Ludwig Ganghofer
Edelweißkönig
Ludwig Ganghofer

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8

Langsam bewegte sich der Almzug des Finkenbauern durch das Dorf. Das Blöken und Brüllen der Tiere und das Läuten der Glocken rief an allen Häusern die Leute zu den Fenstern und vor die Türen.

Emmerenz und Dori schwangen unermüdlich ihre langen Stecken hinter den trägen, neugierigen Kühen, die vor jedem Grasfleck sich verhielten, vor jedem klaffenden Hund mit glotzenden Augen stehenblieben. Aber während Dori mit lustigem Geschrei hinter den Tieren her war, behielt Emmerenz ihr verdrossenes Gesicht. Als man hinauskam auf die taunassen, in der frühen Sonne glitzernden Wiesen und die Herde immer größere Neigung zum Wandern in die Breite zeigte, steigerte sich Enzis Unmut zu schluchzendem Ingrimm. Während sie unter Keifen und Schelten hin und her lief, schossen ihre Augen zornige Blitze über den waldigen Hang empor zu einem kleinen schimmernden Hüttendach, das in halber Berghöhe aus lichtgrünen Lärchen winkte.

Als der Zug den Frühschatten der ersten Bäume erreichte, fing Dori ein Jodeln und Jauchzen an, daß es hallte im steilen, rauschenden Wald. Bevor der Weg am Höllbachgraben vorüberführte, verstummte Dori plötzlich und murmelte: »Jesses na! Der Höllbachgraben! Und der Bauer! Und ich kann schreien wie a Jochgeier.«

»Wann du's nur einsiehst«, brummte die Emmerenz, »is mir auch schon zuwider, dös ewige Gekrachz.«

»No, no, no!« Dori schnitt eine Grimasse. »Was hast denn schon wieder für an Hamur! A driedoppelt gsäuerter Essighafen is gegen deiner a vierfach übersüßte Zuckerbüchsen.«

Eine Stunde mochte der Waldmarsch gedauert haben, als über den Höllbachgraben her ein kläffender Laut sich vernehmen ließ. Da überflog der Bub mit einem lustig zwinkernden Blick die Gestalt der Sennerin und stupfte sie mit seinem Stecken in die Schattenseite: »Du, mir scheint, der Jager is heroben in seiner Hütten!«

»Meinetwegen! Was geht denn mich dös an! Laß mir mei' Ruh, du!« murrte das Mädel und schoß einen wütenden Blick nach dem Burschen.

»Ja, dös muß sein Hundl gwesen sein! Und schau, zwischen die Bäum geht der Rauch von seiner Hütten auf. No, morgen wird er schon zusprechen bei uns droben auf der Alm.«

»Glaub kaum!« Es war ein etwas gedrosselter Ton in der Stimme, mit der die Sennerin diese zwei Worte vor sich hinstieß.

Des langen und breiten begann Dori das Lob des Jägers zu singen. Enzi gab keine Antwort. Und schließlich meinte der Bub. »Mit dir is heut an unguts Diskieren!«

»Wann du's nur amal merkst!«

Als man zur Stelle kam, wo der Weg unweit unter der ›hohen Platte‹ aus der Nähe des Höllbachgrabens seitwärts hinweglenkte gegen die nicht mehr allzu weit entlegene Almlichtung, faßte Dori die Emmerenz beim Arm. »Du, schau, der Bauer!« flüsterte er und deutete nach dem von Gestrüpp überwucherten Hang, über welchen Jörg hinaufstieg, in der Richtung nach der ›hohen Platte‹.

»No ja, er wird halt droben a Vaterunser beten.«

»Weswegen hat er denn an dem Platzl, wo's Unglück gschehen is, noch allweil kein Marterl aufrichten lassen? Dös ghört sich doch!«

»Was weiß denn ich! Und was geht's denn uns an, wann der Bauer net tut, was der Brauch is?«

Dori runzelte die Stirn und guckte dem Bauern nach, der zwischen hohen Büschen verschwand.

Als Jörg sich aus den wirren Stauden auf den freien, von Felsklötzen übersäten Hang gewunden hatte, verhielt er aufatmend den Schritt, stellte die Kraxe nieder und löste die Arme aus den Tragbändern. So stand er lang und lauschte nach dem Weg hinunter, bis das Läuten, Blöken und Brüllen der almwärts ziehenden Schafe und Rinder fern und gedämpft einherklang durch das dichte Gehölz. Nun schlich der Bauer geduckten Leibes am Rand des Gebüsches entlang. Vor dem steilen Absturz lauschte und lugte er wieder – diesmal über die Schlucht hinüber der Richtung zu, in der die Jägerhütte stand. Er las drei faustgroße Steine von der Erde und steckte sie in die Joppentasche. Vorsichtig stieg er über den Schluchtrand auf einen Vorsprung hinunter, der sich wie ein bandartiges Gesims an der jäh abfallenden Wand entlangzog. Steinschrunden, Felsecken und kümmernde Gesträuche boten für seine Hände den nötigen Halt, während er langsam dem Gesims folgte. Wo es höher an den Schluchtrand stieg, ging Jörg gebückt, als fürchte er die Blicke irgendeines Menschen, den Absicht oder Zufall in die Nähe des Höllbaches geführt hätte. Achtsam setzte er Fuß vor Fuß, und dennoch dämpfte das Rauschen, das aus der Tiefe quoll, kaum das Geräusch seiner Tritte. Der Firnschnee, der unter Föhn und Sonne zur Frühjahrszeit die brausenden Gewässer durch die Höllbachschlünde ins Tal geschickt hatte, war längst zerschmolzen bis auf wenige, schmutziggraue Felder, und seit Wochen war kein starker Regen mehr gefallen. Der Höllbach nährte sich nur noch aus den spärlich rinnenden Quellen, die mit Triefen und Rieseln über die steil abfallenden Wände ihren Weg suchten. Wenn Jörg auf seinem gefährlichen Pfade das Rinnsal solch einer Quelle passierte, wurde er übersprüht von dünnen Tropfen und weißlichem Wasserstaub. Endlich hielt er an. Während er den linken Arm zu besserem Halt in eine Felsschrunde preßte, holte er mit der rechten Hand einen der drei Steine aus der Tasche und ließ ihn niederfallen in den Abgrund. Hin und wider prallend von Wand zu Wand, verschwand der Stein zwischen den ineinandergreifenden Felsgefügen, die den Blick in die Tiefe sperrten; ein Poltern und Kollern folgte, das mit einem dumpfen Klatschen erlosch. Im gleichen Augenblick warf Jörg den zweiten Stein. Dann stand er lauschend und rührte wie zählend die Lippen, bevor er den dritten Stein in den Abgrund fallen ließ. Wieder folgte jenes Poltern und Klatschen. Kaum daß es verhallt war, schwirrte aus der Tiefe ein klirrender Laut empor. Das klang, als wäre dort unten ein eiserner Stachel kräftig wider einen Stein gestoßen worden. Jörg nickte, als hätte er diesen Laut zu hören erwartet, und wandte sich zur Umkehr. Wenige Schritte nur hatte er getan, als ein Geräusch ihn niederblicken machte in die Tiefe. Unter den überhängenden Felsen kam ein weißer Vogel von Taubengröße hervorgeflattert, setzte sich auf einen von blaßgelben Algen überwachsenen Steinvorsprung, reckte schlagend die Schwingen und ließ sich mit krächzender Stimme vernehmen: »Echi, do, do, a do Echi, Echi!«

»Ja, gehst net!« flüsterte Jörg und suchte den Vogel zu verscheuchen. Der rührte sich nicht vom Fleck; hurtig wandte er den Hals hin und her, lugte bald mit dem einen, bald mit dem anderen seiner kleinen schillernden Augen zu Jörg herauf und plapperte: »Do, Göchi, do, a do, gedegg, gedegg.«

Geärgert bohrte Jörg einen Steinsplitter aus einer morschen Stelle der Felswand und schleuderte ihn mit scheuchendem Zischen nach dem Vogel. Der hüpfte erschrocken auf und ließ dabei seine Stimme vernehmen, daß es halb wie zorniges Gackern, halb wie Gelächter klang. Dann breitete er die weißen Schwingen, schwebte in kreisendem Fall der Felsplatte zu und verschwand in der Tiefe.

Eine Weile noch lauschte Jörg wie in ängstlicher Besorgnis. Nun trat er den Rückweg an. Als er den Platz erreichte, auf dem seine Kraxe stand, löste er die Verschnürung, zog einen schweren, mit grobem Tuch umwickelten Pack hervor und schlich mit ihm einer dichten Stelle des Gebüsches zu. Hier hob er von der Erde mit schwerer Mühe eine Felsplatte empor, unter der eine kleine Höhlung zum Vorschein kam. In diese legte er den Pack und deckte die Platte wieder darüber. Er kehrte zu seiner Kraxe zurück, lud sie auf seine Schultern und folgte mit hastigen Schritten dem Weg, auf dem das Brüllen und Läuten der Herde längst verklungen war.

Nach einem halbstündigen Marsch erreichte er die Almlichtung. Die ermüdeten Rinder lagerten im Grase rings um die Hütte, in der schon ein lustiges Feuer auf dem offenen Herde flackerte. Die brennenden Wacholderzweige erfüllten den kühlen Raum mit einem schweren, schwülen Duft: der treibt die unfreundlichen ›Schneewichtln‹ aus allen Klumsen und Ecken und ist von kräftiger Wirkung wider allen ›unguten Zauber‹. So hatte Dori von Veverl erfahren und hatte, ihrer Anordnung gemäß das Sprüchl murmelnd, das sie ihn gelehrt, die geisterbannenden Zweige kreuzweise in das Feuer gelegt. Enzi brummte über die ›dalkete Gschicht‹, als ihr der scharfe Qualm die Tränen aus den Augen beizte. Dori aber versöhnte sie wieder, indem er ihr nach Kräften bei der Einrichtung der Hütte an die Hand ging. Auch Jörg half mit, soweit es die anderen zuließen. »Auf der Alm ghört der Bauer aufs Bankl«, meinte Dori, »und därf sich mit nix anders net plagen, als daß er d' Füß ausstreckt.«

Zu Mittag kochte die Emmerenz eine Pfanne voll Schmarren, daß sich daran sechs Holzknechte hätten sättigen können; weil aber Dori nicht nur für den Hüterbuben, auch noch für drei hungrige Drescher aß, blieb in der Pfanne kein Bröselchen zurück.

»Schau, Bub, es is dir ja vergunnt«, versicherte Emmerenz, »aber ich kann's net fassen, wie man soviel in sich einiwürgen mag.«

»O mein«, erwiderte Dori mit tiefem Seufzer, »mir is 's Gmüt so schwer, und da muß der Magen a bißl Gleichgwicht geben.«

Jörg lächelte. »Hast schon recht! Iß nur zu und laß dir's schmecken, solang dir's schmeckt! Die Zeit, wo eim jeder Löffelvoll zwider is, kommt von selber. Und alleweil flinker, als eim lieb is!« Er stopfte die Pfeife, klappte den silbernen Deckel zu, setzte sich vor der Hütte in die Sonne und ließ den Blick in die Runde schweifen.

Die Emmerenz hatte recht, wenn sie die Brünndlalm ein ›liebes Platzl‹ nannte. Rings um die Hütte der weitgedehnte, mit saftigem Gras bewachsene Hang, so steinfrei fast wie eine Wiese im Tal. Zur Rechten und Linken der rauschende, dunkle Bergwald mit den schlanken, regsamen Wipfeln. Wo er in der Tiefe endete, griff er mit Zacken und Bogen hinunter in den mächtigen grünen Kessel, in dem das Dorf gebettet lag mit seinen funkelnden, rauchenden Dächern, mit der weiß blinkenden Straße und dem blitzenden Bach. Der schlängelte sich leuchtend durch das Talgeländ und verlor sich im welligen Meer der bewaldeten Vorberge, um als breiter Strom im flachen Lande wieder zu erscheinen, das sich hinausdehnte in unabsehbare Ferne. Wie weit war das! Und dennoch nicht zu weit für den blauen, wolkenumlagerten Bogen der luftigen Brücke, die der Himmel aus jener Ferne einherspannte zu den steilen Felsenspitzen, zu den grauen Schrofen und schneegelockten Firnhäuptern, die still herunterblickten auf das flache, steinbelegte Dach der Brünndlhütte. Von den steinigen Hängen klangen die Schellen der Schafe, rings um die Hütte die Glockenstimmen der weidenden Rinder. Durch den Bergwald schickte der Höllbach sein dumpfes Rauschen herüber. Dazu das Murmeln und Plaudern, mit dem das ›Brünndl‹, das der Alm den Namen gegeben, aus moosbehangener Röhre seinen kristallenen Strahl in den langgestreckten Trog ergoß.

Bei Einbruch der Dämmerung erst erhob sich Jörg, um den Heimweg anzutreten. Mit freundlichen Worten und guten Wünschen verabschiedete er sich von der Sennerin und dem Hüterbuben, nahm die leere Kraxe auf den Rücken und ging davon.

Am nächsten Morgen langte Jörg mit schwerbeladener Kraxe zu Hause an. Die Leute im Finkenhof glaubten, daß der Bauer bei grauendem Tag die Alm verlassen hätte – und droben die Emmerenz meinte, der Bauer könnte wohl noch vor der ›ärgsten Finsternis‹ den Finkenhof erreicht haben.

In rastloser Arbeit verbrachte Enzi den Tag, während Dori droben im Gestein bei seinen Schafen hockte. Als der Abend kam, zündete die Sennerin auf dem Herd ein Feuer an und schüttete Mehl zum Schmarren in die Pfanne. Da hörte sie Schritte. »Dori?« rief sie. Keine Antwort. Die Schritte kamen näher. Jetzt erkannte sie diesen festen, raschen Gang. Das Blut schoß ihr in die Wangen.

Gidi erschien unter der Tür. »Grüß Gott, Sennerin! Is's verlaubt, daß man zukehrt?«

»Warum denn net? 's Bankl is leer. Und is gmacht zum Rasten.«

Gidi lehnte die Büchse an die Holzwand. »Weg'm Rasten hätt ich mich grad net daher verirren müssen. Der Sitzfleck hat a geduldige Haut. Niederhocken kann man sich überall.«

»So? Weswegen bist denn nacher da?« lautete die bissige Antwort.

Der Jäger setzte sich auf die Bank. »Ich hab mir denkt, a jeder Handel, der angredt worden is und hat sich verfahren, muß ausgredt werden auch wieder. Was wir zwei mitanand haben, därf net verlaufen wie's Hornberger Schießen.«

»Was wir zwei mitanand haben?« Emmerenz rührte, daß der eiserne Löffel heftig in der Pfanne schepperte. »Was haben denn wir zwei mitanand?«

Gidi hakte die Daumen in die Hosenträger ein. »Heut is grad aber Jahr, daß wir zwei uns zum erstenmal gsehen haben.«

»Jesses, hast du a guts Gmirk!« fuhr Enzi mit gezwungenem Lachen auf.

»Grad a Jahr!« Gidi schmunzelte. »Du! Selbigsmal hab ich fein gschaut, wie ich so eini bin in dein Hüttl und hab dich so dastehn sehen. Ja! Gleich hast mir gfallen.«

Wie der Blitz drehte Enzi das dunkelrote Gesicht dem Jäger zu. »Gelt, du! Föppeln laß ich mich net. Ich sag dir's!«

»Föppeln? Ah na! Bloß a bißl verzählen will ich.«

»An söllene Gschichten hab ich kei' Freud!« brummte das Mädel und machte sich wieder mit der Pfanne zu schaffen. »Meinst aber, es muß sein, meintwegen! Aber mach's net wie's Alte Testament, dös anfangt mit der Erschaffung der Welt!«

»Wär net amal zwider, so an Anfang! Grad wie der Adam hab ich selbigsmal gmeint, der Herrgott hätt mir mei' Eva gschickt. So hast mir gfallen! Und herzogen hat's mich Tag für Tag. Und gar net zwider is dir's gwesen! Wann ich abigstiegen bin übers Gwänd und hab mich angmeldet mit eim Juhschrei, hast mir zugjodelt grad sakrisch!«

»Ah geh?« fuhr Enzi mit spitzigem Kichern auf.

»Grad sakrisch! Und da hab ich bald merken müssen, daß d' mir gut bist.«

»Ich? Dir? Und gut?« Enzi stieß ein Holzscheit in die Kohlen, daß eine knisternde Funkengarbe aufsprühte. »Ah, ah! Jetzt dös is mir ebbes Neus!«

»Mir kannst es glauben. A richtiger Jager schaut gnau auf d' Fährten, vor er sagt: Der Hirsch is im Bogen. Und schön is er drin gwesen! Den Hirsch, hab ich mir denkt, kann ich grad abstechen, wann's an der Zeit is! Und schau, wer weiß, vielleicht kunnten wir schon lang mitanand hausen, wann mich der leidige Zufall net grad im dümmsten Stündl zu deiner Hütten gführt hätt. Was für a Stündl gmeint is, wirst ja wissen?«

»Ob ich's weiß?« murrte Enzi in galligem Zorn. »Daß dich net schamst und selber davon reden kannst! A bißl schenieren stünd dir besser!«

»Wie man die Sach halt anschaut! Bei der Scheniererei is allweil an Unterschied. Vorm Sündenfall hat sich der Adam auch net scheniert. Erst hinterm Feigenblatt hat er's glernt. Und selbigsmal in der Fruh – ich hab ja net wissen können, daß dich grad umschläfen tust zum Abtragen.«

»So? Und dös hast wohl net ghört, wie ich grad aussibrüllt hab vor Schreck und wie ich gweint hab und bettelt?«

»Ja, dös is wahr! Was wahr is, muß ich sagen!« bestätigte Gidi. Ein lachender Glanz blitzte in seinen Augen, und herzliche Wärme war im Klang seiner Stimme. »Aber wie so dagstanden bist vor mir, so sauber gwaschen, mit die frisch kampelten Haar und im bluhweißen Hemmed – und wie dich so einidruckt hast ins Winkerl und hast dich ganz zammgwuzelt vor lauter Gschamigkeit, schau, da hast mir schon soviel gfallen! Und daß wir zammghören, hab ich mir schon allweil denkt. No ja, und da hab ich halt zupackt und hab dir a Bußl auffidrucken müssen aufs Göschl – da hat nix gholfen – weißt, wann er muß, der Mensch, da muß er halt.«

»Du ausgschamter Kerl du! Heut noch, wenn ich dran denk, möcht ich einisinken in Grund und Boden!« Enzi preßte den Arm vor die Augen, zitternd am ganzen Leib. »Freilich, jetzt kannst reden, wie's dir taugt. Weil dich täuscht hast in mir! Hast gmeint, ich bin so eine, wo man grad zupacken braucht?«

»Enzi!« Wie scharf dieser Name klang! Gidi war aufgesprungen. Eine Weile stand er schweigend, dann schüttelte er den Kopf, und seine Stimme war wieder so ruhig wie zuvor. Nur seine Augen lachten nimmer. »Geh, Madl, du bist ja grad wie a Hendl, dös an d' Nacht glaubt, weil's d' Augen zudruckt. Was hätt ich denn selbigsmal sagen sollen? Bist mir ja gleich einigfahren ins Gsicht mit alle zehn Klupperln. Vier Wochen hab ich die blutigen Kreller umanand tragen. No, dös hat mich ehnder noch gfreut! Ich bin schon so. Ich steck kein Edelweiß auf'n Hut, dös auf'm Lahner wachst, wo sich jeder Kühbub drum bucken kann. Händ und Knie muß ich verschunden haben im Gschröf, nacher freut mich's Blüml. Und wie allweil schiecher worden bist gegen mich, da hab ich mir denkt: Tu dich net hetzen, 's wird sich schon setzen, gern hat's dich ja doch! Oft hab ich reden wollen wie heut. Und allweil bist mir übern Schnabel gfahren mit eim von deine unguten Sprüch. So bist von der Alm abzogen. Im Winter und Fruhjahr hast dich gstellt gegen mich wie an Igel, mit gwetzte Borsten, net zum Angreifen. Aber die richtige Lieb hat eiserne Zangerln. Hast mich so abbrüht mit einer von deine spöttische Reden, so hab ich mich beutelt wie der Pudel und hab mir gsagt: Wart's ab, jetzt hat sich d' Lieb verdraht, wird sich umdrahn auch wieder. Im Fruhjahr, hab ich mir denkt, wann mein junger Graf zum Hahnfalz kommt, nacher frag ich, ob's ihm recht is. Und da wird sich's richtige Stündl schon finden, wo alles zum gleichen is. Mein Graf is ausblieben. Dafür is der letzte Sonntag kommen.«

Gidi verstummte. Schweigend sah er das Mädel an, das mit verschränkten Armen vor dem Herde stand und für nichts anderes Augen zu haben schien als für die Pfanne über dem Feuer.

»Schau, Enzi, ich hab a guts Auskommen. Es reicht für zwei. Für mehr auch noch! Aber 's Hausen muß man verstehen, und es muß noch ebbes dabei sein, was aushalt für Leben und Sterben. Hab allweil gmeint, es wachst sich so ebbes noch aus bei dir. Aber der letzte Sonntag hat mir d' Augen aufgmacht. Na, Enzi! Dös is nix, dös bißl Gernhaben, dös hinter deim Trutzen stecken mag! Dös is z'wenig für achthundert Mark im Jahr, wo d' Lieb jeden Pfennig strecken muß. Und mehr is net da bei dir! Sonst hättst mich net am letzten Sonntag vor alle Leut verhonackeln können bis in d' Seel eini! Und sagen: An mir mußt Schand und Spott erleben! Schau, Enzi, da hab ich merken müssen, was ich dir wert bin. Der Liebszwirn muß ausreichen fürs Leben. Bloß für a Knopfloch? Dös is z'wenig. Arg gnug is mir's. Aber ich würg's schon abi mit der Zeit. Und dir liegt nix dran! – Oder?«

»Was fragst denn?« knirschte das Mädel, ohne den Blick vom Feuer zu heben. »Wann du's eh schon weißt!«

»Ja, ja!« nickte Gidi. »Und schlecht mußt net denken von mir wegen dem, was am Sonntag gschehen is. Ich bin keiner, der Streit und Händel sucht. Wann einer 's Liebste verliert, da wird er halt wild, der Mensch. Was hätt ich denn machen sollen? A Madl! Hab ich halt den andern packt – auf übertragene Rechnung.« Der Jäger lachte. »Jetzt hat er mich verklagt beim Gericht. Wegen Körperverletzung. Da sperren s' mich halt ein a paar Tag oder strafen mich um dreißg oder vierzg Markln. Muß ich mir halt denken: Dös sind die Kurkosten für die einbilderische Krankheit, von der mich am Sonntag kuriert hast. Und eigentlich bin ich noch ganz billig –« Gidi verstummte und zog die Nase schnuppernd in die Höhe. »Enzi, dein Schmarren brennt an!«

Das Mädel maulte: »Du mußt ihn ja net essen, es is ja mein Schmarren, der anbrennt!« Dennoch griff sie flink nach dem Pfannenstiel, schüttelte und rüttelte und begann mit dem eisernen Löffel ein Kratzen, Stochern und Schaufeln, daß es klapperte. Dabei entstieg der Pfanne eine dicke Dampfwolke, die den ganzen Hüttenraum mit brenzligem Schmalzgeruch erfüllte.

Gidi fuhr mit der Hand nach dem Hals, als wäre ihm plötzlich der Hemdkragen zu eng geworden. »No also! Jetzt haben wir ausgredt in aller Ordnung! Ich weiß, wie ich dran bin. Und du hast von heut an dei' Ruh vor mir. Tätst mich grad amal brauchen – man weiß net, was auf der Alm passieren kann – so weißt ja, wo 's Jagerhäusl steht. Da mußt mich halt holen.«

»Du, gelt, laß dich 's Warten net verdrießen!« klang es mit spöttischem Auflachen vom Herd herüber.

Gidi zuckte die Achseln. »Man kann net wissen! Pfüet dich Gott!« Er rückte den Hut, warf die Büchse hinter die Schulter und verließ die Hütte.

Erblassend drehte Emmerenz das Gesicht zur Tür. »Gidi?«

Dem Ohr des Jägers war dieser Laut nicht entgangen. Wie ein Wetterleuchten der Freude flog es über sein Gesicht. Doch er kehrte nicht um. »Bub, sei gscheit!« murmelte er durch die Zähne, krampfte die Faust um den Lauf der Büchse und machte noch längere Schritte.

Emmerenz hörte diese klirrenden Schuhschläge verhallen. Unbeweglich stand sie und guckte immer die Tür an.

Schwächer und schwächer wurde das Zischen in der Pfanne. Das Feuer drohte zu erlöschen. In dieser Stille blickte das Mädel auf wie eine Erwachende, sprang zum Herd, stöberte mit einem Holzscheit in den verglimmenden Kohlen und begann mit dem Löffel ein emsiges Rühren in der Pfanne.

Dori stolperte über die Schwelle. Schon bei der Tür hob er die Nase. »Emmerenz! Da bremselt ebbes! Um Gotts Willen, es wird doch 's Essen net anbrennt sein?« Er beugte das Gesicht über die Pfanne. »Na, du! Den Schmarren kannst allein essen! Der schaut aus, als ob ihn der Schmied in die Händ ghabt hätt!«

Enzi blieb stumm. Mit dem Ellbogen schob sie den Burschen beiseite und hob die Pfanne vom Herd.

Da sah ihr Dori verblüfft ins Gesicht. »Sennerin? Was is denn? Hast gweint?«

»Was net gar! Du Lalle, du dummer! Zwiefel hab ich gschnitten zum Schmarren.«

»Ui jegerl! Der gute Zwiefel! Is schad drum!« jammerte Dori, schlich einer hölzernen Truhe zu und holte einen mächtigen Brotlaib heraus.

Enzi nahm einen Zinnlöffel, setzte sich auf die Bank und begann aus der Pfanne zu essen. Sooft sie den Löffel in den Mund schob, zog sie die Lippen von den Zähnen zurück. Während sie kaute, lud sie ein um das andere Mal den Dori zum Mittagessen ein.

Der schüttelte beharrlich den Kopf. »Ah na! Ich muß net von allem haben, ich bin net so gnäschig. Was der Tuifi mit seim Schwanzquastl umgrührt hat, dös taugt mir net in mein' Magen eini!« Zwischen seinen Zähnen krachte das harte Brot. »Dös mußt schon selber ausspeisen, was dir da einkocht hast.«

Für die Emmerenz war es ein unliebsames Wörtl, das der Zufall aus dem Dori herausgeredet hatte.

Tag um Tag verging. Der Duft der Wacholderzweige, die der Dori am Abend nach der Auffahrt in das Herdfeuer gelegt hatte, schien ohne Wirkung gewesen zu sein. Ein böser Geist trieb auf der Brünndlalm sein Unwesen. Nicht nur in der Hütte. Gleich in der ersten Woche hatte sich zu Enzis Kummer eine der beiden Ziegen, die der Bauer nachgeschickt, verstiegen oder erstürzt, und trotz des eifrigsten Suchens war nicht Haar noch Knochen von dem Tier zu finden. Dann waren in kurzer Zeit von Doris kleiner Herde zwei Lämmer verschwunden; sie mußten während der Nacht von den Muttertieren weggestohlen worden sein. Das waren Dinge, wie sie auf jeder Alm geschehen können. Dori hätte darüber kaum seine gute Laune verloren, wenn ihm nicht ein anderer Umstand schwer zu Gemüt gegangen wäre. Lange vor der Auffahrt hatte Enzi dem Burschen versprochen, ihm für diesen Sommer das Geschäft des Abtragens zu überlassen. Als aber am ersten Samstag die mit Käslaiben und Butterballen beladene Kraxe bereitstand und Dori sich zum Abtragen anschickte, erschien der Finkenbauer in der Brünndlhütte. Der sprach von Blutstockungen, die sich bei ihm seit einiger Zeit verspüren ließen. Weil es dafür kein besseres Mittel gäbe als ermüdende Bewegung, hätte er sich entschlossen, in diesem Sommer den wöchentlichen Almgewinn auf den eigenen Schultern ins Tal zu fördern.

Von nun an erschien der Bauer pünktlich an jedem Samstag in der Brünndlhütte, um sich bei Beginn der Dämmerung mit der schwer beladenen Kraxe auf den Weg zu machen. So war die stille Hoffnung zerstört, die Dori beim Abschied von Veverl auf diese Samstage gesetzt hatte. Sein einziger Trost war jetzt der Jäger, der doch manchmal ins Tal hinunterkam und erfuhr, was da drunten los war. Sooft der Bub im Bergwald oder auf den steinigen Hängen mit Gidi zusammentraf, fand er mit Fragen nach Veverls Befinden kein Ende – Fragen, die er an den Bauern nicht zu stellen wagte. Als ihn der Jäger einmal wegen dieser ›gspaßigen Neugier‹ mit scherzenden Worten aufzog, sagte Dori unter hilflosem Lächeln: »Ich hab mich soviel an dös Madl gwöhnt. Mir is z'mut wie eim Hundl, dös sein' Herrn verloren hat. Is schon wahr! Oft bin ich wie a Gstorbner, dem d' Seel aus'm Leib aussigfallen is. Und gar nimmer hungern tut mich, alleweil dürsten. Dös is hart zum Aushalten.«

Geschickt verstand es Gidi, bei solchen Zusammenkünften die Rede auf Emmerenz zu bringen.

»Ich weiß net, was mit der Sennerin is!« erzählte Dori eines Tages. »Ganz zammgehn tut s'! Wie a saurer Apfel im Ofenröhrl. Und wie s' allweil dreinschaut! A wilde Katz hat liebe Guckerln dagegen. Und so viel nervios is dös Madl. Wann mir a Juchezer auskommt, dös kann s' gar nimmer vertragen. Aber nie hör ich an ungute Red von ihr. So a sanfts Handerl hat s' kriegt! Meine Ohrwascheln haben heilige Zeiten jetzt. Ich sag dir's, Jager, bei der Enzi kocht sich a Krankheit aus, a schwere Krankheit!«

Wenn Gidi solche Worte hörte, glitt ein leises Schmunzeln um seinen Mund, obwohl er doch sonst immer mit einem Gesicht umherging, dem das Lachen eine fremde Sache geworden schien. Schwere Sorgen mußten ihn drücken. Tag und Nacht war er auf den Füßen. Und zu Dutzend Malen hörte Dori von ihm die Frage: »Hast niemand net troffen?« Immer war ein Kopfschütteln die einzige Antwort, die der Bub geben konnte. Und da grollte einmal der Jäger mit erregten Worten: »Ich weiß nimmer, was dös is! Allbot find ich Trittspuren, und nie triff ich an Menschen. Oft, wann ich in der Fruh an a Platzl komm, wo ich am Abend gwesen bin, is in der Nacht wer drübergangen. Von dene Fährten führt keine ins Tal! Und diemal hören s' auf, wie wann der Kerl verschwunden wär in der Luft.«

Dori bekam erweiterte Augen. »Gidi, da is ebbes net sauber. Daheroben is 's richtige Platzl für so was! Weißt ja, was gschehen is da in der Näh, wo allweil noch kein Marterl steht.« Dabei winkte er mit dem Kinn hinüber gegen den Höllbachgraben.

»Ah was, Dummheiten!« fuhr Gidi ärgerlich auf. Und von diesem Tag an unterließ er es, zu Dori von den Sorgen zu sprechen, die jene rätselhaften Trittspuren ihm bereiteten.


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