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Am Morgen des Gründonnerstages – es war noch grau, und eben schürte im Waldhof die Hausmagd auf dem offenen Küchenherd das Feuer an – kam von der Haustür her ein Schritt, so schwer, daß alles Gerät im Flur zu zittern begann.
Hanspeter trat auf die Küchenschwelle. Sein gebeugter Körper füllte den ganzen Rahmen der Türe. »Hausmagd, tätst mir an Rinken Brot geben, ja?«
Im ersten Augenblick war die Magd so erschrocken, daß sie sich fast bekreuzt hätte. Seine Stimme hatte sie nicht erkannt. Die war ganz anders wie sonst. Und im Zwielicht des frühen Morgens sah er schwarzgrau aus, das häßlich entstellte Gesicht und den ungefügen Körper überzuckt von den grellen Lichtern der Herdflamme. Nach dem ersten Schreck fing die Magd zu lachen an. »Was willst? An Rinken Brot?«
»Den mußt mir geben, ja!« Hanspeter kicherte, hoch und dünn. »Um der Lieb willen mußt ihn hergeben. D' Lieb is aussikommen. Jetzt haben sie's, d' Leut!«
»Geh, du Narr! Machst schon wieder deine heiligen Sprüchln her!« Sie schnitt vom Brotlaib eine Scheibe herunter, noch dicker als das Brett, aus welchem Hanspeter den Sessel für Herrn Felician herausgehobelt hatte.
»Soll dir's d' Lieb vergelten!« Hanspeter schob das Brot in die Joppentasche. »Und sagst dem Waldhofer, daß ich net heimkomm bis auf'n Abend.«
»Bleibst den ganzen Tag in der Kirch?«
»Na na! Jetzt hab ich mei' Zuversicht in die Füß. Auf Enzdorf schau ich ummi, und auf Mitterwang, und auf Hirschbichl eini!« Seine Augen brannten. »Wann keiner net is, der helfen mag, so mußt dich selber a bißl rühren! Pfüet dich, Madl! Laß dich d' Lieb net verdrießen, d' Lieb is aussikommen.« Er wandte sich. Und alles zitterte wieder, als er mit seinen schwerklappernden Tritten davonging.
Die Magd sah ihm lachend nach, in der einen Hand noch den Brotlaib, in der anderen das Messer. »Heut durft ihm der Nachtwächter net begegnen!« Als sie das Messer fortlegen wollte, sah sie an der Klinge ein Brotschnipfelchen hängen und nahm es mit der Zunge weg. Doch erschrocken spie sie den Bissen wieder aus. Bevor sie schluckte, hatte sie sich noch erinnert, daß sie nüchtern bleiben mußte. Und weil auch der Hanspeter einer der Ledigen war, die heute ihren heiligen Tag hatten, fuhr der Magd noch die Sorge durch den Kopf: »Er wird doch 's Brot net essen! So unchristlich wird er ja doch net sein!«
Nun war's mit dem Suppenkochen schnell getan. Nur der Waldhofer bekam sein Frühstück. Alle andern im Hause mußten warten, bis sie von der Kirche kamen.
Während der Bürgermeister vor seinem einsamen Teller saß, erschien das ganze Hausgesinde, eins nach dem andern, und jedes bot ihm scheu die Hand hin mit den Worten: »Unser Heiland hat leiden müssen und hat verziehen. Tuts mir halt auch verzeihen, Bauer!«
»No ja, meintwegen!« sagte der Waldhofer zu jedem. »Unser Heiland hat 's Exempli geben, müssen wir's nachmachen. Tu dich halt bessern, gelt!« Dann fragte er: »Wo bleibt denn der Hanspeter?« Aber die Magd war schon aus der Stube, und die anderen Gesindleute wußten nichts von ihm. Da lachte der Waldhofer. »Dem hätt ich gern a Wörtl ins Gwissen gredt, daß er sich a wengl verstandsamer anlaßt. Und grad der bleibt aus.«
Als die Heimleut gingen, trat Roman in die Stube, mit übernächtigem Gesicht. »Tu mir verzeihen, Vater!«
»Hast mir nix tan!« sagte der Alte, den Sohn freundlich betrachtend. »A bißl narret bist halt gwesen, die letzten Tag her. Aber jetzt weißt ja, wie dran bist. Jetzt kannst wieder amal an anders Gsicht hermachen.«
»Freilich, ja! Jetzt weiß ich, wie ich dran bin!« Aber Romans Gesicht wurde nicht anders.
Schmunzelnd fragte der Waldhofer: »Hast dei' Julerl schon um Verzeihung beten?«
Es war eine merkwürdige Lustigkeit, mit welcher Roman am Vater hinauf sah – wie Humor, der beißen möchte. »Dös braucht's net. Die tragt mir nix nach.« Sogar lachen konnte er. »Soviel gut is die.«
»Ja, Bub, die hat a Gmüt wie a Weihbrunnkesserl.«
»Na, Vater, lieber net!« Roman war plötzlich ernst geworden. »A Weihbrunnkessel laßt sich's gfallen, daß viel Händ einigreifen! So ebbes tät mir net taugen bei einer, die man heiraten muß.« Er ging zur Türe.
Draußen auf der Straße lüftete Roman die Joppe wie einer, der aus der Nähe eines Backofens entronnen ist. Mit langen Schritten eilte er der Kirche zu. Von allen Andächtigen, die heute kommen sollten, war er der erste. Lange stand er schon auf der Emporkirche an seinem Platz, als die Glocken zu läuten begannen. Flimmernde Sonnenbänder schlangen sich durch den stillen Raum; sie heiterten nur wenig die ernste Stimmung der Kirche auf, deren Seitenaltäre für den Karfreitag schon mit schwarzen Tüchern ausgeschlagen waren. Nur der Hauptaltar, den Jungfrauen und Jünglingen zu Ehren, zeigte noch die Farben der christlichen Freude. Aber alle Fahnen und Kreuze waren schon mit schwarzem Flor umhüllt, die Postamente der Heiligen mit Bahrtüchern behangen. Und wie die Stimmung der Kirche, so die Haltung der Andächtigen. Nicht die Unruh und das Gewisper wie sonst. Mit gesenkten Augen traten sie in die Kirche, und keines guckte nach dem andern. Nur das fromme Julerl machte eine Ausnahme und warf einen spähenden Blick zur Emporkirche hinauf.
Herr Felician las eine stille Messe. Nach der Wandlung nahm er den Mahlkelch aus dem Tabernakel, segnete ihn, umhüllte den Goldfuß mit weißem Spitzentüchlein, hob eine Hostie hervor und ging zu dem Holzgeländer, das den Hauptaltar vom Schiff der Kirche trennte und mit dem weißen Speistuch überdeckt war.
In stiller Reihe traten die Jungfrauen aus ihren Bänken. Immer vierzehn konnten am Geländer knien. Sie schoben die Hände unter das weiße Tuch und hoben es hinauf ans Kinn. Manch ein bleiches Gesicht, manch ein heiß gerötetes Antlitz, zerflossener Glanz in den scheuen und frommen Augen – so knieten sie. Und Herr Felician, die Worte des Segens murmelnd, ging von einer zur anderen und reichte den Leib des Herrn.
Nun kam er zu einer. Und da zögerte seine Hand mit der Hostie. Doch ohne sich zu regen, geduldig, in unschuldsvoller Andacht, blickte Julei an ihm hinauf und wartete mit dem gestreckten Zünglein. Herr Felician reichte ihr die heilige Speise, wandte sich ab und reinigte die Finger.
Als das Geländer leer geworden, stand Herr Felician, eine Hostie in der Hand, und über die ganze Kirche blickte er nach dem hintersten Winkel. Zwei leere Plätze sah er. Und ein Ausdruck ratloser Kümmernis trauerte in seinem runden Faltengesicht.
Die Jünglinge kamen zum Mahl. Das machte sich minder still als der Zug der Jungfrauen. Die genagelten Schuhe klapperten auf den Steinfliesen der Kirche.
Julerl stand in ihrem Betstuhl, die Wangen rosig, ein wenig lächelnd. Mit kaum merklichem Seitenblick musterte sie die klappernde Reihe, die an ihr vorüberschritt. Und einer kam; an ihm blieben ihre Blicke haften, ihm folgten sie zum Geländer, ein bißchen ängstlich fast. Und sie atmete auf, als Herr Felician dem Mickei die Hostie reichte.
Nun kam die Reihe zurück. Und jetzt war es ein anderer, den der süße Blick ihrer frommen Taubenaugen suchte. Doch Roman ging vorüber, ohne das Gesicht zu heben.
Nach der Messe, als Herr Felician mit dem Weihwedel durch die Kirche geschritten war, trat Julei als die erste aus dem Betstuhl und machte flinke Schritte. Vor dem Kirchtor stellte sie sich auf, in der lachenden Sonne, die mit wahrer Frühlingsfreude auf diese geläuterte Unschuld herabzuleuchten schien.
Als Roman zwischen anderen Burschen aus der Kirche trat, streckte Julei ihrem Verlobten die Hand hin und flüsterte: »Tust mir verzeihen, Schatzl?«
Er sah sie an. »Unser Heiland hat 's Exempli geben, müssen wir's halt nachmachen.«
Seite an Seite schritten sie durch den Friedhof. Da hörte Roman hinter sich die Stimme des Mickei, der es beim Kirchtor für seine Kameraden ausrief wie ein Losungswort: »Habts es gmerkt, Buben? Der Häuslschusterin die ihrig is ausblieben. Habts es gmerkt?«
Es zuckte dem jungen Waldhofer durch die Fäuste, und er machte eine Bewegung, als wollte er sich umdrehen. Aber Julerl zog ihn am Joppenärmel mit sich fort. Bis zum Friedhofgitter brachte sie ihn. Da befreite Roman seinen Arm und sagte mit erwürgter Stimme: »Für d' Mutter möcht ich a Vaterunser beten.«
Julei seufzte; doch ohne ein Wort zu reden, begleitete sie ihn zum Grab der Waldhoferin. Die Hände ineinandergeklammert, stand Roman vor dem grün gewordenen Hügel, mit einem Blick, der hinunterzuschreien schien in die stille Erde: »Mutter, rat mir!«
Hinter den beiden ging Herr Felician vorüber, mit dem Brevier in der Hand.
Nach einer Weile zupfte Julerl schüchtern an Romans Joppe: »Darfst den Herrn Pfarr net warten lassen!«
Mit langsamer Hand strich sich der junge Waldhofer über den entblößten Kopf. »Von da drunt, da redt halt keins nimmer auffi. Müssen wir halt gehn.«
Sie kamen zum Pfarrhof. Auf dem Pflasterkreuz vor der Haustür knixte Julerl ein wenig mit dem Fuß; sie hatte feine ›Zeugstieferln‹ mit dünnen Sohlen an, und die Steine waren rauh.
Im Hausflur wurde das Paar von Jungfer Kathrin mit so erfreutem Schmunzeln empfangen, als wäre das Glück mit einem großen Henkelkorb in den Pfarrhof getreten.
Auch Herr Felician, der in seiner Stube schon wartend am Schreibtisch saß, auf dem Talar noch ein paar verstreute Semmelbröselchen vom hastig eingenommenen Frühstück – auch Herr Felician grüßte wohlwollend. Und gleich begann er: »Also, mein junges christliches Brautpaar!« In kurzer Rede, die er nicht zum ersten Male hielt, setzte er den beiden auseinander, wie eine heilige, wahrhaft gute Ehe beschaffen sein müßte, und welche Herzenswerte die Brautleute in die Ehe mitzubringen hätten, um für ein langes Leben ihr sicheres Glück zu begründen. »Daß euch diese schönen Eigenschaften des Herzens nicht fehlen, daran ist wohl nicht zu zweifeln? Gelt?«
Roman stand wie ein Klotz, aber Julerl schüttelte unter rosigem Schmunzeln den hübschen Kopf.
»Ja, ja!« Herr Felician nickte zufrieden. »Aber ich muß auch wissen, ob es euch nicht an dem christlichen Handwerkszeug gebricht, wie es ein guter Hausvater und eine gute Hausfrau nötig haben. Und da muß ich ein paar Fragen an euch stellen. Also, mein lieber Romanus Waldhofer! Jetzt sag mir einmal den ›Glauben an Gott‹!«
Das war eine Frage, die jedes Kind hätte beantworten können. Roman blieb dreimal stecken, und den ›Ponzipilatus‹ vergaß er völlig.
»Brav, lieber Roman! Ein bisserl hat's freilich gewackelt. Aber du bist halt sehr aufgeregt? Gelt, Ja?«
Roman schnaufte.
»So! Und jetzt sag mir einmal die zehn Gebote!«
Bei Roman waren es nur neune. Aber Herr Felician schien nicht mitgezählt zu haben, denn er nickte zufrieden.
»Brav, lieber Roman! Und da darf ich überzeugt sein, daß du alles andere gradsogut kannst! Gelt, ja! Soooo! Bin schon fertig mit dir! Von mir aus kannst heiraten.«
Mit bleichem Gesicht trat Roman einen Schritt zurück und nahm den Hut hinter den Rücken.
Lächelnd holte Herr Felician die Dose aus dem Talar, nahm eine Prise und feilte mit dem zusammengerollten Taschentuch die Nasenflügel. »Also, meine fromme Juliana Staudamer? Jetzt komm ich zu dir.«
Julerl stand mit gesenkten Augen, die Hände unter der seidenen Schürze, die Fußspitzen fest aneinandergedrückt, wie es die gute Sitte des Dorfes von einem jungfräulichen Bräutl beim Examen verlangt.
»Brav, Julerl, brav!« Herr Felician lobte schon, bevor er noch eine Frage gestellt hatte. »Soooo! Und jetzt sag mir einmal die sieben Todsünden!«
Das ging wie der Faden vom Haspel: »Erstens die Hoffart, zweitens der Geiz, drittens –« Julerl wurde verlegen und stotterte: »No ja, dös wissen S' schon! – Viertens der Neid, fünftens die Völlerei, sechstens der Zorn und siemtens die Faulheit!«
»Brav, Julerl! Gut kennst du dich aus in den Todsünden. Spukt's aber nicht ein bisserl bei den sieben Werken der christlichen Barmherzigkeit?«
Durchaus nicht! An den Fingern wußte Julerl sie herzuzählen und sagte sogar noch um eines zuviel: »Die Unschuldigen verteidigen!«
»Brav, Julerl, brav! Und recht hast du. Acht Werke der christlichen Barmherzigkeit sind besser als siebene. Aber jetzt sag mir einmal: Wie heißen denn die fünf Gebote für christliche Brautleute?«
Es war ein merkwürdig unruhiger Blick, mit welchem die im Katechismus so gut beschlagene Examinandin den Hochwürdigen überhuschte. Doch mit der Antwort war sie flink bei der Hand:
»Sie sollen, erstens, sich net leichtsinnig verloben.«
»Seeeehr richtig! Schau nur, Roman, wie gscheit die Julerl ist! Und zweitens?«
»Sie sollen, zweitens, urdentlich unterrichtet sein und frei von Ehehindernissen.«
Schweigend nickte Herr Felician, während er mit ernstem Blick an der christlichen Braut hinaufsah.
»Und drittens –« Julerl begann zu stottern, suchte dabei aber doch so flink wie möglich ans Ende zu kommen. »Drittens, im Brautstand unschuldig und tugendhäftig leben, viertens mit reiner Absicht in die Ehe tretten und fümftens würdig beichten und kumlizieren.« Mit gesenkten Augen stand sie und atmete auf.
»Schau nur, wie gut du das alles weißt!« Ganz langsam sprach der Pfarrer. »Aber weißt du, Julerl, die Hauptperson in einer christlichen Familie ist die Frau, die auch als Mutter einmal ihre Kinder christlich erziehen soll. Drum muß ich es bei der Braut schon ein bisserl strenger nehmen. Ja! Und muß dich noch etwas fragen. Also, sag mir einmal, was verstehst du unter göttlicher Gnade?«
Das war eine Frage aus dem ›großen‹ Katechismus. Julerl, auf theologische Spitzfindigkeiten nicht vorbereitet, blieb die Antwort schuldig, verließ sich auf ihr liebes Gesichtl und lächelte den Pfarrer hold und schmollend an, recht wie ein Täubchen, das gekränkt wird und doch nicht zürnen kann.
Aber Herr Felician machte es nicht wie der Untersuchungsrichter, sondern fragte hartnäckig: »Also, was versteht man unter göttlicher Gnade?«
»No, halt daß man beichten kann, und alls is wieder gut.«
»Soooo? Alles? Nein, Julerl, ein bisserl anders ist die Sache doch. Aber vielleicht weißt du, welche Genugtuung man der göttlichen Gerechtigkeit schuldig ist?«
Das wissen nicht einmal alle geistlichen Herren. Wie hätte Julerl das wissen sollen?
Herr Felician, eine Minute geduldig wartend, schlug mit den Fingern auf dem Schreibtisch einen Wirbel. »Weißt du vielleicht, warum wir im Vaterunser beten: Erlöse uns vom Übel?«
Schweigend senkte Julerl das hübsche Köpfl. Und der Hochwürdige trommelte.
»Da wirst du auch nicht wissen, warum wir in christlicher Hoffnung ein ›Amen‹ dazu setzen?«
Jetzt wollte Julerl sich aufs Bitten verlegen. »Herr Pfarr?« Mit den sanften Augen bettelte sie weiter.
Ernst erhob sich Herr Felician und sagte: »Es tut mir leid, meine gute Juliana Staudamer. So wenig vorbereitet kann ich dich nicht in den heiligen Stand der Ehe ›tretten‹ lassen. Bereite dich noch einige Monate recht schön vor! Du bist ja noch jung. Und im Herbst kannst du wieder zum Brautexamen kommen.«
Diese Entscheidung übte auf jede Hälfte des christlichen Brautpaares eine andere Wirkung aus. Dem jungen Waldhofer, der zu wachsen schien, war das Blut wie heißes Aufleuchten in die Wangen geschossen, während Julerl, ganz klein geworden, mit kreidebleichen Lippen stammelte: »Herr Pfarr! Mar' und Joseph! Ich bitt Ihnen gottstausetmal, tun S' mir doch soviel Schand net an!«
Herr Felician hob die Arme und ließ sie wieder fallen. »Tut mir leid. Beim Ordinariat nörgeln s' allweil an mir herum. Jetzt muß ich's einmal machen, wie sie's haben wollen. Und in der Gmein? Erst neulich haben s' mir d' Fenster eingworfen. Vermutlich, weil ich's in meinem Seelsorgeramt ein bisserl zu gnädig genommen hab. Jetzt muß ich halt bei der strengen Pflicht bleiben. Im Herbst kannst du wieder kommen, Julerl! Adieu! Tut mir leid, lieber Roman, wenn ich deine verliebte Ungeduld auf so eine harte Prob stellen muß. Aber –« Wieder hob Herr Felician die Arme.
Roman nickte. Es schien, als wäre er zu verständig, um die Zwangslage nicht einzusehen, in der sich der hochwürdige Herr befand. »No ja, wann die Braut ihren Katechism net weiß, da kann man nix machen.« Ruhig, ohne Vorwurf, wie es sich geziemt für einen nachsichtigen Bräutigam, sagte er zu Julerl: »Da hast es jetzt! Müssen wir halt gehn. Pfüe Gott, lieber Herr Pfarr!« Und da hatte er auch die Türklinke schon in der Hand.
Julerl, zitternd, mit entfärbtem Gesicht und angstvollen Augen, stand noch immer auf der gleichen Stelle. Bittend streckte sie die Hände und brachte kein Wort heraus. Vielleicht hätte sie die Sprache noch gefunden, wäre nicht Jungfer Kathrin erregt in der Tür erschienen, die Roman geöffnet hatte. Schwül atmend starrte Julerl die Köchin an, warf noch einen verzweifelten Blick auf Herrn Felician und schlich aus der Stube.
Kathrin drückte die Tür ins Schloß. Die Hände ineinanderschlagend, kam sie auf den Pfarrer zu und begann zu jammern: »Hochwürden! Um Gottes willen! Was haben S' denn da jetzt wieder gmacht?«
Herr Felician schmunzelte. »Ebbes Guts!« In sichtlichem Vergnügen schnippte er mit den Fingern die Semmelbröselchen von seinem Talar.
»So? Ebbes Guts?« legte Kathrin los, in einem Ton, als wäre ihr das Weinen nahe. »Ehnder geben S' kein' Fried net, gelt, bis net 's ganze Dorf wieder aufghetzt is gegen unsern Pfarrhof!«
»Zannst schon wieder, ja?« Herr Felician legte die Hände hinter den Rücken. »Aber gleich hab ich mir's denkt, wie du am vorletzten Sonntag so gerührt warst. Bei dir hilft's was, 's Predigen, ja!«
»Predigen! In der Kirch mögen S' der beste sein. Aber heraußten machen S' ein' Moosbacher um den andern. Wie können S' denn eim Brautpaar, wie der Waldhoferbub und 's Staudamermadl, den Konsenzi verweigern?«
»Kathrin!« Der Pfarrer wurde ernst. »Drängelst du dich schon wieder in meine Seelsorgersachen?«
»Seelsorg! A bisserl muß man für'n Magen auch noch sorgen. Wie knapp unser Pfarrhof dran is, dös wissen S' doch! Und da steht die schwerste Hochzeit vor der Tür, die uns a bißl ebbes eintragen hätt. Und da macht mir mein gscheider Herr Pfarr an söllenen Strich durch'n Kuchenzettel! Hochwürden! Wie kann Ihnen denn so was einfallen? Dem Waldhofer so an Afronti hermachen? Dem Burgermeister! Der uns vor acht Tag die Glaserrechnung zahlt hat.«
»Ich hab's ihm net gschafft«, fuhr Herr Felician auf, »die hätt ich schon selber noch zahlen können.«
»Ja! Und a halbs Jahr lang nimmer schnupfen und rauchen, gelt? Und a halbs Flaschl Bier auf'n Abend! Und die halbete Semmel zum Kaffee! Ah na! Sie mit Ihre sechzg Jahr und Ihrem diffiziligen Magen, Sie müssen Ihr urdentliche Verköstigung haben. Bekreuzigt hab ich mich schon vor lauter Freud, sooft ich den Waldhofer gsehen hab. Und da fahren S' mir zwischeneini! Denken S' doch a bißl nach! Dem Waldhoferbuben den Konsenzi verweigern!«
»Dem hab ich ihn nicht verweigert!« schrie Herr Felician. »Der kann von mir aus heiraten, wann er mag. Morgen. Heut noch. Aber der anderen hab ich ihn verweigert. Der! Ja!«
»So? Und der Waldhoferbub kann d' Hochzeit allein halten? Gut kennen S' Ihnen aus!« Kathrin lachte gereizt. Dann stellte sie den Finger auf den Schreibtisch. »Hochwürden. In acht Tag muß d' Julerl ihr Exami bstanden haben. Oder Sie können auf Pfingsten Ihren hochwürdigen Schnabel an' Bindfaden hängen, statt daß ich Ihnen Bratwürst auftragen kann, a jungs Gansl und an Gugelhupf.«
»Katharina!« Herr Felician wurde hochdeutsch. »Jetzt ist es genuggg! Fertig! Jetzt geh mir aus der Stube! Hörst du?«
Weil Kathrin das Schlachtfeld nicht verlassen wollte, griff der hochwürdige Herr nach seinem Käppl und wanderte in den Garten hinaus, um Luft zu schöpfen.
Vom Kiesweg zwischen den jungen Zwetschgenbäumen konnte er weit hinuntersehen über die Dorfstraße. Und als er dort unten das christliche Brautpaar gewahrte, dem er einige Monate Bedenkzeit gegeben, war im Nu aller Zorn bei ihm verraucht, und die Hände hinter den Rücken legend, lachte er zufrieden vor sich hin.
Dort unten auf der Straße gingen Roman und Julerl wortlos nebeneinander her, die Gesichter nach links und rechts gedreht, wie es der zwieköpfige Adler von Österreich macht. Während Roman in seinem nach rechts gedrehten Gesichte den Ausdruck einer nachdenklichen Ruhe zeigte, glühte das nach links gedrehte Gesichtl des sanften Julerls in kämpfendem Zorn. Dazu redete etwas ratlos Verstörtes aus ihren Augen. Immer schien sie einen Anlauf zum Sprechen zu nehmen, doch immer blieb sie stumm und bohrte den Blick in die Dornenhecke, aus deren Gezweig die kleinen lichtgrünen Blätter schon hervorgebrochen waren.
Nun hatten die beiden den Zaun des Waldhofes erreicht. Ehe sie zum offenen Hoftor kamen, hob Julerl plötzlich das Gesicht, klammerte die Hände in Romans Joppenzipfel und verstellte ihm den Weg, als sollte es jetzt einen harten Kampf geben. Dennoch sprach sie kein Wort. Es redete nur das stumme Zucken ihres schmerzvoll gekräuselten Mäulchens.
Roman befreite seinen Joppenzipfel. »Was kann denn ich dafür? Hättst den Katechism besser glernt! Jetzt müssen wir halt warten dös halbe Jahr.« Er sah, wie bleich sie wurde. Erwachte eine Regung von Mitleid in ihm? Seine Stimme klang freundlicher: »Leicht bin ich's gar net wert, daß dich so kümmern tust. Und schau, dei' Mutter freut sich drüber, weil s' dich noch bhalten kann den ganzen Sommer. Dei' Mutter, die mag dich gern. Die tu mir schön grüßen, gelt! Pfüe Gott derweil!« Roman ging mit flinken Schritten der Haustür zu. Auf der Schwelle warf er noch einen scheuen Blick über die Achsel. Draußen vor dem Zauntor stand Julerl noch immer auf dem gleichen Fleck. Schwül atmend fuhr sich Roman mit dem Ärmel über die Stirn und trat in die Stube.
Der Waldhofer, der mit der Brille auf der Nase und mit einem Aktenstück am Tische saß, blickte lachend auf. »No? Is jetzt alls in der Ordnung?«
»Noch lang net!« Roman ging hinter den Ofen und zog die Joppe herunter.
»Was!« Langsam holte der Alte die Brille von der Nase und erhob sich. »Wo fehlt's denn, Bub?«
»'s Ordinariatti halt! Der Herr Pfarr kann nix dafür. 's Ordinariatti will's amal so. Und da hat er's a bißl gnau mit'm Exami nehmen müssen. Ich natürlich, ich hab mei' Sach hergsagt wie 's Wasser. Aber bei der Julerl hat's mit'm Katechism gfehlt. Da hat's weit gfehlt. Und da hat ihr der Herr Pfarr den Konsenzi net geben.«
Nun kam der Beweis, wie sehr die Jungfer Kathrin mit ihren dunklen Ahnungen im Rechte war. Der Waldhofer feuerte die schwere Bauernfaust auf den Tisch, daß die Platte krachte und das Tintenzeug erschrocken einen Hupfer tat. »Ja sakra! Teufel noch amal! Was bildt sich denn der im Pfarrhof da droben ein? Der weiß wohl nimmer, wer der Waldhofer is? Und so eim laß ich aus'm Gmeinvermögen die Glaserrechnung zahlen. Dem kunnt ich ja selber d' Fenster noch einwerfen. Dem! Und 's Julerl! Mar' und Joseph! Wo hast denn 's Julerl?« Der Waldhofer lief in den Hof hinaus. »Julei! Julerl!« Er hätte eine Kirchturmsglockenstimme haben müssen, wenn ihn Julerl noch hätte hören sollen.
Wie verfolgt von einem Gespenst, rannte sie schon über die grünenden Wiesen hinauf, daß ihr Röckl flatterte und die seidene Schürze wie eine Fahne wehte.
Als sie daheim in den Hausflur trat, empfing die Staudamerin ihr sanftes Täuberl mit den Worten: »Bist da, Kindl? So? Gleich bring ich dir 's Essen! Heut kunnt's dir schmecken, gelt?« Ein Lachen. »Hat er dich sauber ausgfragt, der Herr Pfarr?«
»Mutter!« Julerls Gesicht war so weiß wie die getünchte Wand. »Komm in d' Stuben eini! Jetzt muß ich dir ebbes sagen.«
Die Staudamerin hatte ein Mutterherz, in dem die Unruh leicht erwachte. »Mar' und Joseph! Was is denn?«
Mickei, der im Heuschuppen bei der Maschine stand, um für die Kühe das Häckselfutter zu schneiden, streckte beim Klang der Stimmen, die er vernahm, in Neugier den Kopf zum Scheunentor hinaus. Er konnte von der Stube her das Schluchzen der Julei und einen tobenden Spektakel der Bäuerin hören. Lauschend schlich er an der Mauer entlang, um in die Nähe der Stubenfenster zu kommen. Da gab's im Hausflur ein Geraffel. Mit zornrotem Gesicht erschien die Staudamerin auf der Schwelle, und als sie den Knecht gewahrte, griff sie nach dem Besen, der neben der Haustür lehnte. Mickei wollte das bessere Teil der Tapferkeit erwählen. Bevor er die Scheune gewinnen konnte, hatte ihn die Staudamerin schon eingeholt und begann wie eine Wahnsinnige mit dem Besen auf ihn loszuschlagen. In die Ecke zwischen Mauer und Scheunentor gedrängt, mußte Mickei stillhalten unter dem Regen dieser Schläge und suchte nur mit den Armen sein Gesicht zu schützen. Als die Staudamerin atemlos einen Augenblick innehielt, stieß er sie mit den Fäusten zurück und flüchtete in die Scheune.
Die Bäuerin folgte ihm wohl mit geschwungenem Besen; sie kam zu spät; Mickei war auf den Heuboden hinaufgeklettert und hatte hinter sich die Leiter in die Höhe gezogen. Jetzt war er sicher. Er ließ in der Scheune drunten die Staudamerin schreien, legte sich droben ins Heu und wischte das Blut von der Nase, die ihm der Reisigbesen bös zerkratzt hatte.
Der Bäuerin ging endlich der Atem aus, und es wurde still in der Scheune.
Mickei blieb im linden Heu. Eine Stunde verrann. Dann konnte er hören, daß die Staudamerin im Stall die beiden Pferde schirrte und das Bernerwägelchen aus dem Schuppen zog.
»Soll ich Enk ebba helfen, Bäuerin?« rief er hinunter.
Keine Antwort kam. Mickei konnte nach einer Weile durch eine Lücke des Schindeldaches sehen, wie Julei mit verweintem Gesicht auf den Wagen stieg, und wie neben ihr die Staudamerin Platz nahm, feiertäglich gekleidet, Zügel und Peitsche in den Händen.
»Hüo!«
Die zwei Braunen zogen an. Auf dem schlechten Feldweg zwischen den zerstreuten Bauernhöfen gingen sie in trägem Schritt. Traben mußten sie erst, als sie die schöne Landstraße erreichten, die nach Enzdorf führte.
Mutter und Tochter sprachen kein Wort und drehten die Gesichter auseinander, wie es das christliche Brautpaar auf dem Heimweg vom Pfarrhof getan. Erst in der Nähe von Enzdorf – wo der ›Vetter‹ wohnte, dem die ›Hauserin‹ durchgegangen war – und als die Staudamerin auf der Straße einen Menschen sah, murrte sie der Julei zu: »Jetzt nimm dich zamm! Da kommt einer. Hauch a bißl ans Tüchl hin und druck's auf d' Augen!«
Um des einen willen, der auf der Straße langsam einhertappte, hätte Julerl die verweinten Augen nicht zu verstecken brauchen. Der schritt mit hängendem Kopf am Wagen der Staudamerin vorüber, ohne aufzublicken.
Hanspeter war's.
Er kam von Enzdorf. Und wanderte nach Mitterwang. Schritt um Schritt, schwerfällig und erschöpft. Sein mächtiger Rücken war krumm gebeugt, etwas Stumpfes und Gedankenloses brütete in seinem häßlichen Gesicht, in seinen traurigen Augen. Und während er wanderte, brach er von dem Brot, das er in der Joppentasche stecken hatte, ein Bröckl ums andere ab und schob es in den kauenden Mund.
In Mitterwang tat er, was er in Enzdorf getan: er ging von Haus zu Haus und stellte bei jeder Tür die gleiche Frage: »Habts net a Loschie zum verlassen? Drei Stuberln tät ich brauchen, eins dabei a ganz a kleins.« Es wurde Abend, bevor er noch die halbe Dorfgasse von Mitterwang abgestapelt hatte.
Unter funkelnden Sternen trat er den Heimweg an und sah nicht den Himmel und keins von den blinkschönen ›Luckerln‹, durch die der Glanz des Paradieses ›aussispitzt‹. Er sah nur den grauen Staub, durch den seine müden Füße dahinschlorpten.
Als er heimkam, eine halbe Stunde vor Mitternacht, schlief schon alles im Waldhof.
Hanspeter machte in seiner Stube kein Licht; im Dunkel griff er nach Herrn Felicians Sessel, um zu fühlen, ob der Firnis schon trocken wäre. Der klebte noch ein wenig. »Freilich, ja! Alls muß sei' Zeit haben.«
In der matten Sternhelle des Fensters lag etwas auf dem Gesimse wie ein schwarzer Ziegelstein. Es war die Bibel. Und Hanspeter, im Trieb der Gewohnheit und ohne Licht zu machen, ging auf das Fenster zu und streckte die Hände. Da quoll ihm ein dumpfer Laut aus der Kehle, und seine Fäuste blieben wie Steinklumpen auf dem geschlossenen Buche liegen.
»Kunnt ebba sein, daß ich's auswendig weiß? Ah ja!«
War das ein Lachen? Oder war's ein Schluchzen?
Er taumelte zum Bett, begann sich im Finsteren auszukleiden und lallte vor sich hin: »Sellig sünt thie Ahrmen üm Kaißte, then irren üst thas Hümbelraich. Sellig sünt thie Sampftmittigen –«
Seine drei Zentner fielen so schwer auf den Strohsack, daß die ungetüme Bettlade in allen Fugen krachte. Und immer wieder stöhnten die Bretter, sooft sich Hanspeter von einer Seite auf die andere wälzte. Seine Lunge rasselte, und jeder Atemzug war wie ein Seufzer, der um Hilfe schrie.
Gegen vier Uhr morgens, als der Karfreitag zu grauen begann, richtete Hanspeter sich auf und nahm den Kopf zwischen die Fäuste. »In Mitterwang hab ich erst die halbeten Häuser ausgfragt. Da find ich noch ebbes. Da hab ich mei' Zuversicht drauf.« Es dauerte nicht lang, und Hanspeter war wegfertig, bis auf die Schuhe. Die band er an den Riemen zusammen und hängte sie über den Arm. Weil er die Schläfer im Haus nicht stören wollte, ging er barfuß aus der Kammer. In der Küche schnitt er sich vom Brotlaib ein bescheidenes Stück herunter und schob es in die Joppentasche. Draußen am Brunnen wusch er sich, zog die Schuhe an und wanderte in den bleigrauen Morgen hinaus, dessen letzte Sterne noch nicht erloschen waren. Durch die dämmrigen Morgenlüfte klang es hinter ihm her wie das spottende Gelächter eines Riesen – dürre, klappernde Laute, als würden Steine in einer mächtigen Kiste durcheinandergeschüttelt: das ›hölzerne Geläute‹ des Karfreitags, an dem die erzenen Glocken schweigen müssen.
Die ungewohnten Töne weckten in den Häusern die Schläfer, die sonst wohl noch ein Stündl über das gewohnte Morgenläuten hinüberschlummerten. Bald hier, bald dort an einem grauen Fenster zitterte matter Lichtschein auf und blinzelte wie ein gerötetes Auge in die Dämmerung hinaus. Und alles Getier des Dorfes wurde lebendig und geriet in Unruh. Die Hähne krähten früher als sonst, überall schlugen die Hunde an, und in den Ställen brüllten die Rinder.
Im Zwielicht des Morgens gaukelte ein Licht über den Friedhof, als wäre ein Stern vor dem Erlöschen vom Himmel gefallen und wüßte nicht, wohin er auf Erden sollte.
Eine schwankende Laterne war's. Jungfer Kathrin trug sie dem hochwürdigen Herrn Felician voran.
Der Mesner mit Weib und Tochter war in der Sakristei schon bei der Arbeit, um aus den Schränken herauszukramen, was alljährlich am Karfreitag zum Schmuck des Heiligen Grabes diente.
Zwei Stunden hatten sie zu schaffen, bis in der Höhlung unter dem Altartisch der lebensgroße, aus Holz geschnitzte Leichnam des Erlösers auf seidenen Kissen und zwischen künstlichen Blumen gebettet lag. Durch die hohen Kirchenfenster blickte schon der sonnige Morgen herein, als sie die Altarkerzen anzündeten und die brennenden Wachslämpchen hinter die bunten, mit Wasser gefüllten Glaskugeln stellten, die das Heilige Grab gleich einer Kette großer Feuerperlen im Bogen umgaben. Das Sonnengeflimmer des Morgens mischte sich mit dem bunten Zitterschein der farbigen Ampeln. Der stille Leichnam, überschimmert von diesem beweglichen Lichtgefunkel, schien zwischen den papierenen Blumen zu leben und nur zu schlummern. Das war ein Anblick, der auf Jungfer Kathrin seine Wirkung nicht versagte. Mit nassen Augen stand sie vor dem Heiligen Grab und flüsterte: »So lieb und schön liegt er drin!«
Herr Felician sah sie mißmutig von der Seite an. »So? Jetzt schießt dir d' Andacht ein? Und morgen is wieder alls vergessen, und die ewige Zannerei hat Auferstehung gfeiert.«
»Na, na, Hochwürden!«
»Geh, laß mich aus!« Schwermütig blickte Herr Felician in den Schein der farbigen Lampen. »Unser guter Heiland hat leiden müssen für uns und liegt im Grab. Aber die schönen Ampeln sind d' Hauptsach dran. Alle rennen s' heut in die Kirch, weil d' Ampeln brennen.« Seufzend ging der hochwürdige Herr in die Sakristei.
Da kamen auch schon die ersten Andächtigen, und langsam füllte sich die Kirche.
Als Herr Felician zwischen den Betstühlen hinschritt und segnend das Weihwasser aussprengte, waren schon alle Plätze besetzt. Nur ganz im hintersten Winkel der Kirche war noch ein kleiner Betstuhl frei. Bekümmert sah der Hochwürdige die zwei unbesetzten Plätze an und sprengte das geweihte Wasser auch gegen den leeren Stuhl.
Nachdem die kirchliche Karfreitagsfeier vorüber war, setzte sich Herr Felician in den Chorstuhl. Und da ging an ihm die Wanderung der Frommen vorüber, die vor dem Heiligen Grabe knien wollten. Die Reihe der Männer eröffnete der alte Waldhofer, der den Pfarrer mit einem unfreundlichen Blick bedachte. Unter den Burschen kam der Staudamer-Mickei, Nase und Wangen mit roten Kratzwunden bedeck, als wäre ihm eine Katze ins Gesicht gesprungen. Mit halbem Lächeln wandte der Knecht das Gesicht auf die Seite, als er vor dem Heiligen Grabe mit dem jungen Waldhofer zusammentraf. Roman schien nur die Steinfliesen des Kirchenpflasters zu sehen. Sein Gesicht war übernächtig und müd, und länger als die anderen blieb er im Schein der bunten Ampeln knien. Versunken in seine Andacht, merkte er nicht, daß schon die Frauen und Mädchen angewandert kamen. Die alte Staudamerin maß den jungen Waldhofer ein bißchen spöttisch und betrachtete in Zufriedenheit ihr Julerl, die im schwarzen Trauerstaat neben der Mutter zum Heiligen Grabe schritt. Ihre sanften Augen waren verschleiert von den Wimpern der gesenkten Lider, und das holde Grübchengesicht war ruhig und still. Nur ein wenig blaß war es. Mit hartem Blick in den sonst so freundlichen Augen, sah Herr Felician der Staudamerin und ihrem lieblichen Julerl nach, als die beiden zum Altar gingen und im bunten Licht der strahlenden Ampeln niederknieten. »O du lieber, guter Heiland, was lauft da alles vorbei an dir!« Er schloß mit einem Seufzer das Brevier und verließ den Chorstuhl. Unter der Sakristeitür blieb er noch einmal stehen und spähte nach dem hintersten Kirchenwinkel, in dem zwei Plätze leer geblieben.
Herr Felician trat ins Freie. Wie schön der Morgen! Wie rein der Frühlingsglanz, der über dem grünenden Tal und über dem letzten Schnee der hohen Berge webte! Aller Unmut schwand aus dem Gesicht des Pfarrers. Die Hände über dem strebsamen Bäuchlein verschlingend, blickte er zum leuchtenden Blau hinauf und lächelte. »Da glaubt man wieder!« Langsam trat er zur Mauer und lugte über die Straße hinaus, die zum Häuschen der Altenöderin führte. »Und du willst trutzen? Soooo? No wart, du bockbeinigs Weibl, dir will ich heut a bißl auf den christlichen Stockzahn klopfen.«
Als er heimkam, trug Jungfer Kathrin den Morgenkaffee in die Stube. Mit aller Demut bediente sie ihren geistlichen Herrn. Als sie merkte, daß ihm der Kaffee schmeckte, begann sie mit sanfter Stimme: »Liebe Hochwürden?«
»Was denn schon wieder?«
»Ich will mich net einidrängeln in Ihre Seelsorgersachen. Aber in aller Güt muß ich Ihnen aufmerksam machen, daß noch allweil zwei ledige Beichtzetteln fehlen.«
Herr Felician biß in die Semmel. »Wer fehlt denn?«
»Der Häuslschusterin ihr Madl fehlt. Aber um die reiß ich mich net.«
»So? Freilich, die Lisbeth und ihr Mutter haben keine Küh, da kriegst kein' Butter net. Und Hendln haben s' auch keine, die Eier legen.« Der Hochwürdige nahm einen Schluck aus der Kaffeeschale. »Recht christlich, liebe Kathrin! Heut am Karfreitag! Mir scheint, die Ampeln brennen schon nimmer? Bei dir.«
Kathrin wurde rot. »Tun S' mir net 's Heilige Grab mit Hendln und Küh durchanandermengeln!«
»So? Ich tu das?«
»Ja, Sie!« Die Köchin fuhr sich mit der Schürze über das Gesicht, als stünde sie vor dem heißen Herd. »Über d' Häuslschusterin und ihr Madl will ich kein Wörtl nimmer verlieren. Aber der Hanspeter geht mir auch noch ab. Der is net zum Beichten kommen. Und der muß her.«
Herr Felician lächelte. »Der wird halt keine Sünden net haben. Was soll er denn beichten, der gute Mensch?«
»Sünden oder net, der Beichtzettel muß her. Und unsern Sessel hat er auch noch net bracht. Jetzt is er wieder gsund. Da hätt er unsern Sessel lang schon reparieren können.«
Geärgert legte Herr Felician die halbverzehrte Semmel fort. Dann sagte er ruhig: »Sei zufrieden, Kathrin! Er hat dir einen ganz neuen geschreinert. Vielleicht macht er dir eine Osterfreud damit. Und jetzt laß mich in Ruh mein Frühstück verzehren! Gelt?«
»No ja! Weil Karfreitag is, will ich mich zruckhalten.« Kathrin ging zur Türe. »Aber was ich noch fragen will.«
Der Hochwürdige schien zu merken, daß die Hauptsache jetzt erst kommen sollte. »Kathrin«, warnte er, »laß mich in Ruh!«
»Bloß fragen will ich, ob S' Ihnen die Sach überlegt haben? Mit dem Konsenzi für den jungen Waldhofer?«
»Ja Himmelkreuzteufel!« Herr Felician schlug mit beiden Händen auf den Tisch, daß Kanne und Tasse klirrten. Er verfärbte sich vor Schreck über das eigene Wort. Auch Kathrin war sprachlos. »No also!« Dem alten Herrn zitterte die Stimme. »Der Herr Pfarrer selber! Und fluchen! Am heiligen Karfreitag! Da schau, wie weit du mich bringen kannst mit deiner ewigen Zannerei!«
Der Köchin kamen die Tränen. »Aber ich hab doch net zannt. Hab's Ihnen bloß zum Nutzen gmeint.«
»Schon gut!« Herr Felician wurde hochdeutsch. »Jetzt sei so freundlich und marschier hinaus, Katharina!«
Seufzend ging Jungfer Kathrin aus der Stube. Um ihren geistlichen Herrn zu versöhnen, braute sie mit allem Aufwand ihrer Kochkunst ein Mittagsmahl, so zart und lecker, daß es die Karfreitagstafel eines Kardinals hätte zieren können. Aber sie erntete kein Wort des Lobes.
Am Nachmittag kam sie immer wieder zur Stubentür geschlichen und lauschte. Immer wieder hörte sie das Klappen der Pantoffel, in denen der Hochwürdige ruhelos die Stube durchwanderte. Endlich wurde es still hinter der Türe. »Gott sei Dank! Jetzt schlaft er. Da hat er's übertaucht.« Sie schlich in die Küche und machte sich an die Arbeit, damit der Jausenkaffee bereitstünde, bis der Hochwürdige erwachen würde. Als sie das siedende Wasser über die Bohnen gegossen hatte, hörte sie im Flur die schweren Stiefel klappern. Erschrocken sprang sie aus der Küche und sah den Pfarrer die Haustür öffnen, mit Hut und Stock. »Aber Hochwürden! Mögen S' denn net auf Ihr Kaffeederl warten?«
Herr Felician drehte das Gesicht über die Schulter. »Nein!«
»Mar' und Joseph!« stotterte Kathrin. »Grad heut hab ich so an guten gmacht. Und jetzt verdirbt er.«
»Besser, als daß eine menschliche Seele verdirbt.«
Der Hochwürdige zog hinter sich die Tür zu, während Jungfer Kathrin im verdunkelten Flur mit wachsender Sorge vor sich hin stotterte: »Heut macht er gwiß ebbes Dumms, vor lauter Güt und christlicher Lieb!«
Kopfschüttelnd kehrte sie zum Küchenherd zurück und verschluckte in grüblerischer Einsamkeit den guten Kaffee. Es ließ ihr keine Ruhe. Als sie die Küche in Ordnung gebracht hatte, huschte sie in ihre Kammer, riß die Küchenschürze herunter, nahm ein Wolltuch um und band die schwarze Haube übers graue Haar.