Ludwig Ganghofer
Das Kasermanndl
Ludwig Ganghofer

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Mali sah ihn mit großen Augen an. »Ich hab gmeint, der Bauer hätt im Ernst gredt! Und Bauernwort hat doch allweil noch sein richtigs Gwicht, mein' ich!« Dem Roßmooser verschlug es die Rede; aber während er sich auf ein vernünftiges Wort besann, ging Mali schon zur Tür. »Ich richt mich zum Gang, Bauer!«

Als sie die Stube verlassen hatte, erhob sich hinter ihr ein wirrer Spektakel von schreienden Stimmen. Sie drückte die zitternden Hände über die Ohren, lief in die Küche, riß die weiße Schürze herunter, fuhr in die genagelten Schuhe, zog das warme Leibchen an und wickelte ein wollenes Tuch um Kopf und Schultern. So kehrte sie in die Stube zurück, in der es bei ihrem Eintritt plötzlich wieder still wurde. Die Spinnräder waren verlassen, die Mägde standen auf einem Knäuel beisammen, die Knechte hatten sich vom Tisch erhoben. Nur der Bauer saß noch auf seinem Platz. Sein kleines Räuscherl schien verflogen, denn seine Augen blickten ernst; aber die Röte auf seinem Gesicht war dunkler geworden.

»Ich bin fertig, Bauer!« sagte Mali. »Um ein Laterndl tät ich bitten.«

Der Bauer erhob sich; es schien ihm schwer in den Knien zu liegen. »Schau, Mali, die ganzen Gsindleut reden mir zu, ich soll dich nit gehn lassen.«

»Wohl wohl!« fiel der Chorus ein.

»Ich hätt das Wort nit sagen sollen, Es war ein Übermut. Aber gsagt is gsagt, und jetzt muß ich's einlösen. Was tät denn noch gelten in der Welt, wenn nit Bauernwort? Es müßt ja rein ausschauen, als ob's mich reuen tät wegen der Kuh. Grad recht gschieht mir, wann ich's hergeben muß. So wünsch ich halt nur das einzig, daß die schieche Sach gut ablauft. Für dich, Dirndl!« Seine Stimme schwankte. »Und daß dir kein Fahrnis nit an- kommt.«

»Ich tu mich nit fürchten, Bauer,« sagte Mali mit gezwungenem Lächeln, »der liebe Herrgott geht mit mir und die heilig Mutter Marie.«

»Ja, Dirndl, das is eine gute Gleitschaft. Aber weißt denn auch den Weg? Freilich, er is ja nit zum fehlen, führt ja vom Roßmoos der breite Holzweg auffi bis zum Kaser. 's Laterndl! Wo is denn 's Laterndl?« Der Hüterbub lief aus der Stube, um die Laterne zu holen. »Und hast denn auch ein gweihten Wachsstock? Nit? Hol eins den meinigen aus der Kammer! Der is doppelt gweiht, der brennt lichter.«

Der Wachsstock wurde gebracht, in der Laterne befestigt und angezündet.

»So, Dirndl! Und jetzt pack's halt an in Gottes Namen!« Der Bauer faßte Mali bei der Hand, führte sie zur Tür und besprengte sie mit Weihwasser. »Schau, das wird dir auch gut tun und wird sein' Kraft nit verleugnen! Jetzt komm halt, bist ein bravs Dirndl, ich weiß schon, warum du's tust. Und ich bin ein grauslicher Kerl.« Der Roßmooser war schier das Weinen nahe. Als er in den dunklen Flur trat, fuhr er sich schnell mit dem Ärmel über die Nase und flüsterte in Mali's Ohr: »Wirst sehen, es is gar keiner nit droben, kein Geist nit.«

Mali atmete auf und trat mit dem Bauer ins Freie. Wispernd und zischelnd drängten sich die Mägde und Knechte hinter den beiden her.

Still und dämmerig lag die Winternacht über den Bergen; kein Lufthauch rührte sich; in hellem Glanze funkelten die tausend Sterne.

Mali bekreuzte sich mit zitternder Hand und faßte ihren Bergstock, der neben der Steinbank noch an der Mauer lehnte.

»Jetzt geh ich halt! Gelobt sei Jesus Christus!«

»In Ewigkeit, Am'!« sagte der Bauer. Und die Knechte und Mägde sprachen es ihm nach.

Langsam, in der einen Hand den Bergstock, in der andern die schwankende Laterne, schritt Mali in die Nacht hinaus. Schweigend sah ihr der Bauer nach, während hinter ihm die Gesindleut erregt durcheinanderflüsterten.

Der Hüterbub zog vor Gruseln den Kopf zwischen die Schultern, daß die langen Ohren fast verschwanden. »Die kommt nimmer heim! 's Gnack dreht er ihr um, der selbige!«

»Ah na!« lispelte eine der Mägde. »Unser Herrgott wird das Dirndl nit verlassen.«

»Das is eine!« murmelte eine andere Stimme. »Die hat Hosen an!«

»Und Haar auf die Zähn!«

Unwillig drehte sich der Bauer um. »Daß mir keins nit spotten tut über die Mali! Wenn eins von euch was reden will, soll's sagen, es laßt das Dirndl nit allein gehen auf dem gfahrlichen Weg. Das wär eine Red, die ich gern hören tät!« Lautlose Stille folgte diesen Worten. »Gelt? Jetzt könnts den Schnabel wieder halten?«

Da kam der Obersenn von den Ställen her über den Hof. Er machte große Augen, als er die Leute vor der Haustür stehen sah. »Was gibt's denn?«

Als er hörte, was geschehen war, schlug er erschrocken die Hände über dem Kopf zusammen. »O du grundgütiger Heiland! Bauer, was hast denn da jetzt angstiftet?«

Der Roßmooser wußte keine Antwort.

Ein paar Mägde wollte sich davonschleichen. Aber der Senn vertrat ihnen den Weg. »Nix da! Heut geht keins nit schlafen! Alles bleibt in der Stuben und hilft den Rosenkranz beten.«

»Wohl wohl,« sagte der Bauer, »der Senn hat recht!«

Und nun ging's in die Stube. Rings um die Bänke knieten sie alle nieder, und der murmelnde Klang ihrer betenden Stimmen füllte den Raum.

Die Stimme des Roßmoosers hörte man aus allen andern heraus. Wenn er das Gesicht ein wenig hob, konnte er aus dem Fenster blicken. Dann sah er weit draußen im Schneefeld den zitternden Schein der Laterne . . .

Nun erlosch das Licht. Mali hatte den Wald betreten.

Auf dem breiten Almweg hatte sie ein gutes Gehen, denn der Schnee war niedergedrückt von den Kufen der Holzschlitten. Im Walde herrschte lautlose Stille; nur manchmal fiel ein Klumpen Schnee mit sachtem Klatsch durch das Gezweig. Die Laterne warf um Mali einen lichten Kreis, den ihr eigener gaukelnder Schatten schwarz durchbrach. Eine spärliche Helle fiel noch in den Wald, sodaß die nahen Baumstämme und Wurzelstöcke in mattem Licht aus dem Dunkel hervortraten, um gleich wieder unterzutauchen in der Finsternis.

Mali blickte nicht zur Rechten, nicht zur Linken; die Augen auf den Weg gesenkt, stieg sie gleichmäßigen Ganges empor über den steilen Waldhang. Jede furchtsame Regung, die in ihr aufsteigen wollte, unterdrückte sie durch den Gedanken an die Mutter, und dabei sprach sie mit flüsternder Stimme ein Vaterunser um das andere.


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