damit Se nix haben e Grausen!«

»Aber Rufel!«

»Nu!« Ein schmerzliches Lächeln zuckte um den welken Mund des Alten. »Bin ich doch gewöhnt, zu rechnen mit solche christliche Sachen. Bleiben Se, bitt ich, Herr Dax! Ich will Se nix abhalten von der Arbeit. Das Holz trag ich mir selber, e Topf und e Fleisch und e Brot, alles hab ich bei mir. Nix brauch ich als wie e Schwefelhölzl; das hab ich selber im Sack. Bleiben Se, arbeiten Se fleißig und erlauben Se gefälligst, daß ich Ihnen wünsch en recht en schönen Tag!« Mit tiefem Bückling drückte sich Rufel zur Tür hinaus, die in den Hausflur führte.

Schorschl, aufatmend, streckte die nackten sehnigen Arme. Lachend faßte er den schweren Hammer, der das große Loch in die Mauer des brennenden Bäckerhauses gebrochen hatte, und versetzte mit übermütig spielender Kraft dem Amboß einen Streich, daß es hell wie ein Glockenton durch alle Mauern des Hauses klang und weit hinaus ins Dorf.

Am folgenden Morgen brachte Rufel das Geld. Nun konnte Schorschl die Runde bei seinen Gläubigern machen. Da gab es ein heiliges Staunen und ein wortreiches Glückwünschen. Rufel hatte am vergangenen Abend noch dafür gesorgt, daß die Nachricht vom Glück des Daxen-Schorschl, der ›gemacht hat e so en schönen Treffer‹, von Haus zu Haus wanderte. Das Gerücht fand seinen Weg auch in die Simmerau. Während Mutter Katherl dieses unverhoffte Glück auf Rechnung des ›lieben Herrgott‹ setzte, der den Daxen-Schorschl für die ›Guttat an der Bäckin‹ belohnen wollte, stammelte Vroni: »Mar' und Josef! Wann er dös viele Geld nur net verjucken tut!«

»Na, na! Wie magst denn so ungut denken? Es kann sich doch einer auch zum Bessern ändern!«

»Der net!«

Der Ton dieser Antwort schien dem Simmerauer nicht zu gefallen! »He! Du?« Bevor er weiterreden konnte, legte ihm Mathes die Hand auf den Arm: »Geh Vater, laß 's Madl in Ruh!«

Vroni hatte die Stube verlassen und war vor die Haustür getreten. Hof und Garten waren hoch verschneit. Der Schnee funkelte in der Sonne, und lautlose Winterstille lag über dem weißen Berggehäng. In diesem frostigen Schweigen tönte durch die klare Luft ein leiser, kaum noch vernehmbarer Hall aus dem Tal herauf: kling, kling, kling, kling. Das setzte immer aus und tönte nach einer Weile wieder: kling, kling, kling, kling. Mit finsterem Gesicht wandte Vroni sich in den Flur zurück und brummte: »So an Spitakel machen, daß man's bis da auffi hören muß!« Verdrossen ging sie an ihre Arbeit.

Still und einförmig verliefen in der Simmerau die Tage. Neuer Schnee fiel auf den alten und machte den Weg ins Dorf zu einer schweren Mühsal. Aber in dem kleinen Haus begrüßte man den Winter wie einen Erlöser. Der strenge Frost hatte den rinnenden Boden in starre Fesseln gelegt, das nagende Wasser in unbewegliches Eis verwandelt. Wohl war die Ruhe, die der Simmerauer mit den Seinen gefunden hatte, nur eine äußerliche; die Furcht vor dem Frühjahr legte sich am Abend mit ihnen schlafen und war mit ihnen am Morgen wieder auf den Beinen. Vorerst aber war doch Zeit gewonnen, und man konnte die mürb gewordenen Glieder rasten lassen. An dieser Ruhe hatte Vroni keinen Anteil. Sie erledigte mit einer mürrischen Beschäftigungswut alle Arbeit im Haus, so daß für Mathes nichts mehr zu schaffen blieb. Immer schwermütiger blickten seine stillen Augen. Eines Abends sagte er: »Schau, Vater, d' Arbeit bei uns hat an End. Ich kann dir doch net den ganzen Winter faul auf der Schüssel liegen.«

»Aber Mathes!« Michel legte seinem Buben die Hand aufs Knie. «Wo fünfe essen, ißt der sechste auch noch mit. Freilich därf ich dir's net wehren, daß dir was verdienst den Winter über. Schau, der Purtscheller hat 's Fallholz in seim Wald drüben verkauft. Da fangt man bald 's Arbeiten an. Wann an Holzknecht machen tätst? Da kriegst a nobles Geld. D' Liegerstatt und 's Essen hast bei mir. Da kannst ebbes sparen und bist daheim.«

»Ja, ja!« sagte Mathes zögernd.

»Oder hättst was anders in Aussicht?«

»Denkst nimmer an 's selbig Anbot, dös mir der Purtscheller gmacht hat? Und weißt doch selber, was d' Leut allweil reden. Ich mein', der Purtscheller kunnt mich brauchen.«

»So?« Dem Alten wollte die Stimme nicht recht gehorchen. »Freilich! Wie der Hungrige 's Brot, so kunnt er dich brauchen. Aber –«

»Was, Vater?«

»Wann er ein' hat, wie du einer bist, den wird er im Frühjahr nimmer auslassen.«

»Dös mach ich zur Bedingnis, daß er mich freigeben muß, wann mich der Vater braucht.«

Michels Sorge schien beschwichtigt. Eine Weile redeten sie noch weiter, dann erhob sich Mathes und verließ die Stube. Aufatmend trat er ins Freie. Über ihm funkelten die Sterne der klaren Winternacht, und in der Tiefe blitzten kleine Lichter, als läge ein See dort unten, in dessen Wasser sich die Sterne des Himmels spiegelten. Mit den Händen auf dem Rücken, stand Mathes im Schnee, so versunken in Gedanken, daß er den Schritt der Schwester nicht hörte.

»Mathes?« Ihre Stimme war rauh vor Aufregung. »Is dös wahr, was mir der Vater gsagt hat?«

Er nickte.

»Mathes! Hast dir's gut überlegt?«

»Ja. Ich denk mir, es kunnt ihr d' Sorg a bißl leichter machen, wann s' ein' hat, der bei der Arbeit einholt, was der Toni versäumt.«

»Mathes!«

»Red mir net ab! Ich muß.«

Das schien sie zu verstehen. Nach einer Weile fragte sie leis: »Tust dich der Gfahr net fürchten?«

»Gfahr?« Er schüttelte den Kopf, »'s Linerl hat den Toni gern. Was liegt an mir? Ich bin z'frieden, wann ich ihr a bißl helfen kann.«

Mit jäher Bewegung legte sie den Arm um seinen Hals, als möchte sie den Bruder vor den Schmerzen beschützen, denen er entgegenging. Er zog die Schwester an sich. Und weil er im Schweigen des Abends den verschwommenen Hall der Hammerschläge vernahm, die drunten im Dorf noch immer rastlos klangen, sagte er lächelnd: »Hörst ihn? Wie fleißig als er hammert bis in d' Nacht eini!«

»Geh!« murrte Vroni. »Tu mich du auch noch plagen!« Dann drückte sie das Gesicht an den Hals des Bruders.

Er streichelte ihr Haar. »Wann er bei der Arbeit festhalt, laßt er auch bei der Lieb net aus. Sei nur du gscheit! Und tu dir nix vergeben, eh dir net sagen kannst: Er is dich wert!« Mit beiden Händen nahm er ihren Kopf und sah ihr beim Sternschein in die Augen.

Wortlos stapften sie durch den Schnee, und als sie den Flur betreten hatten, stieß Mathes an der Haustür den Riegel vor.

 


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